„Der Freund meiner Schwester“ von MAREL.A BLATT
Endlich ist es so weit! Vor einer Woche ist meine Schwester nach Köln gezogen, um einen super Job anzunehmen. Nun habe ich ein weiteres Zimmer und ihren Kleiderschrank dazu. Ich verstehe gar nicht, wie ich bisher mit nur einem Schrank ausgekommen bin. Ruck zuck, ist er mit meinen Kleidungsstücken befüllt. Nun haben meine Schuhe und die Jacken viel mehr Platz. Zufrieden lege ich mich aufs Bett und rufe: „Karla, mach das Licht Nummer eins an!“ Sofort erleuchten die Deckenlampen in mattem Orange.
Irgendwie werde ich meine große Schwester vermissen. Vor allem ihre zickige Art, wenn mal wieder alles anders läuft als erwartet. Dann geht man ihr lieber aus dem Weg, ansonsten verbreitet sich die miese Laune im ganzen Haus. Natürlich besitzt sie auch liebenswürdige Eigenschaften. Sie kann gut zuhören und mit ihrem Charme bringt sie viele Menschen zum Lachen. Außerdem verfügt sie über einen sehr guten Geschmack, so wie ich. Es kommt sogar mal vor, dass ich ihr Modeberater sein darf. Dann handelt es sich meistens um ein Date. Gerade fängt mein Handy an zu vibrieren. Wenn man vom Teufel spricht – meine Schwester.
„Hi Rick, hast du schon mein Zimmer in Beschlag genommen?“
„Na klar. Ich überlege gerade, was ich alles rausschmeißen werde.“
„Was? Untersteh dich!“
Lachend drehe ich mich zur Seite. „Wieso? Kommst du sonst zurück?“
„Vielleicht.“
Augenblicklich werde ich hellhörig. „Sina, was ist los? Gefällt es dir nicht in Köln? Gibt es Ärger?“
Ein Seufzen höre ich am Ende der Leitung. „Nein, der Job ist wirklich toll und ebenso die Kollegen. Nur … vermisse ich dich, Mam und Dad.“
„Ich dich auch. Aber nur ein wenig.“
Prustend fängt sie an zu lachen, was mich ebenso mitreißt. „Du Arsch!“, schimpft sie mich halbherzig aus.
So sticheln wir eine Weile, bis Sina schließlich erwähnt, dass sie uns übernächstes Wochenende besuchen kommt.
Die Zeit bis dahin verstreicht sehr schnell. Das Studium zum BIONIK verlangt meine volle Aufmerksamkeit. Hier ein Projekt, da eine Arbeit und so weiter. Am Abend chatte ich dann mit meinen Freunden oder Klassenkameraden.
Heute kommt Sina nach Hause. Ich freue mich riesig. Sie hat angedeutet, eine Überraschung mitzubringen. Was das wohl sein kann? Ein paar coole Schuhe für mich? Oder etwa ein Tier? Bloß das nicht! Für sowas habe ich keine Zeit.
Kaum öffnet meine Mutter die Tür, da wirft Sina sich freudestrahlend an ihre Brust. Ähnlich ergeht es meinem Vater und mir.
„Schön, wieder daheim zu sein“, säuselt sie glücklich.
Rasch holt mein Vater die Reisetasche ins Haus, während wir in die Küche gehen. Wie ein Wasserfall beginnt Sina zu erzählen, was sie bisher in Köln erlebt hat, bis es auf einmal an der Haustür klingelt. Abrupt unterbricht sie ihren angefangenen Satz, steht auf und sieht uns mit leuchtenden Augen an. „Das ist meine Überraschung. Bitte, seid so wie immer.“
Damit verlässt sie den Raum und wir sehen uns verständnislos an.
Eine tiefe und zugleich sanfte Stimme ist zwischen Sinas Geplapper zu hören. Wem wohl diese angenehme Stimme gehört? Hat sie einen neuen Freund? Ohne mir ein Sterbenswörtchen davon zu erzählen? Na warte!
Plötzlich wird es leise. Beide stehen im Türrahmen der Küche und sehen uns erwartungsvoll an. Sina dreht sich zu dem Mann an ihrer Seite um, sieht ihm tief in die Augen und verkündet: „Das ist mein Freund Nolte. Er bleibt übers Wochenende hier. Das ist doch in Ordnung, oder?“
Meine Mutter ist die Erste, die ihre Sprache wiederfindet. „Na klar. Deine Freunde sind auch unsere. Herzlich willkommen, Nolte.“ Sie steht auf und bietet ihm die Hand an. „Elke.“
Sofort ergreift er diese mit einem Dankeschön. Mein Vater hat sich währenddessen dazu gestellt und begrüßt Sinas Freund ebenfalls. Langsam erhebe ich mich, ohne den Blick von ihm zu wenden. Wow, was für eine Erscheinung. Groß, breite Schultern, schlanke Taille, muskulöse Arme, die mit Tattoos verziert sind und dann die grau-blauen Augen. Ich bin sprachlos.
„Und dieser nette Kerl, der gerade seine Stimme verloren hat, ist mein Bruder Riko. Doch alle nennen ihn nur Rick. Stimmt‘s?“
„Was? Ähm … ja, so ist es.“ Mit einem zaghaften Lächeln strecke ich ihm meine Hand entgegen, die Nolte fest umschließt. Sein Mund verzieht sich dabei zu einem Grinsen.
„Freut mich, Rick.“
„Hmm“, ist gerade alles, was aus meiner Kehle herauskommt. Das darf doch nicht wahr sein! Was ist denn mit mir los?
