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Mein Name ist Mitsuhide Ryota

Mein Name ist Mitsuhide Ryota. Ich bin 15 Jahre alt und besuche die Kamata West Junior High in Tokio. In meinem Leben gibt es praktisch nichts mehr, dass mir Freude bereit. Meine Eltern sind vor zwölf Jahren an einem Autounfall gestorben. Seit dem Lebe ich bei meinen Grosseltern. Letztes Jahr starb meine Grossmutter. Der einzige Grund warum mein Grossvater noch nicht ins Altersheim gegangen ist bin ich, obwohl er sich kaum um sich selbst kümmern kann.

Das Einzige was meinem Leben noch Sinn gibt ist Basketball. Mein grosses Idol und zugleich mein Crush ist Aomine Daiki, der Star der Touou Academy, ebenfalls in Tokio. Trotzdem wird auch das irgendwann vorbei gehen, denn die Uhr tickt und das einzige, was ich tun kann ist die Tage bis zu meinem Tod zu zählen…

Inter High

4. Juni

 

Der Ball prallte gegen das Brett oberhalb des Korbes und kam mit einer ungeheuren Geschwindigkeit zurück geflogen. Alles was ich tun konnte, war auszuweichen. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich diesen Ball nicht hätte fangen können ohne starke Schmerzen dabei zu haben. Seufzend machte ich mich daran dem Ball nachzurennen der nun gemächlich über den verlassenen Basketballplatz davon sprang.

Manchmal wünschte ich mir, dass ich nicht alleine zu spielen brauchte, doch es war mir lieber so. Ich war schwach, das musste mir niemand mehr sagen. Trotzdem liebte ich Basketball, aber alleine konnte ich mich nicht verbessern. Alles was ich tun konnte war Körbe zu werfen, oder es zumindest zu versuchen. Es gab Tage, da traf ich beinahe bei jedem Versuch und dann andere Tage, da funktionierte einfach gar nichts. Das was ich hier tat konnte man bei Weitem nicht mit dem Level vergleichen, das auf dem Inter-High gespielt wurde, ein Basketball Turnier der High-School.

Ich war immer noch in der Junior-High, doch nächstes Jahr würde ich ebenfalls aufsteigen. Erschöpft liess ich mich auf den Boden sinken und drehte den orangen Ball zwischen meinen Händen. Meine Beine schmerzten von der Anstrengung, doch selbst mein Arzt hatte mir bestätigt, dass es sogar förderlich sei Sport zu treiben, wenn auch nicht in einem zu grossen Mass. Wie gerne wäre ich dem Basketball-Club meiner Schule, der Kamata West Junior High, beigetreten, doch das würde mein Körper auf Dauern nicht mehr mitmachen.

„Aomine-kun! Warte einen Moment“, konnte ich jemanden rufen hören. Aomine? Mein Kopf schnellte herum und da konnte ich ihn gehen sehen, der ach so coole Aomine Daiki. Er war es tatsächlich. Neben ihm lief eine Mädchen mit rosaroten Haaren die auf ihn einredete und versuchte seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch sie erkannte ich sofort, es war Satsuki Momoi, die Trainerin des Basketballteams der Touou Academy.

Ich konnte mich im ersten Moment nicht rühren. Aomine kannte ich nur vom weiten Sehen her, wenn ich auf der Tribüne sass und gespannt den Spielen zuschaute. Nur selten ging ich noch an Turniere um zuzuschauen, doch wenn ich ging, dann an die Matches von der Touou-Academy nur um meinen Star spielen zu sehen. Die Art wie er Basketball spielte war unheimlich. Er war schnell, stark und flink. Wenn man ihm zuschaute sah alles so einfach aus. Nie verfehlte einer seiner Schüsse das Ziel. Man konnte kaum glauben, dass er kaum ein Jahr älter war als ich. Doch so waren sie nun mal, die fünf Mitglieder der Generation der Wunder.

Ich erstarrte zu einer Eissäule als Aomine’s Blick zur Seite schweifte und wir uns für den Bruchteil einer Sekunde anschauten, dann war er hinter den Sträuchern verschwunden die den Platz von der Strasse abschirmten. Ich starrte ihnen noch eine Weile nach bevor ich mich langsam wieder zu regen begann. Mein Herz schien zu rasen, so fest, dass es schmerzte. Ich griff mir an die Brust. Meine Finger krallten sich in das dunkelblaue Shirt das ich trug. Es war besser wenn ich nachhause gehen würde, denn es würde so oder so bald dunkel werden und ich wollte nicht, dass mein Grossvater sich Sorgen machte.

Mühsam rappelte ich mich auf und klemmte mir den Basketball unter den Arm. In nicht einmal einer Woche war die Inter-High bereits Geschichte. Acht Teams hatten sich dafür Qualifizieren können, darunter war natürlich auch die Touou Academy.

Irgendwie freute ich mich darauf, doch andererseits auch nicht. Immer wenn ich bei den Spielen zuschaute überkam mich das starke Verlagen ebenfalls einmal an so einem grossen Turnier teilnehmen zu können, doch das war nicht möglich, niemals. Mit gesenktem Kopf machte ich mich auf den Nachhauseweg. Das Haus meines Grossvaters war nur wenige Minuten von dem Basketballplatz entfernt, so konnte ich jederzeit hierher kommen, vor allem, da praktisch nie jemand hier her kam. Einmal hatte ich ein paar Leute auf dem Platz spielen sehen, doch das war schon länger her. Wahrscheinlich wussten die meisten nicht mal, dass er überhaupt existierte, doch mir konnte das recht sein. So hatte ich meine Ruhe…

 

 

 

10. Juni

 

Gespannt sass ich auf meinem Sitz auf der Tribüne. Heute war das Finale des Inter-High, die Touou Academy gegen die Rakuzan-High. Beides Teams, die ein Mitglied der Generation der Wunder beinhalteten. Bis jetzt hatte Aomine sich gut geschlagen, was war anderes zu erwarten gewesen. Leider hatte ich die Spiele verpasst, da ich am einen Tag einen Arzt-Termin hatte und am anderen hatte mein Grossvater mir striktes Haus-Verlass-Verbot gegeben, da ich am nächsten Tag eine Englisch-Prüfung gehabt hatte. Nicht das ich dafür gelernt hätte, in meinen Augen machte das alles so oder so keinen Sinn mehr. Manchmal fragte ich mich, warum ich überhaupt noch zur Schule ging. Ich traf dort noch nicht einmal Freunde…

Das Jubeln und die Schreie gingen los, als die erste Mannschaft die Arena betrat. Es waren die Spieler von Rakuzan. Neugierig beugte ich mich vor um besseren Blick zu haben. Der Typ, der aus der Generation der Wunder war und in Rakuzan spielte war Akashi, der damalige Anführer der Teiko, doch ich konnte den Rothaarigen nirgends entdecken. Neben mir konnte ich zwei Mädchen miteinander tuscheln hören: „Spielt Akashi heute etwa nicht? Wie schade, ich hätte ihn zu gerne noch einmal gesehen…“.

„Ist ja nicht weiter schlimm, dafür hat es in der Touou auch ein paar heisse Kerle dabei…“, erwiderte die Andere und kicherte dumm.

„Du meinst etwa Aomine Daiki?“, fragte die erste wieder. Ich versuchte weg zu hören. Solche Hühner konnte ich nicht leiden. Sie kannten ihn nicht einmal und… ich kannte ihn schliesslich auch nicht. Ich biss mir auf die Lippen. Es war nicht so, dass ich in ihn verliebt war, aber er war halt mein Crush. So war es halt mit diesen „Promis“. Sie waren erfolgreich, berühmt, meistens noch gut aussehend, wie konnte man sich da nicht in sie vergucken.

Wieder wurde es laut in der Halle als die Touou Academy ebenfalls das Spielfeld betrat. Aufmerksam hielt ich nach der Nummer 5 Ausschau, doch ich konnte ihn nirgends entdecken. Unsicher begann ich auf meiner Unterlippe herumzukauen. Ich hatte die Gerüchte gehört, dass er sich anscheinend in dem letzten Spiel verletzt haben sollte und wohl nicht spielen würde, doch ich hatte es erst nicht glauben wollen. Selbst auf der Ersatzbank konnte ich ihn nirgends entdecken. Dann war er wohl tatsächlich verletzt.

Ich stand auf. Eigentlich war ich nur gekommen um Aomine spielen zu sehen und obwohl die anderen Spieler ohne Frage ebenfalls gut waren, machte es für mich so keinen Sinn mehr. Mühsam bahnte ich mir meinen Weg durch die Menge. Es war ein reiner Kraftakt, denn jetzt, als das Spiel angepfiffen worden war, war die Menge bereits total in Rage und schrie und jubelte das ich mir die Ohren zuhalten musste von dem Lärm. Ein weiterer Grund warum ich nur selten an Spiele ging, doch um Aomine zusehen zu können war es das allemal wert.

Schmerzen

15. Juni

 

Ich sprang ab und im nächsten Moment verliess der Ball auch schon meine Hände. In hohem Bogen flog er direkt auf den Korb zu. Erst dachte ich, dass ich treffen würde, doch dann prallte er gegen den Rand und knallte gegen das Metallgitter, das um den ganzen Platz gespannt war. Erschöpft lehnte ich mich nach vorne und stütze mich an meinen Beinen ab.

Meine weissen Haare klebten mir im Nacken und das Shirt an meinem Körper. Kaum eine halbe Stunde war ich hier und hatte bereits Mühe mich auf den Beinen zu halten. An Tagen wie diesen wünschte ich mir einfach, dass es bereits vorbei wäre. Wenn ich nicht einmal mehr das tun konnte was mir Spass machte ohne dabei Schmerzen zu empfinden, wie wollte ich dann die letzten Jahre meines Lebens verbringen. Ich rieb mir über die Augen. Daran wollte ich gar nicht denken. Noch trugen mich meine Beine und solange meine Arme stark genug waren den Ball zu werfen würde ich es tun.

Ich richtete mich auf und wollte dorthin laufen, wo der Ball gelandet war, doch er lag bereits nicht mehr am Boden. Ein hochgewachsener, junger Mann hatte ihn aufgehoben und betrachtete ihn eingehend als ob er noch nie einen Basketball gesehen hätte. Bei genauerem hinsehen erkannte ich, dass er nicht viel älter als ich sein konnte, obschon er um ein ziemliches Stück grösser war als ich. Er hatte kurzes, schwarzblaues Haar und die Augen in derselben, mysteriösen Farbe die sofort einem in ihren Bann zog. Seine Haut war von der Sonne gebräunt. Einen hämischen Ausdruck lag in seinem hübschen Gesicht.

„Warum steckst du so viel Kraft in deinen Wurf wenn du die Flugbahn nicht koordinieren kannst?“, fragte Aomine Daiki und warf mir den Ball zurück. Ich schluckte leer und versuchte ihn zu fangen, doch der Aufprall gegen meine Arme war so hart, dass ich ihn fallen lassen musste. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Beschämt bückte ich mich um den Ball aufzuheben.

„Ich komme sonst nicht so hoch…“, rechtfertigte ich mich und senkte den Blick. Was machte er überhaupt hier? Die Touou Academy war doch ein ziemliches Stück weg von hier und auf seinem Heimweg konnte dieser Platz bestimmt nicht liegen. Ich war oft hier, und lange, und gesehen hatte ich ihn das erste Mal an diesem einen Nachmittag vor der Inter-High. Aomine zuckte mit den Schultern und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, zurück zum Ausgang des Platzes. Ich blieb schweigend zurück und drehte den Ball in meinen Händen. Er hatte solche Kraft in seinem Wurf, obwohl er bloss mit einer Hand geschossen hatte. So sehr hatte es nicht einmal geschmerzt als ich den Ball versucht hatte zu fangen, als er das erste Mal von dem Brett abgeprallt war. Damals ging es mir auch noch deutlich besser.

Ich sagte nichts während er den Platz verliess. Zu viel Kraft hatte er gesagt. Unsicher schaute ich auf den Ball in meinen Händen. Wieder warf ich den Ball, mit weniger Kraft, doch ich schaffte es nicht einmal ihn in die Nähe des Korbes zu bringen. Ich schüttelte den Kopf und liess mich auf den Boden sinken wo ich regungslos liegen blieb. Aomine musste Recht damit haben, dass ich weniger Kraft aufwenden sollte, doch ich konnte es nicht anders.

Frustriert rollte ich mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht zwischen meinen Armen. Da traf man einmal sein Idol und alle was er für einen übrig hatte waren Belehrungen. Aber was sollte man anderes erwarten. Wahrscheinlich kannte er dieses Gefühl nicht einmal, etwas zu probieren und zu probieren aber es funktionierte einfach nicht. Meine Motivation war auf dem Nullpunkt angekommen. So brauchte ich gar nicht mehr weiter zu machen.

Mühsam versuchte ich mich wieder auf die Beine zu ziehen, doch sie fühlten sich an wie Blei. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte einen weiteren Anlauf, doch sie gaben einfach unter mir nach. Ich kippte nach vorne und schlug mir die Beine an dem rauen Boden des Basketballplatzes auf. So machte das keinen Sinn. Ohne Hilfe würde ich nicht mehr hochkommen. Ich schleppte mich irgendwie über das Feld zu dem Gitter am Rande und zog mich mit letzter Anstrengung daran hoch. Vielleicht sollte ich meinen Grossvater anrufen, dass er mich abholen sollte. Doch er konnte selbst kaum noch Autofahren und tat es nur wenn ich nicht mehr selbst zu meinen Therapien oder zum Arzt kam. Ausserdem wollte ich nicht, dass er sich sorgte. Sein Herz würde auch nicht mehr allzu lange mitmachen. Er hatte versucht es vor mir geheim zu halten, doch ich hatte das Gespräch mit seinem Hausarzt gehört. Wenn er nicht mehr da war, was würde ich dann machen?

Tränen schossen mir in die Augen. Aus lauter Hilflosigkeit liess ich mich wieder zu Boden fallen und vergrub das Gesicht zwischen meinen Händen. Leise weinend sass ich da, alleine, wie schon mein ganzes Leben lang. Man könnte meinen ich war mich daran gewohnt alleine zu sein, doch in Wahrheit sehnte ich mich nur nach jemandem der mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles gut werden würde.

 

 

 

16. Juli 

 

Ich schlug die Augen auf. In meinem Zimmer war es dunkel. Es musste noch mitten in der Nacht sein. Mein Blick wanderte zu der Digitaluhr auf meinem Nachttisch, 02:56. Mein Mund war trocken und ich hatte das starke Bedürfnis nach kaltem Wasser. Etwas träge schlug ich die Bettdecke zurück und versuchte mich aus dem Bett zu hieven, doch meine Beine fingen bei der kleinsten Anstrengung an zu brennen. Ich biss mir auf die Lippen. Ich musste mich gestern wohl etwas übertan haben.

Mühsam versuchte ich mich aus dem Bett zu quälen, doch es war die reinste Tortur. Trotzdem machte ich weiter, mit dem Ergebnis, dass ich nach einem Schritt auf den Boden klatschte. Panik kam in mir hoch. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Alles war gut. Es war noch nicht soweit. Meine Beine waren lediglich zu müde. Bald würde ich wieder normal gehen können. Mein Grossvater hatte gesagt, dass ich ihn in einer solchen Situation rufen sollte, doch ich wollte ihn nicht um diese Zeit auf die Beine quälen. In Zukunft würde ich mir jeden Abend ein Glas Wasser auf den Nachttisch stellen.

Ich robbte mich zurück zu meinem Bett und zog mich an der Kante hoch. Irgendwie schaffte ich es, mich zurück auf die Matratze zu hieven und blieb dort bewegungslos liegen. Das einzige was die Stille der Nacht durchbrach war mein schwerer Atem. Müde schloss ich die Augen, doch einschlafen konnte ich nicht. Ein Horrorszenario nach dem anderen zog sich durch meine Gedanken. Die Ärzte hatten von Rollstuhl und anderen grauenvollen Dingen gesprochen wie Bettruhe. Ich wollte nicht, dass dieser Alptraum wahr werden würde. Lieber wollte ich mich von einer Brücke stürzen als den Rest meines kläglichen Lebens an einen Stuhl oder das Bett gefesselt zu sein. Wie stellten sich die Ärzte das überhaupt vor, dass ich dann den ganzen Tag einfach stur dalag und nichts tat?

Ich rieb mir über die Augen. Eigentlich wollte ich gar nicht daran denken, doch ich brachte die Gedanken nicht aus meinem Kopf heraus. Sie trieben mir erneut die Tränen in die Augen. Warum ich? Diese Frage hatte ich mir schon so oft gestellt, doch eine Antwort würde ich nicht bekommen.

Langsam begann die Sonne aufzugehen und es war bereits nach acht Uhr als ich mich wieder zu regen begann, doch nicht weil ich es wollte, sondern weil jemand an der Tür klopfte. Es musste wohl mein Grossvater sein.

„Ja…“, rief ich leise und richtete mich im Bett auf. Meine Stimme tönte rau.

„Mitsuhide-kun, wie geht’s dir?“, fragte mein Grossvater und öffnete vorsichtig die Tür. Er stütze sich schwer auf seinem Gehstock ab und machte einen müden Eindruck. Seine Gesichtszüge waren erschlafft, seine Augen, die sich hinter einer viereckigen Brille verbargen, trübe geworden in den letzten Jahren.

„Oji-san… mir… geht es gut“, antwortete ich zögernd und senkte den Blick auf meine Beine die wieder unter der Bettdecke lagen. Meine Finger krallten sich in die Decke. Ich zitterte leicht. Der alte Mann kam langsam durch den Raum auf mich zu und setzte sich auf die Bettkante. Sanft griff er nach meiner Hand. Ich wagte es nicht ihn anzusehen. Immer wenn es mir schlechter ging fühlte ich mich schuldig ihm gegenüber. Mein Grossvater tat alles damit es mir möglichst lange möglichst gut ging, doch ich hatte in meinem Innern schon aufgegeben, irgendwie.

„Komm, du musst aufstehen. In einer Stunde musst du wieder in deine Physiotherapie!“, forderte er mich auf und mühte sich dann ab wieder aufzustehen. „Ich hab dir Frühstück gemacht!“

„Ja, Oji-san, ich komme gleich…“, sagte ich rasch und schaute ihm zu wie er nach draussen ging. Mein Blick fiel wieder auf die Konturen meiner Beine. Nicht einmal Hoffnung gab es. Seit meinem fünften Lebensjahr war klar, dass ich krank war und obwohl meine Grosseltern sogleich mit der Therapie angefangen hatten war das gewünschte Ergebnis ausgeblieben. Eine Besserung hatte sich gezeigt, doch nicht in dem Ausmass in der man sie erhofft hatte.

Ich schob die Decke erneut zur Seite und setzte mich an den Bettrand. Meine Beine hielten das Gewicht wieder aus, doch der Schmerz war noch deutlich zu spüren. Ich biss die Zähne aufeinander, denn ich wollte meinem Grossvater nicht zeigen wie schlecht es mir ging. Mich Schritt für Schritt vorwärts quälend ging ich in die Küche. Heute würde es wohl kein Basketball für mich geben.

Noch eine Runde

17. Juli

 

Nach der Therapie war es mir wieder deutlich besser gegangen, doch mein Therapeut hatte mir weitere Übungen gegeben die ich täglich zuhause machen musste. Auch hatte er gesagt, dass ich mich mit dem Basketball zurückhalten sollte und trotzdem stand ich wieder hier. Ich prellte den Ball ein paar Mal bevor ich ihn warf. Ich hatte versucht mich mehr darauf zu konzentrieren wieviel Kraft ich in meinen Wurf steckte, doch in meinen Augen sah ich keine Veränderung. Manchmal traf ich, manchmal nicht, so wie immer.

Der Ball schlug gegen das Brett, auf den Korbrand und spickte davon. Es machte keinen Sinn, ich war mit meinen Gedanken überall nur nicht beim Basketball. Vielleicht war es gut wenn ich noch ein paar Niederlagen einsteckte, vielleicht hörte ich dann von alleine damit auf und konnte mir die Demütigung ersparen Basketballverbot vom Arzt zu bekommen.

Wenigstens konnte ich wieder normal laufen. Mein Therapeut hatte mir bestätigt, dass meine so oder so schon geschwächten Muskeln schlicht und einfach überlastet gewesen waren und ich ihnen ein paar Tage Ruhe gönnen sollte, doch davon, dass ich nicht einfach ein paar Körbe werfen durfte, hatte er nichts gesagt.

„Warst du so deprimiert, dass ich dir gesagt hab was du besser machen sollst, dass du gestern gar nicht mehr aufgetaucht bist?“

Ich hatte mich gerade gebückt um den Ball aufzuheben als die Stimme hinter mir ertönte. Erschrocken fuhr ich herum. Hinter mir stand Aomine Daiki. Er hatte die Hände in den Hosentaschen verborgen und eine Sporttasche über der Schulter. Er trug Sporthosen die ihm bis über die Knie reichten, dazu ein lockeres Shirt und eine leichte Jacke.

„Ich hatte gestern keine Zeit herzukommen… und du? Bist du so erpicht darauf mir zu sagen was ich falsch mache, dass du jeden Tag hier vorbeilaufen musst?“, fragte ich und senkte den Blick. Es war erniedrigend. Oft hatte ich mir vorgestellt ihn zu treffen, doch so war es nie abgelaufen.

„Ich kann es nur nicht ausstehen jemandem zuzusehen der so grottenschlecht ist“, erwiderte er und schien sichtlich gelangweilt. Ich ärgerte mich etwas. Sollte er es doch besser machen. Ich biss mir auf die Lippe. Er machte es besser.

„Wenn du schon hier durchlaufen musst dann zeig mir halt wies besser geht!“, fuhr ich ihn herausfordernd an und warf ihm den Ball zu. Ich versuchte ihn so hart zu werfen wie ich nur konnte, doch mir war bewusst, dass das keine Herausforderung für ihn war. Er grinste. Nicht einmal die Mühe den Ball zu fangen machte er sich, sondern prellte ihn nur mit seiner Hand nach oben. Zielsicher fand der Basketball seinen Weg in den Korb. Ich stürzte die Lippen. Er war eindeutig ein Profi. Gelassen warf er seine Tasche zu Boden und zog seine Jacke aus um sie auf seine Sporttasche zu werfen. Er schlenderte zu dem Ball und kickte ihn hoch um ihn dann geschickt aufzufangen. Mit weniger Kraft als das letzte Mal warf er ihn mir zu. Ich stolperte einen Schritt zurück als ich den Ball auffing.

„Wirf nochmal!“, forderte Aomine mich auf. Ich war nervös, jetzt wo ich wusste, dass er mir zuschaute. Ich hasste es beobachtet zu werden, besonders wenn ich Basketball spielte. Besonders wenn er es war. Ruhig atmete ich einmal tief ein und wieder aus. Mein Blick wanderte von dem Ball in meiner Hand hoch zum Korb. Ich hob den Ball hoch, ging etwas in die Knie um mich dann leicht vom Boden abzustossen. Ich sprang nicht besonders hoch, weil ich meine Beine schonen musste, doch es war anscheinend genau der richtige Schwung gewesen den es benötigt hatte. Der Ball flog in einem flachen Winkel auf den Korb zu, prallte an dem hinteren Rand ab, doch ging hinein.

„Geht doch. Weisst du, was du anders gemacht hast?“, fragte der Blauhaarige mich, der mit verschränkten Armen daneben gestanden hatte und sich nun geschickt den Ball schnappte der unter dem Korb noch ein, zwei Mal vom Boden aufsprang.

„Ich…“, begann ich, doch ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung was ich anders gemacht hatte. Normalerweise arbeitete ich schlecht unter Druck. „…habe keine Ahnung. Manchmal funktioniert es halt und manchmal nicht.“

„Was ist das bitte für eine Einstellung? Es würde immer funktionieren wenn du es immer richtig machen würdest!“, korrigierte mich Aomine und warf mir den Ball zu. „Nochmal!“

Wäre es nach Aomine gegangen hätte ich wohl den Rest des Tages damit verbracht Körbe zu werfen. Ich war so damit beschäftigt gewesen seine Anweisungen und Korrekturen in die Tat umzusetzen, dass ich die aufkommende Schwäche in meinen Beinen erst gar nicht bemerkt hatte. Bis zu dem Zeitpunkt wo sie plötzlich unter mir nachgegeben hatten. Ich hatte mich selbst schon auf dem Boden liegen sehen, als er plötzlich neben mir stand und mich abgefangen hatte.

Ich hatte gesagt, dass ich mich gestern verletzt hätte und darum etwas Schmerzen hatte, er brauchte schliesslich nicht zu wissen, dass ich krank war. Es ging ihn auch gar nichts an wenn ich mir das recht überlegte. Er hatte meinen Kopf nach unten Gedrückt und gemeint, ich solle ihm so etwas gefälligst sagen. Mit Verletzungen scherzte man nicht, besonders nicht als Sportler.

Danach hatten wir nicht weitergemacht. Ich lehnte mit angezogenen Beinen, den Ball zwischen meinen Füssen, an dem Eisengitter und hatte mein Kinn auf meinen Knien abgestützt während Aomine neben mir lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und zu Himmel hinaufschaute. Mir war das Schweigen unangenehm. Ich starrte den Ball vor mir an.

„Mh…“, begann ich langsam. Unsicher schaute ich zu ihm. „Ich habe gehört… dass du am Finale von Inter-High verletzt warst.“

„So? Hat sich aber schnell herumgesprochen…“, antwortete er nur und wandte seinen Blick nicht von der Wolke die über uns zog.

„Hat es…“, murmelte ich und senkte den Blick wieder auf den Ball vor mir. Aomine seufzte und rappelte sich auf die Beine. Ich hob den Kopf und schaute zu wie er seine Sporttasche und die Jacke vom Boden aufhob.

„Ich sollte weiter. Bist du morgen wieder hier?“, fragte er mich. Etwas verwirrt schaute ich zu ihm hoch und nickte dann langsam. „Gut, man sieht sich… wie heisst du eigentlich? Ich fände es unfair deinen Namen nicht zu kennen nachdem du weisst wer ich bin“.

„I-ich heisse Mitsuhide Ryota…“, antwortete ich etwas langsam.

„Dann bis morgen, Mitsu“.

„Bis morgen…“

Ich starrte ihm nach und versuchte zu begreifen was geschehen war. Ich hatte tatsächlich Aomine Daiki kennengelernt und er hatte mich Mitsu genannt. Er war der erste der das tat. In der Schule sprachen sie mich immer mit Ryota an, wenn sie mich denn einmal ansprachen und auch wenn, dann lag immer eine gewisse Distanzierung in ihren Stimmen. Sie wusste nicht wie es um mich stand, sie verstanden auch nicht warum ich nicht beim Sport mitmachte und ein bis zweimal in der Woche eine Schulstunde versäumte wegen meiner Arzttermine. Sie wusste nur, dass ich nicht da war und das schien sie zu stören.

Voller Motivation stand ich auf. Aomine hatte ‚Bis Morgen‘ gesagt, dass bedeutete wir würden uns morgen wieder sehen. Ich hob meinen Ball hoch und beeilte mich nachhause zu kommen. Ich würde mich für den Rest des Tages ausruhen, damit ich morgen alles geben konnte wenn er wieder kam.

 

 

 

18. Juli

 

„Nicht so schnell!“, rief ich ausser Atem und versuchte mit letzter Anstrengung Aomine den Ball aus der Hand zu schlagen, doch anstatt wie an mir vorbei zu drippeln wie er erst angedeutet hatte machte er einen grossen Schritt zurück und warf den Ball lässig aus dem Handgelenk. Obwohl er sich nicht einmal richtig anzustrengen schien, schien es ihm Spass zu machen mir dabei zuzusehen wie ich mich abmühte und obwohl ich keine Chance hatte, machte es mir ebenfalls Spass.

Noch nie hatte ich mit jemandem zusammen gespielt, darum waren meine Blockversuche meistens ziemlich unkoordiniert und in der Zeit in der ich versuchte den Ball zu werfen hatte Aomine ihn mir auch schon aus der Hand geschlagen. Keuchend liess ich mich auf den Boden fallen und stütze mich mit den Armen hinter mir auf dem Boden ab. Aomine hatte den Ball zurückgeholt und baute sich über mir auf.

„Was, bist du etwa schon fertig?“, fragte er und schaute etwas hämisch auf mich hinab. Es war nicht so, dass ich nicht mehr mochte, doch aus Erfahrung wusste ich, dass ich mit dieser Belastung auf Dauer nicht durchhalten konnte. Es war besser jetzt fertig zu machen anstatt mich zu überarbeiten und meine so oder so schon geschwächten Muskeln zu überfordern.

„Ich bin nicht so stark wie du…“, murmelte ich und senkte beschämt den Blick. Ich könnte ihm einfach erklären weshalb ich bereits jetzt aufgab. Doch ich wollte nicht noch schwächer wirken als ich eh schon war. Wahrscheinlich konnte er sich nicht einmal vorstellen wie das war. Er liess sich neben mir auf den Boden fallen und liess den Ball auf der Spitze seines Zeigefingers drehen. Fasziniert beobachtete ich ihn dabei. Es wirkte so einfach wenn er das machte, wie alles was er tat.

„In welche Schule gehst du eigentlich?“, wollte Aomine wissen nachdem wir uns eine Weile ausgeruht hatten. Also ich hatte mich ausgeruht, er war einfach daneben gesessen.

„In die Kamata West“, antwortete ich brav.

„Haben die nicht auch ein Basketball-Club? Warum bist du dem nicht beigetreten anstatt hier alleine jeden Tag für dich zu spielen?“

Ich schluckte. Dafür gab es einen ganz einfachen Grund. Langsam antwortete ich: „Ich bin nicht gut genug dafür…“

„Darum geht man doch da hin, nicht? Um besser zu werden. Wie willst du besser werden wenn du immer alleine irgendwo auf einem Platz herumstehst und ein paar Körbe wirfst? Oder ist es dir etwa egal?“ Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Ärgerlich hob ich den Kopf.

„Es ist mir überhaupt nicht egal und ich würde gerne besser werden! Basketball ist das wichtigste für mich das es gibt… aber… ich…“, rief ich, doch meine Stimme begann zu stocken. …aber ich konnte mich nicht verbessern, egal wie sehr ich es versuchen würde. Mein Körper würde das nicht aushalten.

