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Nur noch eine Stunde

 

 

 

Inspektor Peter Hirscher saß im Gastgarten des Festungsrestaurants und genoss die Wärme der untergehenden Sonne auf seiner Haut. Er verschränkte zufrieden die Hände hinter seinem Kopf und ließ seinen Blick über das frisch gestrichene Geländer hinweg in die weite Ferne, die sich bis zum Horizont erstreckte, schweifen. Das saftige Grün das nahtlos in die hohen Berge der Alpen mit schneebedeckten Hügeln überging, ließ ihn für einen Moment seinen harten Alltag als Inspektor bei der Wiener Mordkommission vergessen.

Er nahm sein Krügerl Bier, das auf dem Tisch vor ihm perlte, prostete sich in Gedanken selbst zu und trank in tiefen Schlucken, ehe er sich mit einem karierten Stofftaschentuch den Schaum von den Lippen wischte. Hirscher beglückwünschte sich im Stillen zu der Entscheidung seinen Urlaub in Salzburg zu verbringen. Nun hatte es ihn in das Restaurant der Festung Hohensalzburg verschlagen, zu dessen Füßen die Altstadt lag, durch die sich majestätisch die Salzach schlängelte.

Obwohl er sich vorgenommen hatte, die Festung früher zu besichtigen um eine der angebotenen Führungen zu genießen, bereute er den spontanen Ausflug in Mozarts Geburtshaus nicht. Vielleicht, so dachte er, würde er morgen noch einmal mit der Festungsbahn hierher kommen und dann an einer Führung teilnehmen, obwohl er angesichts der hohen Preise für eine Auffahrt schon aus Prinzip versucht war, dies abzulehnen.

Er packte einen abgewetzten Reiseführer aus und schlug die Seite auf, die mit einem Lesebändchen markiert war. Hirscher verschlang das gut bebilderte Kapitel, das einem ein Gefühl davon vermittelte, was in den Innenräumen der Burg auf einem wartete. Er blickte mit großen Augen auf, als vom Nebentisch das Wort „Führung“ an sein Ohr drang.

„Ja, wie den nun?“, wollte ein korpulenter Mann mit Glatze wissen, der seinen Körper auf einem Gehstock rasten ließ, „Jetzt kommen wir den weiten Weg von Berlin hierher, und Sie erzählen mir, es gibt keine Führung mehr?“

„Es tut mir leid“, erwiderte ein junger Mann mit militärischem Haarschnitt.

Um seinen Hals trug er ein den Salzburger Landesfarben entsprechendes Lanyard, an dem ein Ausweis baumelte, der ihn als Burgführer auswies.

„Das ist doch Kacke“, fluchte der glatzköpfige Mann fortgeschrittenen Alters und fuchtelte wild mit seinem Kirschholzstock umher.

Als er sich beruhigt hatte, griff er in die Tasche seiner Stoffhose und reichte dem Führer anschließend die Hand: „Wann kann die Führung starten?“, fragte er mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen.

„Wäre Ihnen in einer halben Stunde Recht?“, wollte der Führer wissen, dessen Einstellung sich plötzlich um hundertachtzig Grad gedreht hatte.

„Dufte“, antwortete der Mann und drückte seine Frau zufrieden an sich.

Hirscher witterte seine Chance und wollte gerade zum Wort ansetzen, da schob sich die Silhouette eines hageren Mannes in sein Sichtfeld, dessen halblanges braunes Haar im lauen Wind des Sommerabends flatterte.

„Habe ich da etwas von einer Führung gehört? Wäre es vielleicht möglich, mich auch noch mitzunehmen?“, süßraspelte der Mann in seinen Dreißigern.

Der Führer blickte fragend zum Glatzkopf auf.

„Naja, dann wollen wir mal nicht so sein“, antwortete dieser widerwillig.

„Verzeihen Sie die Störung“, ergriff Hirscher schließlich seine Chance, „ich konnte nicht umher Ihre Unterhaltung mitzuhören, ich würde mich auch sehr für eine Führung interessieren“, adressierte er den dicken Deutschen.