„Na, dann werde ich mal den Kaffee aufsetzen und du, Sina, zeigst ihm das Haus“, schlägt meine Mutter vor.
Kurze Zeit später sitzen wir, jeder mit einer Tasse Kaffee in der Hand, am Küchentisch. Gebannt höre ich Nolte zu, wie er von seiner Arbeit erzählt. Zufälligerweise liegt seine Abteilung nur eine Etage über Sinas Arbeitsplatz, so dass sie sich des Öfteren begegnet sind. Und nun ist er hier.
„Wie bist du hierhergekommen?“, will ich wissen.
„Sina hat mich mitgenommen.“
„Aber … du bist doch später gekommen!“
Nolte grinst. „Das stimmt. Sie hat mich bei einem Freund abgesetzt, der ganz in der Nähe wohnt.“
„So klein ist die Welt“, stellt mein Vater fest. „Kennt er uns? Wie ist sein Name?“
„Felix Baumstern“
„Nein, das gibt es doch nicht! War der nicht in deiner Klasse, Rick?“
„Ja, ist schon eine Weile her.“
Und so gibt es einiges zu erzählen. Immer wieder muss ich in seine faszinierenden Augen schauen. Ich hoffe, keinem fällt auf, wie hingerissen ich von Nolte bin. Meine letzte Beziehung mit einem Mann ist schon eine Weile her. Sie ist auseinander gegangen, weil ich angeblich zu soft bin. Außerdem würde ich meine Gefühle und Gedanken zu offen präsentieren. Er fand mich letztendlich langweilig. Wie ich mich danach fühlte, brauche ich wohl kaum erwähnen.
Auf dem Flur packt mich Sina am Arm und zieht mich ins Bad.
„Na, ist Nolte nicht süß? Was hältst du von ihm?“ Sie strahlt mich erwartungsvoll an.
„Du hättest mich ruhig vorwarnen können“, brumme ich Sina an. „Wieso erfahre ich erst heute von deinem neuen Freund? Gibt es ein Problem zwischen uns, von dem ich noch nichts weiß?“
„Hey, nun hab dich nicht so. Ich war mir bis vor kurzem noch nicht ganz sicher, was Nolte für mich ist. Deshalb habe ich es geheim gehalten, damit ich von niemandem beeinflusst werde. Auch nicht von dir.“
„Ich be…“
„Ja, manchmal schon, weil du so ehrlich bist“, unterbricht mich meine Schwester.
Entrüstet blicke ich sie an, während Sina mir ein amüsiertes Lächeln schenkt und nachhakt: „Er ist klasse, nicht wahr? Ich habe deine Blicke gesehen. Also pass auf, was du sagst.“
Oh je, sie hat es bemerkt. Hitze schießt in meinen Kopf. Was nun? Mit dem Verstellen habe ich es nicht so.
„Nolte ist wirklich … süß“, bestätige ich.
Sogleich befinde ich mich in ihrer Umarmung, wobei sie mir zuflüstert: „Das habe ich mir gedacht. Schön die Finger von ihm lassen!“, droht sie mir halbherzig. Zum Schluss erhalte ich noch ein Küsschen auf die Wange, bevor sie das Badezimmer verlässt.
Seufzend setze ich mich auf den Toilettendeckel. Na, das kann ja heiter werden.
Müde lege ich mich ins Bett, checke meine Mails und Chats, schreibe hier und da noch ein paar Nachrichten, bevor ich die Augen schließe.
Sinas Kichern und Noltes Stimme halten mich jedoch vom Schlafen ab. Nur eine Wand trennt uns voneinander. Fuck! Sobald ich ihn höre, fängt mein Herz schneller an zu schlagen. Wieso muss meine Schwester ausgerechnet so einen verdammt gutaussehenden Mann zum Freund haben? Ich hasse sie. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich beneide sie. Wie gerne würde ich an ihrer Stelle neben dieser Sahneschnitte liegen, mich von ihm streicheln und küssen lassen. Seufz. Doch die schönsten Männer sind nun mal vergeben, damit muss ich mich abfinden.
Das Aufstehen fällt mir am nächsten Morgen besonders schwer. Ich habe kaum geschlafen, fühle mich wie gerädert. Vielleicht hilft jetzt eine kalte Dusche, um meine Lebensgeister in Schwung zu bringen.
Mein Kreislauf ist definitiv angekurbelt, doch die Ränder unter den Augen deuten noch immer auf meinen Schlafmangel hin.
„Ach was soll’s“, stöhne ich leise vor mich hin. Mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt verlasse ich das Bad und stoße mit Sina zusammen.
„Hoppla, kleiner Bruder. Bist wohl noch etwas müde? Hast du die ganze Nacht durchgespielt?“ Dabei zwinkert sie mir gutgelaunt zu.
„Nein! Habe schlecht geträumt“, grummle ich.
„Ach du Ärmster.“ Rasch drückt sie mir ein Küsschen auf die Wange, ehe sie im Bad verschwindet.
„Ja, mir geht es beschissen“, brumme ich vor mich hin, während ich gedankenverloren Sinas ehemaliges Zimmer aufsuche und den Kleiderschrank öffne, um meine Jogginghose herauszuholen.
Plötzlich höre ich hinter mir ein Räuspern. Ach du Schreck! Nolte! Den habe ich total vergessen. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und starre die Kleidungsstücke an.
„Guten Morgen, Rick. Hast du dich im Zimmer verirrt?“
Schnell drehe ich mich um und schubse gleichzeitig die Schranktür zu. „Hey, Nolte. Ich wollte nur schnell meine Sachen holen. Gut geschlafen?“ Was Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.
