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Ich liege in einer Pfütze aus schwarzem Plastik.
Sinke tief hinein, aber werde trotzdem an der Oberfläche gehalten. Ein wahnsinniger Mob veranstaltet einen Hexentanz um mich herum und ein Feuerwerk aus Lichtern explodiert am Himmel.
Doch es ist gar kein Himmel.
Es sieht eher aus wie ein Blätterdach, das sich über mir wölbt.
Oder?
Nein, ich glaube, es ist eine Höhle. Ich schaue mich um und stelle fest, das ich tatsächlich in einer Höhle sein muss, schließlich leben Kobolde ja unter der Erde. Oder sind das Zwerge? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?
Der Musik nach befinde ich mich in einem Zirkus oder auf der Kirmes. Vielleicht auch ein Kindergeburtstag? Jedenfalls sehr fröhlich, etwa so wie die Musik in alten Ritterfilmen, nur etwas mechanischer. Ich glaube, ich habe das schon mal gehört.
Aber wo?
Ich glaube, es ist gar nicht so lange her. Vielleicht letztes Wochenende oder so.
„Alles klar?“
Zwischen dem Rauschen, Quietschen und Tosen, welches von einem schweren Hämmern begleitet wird, höre ich eine zarte, weiche Stimme.
Aber wo kam sie her?
Ich sehe mich um und schaue in die größten und schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Ich muss unwillkürlich an meinen Monchichi denken, den ich früher mal besaß. Ich nehme ihre Hand und versuche, ihr den Daumen ihrer linken Hand in den Mund zu stecken. Doch sie wehrt sich dagegen. Ich verstehe nicht, was los ist, und versuche es weiter.
Doch plötzlich sind ihre Augen nicht mehr schön. Es sind jetzt die Augen einer gemeinen alten Hexe oder eines fiesen Reptils, die mich anstarren. Zwischen den unverständlichen Worten, welche sie ausspuckt, vernehme ich etwas was sich anhört wie: „Sag mal haste sie noch alle? Kommste klar?“.
Ich verstehe nicht warum.
Sie ist jetzt nicht mehr schön sondern nur noch eine hässliche Fratze. Ich weiß nicht, was ich ihr getan habe. Um sie herum sitzen ihre Schergen mit gemeinen Gesichtern, nur darauf wartend über mich her zu fallen.
Ich tauche auf, gehe ein paar Schritte, lasse den Chill-Out-Bereich mit den großen mit schwarzem Leder bezogenen Matratzen hinter mir und stehe plötzlich mittendrin in einem Meer schwitzender Leiber.
Ich habe das Gefühl, ich kann nicht mehr atmen. Ich versuche, mich durch die Brandung aus Menschen zu kämpfen. Ich stolpere und taumele zwischen den Massen hindurch, trete auf Füße und stoße gegen andere Leiber. Schweiß strömt meinen Körper hinab. War mir eben doch noch etwas kalt, so habe ich jetzt das Gefühl, in einem riesigen Kochtopf zu stecken.
Plötzlich ein Schmerz in meinem Fuß.
Ich schaue hinunter und erstarre.
Was eben noch aussah wie ein Fuß, ist auf einmal ein Huf. Ich kann nicht erkennen, zu wem er gehört, denn er ist schon wieder in der Menge verschwunden. Dennoch mache ich vor Schreck einen Satz zurück. Dabei stoße ich fast zwei Mädchen um, die mich wütend anfauchen.
„Ey, du Spinner, Kannste nicht aufpassen!“
Plötzlich sehe ich nur noch Fratzen um mich herum, die mich angrinsen. Ich sehe, wie man über mich lacht. Einige zeigen mit dem Finger auf mich und tuscheln.
Ich muss so schnell wie möglich raus hier.
Da sehe ich etwas.
Über einer Tür hängt ein grün-weißes Leuchtschild mit einer Zeichnung darauf. Ich versuche meine Augen scharf zu stellen, um erkennen zu können, was es ist. Doch es will mir nicht gelingen. Ich habe das schon mal irgendwo gesehen, dessen bin ich mir ganz sicher.
Aber wo?
Ich komme nicht darauf, aber es wirkt auf mich wie ein Zeichen in der Dunkelheit. Also stolpere ich darauf zu. Als ich dort ankomme, erkenne ich, dass es sich hier um den Ausgang aus diesem Alptraum handeln muss.
Ich erinnere mich vage, hier schon mal gewesen zu sein. Alles um mich herum wirkt vertraut und zugleich sehr beängstigend. Der Ausgang wird von bulligen Kriegern bewacht, die zornige Blicke in die Menge schleudern. Es kann sich nur um Söldner oder etwas ähnliches handeln. Irgendeine paramilitärische geheime Einheit. Dazu ausgebildet, Menschen wie mich aufzuspüren und ihnen unaussprechliche Dinge an zu tun.