„Du…? Bist du etwa so ein kleiner Emo der heulend in seiner Forever-Alone-Ecke sitzt?“, fuhr er spöttisch fort. Entgeistert schaute ich ihn an. Ich wusste nicht wie ich das auffassen sollte, war es wirklich beleidigend gemeint oder wollte er mir nur zeigen, dass mehr Potential in mir Steckte als mir selbst bewusst war und ich das nicht ungenutzt lassen sollte? Innerlich musste ich mich selbst ohrfeigen. Welches Potential denn?

„Ich bin kein Emo! Ich bin nur nicht sonderlich beliebt in der Schule und es würde mir bestimmt keinen Spass mehr machen wenn ich jedes Mal mit Leuten Basketball spielen müsste die mich nicht leiden können…“, versuchte ich mich rasch rauszureden. Aomine musterte mich eindringlich als ob er versuchte meine Gedanken zu lesen. Ich schlug meine Augen nieder, so intensiv fixierte er mich mit seinem durchdringenden Blick.

„Wohl wahr…“, sagte er nur und stand dann auf. Er warf mir den Ball zu, was ich zu spät sah und ihn nur noch im letzten Moment irgendwie abfangen konnte. Ich ging automatisch davon aus, dass er nochmal eine Runde spielen wollte, also hievte ich mich ebenfalls auf die Beine. Eine Runde würde schon noch gehen, vor allem da unsere Spiele besonders kurz waren.

„Du magst ja noch stehen…“, meinte Aomine belustigt und schaute mich an. Hatte er etwa schon gehen wollen?

„Was glaubst denn du?“, fragte ich gespielt verärgert. Ich prellte den Ball zweimal gegen den Boden und schaute ihn dann auffordernd an.

„Eine Runde?“

„Eine Runde!“

Rein Theoretisch

29. August

 

Schon seit beinahe zwei Monaten trainierte ich nun mit dem Basketball-Ass der Touou Academy, Aomine Daiki. Ich wusste nicht recht, ob ich ihn meinen Freund nennen konnte. Selten hatte er wirklich freundliche Worte für mich übrig, meistens waren sie hämisch, oder wir unterhielten uns über belanglose Dinge, zum Beispiel über Horikita Mai, einem Model. So erfuhr ich auch, dass er auf grosse Brüste stand. Er hatte es zwar ein bisschen anders formuliert, doch im Endeffekt kam es in etwa auf dasselbe hinaus. Somit wären auch meine Chancen bei ihm geklärt, gleich null.

Es war Freitag und so hatten wir uns nach einem ziemlich kurzen Training dazu entschieden noch irgendwo etwas trinken zu gehen. In letzter Zeit blieb er auch länger, selbst wenn wir gar nicht mehr Basketball spielten. Mit einem Milkshake bewaffnet machten wir uns wieder auf den Weg zurück. Der Laden den wir besucht hatten lag ziemlich weit weg von mir zuhause, weshalb wir auch ein grosses Stück mit dem Bus gefahren waren, doch nun spürte ich das Brennen in meinen Beinen deutlich. Ich war froh, als wir endlich wieder die Busstation erreicht hatten und ich hinsitzen konnte. Ich spürte Aomine’s Blick auf mir ruhen.

„Du siehst aus als ob du Schmerzen hättest“, bemerkte er und sog an seinem Strohhalm.

„Mh… wir hatten heute Sport in der Schule und mussten ziemlich lange rennen. Meine Beine schmerzen lediglich ein bisschen“, log ich rasch und wollte dann gerade das Thema wechseln als plötzlich jemand zu uns hintrat.

„Aomine!“ Ich schaute hoch zu dem Kerl der zu uns hingetreten war. Sofort erkannte ich ihn. Es war Shoichi Imayoshi, Gakuen’s Point Guard und Kapitän. Neben ihm lief die Nummer 6 im Team, Kosuke Wakamatsu. Während der Blonde so gross war wie Aomine war der Brillenträger nicht viel grösser als ich selbst. Trotzdem wirkte er viel grösser wegen seiner breiten Schultern und seinem muskulösen Körper.

„Du hast schon wieder das Training geschmissen!“, rief Wakamatsu und wäre Aomine wohl an die Kehle gesprungen hätte der Imayoshi ihn nicht mit einem Ellbogen zwischen die Rippen zum Schweigen gebracht. Ohne auf die Proteste seines Teammitglieds einzugehen begann er gemütlich mit Aomine zu plaudern: „Was machst du denn noch hier?“

„Ich bin mit einem Freund unterwegs“, erwiderte dieser gleichgültig und trank in aller Ruhe seinen Milkshake. Imayoshi wandte sich verwundert zu mir, da ich die einzige Person in näherer Umgebung war. Mir war unwohl mit den beiden in meiner Nähe. Sollten sie doch wieder gehen, doch sie schienen nicht gewillt sich davon zu machen. Stattdessen begann der Brillenträger ein nettes Schwätzchen mit Aomine zu halten, dem es ziemlich gleichgültig zu sein schien ob sie nun hier waren oder nicht. Ich sehnte den Moment herbei an dem der Bus endlich kommen würde. So wie ich das verstanden hatte wohnte er hier irgendwo in der Nähe und hatte mich nur noch zurückbegleiten wollen, doch wenn die beiden nun auch hier waren würde ich halt alleine nachhause fahren. War mir eh lieber.

Endlich sah ich den Bus um die Ecke biegen. Ich stand auf.

„Ich geh dann mal nachhause. Ich kann morgen leider nicht… ich habe… noch eine Verabredung“, sagte ich rasch. Falsch, ich hatte einen Arzttermin, schonwieder.

„Soll ich nicht noch mitkommen? Du siehst aus als ob du gleich zusammenbrichst“, fragte Aomine und nickte lediglich um mir zu zeigen, dass er die Info registriert hatte.

„Geht schon“, verabschiedete ich mich knapp nickend und flüchtete dann regelrecht in den Bus. Ich hob noch kurz die Hand um ein Winken anzudeuten als sich die Tür hinter mir schloss, dann setzte ich mich auf einen der freien Plätze und lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Wie lange sollte das so weitergehen? Irgendwann würde ich ihm sagen müssen, dass ich krank war. Vielleicht würde er aber irgendwann einfach das Interesse an mir verlieren und von selbst gehen, dann würde mir wenigstens dieses Gespräch erspart bleiben.

Wie auch immer. Morgen würde ich noch einmal zu meinem Arzt gehen und anschliessend in die Physiotherapie. Alles worauf ich hoffen konnte waren gute Nachrichten, wobei gut immer relativ war. Die einzige gute Nachricht die man mir geben konnte war so etwas wie: Herzlichen Glückwunsch, sie haben ein Jahr länger als wir erst vermutet hatten.

Ich schluckte. Ich sollte nicht an solche Dinge denken. Sie zogen mich runter. Eigentlich sollte ich die mir verbleibende Zeit geniessen und Spass haben, doch wenn ich an meine Zukunft dachte wurde mir immer Übel. Sterben mussten wir alle irgendwann, das war Okay. Doch so früh… und auf diese Art und Weise…

 

 

 

1. September

 

Das ganze Wochenende war ich zuhause gewesen, auf Anordnung des Arztes. Es war das erste Mal, dass ich Aomine so lange nicht gesehen hatte. Irgendwie schmerzte es mich. Ich vermisste ihn, obwohl seine Art meistens ziemlich erniedrigend war und er sich an meiner Unfähigkeit erfreute. Eigentlich war mir heute ebenfalls ein Ruhetag verschrieben worden, doch ich wollte den Basketballer so gerne wieder sehen. Ich konnte es nicht leugnen, ich war total verschossen in ihn.

Er war halt mein grosses Idol, mein Star und dazu noch mein Senpai. Daraus hätte man perfekt eine kitschige Romanze schreiben können, doch die würde es nicht geben. Heute ausnahmsweise ohne Basketball, den hatte mein Grossvater beschlagnahmt weil er mir nicht glauben wollte, dass ich ihn einfach gerne mit mir herumtrug, machte ich mich auf den Weg zum Platz wo ich mich immer mit ihm traf. Aomine war bereits dort und lehnte mit verschränkten Armen an dem Pfeiler des Basketballkorbs. Sofort hob er den Kopf als ich den Platz betrat. Etwas lag in seinem Blick, etwas das ich nicht identifizieren konnte.

„Wo warst du gestern?“, fragte er mich… gereizt?

„I-ich…“, stotterte ich und schlug den Blick nieder. Ich hätte mir denken können, dass mein Arzt unzufrieden mit meiner momentanen Verfassung war und mir darum Basketballverbot geben würde. Ich hätte ihm sagen müssen, dass ich wahrscheinlich das ganze Wochenende nicht kommen würde. „Tut mir leid. Ich hatte vergessen, dass ich Sonntag ebenfalls weg war. Ich hätte dir etwas sagen sollen…“.

Aomine seufzte und stiess sich von dem Pfeiler ab.

„Eigentlich hatte ich dich am Freitag noch fragen wollen, ob du nicht Lust gehabt hättest am Sonntag etwas mit mir zu unternehmen. Normalerweise verbringe ich meine Geburtstage mit Schlafen und Horikita Mai-Zeitschriften lesen…“, begann Aomine. Geburtstag? Er hatte gestern Geburtstag gehabt?

„Du hattest Geburtstag?“, fiel ich ihm ins Wort.

„Eh, ja. Gestern. Aber ist auch nicht so schlimm…“, sagte er mit einer wegwerfenden Geste. Ich biss mir auf die Lippen.

„Das… das tut mir leid! Und ich hab dich einfach versetzt!“, begann ich mich sofort zu entschuldigen. Innerlich fluchte ich. So wie ich das verstanden hatte, hatte er geplant seinen Geburtstag mit mir zu verbringen und ich Idiot hatte einfach zuhause gesessen und mich selbst bemitleidet. Ich könnte meinen Kopf gegen eine Wand schlagen, so frustrierend war das Gefühl.

„Schon okay…“, versuchte er mir noch einmal klar zu machen, dass es nicht so schlimm war, doch ich konnte kaum noch einen richtigen Gedanken fassen.

„Ich habe nicht einmal ein Geschenk für dich…“, machte ich mir weiter Vorwürfe. Ich raufte mir die Haare und begann im Kreis zu laufen. Was hätte ich ihm überhaupt schenken sollen? Wenn ich es mir recht überlegte wusste ich eigentlich überhaupt nichts über ihn. Nur halt das, was jeder wusste, dass er Basketball und Frauen mit viel Oberweite liebte.

„Beruhig dich!“, befahl mir Aomine und packte mich am Arm. Unsicher schaute ich ihn an. „Hab ich nicht gesagt, dass es in Ordnung ist? Ich würde eh nichts von dir wollen, ausser vielleicht… eine Kleinigkeit“.

„Und was ist das?“, fragte ich immer noch verunsichert.

„Rein theoretisch, würdest du mir geben was ich wollen würde?“, fuhr er fort. Er schien plötzlich ernster geworden zu sein und hielt mich immer noch am Arm fest. Ich biss mir auf die Lippen.

„Was ist es denn überhaupt?“, hackte ich nach. Ich würde alles für ihn tun solange es mir möglich war. Er griff nach meinen Schultern und kam einen Schritt auf mich zu. Unwissend, vielleicht sogar etwas naiv schaute ich zu ihm hoch.

„Das“, hauchte er. Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Er beugte sich zu mir hinab und alles was ich tun konnte war dazustehen und ihn weiter anzustarren. Seine Lippen waren so dicht vor meinen, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Es war still, ich konnte nur noch meinen lauten Herzschlag hören. Das Verlangen packte mich, die Augen zu schliessen und diese kurze und doch so endlos weite Distanz zwischen unseren Lippen zu beseitigen. Soweit kam ich aber nicht, denn es war Aomine, der den letzten Schritt tat. Er schloss die Lieder und im nächsten Moment spürte ich seine warmen Lippen auf meinen.

Ich vermochte nicht einmal mehr zu denken. Instinktiv schloss ich die Augen und liess mich widerstandslos von ihm zu sich ziehen. Doch ich wagte es nicht mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Es war nicht mein Kopf der reagiert, sondern etwas tief in meinem Innern. Eine ungewohnte Wärme breitete sich in meinem ganzen Körper bis in die Fingerspitzen aus. Passierte das gerade wirklich? Das war auch ganz sicher kein Traum?

Als er sich von mir löste war die mich überwältigende Kälte wie ein Schlag in den Bauch. Ich wollte mehr von dieser Wärme die er mir schenkte. Doch ich wagte es nicht mich zu rühren, geschweige denn ihn anzusehen. Sanft strich er mit der einen Hand über mein Kinn und zog meinen Kopf hoch. Ich konnte nicht anders als ihn anzusehen. Ein mir zuvor unbekannter Ausdruck spiegelte sich in seinem Gesicht. Er lächelte und es stand ihm ausgesprochen gut. Schliesslich schaffte ich es mich aus meiner Starre zu lösen.

„D-du… hast… mich…“, begann ich stotternd. Als mir klar wurde was soeben vorgefallen war wurde mir plötzlich ganz anders. Ich lief knallrot an. Aomine hatte mich geküsst. Bevor er überhaupt den Mund aufmachen konnte war ich auch schon geflüchtet. Ich wusste nicht was über mich gekommen war, doch es war das einzige gewesen, das ich in diesem Moment hatte tun können.

Mit einigen Umwegen fand ich schliesslich den Weg nachhause. Mit einem knappen Gruss und stur auf dem Boden gerichteten Blick eilte ich an meinem Grossvater vorbei der am Küchentisch sass und die Post durchlas. Etwas verwunderte schaute er mir nach als ich auch schon in meinem Zimmer verschwunden war. Er hatte mich tatsächlich geküsst. Aomine hatte mich geküsst.

Ich warf mich aufs Bett und vergrub mein Kopf unter dem Kissen. Was sollte ich nur tun? Wie sollte ich ihm wieder begegnen? Was hatte das überhaupt bedeutet? Er stand doch auf Frauen. Vielleicht wollte er gar nichts von mir. Vielleicht wollte er schlicht und einfach wissen wie es mit einem Mann war. Doch dann hätte er mich doch einfach fragen können. Er war bestimmt ein Playboy. Eigentlich mochte er mich gar nicht und hatte nur mal ausprobieren wollen, ob er auch bei Kerlen eine Chance hatte. Nein, das konnte doch nicht stimmen. Aber wie ich selbst schon festgestellt hatte, kannte ich ihn eigentlich gar nicht wirklich. Ich wusste gar nichts über ihn.

 

Sieg oder Niederlage

4. September

 

Ich hatte die letzten Tage nicht gewagt zum Basketballplatz zu gehen in der Angst Aomine zu treffen. Meine Gedanken und Gefühle waren so durcheinander, dass ich gar nicht in der Lage gewesen wäre anständig mit ihm zu reden. Ich hatte versucht herauszufinden wieviel er mir wirklich bedeutete und wieviel einfach der Star in ihm gewesen war den ich bewunderte und zudem ich hochschaute. Doch ich hatte keine anständige Antwort finden können.

Und dann hatte sich noch ein anderes Problem in den Vordergrund geschoben. Was wenn er mich nicht einfach so zum Spass geküsst hatte und er es wirklich ernst meinte. Wenn ja, dann musste ich dieses Gespräch mit ihm führen das ich nicht führen wollte, doch anlügen würde ich ihn nicht mehr können. Vielleicht wäre es so oder so mal Zeit darüber zu reden, nur, dass er bescheid wusste.

Es war erst Zwölf Uhr als ich mich entschieden hatte, dass ich heute zum Platz gehen würde um auf ihn zu warten. Doch erst musste ich noch den Rest der Schulzeit hinter mich bringen. Mit gesenktem Blick folgte ich den anderen Schülern in die Cafeteria. Mein linkes Bein fühlte sich etwas steif an. Das hatte ich schon einmal gehabt. Eine Woche hatte es gedauert, bis ich es wieder einigermassen normal bewegen konnte.

Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger, mir war schlecht und mein Bein schmerzte, doch wenn ich nun zu der Schulärztin gehen würde, die über meine Krankenakte verfügte, würde sie mich auf jeden Fall ins Krankenhaus schicken und dann könnte ich Aomine nicht sehen. Für einmal musste ich nun halt durchbeissen. Ob ich nun ins Krankenhaus gehen würde oder nicht würde so oder so nicht viel an meinem Schicksal ändern, von dem her spielte es keine Rolle.

Ich stellte mich in die Schlage für das Essen und nahm beim Vorbeigehen einen Wasserflasche aus dem Kühlgestell, doch als ich sie hochheben wollte begann meine Hand zu Schmerzen. Ich schaffte es nicht einmal mehr, die Wasserflasche zurück zu stellen, der Schmerz war so penetrant. Die Flasche knallte gegen den Boden als ich sie loslassen musste. Ein Junge mit dem Abzeichen des Schülersprechers, der hinter mir gestanden hatte und sich mit einem anderen Schüler unterhalten hatte wandte sich zu mir. Er hob die Wasserflasche hoch und reichte sie mir.

„Alles okay?“, fragte er und schaute mich etwas besorgt an. Ich griff mit meiner rechten Hand nach der Flasche und nickte nur. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Rasch stellte ich die Flasche zurück und eilte so schnell es mir eben möglich war aus der Cafeteria.

Erst als ich einen stillen Gang erreicht hatte kam ich wieder zur Ruhe. Ich liess mich an der Wand zu Boden sinken. Es dauerte eine Weile bevor ich den Mut aufbringen konnte meine linke Hand zu heben. Da ich Rechtshänder war, war es mir gar nicht aufgefallen. Langsam ballte ich meine Finger zur Faust und löste sie langsam wieder. Es kostete mich mehr Anstrengung diese Bewegung zu tun als es sollte. Ich bewegte mein Handgelenk und spürte den Schmerz wieder. Nun war es also soweit. Leer schluckte ich bevor ich es wagte nach meinem Handy zu greifen und die Telefonnummer einzutippen. Es klingelte ein paar Mal bevor ich endlich seine vertraute Stimme hören konnte.

„Oji-san…“, sagte ich mit zitternder Stimme. Es brauchte keiner weiteren Erklärung.

„Ich bin in zehn Minuten bei dir“, versprach mein Grossvater mir bevor er wieder auflegte. Mühsam zwängte ich mich wieder auf die Beine. Ich würde auf die Krankenstation gehen.

 

 

 

10. September

 

Träge und stockend waren meine Schritte. Mein Aufenthalt im Krankenhaus hatte länger gedauert, besonders, weil sich mein Grossvater nicht genügend um mich kümmern konnte. Erst heute Morgen hatten sie mich wieder nachhause gelassen. Die Anweisungen die ich mitbekommen hatte waren strickt gewesen, meine Medikamentendosis wieder einmal hochgesetzt worden.

Am zweiten Tag hatten die Ärzte einige Untersuchungen gemacht. Erleichtert hatten sie mir mitgeteilt, dass momentan weder Herz noch Lunge betroffen war. Ich hatte ihre Erleichterung nicht verstanden. Vor diesem Moment hatte ich mich gefürchtet seit ich alt genug gewesen war um zu verstehen was meine Diagnose bedeutete und nun war er eingetreten. Später als wenn man mich unbehandelt gelassen hätte, früher als erhofft. Vielleicht sollte ich mich von der nächsten Brücke stürzen sobald ich das hier hinter mir hatte.

„Mitsu!“, hörte ich jemand meinen Namen rufen. Ich hob den Kopf und erblickte Aomine. Er stand am Eingang zu dem Basketballplatz wo wir uns die letzten Wochen immer getroffen hatten. Erleichterung zeigte sich in seinem Gesicht als er die letzten Schritte zu mir hin joggte. „Wo warst du die letzten Tage? Ich hab mir echt Sorgen gemacht als du nicht mehr aufgetaucht bist…“.

Ich schlug die Augen nieder und atmete einmal tief durch.

„Tut mir leid, wenn du dich um mich gesorgt hast. Ich bin eigentlich nur hergekommen um dir zu sagen, dass ich nicht mehr herkommen werden und auch nicht mehr mit dir Basketball spielen werde. Danke für alles. War eine echt tolle Zeit…“, zwang ich die Worte über meine Lippen. Aomine packte nach meinem Arm als ich mich abwenden wollte.

„Was meinst du damit? Wenn es damit zu tun hatte, dass ich dich geküsst habe dann tut es mir leid!“, entschuldigte er sich sofort, schien jedoch nicht gewillt mich einfach so ziehen zu lassen. Ich versuchte mich von ihm zu lösen, doch sein Griff war fest.

„D-damit hat es nicht zu tun…“, antwortete ich stotternd.

„Womit dann?“, hackte er weiter.

„Das geht dich nichts an!“, warf ich rasch ein und schaffte es endlich mich von ihm loszureissen. Ich stolperte einen Schritt zurück und wäre umgekippt hätte Aomine mich nicht rasch an den Schultern aufgefangen.

„Nicht? Also hast du einfach vor nach allem mich hier stehen zu lassen mit den Worten ‚Tut mir leid‘? Denkst du echt, dass ich mich so abservieren lasse?“, fuhr er mich an und schüttelte mich kurz. Ich zuckte von den harten Worten zusammen.

„Tut es nicht! Und nun lass mich bitte gehen, du tust mir weh!“, erwiderte ich leise, immer noch nicht fähig ihn anzusehen.

„Mitsu…“

„Lass-mich-gehen!“, forderte ich ihn auf, jedes einzelne Wort betonend.

„Gut, ich lasse dich gehen, nachdem du mir den Grund genannt hast warum du mich nicht mehr sehen willst. Stehst du auf Frauen, ist es das? Widere ich dich etwa an?“ Nein, Aomine, du hast ja gar keine Ahnung. Ich schloss die Augen und wandte den Kopf weiter zu Boden, unfähig ihm eine Antwort zu geben. Nochmal schüttelte er mich an den Schultern, diesmal grober.

„Sag’s mir doch einfach wenn du ein Problem mit mir hast“, fuhr er mich an.

„Ich sterbe!“ Ich hatte den Kopf gehoben, meine Stimme war laut. Egal wie sehr ich es versucht hatte, ich konnte die Worte nicht zurückhalten, genau so wenig wie die Tränen. Aomine starrte mich sprachlos an.

„Wie meinst du das?“, fragte er langsam. Unsicherheit schwankte in seiner Stimme. Ich rieb mir mit dem rechten Arm über die Augen, versuchte die Tränen vor ihm zu verbergen. Leise schniefte ich.

„Ich… ich habe…“, begann ich. Nun, da er es wusste brauchte ich kein Geheimnis mehr darum zu machen. „Muskeldystrophie, vom Typ Duchennen. Man hat es früh gemerkt und sofort mit der entsprechenden Behandlung angefangen und nach dem Exon-Skipping ist es auch besser geworden, aber seit einer Woche haben die Muskeln in meiner linken Hand und Bein nachgelassen. Die Ärzte geben mir noch einen, maximal zwei Monate bevor sich meine Beinmuskulatur soweit zurückgebildet hat, dass ich nicht mehr gehen kann. Danach kann ich bloss noch warten. Die Frage ist nur, was zuerst schlapp machen wir, mein Herz oder meine Lunge…“.

Aomine starrte mich mit offenem Mund an. Es schien eine Weile zu dauern bis er sich gefangen hatte. Er liess meine eine Schulter los und fuhr sich übers Gesicht. Er schien einen Moment lang nachzudenken bevor er mich wieder anschaute und fragte: „Also war’s das? Du gibst einfach auf?“

„Ich tue doch alles was ich kann. Ich nehme meine Medikamente und mache meine Übungen wie mir aufgetragen wurde. Aber wenn ich nicht einmal mehr Basketball spielen kann, das einzige das mir etwas bedeutet, dann bitte, wie soll dieses Leben noch lebenswert sein?“, versuchte ich ihm klar zu machen. Irgendwie schien es mir als ob er nicht verstanden hatte was ich ihm gerade eben gesagt hatte.

„In dem du einfach weiterkämpfst!“

„Aber ich werde verlieren! Warum sollte ich das Unmögliche probieren wenn ich ihm vorherein weiss das es keinen Sinn hat?“

„Warum bist du dann jeden Tag wieder gekommen? Warum hast du jeden Tag erneut gegen mich gespielt? Mich zu besiegen ist ebenfalls unmöglich und trotzdem hast du es probiert!“, wies er mich zurecht. Langsam wurde ich wütend. Er hatte doch gar keine Ahnung wie das war.

„Es war bloss ein Spiel und obwohl ich verloren habe hatte es Spass gemacht! Aber das hier ist das reale Leben, kein Spiel, kein Sport! Aber was versuche ich das dir zu sagen, du hast ja keine Ahnung wie es ist zu verlieren…“, schrie ich wütend. Die Tränen schossen mir erneut in die Augen. Ich wollte nur noch weg von hier, doch Aomine liess mich nicht los. Sein kalter Blick wurde plötzlich weich und müde. Er seufzte und senkte den Blick.

„Das ist nicht die Person in die ich mich verliebt habe. Weisst du, warum ich immer wieder gekommen bin? Weil ich fasziniert war von dir. Du hattest von der ersten Sekunde an keine Chance gegen mich und trotzdem bist du jeden Tag wieder gekommen und hast es nochmal versucht. An Aufgeben hast du nicht einmal gedacht und ja, ich weiss nicht wie es ist zu verlieren, aber das liegt auch daran, dass ich nie eine Niederlage akzeptiert habe. Und Mitsu, ich akzeptiere auch diese Niederlage nicht.

Aber wenn du so empfindest, dann schau mir in die Augen und sag mir, dass du nichts für mich empfindest und mich nie wieder sehen willst“, sprach er. Sanft strich er eine Träne von meiner Wange. Ich schaute zu ihm hoch, nicht fähig etwas zu erwidern. Er liebte mich? Aber hatte er mir den nicht zugehört? Hatte er das nicht? Doch langsam begann ich an mir selbst zu zweifeln. Natürlich gab es keinen Ausweg und egal wie sehr ich es versuchen würde, es würde nicht besser werden und jeder Tag der verstrich würde grössere Qualen mit sich bringen, doch ich war nicht alleine.

Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch ich schaffte es nicht. Ein lautes Schluchzen verliess meine Lippen. Meine rechte Hand krallte sich in sein Shirt und ich presste mein Gesicht gegen seine Brust. Ich zitterte leicht und zuckte jedes Mal zusammen wenn ich ein Schluchzen unterdrückte. Aomine legte seine Arme um meine Schultern und hielt mich fest. Ich spürte seine Lippen an meinem Ohr als er leise flüsterte:

„Und ich verspreche dir, ich werde bei dir bleiben, ob am Ende dieses Weges Sieg oder Niederlage auf dich wartet!“

 

Mein Zuhause ist dein Zuhause

 19. September

 

„Ich schwöre dir, genau so ist es abgelaufen!“, beharrte er auf seine Erzählung. Ich schüttelte nur lachend den Kopf. Dieser Kerl. In Gedanken versunkend sass ich lächelnd an dem Tisch, den Kopf auf meiner Hand abgestützt, die linke vor mir auf die Tischplatte gelegt und liess meinen Blick nach draussen schweifen. Ich spürte seine Finger über meine Hand streicheln. Etwas irritiert schaute ich auf meine Hand die unter seiner verborgen lag.

„Wir sind in der Öffentlichkeit“, nuschelte ich verlegen und wurde leicht rot.

„Und?“, erwiderte Aomine schulterzuckend und schaute ebenfalls nach draussen. Demonstrativ hob er meine Hand hoch und verhackte seine Finger mit meinen. Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Man konnte wohl sagen, dass wir zusammen waren, irgendwie. Heute hatte er mich von der Schule abgeholt und seit wir nicht mehr Basketball spielen konnten machte er sich alle Mühe Alternativen für mich zu finden.

Letzten Montag waren wir zusammen im Kino gewesen und am Dienstag darauf, als er herausgefunden hatte, dass ich eine Prüfung hatte, hatte er mich dazu genötigt zu lernen. Er hielt mir ständig vor, dass gute Noten jetzt schon wichtig waren um nachher einen guten Job zu bekommen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er nicht verstand was diese Krankheit bedeutete. Ich würde nie Arbeiten gehen können. Vielleicht wusste er es ja auch, aber versuchte mir wenigstens einen Funken Hoffnung zu geben.

„Heute ist Freitag… wie gut denkst du sind die Chancen, dass dein Grossvater dich bei mir übernachten lässt?“, fragte er mich neugierig. Ich nagte an meiner Unterlippe.

„Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat. Soweit ich das beurteilen kann scheint er dich zu mögen. Ich müsste einfach zuerst nachhause gehen und meine Medis hohlen“, antwortete ich. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich würde zu Aomine nachhause gehen. Er war schon einige Male bei mir gewesen, meistens um sicher zu gehen, dass ich in einem Stück zuhause ankam, da meine Fähigkeit zu Laufen mit jedem Tag der verstrich schlechter wurde. Mein Grossvater wusste nicht, dass wir zusammen waren. Obwohl ich keine Geheimnisse vor ihm haben wollte, hatte ich Angst, dass er uns verurteilen würde. Schliesslich war es nicht unbedingt der Traum jedes Grossvaters einen homosexuellen Enkel zu haben.

„Na dann lass uns gehen!“, sagte Aomine und trank den letzten Schluck von seinem Kaffee bevor er den leeren Becher wieder auf den Tisch stellte und aufstand. Ich nickte und machte mich ebenfalls daran meinen Latte Macchiato auszutrinken. Als ich aufstehen wollte gaben meine Beine plötzlich unter mir nach und ich krachte mit der Hüfte gegen die Ecke des Tisches. Bevor ich jedoch den Boden erreichte hatte Aomine mich aufgefangen. Vorsichtig liess er mich zu Boden sinken und legte einen Arm um meine Schulter.

„Alles okay?“ Seine Stimme tönte besorgt.

„J-ja… keine Sorge… Ich war nur unachtsam“, antwortete ich und zog mich an dem Tisch hoch. Unsicher nagte ich an meiner Unterlippe. Ich hatte das Gefühl, dass es in den letzten Tagen viel schlimmer geworden war. Meistens achtete ich darauf nach Aomine die wenigen Stufen zu dem Haus meines Grossvaters hochzusteigen, da es mir immer schwerer fiel und ich nicht wollte, dass er mich so sah. Ich griff nach meiner Tasche und hängte sie mir über die rechte Schulter.

„Wollten wir nicht gehen?“, fragte ich lächelnd und reichte ihm die Hand um ihn zum Aufstehen zu bringen. Er musterte mich lange bevor er nach meiner Hand griff, doch anstatt sich an mir hochzuziehen, stiess er sich von Boden ab.