„Also gut“, brummte der Fette und zwirbelte seinen Oberlippenbart dabei, bis sich die Haut darunter spannte, „in einer halben Stunde vor dem Kartenschalter.“

„Wenn das so ist“, antwortete Hirscher, „dann kann ich mir ja noch eine Palatschinke mit Schlag bestellen!“

„Eine was?“, beugte sich der Deutsche neugierig vor.

Hirscher seufzte tief, ohne Intention es zu verbergen, „Einen Pfannkuchen.“

„Ach ja“, stieß der Mann ein bellendes Lächeln aus, bevor er seine Stirn in Falten legte, „Aber warum wollen Sie sie schlagen?“

Hirscher schüttelte resignierend den Kopf: „Mit Obers! Ich meinte Obers!“

„Achso, das ist ja was anderes, naja dann sehen wir uns ja gleich“, tätschelte er Hirscher die Schulter, „Ich muss sagen Sie gefallen mir!“

 

Eine halbe Stunde später trafen sich die Fünf im Burghof vor einem eisenbeschlagenen Holztor das in das Innere der Festung führte. Strahlend weiße, mit Zinnen gekrönte Mauern, die in regelmäßigen Abständen von hoch aufragenden Türmen unterbrochen waren, umschlossen den Hof. Die Sonne hatte sich bereits hinter den Mönchsberg gesenkt und langsam wich der Tag der Nacht. In der Mitte des Hofes tat sich eine groß gewachsene Eiche auf, die aus dem Kopfsteinpflaster zu entspringen schien und saftig grüne Blätter trug.

„Ich darf Sie recht herzlich zur Führung durch die Festung Hohensalzburg begrüßen“, rezitierte der Führer auswendig, „mein Name ist Hans, wenn Sie Fragen haben, einfach drauf losschießen.“

Hans kramte einem Schlüsselbund hervor: „Die Burg wird in Kürze schließen, Sie haben das Privileg den Zapfenstreich“, er kicherte, „erst zu späterer Stunde zu erfahren.“

Ohne weitere Umschweife steckte er den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Hans stemmte sich gegen das schwere Tor, das nur widerwillig nachgab. Aus dem Gebäude strömte kalte Luft und umströmte wohltuend Hirschers alternde Haut.

„Wie Sie sicher schon bemerkt haben, ist es im Inneren der Burg relative kühl“, fuhr Hans fort, „das liegt an den meterdicken Wänden, die zum Schutz der Bewohner, aber vor allem zum Schutz des Erzbischofs errichtet wurden.“

Hans ließ seinen Blick durch die Gruppe schweifen, ehe er fortfuhr: „Aber tatsächlich wurde die Festung in ihrer fast eintausend jährigen Geschichte nie eingenommen. Warum…“, er legte eine Kunstpause ein, „das verrate ich Ihnen später.“

Hans führte die Gruppe vorbei an einem verglasten Kassenbereich einen schmalen Wehrgang entlang, aus dem zahlreiche kleine Luken und Pechnasen ragten, bis hin zu einem großen Raum. Hirscher trat durch die Tür in den großen Raum und fühlte sich als wäre er durch ein Portal in eine andere Zeit geschritten. Der Boden war mit eingelassenen Ziegeln gesäumt, an den weiß verputzten Wänden hingen in geringem Abstand Malereien aus unterschiedlichen Stilrichtungen die von dezenten Spots in Szene gesetzt wurden.

Hans trat zu einer roten Kordel, die zwischen zwei Pfosten hing und als Absperrung diente und holte tief Luft: „Hier, meine Damen und Herren, sehen Sie das Bildnis von Erzbischof Gebhard, dem Erbauer der Burg…“

Plötzlich erlosch das Licht und der Raum wurde in Finsternis getaucht.

„Das ist kein Grund zur Sorge“, versuchte Hans Zuversicht auszustrahlen, „ab und zu kommt es vor, dass eine Sicherung kaputt geht oder eine der Leitungen die Arbeit verweigert. Ich bin mir sicher, dass das Licht gleich wieder angeht. Bleiben Sie einfach stehen wo sie sind.“

Hirscher konnte die Hand vor Augen kaum sehen. Durch die wenigen kleinen Fenster, die der Raum bot, schlich sich nur noch die Schwärze der Nacht.