Wie soll ich da bloß durchkommen?
Ich schaue mich um.
Ich sehe nur feindselige Gesichter, die mich mit unverhohlenem Hass mustern, aber die Soldaten haben mich noch nicht entdeckt. Ich stelle mich in eine dunkle Ecke und beobachte die Kontrollen am Checkpoint. Nach einer Zeit stelle ich fest, dass die Soldaten nur die Leute kontrollieren, die herein kommen. Die, die herausgehen, müssen allerdings Geld bezahlen. Ich schaue mir das noch eine Weile an, kann aber keine logische Erklärung für diese Vorgänge finden.
Ich lasse es auf einen Versuch ankommen.
Ich gehe auf den Ausgang zu, schmeiße 10¤ auf die Theke und gehe direkt weiter.
Im Vorbeigehen sehe ich es wieder.
Ein Huf.
Doch sobald ich näher hinschauen will ist er auch schon wieder weg. Panik steigt in mir auf.
Was hat das zu bedeuten?
Jetzt bloß nicht hoch schauen.
Einfach weiter gehen.
Geschafft!
Ich bin draußen.
Im Vorbeigehen höre ich noch, wie der eine der Wächter den anderen fragt: „Hat der seine Karte abgegeben?“
Was für eine Karte, denke ich mir und gehe schnell weiter.
Draußen stehen Menschen, die offensichtlich freiwillig anstehen, um in die Hölle zu gelangen, der ich eben erst entflohen bin. Sie mustern mich mit feindseligen Blicken.
Ich gehe weiter.
Langsam, um nicht auf zu fallen.
Plötzlich höre ich jemanden rufen.
„Ey, du da!“
Ich bin bestimmt nicht gemeint.
„Bleib mal stehen!“
Der kann auch jeden anderen meinen, dreh dich bloß nicht um, das wirkt nur verdächtig.
Dann höre ich eine andere Stimme
„Den Wichser hol ich mir.“
Ich höre schwere Schritte über den Asphalt poltern, der Boden bebt.
Jetzt kommen sie dich holen, denke ich.
So schnell meine Beine mich tragen können, renne ich los. Ich renne so schnell wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin. Immer, wenn ich langsamer werden möchte, weil ich denke, dass meine Lunge zerspringt, höre ich ihr Schnaufen und ihre Schritte hinter mir. Spüre ihren heißen Atem in meinem Nacken.
Als das Trampeln hinter mir endlich aufhört, bin ich klitschnass geschwitzt. Jetzt ist mir kalt. Ich schaue vorsichtig um die Ecke, um sicher zu gehen, dass mir keiner mehr folgt.
Niemand.
Endlich habe ich sie abgehängt.
Ich bin jetzt in einer sehr eigenartigen Gegend. Alles ist schief und krumm. Irgendwie habe ich das Gefühl, die Stadt um mich herum pulsiert, ist ständig in Bewegung. Die Häuser und sogar die Straße wirken auf mich als würden sie atmen... Leben.
Ich schaue auf das Kopfsteinpflaster und merke, dass ich ein Problem habe. Die Steine bleiben nicht an ihrer vorhergesehen Stelle sondern verschieben sich jedes Mal, wenn ich einen Schritt machen möchte. Ich versuche einfach los zu gehen, doch verliere unmittelbar das Gleichgewicht.
Was ist das wieder für eine Hexerei?
Vorsichtig tastend kämpfe ich mich zum rettenden Asphalt vor.
Geschafft.
Endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Langsam gehe ich weiter. Die Gegend kommt mir bekannt vor. Auch wenn die Häuser mich mit bedrohlichem Blick mustern. Ich weiß, soweit kann es nicht mehr sein. Noch 3 Blöcke und ich bin zu Hause. Ich beschleunige meine Schritte.
Doch plötzlich höre ich wieder Schritte hinter mir.
Oder ist es nicht das Geräusch eines Hufs?
Ich bleibe stehen. Das Geräusch der Schritte hat aufgehört. Ich schaue mich um. Niemand. Ich gehe weiter, und wieder höre ich es. Ich werde schneller, aber auch die Schritte hinter mir werden schneller. Ich renne um die nächste Ecke und bleibe stehen.
Nichts mehr zu hören.
Ich warte einen Augenblick und schaue dann vorsichtig um die Ecke.
Nichts zu sehen.
Ich schaue mich nach allen Seiten um, aber kann nichts erkennen. Es ist als ob die Schatten immer größer werden. Langsam kriechen sie aus ihren dunklen Ecken auf mich zu. Jetzt gibt es nur noch eine Rettung: Laufen so schnell ich kann, bevor die Schatten mich erreichen und mich die Dunkelheit verschluckt.
Ich renne los.
Hinter mir die Schritte werden mal lauter und mal wieder leiser, bleiben aber konsequent hinter mir.
Auf einmal höre ich nichts mehr außer meinem eigenen pfeifenden Atem.