„Gib mir deine Tasche!“, bestand er und bevor ich auch nur ein Wort des Widerspruchs von mir geben konnte, hatte er sich schon meine Tasche geschnappt und sich selbst über die Schulter geworfen. Er lief auf meiner linken Seite als wir das Kaffee verliessen, wie immer. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass er mich stützen wollte wenn er meinen Arm nahm und bei sich einhackte. Seine bissigen Kommentare waren seltener geworden, doch manchmal konnte er sich nicht nehmen lassen, doch es störte mich nicht. So war er halt.

 

Es war bereits spät als wir bei Aomine’s Wohnung ankamen. Er wohnte im zweiten Stock eines modern aussehenden Wohnhauses, doch zu meinem Glück brauchte ich keine Treppen zu laufen, denn das Haus besass einen Fahrstuhl. Mein Grossvater war erst etwas zögernd gewesen als ich ihn um Erlaubnis gebeten hatte das Wochenende bei Aomine zu verbringen, da er wusste wie vergesslich ich mit meinen Medikamenten war und besonders weil ich auch auf meine Nahrung achten musste. Doch Aomine nahm sich die Zeit um genau herauszufinden welches Medikament ich wann nehmen musste für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass ich es vergessen würde und was ich essen durfte und was nicht.

Um ehrlich zu sein war ich mir des Aufwandes den ich meinem Grossvater bereitete gar nie wirklich bewusst gewesen. Für mich war es beinahe normal, dass er mir drei Mal am Tag meine Medikamente vor die Nase schob und, dass das was in dieser Wohnung zu finden war für mich essbar war. Das er auf Dinge verzichtete, die er vielleicht mochte war mir gar nie in den Sinn gekommen weil ich es auch gar nicht anders kannte, denn er achtete stets darauf nur Essen zu kaufen das ich zu mir nehmen durfte.

Es war dunkel in der Wohnung als wir sie betraten. Ich fragte mich wie Aomine’s Eltern wohl waren. Nachdem ich ständig nur meinen Grossvater erwähnt hatte wenn ich von meinem Privatleben erzählte war irgendwann die Frage aufgekommen, was mit meinen Eltern war. Nachdem ich von ihrem frühen Tod erzählt hatte, war ich nicht einmal auf die Idee gekommen ihn nach seiner Familie zu fragen, besonders weil er nie etwas von ihr erzählte.

„So, hier wären wir. Fühl dich wie zuhause!“, befahl er mir und schaltete das Licht an nachdem er meine Tasche, die er immer noch trug, auf eine cremefarbene Couch geworfen hatte. Ihr gegenüber stand ein gewaltiger 75-Zoll Fernseher an der Wand. Die Küche, die wir heute wohl nicht mehr brauchen würden, denn mein Grossvater hatte es sich nicht nehmen lassen mit uns zu Abend zu essen, war auf der linken Seite und nur die Theke trennte die sie vom Wohn-Esszimmer. Geradeaus befand sich ein Gang, der jedoch immer noch in den Schatten verborgen war.

„Bist du ganz alleine hier?“, fragte ich unsicher und schaute mich mit grossen Augen um. Die Wohnung war gross und geräumig. Praktisch nichts lag herum, in der einen Ecke neben dem gläsernen Esstisch stand eine kleine Palme. Auf dem Tisch lagen bloss die Zeitung und ein paar Briefe, musste wohl die heutige Post sein.

„Nein, mein Vater wohnt noch hier… aber er ist selten zuhause. Meistens ist er irgendwo auf Geschäftsreise“, antwortete Aomine und nahm meine Hand. Sanft zog er mich zu sich hin und hielt mich an meinen Schultern fest. Ich lehnte meinen Kopf etwas zurück und schloss die Augen als er sich zu mir hinabbeugte und mich küsste. Wieder spürte ich diese angenehme, prickelnde Wärme in meinem Innern. Ich nahm meine Arme instinktiv hoch und wollte sie um seinen Hals legen, doch ich schaffte es nicht einmal meine linke Hand bis zu seiner Schulter anzuheben. Er schien zu spüren wie ich mit mir selbst kämpfte, denn kurz darauf löste er sich von mir und schaute mich besorgt an.

„Alles okay?“, fragte Aomine und liess seinen Blick auf meine Hand sinken die ich Zoll für Zoll hatte sinken lassen müssen, weil ich die Kraft nicht mehr aufbringen konnte. Ich zitterte leicht und versuchte zu nicken, doch ich konnte nur den Kopf senken. Er seufzte und fuhr mir durch die Haare.

„Du bist sicher nur müde, lass uns schlafen gehen!“, schlug er vor und griff nach meiner linken Hand.

„Ist vielleicht nicht einmal die schlechteste Idee“, stimmte ich zu. Aomine schnappte sich meine Tasche und führte mich in den Gang, wo er das Licht anschaltete. Vier Türen waren dort, zwei auf jeder Seite.

„Mein Zimmer ist das hinten rechts, das Bad ist das hinten links! Stört es dich wenn wir im selben Bett schlafen? Es ist ein Eineinhalber also hätten wir genug Platz, sonst schlafe ich im Zimmer von meinem Vater“.

„Untersteh dich!“, fuhr ich ihn etwas härter an als ich geplant hatte. Es war nicht böse gemeint, doch wie kam er nur auf die Idee, dass ich von ihm getrennt sein wollte? Er lächelte und antwortete: „Ich dachte ja nur… Vielleicht wäre es dir ja unangenehm“.

Der Blauhaarige drückte mir einen Kuss auf die Stirn und stiess dann die Tür zu seinem Zimmer auf. Er reichte mir meine Tasche.

„Breite dich aus wies dir beliebt. Ich geh noch kurz duschen, magst du nachher auch noch?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Ich geh dann morgen…“.

Während Aomine sich ins Badezimmer begab betrat ich vorsichtig sein Zimmer. Hier war es schon etwas chaotischer. Durch das Fenster kam nur noch spärliches Mondlicht, also machte ich das Licht an. Neugierig schaute ich mich um. In der rechten Ecke gegen über der Tür stand das grosse Bett mit der dunklen Bettwäsche, auf dem Nachttisch stand ein Wecker und eine Lampe, sowie ein paar Kopfhörer, eine Zeitschrift, Kaugummi, alltägliche Dinge die man schnell hervorgeholt hatte und sich schwer damit tat sie wieder zu versorgen. Ich kannte dieses Gefühl.

Ein Schreibtisch stand links von der Tür. Er war begraben mit Schulkram, lediglich eine Ecke war frei wo ein silberner Laptop lag. Der Stuhl davor war überhäuft mit Kleidern, meistens Sportsachen. Zwischen ihnen, wie konnte es auch anders sein, thronte ein Basketball. An der linken Wand stand ein Kleiderschrank, und daneben ein roter Sitzsack.

Etwas unsicher stellte ich meine Tasche vor seinem Bett ab und begann mich umzuziehen. Ich schlief normalerweise immer in meinen Boxershorts und einem lockeren Shirt, heute war es grau. Eine Weile stand ich etwas ziellos in dem Raum herum. Obwohl Aomine gesagt hatte, dass ich mich wie zuhause fühlen sollte, fiel es mir schwer mich auch so zu verhalten. Ich war schliesslich immer noch zu Gast und zudem das erste Mal hier. Es brauchte einige Überwindung bevor ich mich auf das Bett setzen konnte. Mit angezogenen Beinen sass ich dort. Die Matratze war so weich, dass ich es mir nicht verkneifen konnte mich auf das Bett zu kuscheln, das Gesicht in dem Kissen vergraben. Es roch nach ihm. So deutlich war mir sein Geruch gar nie aufgefallen.

„Du schläfst ja schon halb“, sagte Aomine belustigt als er das Zimmer wieder betrat. Ich rollte mich zur Seite und schaute ihn an, mit der Absicht etwas zu erwidern, doch der Anblick der sich mir bot verschlug mir die Sprache. Ein halb nackter Aomine, nur mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt und einem zweiten Handtuch mit dem er sich die Haare trocken rieb. Ich versuchte nicht zu starren, doch was konnte man anderes tun bei einem solchen perfekten Körper.

Er schien meine Blicke zu bemerken, denn er grinste breit und fragte frech: „Dir gefällt wohl was du siehst?“

Sofort lief ich knallrot an und vergrub mein Gesicht zwischen meinen Händen.

„Was kann ich denn dafür, dass du so heiss bist…“, rief ich und griff dann nach dem Kissen um es auf mein Gesicht zu drücken. Es dauerte nicht lange bevor sich die Matratze bewegte als Aomine sich neben mich setzte und mir das Kissen wegzog. Das Handtuch war durch ein paar Boxershorts ersetzt worden, doch sein Oberkörper war immer noch entblösst. Ich musste den Drang unterdrücken über seine Bauchmuskulatur streichen zu wollen. Er schaute auf mich hinab mit diesem raubtierhaften Blick, der mir Gänsehaut über den Körper jagte.

„Du bist so süss…“, hauchte er, stand dann aber auf um das Licht im Wohnzimmer und auf dem Gang auszumachen. Leise schloss er die Tür hinter sich. Als er den Lichtschalter betätigte wollte ich kurz Einspruch erheben, doch ich biss mir auf die Lippen. Ich hasste die Dunkelheit. Ich hatte nie gelernt diese kindliche Angst abzulegen, von Monstern unter dem Bett die erst kamen wenn die Dunkelheit der Nacht die Oberhand gewann und im nächsten Moment umhüllte sie mich auch schon. Im ersten Moment wagte ich es nicht mich zu bewegen und als Aomine mich an der Schulter berührte zuckte ich erschrocken zusammen.

„Rutsch ein Stück!“, befahl er mir und zog die Decke unter mir hervor. Sofort bewegte ich mich auf die andere Seite des Bettes. Langsam gewöhnte ich mich an die Dunkelheit und konnte Aomine’s Konturen erkennen. Er machte es sich im Bett bequem und zog die Bettdecke über seinen Körper. Auffordernd hielt er sie auf. Etwas zögernd legte ich mich neben ihn und liess mich von ihm zudecken. Ich spürte seine Hand durch meine Haare streicheln und genoss das Gefühl wie er mich liebkoste.

„Mh… ich bin so müde…“, murmelte ich und gähnte wie zur Bestätigung. „Aber weil du so nahe bei mir bist kann ich kaum ans Schlafen denken.“

„Dann denk einfach daran, dass ich morgen immer noch da bin“, hauchte er leise. Ich musste lächeln. Es war das erste Mal, dass ich nicht zuhause übernachtete. Selbst bei Klassenlager war ich immer zuhause geblieben was die Sympathie meiner Klasse mir gegenüber nicht besonders gesteigert hatte. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, doch ich konnte in vollkommener Dunkelheit nicht einschlafen. Obwohl ich schon fünfzehn war und ich wusste, dass es albern war, brannte immer Licht auf dem Gang und meine Zimmertür stand einen Spalt breit offen. Ansonsten schaffte ich es nicht einzuschlafen.

„Aomine…“, flüsterte ich.

„Hm…“, kam die schläfrige Antwort von dem mir gegenüber. Ich stürzte die Lippen. Zögern murmelte ich: „Ich kann so nicht schlafen“.

Angespannt hielt ich den Atem an als ich die Decke rascheln hörte. Im nächsten Moment legten sich zwei Arme um meine Oberkörper und ich wurde mit dem Rücken gegen seine Burst zu ihm hingezogen. Ich spürte seine Hände an meinem Bauch, doch die Berührung war keinesfalls aufdringlich.

„Schlaf gut“, hauchte er mir in mein Ohr, sanft küsste er meinen Hals. Ich legte meine Hände auf seine und kuschelte mich näher an seinen warmen Körper heran.

„Nacht…“

Es heisst Freund, nicht Pfleger

21. September

 

Ich hatte meine Arme auf Aomine’s Brust verschränkt und meinen Kopf auf ihnen abgelegt. Seine Hand streichelte sanft über meinen Rücken. Den gestrigen Tag hatten wir uns kaum bewegt. Er hatte extra einen Wecker gestellt, dass ich pünktlich um sieben Uhr meine Medikamente einnahm, danach hatten wir uns wieder ins Bett gekuschelt und eine ganze Weile lang einfach gar nichts getan ausser die Nähe des anderen zu geniessen. So wohl und zufrieden hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.

Gegen Mittag hatten Aomine etwas zum Essen gemacht und wir hatten uns mit dem Laptop wieder ins Bett gesetzt und einen Film geschaut, danach noch einen zweiten und beim dritten hatten wir uns nicht mehr wirklich auf das konzentrieren können was auf dem Bildschirm ablief. Ich konnte immer noch seine Lippen auf meiner Haut spüren. Gedankenverloren streiften meine Finger die Stelle an meinem Hals mit welcher er sich besonders intensiv beschäftigt hatte.

Doch plötzlich hatte er sich von mir zurückgezogen. Das beängstigende Gefühl einen Fehler gemacht zu haben, hatte lange an mir genagt, doch ich glaubte nicht, dass Aomine der Typ war der still dasass wenn ihn etwas störte und einfach so tat als ob nichts wäre. Alles was ich tun konnte, war daran zu glauben, dass ich keinen Fehler gemacht hatte und er seine Gründe hatte so zu reagieren wie er es getan hatte. Ausserdem waren wir noch nicht einmal zwei Wochen zusammen und ich war doch eineinhalb Jahre jünger als er, in unserem jungen Alter ein entscheidender Unterschied.

„Mh… Mitsu…“, brach Aomine nach einer Weile das Schweigen.

„Ja?“

„Wann hast du deinen nächsten Arzttermin?“, fragte er mich ohne Umschweif.

„Am 29. Warum fragst du?“, wollte ich neugierig wissen und richtete mich auf um ihn ansehen zu können. Er wich meinem Blick nicht aus und antwortete:

„Ich habe mich versucht darüber zu informieren was ich tun kann, falls es dir schlechter gehen würde, aber das Internet ist für genauere Details nicht besonders hilfreich. Vor allem will ich wissen auf was ich achten muss, nicht, dass ich dich unbeabsichtigt verletzte. Ich denke dein Arzt kann mir am besten über dich Bescheid geben… also nur, wenn du nichts dagegen hast.“

Er richtete sich ebenfalls auf. Ich war etwas erstaunt über ihn. Natürlich war er mein Freund, aber dass er sich so viele Gedanken wegen mir machte, hatte ich nicht erwartet.

„N-nein, natürlich macht es mir nichts aus…“, erwiderte ich rasch und lächelte. „Ich will dir nur nicht so viele Umstände machen!“

Aomine grinste und wuschelte durch meine Haare.

„Du bist diese sogenannten Umstände allemal wert“, hauchte er. Ich lief knallrot an und wandte den Kopf ab. Es war süss, wenn er so etwas sagte, doch trieb er mich damit jedes Mal in die Verlegenheit.

„Hör auf solche Sachen zu sagen“, nuschelte ich vor mich hin. „Aber eine Sache lässt mir einfach keine Ruhe und ich hoffe, dass du jetzt kein falsches Bild von mir bekommst. Ich will nur Gewissheit… Werden wir… jemals miteinander schlafen, also… du weisst schon“.

Ich nagte auf meiner Unterlippe und wich seinem Blick aus. Ich war fünfzehn, eigentlich sollte ich mir den Kopf doch noch gar nicht über solche Themen zerbrechen. Aomine zögerte eine Weile bevor er zum Sprechen ansetzte, doch er kam nicht weit, denn im nächsten Moment hörten wir die Eingangstür aufgehen und jemand rief durch die Wohnung: „Mine-kun, bist du zuhause?“

Der Angesprochene erstarrte bevor sich sein Blick verfinsterte. Im nächsten Moment wurde die Zimmertür aufgestossen und ein hochgewachsener Mann stand da. Er trug einen Anzug, jedoch hatte er die Krawatte bereits gelöst und die Jacke über seinen Arm gehängt.

„Hier bist du ja, oh, du hast Besuch?“, sagte dieser und schaute erstaunt auf mich. Er war vielleicht etwas kleiner als Aomine, hatte schwarzes Haar und dunkle, freundliche Augen die er hinter einer runden Brille verbarg. War das etwa sein Vater?

„Auch wieder mal da, Akiyama…“, erwiderte Aomine kühl und wirkte sichtlich reserviert.

„Ich sag dir doch ständig du sollst mich Oto-san nennen!“, rief dieser verzweifelt, hatte sich jedoch rasch wieder gefangen. Gespräche wie diese schienen an der Tagesordnung zu stehen. „Willst du mir nicht dein Gast vorstellen?“

Aomine warf einen Blick von mir zu seinem Vater und sagte dann gelassen, beinahe etwas demonstrativ: „Akiyama, das ist Mitsuhide, mein Freund. Mitsu, das ist der Mann der sich mein Vater nennt, Akiyama Aomine.“

Akiyama erstarrte für einen Moment bevor er sich gefangen hatte.

„Freund? Also du meinst guter Freund oder mehr so Kollege…“, begann dieser doch Aomine schnitt ihm das Wort ab: „Mein Freund, mein Schatz, meine bessere Hälfte wenn du so willst…“.

Langsam wurde mir unwohl. Aomine reagierte so gereizt seit dem Moment in dem sein Vater die Wohnung betreten hatte, obwohl er eigentlich einen ziemlich netten Eindruck auf mich machte. Die Nachricht davon, dass sein Sohn in einer homosexuellen Beziehung war hatte er mehr oder weniger gelassen aufgenommen. So etwas war auch nicht gerade das, was sich ein Vater erhoffte, doch man konnte sich auf jeden Fall schlimmere Reaktionen vorstellen als sein.

„Also… dann lasse ich euch mal wieder in Frieden ja. Habt ihr schon zu Mittag gegessen?“, sagte er langsam während er sich versuchte unauffällig zur Tür heraus zu schieben.

„Versuch nicht einen auf fürsorglich zu machen, wir kamen die letzten Tage auch ganz gut ohne dich zurecht!“

Ich griff nach Aomine’s Arm.

„Lass es doch einfach gut sein“, nuschelte ich. Ich hasste es, wenn sich zwei Leute stritten und obwohl sein Dad nicht versucht darauf einzugehen war es doch nur eine Frage der Zeit bis ihm die abschätzigen Kommentare seines Sohnes zu weit gingen. Erst schwieg er, doch fuhr er sich seufzend übers Gesicht.

„Entschuldige…“, sagte er und lächelte mich dann an. „Magst du rausgehen?“

Eigentlich verspürte ich keinen besonders starken Drang danach mich zu bewegen, doch ich konnte Aomine ansehen, dass er lieber Abstand von seinem Vater haben würde. Also nickte ich und quälte mich auf die Beine. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren.

„Es hat einen Park gleich hier um die Ecke, da gibt es ein paar Bänke wo wir uns hinsetzen können“, fügte er hinzu und stand ebenfalls auf. Er musste meine schwerfälligen, steifen Bewegungen wohl bemerkt haben. Während er sich bereits fertig umgezogen hatte mühte ich mich immer noch mit meiner Hose ab. Mit letzter Anstrengung schaffte ich es sie schliesslich hochzuziehen.

Mit suchendem Blick schaute ich mich nach meinem Shirt um. Irgendwo hatte ich das hingelegt, doch bevor ich es entdeckte hielt Aomine es mir auch schon hin. Dankend nahm ich es entgegen und löste mich dann aus dem Shirt, das ich zum Schlafen getragen hatte. Die Bewegungen waren anstrengend. Da ich meinen linken Arm nicht mehr bis über meinen Kopf heben konnte musste ich mich irgendwie anders aus dem Shirt zwängen. In weiser Voraussicht hatte ich eines mitgenommen, das mir an und für sich eine Nummer zu gross war, doch für meine Zwecke war es perfekt.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Aomine fürsorglich. Ich biss mir auf die Lippen. So hilfebedürftig war ich noch lange nicht.

„Nein danke“, antwortete ich knapp und begann mein anderes Shirt anzuziehen. Doch in der Hälfte machte ich schlapp. Ich hatte das Gefühl, dass es jeden Tag anstrengender wurde, egal was ich tat. Nur kurz gewährte ich meinem Körper etwas Ruhe, dann versuchte ich mit meinem rechten Arm, den ich schon irgendwie durch den Ärmel gekriegt hatte, das Shirt über meinen Kopf zu ziehen, doch ohne meine zweite Hand war das gar nicht mal so einfach.

Bevor ich wusste was geschah, hatte Aomine auch schon meinen gehandicapten Arm genommen und durch den Ärmel geschoben bevor er das Shirt nach unten zog.

„Lass dir doch helfen, Baka!“, sagte er mit Nachdruck und obwohl er etwas vorwerfend meinte war seine Stimme liebevoll.

„Ich will dir nicht zu Last fallen. Ausserdem bist du mein Freund, nicht mein Pfleger…“, murmelte ich und senkte den Kopf. Ein Wort des Dankes wäre angebracht gewesen, doch ich brachte es nicht über mich. Ich fühlte mich so hilflos.

„Ich bin dein Freund und wenn es dir schlecht geht kümmere ich mich um dich. Das hat nichts damit zu tun, dass ich dein Pfleger bin“, korrigierte er mich und zog mich dann an meinen Oberarmen zu sich hoch. „Hast du das verstanden?“

Ich schaute mit meinem etwas verpeilten Blick zu ihm hoch und nickte dann langsam.

„Gut, und ich will nie wieder so etwas von dir hören! Du bist mir wichtig, Mitsu, und für dich ist mir keine Anstrengung zu gross!“, hauchte er leise. Sanft strich er über meine Wange bevor er mir einen kurzen Kuss auf die Lippen hauchte.

 

Kleine Lügen

24. September

 

„…und er lebte von wann bis wann?“, fragte Aomine mich weiter. Ich lag bäuchlings auf dem Bett, das Kinn auf meinen Händen abgestützt. Brav antwortete ich: „In der Senguko-Zeit, von 1534 bis 1582.“

„Das weisst du doch sicher noch genauer“, hackte er noch und schaute mich mit seinem strengen Lehrer-Blick an. Ich versuchte mich in die genauen Daten von seiner Geburt und seinem Tod zu erinnern, doch es wollte einfach nicht in meinen Kopf. Seit meinem Grossvater herausgerutscht war, dass ich morgen einen Geschichtstest hatte, hatte er es sich nicht nehmen lassen sich selbst davon zu überzeugen, dass ich auch eine gute Note schreiben würde. Ich vergrub mein Gesicht zwischen den Händen.

„Juni… ehm… 23. Juni 1534 bis… 20.… 21.… Juni?“, fragte ich zögernd und hob den Kopf. Sein Lächeln zeigte mir, dass ich richtig lag.

„Du kannst es doch“, meinte er und legte meine Unterlagen über Oda Nobunaga neben sich auf das Bett. Als er sich zu mir hinab beugte rollte ich mich automatisch auf den Rücken. Er hatte sich über mich gelehnt, die Hände links und rechts von meinem Kopf abgestützt.

Mein Herz begann schneller zu schlagen als er seine Lippen auf meine hinab senkte. Sofort erwiderte ich den Kuss leidenschaftlich. Ich legte meinen rechten Arm um seinen Nacken, während ich den linken auf dem Bett ruhen liess. Er liess sich auf seine Ellbogen hinab um dichter bei mir zu sein. Sein Oberkörper lehnte auf meinem. Ich genoss die Nähe.

Als er seine Lippen öffnete und ich seine Zunge spürte konnte ich nicht anders als ihr Einlass zu gewähren. Zwar wusste ich nicht, was ich nun tun sollte, doch die sicheren Bewegungen Aomine’s nahmen mir meine Unsicherheit und so liess ich mich einfach von dem Gefühl überwältigen.

Das Klopfen an der Tür liess uns beide auseinanderfahren. Sofort hatte der Blauhaarige sich auf die andere Seite des Bettes geflüchtet und die Unterlagen wieder an sich genommen. Ich hatte deutlich länger mich wieder in eine senkrechte Position zu bringen, doch gerade noch rechtzeitig bevor mein Grossvater die Tür öffnete. Er kam mit einem Tablett herein.

„Ihr lernt wirklich fleissig, darum dachte ich, ich bringe euch eine Kleinigkeit zu essen!“, sagte er und stellte das Tablett auf den Schreibtisch. Neugierig warf ich einen Blick auf das Tablett. Zwei grosse Gläser mit Matcha-Eistee standen dort, der von meinem Grossvater war mit Abstand der Beste den man bekommen konnte, sowie einen Teller mit Mochis in alle möglichen Farben.

„Danke Oji-san“, bedankte ich mich artig und stand dann auf um das Tablett heran zu holen.

„Vielen Dank Noriaki-san“, folgte Aomine meinem Beispiel und stand dann ebenfalls auf um mir das Holzbrett vor der Nase wegzuschnappen mit den Worten: „Du kannst das mit deiner Hand so oder so nicht heben!“

Ich widersprach ihm nicht, denn er hatte leider Recht. Mein Grossvater begab sich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht zurück zu der Tür.

„Dann lass ich euch mal weiter lernen“, sagte er und fügte schmunzelnd hinzu, bevor er die Tür hinter sich schloss: „Ihr braucht euch gar nicht so zu verstellen. Ich mag zwar alt sein, doch blind bin ich keines Falls!“

Ich wechselte einen verwunderten Blick mit Aomine. Oft hatte ich mich gefragt, wie mein Grossvater wohl reagieren würde, wenn er herausfinden würde, dass Aomine nicht nur ein guter Freund war, sondern mein Freund. Wie lange er es wohl schon wusste?

„Denkst du, dass es Ärger geben wird?“, fragte er mich und setzte sich mit dem Tablett auf den Beinen auf die Bettkante.

„Ich glaube nicht. Wenn er etwas dagegen hätte, hätte er bereits etwas gesagt“, antwortete ich und setzte mich daneben um mir eines der beiden Gläser zu nehmen. Es war schwerer als erwartet, oder… Nein, ich wollte gar nicht daran denken. Meine Mine musste dem Basketballer alles verraten haben. Er griff nach meiner linken Hand mit der ich mich auf dem Bett abstützte, zu mir wer sie nicht mehr zu gebrauchen.

„Alles okay..?“, fragte er. Ich nahm einen Schluck von dem kühlen Getränken und stellte das Glas dann wieder zurück. Es war viel zu anstrengend um es noch länger festzuhalten.

„Natürlich, was sollte nicht stimmen?“, erwiderte ich mit einer Unschuldsmine. Aomine sah mich strafend an.

„Lüg mich nicht an“.

Ich seufzte und fuhr mir mit den Fingern durch meinen Pony. Die Fransen waren unterdessen so lange, dass sie mir die Augen verdeckten. Früher hatte ich sie mir immer während des Basketballspielens mit einer Klammer zurückgesteckt, darum hatte ich gar nicht gemerkt wie lange sie geworden waren.

„Ich sollte mir vielleicht mal wieder die Haare schneiden, was meinst du?“, lenkte ich vom Thema ab. Aomine hob die Hand um mir durch die Haare zu fahren.

„Sie gefallen wir so, wie sie sind“.

 

 

 

29. September

 

„Deine linke Hand hat sich bereits ziemlich versteift, genauso wie das linke Knie“, sagte Koyama-hakase mit einem nicht besonders erfreuten Gesichtsausdruck. Er war ein älterer Herr mit einer Halbglatze und faltigem Gesicht. Zudem war er etwas pummelig und auch noch kleiner als ich und viel kleiner als Aomine der auf einem Sessel nahe dem Schreibtisch des Arztes sass und jedem einzelnen Wort lauschte das gesprochen wurde. Gleich zu beginn hatte er Koyama-hakase mit allen möglichen Fragen gelöchert die dieser ihm in allen Einzelheiten genaustens beantwortet hatte. Ich hatte schweigend daneben gesessen und darauf gewartet, dass dasselbe Prozedere wie jedes Mal wieder von vorne begann.

„Keinerlei Verbesserung…“, stellte ich halb fragend halb enttäuscht fest. Ich hatte gewusst, dass wenn es einmal angefangen hatte, es keinen Halt mehr gab. Das einzige was ich tun konnte war zu versuchen die Muskulatur so lange wie möglich zu erhalten.

„Sei nicht allzu enttäuscht“, versuchte er mich etwas aufzumuntern. „Schlussendlich haben wir trotz dieser raschen Verschlechterung beinahe vier Jahre herausgeschlagen um deine Gehfähigkeit zu erhalten.“

Ich presste die Lippen aufeinander um keinen bissigen Kommentar fallen zu lassen. Ich hasste es hier zu sein, vor allem, weil es doch nichts an meinem Schicksal änderte. Koyama-hakase sagte noch ein paar Sachen, doch ich hörte nur halbpatzig zu, in Wahrheit wusste ich nicht einmal mehr was er gesagt hatte, hätte Aomine nicht zugehört und es mir im nachhinein erläutert. Erst als das Schlüsselwort, bis zum nächsten Mal, fiel, bekam der Arzt meine Aufmerksamkeit wieder.

Ich stand von der Liege auf, verabschiedete mich von Koyama-hakase und wollte schon gehen, doch Aomine blieb noch zurück. Er sprach leise mit dem Arzt, der ihn erst etwas irritiert musterte und dann mir einen verunsicherten Blick zuwarf bevor er dem Hochgewachsenen antwortete. Ein erleichtertes Lächeln zeigte sich auf Aomine’s Gesicht. Er bedankte sich bei dem Arzt und folgte mir dann.

„Über was habt ihr noch geredet?“, wollte ich neugierig wissen, doch er nahm mir lediglich meine Tasche ab und erwiderte: „Du brauchst gar nicht immer alles zu wissen!“

Ich konnte ihm ansehen, wie er sich am liebsten zu mir gebeugt hätte und mich auf die Stirn geküsst hätte, vielleicht war es die Stirn, vielleicht waren auch meine Lippen gewesen. Bei seiner Grösse war es für mich schwer einzuschätzen auf was er es abgesehen hätte. Mir war beides recht, doch hier waren eindeutig zu viele Leute.

„Wenn du meinst. Gehen wir noch bei dem einen Laden vorbei? Ich habe Lust auf einen Frappuccino“, kündigte ich an und ging voraus. Ich konnte Aomine’s Blick auf mir spüren. Unsicher wandte ich mich um. Er hatte seinen Blick gesenkt, als ob er meine Beine beobachten würde, das hatte er heute oft getan.

„Ist mit dir alles okay?“, versuchte ich seine Aufmerksamkeit von meinen Beinen zu lenken. Es stimmte, ich lief schlechter, Tag für Tag. Besonders das linke Bein machte mir zu schaffen und mit dem rechten hatte ich jeden Tag mehr Mühe weil ich es nun mehr Last zu tragen hatte. Kaum hatte ich ihn angesprochen hob er den Blick.

„Natürlich. Klar, lass uns dahin gehen“, antwortete er rasch und schenkte mir ein kurzes Lächeln.