„Meine lieben Leute. Jeder dieser Räume ist mit Taschenlampen ausgestattet, in einer Sekunde haben wir also Licht.“, rief Hans seiner Gruppe durch die Finsternis zu.

Obwohl Hirscher nichts sehen konnte, konnte er Hans hören, wie er sich ungeschickt durch den Raum tastete.

Der zittrige Strahl einer Taschenlampe durchschnitt plötzlich die Schwärze. Ein junger Mann, der ebenfalls einen Ausweis um den Hals trug, stürmte zur Tür und fuchtelte aufgeregt mit seiner Taschenlampe umher.

„Hans“, reif der Mann hysterisch und richtete den Kegel seiner Lampe auf dessen Gesicht, „im goldenen Stüberl ist etwas, das musst du dir sofort ansehen!“

Der korpulente Deutsche wandte sich dem nervösen Mann zu und zwirbelte seinen Bart, sagte aber nichts weiter.

„Was ist denn los?“, wollte Hans wissen.

„Es sieht aus wie eine…“, die Stimme versagte ihm.

„Also gut. Beruhigen Sie sich“, griff Inspektor Hirscher ein und legte seine knochige Hand auf die Schulter des Mannes, „zeigen Sie uns einfach, was los ist.“

Der Mann nickte und zog Hirscher am Ärmel seines karierten Sakkos, Marke Achtziger inklusive Schulterpostern, mit sich. Sie hasteten durch einen Wehrgang, der vom Licht des Vollmondes schwach erhellt wurde, bis sie in einem prunkvollen, holzvertäfelten Raum gelangten, der mit dem Licht einer schwachen Baustellenlampe erhellt wurde. Wie frisch geschlüpfte Küken einer Gans, liefen die Anderen den beiden hinterher.

Im Zentrum des leerstehenden Raumes befand sich ein schwarzer Kasten, an dessen Stirnseite eine rote Digitalanzeige angebracht war. Unter der Anzeige befand sich ein Ziffernblock, auf dem Kasten lag ein weißes Kuvert.

Die Lippen des jungen Mannes zitterten und mit größter Mühe brachte er das Wort „Bombe“ in schrillen Tönen hervor.

„Was, eine Bombe?“, rief der hagere Mann, während der Rest der Gruppe vor Entsetzen in der Bewegung erstarrte.

„Ich möchte Sie bitten, sich zu beruhigen“, erhob Hirscher die Stimme über das allgemeine Geschnatter.

Er griff in seine Tasche und klappte ein abgewetztes Lederetui gut sichtbar über seinem Kopf auf: „ich bin Inspektor Hirscher von der Wiener Polizei. Es ist wichtig, dass Sie jetzt Ruhe bewahren, wir wissen nicht worum es sich hier handelt. Das Ganze kann genauso gut ein dummer Jungenstreich sein.“

Hirscher ließ der Gruppe Zeit sich wieder zu besinnen ehe er den völlig entnervt wirkenden Mann anwies, das Objekt mit seiner Lampe auszuleuchten. Den vehementen Protesten seiner Kniegelenke zum Trotz, bückte er sich und studierte es von allen Seiten. Das Gehäuse des Quaders war schwarz lackiert und die Digitalanzeige zählte von „59:58:12“ abwärts. Vier Schrauben, an denen der Lack abgesplittert war, verbanden das Gehäuse mit dem darunterliegenden Grundgestell.

Hirscher schürzte nachdenklich die Lippen: „Es ist ein Countdown“, flüsterte er mehr zu sich selbst als zu den Anderen.

Spannungsgeladene Stille beherrschte den Raum.

Als das Licht der Baustellenlampe endgültig zu verebben drohte, wandte sich Hirscher zum Führer um: „Wir brauchen Licht, vielleicht ein paar Taschenlampen oder Kerzen?“

„Ja kein Problem, wir haben jede Menge Kerzen hier.“

Hans und der hagere Mann verschwanden durch eine Tür und kamen nur Augenblicke später mit einigen weißen Kerzen, von denen jeweils zwei am Docht verbunden waren, zurück.