Bin ich es los?
Ich überquere die Straße und da sehe ich es wieder. Es grinst mich aus einem parkenden Auto heraus an. Ich sehe nur seine leuchtenden weißen Zähne. Aber das reicht mir. Ich zucke zusammen als hätte ich einen Stromschlag bekommen, und ein erstickter Schrei ertönt aus meinem Hals.
Ohne nach rechts oder links zu schauen, renne ich bis zu dem Garten von dem Haus meiner Eltern.
Der sonst so vertraute Garten liegt finster da. In jedem Gebüsch blinkende funkelnde böse Augen, die mich mustern und darauf warten dass ich zu ihnen komme. Ich höre ihr Flüstern aus dem Gebüsch, kann aber nicht verstehen, was sie sagen.
Was jetzt?
Ich sollte den Garten auf der Rückseite durchqueren, wo die große Wiese ist und nicht so viele Büsche, in denen man sich verstecken kann.
Ich schleiche auf die Rückseite und schaue vorsichtig über den Zaun. Nichts zu sehen. Ich lausche angestrengt und kann auch nichts hören. Ich atme tief ein, fasse mir ein Herz und mache einen Satz über den Zaun.
Jetzt stehe ich auf der Wiese.
Plötzlich ist es nicht mehr ruhig, von einem Moment auf den anderen höre ich wieder ein Wispern. Diesmal aus der Richtung der Palmen, die meine Eltern, als wir damals eingezogen sind, gepflanzt haben. Ich versuche etwas zu verstehen, aber es sind nur unverständliche flüsternde Stimmen. Aus der Richtung der Gebüsche im vorderen Teil des Gartens höre ich ein Rascheln und Knacken. Die Wiese pulsiert und wird auf einmal weich und glitschig. Ich habe bei jedem Schritt das Gefühl zu versinken.
Das Haus scheint unendlich weit weg.
Ich bewege mich mit zitternden Knien vorwärts. Schritt vor Schritt in geduckter Haltung mache ich mich auf den Weg.
Dann höre ich es.
Es ist wie der Laut eines gequälten Kindes. Es geht mir durch Mark und Bein.
Ich erstarre und fange am ganzen Körper an zu zittern.
Dann greift es an.
Es rast aus dem Gebüsch auf mich zu.
Doch ich kann ich nicht bewegen, bin wie gelähmt.
Was ist es?
Was will es von mir?
Ich kann das Wesen nicht genau erkennen. Aber ich weiß, das es mir ans Leben will. Es sieht schrecklich aus. Es ist die Kreatur aus all meinen schlechten Träumen. Das manifestierte Böse, das mich die ganze Nacht gejagt hat.
Ich schreie.
Plötzlich explodiert die Luft in gleißendem Licht. Ich kann nichts mehr sehen.
Jetzt hat es mich.
Bin ich tot?
Blind?
Meine Augen gewöhnen sich langsam an die Helligkeit. Ich erwarte immer noch, jeden Moment angegriffen zu werden. Dann schält sich langsam ein vertrauter dunkler Umriss aus der Wand aus Licht heraus.
„Papa?“
Voller Erleichterung sehe ich meinen Vater an der Hintertür stehen.
Er hat es in die Flucht geschlagen.
Auf einmal stehe ich wieder in absoluter Dunkelheit. Bunte Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich fühle eine Hand in meiner. Eine große, eine vertraute Hand.
„Papa“
Mehr fällt mir nicht ein. Ich hab es geschafft.
Ich höre das über mich gesprochen wird, während ich von liebevollen Händen ausgezogen und ins Bett gelegt werde. Ich kann zwar nicht genau verstehen, was gesprochen wird, aber ich bemerke einen besorgten Unterton in der Stimme meines Vaters.
„Es war nur wieder diese Katze.“
Und die ängstliche Stimme meiner Mutter.
„Ob er wohl wieder Drogen genommen hat?“.
Der Rest der Worte wird von dem Rauschen in meinen Kopf und dem Klingeln in meinen Ohren verschluckt.
Ich bekomme eine Tablette und kurze Zeit später fühle ich mich wie in Watte gepackt. Ich spüre eine Hand, die mein Gesicht streichelt.
Es ist eine große Hand mit dünnen langen Fingern. „Klavierspielerhände“ würde mein Opa sagen, oder „Chirurgenhände“.
Es sind dieselben Hände, wie ich sie auch habe. Nur, dass ich nie Chirurg sein werde, und mit dem Klavierspielen habe ich vor Jahren aufgehört.
Das sind meine letzten Gedanken. Dann bin ich weg. Ich sinke in einen tiefen Schlaf voller wilder Träume, an die ich mich nicht erinnern werde.
Erst am späten Nachmittag werde ich von der Sonne, die durch mein Fenster auf mein Bett fällt, geweckt.

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Tag der Veröffentlichung: 05.04.2009

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