„Lüg du mich nicht an! Aomine, es ist alles okay“, beschwichtigte ich ihn. Zögernd schaute ich mich um. Gerade schaute niemand. Ich griff nach seinem Sweatshirt und zog ihn zu mir hinab. Flüchtig küsste ich ihn bevor ich mich umwandte und mich auf den Weg aus dem Krankenhaus machte.

„Beeil dich, sonst hat der Laden zu bevor wir da sind“, rief ich neckend.


 

„Sinister“

 10. Oktober

 

„Und für deinen Dad ist es okay wenn ich so oft hier bin?“, fragte ich zögernd. Letztes Wochenende war ich ebenfalls hergekommen und Akiyama-san war auch dagewesen. Er war nicht allzu begeistert gewesen mich zu sehen vor allem, nachdem er über meinen Gesundheitsstand in Kenntnis gesetzt worden war. Verständlich, bis zu einem gewissen Grad. Jeder wünschte sich etwas Besseres und keinen Invaliden für seinen Sohn.

„Klar, ausserdem ist er dieses Wochenende so oder so weg“, antwortete Aomine und schloss die Wohnungstür hinter sich.

Ich stürzte meine Lippen. Es gab etwas, das wollte ich schon länger fragen, doch ich hatte mich lange nicht getraut.

„Mh Aomine-kun…“, murmelte ich unsicher.

„Was ist denn?“, fragte er und wandte sich zu mir um. Fürsorglich griff er nach meinen Händen.

„Ich frage mich nur… was ist mit deiner Mutter?“

„Nichts“, antwortete er gelassen. Verunsichert schaute ich zu ihm hoch. Er seufzte und fuhr fort. „Meine Eltern haben sich getrennt als ich sechs war. Aber das ist okay, denke ich. Meine Mutter wollte so oder so nie Kinder, also stört es mich auch nicht, dass sie nicht mehr hier ist. Seit ich älter bin haben wir zwar ein etwas besseres Verhältnis, aber ja…“

Etwas unsicher kaute ich auf meiner Unterlippe. War es falsch, dass ich gefragt hatte? Aomine griff nach meinen Schultern und beugte sich zu mir hinab. Lächelnd schaute er mich an. Ich liebte sein Lächeln.

„Verzieh nicht so dein hübsches Gesicht… schliesslich ist heute ein besonderer Tag“, munterte er mich auf.

„Besonderer Tag…?“, fragte ich etwas verwirrt nach und fühlte mich dumm, dass ich nicht wusste was er meinte. Zur Bestätigung nickte Aomine und fügte hinzu: „Wir sind heute genau einen Monat zusammen“.

Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Er merkte sich solche Sachen? Schuldgefühle packten mich. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war, so sehr hatte ich die Zweisamkeit mit ihm genossen, dass die Zeit zweitrangig wurde.

„Ich…“, begann ich und senkte bedrückt den Kopf. „… habe das total vergessen…“

„Lass das niedergeschlagene Gesicht! Lass uns lieber was Bequemeres anziehen und uns einen schönen Abend machen!“, schlug Aomine vor und ich lächelte erleichtert. Nickend nahm ich sein Angebot an und so begaben wir uns in sein Zimmer wo wir uns umzogen. Ich hatte aufgegeben auf meine Selbstständigkeit zu plädieren und liess mir von ihm helfen mein Shirt anzuziehen.

Danach begaben wir uns mit Chips und Popcorn bewaffnet auf die Couch. Der Plan war erst das Fernsehprogramm durchzuschauen, mit Comeback-TV schien uns sämtliche Optionen offen zu stehen und als mich Aomine fragte, ob ich Sinister kannte, dachte ich mir nichts böses dabei. Dass es ein Horrorfilm war hatte er mir allerdings verschwiegen.

Den Anfang überlebte ich noch, doch spätestens als das ganze Zeug mit Okkult und heidnischem Krimskrams anfing war bei mir Endefeuer. Mit Horrorfilmen kam ich überhaupt nicht klar, auch jetzt nicht, wo ich doch schon bald 16 war. Immer wieder schaute ich über meine Schulter nach hinten und aus dem Fenster und zuckte jedes Mal zusammen in der Angst, den Bughuul zu sehen. Ich zog Aomine’s Arm enger um meine Schultern und verkroch mich beinahe unter ihm und versuchte den Film irgendwie durchzustehen. Amüsiert schaute er auf mich hinab.

„Magst du lieber was anderes schauen?“

„Nein“, antwortete ich knapp.

„Oder vielleicht etwas ganz anderes machen?“, hauchte er leise in mein Ohr. Ich spürte seine Lippen an meinem Ohr und ein angenehmes Schaudern lief über meinen Körper. Ich wehrte mich nicht gegen ihn, als er sich über mich beugte und rücklings auf die Couch drückte.

Dieses Gefühl ihm hilflos ausgeliefert zu sein machte mir überhaupt nicht zu schaffen, ganz im Gegenteil. Ich genoss es beinahe ihm einfach die Führung zu überlassen. Seine Lippen machten sich an meinem Hals zu schaffen. Eine Hitzewelle überkam mich und ich konnte mir ein leises Keuchen nicht verkneifen, besonders nicht, als seine Hand an meiner Hüfte entlang unter mein Shirt strich und meinen Rücken hochstreichelte.

Ich hatte meine Arme um seine Taille gelegt, musste jedoch meinen linken Arm festhalten, da es auf Dauer anstrengend wurde ihn oben zu halten, selbst wenn ich ihn auf seinem Rücken abstützen konnte. Aomine löste sich von mir und schaute mit seinen dunklen Augen auf mich hinab. Das düstere Licht welches in der Wohnung herrschte liess sein sonst so hübsches Gesicht etwas unheimlich wirken. Doch seine Wärme liess mich alle Sorgen und Ängste vergessen.

„Du hast mich ja gefragt ob wir jemals Sex haben werden…“, begann Aomine plötzlich, jedoch etwas zögernd und schaute mich ernst an.

Ich hielt den Atem an. Was kam wohl jetzt?

„J-ja…“, antwortete ich langsam.

„Wie ernst war dir die Frage?“

Ich nagte auf meiner Unterlippe, wie so oft wenn ich nervös war oder unsicher.

„Eigentlich… ziemlich ernst, aber wenn du das nicht willst dann ist es okay, ich wollte eigentlich nur…“, stotterte ich rasch los und schlug die Augen nieder.

„Baka!“, sagte Aomine und als ich hochschaute konnte ich ihn lächeln sehen. Er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn bevor er mich wieder ansah. Langsam versuchte er den Satz zu formulieren den er sagen wollte: „Warum ich dir damals keine Antwort geben wollte… oder konnte… war einfach weil… ich Angst hatte dich zu verletzten. Das war ein weiterer Grund warum ich mit zu deinem Arzt wollte, das war es auch, was ich ihn gefragt hatte… ob wir miteinander schlafen könnten, ohne, dass es dir schadet…“

Seine Worte rührten mich zutiefst. Ich musste ein paar Mal die blinzeln um nicht zu weinen anzufangen. Abgesehen von meinem Grossvater hatte sich noch nie jemand so um mich gesorgt, doch das war in einem ganz anderen Mass geschehen. Er tat es, weil ich seine Familie war und er für mich verantwortlich war, doch Aomine tat das, weil er mich wirklich liebte.

Doch eine andere Frage schob sich plötzlich in meinen Kopf. Ich hatte noch keine Antwort darauf bekommen was mein Arzt dazu gesagt hatte. Aber dann erinnerte ich mich an das erleichterte Lächeln von Aomine. Ich konnte gar nicht anders als ebenfalls erleichtert zu lächeln und Aomine zu mir zu ziehen. Er schien etwas erstaunt zu sein, als ich sogleich meine Lippen auf seine legte und im nächsten Moment fordernd meine Zunge vorbewegte.

Doch liess er mir die führende Position nicht lange. Innig erwiderte er den Kuss. Mit der einen Hand fuhr er mir durch die Haare mit der anderen strich er über meinen Oberschenkel. Ich spürte wie sich das Blut langsam in meinen Lenden sammelte. Als er sich wieder von mir löste hatte ich die Lippen etwas geöffnet und mein Atem ging schneller. In seinen Augen konnte ich deutlich seine Erregung leuchten sehen.

Ein lautes Kreischen aus dem Fernseher liess uns beide zusammenzucken. Etwas ärgerlich griff Aomine nach der Fernbedienung und machte den Bildschirm aus. Ich bemerkte seinen Wiederwillen als er aufstand, doch als er mir die Hand reichte erkannte ich die Absicht seiner Aktion. Lächelnd griff ich nach der mir dargebotenen Hand und liess mich aufziehen. Ohne Umschweif hob er mich auf seine Arme, mit soviel Schwung das ich mich im ersten Moment ängstlich an seinem Arm festklammerte.

„Vertraust du mir etwa nicht?“, fragte er neckend.

„Mehr als irgendjemandem anderem auf dieser Welt“, antwortete ich mit solcher Ernsthaftigkeit, dass das freche Grinsen aus seinem Gesicht verschwand. Er hatte mich in sein Zimmer getragen und auf die Bettkante gesetzt.

„Ich werde dieses Vertrauen nicht missbrauchen“, hauchte er leise. Seine Arme waren links und rechts von mir abgestützt. Langsam dirigierte er mich rückwärts auf das Bett und als ich aus dem Gleichgewicht kam hatte er seinen Arm bereits um meine Schulter gelegt. Vorsichtig legte er mich auf die Matratze bevor er sich über mich beugte und mich sofort wieder in einen heissen Kuss verwickelte.

Er zog meine Arme hoch und legte sie um seinen Nacken. Rasch hatte er mich richtig aufs Bett gelegt und liess sogleich seine Hände über meinen Körper wandern. Sie fanden ihren Weg unter mein Shirt. Ich sog scharf die Luft ein, als seine Finger über meine sensiblen Nippel streiften.

Geschickt zog er mein Shirt hoch und ich hob meine Arme über den Kopf das er das störende Objekt entfernen konnte. Die Hitze in meinem Körper wurde stärker als seine Lippen begannen meinen Oberkörper zu liebkosen. Meine Finger streiften durch seine Haare. Ich zupfte auffordernd an seinem Shirt. Ohne, dass ich etwas zu sagen brauchte löste er sich von mir und zog sein Shirt aus.

Ich biss mir auf die Lippe, nicht aus Unsicherheit sondern aus Erregung. Ihn nur so anzusehen machte mich total wuschig. Andächtig liess ich meine Finger über seine Bauchmuskulen fahren. Aomine beugte sich erneut zu mir hinab und küsste mich. Seine blosse Haut fühlte sich so gut an auf meiner. Seine Hand fuhr hinab und ehe ich mich versah hatte sie meinen Hosenbund passiert. Seine Fingerspitzen streiften über mein Glied.

Etwas überrascht keuchte ich in den Kuss hinein.

„Du sagst mir wenn dir etwas unangenehm ist“, flüsterte er leise. Ich konnte nur nicken, als Aomine nach unten rutschte und meine Trainerhose nach unten schob. Ich hob mir die Hand vor den Mund und biss mir in den Handrücken als seine Lippen meine Spitze küsste. Schliesslich nahm er ihn ganz in den Mund und streifte meine Hose nach unten. Achtlos warf er sie zur Seite und widmete sich wieder mir.

Sanft drückte er meine Beine hoch bevor er sich wieder meinem Glied widmete. Das Gefühl war so überwältigend, dass ich seine Hand erst gar nicht spürte die über meinen Hintern fuhr. Sanft drang er mit einem Finger in mich ein. Es war ein ungewohntes Gefühl, im ersten Moment mochte es unangenehm erscheinen, doch seine Zunge und seine Lippen schafften es mich rasch auf andere Gedanken zu bringen.

Ein lustvolles Keuchen verliess meinen Mund.

Als Antwort schob er einen zweiten Finger in mich. Im ersten Moment zog ich mich enger um ihn zusammen.

„Entspann dich“, hauchte er und liess kurz von meinem Penis ab, doch seine freie Hand übernahm die Aufgabe sogleich. Ich schloss die Augen und versuchte seinen Worten folge zu leisten.

Sanft spreizte er seine Finger und schob seine Zunge in mich. Dem Schmerz wurde die Schärfe etwas genommen durch das ungewohnte, überwältigende Lustgefühl das er in mir hervorrief.

Meine Finger krallten sich in das Lacken unter mir, doch lösten sich rasch wieder, da ich die ständige Anspannung als ziemlich anstrengend empfand.

„Aomine…“keuchte ich und schaute mit glasigem Blick zu ihm hoch. Mein Körper zitterte leicht. „Ich will dich in mir.“

Ich war selbst überrascht, dass ich fähig war so etwas zu sagen, da ich mich selbst immer eher als schüchterner Typ gesehen hatte. Der Blauhaarige zog seine Finger aus mir und stütze sich neben mir ab. Wegen dem düsteren Licht das in dem Raum herrschte konnte ich sein Gesichtsausdruck nicht erkennen.

„Mh welch verlockende Worte“, schnurrte er. Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er ebenfalls erregt war. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und begann seine Trainerhose nach unten zu ziehen, doch weit kam ich nicht, denn Aomine übernahm das bereits für mich. Leer schluckte ich, als er nun so ganz nackt über mir kniete.

Er beugte sich etwas zur Seite und öffnete die Schublade seines Nachttisches. Erst erkannte ich nicht was er herausgefischt hatte, doch als er die kleine, viereckige Verpackung vor seinen Mund hob und die Ecke mit seinen Zähnen aufriss identifizierte ich den Gegenstand als Kondom. Ich liess ihn keinen Moment aus den Augen während er den Gummi anbrachte und dann ein zweites Mal in die Schublade griff und eine kleine Tube Gleitgel herausfischte.

„Ich habe mich informiert“, gestand er mir schuldig grinsend. Ich schaffte es gar nicht etwas zu erwidern, denn er hatte bereits das kühle Gel auf seinen Fingern verteilt und diese erneut in mich geschoben. Rasch hatte ich mich an die Dehnung gewöhnt und ein leises Keuchen verliess meine Lippen als er sie ein letztes Mal tief in mich schob bevor er sich aus mir löste.

Aomine kniete sich hinter mich und zog mein Becken zu sich, doch noch war er gnädig mit mir. Er beugte sich über mich und küsste mich wild. Ich spürte sein Glied an meinem. Unfähig einen Gedanken zu fassen erwiderte ich den Kuss. Er verhackte die Finger seiner linken Hand in meinen und hielt sie neben meinem Kopf auf das Bett gedrückt fest.

Als er sich wieder von mir löste spürte ich sein Glied an meinem Eingang, wie es um Einlass ersuchte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Seine Augen fixierten meine als er sich gegen mich drückte. Erst schien es, als ob er nicht in mich eindringen konnte, doch im nächsten Moment war seine Spitze auch schon in mich geglitten. Überrascht von dem unerwarteten Schmerz zuckte ich zusammen und schnappte nach Luft.

„Alles okay?“, hauchte er leise und fuhr mit seiner rechten über meine Wange. Ich nickte rasch und schloss die Augen. Ruhig atmete ich ein und aus. Es schmerzte mehr als ich erwartet hatte, doch im selben Moment war es auch ein unglaublich erregendes Gefühl ihn in mir zu spüren. Mutig wagte ich es, mein Becken etwas gegen seines zu bewegen um mehr von ihm in mir aufzunehmen.

Ein unterdrücktes Stöhnen drang durch seine halb geöffneten Lippen. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und schob sich tiefer in mich. Ich krallte meine Finger enger um seine Hand und drückte im ersten Moment, in der Versuchung dem Schmerz zu entgehen den Rücken durch. Mein Atem ging schneller. Ich hatte gehört, dass es das erste Mal ziemlich schmerzen konnte, doch in meiner Vorstellung hatte es sich anders angefühlt. Zwar hatte ich erwartet, dass der Schmerz ein anderer war, doch das Lustgefühl, dass langsam die Oberhand zu gewinnen begann war viel besser als ich es mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte.

Aomine schien zu merken, dass sich mein Körper entspannte, denn er begann langsam zuzustossen. Mit jedem Stoss schob er sich einen Zoll tiefer in mich und jedes Mal musste ich lustvoll aufkeuchen. Mit etwas Mühe drückte ich mich vom Bett weg und suchte seine Lippen. Sofort begannen unsere Zungen ihr leidenschaftliches Spiel miteinander. Unsere Körper schienen miteinander zu schmelzen, als er den sensiblen Punkt in mir traf.

Eine Hitzewelle nach der anderen überkam meinen Körper. Für einen Moment schien ich die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren. Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war. Hilfesuchend klammerte ich mich an seinem unterdessen schweissbedeckten Rücken fest.

 

 

 

11. Oktober

 

Ich war bereits wach, doch das Bett war viel zu weich um sich daraus erheben zu wollen und die Brust an die ich mich geschmiegt hatte war viel zu warm um sich von ihr entfernen zu wollen. Zufrieden seufzte ich leise und kuschelte mich enger an Aomine’s nackten Oberkörper. Er hatte seine Arme um mich gelegt und streichelte immer wieder sanft über meinen Rücken.

„Bist du wach?“, konnte ich seine dunkle, etwas raue Stimme hören.

„Mh… nein“, brummte ich und liess die Augen geschlossen.

„Ach so, dann stört es dich sicher nicht wenn ich kurz duschen gehe.“ Aomine war bereits halb aufgestanden als ich mich mit letzter Anstrengung an ihm festklammerte. Etwas erschrocken musste ich feststellen, dass ich mich kaum noch rühren könnte. Mein Becken reklamierte und meine Muskeln sträubten sich bei jeder Bewegung die ich zu machen versuchte.

„Du bleibst gefälligst hier“, motzte ich trotzend und schaute stur zu ihm hoch. Ich hatte so schön geschlafen und hätte bestimmt noch eine ganze Weile so weiterdösen können, doch alleine in dem grossen Bett  zu liegen erschien mir falsch.

Aomine musste wohl meine Bewegungen, die noch steifer und unkoordiniert als sonst waren, bemerkt haben. Ein besorgter Ausdruck legte sich in sein Gesicht.

„Ist alles okay?“, fragte er und strich mir über die Wange.

„Ich glaube schon, gib mir ein-zwei Tage und ich bin wieder fit!“, versicherte ich ihm.

 

Diese ein-zwei Tage sollten sich jedoch als eine Woche herausstellen in der ich kaum einen anständigen Schritt hinbekommen sollte. Mein Grossvater hatte sich grässliche Sorgen gemacht und dachte schon, dass sich mein Zustand so drastisch verschlechtert hatte. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass der Grund warum ich so steif lief, nicht von meinen Beinen herrührte, sondern von meiner heissen Liebesnacht mit Aomine…

Letzte Schritte

27. Oktober

 

Wie immer war ich gestern bei Aomine gewesen und hatte mich eigentlich gegen Mittag auf den Nachhauseweg machen wollen als ich den Anruf aus dem Spital bekommen hatte. Mein Grossvater hatte einen Herzinfarkt gehabt und lag nun auf der Intensivstation, doch sein Zustand schien soweit stabil zu sein. Ich hatte kurz mit ihm telefonieren können. Seine Stimme zu hören hatte mir die Angst um ihn etwas genommen, auch wenn er noch sehr schwach und gebrechlich tönte.

Also war ich hier geblieben, denn Aomine hatte nicht zugelassen, dass ich alleine zuhause war, besonders, weil sich mein eigener Zustand ebenfalls verschlechtert hatte. Treppen zu steigen war ohne Fremdhilfe die reinste Tortur geworden und es gab Tage an denen ich nicht einmal mehr alleine aufstehen konnte. Am Freitag hatten wir nochmals meinen Arzt aufgesucht, obwohl mein nächster Termin erst in zwei Wochen gewesen wäre. Er hatte sich mit einer genauen Aussage zurückgehalten, nur, dass falls es eine weitere deutliche Verschlimmerung geben sollte ich ihn umgehend kontaktieren müsste.

Selbst wenn Aomine mir andauernd Mut zusprach und meinte, dass das bestimmt nicht so schlimm war wie es den Anschein machte, konnte ich seinen Worten nicht wirklich glauben auch wenn ich es gerne wollte. Vor ihm lächelte ich ständig und meinte, dass es mir gut ginge, doch in meinem Innern sah es anders aus.

Ich hatte Angst, grässliche Angst. Koyama-hakase hatte mir einmal gestanden als Aomine nicht dabei war, dass die Verschlimmerung meiner Symptome in einem solch starken Ausmass waren, dass er sich nicht einmal sicher war ob ich das nächste Jahr überleben würde. Es waren nicht nur meine Beine die nicht mehr mitmachten, nicht einmal meine Arme waren das grundlegende Problem, sondern meine Rückenmuskulatur die sich nun ebenfalls zu verabschieden begann.

Koyama-hakase meinte, man müsste in Betracht ziehen Harrington-Implantate, das waren eine Art Metallstäbe, einzusetzen um die Wirbelsäule in einer gerade gerichtete Position zu halten. Um ehrlich zu sein war ich nicht besonders scharf auf diese Operation. Ich war kein grosser Fan von Spritzen und wenn ich daran dachte, dass mir irgendjemand meinen Rücken aufschneiden würde um dort Metallstäbe reinzustecken wurde mir übel.

„Wach auf, du musst in die Schule!“

Aomine stupste mich in die Seite, doch ich rollte mich nur demotiviert auf die Seite und tat so, als ob ich schlafen würde. Mit einem Ruck riss er mir die Decke von meinem Körper.

„Mh… lass mich schlafen“, brummte ich und zog den Kopf ein, doch der Ältere gab sich nicht geschlagen.

„Hier gelten genau dieselben Regeln wie bei dir zuhause! Ausserdem haben wir einen längeren Weg von hier aus in deine Schule, also steh endlich auf! Ich hab das Frühstück schon bereit, sonst esse ich es alleine!“ Den letzten Satz hatte er mir drohend ins Ohr geflüstert. Sofort, jedenfalls so schnell wie mein sofort halt war, hatte ich mich aufgerichtet. Grinsend wandte Aomine sich um und war schon dabei das Zimmer zu verlassen als ich versuchte vom Bett aufzustehen und meine Beine einfach unter mir nachgaben.

Hart knallte ich auf den Boden. Der Schmerz war so überraschend, dass er mir die Tränen in die Augen trieb, doch ich biss die Zähne aufeinander und blinzelte sie rasch weg. Sofort war er neben mir und griff nach meiner Schulter.

„Alles okay?“, rief er erschrocken und zog mein Kinn hoch um in meine Augen sehen zu können.

„J-ja…“, stotterte ich. Vorsichtig richtete ich meine Beine und versuchte mich am Bettrand hochzuziehen, doch mein Körper wollte nicht mehr. Meine Füsse fanden keinen Halt am Boden und rutschten schwach weg. Ich startete einen zweiten Versuch, doch meine Arme zitterten bloss noch vor Anstrengung.

Verzweifelt starrte ich hoch zu Aomine, doch in seinen Augen die sonst immer vor Zuversicht und Sicherheit strahlten konnte ich einen Anflug von Panik erkennen. Ich biss auf die Zähne. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, doch Aomine um Rat zu fragen schien mir nicht die beste Idee. Er war selbst total überfordert mit dieser Situation. So hatte er sich das bestimmt nicht vorgestellt. Nun lag es an mir die Situation unter Kontrolle zu bekommen.

„Ich… Hilf mir hoch, dann kann ich bestimmt wieder stehen!“, bat ich und riss ihn so aus seiner Starre. Sofort nickte er, froh etwas tun zu können und kam meinem Wunsch nach. Er legte seine Arme um meine Brust und zog mich vorsichtig hoch. Langsam stellte er mich ab. Erst schaute es so aus, als ob es wirklich nur am Aufstehen gelegen hatte und meine Beine halten würden, doch plötzlich fuhr ein penetranter Schmerz durch meine Beine. Ich keuchte vor Schreck auf und krallte mich an Aomine’s Arm fest der immer noch um meine Brust lag.

„Mitsu?“, fragte er mich besorgt, doch ich war nicht fähig etwas zu sagen. Zu schwach mich an Aomine hochzuziehen um meine Beine zu entlasten versuchte ich seine Finger zu löse, dass er mich wenigstens losliess.

„Ah…“, keuchte ich auf und startete einen letzten verzweifelten Versuch ihn zum loslassen zu bringen, als er mich auch schon auf das Bett gesetzt hatte. Unsicher kniete er vor mir und hielt mich an den Schultern.

„Was ist los?“

„Meine Beine…“, keuchte ich und biss die Zähne zusammen. „Bitte… Lass mich liegen!“

Sofort kam er meiner Bitte nach und half mir, mich hinzulegen. Erschöpft schloss ich die Augen. In dem Moment schaffte ich es keinen klaren Gedanken zu fassen. Langsam flaute der Schmerz ab, doch ein unangenehmes Ziehen meiner überlasteten Muskeln blieb. Aomine hockte neben mir auf dem Bett und hielt meine Hand, auf ein Lebenszeichen meinerseits wartend. Ich konnte ihn nicht einfach so sitzen lassen. Träge öffnete ich die Augen und schaute ihn müde an.

„Ich glaube nicht, dass ich heute zur Schule gehen werde…“, murmelte ich leise mit zitternder Stimme.

„Dann bleibe ich auch zuhause! In deinem Zustand kann ich dich doch nicht alleine lassen!“, beharrte Aomine. Sein Tonfall liess kein Widerwort zu und trotzdem schüttelte ich den Kopf.

„Ich lass nicht zu, dass du für mich die Schule schwänzt“.

„Du kannst sagen was immer du willst, ich bleibe hier!“, sagte er stur. Ich seufzte leise. Es gab Momente in denen ich ihm für seine Sturheit einen Tritt verpassen könnte, doch heute war das erste Mal, dass ich es nicht liebevoll meinte. Ich wünschte, ich könnte jetzt alleine sein und einen klaren Kopf bekommen, doch solange er hier war musste ich mein Lächeln auf den Lippen behalten und so tun, als ob alles okay wäre nur um ihm keine Sorgen zu bereiten.

„Vielleicht wäre es besser wenn ich ins Krankenhaus gehen würde“, murmelte ich nach einer Weile. Aomine konnte nur nicken und stand schliesslich auf.

„Ich werde einen Krankenwagen herkommen lassen“.

Ich weigerte mich nicht dagegen, was sollte ich auch gross sagen. Kaum zwanzig Minuten nachdem der Blauhaarige im Krankenhaus angerufen hatte stand auch schon der Krankenwagen vor der Tür. Die Notfallärzte waren bereits über meinen Fall informiert, wahrscheinlich hatte Aomine sich direkt an meinen Hausarzt Koyama gewandt, der im nahegelegenen Krankenhaus arbeitete.

Mir wurde ein Mittel verabreicht und danach brachten sie mich auf einer Trage nach unten in den Krankenwagen. Aomine durfte nicht mitkommen, von wegen Familienmitglieder, doch mir war es noch so recht. Das war nicht einmal böse gemeint, doch ich wollte nicht, dass er sich Sorgen machen musste. Er tat schon so mehr für mich als ich von ihm erwarten konnte.

Mit den letzten Worten die ich ihm zugerufen hatte, hatte ich ihn dazu bewegen können in die Schule zu gehen und ihm versprochen, dass ich mich bei ihm melden würde, doch das war gar nicht nötig. Als ich ihm Krankenhaus angekommen war, wartete Koyama-hakase bereits auf mich und es wurden umgehend Untersuchungen und weitere Tests vorgenommen.

Es war bereits vierzehn Uhr als ich endlich in ein Zimmer gebracht wurde und schlafen konnte. Von dem ganzen Trubel der ununterbrochen seit ich das Krankenhaus betreten hatte um mich geherrscht hatte war ich total erschöpft, sodass ich Aomine gar nicht wirklich wahrnahm als er gegen Abend zu mir auf Besuch kam. Selbst als mein Arzt dazu kam war ich nicht fähig aus meinem Dämmerschlaf zu erwachen.

Die Worte die die beiden miteinander wechselten kamen mir vor, als ob ich sie in einem Traum hören würde, doch ich war mir sicher, dass sie aus der Realität in meinen Schlaf gelangt waren und die Nachricht die Koyama-hakase Aomine mitteilte war keinesfalls eine beruhigende.

„Er wird nicht mehr gehen können…“ und „Seine Organe haben sich ebenfalls verschlechtert, besonders die Lunge macht mir Sorgen. Bald wird er Beschwerden mit der Atmung bekommen“. Ich war beinahe froh, dass ich schlief, denn so brauchte ich keine Antwort auf die Diagnosen geben zu müssen. Was sollte ich überhaupt auf so etwas erwidern?

 

Die Nacht war bereits hereingebrochen als ich aufwachte. Mein Blick war klarer als zuvor, dafür hatte ich leichte Kopfschmerzen, doch nichts womit ich nicht hätte leben können. Ich spürte eine Hand, die meine umschloss.

Als ich meinen Kopf zur Seite wandte sass dort immer noch Aomine. Er schien noch nicht bemerkt zu haben, dass ich aufgewacht war. Nachdenklich hatte er den Kopf auf seiner Hand abgestützt und den Ellbogen auf der Lehne seines Stuhles. Sein Blick starrte leer geradeaus auf einen Punkt irgendwo am Fussboden.

Meine Kehle fühlte sich trocken an. Ich versuchte mich nochmal zu regen. Das Rascheln der Bettdecke holte Aomine in die Realität zurück. Er richtete sich auf und schaute mich an.

„Du bist wieder wach“, sagte er und lächelte, doch sein sonst so ehrliches Lächeln war getrübt von einer unerklärlichen Niedergeschlagenheit. Ich wollte gerne so etwas sagen wie, noch bin ich doch nicht tot, doch ich verkniff mir den Kommentar. Es war vielleicht nicht das Beste was ich in dieser Situation sagen konnte. Ich durfte die Niederlage nicht akzeptieren, wenigstens vor ihm nicht.

„Ja und ich fühle mich auch schon besser“, antwortete ich und stemmte mich mühsam in die Höhe um mich im Bett aufsetzen zu können. Sofort hatte Aomine die Initiative ergriffen und richtete mir das Kissen hoch, damit ich mich bequemer hinsetzen konnte.

„Das freut mich. Als du geschlafen hast war Koyama-hakase hier. Er meint, dass du bald wieder nachhause darfst, aber du…“. Die Stimme des Basketballers stockte und er musste schlucken. Ich konnte ihm ansehen wie schwer ihm die Worte fielen. Sanft drückte ich seine Hand. Niemand wollte einem geliebten Menschen eine solche Nachricht überbringen.

