Tanja steht am Fenster und starrt in den Regen. Er will gar nicht mehr aufhören, auf die Erde herunterzuprasseln. Sie beobachtet wie er an der kalten Fensterscheibe entlang krabbelt und dann langsam auf die Pflanzen auf dem Fensterbrett tropft. Die lassen schon die Köpfe hängen und sind ganz nass. Tanja hasst es, wenn es regnet. Da kann man nichts unternehmen findet sie. Außerdem ist Mama ausgerechnet heute noch mit ihrem kleinen Bruder Sam beim Kinderturnen und Oma Hilde schnarcht auf dem großen Sessel. Tanja seufzt. Sie krabbelt vom hohen Holzstuhl herunter und lehnt sich an die Heizung. Die ist schön warm und kuschelig, wie ihr flauschiger Teddy Brum. Den nimmt sie jetzt vom Stuhl und presst ihn fest an ihre Brust, so fest, dass sie ihn Keuchen hören kann. Bald platzt er noch, denkt sie und lockert die Umarmung. Sie geht mit Brum zu ihrer Spielzeugkiste und wühlt darin herum. Nein, die Knete stinkt immer so und klebt an den Fingern und Wasserfarben malen, darf sie nicht allein. Sie greift nch der Meerjungfrau. Sie heißt TInka, TInka die Meerjungfrau. Sie hat lange blonde Haare und ganz blaue Augen undlächelt immer so lieb, dass Tanja selbst mitlächeln muss. Ihre Schwanzflosse ist pink und glitzert. Früher ist Tanja mit Tinka baden gegangen, aber jetzt war Mama nicht daheim und Oma Hilde schlief. Früher hatte sie aus Bauklötzen ein Schloss für Tinka gebaut, aber die Bauklötze stehen auf dem Schrank und dafür ist Tanja noch zu klein. Früher hat Mama mit Tanja zusammen Hochzeit gespielt und Tinka und Brum verheiratet, aber jetzt war ja der doofe Sam da und Mama musste zum KInderturnen. Sie seufzt und setzt sich auf den Boden. Sie schaut ihre nackten Zehen an. Zehn Stück hat sie. Zwei große, zwei kleine und sechs mittlere Zehen. Manchmal sehen sie aus wie kleine Würste findet Tanja und grinst. Mit Brum und Tinka sitzt sie vor der Spielzeugkiste und grübelt. Da flüstert Tinka: " Tanja, willst du eine Geschichte hören?" Tanja nickt aufgeregt. " Dann pass auf, " kichert Tinka.
Damals, als ich noch tief unter Wasser wohnte, da gab es auch ganz oft Gewitter und Stürme und man konnte nicht vor den Palast gehen. ^Und, wenn mein Papa, der König, auf Reise war, passte ein junges Mädchen auf mich auf. Sie erzählte mir die tollsten Geschichten, von bunten Fischen und Meereshexen, die auf ihren Seepferdchen ritten und von Prinzen, die kleine Prinzessinnen retteten. An einem Abend war sie wieder bei mir und ich drückte meien Kuschelfisch an mich und hatte mich auf das Korallensofa gelegt, da kam sie ohne ein Märchenbuch an. " Erzählst du mir keine Geschichte?" , fragte ich sie enttäuscht. " Doch natürlcih kleine Tinka, aber ich erzähle dir eine wahre Geschichte." Sie setzte sich neben mich, legte den Arm um meine Schulter und begann zu erzählen: " Weißt du was passiert, wenn Meerjungfrauen weinen? Früher dachten die Seeleute Meerjungfrauen könnten nicht weinen, sondern wären sehr böse Fische, die den Schiffen nichts gutes wollten. Man hatte immer Angst, wenn man durch tiefe Gewässer fuhr. Irgendwann schipperte ein großes Schiff über das Wasser mit einem jungen und hübschen Prniz an Bord. Eine kleine Meerjungfrau mit blonden, langen Haare, einer Stupsnase und blauen Augen, so blau wie das Meer, schwamm an die Oberfläche und beobachte neugierig die Seeleute. DA plötzlich warf man ein Netz über sie und zog sie auf das Schiff. Sie wehrte sich und schlug mit ihrer Flosse, aber es half nichts. Man setzte sie in ein Fass mit Wasser und leiß sie an Bord. Der Prinz erblickte das schöne Gesicht des Mädchens und trat näher, lächelte ihr zu. Sie versteckte sich hinter ihren zarten Händen und würdigte den Prinzen keines Blickes. Er ging enttäuscht zum Kapitän. " Sie schaut mich nicht einmal an." Der Kapitän seufzte und legte dem Jungen behutsam die Hand auf die Schulter. " JUnger Prinz vergesst dieses Ungeheuer wieder, hat euer Vater euch nicht verboten, über Meeresuntier nachzudenken?" Der Prinz schüttelte die Hand widerwillig ab. " Natürlich hat er das, doch die Gedanken sind frei." Die kleine Meerjungfrau schluchzte auf. Nicht weinen, dachte sie. Papa hat gesagt starke Mädchen weinen nicht. Also versuchte sie sich an einem starken BLick mit zusammen gekniffenen Augen und gefletschten Zähnen, sodass man sie mit Furcht betrachtete. Der Prinz sah ihren Gesichtsausdruck und erschrak. Wo war das wunderschöne Mädchen hin?
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2012
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