Grinsend sieht er mich an. „Ich denke, besser als du.“ Sein lüsterner Blick wandert nun langsam meinen Körper hinunter, bis er auf einmal meint: „Was hast du vor? Soll das eine Anmache werden?“
Wie kommt er darauf? Empört will ich ihm antworten, als ich bemerke, dass mein Handtuch nicht mehr um meine Hüfte hängt, sondern zwischen den Schranktüren klemmt. Gütiger Himmel! Ist das peinlich. Was mache ich nur?
„Ganz genau! Du hast mich durchschaut. Habe ich denn gute Chancen?“, überspiele ich die Situation. Unterdessen wickle ich mich wieder in das Badetuch ein, ohne ihn dabei anzuschauen.
„Mehr als du denkst“, raunt Nolte mir ins Ohr.
Was? Wo kommt er so plötzlich her? Er war doch eben noch im Bett. Eine Gänsehaut überzieht meinen gesamten Körper. Langsam richte ich den Blick zur Seite und stelle fest, dass er, mit einer Shorts bekleidet, gerade den Raum verlässt. Hat er wirklich den Satz gesagt oder habe ich mir das nur eingebildet? Auf jeden Fall hämmert mein Herz wie wild in meiner Brust. Ich brauche ein paar Minuten, um endlich die Hose aus dem Schrank zu nehmen. Kaum stehe ich im Flur, rempelt mich meine Schwester an. Heute ist definitiv nicht mein Tag!
„Oh! Ricki“, säuselt sie und schaut mich mit verliebten Augen an, bevor sie tanzend in ihr Zimmer verschwindet.
Kopfschüttelnd sehe ich ihr kurz nach, ehe ich mein Reich betrete. Meine Güte! Sina ist über beide Ohren in Nolte verschossen. Kein Wunder, bei diesem gutaussehenden Typen und seiner tiefen Stimme, die ein Kribbeln in meinem Bauch verursacht. Dazu kommen noch die wunderschönen Augen, in denen ich versin… Stopp!, ruft eine leise Stimme in mir. Reiß dich zusammen, Riko! Es ist der Freund deiner Schwester, von dem du schwärmst!
Ja, ja. Nolte will sowieso nichts von mir und ich keinen Ärger mit Sina.
Beim Frühstücken vermeide ich, so gut es geht, den Blickkontakt mit Nolte. Er sitzt mir gegenüber. Ich spüre, wie ich von ihm beobachtet werde. Entweder aus reiner Neugierde oder um mich nervös zu machen. Mit einem Mal drückt er sein Knie gegen meines. Erschrocken sehe ich ihn an. Hat er das absichtlich gemacht?
„Entschuldigung, meine Beine sind einfach zu lang“, bedauert Nolte.
Dabei habe ich genau gesehen, dass er seinen Mundwinkel zu einem Grinsen hochgezogen hat. Von wegen aus Versehen. Das hat er extra gemacht!
„Das habe ich bemerkt. Solange es nur deine Beine sind, ist ja alles gut“, entgegne ich.
Schmunzelnd sieht er mir in die Augen. „Hm, womit sollte ich dich denn sonst berühren?“
Oh, er will auf das Spiel eingehen. Jedoch sehr unpassend am Frühstückstisch. Skeptisch sehe ich Nolte an. Gerade will ich ihm antworten, da mischt sich Sina in das Gespräch ein.
„Ihr mit euren langen Körperteilen. Natürlich meint Rick deine Füße. Nein, ich meine deine Schuhe. Nicht wahr?“ Forschend blickt sie mich an.
„Wenn du das sagst, Schwesterchen, dann wird es wohl stimmen. Denn schließlich kennst du mich in und auswendig.“
„Stimmt! Und nun erzähl mal, was du heute vorhast“, verlangt Sina schließlich, nachdem ein Moment Stille geherrscht hatte.
Unter Ihrem ernsten Blick und dem des vor sich hin grinsenden Nolte, fällt mir das Denken schwer. Am liebsten würde ich mich vor den Computer verkriechen, andererseits freue ich mich, meine Schwester zu sehen, mit der ich gerne einiges unternehmen würde. Aber nur zu zweit! Doch das geht wohl heute nicht, wegen Nolte.
„Computerspiele?“, schlage ich vor.
„Das ist nicht dein Ernst! Ich möchte, dass wir zusammen etwas unternehmen“, kommt es empört von Sina.
„Sind wir mit eingeschlossen?“, fragt meine Mutter.
„Seid mir nicht böse. Ich dachte eher an Rick und uns zwei.“ Dabei lächelt sie Nolte verliebt an.
Mist! Meine Hoffnung, dass die beiden allein losziehen, ist zerplatzt. Nun werde ich mich zusammenreißen und mit dem Pärchen an meiner Seite den Tag verbringen. Dabei habe ich gedacht, dass sie lieber Zeit für sich haben wollen. Hm, ich würde auch alle Zeit der Welt mit ihm verbringen wollen, wenn Nolte mein Lover wäre.
Meine Mutter katapultiert mich mit ihrem Seufzen zurück in die Realität. „Puh! Gerd, da haben wir aber Glück gehabt. So können wir doch noch unseren schönen Spaziergang machen, anstatt uns mit unserer Familie abzuplagen.“
Mein Vater beginnt zu lachen. Es ist so ansteckend, dass wir mitlachen müssen.
Zu meiner Erleichterung beschließt Sina spontan, den Vormittag mit Shoppen zu verbringen, weil sie noch ein paar Klamotten für die geplante Kneipentour benötigt. Dazu muss Nolte ihr beratend zur Seite stehen. Der Ärmste. Ob er weiß, was da auf ihn zukommt?