„Ich weiss. Es ist schon okay. Ich wusste von Anfang an, dass es irgendwann soweit sein wird!“

„Aber du… ich…“, begann er, doch ich liess ihn gar nicht ausreden.

„Du hast gar nichts damit zu tun. Ich habe diese Krankheit seit klein auf und niemand auf dieser Welt kann etwas daran ändern, dass es so ist wie es nun mal ist. Du tust jeden Tag so viel für mich und ich bin so froh, dass ich dich habe“.

Ein erleichterter Ausdruck trat in sein Gesicht, doch rasch war er wieder von Zweifel durchzogen.

„Ich dachte nur, dass wenn es dann wirklich mal soweit sein wird dann wüsste ich was zu tun ist. Jede Nacht vor dem Einschlafen bin ich den Ablauf durchgegangen, was ich tun würde, wie ich mich verhalten würde, doch als ich dich da am Boden liegen sah…“ Er schluckte.

Ich schwieg eine Weile und zog dann an seinem Pullover.

„Aomine…“

„Hm“.

„Küss mich“, forderte ich ihn auf.

„Was wenn jemand reinkommt?“, entgegnete er etwas zögernd und schaute sich unsicher nach der Tür um.

„Die werden schon erst anklopfen“, versuchte ich ihm seine Bedenken zu nehmen. Sonst war er auch nicht so zimperlich. Als er schwieg senkte ich den Blick auf die Bettdecke die über meinem Unterleib lag und versuchte nicht mehr ihn umzustimmen. Plötzlich hatte ich Angst. Was, wenn ihm das ganze zu viel wurde und er mich verliess?

Meine Finger krallten sich in die Bettdecke bei dem Versuch die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Wir kannten uns gerade mal vier Monate und doch konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen wie es ohne ihn wäre. Wie trostlos meine Tage sein würden ohne ihn und ohne die Möglichkeit nach draussen gehen zu können um Basketball zu spielen, einfach in meinem Zimmer vor mich hin vegetierend bis die Krankheit schliesslich Oberhand gewann und meine erbärmliche Existenz beendete.

Die Sicht vor meinen Augen verschwand, als sie sich mit Tränen füllten. Verschwommen konnte ich eine Bewegung wahrnehmen und ehe ich mich versah spürte ich Aomine’s Lippen auf meinen. Sie waren warm und tröstend. Ich spürte eine Träne über meine Wange rollen, doch es waren Tränen der Erleichterung. Die Innigkeit mit der er mich küsste liess mich daran glauben, dass er mich noch nicht aufgegeben hatte.

Als er sich wieder von mir löste konnte ich nichts gegen das Lächeln tun, dass sich in mein Gesicht schlich und das Lächeln wurde heller als ich den selben Ausdruck in seinem Gesicht sehen konnte.

„Hm, das ist mein Mitsu, der lächelt“, flüsterte er leise und strich mir eine der Tränen aus dem Gesicht bevor er mich noch einmal flüchtig küsste.

 

 

 

 29. Oktober

 

Akiyama-san hatte mich an diesem Mittwochmorgen abgeholt. Ich wusste nicht, wie Aomine seinen Vater dazu hatte bewegen können, doch er hatte sich sehr fürsorglich um mich gekümmert. Mein Grossvater war immer noch im Krankenhaus. Heute würde er sich seinen Herzschrittmacher einsetzen lassen, solange würde ich noch bei Aomine und seinem Dad wohnen.

Als ich nun wieder bei ihnen zuhause war und Aomine das erste Mal nicht da war, fühlte ich mich schon etwas unwohl. Besonders weil ich nun auf vier Rädern unterwegs war und kaum noch etwas alleine machen konnte. Es war beinahe ein Segen als der Blauhaarige nachhause kam, heute früher als sonst wie mir schien, den er hatte mich immer von der Schule abgeholt und ich hatte mindestens eine halbe Stunde auf ihn warten müssen, obwohl wir später aus gehabt hatten, doch das Warten hatte sich jedes Mal gelohnt.

Da ich nun offiziell von der Schule freigeschrieben war hatte Aomine mir angeboten, dass wir heute mit seinem Vater zu der Kamata West fahren würden um meine Sachen abzuholen und schon mal zu mir nachhause bringen würden, da mein Grossvater die nächsten Tage wohl nicht Autofahren konnte. Auch hatte er mir angeboten, dass er ein paar Tage zu mir schlafen kommen würde, um uns auszuhelfen.

Gerne hatte ich angenommen, auch wenn es nur war um ihn in meiner Nähe zu haben. Besonders jetzt brauchte ich ihn…

 

Bürde

30. Oktober

 

„Nein!“, schrie ich.

„Es ist zu deinem Besten!“, versuchte mir mein Grossvater erneut klar zu machen, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„Ich will nicht nach Nakatsugawa! Ich will in Tokio bleiben!“ Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht meine Stimme zu senken. Hätte ich die Möglichkeit aus dem Zimmer zu stürmen hätte ich das sofort gemacht, doch war es ziemlich anstrengend mich alleine in dem Rollstuhl fortzubewegen. Eigentlich sollte die Krankenkasse für einen Elektrischen Rollstuhl aufkommen, doch sie taten etwas schwierig und mein Grossvater war erst seit wenigen Stunden aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, weshalb er sich noch nicht darum hatte kümmern können.

Doch anstatt, ich weiss auch nicht, sich seiner neu erworbenen Herzfunktion zu erfreuen wollte er mich abschieben, nach Nakatsugawa, vier Stunden von Tokio und Aomine entfernt und das auch nur mit dem Auto. In meinem Zustand würde ich so oder so nicht weit kommen mit dem Zug und ich glaubte nicht, dass Fanabashi Takafumi, ein Freund meiner verstorbenen Eltern und dessen Frau, zu denen mein Grossvater mich geben wollte, jede Woche Lust und Zeit hatten mich nach Tokio zu fahren.

Ich kannte die beiden nicht einmal. Zwar gab es Kinderfotos wo sie mich in den Armen hielten, doch da war ich gerade einmal ein Jahr alt gewesen, als ob ich mich noch daran erinnern konnte. Ich konnte mich schliesslich nicht einmal an meine Eltern erinnern.

Die Begründung mit der mein Grossvater mich dorthin abschieben wollte war, dass er sich nicht mehr um mich kümmern könnte und er sich Sorgen um mich machte, falls es mir plötzlich schlechter ging wie letzten Montag und er nicht in der Lage wäre mir zu helfen. Auf meine Antwort hin, dass Aomine mir helfen würde, hatte er nur gemeint, dass er jung war und sicher besseres zu tun hatte als sich um einen Invaliden zu kümmern. Oji-san schien nicht zu verstehen, dass wir uns wirklich liebten, doch ich konnte seine Bedenken umso länger umso mehr verstehen, auch wenn ich sie nicht wahrhaben wollte.

Nach einer Weile hatte ich aufgehört mit meinem Grossvater zu streiten. Es machte mich müde. Mit letzter Kraft hatte ich mich irgendwie zurück in mein Zimmer manövriert und die Tür hinter mir geschlossen. Eigentlich hatte ich sie zuknallen wollen, doch es war auch so schon schwer genug sie in das Schloss zu kriegen. Natürlich hatte er mir helfen wollen, doch in meinem Stolz und vor allem meiner momentanen Wut auf ihn hatte ich das nicht zulassen können.

In meinem Zimmer machte ich mich daran, mich auf mein Bett zu hieven. Es war gar nicht so einfach, besonders, da Aomine nicht da war, der normalerweise auffangbereit neben mir stand und mich nur widerwillig machen liess. Die Orthese die meinen Rücken stütze schränkte mich zusätzlich in meiner Bewegung ein, doch wenigstens hatte so auf die Harrington-Implantate verzichten können.

„Mitsu-kun, ich gehe einkaufen“, rief Grossvater in mein Zimmer. Flach lag ich auf dem Bett und liess nur ein Grummeln von mir hören um ihm klar zu machen, dass ich ihn gehört hatte. Zu unserem Glück gab es einen kleinen Quartierladen gleich um die Ecke den man zu Fuss in wenigen Minuten erreicht hatte.

Einen Blick auf den Wecker verriet mir, dass es auch bald Zeit sein würde, dass Aomine aus der Schule zurückkam. Er hatte mir versprochen, dass er so schnell wie möglich zu mir zurückkommen würde. Mit geschlossenen Augen lag ich da, die Worte, die mein Grossvater gesagt hatte geisterten durch meinen Kopf, dass Aomine mich bald als Last anschauen könnte und ich mich nicht zu sehr auf ihn verlassen sollte.

Ich seufzte leise.

Was sollte ich nur tun?

Es klopfte an der Tür und im nächsten Moment betrat Aomine den Raum. Er hatte seine Schultasche über der Schulter und warf mir ein kopfschüttelndes Lächeln zu.

„Was schaust du den so deprimiert? Du hast für den Rest deines Lebens schulfrei, geniess es!“, forderte er mich auf und schmiss die Tasche in eine Ecke meines Zimmers. Im Gegensatz zu mir hatte er sich hier schnell wie zuhause gefühlt, selbst wenn ich nicht da war. Er schien sich auch gut mit meinem Grossvater zu verstehen und hatte keinerlei Hemmungen mit ihm zu sprechen, ganz im Gegensatz zu mir und Akiyama-san.

„Was soll ich den bitte schön machen?“, brummte ich demotiviert und starrte die Decke wieder an.

„Jedenfalls lasse ich nicht zu, dass du hier drin versauerst. Lass uns rausgehen! Wenn du schon herumgammelst dann wenigstens an der frischen Luft!“

Er schien voller Tatendrang zu sein und plante wohl seinen Plan direkt in die Tat umzusetzen. Ohne zu zögern war er ans Bett getreten und hatte seine Arme unter meinen Körper gelegt.

„W-warte!“, rief ich und krallte meine Finger erschrocken um seinen Arm als er mich mit Schwung hochhob. Ängstlich schaute ich zu Boden. Ich hasste es wenn er das tat. Ständig fürchtete ich mich, dass er irgendwann das Gleichgewicht verlor und mit mir zu Boden stürzen würde.

„Hm? Vertraust du mir etwa immer noch nicht?“, hauchte er neckend.

„Das hat damit gar nichts zu tun! Ich habe nur Angst, dass du irgendwann stürzt!“, stotterte ich und klammerte mich so gut es eben ging um seinen Hals fest.

„Ich stürzte schon nicht“, versprach er und küsste mich auf die Wange. Ich genoss es so nahe bei ihm zu sein und wandte meinen Kopf nur etwas um an seine Lippen zu gelangen.

„Also… lass uns in den Park gehen!“

 

Selbst wenn ich mich dagegen gesträubt hätte, hätte Aomine es sich nicht nehmen lassen den ganzen Nachmittag mit mir draussen zu verbringen. Seine Ausrede war gewesen, dass heute doch so ein schöner Tag sei, wo ich ihm nur zustimmen konnte. Für einen späten Oktobertag war es wirklich warum und die Sonne strahlte hell und wärmte meinen Körper.

Wir hatten uns einen Platz abseits der Wege, am Fuss eines träge dahinfliessenden Flusses. geschützt von ein paar grossen Kirschblütenbäumen deren Blätter sich bereits rötlich verfärbt hatten und die meisten davon auch schon auf der immer noch fröhlich vor sich hinspriessenden Wiese verteilt hatten.

Er hatte mich aus meinem Rollstuhl befreit und ich hatte meinen Kopf auf seinen Beinen gebettet. Zufrieden, mit geschlossenen Augen lag ich da und atmete die frische Luft ein. Ich genoss das Gefühl, wie er mir durch die Haare streichelte.

„Ich hab mitbekommen was dein Grossvater gesagt hat. Wir haben uns getroffen, als er gerade das Haus verlassen hat…“, begann Aomine und ich spürte wie er mich keine Sekunde aus den Augen liess. Ich seufzte und öffnete die Augen.

„Ich will nicht von dir weg…“, hauchte ich leise.

„Und ich will dich auf keinen Fall gehen lassen, darum habe ich meinen Dad angerufen und, naja ich weiss nicht ob du das wollen würdest. Aber wenn dein Grossvater zustimmt könnte man über einen Sorgerechtsantrag nachdenken. Ich meine deinem Grossvater geht es doch nur darum, dass du in sicheren Händen bist falls er sich nicht mehr um dich kümmern kann, sonst schaltet sich irgendwann das Jugendamt dazu und dann bist du schneller weg als irgendjemand von uns blinzeln kann!“

Sorgerechtantrag? Ich stockte. Das würde dann bedeuten, dass ich so gut wie zu seiner Familie gehörte.

„Ich… solange ich bei dir bleiben kann ist mir alles recht. Ich hoffe nur, dass mein Grossvater dem zustimmt“, antwortete ich zögernd.

„Er schien nicht so abgeneigt als ich ihm meinen Vorschlag unterbreitet habe. Seine einzigen Bedenken waren, dass du mir irgendwann zu viel Arbeit werden könntest“.

„Das ist auch meine Sorge, um ehrlich zu sein“, gestand ich ihm und hielt den Atem an während ich auf eine Antwort von ihm wartete. Doch er lächelte nur wuschelte mir durch die Haare.

„Irgendwie muss ich mir ja meine Tage um die Ohren schlagen und wenn ich die Zeit damit verbringen kann mich um die Person zu kümmern die ich liebe ist es mir noch so recht!“, hauchte er und wollte sich zu mir hinabbeugen um mich zu küssen, doch ich wandte den Kopf zur Seite. Zögernd begann ich zu sprechen: „Was wenn du mal irgendetwas unternehmen willst und ich so krank bin, dass ich gar nichts mehr selbst machen kann und du mich keine Stunde alleine lassen kannst? Wenn du ein Spiel hast und ich für längere Zeit alleine sein müsste…“

Eigentlich wollte ich diese Gedanken gar nicht hervorbringen, ich wollte sie nicht einmal in meinem Kopf haben, doch ich wollte auch nicht, dass Aomine am Schluss mit mir dastand und mich mehr als Bürde als etwas anderes betrachtete.

„Wenn es soweit ist, werde ich mir dann darüber Gedanken machen, okay!“, erwiderte er ruhig, aber ich konnte es in seinen Augen sehen. Der Schock, dass ich überhaupt wagte über so etwas zu sprechen. Doch er wusste es genau so gut wie ich. In den letzten Tagen war es ihm umso mehr klar geworden. Wie lange es wohl noch dauerte bis ich nicht einmal mehr meine Arme bewegen konnte, wie lange, bis ich nicht mehr von selbst Atmen konnte, wie lange, bis ich nur noch dasitzen konnte und nichts mehr tun konnte?

Ich seufzte und versuchte mich mühsam aufzurichten. Wie anstrengend das doch war. Am liebsten wäre ich einfach liegen geblieben. Während ich mich mühsam hin und her wand um irgendwie genug Schwung zu bekommen um hochzukommen erhaschte ich kurz seinen Blick. Ich hasste es wenn er mich so ansah, genauso sehr wie er es hasste, dass ich mir nicht helfen liess. Doch er hatte es akzeptiert, als ich ihm klar gemacht hatte, dass ich so lange auf das letzte bisschen meiner Selbstständigkeit beharren wollte wie nur möglich.

„Also was meinst du?“, fragte er erneut als ich mich irgendwie aufgesetzt hatte und mich gegen meinen Rollstuhl lehnte.

„Wozu?“, kam die Gegenfrage von mir während ich mich irgendwie hochzuziehen versuchte. Aomine kniete sich neben mich und schnipste mir gegen die Stirn.

„Du hast auch das Gedächtnis einer Eintagsfliege“, sagte er kopfschüttelnd. Ich blieb schwer atmend am Boden sitzen und gönnte meinem erschöpften Körper eine Pause bevor ich einen weiteren Versuch starten wollte mich in den Rollstuhl zu hieven.

„Du meinst wegen dem Sorgerecht?“

Aomine nickte.

Ich schwieg eine Weile und dachte nach. Für meinen Grossvater wäre es bestimmt eine Erleichterung, wenn er nicht mehr auf mich acht geben musste, doch ich fragte mich, ob Aomine sich selbst nicht zuviel aufbürdete.

„Ich will bloss keine Bürde f…“, begann ich doch er hielt mir den Mund zu und sagte bestimmt: „Du bist keine Bürde! Glaub mir das doch!“

 

Aomines Liebling

6. November

 

Ich lag bäuchlings auf Aomine’s Bett, das Kissen unter meine Brust gestopft und lustlos in einem Buch blätternd. Aomine’s Bett… Es war jetzt auch mein Bett. Nachdem alle Einzelheiten auch mit Akiyama-san geklärt worden waren, war alles ziemlich schnell gegangen und jetzt war ich hier. Seit heute Morgen. Aomine war in die Schule gegangen, nachdem ich ihm etwa hundert Mal versichern musste, dass ich alleine zurechtkam und nun war ich alleine hier, mit seinem Vater, der irgendwo in seinem Arbeitszimmer hockte und arbeitete.

Zwar hatten sie gesagt, dass ich mich einfach bedienen sollte wenn ich Hunger hatte und wenn ich fernsehen wollte wüsste ich ja wo er stand. Doch ich war total verunsichert. Ich wagte es nicht einmal Aomine’s Zimmer… unser Zimmer zu verlassen. Es klopfte an der Tür und als ich aufschaute kam Akiyama-san ins Zimmer.

„Uhm, hey, ich wollte mir gerade etwas zu Essen machen und dachte mir, du hast sicher auch Hunger. Möchtest du mitessen?“, fragte er und kratzte sich am Hinterkopf.

Zögernd nickte ich.

„Sehr gerne, wenn es keine Umstände macht“, antwortete ich und klappte das Buch zur Seite. Ich rollte mich auf den Rücken und zog den Rollstuhl neben mich hin, sodass ich mich vom Bett hinüberschieben konnte. Meine Arme zitterten für einen Moment vor Anstrengung.

„Kann ich dir helfen?“, wollte Aomine’s Dad wissen. Ihm schien sichtlich unwohl dabei zu sein, dass er nur daneben stehen konnte und mir zuschauen musste, wie ich mich abmühte.

„Nein, alles okay!“, antwortete ich rasch und hatte mich im nächsten Moment auch schon in den Rollstuhl manövriert. Ich rollte mich durch das Zimmer und nickte dankend, als Akiyama-san mir die Tür aufhielt, damit ich das Zimmer verlassen konnte. Das erste was Aomine gemacht hatte als ich hier eingezogen war, war sein Zimmer aufzuräumen, unter anderem auch, dass es uns einfacher fiel mein ganzes Zeug einzuräumen, doch vor allem, damit ich mich mit dem Rollstuhl problemlos fortbewegen konnte. Er hatte diese grauenhafte Angewohnheit alles auf den Boden zu werfen, doch wer kannte das nicht? Ich hatte das früher auch ständig gemacht, bis ich mich zwangsmässig hatte umgewöhnen müssen, da sich zu bücken ziemlich anstrengend geworden war.

Ich folgte ihm in die Küche wo er mir nach langer Überzeugungsarbeit das Schneiden des Gemüses überliess. Während er sich um den Rest kümmerte liess er mich keine Sekunde aus den Augen. Wahrscheinlich traute er mir nicht zu, dass ich es fertig brachte die Gurken zu schneiden.

„Ich weiss die Frage muss dir unangenehm sein, doch ich möchte das wissen, nur damit ich weiss was auf mich und besonders auf Mine-kun zukommt… Wie lange wirst du noch haben?“ Als er das fragte, wandte er sich von mir ab und starrte auf die Küchentheke vor sich. Zögernd hob ich den Kopf. Ich nagte auf meiner Unterlippe. Es war mir wirklich eine unangenehme Frage, doch Akiyama-san hatte mich bei sich aufgenommen und war wohl so etwas wie mein Vater, also musste ich ihm diese Frage mindestens beantworten.

„Ich weiss es nicht genau. Mein Arzt meint, vielleicht noch ein Jahr, wenn ich Glück habe“, murmelte ich und senkte den Blick ebenfalls. Er nickte.

„Du bedeutest Mine-kun wirklich viel. Ich hätte niemals gedacht, dass er sich so für jemanden einsetzen könnte. Du tust ihm gut, Mitsuhide-kun und ich habe Angst vor dem Tag an dem du… nicht mehr da bist. Ich weiss nicht ob er bereit ist dich gehen zu lassen“, sagte Akiyama-san und wandte sich mir zu. Ernst schaute er mich an, doch ich hielt dem Blick nicht lange stand. So wie er das sagte, hatte ich das Gefühl, dass es meine Schuld war, das alles.

Rasch wischte ich mir über die Augen.

„Ich…“, begann ich, doch meine Stimme versagte. Ich presste mir den Ärmel meines Pullovers gegen die Augen und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und als ich blinzelnd hochschaute sah ich Akiyama-san’s Gesicht über mir.

„Entschuldige, ich sorge mich nur um meinen Sohn. Aber mach du dir keine Sorgen, wir kriegen das schon hin!“, versprach er mir. In dem Moment ging die Tür auf und Aomine kam in die Wohnung.

„Ich bin zuhause“, rief er und kam sogleich in die Küche als er den Dampfabzug rauschen hörte. Rasch versuchte ich mir die Tränen aus den Augen zu wischen, doch es war bereits zu spät. Nun würde er sich wieder Sorgen machen wegen nichts.Andr(

„Mitsu…?“

Sofort kam er auf mich zu als er meine geröteten Augen erblickte und kniete sich neben mich. Ärgerlich wandte er sich an seinen Vater.

„Hast du ihn zum Weinen gebracht?“, fuhr er ihn ärgerlich an.

„Nein!“, sagte ich sofort und hob die Zwiebel hoch die ich bereits in der Hälfte durchgeteilt hatte. „Ich verstehe mich nur noch so gut mit Zwiebeln“.

„Mine-kun, sei doch nicht immer so gemein zu deinem armen, alten Vater!“, warf dieser ein und kümmerte sich dann wieder um das Essen. Aomine nahm mir das Tablett mit dem Gemüse von den Beinen und machte sich selbst daran weiterzuschneiden.

„Was machst du überhaupt schon hier? Du hast heute Nachmittag doch immer noch Schule“, fragte er dann scharf und warf seinem Sohn, der ihn um fast einen Kopf überragte einen scharfen Seitenblick zu.

„Nur Geschichte und Sport“, meinte Aomine mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Die Zeit widme ich lieber Mitsu anstatt mich zu langweilen.“

„Junger Mann, du hörst gefälligst auf die Schule zu schwänzen!“ Wahrscheinlich versuchte Akiyama autoritär zu wirken, wie er so dastand, die Hand in der Hüfte abgestützt und mit dem Fleischmesser durch die Luft wedelnd. Aomine’s Reaktion war dementsprechend: ein gelangweiltes Schulterzucken.

Ohne auf die Proteste seines Vaters einzugehen schmiss er das Gemüse in den Kochtopf und wandte sich dann an mich.

„Ich habe mir gedacht, dass du dich sicher langweilen musst mit dem alten Kerl hier den ganzen Tag zuhause und ich habe gedacht, ich nehme dich morgen einfach mit in die Schule. Die Lehrer haben kein Problem damit und danach können wir ins Schwimmbad. Koyama-hakase hat so oder so gesagt, dass dir Schwimmen gut tut“, teilte er mir seinen Plan mit.

Ich musste grinsen und antwortete leicht spöttisch: „Ja falls ich nicht absaufe…“

Aomine verzog das Gesicht.

„Als ob ich das zulassen würde!“

Er beugte sich zu mir hinab und küsste mich.

 

 

 

7. November

 

Es klingelte gerade zur zweiten Stunde. Eigentlich wäre in der ersten Stunde Chemie angestanden, doch hatten wir diese übersprungen, und waren stattdessen auf dem Dach rumgesessen, weil Aomine meinte, dass er das so oder so nicht verstand und es darum auch keinen Sinn machte in den Unterricht zu gehen. Ich hatte keine Ahnung gehabt wie desinteressiert er dem Schulunterricht bewohnte, beziehungsweise, nicht beiwohnte. War es nur meinetwegen oder war das Standart?

Ich fühlte mich etwas unwohl in dem grossen Schulhaus, besonders, da die Touou Academy eine der besseren Schulen war. Wie konnte Aomine sich mit seinem Verhalten eigentlich noch in der Schule halten? Wahrscheinlich wegen seiner ausserordentlichen Leistung im Basketball. Ein solches Talent wollte niemand rauswerfen. Während er mich weiter durch die Gänge Richtung Japanisch-Unterricht schob stellte sich plötzlich jemand in unseren Weg.

Es war Shoichi Imayoshi.

„Wie Sakurai gesagt hat, du hast Besuch dabei wie?“, sprach er uns an. Mit verschränkten Armen und hinter seiner viereckigen Brille hervorlächelnd stand er vor uns. Neugierig betrachtete er mich. Etwas unsicher warf ich einen Blick auf Aomine der zwar auf den Brillenträger schaute, doch war es nicht er, wenn er musterte, sondern den scheuen Jungen der sich scheu hinter dem Grösseren versteckt hielt.

„Ist das nicht der Junge von der Bushaltestelle? Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er mich.

„Lass ihn in Ruhe Imayoshi!“

Die scharfen Worte von Aomine liessen mich zusammenzucken. Ängstlich blickte ich zu ihm hoch, doch er starrte nur warnend auf den Brillenträger. Dieser hob abwehrend die Hände und grinste nur.

„Schon okay! Ich wollte nur fragen, ob unser Ass sich heute mal wieder im Training blicken lassen würde. Wir haben in einer Woche ein Testspiel gegen Kirisaki Daichi und vielleicht würdest du dich zu der Strategie-Besprechung bequemen“, brachte Imayoshi den eigentlich Grund warum er hier war zu Worte.

„Bedauere, aber heute bin ich nur für Mitsu da“, erwiderte Aomine kühle und schien die Sachen schon als erledigt anzusehen, doch hatte er nicht mit mir gerechnet. Ich wandte mich halb im Rollstuhl zu ihm um und setzte den süssten Blick auf den ich im Angebot hatten.

„Ich würde dich so gerne wieder spielen sehen“, sagte ich flehend. Zögernd schaute er auf mich hinab. „Und da du mich heute so oder so den ganzen Tag auf dem Hals hast kannst du doch auch ins Training gehen…“

Er schien sich übergangen zu fühlen, doch nickte er dann langsam zustimmend.

„Ihr schafft mich echt…“, seufzte er. Imayoshi grinste mich an.

„Ich mag dich! Wie heisst du?“

„Mitsuhide Ryota“, antwortete ich und schaute zu ihm hoch.

„Freut mich dich kennenzulernen, Ryota-kun!“

 

Das Prellen des Basketballs und das Quietschen der Turnschuhe auf dem Boden hallten durch die Halle. Das Training war bereits seit zwei Stunden im vollen Gange. Keine einzige von Aomine’s Bewegungen liess ich mir entgehen obwohl es mir einen Stich ins Herz versetzte zu wissen, dass ich niemals wieder spielen konnte. Ich spürte den Seitenblick auf mir. Momoi-san und der Coach, der mir als Katsunori-san vorgestellt worden war, sassen auf der Bank und schafften es nicht den Blick von mir zu nehmen.

Die ganze Zeit schon. Alle starrten sie mich an, besonders wenn Aomine einen von seinen Nein-du-kannst-das-nicht-alleine-Anfällen hatte. Jedoch wagte keiner sich das Maul über mich zu zerreissen, geschweige denn nach dem Grund zu fragen weshalb ich hier war oder weshalb er sich überhaupt so um mich kümmerte. Es war eine ziemlich angespannte Stimmung, wie ich fand.

Nur Imayoshi schien kein Problem damit zu haben. Er lachte und scherzte und hatte sich in der kurzen Pause eigentlich auf ein nettes Schwätzchen zu mir gesetzt, doch meinem Freund schien das irgendwie nicht gepasst zu haben, also hatte er sich mal schnell dazwischen geschoben. Mein Freund… Ich musste lächeln wenn ich daran dachte. Es war irgendwie ein komischer Gedanke, doch es war so, er war mein Freund. Und genauso wie er mein Freund war, war ich ‚Aomine’s Liebling‘ wie die anderen mich nannten. Zwar hatten sie ihre Stimmen versucht gesenkt zu halten, doch wenn an meinem Körper etwas noch einwandfrei funktionierte dann waren es meine Ohren.

Nach einer weiteren halben Stunde Training waren sie fertig. Während die anderen sich schon zu den Duschen aufmachten kam Aomine auf mich zu. Ich lächelte als er mir den Ball hinhielt.

„Magst du spielen?“, fragte er mich, sofort wich das Lächeln aus meinem Gesicht und ich senkte den Kopf.

„Ich kann doch nicht…“, hauchte ich leise und drehte den Ball unsicher zwischen meinen Händen. Ich hatte beinahe vergessen wie rau er sich anfühlte. Wann hatte ich das letzte Mal einen Basketball in den Händen gehalten?

„Dann helfe ich dir!“, sagte Aomine und bevor ich wiedersprechen konnte war er hinter mir getreten und hatte seine Arme um meine Brust gelegt. Mit Leichtigkeit zog er mich aus dem Rollstuhl hoch.

Erschrocken liess ich den Ball fallen und klammerte mich an seinen Armen fest. Meine Füsse standen zwar auf dem Boden, doch er stütze immer noch mein ganzes Gewicht. Ich hatte Angst, dass er auf die dumme Idee kam mich abzustellen. Meine Beine würden mich nicht halten und das einzige was er damit erreichen würde, war mir unglaubliche Schmerze zuzufügen, doch das schien nicht sein Plan gewesen zu sein.

„Baka…“, murmelte er. „Hast du etwa vergessen wie man Basketball spielt? Du solltest den Ball doch werfen, nicht fallen lassen“.

Ich zuckte leicht zusammen bei den rauen Worten. Ich hatte bloss Angst gehabt, doch eigentlich sollte ich ihn gut genug kennen, dass ich wusste, dass er niemals etwas tun würde um mir zu schaden.

„Tut mir leid…“, antwortete ich leise. Er seufzte und setzte mich langsam auf den Boden. Rasch hatte er den Ball zurückgeholt und drückte ihn mir in die Hände.

„Nicht loslassen diesmal, verstanden!“, sagte er streng, doch ich konnte einen Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht sehen, welches meinen Verdruss in Luft auflöste. Ich nickte und begann wieder zu strahlen. Als er mich wieder um die Brust hielt und hochhob um mich zu dem Basketballkorb zu tragen wandte ich meinen Kopf zu ihm und küsste ihn auf die Wange.

„Aomine“, hauchte ich leise.