Hirscher sah zu wie der Mann mit dem halblangem Haar einen Leatherman aus seiner Tasche zog und die Dochte in der Mitte durchtrennte, während Hans die Kerzen mit einem Feuerzeug entzündete.

Hirscher nahm unterdessen das Kuvert und öffnete es. Er zog ein mit der Hand beschriebenes Blatt Papier heraus.

„Geben Sie mir die Lampe“, wies er den jungen Burgbediensteten an.

Als Hirschers Augen über das Blatt Papier wanderten wurde sein Gesicht aschfahl. Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Als er zu Ende gelesen hatte, räusperte er sich kurz, dann wandte er sich an die Gruppe: „Ich denke es ist notwendig, dass Sie alle hier wissen, was in dem Brief geschrieben steht, also werde ich ihn Ihnen ohne weitere Umschweife vorlesen.“

„Dann machen Sie endlich“, zischte der Mann mit dem Messer.

„Werte Finder. Das Objekt auf das Sie gerade blicken ist eine Bombe. Sie haben nur eine Stunde Zeit sie zu entschärfen und der einzige Weg dazu ist es, den richtigen Code in den Ziffernblock einzugeben. Nur ich kenne den Code und ich bin unter euch. Findet mich und ihr findet den Code, wenn ihr aber flüchtet oder falsch liegt, dann geht die Bombe hoch und ihr seid tot. Euer Bombenleger.“

Entsetzte Augen wanderten umher, trafen sich und scannten hektisch den Rest der Gruppe. Der dicke Deutsche trat instinktiv einen Schritt zurück und hielt eine Hand schützend vor seinen Körper, mit der anderen umkrampfte er seinen Stock.

Hirscher stemmte die Arme gegen seine Oberschenkel, als er seinen alternden Körper zwang, sich wieder aufzurichten: „Meine Herrschaften! Ich weiß, dass das jetzt viel von Ihnen verlangt ist, aber Sie müssen sich beruhigen. Sollte es sich wirklich um eine Bombe handeln, dann spielt die Zeit gegen uns. Ich möchte Sie jetzt alle kurz befragen, um herauszufinden was hier los ist.“

Als das Gemurmel schließlich verebbte, wandte sich Hirscher an Hans: „Wie viele Menschen befinden sich noch auf der Festung?“

„Äh, nur wir. Der Betrieb wurde um 21 Uhr eingestellt.“

„Und jetzt haben wir es viertel vor Zehn.“, fuhr Hirscher fort während er auf sein Rolex Imitat, das er beim letzten Zahnarztbesuch in Ungarn erstanden hatte, blickte.

„Ist es normal, dass Führungen außerhalb der Öffnungszeiten angeboten werden?“, wollte er wissen.

„Nun ja, eigentlich nicht.“

„Ich verstehe. Weiß irgendjemand von den Verantwortlichen, dass noch Menschen hier sind?“

Hans senkte den Blick: „Nein, leider nicht.“

Ein Raunen ging durch den Saal.

„Aber lassen Sie es mich erklären“, fuhr Hans fort, „Herr Müller hier“, er deutete auf den korpulenten Mann, „er hat mir Geld zugesteckt für eine Sonderführung. Normalerweise mache ich so etwas nicht, aber gestern wurde ich gekündigt. Die Stadt müsse Stellen abbauen, hieß es, also dachte ich mir, warum denn nicht, wer weiß wann ich wieder Arbeit finde, so gut bezahlt das Arbeitsmarktservice nicht.“

Beschämt wich er Hirschers Blicken aus.