Ich zwinkere Nolte amüsiert zu, als sie gemeinsam das Haus verlassen und rufe: „Viel Spaß euch beiden. Wir sehen uns später."
„Den werden wir haben“, erklingt es gleichzeitig aus ihren Mündern.
Abwarten, Nolte!, denke ich im Stillen. Schnell verschwinde ich in mein Zimmer. Kopfhörer auf, PC an und los geht es. Um diese Zeit sind immer ein paar Freunde am Computer, die entweder Rocket League, GTA V oder etwas anderes spielen. Kaum klinke ich mich ein, erscheinen wie erwartet meine Jungs auf dem Bildschirm. Schnell sind die Teams zusammengestellt und das Spiel kann beginnen.
Irgendwann streicht mir jemand über die Schulter. Erschrocken fahre ich zusammen.
„Sina! Wie kannst du mich so erschrecken?“, fauche ich, während ich mich zu ihr umdrehe. Doch statt meiner Schwester, steht Nolte mit einem unverschämten Grinsen vor mir.
Verwundert starre ich ihn an. „Du?“
„Ja, hast wohl nicht mit mir gerechnet“, meint er spöttisch. „Kann ich mal sehen, was du spielst? Sina ist gerade mit dem Auspacken beschäftigt.“
Wie selbstverständlich holt er sich einen Stuhl, ohne auf eine Antwort zu warten und setzt sich zu mir. „Oh, das ist Rocket League. Super Spiel. Da hast du dir ein cooles Auto ausgesucht. Wie steht’s?“
„Hey, du kommst hier einfach hereingeschneit, ohne anzuklopfen, rückst mir auf die Pelle, um …“
„Moment mal!“, unterbricht er mich. „Ich bin ein höflicher Mensch, der Manieren besitzt.“ Vielsagend sieht er dabei auf meine Kopfhörer.
Was? Verdammt! Bestimmt hat er versucht, mich anzusprechen, bevor er das Zimmer betreten hat, jedoch ohne Erfolg. Da habe ich mir ein Eigentor geschossen. Irgendwie reagiere ich in seiner Gegenwart leicht gereizt. Warum auch immer. Dabei mag ich ihn doch.
Etwas verlegen erwidere ich: „Na klar. Willst du zusehen? Bin noch mittendrin. Es steht ganz gut für mein Team. Fuck, gerade hat der Gegner ein Tor geschossen.“
„Verdammt! Komm, zeig es ihnen!“, fordert Nolte mich auf.
Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen.
Während der nächsten halben Stunde spornt mich Nolte an. Er gibt mir ein paar hilfreiche Tipps, die mich und mein Team weiterbringen. So haben wir das Spiel letztendlich gewonnen. Jetzt fahre, beziehungsweise fliege ich durch den Schnee in den nächsten Modus, um so viele Tore wie möglich zu schießen.
Plötzlich klopft mir Nolte aufs Bein und drehte sich mit dem Stuhl herum, was ich in meinem Spieleifer ignoriere.
„Gleich habe ich ihn!“, rufe ich enthusiastisch. Dabei starre ich weiterhin auf den Monitor und lasse flink meine Finger über die Tastatur gleiten. Als mich Nolte wieder berührt, blicke ich ihn kurz verwirrt an. Zu meiner Überraschung sind wir nicht mehr zu zweit in Zimmer. Sina steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und sieht mich herausfordernd an. Doch ich habe jetzt keine Zeit für sie, denn in ein paar Minuten ist das Spiel beendet.
Langsam hebe ich meine Hand zur Begrüßung, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen und rufe: „Hey, warst du erfolgreich? Bin gleich fertig.“ Das muss fürs Erste reichen, denn schließlich kennt sie mich.
„Tz, du und deine Spiele. Na klar habe ich was gefunden, in dem ich super aussehe.“
„Sina, du siehst in allen Klamotten toll aus“, bestätigt Nolte.
Aus dem Augenwinkel bekomme ich noch mit, wie er sich erhebt und den Raum mit Sina verlässt, während sie erheitert meint: „Dankeschön. Wir verraten aber nicht, dass wir für Rick etwas mitgebracht haben. Oder hast du es schon gesagt?“
„Natürlich nicht!“, empört sich Nolte.
Wunderbar! Nun lässt die Konzentration nach. Statt um das Spiel mache ich mir Gedanken, was sie für mich gekauft haben. Für diese Ablenkung könnte ich Sina den Hals umdrehen.
Mit einem Tor Vorsprung gewinnen wir das Spiel. Ein paar Sticheleien, wegen einem Missgeschick, muss ich noch einstecken, denn meine Jungs haben sofort bemerkt, dass ich nicht ganz bei der Sache war.
In der Küche treffe ich die beiden mit einem geheimnisvollen Lächeln an. Auf dem Tisch liegt demonstrativ ein kleines Päckchen, das ausgepackt werden möchte. So glaube ich zumindest.
„Na, hast du doch noch Zeit für mich? Oder lockt dich die Neugierde?“, neckt mich meine Schwester.