„Was?“
„Ich hab dir das noch nicht gesagt, doch bin ich mir sicher, dass du es bereits weisst, aber ich will es dir trotzdem sagen“, fuhr ich fort.

„Na los sag schon!“, forderte er mich auf.

„Du bist das Beste was mir je passieren konnte“.

„Ich… also…“, begann Aomine, doch schwieg er dann. Ich musste lächeln. Selbst ein Mann wie Aomine Daiki verschlug es ab und zu die Sprache.

„Wirf jetzt endlich!“, sagte er rasch um nichts darauf antworten zu müssen. Doch es war nicht so, dass er schwieg, weil er nicht dasselbe fühlte, mehr, weil er wohl kein Mann von vielen gefühlsdusseligen Worten war. Ich hob den Ball hoch und warf ihn. Auch wenn ich nicht einmal im Ansatz traf, so pochte mein Herz trotzdem schneller vor Freude und ich bettelte Aomine förmlich auf Knie darum an, mir nochmal einen Versuch zu geben.

 

Touou Gakuen vs. Kirisaki Daichi

 15. November

 

Aufmerksam folgte ich dem Spielverlauf. Die Übermacht mit welcher Gakuen dem Team von Kirisaki gegenüberstand war beeindruckend. Nicht nur Aomine, selbst ein so unsicherer Charakter wie Ryo Sakurai wuchs in diesem unglaublich starken Team weit über sich hinaus. Seine drei-Punkte-Würfe waren faszinierend, doch nicht annähernd so faszinierend wie Aomine. Ich konnte mich nicht gegen die Aussage, dass er ein Monster war stellen. Auf dem Spielfeld war er es auch tatsächlich, selbst jetzt, wo es sich nur um ein Testspiel handelte.

In diesem Moment wurde der erste Viertel des Spiels abgepfiffen. Der Blauhaarige war der erste der das Spielfeld verlassen hatte und liess sich neben mir auf die Bank fallen. Den Rollstuhl hatte ich ausserhalb der Halle abstellen müssen und so war ich ziemlich unflexibel. Wie durch Zufall hatte er seine Hand auf meiner platziert.

„Alles okay? Magst du noch sitzen?“, fragte er leise. Da ich auf der Bank keine Lehne hatte und mich auf meine Armen dauernd abstützen musste, da mein Rücken und Becken sich nicht mehr von selbst in einer geraden Position hielten, war es ziemlich anstrengend für mich so zu sitzen.

„Geht schon“, erwiderte ich lächelnd. „Solange ich dich spielen sehen kann nehme ich dieses kleine Übel auf mich.“
Aomine verzog das Gesicht.

„Ich will nicht, dass du Schmerzen hast… Wir gehen lieber nachhause bevor du dich überanstrengst“, schlug er vor, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„Wenn ich nicht mehr mag setz ich mich einfach auf den Boden, dann kann ich anlehnen“, sagte ich rasch. Auf keinen Fall wollte ich nachhause. Wenn ich schon einmal die Möglichkeit bekam Aomine spielen zu sehen und zudem aus den immer gleichen vier Wänden herauskonnte dann würde ich mir diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen.

„Aomine… der zweite Viertel beginnt“, rief ihn Imayoshi herbei. Die anderen wartete bereits auf dem Spielfeld.

„Ich bleibe diese Runde dra…“, wollte er erwidern doch ich fiel ihm ins Wort: „Geh gefälligst wieder raus! Ich bin nicht hier um dich faul auf der Bank hocken zu sehen!“

„Oioi Aomine, hör besser auf den Kleinen!“, rief Imayoshi im lachend zu. Sich der deutlichen Übermacht beugend stand der Blauhaarige auf und begab sich seufzend zurück auf das Spielfeld. Zufrieden grinste mir der Brillenträger zu, doch ich spürte nach einen anderen Blick auf mir. Einen kalten, eindringlichen. Als ich den Kopf zur Seite wandte schaute ich direkt in die schwarzen, hämischen Augen von Makoto Hanamiya. Mir lief es kalt den Rücken hinab. Dieser Kerl machte mir Angst.

Sie waren in den Top Acht die am Wintercup für Tokio spielen würden, doch verstand ich nicht, wie sie soweit hatten kommen können. Es war nicht so, dass sie besonders gut waren. Doch irgendein ungutes Gefühl sagte mir, dass sie ihren Trumpf noch nicht gespielt hatten. Der Kerl in dem petrolfarbenen Trikot mit der Nummer vier wandte sich von mir ab und zu einem seiner Spielkollegen mit der Nummer Fünf, ein genauso ungemütlich wirkender Kerl mit nach hinten gegelten Haaren.

Der zweite Viertel wurde angepfiffen und das Spiel ging weiter. Doch diesmal spielte Kirisaki Daichi aggressiver, beinahe schon zu aggressiv. Sie scheuten sich nicht die knappsten Pässe zu blocken und waren oftmals kurz vor einem Foul. Es war kein schönes Spiel das sie boten.

Trotz allem hatte Gakuen Mühe sich gegen sie zu behaupten. Meistens passten die anderen Spieler zu Aomine der wie eine Furie über das Spielfeld dribbelte und ohne Mühe seine Körbe warf. Doch die andern waren nicht dumm. Sie spielten in grossen Bögen um Aomine herum und ihre rabiate Spielart forderte schon rasch den ersten Verletzten.

Es war Sakurai der den Ball ins Gesicht bekommen hatte, welchen er nur eine Sekunde zuvor hatte werfen wollen. Sein Gegner, Hiroshi Yamazaki mit der Nummer acht, hatte ihm ‚ausversehen‘ den Ball mitten ins Gesicht geschlagen als er den Wurf ‚abblocken‘ wollte. Es war zwar ein deutliches Foul, doch konnte man es nicht als absichtlich hinstellen. Ich schien nicht der einzige zu sein dem das Spiel nicht gefiel. Momoi-san unterhielt sich leise mit Katsunori-san.

„Von allen Teams mussten wir ausgerechnet gegen Kirisaki Daichi spielen… Es gibt nichts was ich ihnen über dieses Team sagen konnte, nur, dass sie sich vor ihnen in Acht nehmen sollen. Ich mache mir Sorgen um Sakurai, die anderen können damit umgehen aber er…“, murmelte die Managerin.

Nervös wandte ich mich wieder dem Spiel zu.

„Yamazaki!“, rief Hanamiya und schleuderte ihm den Ball entgegen. Der Rothaarige machte sich bereit den Pass anzunehmen, doch anstatt ihn zu fangen, verfehlte der ihn um Haaresbreite. Verfehlen, ich glaubte er hatte ihn absichtlich durchgelassen, doch wieso. Der Ball flog zielsicher ausserhalb des Spielfeldes, so würde Gakuen in den Ballbesitz kommen.

Mein Blick traf für eine Millisekunde den von Yamazaki. Ein heimtückisches Grinsen verunstaltete sein Gesicht und im nächsten Moment schob sich auch schon der grosse, orange Ball in mein Blickfeld. Alles schien viel langsamer abzulaufen und obwohl ich den Ball kommen sah war ich unfähig mich zu bewegen. Im letzten Moment, so schien mir schaffte ich es mich aus meiner Starre zu lösen und riss schützend die Arme über meinen Kopf.

Doch der harte Aufprall gegen meinen zierlichen Körper blieb aus. Ich hörte den Ball, wie er auf den Boden knallte, dann einen Pfiff. Es war totenstill. Zitternd vor Angst hob ich den Kopf. Vor mir hatte sich Aomine aufgebaut. Der Ball war auf der anderen Seite des Spielfelds gelandet, mit solcher Wucht musste er ihn umgeleitet haben.

„Ops… Das ist ja gerade nochmal gut gegangen“, meinte Hanamiya und trat breit grinsend zu uns heran, doch Aomine schien das kein bisschen witzig zu finden. Er packte den Älteren am Kragen und riss ihn halb von den Füssen.
„Du armseliges Schwein, gib zu, dass du das geplant hast!“, fuhr er ihn an.

„Aomine!“, rief ich erschrocken als ich sah wie er ausholte, doch Susa und Wakamatsu waren bereits hinter ihn getreten und hatten die beiden rasch voneinander getrennt. Während der Blauhaarige immer noch vor Wut zu kochen schien, zeigte sich in Hanamiya’s Gesicht keine einzige Regung. Das breite Grinsen wurde nur noch etwas breiter während er sich über dessen Reaktion zu freuen schien.

„Das ist Basketball“, sagte er nur grinsend. „Da verletzt sich halt ab und zu jemand.“

Aomine riss sich von seinen beiden Teamkollegen los und wollte ihm erneut an die Kehle, doch Imayoshi baute sich vor ihm auf.

„Lass es gut sein!“, versuchte er ihn zu beruhigen, doch er schien nicht gewillt den anderen einfach so davonkommen zu lassen.

„Wenn du dich mit wem anlegen willst, dann such dir gefälligst jemanden von deinem Format aus und vergreif dich nicht an kleinen Jungs! Oder hast du etwa Angst? Hat dir niemand gesagt, dass wir Basketball spielen? Da verletzt sich halt ab und zu jemand“.

„Aomine, es reicht!“, schaltete sich nun auch Katsunori dazwischen. „Entweder reisst du dich zusammen oder ich stelle dich vom Platz!“

Einen unendlich langen Moment schien er die Worte des Coaches ignorieren zu wollen, doch dann löste er sich aus seiner aggressiven Haltung und wandte sich von Hanamiya ab. Seine Teamkollegen schienen erleichtert aufzuatmen. Das Spiel ging weiter, doch war die Spannung auf dem Spielfeld deutlich zu spüren.

„Ich habe Aomine-kun noch nie so ausser sich gesehen…“, flüsterte Momoi-san zu dem Couch der schweigend den Verlauf des Spiels verfolgte. Er hatte die Arme verschränkt und schaute dann zu der jungen Frau hin, doch sein Blick blieb nicht auf ihr ruhen, sondern wanderte weiter zu mir. Als er mich anschaute wandte ich den Kopf rasch ab.

Ich hatte das ungute Gefühl, dass Katsunori-san mich nicht besonders mochte.

„Ich habe ihn noch nie an einem Testspiel gesehen, als Imayoshi mir gesagt hat, dass er kommen wir dachte ich erst, er will mich auf den Armen nehmen“, antwortete er Momoi, doch liess er mich keine Sekunde aus den Augen. Sein Blick lag ruhig auf mir und machte mich nervös.

„Mitsuhide-kun…“

„Eh… ja?“ Unsicher wandte ich mich an Momoi die mich angesprochen hatte. Sie lächelte mich warm an und sagte: „Verdreh Aomine-kun den Kopf nicht zu sehr!“

 

Das Wasser rann an meinem vor Lust zitternden Körper hinab. Ich hatte meine Arme um Aomine’s Schulter gelegt und mich eng an ihn gezogen, während er mich gegen die Wand drückte. Immer wieder stiess er in mich. Ein ungehemmtes Stöhnen entwich meinen Lippen als er diesen Punkt in mir traf. Gierig suchte ich seine Lippen und küsste ihn innig.

Er drückte meine Beine mehr nach oben um besseren Zugang zu meinem Hintern zu bekommen. Als er sich komplett in mich stiess keuchte ich erneut auf, ich konnte mich nicht mehr auf den Kuss konzentrieren. Nach Luft schnappend liess ich meinen Kopf gegen die Wand sinken. Seine Lippen wanderten weiter an meinen Hals wo er in meine weiche Haut biss. Ich spürte seine Zähne über meine Haut gleiten und ein süsser Schmerz breitete sich an der Stelle aus.

Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Mein ganzer Unterleib begann sich zusammen zu ziehen. Aomine stöhnte ebenfalls als sich mein Anus um sein Glied verengte. Beinahe zeitgleich kamen wir. Noch bevor mein Körper sich wieder richtig gefangen hatte spürte ich seine Lippen auf meinen und kurz darauf seine Zunge die sich fordernd in meinen Mund schob.

Alle Muskeln in meinem Körper schienen sich zu entspannen. Erschöpft liess ich mich gegen seinen Körper sinken und lehnte meinen Kopf auf seine Schulter. Sanft löste er sein Glied aus mir. Immer wenn wir es taten fühlte ich mich danach richtig erschöpft, doch das war es eindeutig wert.

Ich spürte seine Hände über meinen Körper streichen, als er das Sperma von meinem Hintern wusch, das aus mir heraustropfte.

Er schaltete das Wasser ab und setzte mich auf dem Duschboden ab. Besorgt strich er über meine Wange.

„Alles okay?“, hauchte er leise. Ich nickte und liess ein Lächeln über meine Lippen wandern.

„Du warst heute nur ziemlich…“ aggressiv, war das Wort das ich hatte gebrauchen wollen, doch irgendwie schien es mir falsch.

„Entschuldige… Ich war nur so unglaublich wütend wegen Hanamiya. Ich habe mich so hilflos gefühlt, weil er dich ständig angegriffen hat und ich nichts dagegen tun konnte.“

„Du hättest ihm trotzdem keine Reinhauen müssen…“, korrigierte ich ihn. Es war in der Halbzeit gewesen, als wir kurz rausgegangen waren um frische Luft zu schnappen. Aomine hatte mich etwas Abseits gebracht um ungestört mit mir zu sein, da war plötzlich der Schwarzhaarige dazu getreten. Er hatte mich angerempelt und irgend sowas wie ‚Hab dich gar nicht gesehen so weit unten wie du bist‘ sagen wollen, doch Aomine’s Faust hatte ihn vorzeitig zum Schweigen gebracht.

„Er hat es verdient“, knurrte Aomine zu seiner Verteidigung.

„Die Anderen mussten dich gewaltsam von ihm trennen“, warf ich ein.

Er rieb sich übers Gesicht. Dann nochmal. Ich starrte ihn an. Er… er weinte?

„Aomine?“, hauchte ich unsicher und griff vorsichtig nach seinem Arm.

„Es tut mir leid“, keuchte er. „Ich fühl mich nur so hilflos. Ich will dich beschützen und doch kann ich es nicht, ich kann nur wehrlos daneben stehen und zuschauen wie dein Körper langsam stirbt. Ich dachte ich schaff das, ich dachte es gibt irgendeinen Weg dir zu helfen, aber um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung. Es macht mir Angst, weil ich das erste Mal in meinem Leben nicht weiss was ich tun soll. Ich will dich nicht verlieren!“

Ich starrte ihn an, nicht fähig etwas zu tun. Mühsam schob ich mich näher zu ihm und legte meine Arme um ihn.

„Ich hatte keine Ahnung wie du dich fühlst“, hauchte ich leise und zog ihn enger an mich. Sein Körper zitterte leicht, er wagte es nicht einmal mich anzusehen, als ob er sich für seine Tränen schämte. Er zog mich an sich und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter.

„Wir kriegen das schon irgendwie hin…“, flüsterte ich leise in sein Ohr und streichelte über seinen Rücken.

„Es tut mir so leid.“ Er unterdrückte ein Schluchzen. In meinen Augen sammelten sich ebenfalls Tränen. Aomine war meine Stütze und ihn so zu sehen machte mir Angst. Die Worte die er mir damals gesagt hatte, begann er selbst daran zu zweifeln?

Happy Birthday

19. Dezember

 

Es war der letzte Schultag in diesem Jahr und so war die Schule mittags aus gewesen, damit die Schüler sich am Nachmittag mit ihrem Clubaktivitäten beschäftigen konnten. Aomine hatte mich oft mit in die Schule genommen, besonders wenn sie Basketballtraining hatten und so hatte ich mich rasch mit den anderen angefreundet. Besonders mit Imayoshi verstand ich mich zu meinem Erstaunen ziemlich gut. Wakamatsu und Susa waren ebenfalls ganz okay, die anderen Spieler hielten sich eher im Hintergrund. Genauso wie Sakurai. Er redete nicht oft mit mir, selbst wenn ich ihn ansprach hielt er sich zurück, doch ich glaubte oft, mich von ihm beobachtet zu fühlen.

Momoi-san hatte mich ebenfalls rasch in ihr Herz geschlossen. Manchmal kam ich mir vor wie ein kleiner Hund wenn sie um mich herumwuselte.

Wir, Aomine, Momoi und ich, hatten uns gegen sieben Uhr von den anderen verabschiedet die in der Turnhalle ein verführtes Neu Jahr zu feiern begonnen hatten, Aomine und ich, weil ich um halb acht meine letzten Medikamente nehmen musste und Momoi weil sie keine Lust hatte alleine nachhause zu laufen. Sie begleitete uns praktisch immer Nachhause, ausser wenn Aomine entschied, das er für heute genug von der Schule hatte und wieder einmal früher nachhause ging. Meine Proteste, dass Schule wichtig sei, ignorierte er dabei freundlich.

Doch ich hatte aufgehört ihn umzustimmen zu versuchen, egal in was. Ich war müde geworden. Alles war anstrengend, selbst das Zubettgehen war eine Tortur gewesen, solange bis ich einfach aufgegeben hatte mich gegen Aomine’s Hilfe zu wehren. Ich war an einem Punkt angekommen an dem ich ohne ihn total aufgeschmissen war und es machte mir Angst.

Egal um was es ging er tat alles für mich ohne, dass ich ein Wort zu sagen brauchte. Seit ich mich zuhause eingelebt hatte, hatte Akiyama-san seine Heimarbeit beendet und war wieder öfters weg. Teilweise oft eine ganze Woche und die Tage die er bei uns wohnte waren selten. Anscheinend war er auch oft wegen seiner Firma in der USA unterwegs.

„Mitsu?“
Jemand schnipste mir gegen den Hinterkopf. Erschrocken zuckte ich zusammen und wandte mich dann träge zu Aomine um der sich zu mir hinabgebeugt hatte.

„Satsuki geht nachhause“, teilte er mir mit. Rasch wandte ich mich an die Pinkhaarige.

„Mh… Schlaf gut Momoi-san“, murmelte ich immer noch etwas abwesend. Sie rief mir noch irgendwas zu bevor sie den anderen Weg entlanglief. Wir blieben auf der leeren Strasse zurück. Es war erstaunlich wenig Verkehr für einen Freitagabend. Nur ab und zu fuhr ein Auto vorbei.

Obwohl Momoi bereits vor ein paar Minuten aus unserem Sichtfeld verschwunden war, bewegten wir uns nicht weiter. Ich starrte unverwandt auf den asphaltierten Boden zu meinen Füssen. Mein Nacken schmerzte. Am liebsten würde ich mich hinlegen.

Eine warme Hand strich über mein Kinn und zog meinen Kopf nach hinten, sodass ich ihn in den Nacken legen musste. Er hatte sich über mich gebeugt und fixierte mich mit seinen dunklen Augen. Ich erwiderte seinen Blick ruhig.

„Du bist so still die letzten Tage…“, sagte er und strich mir eine weisse Strähne aus dem Gesicht. Sie reichten mir nun bis über die Augen, doch schneiden lassen wollte ich sie nicht.

„Ich bin nur müde“.

„Du hattest schon originellere Ausreden“.

Ich seufzte leise und schloss die Augen. Es stimmte doch, ich war müde. Physisch und Psychisch bis an meine Grenzen getrieben.

„Bitte lass uns nachhause gehen“, murmelte ich und hob mühsam meinen Kopf in eine senkrechte Position. Er sagte nichts mehr und brachte mich schweigend zurück zu der Wohnung. Dort duschten wir und als er mich in ein lockeren Pulli und Trainerhosen verfrachtet hatte machte er sich daran etwas zu kochen. Ich lag rücklings auf dem Bett und starrte die Decke an. Es war zu anstrengend geworden ein Buch hochzuhalten oder mich auf dem Bauch auf den Ellbogen abzustützen um so bessere lesen zu können. Also tat ich das Einzige was mir noch möglich war, nichts.

Die Tür ging leise quietschend auf und Aomine schob sich mit einem Tablett in das Zimmer. Dem Geruch nach gab es etwas mit Huhn und als er das Tablett auf dem Nachttisch abstellte bestätigte sich meine Vermutung. Es gab Chicken Teriyaki mit Nudeln. Wie so oft wenn wir im Bett assen hatte er nur einen Teller angerichtet.

Mühsam richtete ich mich auf, erst lehnte ich mich zur Seite um erst den linken Arm in Position zu bringen und mich dann mit dem Rechten hochzudrücken.

Aomine setzte sich neben mich aufs Bett und zog mich auf seine Beine. Erschöpft von der kurzen Anstrengung liess ich mich gegen ihn sinken.

„Manchmal wünschte ich mir es wäre bereits vorbei…“, murmelte ich leise, meine Stimme war kaum mehr als ein tonloses Flüstern. Aomine packte mich an meinen Handgelenken und hatte mich innert Zehntelsekunden unter sich auf das Bett gedrückt. Erschrocken starrte ich ihn an. Sein Griff um meine Unterarme schmerzte.

„Untersteh dich noch einmal sowas zu sagen!“, fuhr er mich an. „Gib nicht einfach so auf! Klar ist es schwer für dich und das verstehe ich, doch ich bin bei dir! Vergiss das nie!“

Ich schwieg. Nicht einmal in seine Augen konnte ich sehen. Die Stille zwischen uns wurde beinahe unerträglich.

„Mitsu…“, begann Aomine. Ich versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, doch ich konnte es genauso wenig verbergen wie die Tränen die über meine Wangen rollten.

Ich wusste, dass er für mich da war, das wusste ich doch. Aber ein Teil in mir hatte sich bereits mit meinem Schicksal abgefunden und der andere Teil… nun das war der letzte Rest meiner rebellischen, alten Seele die sich einfach nicht damit abfinden KONNTE und alles daran setzen wollte bei Aomine zu bleiben. Doch das konnte ich nicht. Ich würde ihn verlieren.

„Es tut mir leid ich wollte dich nicht zum Weinen bringen“, entschuldigte er sich sofort und strich mir die Träne aus dem Augenwinkel.

„Nein… das war nicht deine Schuld. Ich will nur noch so gerne so viele Dinge machen in meinem Leben… aber ich kann doch noch nicht mal umarmen wenn ich das will“, erwiderte ich, immer noch nicht fähig ihn anzusehen.

„Ach du…“

Seine Lippen berührten sanft meine. Seine warmen, tröstenden Lippen. Ich schloss die Augen und war dankbar, dass er meine Arme festhielt. So konnte ich wenigstens nicht in Versuchung geraten meine Arme um ihn zu legen.

 

 

 

23. Dezember

 

Ich lag wach in dem Bett, alleine. Aomine war gegangen, bevor ich aufgewacht war obwohl ich mir heute seine Nähe am meisten gewünscht hätte. Um ehrlich zu sein war es das einzige was ich mir gewünscht hatte. Heute, an dem Tag wo ich mir alles hätte wünschen können, denn ja, es war wieder mal soweit: Ich hatte ein weiteres Jahr überstanden.

Jemand klopfte an der Tür. In mir flackerte die kurze Hoffnung auf, dass es Aomine war, doch es war nur Akiyama-san der gestern Abend aus California zurückgekommen war. Also ‚nur‘. Er kümmerte sich um mich als ob ich sein eigener Sohn wäre, doch ich sehnte mich nicht nach einem Vater, ich sehnte mich nach Aomine, und das obwohl wir uns erst noch gestern Abend gesehen hatten.

Ich hatte nur kurz den Kopf gewandt, er lächelte mir zu, doch ich konnte mir kein Lächeln abringen. Mühsam drehte ich den Kopf zurück und starrte wieder die Decke an, doch das hielt ihn nicht ab trotzdem zu mir ins Zimmer zu kommen.

„Happy Birthday du kleine Schlafmütze!“, sagte Akiyama aufmunternd lächelnd und setzte sich neben mich. „Ich soll dir von Daiki ausrichten, dass er noch etwas zu erledigen hatte und bald wieder zurückkommt“. Ich erwiderte nichts. Es war unhöflich das wusste ich, doch ich wollte nicht reden. Ich mochte nicht reden. Den Mund aufzumachen war viel zu anstrengend um den Aufwand zu machen.

„Hast du Hunger? Du hättest deine Medikamente vor einer halben Stunde bereits nehmen sollen doch ich war mir nicht sicher ob du noch schläfst“, fuhr er fort. Ich nickte nur und liess mich dann in meinen Rollstuhl setzen.

 

Ich hatte mein Frühstück beendet und starrte auf den grossen Flachbildschirm. Es lief irgendeine Kochsendung, oder es war irgendwann mal eine Kochsendung gelaufen. Nun spielte sich Dauerwerbung auf dem Bildschirm ab. Seufzend drückte ich auf den roten Knopf und das schwarze, monotone Bild erschien wieder. Ich regte mich immer noch nicht.

Nicht einmal das Klingeln der Haustür konnte mich aus meiner Starre befreien. Ich hörte Akiyama-san’s Schritte und spürte seinen besorgten Blick auf mir ruhen, doch er sagte nichts.

„Oh, Imayoshi-kun, du bist zu früh“.

Imayoshi? Was suchte denn der hier?

Im nächsten Moment schob sich der Brillenträger auch schon in die Wohnung.

„Hier ist ja unser Geburtstagskind“. Mit den Worten kam er auf mich zu und nahm mich einfach in den Arm. Ich kannte zwar das unbeschwerte Wesen des Teamkapitäns doch er überforderte mich im Moment trotzdem ziemlich. Ich konnte ihn nicht einmal zur Seite schieben.

„Ich würde dir ja dein Geburtstagsgeschenk jetzt schon geben aber Aomine würde mich umbringen wenn ich seine ganzen Pläne durcheinanderbringe“, sagte er und es kam mir so vor, als ob er nicht wirklich viel darüber nachgedacht hatte was er eben gesagt hatte.

„Aomine hat dich eingeladen?“, fragte ich langsam.

„Mhm, und der Gute hat mal wieder Verspätung!“, antwortete er und schaute dabei kritisch auf seine Uhr. Im fast selben Moment klingelte die Haustür erneut. Wenn Imayoshi hier war musste Aomine bestimmt noch andere eingeladen haben und genau so war es auch, denn vor der Tür standen nun Susa, Wakamatsu und Sakurai.

Ich wurde ziemlich nervös, da Aomine immer noch nicht da war und es das erste Mal war, dass ich mit seinen Teamkollegen alleine war. Wie kam er überhaupt auf die Idee sie an meinem Geburtstag einzuladen? Klar mochte ich sie, doch hatte ich kein besonders starkes Bedürfnis Leute zu sehen. Akiyama hatte unterdessen den Versuch zu Arbeiten aufgegeben und verteilte allen Getränken. Die Stimmung war weniger angespannt als ich erst gedacht hatte. Um ehrlich zu sein konnte ich mir ein Lächeln ebenfalls nicht verkneifen.

Imayoshi hatte den Arm um meine Schulter gelegt und hockte mit einem Bier in der Hand neben mir.

„Sag mal Ryota-kun, wie funktioniert das eigentlich mit dir und Aomine im Bett?“, fragte er ganz unverblümt.

„Eh?“ Geschockt starrte ich ihn an. Wie konnte man sowas einfach fragen?

„Imayoshi lass Mitsu in Ruhe oder du erfährst gleich am eigenen Leib wie das abläuft!“ Die Tür knallte gegen die Hauswand und Aomine stand in der Eingangstür. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und funkelte Imayoshi warnend an. Dieser erwiderte den Blick gelassen grinsend, nahm jedoch seinen Arm von mir und rückte ein Stück zur Seite.

Aomine kam direkt zu mir, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und während ich so naiv zu ihm hochschaute spürte ich wie die anderen versuchten nicht hinzusehen. Doch nur kurz küsste er mich, bevor er sich wieder von mir löste.

„Happy Birthday mein Engel!“, flüsterte er lächelnd. „Entschuldige, dass ich so früh gegangen bin, aber ich musste noch einige Dinge erledigen!“

Fast im selben Moment hörte ich das Klacken eines Gehstockes im Gang vor der Tür und Momoi’s Stimme: „Nicht so schnell, wir haben alle Zeit der Welt!“ Und wer im nächsten Augenblick durch die immer noch offene Haustür trat war niemand anderes als mein Grossvater. Er war zwar vorher schon von vielen Falten gezeichnet gewesen, doch hatte ich das Gefühl das sie seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte noch tiefer geworden waren. Seine Haltung war leicht gekrümmt und er stützte sich schwer auf seinen Gehstock. Mit dem anderen Arm hatte er sich bei Momoi eingehackt die ihn vorsichtig Schritt für Schritt voranleitete.

„Oji-san?“ Verwunderung, Erleichterung, unbändige Freude. Das alles fühlte ich im Moment, doch im Selben unendliche Trauer. So gerne wollte ich aufstehen und zu ihm hingehen. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, doch das alles konnte ich nicht. Doch ich wollte keine Trübsal blasse.

„Mitsu-kun, Happy Birthday mein Junge!“ Er war bis zu mir herangetreten und machte sich mit etwas Mühe daran mich zu umarmen.

Ja und dann… dann feierten wir meinen Geburtstag. Für mich war es das erste Mal, denn Freunde hatte ich so oder so keine gehabt die ich hätte einladen können und da meine Grosseltern ihren Geburtstag selbst auch nie gefeiert hatten, hatte mich das gar nicht so gross gestört. Dennoch genoss ich es.

Mein Grossvater hockte neben mir und während die anderen sich ziemlich ausgelassen unterhielten und es zwischendurch auch etwas lauter wurde, sprachen wir etwas leiser miteinander. Anscheinend gab es in seinem Altersheim eine sehr nette Dame. Er wollte zwar nicht weiter darauf eingehen, doch ich sein verträumter Gesichtsausdruck sagte alles. Liebe kannte nunmal keine Grenzen. Es war schon gegen fünf Uhr als Akiyama-san meinen Grossvater wieder zurück ins Altersheim brachte.

Doch die anderen blieben noch. Imayoshi und Susa hatte wohl schon das ein oder andere Bier getrunken und begann ausgelassen Happy Birthday auf Englisch zu singen, was sich ziemlich witzig anhörte. Nach einer Weile stand der Brillenträger auf den Couchtisch und hob seine neue Bierflasche.

„Hört mal her, also ich als Teamkapitän habe entschieden, mit einstimmiger Annahme des ganzen Teams, dass wir Ryota-kun hier, obwohl er erst nächstes Jahr zu uns in die High-School kommen wird, jetzt schon in unser Basketballteam aufnehmen werden!“ Während er sprach packte Susa etwas aus und reichte es ihm.

„Somit freue ich mich dir hiermit dich in die Position des Maskottchens zu stellen!“, fuhr er fort und reichte mir ein Packet. Es war weich und beweglich. Das Papier knisterte zwischen meinen Fingern. In weiser Voraussicht hatten sie kein Band darum getan sondern einfach eine Schleife draufgeklebt, doch es war so oder so schon schwierig genug es auszupacken. Doch bevor ich die Aufgabe zu sehr in die Länge zog hatte Aomine, der nun neben mir sass, meine Hände genommen um mir zu helfen.