„Nun gut“, brummte Hirscher und strich mit den Fingern durch sein krauses Haar, „kommen wir als nächstes zu Ihnen Herr Müller.“

Das Licht der Lampe spiegelte sich auf Müllers schweißbesetzter Glatze wieder: „Sie verdächtigen doch nicht etwa mich?“

„Ich verdächtige niemanden“, korrigierte Hirscher naserümpfend, „trotzdem würde ich gerne wissen, seit wann Sie und ihre Gattin hier urlauben.“

„Wir sind gestern hier angekommen“, schnaubte er, während er sich den Schweiß mit dem Ärmel seines Hemdes von der Stirn wischte, „wir haben eine Salzburg Card gelöst, die eine Auffahrt zur Festung beinhaltet, nicht mehr.“

„Wenn ich mir die Frage erlauben dürfte: Ihr steifes Bein, was ist Ihnen passiert?“

„Vor zwei Jahren hatte ich einen Schiunfall. Bin mit einer Pistenraupe kollidiert und dann wochenlang im Krankenhaus gelegen. Das Bein konnten die Ärzte retten, aber seitdem ist es steif wie ein Holzscheit.“

„Ich verstehe“, antwortete Hirscher, während er in ein kleines Ringbuch Hieroglyphen kritzelte, „jetzt müsste ich nur noch wissen, wo das war, dann sind wir auch schon wieder fertig.“

Unruhig zappelte Müller hin und her, seine Frau umklammerte seinen Oberarm und fieberte mit ihm mit: „Es war in Flachau Mensch, in Flachau!“, fröstelte er ungehalten.

Hirscher legte die Stirn in Falten: „Mit anderen Worten in Salzburg.“

Müller schnaubte und sagte sonst nichts.

„Vielen Dank, Herr Müller“, Hirscher schrieb mit seinen Kugelschreiber, der blaue Flecken an seinen Fingern hinterließ, eifrig in sein Notizheft.

Sein Blick erfasste den hageren Mann, dessen halblanges, braunes Haar zu einem Mittelscheitel gekämmt war: „Wie heißen Sie?“

„Mein Name ist Robert Schaller.“

„Herr Schaller. Ihrem Dialekt kann ich entnehmen, dass Sie Salzburger sind, nicht wahr?“

„Da haben Sie Recht“, bestätigte Schaller.

„Besuchen Sie die Festung öfters?“

„Ja ab und zu. Ich habe eine Monatskarte. Wissen Sie, ich bin zur Zeit arbeitslos und da habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, hierher zu kommen um zu entspannen, nichts weiter.“

„Wo waren Sie zuletzt beschäftigt?“

„Im Stadtwerk, Herr Inspektor.“

„Und warum jetzt nicht mehr?“

„Nun ja“, antwortete der Mann und kratzte sich nervös an der Haarnarbe seines Mittelscheitels, „Ich habe gegen die Stadt prozessiert. Ich habe rechtmäßig ein Grundstück erworben und mir einen Kredit dafür aufgenommen. Einem der Stadträte gefiel das Grundstück ebenso gut wie mir und da hat er sich auf ein Vorkaufsrecht bezogen, dass es vorher so nicht gab und es mir weggeschnappt. Die Bank wollte den Kredit allerdings nicht stornieren und ohne Sicherheiten in Form des Grundstückes kündigte sie mir den Kredit auf.“

Die Augen des Mannes verfinsterten sich zu engen Schlitzen: „Ich habe dann eben die Stadt geklagt, bin aber gescheitert. Es stellte sich heraus, dass es vielen Arbeitgebern widerstrebt, Personen zu beschäftigen, gegen die sie prozessieren, sogar wenn der Arbeitgeber eine Stadt ist. Mit anderen Worten - ich wurde gefeuert. Sie können das übrigens in der Zeitung nachlesen.“

„Ich verstehe, vielen Dank für Ihre Offenheit.“

„Ich will gleich einmal ehrlich sein, Sie finden es sowieso heraus“, preschte der junge Mann hervor, der Hirscher den Weg zur Bombe gewiesen hatte.

„Ja bitte“, antwortete Hirscher.

Der kleingewachsene Mann rückte sich seine Hornbrille zurecht: „Mein Name ist Alex, ich bin vierundzwanzig Jahre alt. Eigentlich jobbe ich hier neben meinem Chemiestudium, da mir aber das Stipendium der Stadt gestrichen wurde, und mich meine Eltern finanziell nicht unterstützen können, musste ich mein Studium vor zwei Wochen aufgeben.“

Der Mann holte tief Luft: „Aber ich schwöre, ich habe mit der Bombe nichts zu tun, das müssen Sie mir glauben!“

„Vielen Dank Alex, Sie haben mir sämtliche Fragen beantwortet“, blinzelte Hirscher den jungen Mann aufmunternd zu.