Gekonnt verdrehe ich die Augen. „Komm schon, Sina, mach es nicht so spannend. Du weißt ganz genau, wie aufgeregt ich bin.“
Grinsend schiebt sie die Geschenkbox in meine Richtung. „Ja, Rick.“
Rasch entferne ich das Papier und spähe vorsichtig in den Karton, während mich die beiden amüsiert beobachten. „Was? Dieser ganze Aufwand, nur für ein paar Kondome?“
Nolte und Sina können sich kaum halten vor Lachen. Gespielt ernst meint sie: „Das sind nicht irgendwelche! Schau doch mal genau hin.“
Genervt folge ich ihrem Rat. „Das ist nicht dein Ernst! Vegane Einhorn Kondome?“ Wieso macht sie das? Ich könnte vor Scham im Erdboden versinken. Ausgerechnet vor Nolte. Schnell wende ich mich um, damit er mein erhitztes Gesicht nicht sieht. Doch sicherlich ist ihm meine Röte sofort aufgefallen.
„Ach, Rick, das sollte nur Spaß sein. Und außerdem passt es wirklich zu dir. Du ziehst dich gerne farbenfroh an und isst vegan. Wenn das mal nicht …“
„Ja, echt lustig Sina. Danke“, unterbreche ich sie leicht gereizt, nehme die Kondome und verlasse die Küche. Im Rausgehen höre ich noch das Kichern meiner Schwester und wie Nolte meint: „Das kam wohl doch nicht so gut an.“ Aber das ändert jetzt auch nichts. Ich bin stocksauer.
In meinem Zimmer drehe ich erst einmal die Musikanlage an, um mich abzureagieren. Hardrock ist dafür ideal. Jetzt noch schnell die Kopfhörer auf und ich bin in meiner Musikwelt.
Langsam entspanne ich mich nach dem zweiten Lied. Mittlerweile verstehe ich mich selbst nicht mehr, warum ich so gereizt reagiert habe. Eigentlich necken wir uns häufig, ohne dass der andere sauer wird. Also muss es mit Nolte zusammenhängen.
Kurze Zeit später taucht Sina in meinem Zimmer auf. Gelassen entferne ich die Kopfhörer und sehe meine Schwester an.
„Hey, alles klar?“, fragt sie mit besorgter Stimme.
„Mhm“, bestätige ich.
Jedoch gibt sie sich damit nicht zufrieden. „Was ist denn mit dir los?“, hakt Sina nach. „Das mit den Kondomen sollte doch nur ein Scherz sein.“
„Ich weiß. Heute habe ich einen beschissenen Tag. Das ist alles“, gebe ich zu.
„Och, Rick. Ausgerechnet heute, wo wir mit dir in unsere Lieblingskneipe wollen.“ Gekonnt verzieht meine Schwester ihre Lippen zu einem Schmollmund.
Amüsiert lächle ich sie an. Sina sieht einfach zu süß aus.
„Also, kommst du doch mit?“, erkundigt sie sich, spontan wieder heiter.
Seufzend schüttle ich den Kopf. So, wie der Tag angefangen hat, kann er unmöglich gut enden. Trotzdem möchte ich Sina nicht enttäuschen. Deshalb gebe ich mir einen Ruck und sage ihr zu. Unverzüglich schlingt sie ihre Arme um mich, trällert mir ins Ohr: „Supi, das wird toll“, ehe sie das Zimmer verlässt.
Die Kneipe ist nur ein paar Straßen von zu Hause entfernt, so dass wir sie gut zu Fuß erreichen können. Am Eingang begegnen wir Felix Baumstern, der uns freudig begrüßt. „Hi, schön euch zu sehen.“ Jedem von uns schüttelte er die Hand. „Kommt mit. Ich habe für uns eine Sitzecke ergattert.“ Schon dreht er sich um und schreitet voraus durch den gut gefüllten Gastraum, bis er an einem Tisch Halt macht.
Hm, was für ein Zufall, dass ausgerechnet Felix heute um diese Zeit hier ist. Bestimmt hat Nolte ihn dazu eingeladen. Der Abend scheint sehr interessant zu werden. Schließlich kenne ich Felix besser als mir lieb ist. Umso erstaunter bin ich, das Nolte mit ihm befreundet ist.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass Felix mich auf einer Party geküsst und befummelt hat. Er hat meinen betrunkenen Zustand, in dem ich nicht vernünftig reagieren konnte, ausgenutzt. Ich ließ es geschehen, obwohl ich nichts für ihn empfand. In der Schule klebte er danach wie eine Klette an mir, obwohl ich ihm die kalte Schulter zeigte. Zu meinem Glück verloren wir uns nach dem Abi aus den Augen.
Nun steht er vor mir, lächelt mich an und fordert mit einer Handbewegung, neben ihm Platz zu nehmen. Oh nein!, denke ich im Stillen. Heute ist wirklich nicht mein Tag. Dann werde ich mit Alkohol etwas kürzer treten müssen, um gewappnet gegen Felix‘ Annäherungsversuche zu sein.
Wie erwartet, sucht Felix unauffällig den Körperkontakt zu mir, indem er beim Sitzen näher an mich heranrückt, sodass sich unsere Beine oder Schultern berühren. Meinen finsteren Blick ignoriert er einfach. Schließlich wird es mir zu bunt und ich flüchte nach draußen, angeblich, um frische Luft zu schnappen.
„So ein Arsch!“, brumme ich vor mich hin, während ich einen kleinen Stein weg kicke. „Was bildet der sich ein?“
„Wen meinst du?“, erklingt eine tiefe Männerstimme.
Ich drehe mich um. Erstaunt betrachte ich mein Gegenüber. „Du?“ Mit ihm habe ich jetzt gar nicht gerechnet.