Unter dem roten Geschenkpapier kam ein originales Gakuen-Trickot hervor, jedoch anstatt einer Nummer war ein dunkelroter Stern draufgedruckt. Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte. Stotternd begann ich vor mich hin zu murmeln: „Aber ich gehe doch gar nicht mehr zur Schule“.

„Keine Ausreden! Nur weil du dich vor der Schule drückst heisst das nicht, dass du um den Basketballclub herumkommst! Du gehörst jetzt zu der ersten Wahl also hast du Anwesenheitspflicht!“, befahl mir Aomine, doch sein Tonfall war sanft und in seinen Augen sah ich einen lieblichen Ausdruck. Er küsste mich auf die Schläfe.

„D-danke…“, murmelte ich leicht verlegen.

 

Es war weit nach Mitternacht als wir die anderen endlich aus der Wohnung bekommen hatten. Akiyama-san hatte gegen neun einen Anruf bekommen und war danach aufgebrochen, wohin hatte er nicht gesagt, nur, dass wir nicht auf ihn warten sollten. Aomine’s Gesichtsausdruck zufolge wusste er wohin er gegangen war und auch, dass er nicht besonders begeistert zu sein schien, doch er hatte nicht darüber reden wollen.

Doch mir konnte es noch so recht sein, dass Akiyama nicht zuhause war. Ich hockte im Bett und schaute auf meine Beine. Aomine war noch im Bad, doch er würde jeden Moment kommen. Unterdessen versuchte ich mir die Worte die ich ihm sagen wollte zurecht zu legen, darauf bedacht, dass ich schlussendlich doch etwas ganz anderes sagen würde.

Seit dem Spiel gegen Kirisaki Daichi hatte er mich nicht mehr angefasst, auf diese Art. Aomine’s Schatten fiel auf den Boden und schon betrat er den Raum. Er trug Boxershorts und ein lockeres Shirt wie er es im Winter immer zum Schlafen trug. Einen Moment lang wünschte ich mir, dass er den ersten Schritt von sich aus tun würde, doch er hockte sich nur neben mich ins Bett, wie immer und half mir mich hinzulegen.

Während er uns beide zudeckte versuchte ich den Mut zu fassen das anzusprechen. Ich sollte mich nicht so benehmen, es war schliesslich nicht so, dass wir noch nie Sex gehabt hätten. Wie unfair die Welt doch war. Ein anderer hätte ihn nun einfach Küssen können und so klar machen, was er wollte, doch ich musste all meine Wünsche in Worte fassen.

„Aomine…“, murmelte ich leise. Ich schluckte. Meine Stimme war kaum mehr als leeres Flüstern.

„Was denn?“, fragte er und strich mir durch die Haare.

Ich biss mir kurz auf die Lippen, hob dann aber den Kopf und schaute ihn an.

„Lass es uns tun!“

Etwas verwirrt schaute er mich an.

„Mitsu ich weiss nicht ob das eine gute Idee…“, begann er doch ich schnitt ihm das Wort im Munde ab.

„Ich will aber! Und wer weiss wie lange ich überhaupt noch dazu in der Lage bin…“  So energisch wie ich anfangen hatte so leise beendete ich meinen Satz. Doch genau so war es. Der Muskelschwund betraf meinen GANZEN Körper. Somit würde ich irgendwann nicht mehr Schlucken können, ich würde Erektionsprobleme haben, vielleicht würde ich irgendwann nicht einmal mehr meine Augen öffnen können weil die Muskeln in meinen Augenliedern zu schwach waren.

„Aber wenn du nicht willst ist es okay“, murmelte ich und wandte den Kopf ab. Ich hasste mein Leben.

Doch bevor ich wusste wie mir geschah war Aomine über mir. Seine eine Hand fuhr über meinen Oberschenkel und zog mein Bein sanft hoch. Ich spürte seine Erektion mehr als deutlich an meinem Becken.

„Baka…“, hauchte er in mein Ohr. „Es zerreisst mich fast, so sehr will ich dich berühren, aber ich will dir nicht schaden, verstehst du das?“

Ich konnte nur nicken. Hitze überkam mich. Geniesserisch schloss ich die Augen als ich seine Lippen an meinem Ohr spürte, dann an meinem Hals. Sie sogen sich dort fest während er sein Becken von mir weghob und sich daran machte meine Hosen auszuziehen ohne jedoch von meinem Hals abzulassen. Erst als er mein Shirt auszog löste er seine Lippen von mir. Mein Hals kribbelte.

Kaum hatte er mein Shirt in eine Ecke des Zimmers geworfen machte er sich daran meinen Oberkörper zu liebkosen. Doch er schien es selbst kaum noch auszuhalten. Verständlich, das letzte Mal das wir es getan hatten lag schon über einen Monat zurück. Mit raschen Bewegungen hatte er sein eigenes Shirt und Boxer ausgezogen welche ebenfalls auf dem Fussboden landeten. Stürmisch küsste er mich und griff nach meinen Armen um diese um seinen Nacken zu legen.

„Darf ich?“, hauchte er. Ich konnte die Ungeduld in seiner Stimme hören.

„Mhm…“, brauchte ich nur hervor und hielt die Luft an. Sanft schob er sich in mich und drückte meine Beine weiter hoch um noch tiefer eindringen zu können.

Ein kurzes Keuchen verliess meine Lippen, die jedoch sofort wieder von einem innigen Kuss versiegelt wurden.

Er löste sich nur noch kurz von mir und flüsterte in mein Ohr: „Ich lieb dich so sehr!“

 

Grüsse aus Osaka

28. Dezember

 

Seit drei Tagen waren wir in Osaka. Aomine hatte auf das Trainingslager vom Basketball-Club verzichtet und war stattdessen mit mir zu seiner Mutter gefahren. Erst war mir etwas unwohl bei dem Gedanken gewesen, doch egal was ich gesagt hätte, Aomine hatte sich nicht umstimmen lassen wollen. Er meinte, dass ich mich nur noch in der Wohnung verkroch, was irgendwie auch stimmte. Ich wollte nicht nach draussen und die ganzen mitleidigen Gesichter sehen. Ich wollte gar niemanden sehen.

Seine Mutter, ihr neuer Freund und seine beiden Kinder wohnten in einem ziemlich grossen Haus am Stadtrand. Ich erinnerte mich daran, dass Aomine mir gesagt hatte, dass sie eigentlich keine Kinder wollte und doch kümmerte sie sich so herzlich um die beiden zwölf- und sechzehn-jährigen Mädchen als ob es ihre eigenen wären. Aomine schien das nicht zu stören, ganz im Gegenteil, er schien sich prächtig mit seinen Stiefschwestern zu verstehen, ebenso mit dem Freund seiner Mutter.

Die beiden Mädchen, Chiyoko und Maiko, waren ziemlich freundlich zu mir, obwohl ich selten das Zimmer verliess ausser zu den Esszeiten und wenn Aomine mich mit nach draussen schleppte. Gestern hatten sie mich mit ins Osaka Castle genommen und vorgestern waren wir in dem grossen Aquarium gewesen. Es war… nett gewesen, doch mir ging es schon seit einigen Tagen schlechter. Natürlich hatte ich nichts gesagt, weil ich dachte, dass es wieder besser werden würde, doch Momentan sah es nicht so aus.

Ich hatte bloss um ein halbe Stunde Ruhe gebeten und so hatte Aomine mich in unser Zimmer gebracht. Auf meinen Wunsch hin war er wieder nach unten gegangen, doch kaum hatte er den Raum verlassen sehnte ich mich nach ihm. Dennoch hatte ich versucht die Augen zu schliessen und eine Weile zu schlafen. Doch ich konnte nicht. Meine Lunge schmerzte und ich hatte Mühe zu Atmen. Mit geschlossenen Augen lag ich da. Mein Atem ging langsam und flach. Ich wollte noch Aomine rufen, doch kaum ein Laut verliess meinen Mund. Ich musste nach unten. Der Druck in meinem Hals wurde stärker als ich versuchte zu atmen.

Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Panik machte sich in mir breit. Ich wusste gar nicht was mir durch den Kopf ging als ich mich über zur Seite rollte und versuchte in meinen Rollstuhl zu kommen. Ich schaffte es nicht einmal den Arm richtig auszustrecken als ich das Gleichgewicht verlor und auf den Boden knallte.

Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Ich versuchte mich aufzurichten doch meine Arme reagierten kaum. Alles um mich herum wurde schwarz. Mein Kopf begann zu schmerzen. Es fühlte sich an als ob ein riesiger Fels auf meiner Lunge lag. Ich konnte nicht atmen. Aomine…

Ich hörte Schritte und die Tür knallen.

„Mitsu?“ Seine panische Stimme drang an mein Ohr. Doch sie tönte so weit entfernt.

„Ruft einen Notarzt. Mitsu, bleib bei mir!“ Ich spürte eine warme Hand auf meiner Wange, eine andere hielt mir die Nase zu und im nächsten Moment legte jemand seine Lippen auf meine. Luft wurde mir in den Mund geblasen. Die Lippen lösten sich wieder von mir. Aomine war da, alles war gut. Ich beruhigte mich etwas, alles war gut, er würde auf mich aufpassen. Langsam atmete ich wieder aus. Doch meine Lunge weigerte sich immer noch zu arbeiten. Erneut legte er seine Lippen auf meine und blies Luft in mich.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern bevor er diesen Vorgang unterbrach. Seine Hände lösten sich von mir. Panik kam in mir auf. Was war los? Aomine? Doch dann spürte ich seine Hand auf meiner. Jemand anderes hatte sich neben mich gekniet und fühlte nach meinem Puls.

„Erhöhter Puls, ich brauche die Atemmaske“, konnte ich eine fremde Stimme hören. Das wohl eben genannte Objekt wurde mir über mein Gesicht gelegt und eng um meinen Kopf befestigt. Im nächsten Moment spürte ich wie sich meine Lunge wieder mit Luft füllte. Der Druck auf meiner Lunge liess nach.

Aomine hob meine Hand hoch und drückte sie gegen seine Stirn. Ich spürte wie sein Körper leicht zitterte. Eine kühle Träne rann von seiner Wange über meinen Arm.

„Sir, es geht ihm gut. Seine Werte stabilisieren sich bereits wieder. Er wird bestimmt durchkommen“, sagte die eine fremde Stimme die ich schon vorher gehört hatte.

„Nein… nein das wird er nicht…“, flüsterte Aomine, beinahe so leise, dass ich es nicht hören konnte. Sanft strich er mir die Haare aus dem Gesicht und küsste meinen Handrücken. Träge öffnete ich meine Augenlieder einen Spalt und schaute hoch zu ihm. Seine Augen waren feucht von den Tränen doch er wirkte erschreckend gefasst.

 

 

 

29. Dezember

 

Ich war die ganze Nacht im Krankenhaus gewesen, da ich an der Beatmungsmaschine bleiben musste. Aomine war keine Sekunde von meiner Seite gewichen, selbst die Ärzte hatten ihn nicht weggebracht. Trotz den schlimmsten Vermutungen meinten sie, dass ich bloss über Nacht eine Atemmaske benötigen würde um meine Lunge in dieser Zeit zu entlasten, und tagsüber je nach Bedarf. Doch umso weniger ich sie brauchen würde umso besser.

Dennoch wollten sie sich auf keine fixe Diagnose festlegen, da sie meine Krankengeschichte bloss aus den Akten kannten die mein Hausarzt dem hiesigen Krankenhaus heute Morgen zugeschickt hatte. Sie hatten mich möglichst schnell nach Tokio zurückschicken wollen, damit ich dort dementsprechend behandelt werden konnte. Gegen Mittag hatten sie bereits einen Krankenwagen organisiert, der mich in das Krankenhaus nach Tokio brachte.

Seit dem Vorfall gestern hatte ich wenig mit Aomine gesprochen. Er war bei mir, und verliess den Platz an meiner Seite nur widerwillig wenn überhaupt, doch niemand von uns mochte ein Wort sagen. Es war diese unsichtbare Wand zwischen uns, genau wie das letzte Mal als ich im Krankenhaus gelegen hatte, damals, als ich in den Rollstuhl gekommen war. Keine zwei Monate war das her, doch für mich fühlte es sich an wie eine Ewigkeit.

Koyama-hakase hatte mich wieder nachhause geschickt am Abend, jedoch musste ich über Nacht eine Atemmaske tragen und zudem auf dem Rücken schlafen, da ich mich nicht in den Kabeln verheddern durfte. Ich beobachtete Aomine dabei wie er die Maschine einstellte. Als ich in Tokio angekommen war hatten sie mich von dem Beatmungsgerät vorerst befreit, doch stand ich unter ständiger Beobachtung. Eine der Krankenschwestern hatte Aomine erklärt wie die Beatmungsmaschine funktionierte und hatte uns so nachhause entlassen.

„So…“, sagte er und hockte sich neben mich auf das Bett. Vorsichtig hob er meinen Kopf an und setzte mir die Maske auf. Nicht wie im Krankenhaus lag sie lediglich über meiner Nase und hatte ein Band das über eine Stirn verlief, sowie über meine Wange. Wenigstens wurde ich so nicht beim Sprechen gehindert. Aomine schaltete das Gerät ein und ich spürte wie sich meine Lunge automatisch hob und senkte. Anfangs versuchte ich mich aus Reflex dagegen zu wehren doch meine geschwächten und überstrapazierten Muskeln begannen lediglich zu brennen vor Anstrengung also ergab ich mich einfach und liess die Maschine ihre Arbeit tun.

Vorsichtig kletterte er über mich hinweglegte. Er legte sich neben mich hin und zog die Decke über uns. Sanft strich er mir eine letzte Strähne unter dem Band hervor.

„Alles okay?“, hauchte er leise.

„Mhm…“, murmelte ich und lehnte meinen Kopf etwas zur Seite gegen seine Brust. „Ich bin nur müde.“

Er zog mich etwas enger an sich und streichelte immer wieder durch meine Haare. 

Bis morgen

5. Januar

 

Heute war der erste Schultag nach den Ferien und da sich mein Zustand zusehends verschlechtert hatte, hatte Aomine mich gestern Abend ins Krankenhaus gebracht. Akiyama-san würde erst am Mittwoch von seiner Geschäftsreise in die USA zurückkommen und meine Verfassung liess es nicht mehr zu, dass er mich mit in die Schule nahm.

Zu allem hinzu kam, dass an diesem Samstag das erste Spiel des Winter Cups stattfand. Gakuen würde erneut gegen Seirin spielen. Jedoch hatten diese beim Inter-High bereits gegen Aomine und sein Team verloren. Höchstwahrscheinlich würde es ein ziemlich einseitiges Spiel werden.

Aomine hatte mich nur widerwillig ins Krankenhaus gebracht. In letzter Zeit wagte er es nicht mehr mir zu widerspreche. Die letzte Woche war für ihn wohl noch anstrengender gewesen als für mich. Ich wusste es bereits, Koyama-hakase hatte es mir nicht erst noch sagen müssen. Es stand nicht gut um mich. Das Exon-Skipping, welches eine erste Verbesserung gezeigt hatte schien nun total wirkungslos geworden zu sein. In einer letzten verzweifelten Aktion hatte er die Medikamente ein letztes Mal hochgeschraubt. Es waren so viele geworden, dass sie mir unterdessen nur noch intravenös verabreicht werden konnten.

Ich hatte meinen Arzt gebeten, nicht mit Aomine darüber zu sprechen. Für ihn musste ich den Schein waren, dass er bei der Sache war am Samstag. Alles andere spielte keine Rolle mehr. Wenn ich nicht auf die Medikamente ansprach wäre es so oder so vorbei. Danach gab es keine Jahre oder Monate mehr zu zählen, bloss noch Tage.

Alle Stunde kam jemand vorbei und kontrollierte meine Atmung, zudem wurde mir ständig eingebläut die Hand immer auf dem Notfallknopf zu haben um im schlimmsten Fall der Fälle nach einer Krankenschwester zu rufen. Den ganzen Tag lag hatte ich mich keinen Millimeter bewegt. Mit geschlossenen Augen lag ich da, als ob ich schlafen würde, doch ich schlief nicht, ich sparte den letzten Rest meiner Kraft auf um mir ein Lächeln in mein müdes Gesicht zu quälen wenn Aomine von der Schule kommen würde.

Ich wollte ihn so gerne sehen, seine tröste Wärme spüren, doch am liebsten wollte ich sie nicht nötig haben. Am liebsten wollte ich einfach bei ihm sein können. Wie früher. Leise klopfte es an der Tür. Träge öffnete ich die Augen, gerade weit genug um verschwommen wahrnehmen zu können wie die Tür zu meinem Zimmer einen Spalt weit geöffnet wurde. Aomine betrat den Raum.

Ich atmete tief ein und zwang dann meine Augen auf. Er versuchte zu lächeln, doch schien er die Anstrengung in meinem Gesicht zu deutlich ablesen zu können.

„Hey“, murmelte ich leise und lächelte leicht.

„Habe ich dich geweckt?“, fragte er und setzte sich neben mich. Vorsichtig senkte er seine Lippen auf meine und küsste sie sanft, doch mir fehlte es an Kraft den Kuss zu erwidern.

„Mh, nein. Ich habe auf dich gewartet“, antwortete ich, doch wusste ich nicht was ich ansonsten sagen sollte. Eine Weile schwiegen wir, dann begann Aomine etwas von seinem Tag zu erzählen. Ich war froh bloss zuhören zu müssen. Anscheinend machten sich alle Sorgen um mich, besonders Imayoshi schien mit Aomine mitzuleiden, denn er richtete mir Grüsse und gute Besserung von ihm aus.

Kurz schloss ich für einen Moment die Augen. Achja, Imayoshi. Ich würde ihn noch brauchen bevor… nunja… bevor das Ende kam. Er musste noch etwas für mich tun.

 

 

 

6. Januar

 

„Aber Aomine, du sollst doch das Training nicht verpassen, so kurz vor dem Wintercup“, schallte ich ihn. Natürlich war er nach der Schule gleich zu mir gekommen. Wenigstens ging er noch zur Schule anstatt Tag und Nacht an meinem Bett zu sitzen. Es schmerzte mich zwar ihn abends wegzuschicken, doch ich brauchte wieder etwas Ruhe und besonders viel Zeit. Meine Arme waren so schwach, dass ich sie kaum noch heben konnte, geschweige denn einen Stift halten konnte.

‚Das‘ wird einige Zeit auf sich nehmen. Zeit und vor allem Anstrengung.

„Als ob mich jemand besiegen könnte“, erwiderte Aomine. Ein siegessicheres Lächeln huschte über seine Lippen.

„Unterschätze Seirin nicht.“

Vielleicht lag es an meinem schlechten Zustand oder diese ungute Vorahnung hatte wirklich etwas zu bedeuten. Doch Aomine lachte nur.

„Sie haben mich letztes Mal nicht besiegt und werden es dieses Mal auch nicht tun. Der einzige der mich besiegen kann…“, begann er, doch ich fiel ihm ins Wort.

„…bist du selbst und dein übergrosses Ego“, sagte ich und schaute ihn dabei mit meinen treuherzigen Augen an. Einen Moment schien er verwirrt, wusste nicht was er sagen sollte und wie ernst er meine Worte nehmen sollte, doch dann lächelte er wieder.

„Mag sein.“

„Ist so“.

„Du bist recht frech geworden, weisst du das?“, fragte er und pikste mich in die Wange.

„Liegt wahrscheinlich daran, dass ich meine letzten… Monate nach dem Motto alles oder nichts verbringen will“, antwortete ich und bereute es sogleich. Aomine packte mich an meinen Armen. „Sag sowas nicht! Wir kriegen das irgendwie hin, hörst du!“

Ich konnte nur lächeln und ein Nicken andeuten.

„Natürlich…“

Jemand klopfte an der Tür und eine Krankenschwester schob den Kopf zu uns hinein.

„Entschuldigen Sie, aber die Besuchszeit ist vorbei“, sagte sie. „Ich gebe ihnen noch zehn Minuten.“

Danach verschwand sie wieder. Aomine seufzte leise und streichelte über meinen Arm.

„Ich wünschte ich könnte dich wieder mit nachhause nehmen. Mein Bett fühlt sich einsam ohne dich…“, murmelte er leise.

„Ich wünschte auch ich könnte wieder nachhause…“, hauchte ich und liess meinen Blick nicht von ihm.

„Morgen bin ich wieder bei dir, versprochen!“ Er küsste mich erst auf die Stirn und dann auf die Lippen bevor er aufstand und seine Tasche und Jacke hochhob.

„Bis morgen!“, sagte ich leise, zweifelte jedoch daran, dass er es noch gehört hätte. Ich behielt ihn so lange im Blick wie es ging ohne den Kopf zu wenden. Danach schloss ich meine Augen wieder. Jetzt wo er weg war konnte ich spüren wie die Kälte der Einsamkeit wieder von mir Besitz ergriff. Ich würde mich gerne zur Seite drehen, doch ich war zu schwach dafür. So gerne würde ich aus dem Fenster schauen, selbst wenn ich dort nun bloss noch die Sterne sehen würde.

 

Eine Bitte

7. Januar

 

„Es tut mir leid Mitsuhide-kun…“, sagte Koyama-hakase. „Doch du sprichst nicht auf die Medikamente an. Heute um fünf Uhr kommt dein Vormund noch vorbei, aber alles was ich noch für dich tun kann ist ihn über deinen Stand in Kenntnis zu setzen“.

Ich schloss die Augen. Ich sollte nicht enttäuscht sein, ich hatte es geahnt. Die Atemmaske erschwerte mir das Sprechen, doch es gab noch einige Dinge die dringend gesagt werden mussten.

„Koyama-hakase… wenn Akiyama-san später vorbeikommt, können sie dafür sorgen, dass sein Sohn nicht bei dem Gespräch dabei sein wird… Er soll sich nicht unnötig Sorgen machen“, sagte ich leise. Meine Stimme wurde durch die Atemmaske zusätzlich gedämpft, doch mein Arzt schien sich erschwerte Sprechbedingungen gewohnt zu sein, denn er nickte nur.

„und…“, fuhr ich fort. „Ich brauche jemand der mir eine Nummer einstellen kann, ich muss jemanden anrufen.“

„Ich werde später eine Krankenschwester vorbeischicken“, versprach er. „Brauchst du noch etwas?“

Ich schüttelte nur den Kopf. Das war alles. Aomine durfte sich nicht um mich sorgen, er musste am Samstag bei der Sache sein wenn er sein erstes Spiel hatte.

 

Das monotone Piepen ertönte aus dem Telefon als die Person am anderen Ende aufhängte. Erleichtert schloss ich die Augen. Alles war bereit. Ich musste nun nur noch irgendwie die letzten Tage überstehen. Ich hatte längst aufgehört mich gegen das künstliche Beatmen zu wehren. Es war ein komisches Gefühl. Mir war nie so stark aufgefallen wie jetzt wie sich meine Lunge mit Luft füllte und diese wieder entliess.

Ich beschäftigte mich eine Weile lang mit der Frage, warum wir atmeten, doch ich war kein Arzt oder Biologe, generell hatte ich mich mit Biologie immer ziemlich schwer getan. Es klopfte an der Tür. Akiyama-san und Aomine betraten das Zimmer.

Es war bereits Zehn vor Fünf. Vielleicht könnte ich Aomine in irgendein Gespräch verwickeln, sodass er gar nicht merkte das Akiyama-san mit Koyama-hakase weg war. Er setzte sich neben mich und griff nach meiner Hand.

„Wie geht es dir?“, fragte er leise. Obwohl ich ihn ansah erwiderte er den Blick nicht sondern hielt ihn auf die Atemmaske gerichtet. Ich wusste, dass er nichts sagen würde, doch er wusste genau, dass mein Körper erneut schwächer geworden war. Niemand von uns würde etwas dazu sagen, doch wir wussten es beide.

„Gut“, antwortete ich und lächelte etwas, dann wandte ich mich an seinen Vater.

„Entschuldige Akiyama-san“, sagte ich mit heisserer Stimme. „Das ich dir so viele Umstände mache!“

Dieser lächelte nur und winkte ab.

„Du gehörst doch praktisch zur Familie und bist wie ein Sohn für mich. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen!“, erwiderte er. Ich nickte nur dankend.

In dem Moment betrat Koyama-hakase das Zimmer.

„Ah Akiyama Aomine-san!“, begrüsste er Aomine’s Vater und verbeugte sich leicht. Akiyama erwiderte die Geste und begrüsste ihn seinerseits freundlich. Sie sprachen kurz miteinander. Ich warf einen unruhigen Blick zu Aomine, der seine Aufmerksamkeit dem Gespräch gewidmet hatte.

„Vielleicht sollten wir draussen weitersprechen, dann haben die beiden für eine Weile ihre Ruhe!“, sagte dann Koyama-hakase. Aomine wollte aufstehen und etwas erwidern, doch ich hielt seine Hand fest. Obwohl das mit festhalten nicht mehr viel zu tun hatte. Ich klammerte mich an seinen Fingern fest als ob mein Leben davon abhängen würde, doch viel mehr als leicht meine Hand zu schliessen konnte ich nicht mehr. Doch Aomine schien die Geste zu verstehen, denn er liess sich wieder auf den Stuhl neben mich nieder.

„Alles okay?“, fragte er und strich durch meine Haare. Ich nickte.

„Ich will nur so viel Zeit mit dir verbringen wie möglich… Ich vermisse dich…“, erwiderte ich leise. Sanft küsste er meine Stirn. Ich schloss die Augen und genoss seine warmen Lippen auf meiner Haut.

„Ich vermiss dich auch! Und sobald das Spiel am Samstag vorbei ist suchen wir eine Lösung das du wieder nachhause kannst!“, versprach er mir.

In dem Moment kam Akiyama-san wieder zur Tür herein, oder besser, er öffnete sie einen Spalt und steckte seinen Kopf zu uns ins Zimmer.

„Mine-kun, ich gehe nachhause. Ich nehme an, dass du noch eine Weile hier bleiben willst oder? Soll ich dich später abholen kommen?“, fragte er. Aomine schüttelte den Kopf.

„Ist okay, ich komme schon irgendwie nachhause!“, erwiderte er, verabschiedete sich kurz von mir und verliess uns dann wieder.

Aomine selbst blieb wieder bis die Besuchszeit vorüber war und wie immer wenn er ging hinterliess er eine unauffüllbare Lücke Einsamkeit. Ich hatte beinahe das Gefühl, dass mit seinem Gehen die Wärme aus meinem Zimmer gewichen war. Es fröstelte mir. Selbst nachdem mir eine der Krankenschwestern eine Wärmeflasche gebracht hatte. Sie hatte gemeint, dass mein Körper wohl nicht mehr im Stande wäre sich selbst zu wärmen weil er so damit beschäftigt war mich überhaupt am Leben zu erhalten, natürlich hatte sie es etwas politischer formuliert, doch genau das war ihre Aussage gewesen.

 

 

 

8. Januar

 

„…und das ist alles?“, fragte der Schwarzhaarige.

„Ja. Sonst gibt es nichts mehr zu tun“, antwortete ich leise.

„Mitsuhide-kun, wen du irgendetwas…“

„Nur das… Imayoshi-san, nur diese eine Sache!“, wiederholte ich meine Bitte. Er nickte, schwieg dann aber.

„Du bist ein wundervoller Mensch Mitsuhide-kun, selbst jetzt denkst du noch an andere. Ich wünschte ich hätte dich besser gekannt!“, sagte er.

Ich musste leicht lächeln.

„Du kennst mich schon besser als die meisten anderen und vor allem bist du der einzige der…“, wollte ich fortfahren, doch da klopfte es auch schon an der Tür. Imayoshi nahm den Umschlag und steckte ihn in seine Tasche, gerade rechtzeitig bevor Aomine den Raum betreten konnte.

Er schien etwas verdutzt als er seinen Teamleader in meinem Zimmer vorfand.

„Was machst du den hier?“, fragte er ganz unverblümt.

„Ich dachte ich leiste Mitsuhide-kun etwas Gesellschaft während du brav die Schulbank gedrückt hast!“, sagte er lächelnd und stand dann aber auf. „Aber nun ist das ja nicht mehr nötig.“

„Mitsuhide-kun…“, sagte er und wandte sich nochmal zu mir um. Sanft legte er mir die Hand auf die Schulter. „Alles Gute, und ich werde es auf keinen Fall vergessen!“

 

Viel Glück!

9. Januar

 

Es war Freitagabend. Aomine war ein letztes Mal vor dem Spiel zu mir gekommen. Ich musste mich zusammenreissen um ihm nicht zu zeigen wie schlecht es mir ging. Auf meine Bitte hin hatte ich versuchte die Atemmaske wieder Stundenweise abzunehmen, doch die Schmerzen hatten nach kurzer Zeit die Oberhand gewonnen. Es hatte sich angefühlt als ob meine Lunge zerreissen würde.

Ich liebte Aomine, ich würde ihn niemals wegschicken, doch ich fühlte mich wie ein Clown dem man ein breites Lächeln ins Gesicht gezeichnet hatte um den Kindern weiss zu machen, dass er das was er tat toll fand. Doch Aomine war kein Kind. Jedes Mal wenn sich unsere Blicke trafen hatte ich das Gefühl, dass er mir bis auf die Seele hinabschauen konnte und jedes kleinste Bisschen meines Schmerzes erkennen konnte.

Er hatte sich neben mir aufs Bett gesetzt und meinen Kopf auf seinen Schoss gebettet. Es brauchte keine Worte. Ich hatte die Augen geschlossen und genoss das Gefühl wie er mir durch die Haare strich. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte bei ihm sein, für immer.

Es klopfte an der Tür. Vorsichtig löste Aomine sich von mir und setzte sich wieder auf den Stuhl neben meinem Bett. Erst dachte ich, dass es eine der Krankenschwestern war, doch als es ein zweites Mal klopfte runzelte ich unsicher die Stirn. Normalerweise betraten die Krankenschwestern das Zimmer nach dem ersten Klopfen auch wenn sie keine Antwort bekamen. Ich gab Aomine mit einem Blick zu verstehen, dass er die Person, wer auch immer vor der Tür stand, hereinbitten sollte. Meine Stimme wäre kaum laut genug um bis durch die Tür hindurchzudringen.

„Ja?“, sagte Aomine laut. Wir beide hatten die Augen gespannt auf die Zimmertür gerichtet. Als erstes trat eine junge Frau in blauer Krankenschwesteruniform herein, jedoch hatte sie eine Winterjacke darüber an.