Hirscher kritzelte letzte Details in sein Ringbuch, ehe er es zuklappte und Hans zu sich bat: „Hans, ich brauche etwas ganz Spezielles von Ihnen.“

Hirscher flüsterte Hans ein paar Worte ins Ohr, ehe er sich dem Rest der Gruppe zuwandte: „Hans und ich werden einige der Nebenräume durchsuchen müssen, um Informationen zu sammeln. Da in weniger als einer Stunde die Polizei sowieso nicht hier sein kann und wir mit Sicherheit nicht fliehen werden, denke ich, der Bombenleger hat damit kein Problem.“

Sein Blick wanderte fragend durch die Gruppe, aber niemand widersprach.

„Alex wird während unserer Anwesenheit hier das Kommando übernehmen. Ich möchte, dass sich jeder strikt an seine Anweisungen hält!“

Hirscher ließ seinen Blick durch den mit Holz ausgeschlagenen und unzähligen vergoldeten Ornamenten verzierten Raum schweifen: „Wo führt diese Tür hin?“

Er deutete auf eine oben abgeschrägte Tür mit kunstvollen Schnitzereien und vergoldeten Beschlägen.

Hans kicherte: „Das ist die Erzbischöfliche Toilette, echt sehenswert.“

Als Hans in die verängstigen Gesichter der Anderen blickte, verschwand das Lächeln schlagartig von seinen Lippen.

„Dann würde ich vorschlagen“, fuhr Hirscher fort, „Sie zeigen mir einfach die angrenzenden Räumlichkeiten.“

„Ja natürlich“, erwiderte Hans.

Er wagte einen letzten Blick auf die Digitalanzeige, die 00:36:25 anzeigte, dann folgte er Hans zu einer goldbesetzten Tür.

Als sich Hans und Hirscher im Wehrgang befanden und die Tür hinter ihnen in die Angeln glitt, sprach Hirscher in schnellen Worten: „Ich brauche Zeitungen. Zeitungen der letzten Tage, so viele Sie mir bieten können.“

Hans legte nachdenklich die Stirn in Falten: „Nun ja, wir bieten Zeitungen im Restaurant an. Üblicherweise werden sie im Altpapier gesammelt. Der Container wird einmal pro Woche abgeholt, ist logistisch gar nicht so einfach hier am Stadtberg, wissen Sie.“

„Wo wird das Altpapier gesammelt?“

„Im Glashaus.“

„Glashaus?“, runzelte Hirscher die Stirn.

„Ja, so nennen wir hier den Ticketschalter.“

„Ach ja, ich verstehe. Dann würde ich sagen, wir gehen dort hin.“

Auf dem Weg zum Ticketschalter fragte Hirscher: „Welchen Beruf haben Sie eigentlich gelernt, Hans?“

„Elektriker. Aber wissen Sie, die Arbeit auf Baustellen hat mir nie besonders gefallen und Fabriken sind nichts für mich.“

Hirscher grinste: „Elektriker? Das ist ja wie bestellt!“

„Wie bestellt?“, wiederholte Hans verdutzt.

„Ja, wie bestellt!“

In Hirschers Augen spiegelte sich neue Hoffnung wieder.

Er sah sich nach allen Seiten um ehe er Hans, der unentwegt nickte, einige Worte ins Ohr flüsterte.

Am Ticketschalter angekommen stürzte sich Hirscher auf die Altpapierbox, als wäre darin ein Schatz vergraben. Schnell hatte er ein paar Exemplare der Salzburger Nachrichten, des Standards und der Kronen Zeitung aus dem Müll gefischt und blätterte eifrig darin, während Hans den Ticketschalter in östliche Richtung verließ.

Wenige Minuten später ballte er triumphierend die Fäuste. Mit seinen von Druckerschwärze verfärbten Fingern riss er vorsichtig einen Artikel aus der Zeitung und hastete zurück zu den anderen in die goldene Stube.

