Dieser Ort gefiel mir von dem ersten Augenblick an nicht. Es roch stark nach Hunden und ich hörte lautes Gebell. Was sie sagten, verstand ich nicht, es waren zu viele Stimmen auf einmal. Ich blieb kurz stehen und sah zu meinem Menschen auf. Anstatt sich herunterzubeugen und mich beruhigend zu streicheln, so wie er es üblich tat, warf er mir einen bösen Blick zu und zerrte mich an der Leine. Er benahm sich seit ein paar Tagen sehr seltsam, doch ich spürte, dass er traurig war- auch jetzt. Gehorsam ging ich neben ihm her, bis er vor einer Frau stehen blieb. Geduldig wartete ich und überlegte, was es so dringendes zu besprechen gab, dass ich unbedingt mit meinem Menschen an diesen seltsamen Ort kommen musste. Nach endlosem Reden und Schreiben war er endlich fertig. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu gehen. Wedelnd ging ich ein paar Schritte in Richtung Ausgang, doch dann wurde ich zurückgezerrt. Verständnislos sah ich meinem Menschen in die Augen. Er sah sehr bekümmert aus und langsam verstand ich, wieso er mich hierher mitgenommen hat. Die Angst packte mich, ich legte die Ohren zurück und winselte. Meine Befürchtungen bestätigten sich. Er drückte mich ein letztes Mal an sich, streichelte mir sanft über den Kopf und flüsterte mir etwas in seiner Sprache zu, so wie er es immer tat. Ohne mich länger zu beachten, reichte er der Frau die Hand und kehrte mir dann seinen Rücken zu. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so am Boden zerstört gewesen zu sein. Vergeblich versuchte ich, ihm nachzugehen, denn die Frau hielt mich an der Leine fest. Als ich ihn durch die Tür gehen sah fragte ich mich, wann er wohl wieder zurückkommen würde, um mich abzuholen.
Mit der Zeit gewöhnt man sich an fremde Orte, sogar an so einen schrecklichen Ort wie das Tierheim. Ich habe jedoch den Abschied von meinem Menschen nie verkraftet. Lange Zeit redete ich mir ein, dass ich nur für eine Weile hierbleiben müsste und mein Mensch mich bestimmt bald abholen würde. Doch jedes Mal, wenn die große Tür aufging, die die anderen Hunde als „den Weg in die Freiheit“ bezeichneten, kamen fremde Menschen, um sich Hunde anzusehen. So sehr ich auch hoffte, mein Mensch war nie dabei. Manchmal passierte es sogar, dass die Menschen, die kamen, einen Hund adoptierten. Mit der Zeit fragte ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn ich mich an einen neuen Menschen binden würde. Aber wie könnte ich? Nach all den Jahren, die ich mit meinem Menschen verbracht hatte? Ich wollte nur noch zu ihm zurück. Und obwohl er mich aus unverständlichen Gründen hierher gebracht hat, wollte ich noch immer zu ihm zurück. So sehr ich auch nachdachte, ich wusste einfach nicht, was ich falsch gemacht habe. Ich habe mich immer bemüht, alles richtig zu machen. Falls ich etwas angestellt hatte, tat es mir im Nachhinein immer Leid und ich entschuldigte mich für mein Verhalten. Auch jetzt tat mir mein Verhalten leid, obwohl ich nicht wusste, was genau ich getan habe. Aber es musste etwas sehr Schlimmes gewesen sein, wenn es meinen Menschen dazu gebracht hat, mich hier abzugeben. Eine halbvolle Futterschüssel wurde in meine Zelle gestellt und riss mich aus meinen Gedanken. Ich erhob mich, gähnte und ging zur Schüssel hin. Ich senkte meinen Kopf. Schon wieder dieses matschig aussehende Futter. Zuhause hätte ich so etwas nie essen müssen. Traurig legte ich den Kopf in den Nacken und stimmte in das traurige Geheul der anderen Hunde überein. Ich wollte nach Hause.
Es verging eine sehr lange Zeit. Menschen kamen und gingen, Hunde wurden abgegeben oder mitgenommen. Manchmal wurde ich aus meiner Zelle geholt und Menschen vorgeführt, doch ich entsprach anscheinend nicht ihren Vorstellungen. Einmal kamen ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen, die mich unbedingt sehen wollten. Mir gefiel die Art, wie das Mädchen mit mir umging. Sie streichelte mich sanft und drückte mich an sich. Einen Augenblick lang hoffte ich, sie würden mich mitnehmen. Ich tat mein Bestes, um ihnen zu gefallen. Doch zuletzt entschieden sie sich für einen jüngeren Hund.
Eines Tages jedoch sah ich dabei zu, wie zwei Männer einen Hund raustrugen. Der Hund war tot. Ab diesem Moment wurde mir klar, dass ich hier nicht sterben wollte, ohne noch einmal richtig glücklich gewesen zu sein. Ich musste meine Vergangenheit hinter mir lassen und so sehr ich auch zu meinem Menschen zurückwollte, ich konnte auch ein neues Leben beginnen. Einen neuen Menschen und vor allem ein neues Zuhause haben, wenn es dafür nicht schon zu spät war.
Der Aufseher redete beruhigend in seiner Sprache auf mich ein, als er mich an die Leine nahm und aus meiner Zelle herausholte. Mittlerweile war ich es gewohnt, jemandem vorgeführt zu werden. Dieses Mal waren es ein Mann und ein kleiner Junge, die sich für mich interessierten. Zuerst durfte mich der Mann führen. Ich war sehr nervös und gab alles, um ihm zu gefallen. Zum Glück schien er zufrieden. Als dann der kleine Junge dran war, war ich sehr erstaunt. Man hatte mich noch nie einem so kleinen Kind anvertraut. Für den Jungen schien es ebenfalls etwas Besonderes zu sein, seine Augen strahlten, als er die Leine in den Händen hielt. Wir gingen zusammen die Straße ein paar Mal auf und ab. Danach besprachen sich die Menschen, während ich mich auf den Boden legte. Ich wollte nicht schon wieder enttäuscht werden, trotzdem wartete ich gespannt auf die Entscheidung. Meine Enttäuschung war riesengroß, als der Aufseher mich in meine Zelle zurückbrachte. Ich sah den Jungen traurig an, als er sich noch einmal zu mir umdrehte, ehe er durch die große Tür ging.
Wenige Tage später war er plötzlich da, ich hätte nie gedacht, dass ich ihn noch einmal sehen würde. Mein Mensch ist zurückgekommen, um mich zu holen! Aber nicht der alte Mensch, bei dem ich einen großen Lebensabschnitt verbracht habe und der mich schließlich ins Tierheim gebracht hat, sondern der kleine Junge! Er stürmte durch die Tür hinein und blieb vor meiner Zelle stehen. In diesem Moment spürte ich, dass er gekommen war, um mich mitzunehmen. Ich sprang auf und ab und bellte vor Freude. Der Aufseher holte mich aus der Zelle heraus und übergab die Leine dem Jungen. Der Mann, der sein Vater war, legte diesem seine Hand auf die Schulter, beugte sich zu mir herunter und kraulte mich hinter den Ohren. Zusammen mit meiner neuen Familie ging ich durch die Tür. Meine Freude war unbeschreiblich. Diese Menschen nahmen mich mit- in mein neues Zuhause.
"Diesen Hund will ich!"
Texte: Text und Cover
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beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2011
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