„Mitsuhide Ryota-kun?“, fragte sie und schaute von Aomine zu mir.

„Eh, ja?“, begann ich langsam.

„Du hast Besuch!“, sagte sie lächelnd und stiess die Tür weiter auf. Dann wandte sie sich zu einer Person um die draussen stand. „Sachte, sachte!“

Erst konnte ich nicht sehen wer da in mein Zimmer kam, der ältere Herr lief ziemlich gebeugt und stütze sich schwer auf seine Gehhilfe.

„Oji-san?“, hauchte ich überrascht. Aomine war sofort aufgestanden und half der Pflegerin den alt gewordenen Mann bis zu dem Stuhl neben meinem Bett zu geleiten.

„Er hat nicht Ruhe gelassen bis ich ihn hergebracht habe!“, gestand die junge Frau lächelnd.

„Ryota-kun, du bist blass geworden mein Junge!“, sagte mein Grossvater. Er brauchte gar nichts zu sagen. Ich hatte das Gefühl, dass seine Falten noch tiefer geworden waren und beinahe sein ganzes Gesicht zierten. Seine Augen glänzten vor Anstrengung, vielleicht sogar etwas vor Schmerz. Als er seine Hand auf meine legte war die Bewegung unkoordiniert und zittrig.

„Du siehst gut aus Oji-san“, log ich, doch lächelte ich und ich lächelte weil ich es so meinte.

Aomine war auf meine andere Seite getreten.

„Ich gehe nachhause, okay?“, fragte er und liess seine Hand über meinen Arm streichen. Unsicher schaute ich zu ihm hoch, doch er lächelte bloss sanft. „Dann habt ihr etwas Zeit für euch“. Ich nickte. Er beugte sich zu mir hinab und strich sanft über meine Wange während er meine Stirn küsste.

„Schlaf gut“, sagte er leise.

„Du auch, und viel Glück für morgen!“, erwiderte ich und schaute ihm dann nach wie er das Zimmer zusammen mit der Pflegerin verliess die meinen Grossvater hergebracht hat. Eine Weile schwiegen wir, doch dann begann er zu sprechen: „Ich habe Koyama-hakase auf dem Weg hierher getroffen“.

Ich schwieg.

„Jeder weitere Atemzug könnte mein Letzter sein…“, murmelte ich und schlug den Blick nieder. Es auszusprechen war noch viel schlimmer als bloss daran zu denken. Ich versuchte gegen die Tränen anzukämpfen, vergeblich.

„Ryota-kun…“, begann mein Grossvater, doch er wusste selbst nicht was er sagen sollte. Sanft tätschelte er meinen Arm.

„Ich will noch nicht gehen…“, schluchzte ich leise und schloss gequält die Augen. „Warum ich? Warum ich… Ich will nachhause, dass alles so ist wie früher. Von mir aus gehe ich auch wieder in den Rollstuhl, aber ich will noch nicht sterben.“

 

Für immer

10. Januar

 

Mein Blick war starr auf den Bildschirm gegenüber meinem Bett gerichtet. Ich wollte nicht glauben was gerade passiert war.

„Was für ein Spiel!“, rief der Kommentator und schien ganz ausser sich. „Seirin gewinnt mit 101-100 Punkten!“

Ich liess mich in die Kissen sinken und schloss für einen Moment die Augen. Das laute Jubeln aus dem Fernseher drang an mein Ohr.

„Und hier noch einmal der Top-Spieler von Gakuen, Aomine Daiki, der noch gar nicht verstanden hat was passiert ist“, fuhr der Sprecher fort. Ich öffnete die Augen wieder. Auf dem Bildschirm zeichnete sich Aomine ab. Ich konnte in seinem Gesicht den Schock und die Überraschung sehen.

„Stellst du bitte den Fernseher ab“, bat ich eine der Krankenschwestern. Es hatte sich herumgesprochen, dass mein Freund Aomine Daiki, der Star der Touou Academy war. Obwohl wir versucht hatten diskret zu bleiben musste es doch dem ein oder anderen aufgefallen sein. Doch kam niemand mit Abneigung auf uns zu. Ganz im Gegenteil, die Abteilungsleiterin hatte einen Fernseher organisiert und in der Pause war praktisch die ganze Abteilung in mein Zimmer gekommen um das Eröffnungsspiel des Wintercups zu schauen. Ich hatte mit vielem gerechnet, doch damit nicht.

Die angesprochene Krankenschwester tat sofort wie mir geheissen. Es waren auch einige Seirin-Fans darunter gewesen, doch niemand wagte ein Wort zu sagen. Sie alle wussten, dass mir nicht mehr lange blieb. Mir ein ‚Ich wusste es!‘ unter die Nase zu reiben wäre nicht unbedingt besonders taktvoll.

Aomine hatte verloren. Er… er hatte verloren.

„Und ich verspreche dir, ich werde bei dir bleiben, ob am Ende dieses Weges Sieg oder Niederlage auf dich wartet!“

„Baka…“, hauchte ich so leise, dass es niemand hören konnte und schloss die Augen wieder. „Am Ende haben wir doch beide verloren… niemand kann gegen das Leben gewinnen…“.

„Mitsuhide-kun, brauchst du noch etwas?“, fragte Nanami-san, eine der Krankenschwestern. Ich schüttelte nur den Kopf. Niemand wagte mehr etwas zu sagen. Leise verliessen sie das Zimmer. Eine Weile versuchte ich gegen die Tränen zu kämpfen, doch ich konnte nicht mehr dagegen halten. Eine kühle Träne rollte meine Wange hinab und verfing sich in meinem Mundwinkel. Sie schmeckte salzig.

Mein Körper zuckte leicht während ich leise weinte. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, sodass es schmerzte. Es schlug so heftig das mein ganzer Körper erzitterte. Als ob es umso fester schlug weil es noch nicht aufgeben wollte…

 

„Und du bist dir sicher?“, fragte Koyama-hakase zögernd.

„Ja…“, antwortete ich leise. „Ich will nicht im Krankenhaus sterben müssen.“

Ich hatte mich bereits damit abgefunden. Seit heute Morgen bekam ich keine Medikamente mehr. Er hatte gemeint, dass sie meinen Körper nur noch mehr zerstören würden als dass sie halfen.

„Das verstehe ich…“, sagte mein Arzt. In dem Moment klopfte es an der Tür. Wie erwartet. Aomine betrat mein Zimmer. Ich konnte in seinem Gesicht ansehen was die letzten Stunden vorgefallen war. Obwohl er es zu verbergen versuchte war er ziemlich niedergeschlagen.

„Ah, Hallo Koyama-hakase!“, begrüsste er den Arzt, wohl überrascht ihn hier vorzufinden.

„Hallo Aomine-kun, es ist gut, dass du gerade jetzt hergekommen bist, ich hätte mich sonst später noch mit dir und deinem Vater in Verbindung gesetzt, doch das vereinfacht die Sache um einiges!“, begrüsste er ihn. Aomine schaute unsicher von ihm zu mir und wieder zurück zu dem Arzt. Ich schwieg.

„Ich habe hier die Entlassungspapier für Mitsuhide-kun“, fuhr er fort und reichte diese Aomine. Sein Gesicht hellte sich erst etwas auf.

„Das heisst es geht ihm besser“, fragte er. Ich konnte einen schwachen Hoffnungsschimmer in seinen Augen leichten sehen. Ich musste den Blick abwenden. Das was jetzt kommen würde, wäre für ihn wie ein Messerstich ins Herz. Ich wünschte er müsste diese Nachricht nicht erhalten.

„Nein. Es ist nur so, dass wir nichts mehr für ihn tun können und es sein ausdrücklicher Wunsch ist nicht im Krankenhaus zu sterben“. Ich presste die Lippen aufeinander. Erneut musste ich mit den Tränen kämpfen. Es war feige von mir mich von der Szene abzuwenden weil ich den Schmerz in seinen Augen nicht sehen wollte, den Schmerz den ich verursachte, doch konnte ich mich nicht dazu überwinden ihn anzusehen. Würde ich das tun würde ich definitiv anfangen zu weinen.

Das Schweigen zog sich unendlich in die Länge, bis Aomine schluckte und leise fragte: „Wie lange wird er noch haben?“

„Ich weiss es nicht. Vielleicht eine Woche, ein paar Tage, vielleicht auch nur noch ein paar Stunden.“

„Und es gibt nichts was wir noch tun können?“

Nun war Koyama-hakase daran zu schweigen.

„Nein. Alles was man tun könnte ist ihn einer Tracheotomie zu unterziehen um ihm die letzten Tage etwas einfacher zu machen“.

Ich spürte eine Hand an meiner. Als ich den Blick hob schaute ich ihm das erste Mal seit er heute meinen Raum betreten hatte richtig in die Augen. Doch ich musste meinen Blick senken. Ich konnte ihm nicht standhalten.

„Lass uns nachhause gehen!“, sagte er leise. Ich versuchte zu lächeln, doch es war zu anstrengen.

„Ja…“, konnte ich nur leise erwidern.

 

Koyama-hakase hatte mir tatsächlich noch ein Tracheostoma gelegt, jedoch darauf verzichtet mich noch länger als nötig im Krankenhaus zu behalten. Das erste Mal seit ich in den Rollstuhl gekommen war fühlte ich mich irgendwie wieder… frei.

Ich brauchte dank der Tracheostoma keine Atemmaske mehr, dafür hatte ich ein kleines Gerät dabei, welches an die Öffnung in meinem Hals angeschlossen war und meine Lunge anstelle der Atemmaske weiter antrieb. Nun konnte ich auch wieder essen, doch abgesehen von Suppe brachte ich nichts herunter, da meine Kaumuskulatur sowie meine Schluckmuskeln bis auf ein Minimum geschrumpft waren. Deswegen hatten wir auch noch Infusionen mitbekommen die ich fünf Mal täglich brauchte. Die Infusionen sollten über das ganze Wochenende und für Montagmorgen halten, doch ich bezweifelte, dass ich sie so lange brauchen würde.

Ich brauchte keine Medikamente mehr, ich brauchte auf nichts mehr zu achten. Akiyama-san hatte uns aus dem Krankenhaus abgeholt und war danach ziemlich früh ins Bett gegangen, doch Aomine und ich hatten uns auf der Couch ausgebreitet und schauten alte Disneyfilme wie König der Löwen, 101 Dalmatiner und Cap und Capper. Ich musste immer noch weinen wenn Simba’s Vater starb, dieses Mal mehr den je.

„Magst du ins Bett gehen?“, fragte Aomine und strich mir über die Stirn. Ich versuchte meine Augen offen zu halten während Cap gerade Capper in die Pfote biss um sein Weibchen zu verteidigen. Ich hob meinen Blick.

„Solange ich bei dir sein kann spielt es mir keine Rolle wo wir sind“, antwortete ich. Meine Stimme hörte sich irgendwie rau und tonlos an. Das war mir die letzten Tage gar nicht aufgefallen, denn mit der Atemmaske hatte selbst ich Mühe gehabt die Worte die ich sprach zu hören.

„Na dann lass uns ins Bett gehen! Dir fallen gleich die Augen zu!“, sagte er und strich mir zärtlich über die Wange.

„Keine Einwände entgegenzubringen…“, murmelte ich und musste leicht gähnen. Selbst das war anstrengend, obwohl es ein Reflex des Körpers war und automatisch geschah. Aomine löste sich sanft von mir und liess mich noch eine Weile auf der Couch liegen, während er den Fernseher ausschaltete und mich dann ins Schlafzimmer trug.

Vorsichtig bettete er mich auf die Matratze und ging nochmal kurz zur Tür um das Licht auszumachen und die Tür zu schliessen. Als er sich neben mich legte musste ich kurz schlucken.

„Aomine?“
„Hm?“ Er hatte seine Hand auf meinen Bauch gelegt und streichelte diesen sanft.

„K-können wir uns ausziehen?“, fragte ich schüchtern. Aomine richtete sich auf. Obwohl es dunkel war konnte  ich seinen entrüsteten Blick sehen.

„Mitsu ich werde nicht…“, begann er doch ich war unterdessen ziemlich geübt darin Leuten das Wort im Mund abzuschneiden.

„Das meinte ich nicht! Ich will nur deine Wärme spüren. Es scheint mir so lange her, dass wir zuletzt zusammen in einem Bett schlafen konnten…“, murmelte ich leise. Aomine schwieg. Es musste ihm wohl unangenehm sein, so etwas von mir zu denken in meiner Situation. Schweigend löste er sich aus seinem Shirt und zog mir dann vorsichtig mein eigenes aus.

Unter dem Shirt waren die ganzen Kabel verstaut gewesen die nun offen dalagen. Sanft legte er seine Arme um meinen Körper und zog mich eng an sich. So gerne hätte ich meine Hand gehoben und über seine weiche Haut gestrichen. Ich schloss die Augen. Ein zufriedenes Seufzen entwich meinen Lippen. Wenn ich jetzt einschlafen könnte und nicht mehr aufzuwachen bräuchte…

 

 

 

11. Januar

 

Ich war bereits seit einer geraumen Zeit wach. Im Krankenhaus hatte ich mich an einen gewissen Tagesablauf gewöhnt, selbst wenn wir bis früh morgens Filme geschaut hatten, war ich bereits um sieben Uhr wach gewesen. Aomine hatte mich immer noch in seinen Armen gehalten und so hatte ich meinen Kopf gegen seine Brust gelehnt und war mit geschlossenen Augen dagelegen. Sein Herz schlug laut und stark. Sein Rhythmus hatte etwas Beruhigendes.

Ein stechender Schmerz fuhr durch meine linke Brust. Ich schloss die Augen und versuchte gegen das krampfhafte Gefühl anzukämpfen als es schon wieder nachgab. Nur noch ein dumpfer Schmerz der rasch abflaute liess darauf schliessen was eben passiert war. Koyama-hakase hatte mich vorgewarnt, dass so etwas passieren könnte. Er hatte mich auf alles vorgewarnt. Alle Horrorszenarien waren wir durchgegangen, alles was passieren könnte, die Schmerzen die ich vielleicht haben könnte, doch obwohl ich wusste was auf mich zu kam nahm es mir meine Angst nicht. Die Angst, was danach sein würde. Ich zitterte. Was wenn es nach dem Tod weiterging?

Ich blinzelte eine Träne weg.

„Mitsu?“

Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt wie er sich zu regen begonnen hatte. Sanft hob er meinen Kopf, sodass ich ihn anschauen musste. Ich versuchte zu lächeln, doch ich schaffte es nicht. Ich konnte nicht. Die Tränen rannen über meine Wange.

„Ich habe solche Angst… Aomine, ich habe solche Angst zu sterben obwohl ich mein ganzes Leben lang nichts anderes wollte…“. Meine Stimme versagte. Ich schluchzte leise. Der Schmerz in meiner Brust wurde wieder stärker. Er hob mich hoch und zog mich auf seine Beine. Sanft drückte er mich an seinen Körper. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust und weinte hemmungslos. Und noch während ich gegen ihn lehnte und weinte, so wusste ich bereits: Es würden meine letzten Tränen sein.

 

Ich hörte den Motor des Wagens, doch abgesehen von dem leichten Vibrieren und dem gelegentlichen Rumpeln wenn das Auto über eine uneben Stelle auf der Strasse fuhr nahm ich nicht mehr wahr wo ich war. Mein Kopf lehnte auf Aomine’s Schulter, seine Hand ruhte auf meiner. Die Bremsen des Wagens quietschten leise als er zum Stillstand kam.

„Sind wir da?“, hauchte ich leise.

„Ja“, antwortete Aomine mir. Träge öffnete ich die Augen. Erst erkannte ich mein Umfeld nur verschwommen, doch dann klärte sich meine Sicht. Wir waren zu dem Basketballplatz gefahren wo ich früher immer gespielt hatte.

„Ich warte im Wagen…“, sagte Akiyama-san.

Aomine nickte und hob mich dann vorsichtig aus dem Wagen. Zwischen meinen Armen lag ein Basketball, obwohl ich ihn nicht einmal mehr halten konnte. Auf meinen Wunsch hin, ein letztes Mal mit ihm zu spielen, hatte er bloss mit einem Nicken geantwortet. Er trug mich durch den Eingang. Es war einfach ein zwei Meter langes Stück das nicht eingezäunt worden war. Es war kalt, der Himmel war grau und düster. Der Platz war verlassen wie immer, doch noch viel mehr als früher machte er den Anschein einfach in Vergessenheit geraten zu sein. Der Ort, an dem alles angefangen hatte, an dem die glücklichste Zeit meines Lebens begonnen hatte.

Vorsichtig setzte er mich am Boden ab und legte seine Arme um meine Brust wie er es damals gemacht hatte, als er mich mit ins Training genommen hatte. Doch er musste meine Hände festhalten, ansonsten wäre es mir nicht möglich gewesen den Ball zu halten. Er hob meine Arme. Es schmerzte mir in den Schultern. Meine Gelenke waren steif geworden, doch ich schluckte den Schmerz herunter. Ein letztes Mal noch…

Er versuchte sanft zu sein, doch nur schon die kleinste Bewegung schmerzte mir in den Knochen. Doch es war ein befreiender Schmerz. Er zeigte  mir, dass ich noch lebte. Der Ball verliess meine Hände und flog in einem flachen Bogen auf den Korb zu. Er prellte gegen den hinteren Rand und fiel durch den Korb zu Boden.

„Wer hätte das gedacht, du kannst es noch“, sagte Aomine lächelnd. Doch ich konnte mich nur noch gegen ihn lehnen. Trotz des Tracheostoma viel mir das Atmen schwer. Das Stechen in meiner Brust war wieder da. Mit solch überwältigender Penetranz, das es mir Kopfschmerzen bereitete.

„Mitsu?“

Ich konnte seine Stimme nur noch undeutlich an meinem Ohr hören. Ich schloss die Augen. Ein ungewohntes Gefühl zog durch meinen Körper. Meine Lunge zog sich zusammen, begannte nach Luft. Mein Oberkörper zuckte, krampfte sich zusammen. Ich riss die Augen auf. Meine Lunge füllte sich mit Luft. Ich zitterte. Mein Blick suchte Aomines. Er hatte sich zu Boden gelassen und mich auf seine Beine gezogen. Er drückte mich an sich als ob unser beider Leben davon abhing. Tränen glitzerten in seinen Augen. Plötzlich bereitete sich eine Ruhe in mir aus. Das Zittern verliess meinen Körper. Ich entspannte mich. Meine Lieder wurden träge.

Der Schmerz in meiner Brust liess nach. Langsam atmete ich aus. Meine Lippen öffneten sich:

„Koishiteru*…“

 

*In Japan gibt es drei verschieden Wege um „Ich liebe dich“ zu sagen.

„Daiksuke“ für deine Freunde und die Menschen die du magst.

„Aishiteru“ für die ernsthafteren Beziehungen und

„Koishiteru“ für die eine Person mit der man den Rest seines Lebens verbringen will.

 

Geliebter Aomine

23. Dezember

 

„Aomine-kun“.

„Hm…?“

„Wenn es mir besser geht, spielen wir dann wieder Basketball zusammen, wie früher?“, fragte er mit diesem bezaubernden Lächeln im Gesicht. Seine silbernen Augen leuchteten voller Lebenskraft. Ich beugte mich zu ihm hinab und strich seine langen Fransen aus dem Gesicht. Er sollte sie dringend wieder einmal schneiden.

„Das werden wir…“, versprach ich ihm. „Aber du strengst dich dafür in deiner Reha an, verstanden!“

„Ich brauche keine Reha, ich brauche nur dich, schau!“, antwortete er und griff nach meinen Armen. Er zog sich an mir hoch, aber seine Beine trugen ihn nicht. Er brach zusammen, doch bevor sein schmächtiger Körper den Boden erreichen konnte, hatte ich ihn aufgefangen.

„Baka, pass doch auf!“, fuhr ich ihn bestimmt, doch liebevoll an. Doch einen einzigen Blick in diese wundervollen Augen liess mich verstummen. Wie könnte ich ihm lange böse sein, selbst wenn er so sorglos mit seinem Körper umgeht.

„Es gehört doch zum Leben dazu hinzufallen, oder nicht“, fragte er lächelnd. „Wenigstens kann ich das hier wieder tun.“

Seine Arme zitterten etwas von der Anstrengung als er sie hochhob und um meinen Nacken legte. Mit letzter Kraft zog er sich zu mir hoch. Obwohl ich keine Sekunde meinen Blick von ihm abwenden wollte, schloss ich die Augen und senkte meinen Kopf ein wenig. Seine weichen Lippen berührten meine, doch sie hatten nichts Warmes mehr, sie waren kalt und leblos. Der Kuss fühlte sich falsch an.

 

Ich schlug die Augen auf. Es war dunkel. Der Mond schien durch den halb geschlossenen Vorhang und warf unheimliche Schatten in den Raum. Etwas Kühles rollte meine Wange hinab. Ungläubig strich ich mir über die Augen. Langsam richtete ich mich auf. Ich war in meinem Zimmer, in meinem Bett. Alleine.

Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich die Tränen nicht zurückhalten können. Ich verbarg mein Gesicht zwischen meinen Armen, die Beine angezogen. Ich wollte nicht weinen. Mein Körper zuckte leicht. Bald ein Jahr war es her, ein ganzes Jahr. Die Zeit war mir so unwirklich vorgekommen von dem Moment an als ich mein Zimmer betreten hatte an diesem Abend. Es war so leer, so einsam und verlassen.

Leise ging die Tür auf.

„Mine-kun?“

„Geh weg…“, wollte ich ihn anfahren. Ich wollte nicht, dass jemand meine Tränen sah, doch alles was meinen Mund verliess war ein lautes Schluchzen. Dad legte einen Arm um meine Schultern und zog mich sanft an sich. Am liebsten hätte ich ihn weggestossen, ich wollte sein Mitleid nicht.

„Ich fühle mich so erbärmlich…“, flüsterte ich leise und versuchte die Tränen zu unterdrücken, doch mein Körper schien mir nicht mehr gehorchen zu wollen. Vorsichtig streichelte er mir über die Haare. Normalerweise hätte ich seine Hand weggeschlagen und rumgemotzt, dass ich kein kleines Kind war, doch genauso fühlte ich mich gerade. Hilflos, wie ein kleines Kind.

„Das bist du nicht…“, wollte er mich aufmuntern doch ich schnitt ihm das Wort ab.

„Was willst du jetzt sagen, dass weinen kein Zeichen von Schwäche ist?“, fuhr ich ihn an. „Ich dachte… dass es mit der Zeit besser wird, doch immer wenn ich beinahe darüber hinweg bin habe ich wieder diese Träume, sie fühlen sich so echt an, dass ich gar nicht mehr aufwachen will…“

Akiyama schwieg eine Weile, dann stand er auf.

„Heute ist sein Geburtstag, vielleicht solltest du ihn mal besuchen gehen, was meinst du? Du warst kein einziges Mal dort“, sagte er leise und verliess dann das Zimmer. Schweigend blieb ich sitzen und wischte mir die letzten Tränen weg. Es stimmte, ich hatte es nicht gewagt Mitsu zu besuchen. Ich hatte keinen Sinn darin gesehen, doch vielleicht war es genau das was ich tun musste. Ich schaute auf die Uhr. Es war gerade mal vier Uhr.

Langsam stand ich auf und suchte ein paar Kleider zusammen. Mit dem Bus würde ich eine halbe Stunde bis zu dem Friedhof haben, doch ich verzichtete darauf. Stattdessen zog ich meine Joggingschuhe an und ging nach draussen auf die immer noch dunklen Strassen. Ein Mann im Anzug mit einem Kaffee in der Hand war gerade dabei sein teuer aussehendes Auto zu enteisen, ansonsten waren die Strassen komplett verlassen. Die Strassenlaternen brachten den Frost auf dem Gehweg zum Glitzern. Mein Atem kräuselte sich in der kalten Luft.

Ich zog mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf und begann zu rennen. Die kalte Luft liess meine Lunge brennen, doch ich lief unaufhaltsam weiter.

 

Es war immer noch dunkel als ich den Friedhof erreichte. Leise öffnete ich das Tor und folgte den Wegen. Das letzte Mal war ich an seiner Beerdigung hier gewesen, oder besser nach seiner Beerdigung. Ich hatte nicht dabei sein wollen und all den Menschen begegnen müssen die mich um den Verlust bemitleideten. Obwohl ich erst einmal hier gewesen war fand ich den Weg ohne Mühe. Doch umso weiter ich kam umso stockender wurden meine Schritte bis ich schliesslich stehen blieb.

Mein Blick fixierte den Boden zu meinen Füssen. Die Kälte bereitete sich mit aufdringlicher Penetranz in meinem Körper aus, besonders jetzt, da ich mich langsam wieder abkühlte. Zögernd lief ich weiter. Etwas in mir wollte wieder gehen, doch eine andere Stimme in meinem Kopf trieb mich dazu an weiter zu gehen.

Nur noch wenige Schritte, dann würde ich den Ort erreicht haben vor dem ich mich so sehr fürchtete. Von dem ich nicht wollte das er existierte. Ich bog um die grosse Eiche die mir im Weg stand und erstarrte. Jemand stand dort, vor dem Grab, vor dem ich stehen sollte. Langsam näherte ich mich. Der junge Mann hob den Kopf. Ich erstarrte.

„Imayoshi?“ Ich konnte die Überraschung nicht verbergen. Was suchte er hier? Ausgerechnet er?

„Ich habe mich gefragt wie lange es dauern würde bis du herkommst…“, sagte er. „Akiyama-san hat mich angerufen heute Morgen.“

Ich konnte meine Wut kaum unterdrücken. Was hatte mein Alter das Gefühl, dass er einfach irgendwelche Leute auf mich ansetzen musste?

„Was suchst du hier?“, fuhr ich ihn ungehalten an.

„Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.“ Irritiert schaute ich ihn an. „Das ist von Marcus Aurelius.“

„Und?“, fragte ich. Er sollte endlich weggehen, ich wollte alleine sein.

„Das hat mir Mitsuhide-kun gesagt“.

Ich erstarrte. Mitsu?

„W-wieso sollte er dir sowas sagen?“, fragte ich langsam.

„Weisst du nicht mehr, ich habe ihn an seinem letzten Donnerstag besucht… Er hat mich angerufen und wollte, dass ich zu ihm komme. Er sagte, dass er nie leben wollte, bis er dich getroffen hat. Seine grösste Angst war nicht der Tod, sondern dich zu verlieren“.

„Sei still!“, fuhr ich ihn an. „Was weisst du über ihn, über das was er fühlte?“

Imayoshi liess sich nicht von mir beeindrucken. So war er schon immer gewesen. Man konnte tun und machen was man wollte, er blieb ruhig.

„Ich weiss es, weil er mich gerufen hat um seinen letzten Wunsch auszuführen!“, erwiderte er ruhig. Ich zitterte leicht. Warum hatte er das Imayoshi anvertraut und nicht mir?

„Er hätte doch mich…“, begann ich, doch meine Stimme versagte. Ich senkte den Kopf.

„Sein letzter Wunsch war es, dass du nicht um ihn trauerst“, sagte Imayoshi. Der Schwarzhaarige griff in seine Tasche und holte einen unbeschrifteten Umschlag hervor. „Ich habe diesen Brief für ihn verwahrt, um in dir geben zu können, falls du nicht über seinen Tod hinwegkommst“.

Zögernd nahm ich den Brief entgegen. Mein Kopf war leer. Langsam öffnete ich ihn, er war nicht zugeklebt worden. Ich entfaltete das Blatt Papier und begann langsam die Worte zu lesen.

 

Geliebter Aomine

 

Wenn du das liest, dann bin ich bereits nicht mehr bei dir.

Entschuldige, ich muss mich kurz fassen, denn die Kraft hat mich bereits verlassen, doch ich will dir diese letzten Worte selbst schreiben.

 

Meine Hand zitterte leicht. Seine Handschrift war kaum entzifferbar. Die Striche waren ungenaue und weit entfernt von Gerade. Es musste eine beinahe unmenschliche Anstrengung für ihn gewesen sein dies zu schreiben.

 

Doch ist es für mich anstrengender die richtigen Worte zu finden als sie niederzuschreiben.

Was sagt man jemandem, der einen geliebten Menschen verloren hat.

Ich kann dir nicht sagen, dass du nicht weinen sollst, aber bitte vergiss nicht, du hast mein Leben lebenswert gemacht und ich bin dir dankbar für die Zeit die du mir geschenkt hast.

Die letzten Jahre konnte ich kaum erwarten, dass es endlich vorbei ist, doch seit ich dich kenne habe ich jeden Tag den ich länger bei dir sein durfte gepriesen und doch, am letzten aller Tage kann ich nicht traurig sein, denn ich durfte den Rest meines Lebens mit dir verbringen.

Ich werde immer bei dir sein, das verspreche ich dir!

 

In Liebe

Mitsu

 

„Mitsu…“ Meine Stimme zitterte. Ich liess mich auf die Knie sinken und versuchte die Tränen hinter meiner Hand zu verstecken. „Vier Monate… Ich hatte ihn genau vier Monate! Wie bitte schön soll das fair sein? Ich fühle mich so hilflos… Ich will ihn so gerne in den Arm nehmen und kann es nicht! Wie soll ich so weiter leben wenn nichts mehr einen Sinn macht?“

„Er hätte bestimmt nicht gewollt, dass du seinetwegen alles schmeisst. Lebe, wenn schon nicht für dich dann wenigstens für ihn“, sagte Imayoshi. Er legte mir seine Hand auf die Schulter. Eine unerklärliche Wärme breitete sich in mir aus, doch sie kam nicht von ihm.

 

‚Aomine-kun… Ich werde immer bei dir sein‘, hauchte ich leise ins sein Ohr. Sanft strich ich die Träne von seinem Kinn und küsste ihn.

 

~And when I’m gone, just carry on, don’t mourn

Rejoice every time you hear the sound of my voice

Just know that I’m looking down on you smiling

And I didn’t feel a thing, so baby don’t feel no pain

Just smile back~

 

- Eminem „When I’m gone

 

Impressum

Texte: @ by Royality (known as the.xtreme.opposite)
Tag der Veröffentlichung: 29.02.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen, die einen Teil von sich zwischen diesen Worten wiederfinden... Es ist nicht mein grösstes Werk, keine schriftliche Meisterleistung, aber es kommt von Herzen... Insbesondere widme ich es allen, die es bereits gelesen haben. Vielleicht liest es der eine oder anderen noch ein zweites Mal... Berücksichtigt: Dieses Buch zu schreiben war hart, es zu beenden war härter...

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