Robert Schaller saß neben Alex im Langsitz am Boden. Beide waren in sich gekehrt und starrten auf den quadratischen Kasten, von dem ihr Leben abhing.

Müller ging unterdessen im Raum wie ein Raubtier in seinem Gehege auf und ab, dicht gefolgt von seiner Frau, die eher an ein Anhängsel erinnerte, als an ein selbstständig überlebensfähiges Wesen. Das monotone Stakkato Müllers Bewegungen, als er sich eines ums andere Mal auf seinen Gehstock stützte und sein steifes Bein mit einer drehenden Hüftbewegung nachzog, untermalte die Stille, die im Raum herrschte.

Fragende Gesichter wandten sich zur Tür, als Hirscher hereinplatzte. Hektisch wagte er einen Blick auf das Display der Bombe – elf Minuten und dreizehn Sekunden, hoffentlich noch genug Zeit, um die Explosion zu verhindern.

Hirscher öffnete den obersten Knopf seines abgetragenen Hemdes, bevor er alle Anwesenden zu sich bat. Kurz darauf hastete auch Hans herbei. In seinen Händen hielt er ein Kartenlesegerät, das über zwei lose Kabel mit dem Akku eines Elektroschraubers verbunden war.

„Sollte funktionieren, Inspektor“, sagte er stolz.

Hirscher nickte und bat ihn mit einer Handbewegung den Kreis, den die Gruppe um das schwarze Objekt bildete, zu schließen.

Die flackernden Kerzen tauchten den Raum in schummriges Licht und genauso war Hirscher auch zumute.

Er tupfte sich den Schweiß von der Stirn und ermahnte sich selbst ruhig zu bleiben, ehe er das Wort ergriff: „Ich möchte nun alle anwesenden bitten, mir ihre Zutrittskarte auszuhändigen.“

Verdutzt kramten alle in ihren Geldbörsen und Hosentaschen nach den Plastikkarten und händigten ihm eine nach der anderen aus.

Unter den vielen fragenden Gesichtern war es Schaller, der das Wort ergriff: „Was wollen Sie mit unseren Karten?“

„Das ist ganz einfach“, erwiderte Hirscher, „Der Bombenleger hatte weniger als zwei Minuten Zeit, die Bombe zu platzieren und er hat es zu Beginn des Stromausfalles gemacht. Im Salzspeicher war es so dunkel, dass sich faktisch jeder davonschleichen hätte können, der sich den Weg eingeprägt hat.“, Hirscher holte Luft, „mit Ausnahmen von Hans. Er war damit beschäftigt die Gruppe zu beruhigen und eine Taschenlampe zu organisieren. Wenn meine Vermutung stimmt, dann muss der Bombenleger bereits einmal innerhalb der letzten Tage einer Führung beigewohnt haben, während der er die Bombe versteckt hat.“

„Ihr Schluss mag logisch klingen“, warf Müller ein, der seinen Stock wie ein Dirigent durch die Lüfte schwang, „es ist aber trotzdem weit hergeholt.“

„Das mag schon sein“, gab Hirscher zu, „ich bin aber erst am Anfang meiner Ausführungen. Ich möchte Sie bitten etwas Geduld mit mir zu haben.“

Als Hans alle Karten ausgelesen hatte, flüsterte er Hirscher seine Erkenntnisse ins Ohr. Hirscher nickte zustimmend, als hätte er die Antwort bereits erahnt, und wandte sich wieder der Gruppe zu.

Hirscher zog ein Stück in der Mitte zusammengefaltetes Recyclingpapier aus der Tasche, setzte seine Lesebrille, deren Drahtgestell verzogen war, auf und las laut vor: „Salzburger verliert Prozess gegen Stadt. Auf dem Grundstück eines Salzburgers wurde bei Bautätigkeiten eine Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg gefunden.“, Hirscher blickte über den Rand seiner Brille hinweg zur Gruppe.