„Soll ich lieber gehen, falls ich zu denen gehöre, die dir die miese Laune beschert haben?“
„Was?“ irritiert sehe ich Nolte an, dann fällt der Groschen. „Nein.“ Ich schüttle den Kopf. „Du bist nicht damit gemeint. Es ist wegen - Felix.“
Nolte kommt ein Schritt näher und nickt. „Habe ich mir gedacht. Ihr beide kennt euch wohl ziemlich gut, nehme ich an. Läuft da was zwischen euch? Oh! Das ist mir so rausgerutscht. Natürlich musst du nicht darauf antworten. Das sollte mich …“
„Ist gut, Nolte. Dich geht es tatsächlich nichts an.“ Ich glaube, er ist gerade etwas verlegen. Süß, das steht ihm sehr gut. Zu gut, um ehrlich zu sein. Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen und ein Grinsen breitet sich in meinem Gesicht aus. Oh Fuck, diesen Mann würde ich am liebsten sofort küssen und abschleppen. Doch was denke ich da schon wieder?! Er ist vergeben!
„So, wie du gerade aussiehst, würde ich zu gerne deine Gedanken wissen“, meint Nolte amüsiert.
Oh je! Wie lange habe ich ihn denn angestarrt? Auf jeden Fall zu lange. „Besser nicht. Ich glaube, wir sollten jetzt besser reingehen, ehe sie noch nach uns suchen“, antworte ich. „Und danke, dass du nach mir gesehen hast.“
„Habe ich gerne getan.“ Nolte klopft mir kurz auf die Schulter, bevor wir gemeinsam die Kneipe betreten.
So angeregt, wie sich Sina und Felix unterhalten, haben sie uns kaum vermisst. Als wir uns an den Tisch setzen, fragt meine Schwester: „Geht es dir besser, Rick? Felix meint, du brauchtest frische Luft.“
„Ja, das stimmt.“ Dabei werfe ich Felix einen finsteren Blick zu, den er mit einem Augenzwinkern erwidert. Der will mit mir spielen, doch darauf lasse ich mich nicht ein!
Dieses Mal setze ich mich neben Nolte und stelle die Frage: „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“ Dabei deute ich mit dem Kinn auf Felix.
„Ach, das ist eine lustige Geschichte“, entgegnet Nolte schmunzelnd. „Soll ich sie erzählen oder willst du es übernehmen?“ Er zwinkert Felix verschwörerisch zu.
„Nein, nein, mach du das lieber. Ich habe die Hoffnung, dann besser dazustehen.“
„Bist du dir da sicher?“, hakt Nolte mit einem Grinsen im Gesicht nach.
Noch bevor Felix darauf antworten kann, mischt sich Sina ein. „Nolte, jetzt fang einfach an und spann uns nicht auf die lange Folter.“ Zum Ansporn bekommt er noch ein Küsschen auf den Mund.
Lächelnd lehnt er sich zurück und beginnt zu erzählen. „An einem Wochenende, hm … wann war das? Ich glaube, vor zwei oder drei Monaten, saß ich in einem überfüllten Café. Auf einmal trat Felix an meinen Tisch und fragte, ob er sich zu mir setzten dürfte. Was sollte ich schon dagegen haben? Wir unterhielten uns, tranken, aßen und gingen anschließend unserer Wege. Doch wie der Zufall es so wollte, trafen wir uns kurze Zeit später in meinem Lieblingsschuhladen. Dort haben wir die gleichen Schuhe gekauft und den Rest des Tages miteinander verbracht. Da es uns so gut gefallen hat, haben wir ein nächstes Treffen verabredet. Und nun sitzen wir hier.“
„Oh, wie süß, die gleichen Schuhe. Habt ihr die zufälligerweise heute an?“, will Sina wissen.
Natürlich. Demonstrativ heben sie ihre Füße, die in Vans stecken.
Der Abend verstreicht, während wir untereinander weitere Geschichten aus unserem Leben teilen. Dabei fließt der Alkohol, während ich mich etwas zurückhalte. Noch einmal möchte ich nicht in die intime Situation mit Felix geraten. Oder womöglich mit Nolte!
Am nächsten Morgen begebe ich mich nach dem Duschen direkt in mein Zimmer, um mich dort umzuziehen. Das Erlebnis vom gestrigen Tag ist noch gut haften geblieben.
Da meine Eltern wie ich zu den Frühaufstehern gehören, brauche ich mich nur an den gedeckten Tisch setzen und das Frühstück genießen. Natürlich fragen sie nach, wie der Abend verlaufen ist, doch viel gibt es ja nicht zu erzählen.
Gegen elf wachen die Langschläfer mit einem Riesenhunger auf. Ich höre sie nebenan rumoren. Als Sina das Essen zubereitet, was ich an dem für sie charakteristischen Lärm in der Küche erkenne, klopft es an meiner Tür.
„Ja?“
Nolte späht herein. „Guten Morgen. Störe ich dich?“
„Morgen. Nein, komm rein. Dieses Mal habe ich keine Kopfhörer auf“, antworte ich mit einem Lächeln auf den Lippen.
Er grinst mich an und setzt sich auf einen freien Stuhl. „Das war gestern ein schöner Abend. Ich hoffe, wir werden öfter das Vergnügen haben“, meint Nolte.
Sein atemberaubender Duft steigt mir in die Nase. In meinem Bauch kribbelt es und weiter unten auch. Das kann doch nicht sein, dass ich derart heftig auf ihn reagiere. Schnell konzentriere ich mich auf unser Gespräch, um mich im Griff zu bekommen.
„Na klar, so oft ihr Zeit dafür habt“, erwidere ich. „Und wie sieht euer Plan für heute aus?“
„Wir treffen uns gleich mit Sinas Freundin Nathalie. Wie ist die denn so? Damit ich mir ein Bild von ihr machen kann und nicht gleich ins erste Fettnäpfchen trete.“ Er zwinkert mir zu.