Keiner der Anwesende ließ sich etwas anmerken, also beschloss er weiterzulesen: „Die Entschärfung und anschließende Entsorgung der Bombe kostet dem Besitzer einhundertausend Euro. Laut österreichischem Recht hat er die Kosten selbst zu tragen. Eine erneute Berufung am Salzburger Landesgericht wurde abgewiesen. Der Grundstücksbesitzer sieht sich nach eigenen Angaben vor dem finanziellen Ruin.“

Hirscher seufzte ehe er die aus der Zeitung herausgerissene Seite wieder wegsteckte: „Zu guter letzt, Herr Schaller, möchte ich Sie bitten, mir Ihrem Leatherman auszuhändigen.“

Mit starrem Blick griff Schaller an seinen Gürtel und zog das Multifunktionswerkzeug aus dem Futter: „Hier Inspektor“, sagte er mit dünner Stimme.

Hirscher klappte den Kreuzschlitz-Schraubendreher auf und beleuchtete ihn mit der Taschenlampe: „Herr Schaller, sehen Sie die schwarzen Lackreste am Schraubendreher?“

Schaller senkte seinen Blick auf den Boden.

„Was denken Sie, würde eine Laboruntersuchung des Lackes auf Ihrem Messer verglichen mit dem Lack vom Gehäuse der Bombe ergeben?“

Hirscher fixierte Schaller mit eisernem Blick.

„Die Proben würden identisch sein“, stotterte Schaller.

Lautstarke Entrüstung machte sich unter den anderen breit, die Hirscher mit einer raschen Handbewegung im Keim erstickte.

„Ihre Monatskarte zeigt, dass Sie gestern hier waren. Ich vermute Sie haben dann in der Burg die Bombe versteckt und die elektrischen Leitungen manipuliert.“

„Diese Stadt“, sprach Schaller unter Tränen, „hat mir mein Leben genommen. Zuerst mein Geld, darauf folgte der Verlust meines Jobs und dann verließ mich auch noch meine Frau“, nach einer kurzen Pause fuhr er fort, „Jetzt wollen Sie wohl den Code wissen“, sagte Schaller gefasster.

„Es reicht vollkommen, wenn Sie ihn eintippen“, antwortete Hirscher, dem das Mitleid für sein Gegenüber ins Gesicht geschrieben stand.

Schaller trat vor und tippte einen vierstelligen Code in den Ziffernblock unterhalb des Displays, das daraufhin bei drei Minuten und sieben Sekunden einfror.

Müller klopfte Hirscher auf die Schulter und blickte gebannt auf das Display: „Tja mein Junge, für Hollywood reichen die drei Minuten nicht, aber alles in allem Dufte gemacht!“

Hirscher stieß ein verhaltenes Lächeln aus und atmete tief ein.

Eine Stunde später herrschte in der Festung eine Geschäftigkeit wie in einem Bienenkorb. Sprengstoffexperten untersuchten die Bombe, die tatsächlich funktionsfähig zu sein schien, während Polizeifotographen die Räumlichkeiten mit ihren Blitzlichtern erhellten und Spurensicherer mit weichen Pinseln und Puder nach Fingerabdrücken suchten.

Inspektor Hirscher stand in einer Ecke des Raumes und schwor sich hoch und heilig nie wieder zu Urlauben, während er hinter seinem Rücken die Finger überkreuzte und dabei herzhaft in sich hineinlachte.

 

weitere Werke (mein erstes "richtiges" Buch :-)):

Nate Reynolds - Der unsichtbare Feind (86113 Wörter):

Während Inspektor Stark an einem Dreifachmord in Wiens High Society ermittelt, findet die Virologin Doktor Tanja Pavlova bei einer Routineuntersuchung ein unbekanntes Virus. Verfolgt von demselben perfiden Killer, führt das sie das Schicksal zusammen. Als auch noch Tanjas Vorgesetzter ermordet aufgefunden wird und die beiden unter Verdacht geraten, ist es tödliche Gewissheit, dass sie niemandem mehr vertrauen können und auf sich alleine gestellt sind. Während das Virus in Wien wütet und der Ausnahmezustand ausgerufen wird, beginnt für das ungleiche Paar ein Wettlauf gegen die Zeit.

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

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