„Ach, da mach dir mal keine Gedanken. Sei so, wie du bist, dann kommst du bestimmt gut an.“
„Nur bei ihr?“, raunt er mir zu.
„Oh“, hauche ich, ehe ich mir auf die Zunge beißen kann. Deutlich spüre ich, wie schnell mein Herz klopft. Was will er mir damit andeuten?
Unversehens stürmt meine Schwester ins Zimmer. „Das habe ich mir doch gedacht, dass ich dich hier vorfinde. Guten Morgen, Rick. Ach, was sage ich da, wohl eher Mahlzeit.“ Sina kichert. „Es ist ja schon Mittag.“ Kurz werde ich von ihr umarmt, ehe sie sich Nolte zuwendet und ihm einen Kuss schenkt.
„Mit dir habe ich sowieso nicht früher gerechnet“, stichle ich ein wenig.
Sina seufzt und zuckt mit den Schultern. „Hm, es können eben nicht alle so lange schlafen, wie wir.“ Dabei zwinkert sie mir frech zu. „Komm, Nolte, das Essen ist fertig.“
Einen Augenblick sieht mich Nolte an, bevor er den Raum mit meiner Schwester verlässt.
Bilde ich das mir nur ein, oder flirtet er tatsächlich mit mir? Ist Nolte eventuell bisexuell veranlagt? Was wird Sina davon halten? Ach, ich interpretiere da einfach zu viel hinein. So wird es sein.
Zur Verabschiedung kommt es heute nicht mehr, weil Sina und Nolte länger als geplant bei Nathalie bleiben und danach die Heimreise antreten. Ich verbringe die Zeit sinnvoll bei einem Freund, indem ich mir mit ihm eine Staffel „Lover Boys und Co“, anschaue.
In den nächsten vierzehn Tagen hält mich Sina darüber, was sie mit Nolte unternimmt, per Mail oder telefonisch auf dem Laufenden. Zu den Aktivitäten gehören verschiedene Restaurants, Bars, ein Festival und ein Kinobesuch. Stets sind ihre Nachrichten von vielen Grüße von Nolte begleitet.
Ich versuche, so wenig wie möglich an ihn zu denken, doch irgendwie will er nicht aus meinem Kopf. Und durch Sinas Berichte wird es kaum besser. Was mache ich bloß, um Nolte aus meinen Gedanken zu verbannen? Büffeln für das Studium, und noch mehr büffeln.
In Woche drei bittet Sina mich, sie am Wochenende zu besuchen. Ich soll doch endlich ihre schöne Zweizimmerwohnung anschauen. Außerdem möchte sie mir Köln bei Nacht zeigen. Da Sina nicht in der Wir-Form spricht, nehme ich an, dass Nolte etwas anderes vorhat. Irgendwie schade, doch andererseits bin ich erleichtert, ihn nicht zu sehen.
Ihre Wohnung hat sie hauptsächlich mit weißen Möbeln eingerichtet. Nur das Sofa, ein paar Regale und die Arbeitsplatte in der Küche sind in Grau gehalten. Flink bereitet Sina uns einen Kaffee zu. Auf dem Tisch liegen bereits ein paar leckere Teilchen auf den Tellern.
„Na, wie gefällt dir meine Wohnung?“, will meine Schwester von mir wissen.
„Schön hell. Für mich etwas zu langweilig, doch das ist Geschmackssache. Schließlich soll es dir gefallen und nicht mir.“
Sina lacht. „Natürlich. Du liebst ja viel Farbe. Und wie gefällt sie dir sonst so?“
„Du hast sie geschmackvoll eingerichtet. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Deko. Genau dein Stil. Einfach klasse!“
Sina strahlt mich an.
„Was hält Nolte von deiner Bude?“, füge ich hinzu.
Zusehends verändert sich das Gesicht meiner Schwester. Sie wirkt traurig. Ihr Blick ruht auf ihrer Tasse, als sie zu erzählen beginnt. „Ach, weißt du, die Sache mit Nolte ist schon seit drei Tage zu Ende. Irgendwie fehlte das gewisse Etwas in unserer Beziehung. Und außerdem habe ich den Eindruck, dass er …“
„Ja?“, hake ich nach.
„Ach, das ist jetzt nicht so wichtig“, behauptet sie.
„Du liebe Güte. Nach all den Nachrichten und Fotos, die du mir geschickt hast, hätte ich das nicht erwartet. Und wie geht es dir damit?“
„Na ja, so olala. Lass uns lieber über etwas anderes reden. Ich verrate dir mal, wo wir heute Abend hingehen.“ Und schon zählt sie verschiedene Kneipen auf, die wir besuchen werden. Wow, das hört sich vielversprechend an. Ich freue mich jetzt schon darauf.
Während wir über unsere Eltern plaudern, klingelt ihr Handy.
„Fuck! Das ist die Nummer von meiner Arbeit. Was die wohl jetzt wollen? Ich muss da mal eben ran.“ Hastig läuft sie, das Gerät in der Hand, ins Schlafzimmer und schließt die Tür.
Auch ich mache mir so meine Gedanken, warum Sina am Wochenende von ihrer Firma angerufen wird.
Kurze Zeit später steht sie fluchend vor mir. „Verdammt! Ausgerechnet heute muss eine Eilsitzung anberaumt werden! Einen besseren Tag hätten sie sich nicht aussuchen können! Ich hatte so viel geplant und nun … das.“
„Da kannst du doch nichts für. Wann musst du denn da sein?“, hake ich nach.
„In einer halben Stunde. Leider weiß ich nicht, wie lange es dauern wird.“ Sina stöhnt und zuckt mit den Schultern.
„Mach dir um mich keine Gedanken. Ich werde mir schon etwas einfallen lassen, wie ich mir die Zeit vertreibe. Dann gehen wir eben später auf Achse.“
„Ach, Rick. So sollte das nicht sein.“
„Ich weiß, und nun hau ab. Sonst kommst du noch zu spät.“
Sina hat mir ihren Zweitschlüssel in die Hand gedrückt, so dass ich auf eigene Faust etwas unternehmen kann. Wenn ihr Meeting beendet ist, wird sie mich sofort benachrichtigen und dann planen wir gemeinsam den Abend.
Zunächst einmal suche ich die Hohenzollernbrücke auf. Die wollte ich mir immer schon mal ansehen. Hier werden Liebesschwüre ausgetauscht und unterschiedliche kleine Schlösser an den Schutzgittern angebracht. Irre! Mit so vielen bunten, einzigartigen Liebesbeweisen habe ich nicht gerechnet. Hier und da betrachte ich die außergewöhnlichen Schmuckstücke, bis mich aus heiterem Himmel ein Mann von hinten anspricht.
„Hi, Rick.“
Überrascht drehe ich mich um. Wer kann das sein? Wobei die Stimme mir etwas bekannt vorkommt.
„Du? Mit dir habe ich gar nicht gerechnet.“ Bei Noltes Anblick schlägt mein Herz schneller.
„Ganz offensichtlich. Du weißt aber schon, dass ich in Köln wohne?“, meint er spöttisch.
„Äh, ja“, druckse ich herum. „Aber Köln ist ja nicht gerade klein. Außerdem war ich mit meinen Gedanken ganz woanders“, füge ich noch hinzu.
Nolte schmunzelt vor sich hin.
„Was?“, fahre ich ihn an.
Das Grinsen im Gesicht wird breiter. „Nichts. Habe ich etwas gesagt?“
„Hm!“ Stöhn. „Das brauchst du auch gar nicht. Dein Gesichtsausdruck verrät schon alles. Was machst du denn hier?“, brumme ich.
„Sorry, dass ich dich erschreckt habe. Das wollte ich nicht. Darf ich dich dafür auf ein Bier einladen? Dann beantworte ich deine Frage und zu gerne würde ich wissen, warum du ganz allein auf dieser Brücke bist. Hat Sina heute keine Zeit für dich?“
Dieser Mann macht mich fertig. Reizt er mich bewusst oder bin womöglich ich derjenige? Auf jeden Fall fühle ich mich zu ihm hingezogen. Das ist doch verrückt!
„Also, was ist? Kommst du mit? Ich kenne ein gutes Restaurant, wo wir draußen sitzen können.“
„Ja, na klar“, kommt es einen Tick zu schnell aus meinem Mund. Überrascht von mir selbst, sehe ich Nolte stirnrunzelnd an. Er fängt meinen Blick mit einem Lächeln auf.
Ehe ich mich versehe, befinden wir uns in einem Biergarten und plaudern über dieses und jenes. In seiner Gegenwart fühle ich mich einfach wohl. Sein Lächeln, die angenehme, tiefe Stimme, bescheren mir ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch.
Erst als mein Handy Signale gibt und die Nummer meiner Schwester erscheint, wird mir bewusst, in welcher misslichen Lage ich mich befinde. Ist es überhaupt in Ordnung, dass ich mit ihrem Ex-Freund hier zusammensitze? Was wird sie davon halten? Am besten ist, ich erzähle ihr nichts davon.
Bevor ich mich auf dem Weg mache, um sie zu treffen, lädt mich Nolte für das nächste Wochenende auf eine Party ein. Natürlich sage ich zu, weil ich ihn wiedersehen will.
Sina und ich verbringen den Rest des Abends in verschiedenen coolen Kneipen und Bars. Wie durch ein Wunder gelingt es mir, die Sache mit Nolte für mich zu behalten.
Am Mittwoch klingelt es an der Haustür. Nanu? Wer kann das sein? Ich erwarte heute Nachmittag eigentlich niemanden. Das ist bestimmt nur der Postbote.
Nachdem ich die Tür geöffnet habe, starre ich den Besucher – es ist Nolte - sprachlos an.
„Hi. Hast du ein wenig Zeit? Ich war zufälligerweise in der Gegend und dachte mir: Schau doch mal bei Rick vorbei.“
Na sowas. Glaubt er wirklich, dass ich ihm das abnehme? Irgendwie macht er mich neugierig. „Hi. Schön, dass du an mich gedacht hast. Möglicherweise passt es gerade bei mir.“ Mit einem Kopfnicken bedeute ich ihm, mir zu folgen.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer kann ich ein Grinsen nicht verbergen. Beiläufig frage ich: „Wieso bist du wirklich hier?
Da packt mich Nolte am Arm, stellt sich vor mich und gesteht: „Weil ich dich sehen will. Das weißt du auch.“
„Aber, …“
„Nein, Rick, das kann warten!“, unterbricht er mich und gibt mir anschließend einen leidenschaftlichen Kuss, den ich gerne erwidere.
Gibt es Zufälle? Nein! Heute ist mein Glückstag.
Texte: Marel.a Blatt
Cover: man-ga23d2cd5f_1920 pixabay
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Korrektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2022
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
DANKE, an Sissi und an meine Betaleserin.
Ihr gebt mir Mut, solche Geschichten zu schreiben.