Vielfraß Gesellschaft (Wolverine Society)
Die Geschichte von K.
Dröhnende Musik lässt mich aufschrecken. Wo bin ich hier? Meine Augen verraten mir nichts darüber, denn ich sehe nur verschwommen. Ich scheine jedoch auf einem Sofa zu sitzen. Ich muss eingeschlafen sein. Auf meinem Schoß liegt etwas schweres. Nun muss ich mich auf meinen Tastsinn verlassen. Meine Hände gleiten über ein menschliches Wesen. Es ist eine Frau. Weiche Haut und zarte Hände. Es muss eine Frau sein. Sie schläft.
Ich höre aus jeder Ecke das Flüstern vieler anderer Menschen. Ich kann jedoch kein Wort davon wahrnehmen. Allmählich gewöhnen sich meine Augen wieder an das Hier und Jetzt. Ich kann zumindest meine Umgebung wieder einigermaßen wahrnehmen. Ich sehe eine große Halle vor mir. Viele Menschen. Menschen die ausgelassen feiern. Dunkle Lichter wohin ich schaue. Es macht den Anschein als würden wir uns alle hier in einem kellerartigen Komplex befinden. Sieht mir nach einem Szene Club aus. Doch wie bin ich hierher gekommen? Ehrlich gesagt kann ich mich momentan gerade mal an meinem Namen erinnern. Ich habe keine Ahnung woher ich komme oder wie meine Eltern aussehen. Eine Amnesie? Hat mir hier vielleicht irgendjemand eine Droge in mein Getränk gemischt? Ich muss nachdenken. Aber erst einmal muss ich diesen Keller
verlassen.
Ich bewege das schlafende Mädchen sanft von meinem Schoß und lege es aufrecht auf das Sofa. Aber bereits nach Zwei Schritten fühle ich mich als würde ich auf dem Mond spazieren gehen. Es hat mich direkt in einen der Sessel zurück geworfen. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Betonklotz. Diese Musik. Wenn sie doch nur leiser oder komplett ausgeschaltet wäre. Es muss Rock Musik sein. Ich nehme diese Fragmente von Tönen jedoch nur als ein weit entferntes, verzerrtes Echo wahr. Genau wie diese Stimmen um mich herum.
Ich drücke Daumen und Zeigefinger gegen meine Schläfe. Versuchen diesem Lärm zu entkommen. Ein Lärm der sich so anhört als würden 10 verrückte Clowns wie wahnsinnig mit Aluminium Baseballschlägern auf Percussion Trommeln einschlagen. Und jeder dieser Schläge trifft meinen Kopf. Ich muss mich entspannen. Ich lehne meinen Kopf nach hinten. Leider eine schlechte Idee da ich merke wie etwas meine Kehle hinunter gleitet und ich dabei muss zu röcheln. Ich richte mich zügig wieder auf und spucke das woran ich beinahe erstickt wäre aus. Blut. Jetzt läuft es auch aus meiner Nase. Ich berühre sie. Sie schmerzt. Schmerzen als ob mir einer dieser Clowns mit jenem Baseballschläger das Gesicht zertrümmert hätte. Wie bin ich hier nur rein geraten? Ich muss mich zusammenreißen und endlich aufstehen.
Nach meinem Geist kommt auch so langsam mein Körper wieder zur Vernunft. Die Sicht ist nun viel besser. Ich brauche nur noch etwas gegen die Blutung. Vergebens sehe ich hier irgendwo Taschentücher liegen. Aber ich blicke auf das Sofa auf dem ich gerade noch saß und sehe das das Mädchen ohne Unterwäsche dort liegt. Der Slip ist nicht weit von ihr entfernt. Tut mir leid, sage ich in ehrlichem Tonfall zu ihr und greife mir den Slip. Er riecht so unbenutzt. Wahrscheinlich aber übertrumpft lediglich der rostige Geruch und Geschmack meines Blutes jegliche anderen Düfte.
Ich gehe ein paar Schritte. Ich schaue mir alles genau an. Dieser Club, oder wo immer ich mich gerade befinde, könnte das Werk eines LSD abhängigen sein. Genau so sieht es hier aus. Nur es ist nicht bunt. Die Lichter hier wirken alle bedrückend. Es ist kalt. Es kommt mir vor als sei ich in einem wunderschön eingerichteten Kerker gelandet. Auch die anderen Gäste hier, die ausgelassen der Musik lauschen oder sich unterhalten, sehen alles andere als normal aus. Sie sind ausgefallen gekleidet und tragen Tiermasken. Ich trage keine. Nur ein weißes Hemd voller Blut und eine Blue Jeans von Boss
.
Ich gehe vorwärts. Aber dieser Tunnelblick den ich Inne habe verschafft mir keine genaue Übersicht. Doch mit jedem Schritt den ich gehe sehe ich irgendeine verrückte Scheiße. In einem Raum mit Neonlichtern treibt es ein Pärchen. Sie beide tragen Schweinemasken. Der Kerl der das Mädchen dort penetriert frisst irgendein Stück Fleisch dabei. Ein sehr beunruhigender Anblick. Von meinem Standort aus sieht es so aus als ob diese Masken ihre wahren Gesichter seien. Ich nähere mich dem Raum und sehe das es doch nur Latex-Masken sind. Das Maul ist so ausgeschnitten das man auch durch sie fressen kann während man maskiert ist.
Ich setze meinen Weg fort. Ich bewege mich fort als hätte ich nach einem Kater gleich zwei Long Island Iced Tea zum Frühstück getrunken. Der Boden ist glatt. Erbrochenes und anderes Zeug liegt auf dem Boden herum. Es wird jedoch wärmer. Die Menschenansammlungen werden größer. Die Leute in dieser Halle werfen mir verrückte Blicke zu. Sofern ich das deuten kann, immerhin kann ich nicht in ihre Augen blicken. Zumindest schauen sie mich an. Es wird noch wärmer. Die Musik lauter. Die Boxen sind in Sichtweite. Woher aber kommt dieser Gestank? Verbranntes Fleisch. Der Geruch von glühend heißer Holzkohle. Da grillt doch jemand! Ich muss mich vergewissern. Tatsächlich. Ein Fetter Kerl der lediglich eine Badehose und eine unheimliche Grizzlybär Maske trägt grillt Fleisch, direkt neben dem DJ der die Musik auflegt. Und da frisst die ganze Gesellschaft. Wie Tiere die sich auf ihre Beute stürzen.
Da packt es mich plötzlich von hinten und ein Hirsch steht vor mir. Es ist ein schmächtiger Kerl der mich mit zusammenhangslosem Zeug voll. Ich taumle. Ich versuche zu hören was er mir da gerade erzählt. Ich verstehe kein einziges Wort von seinem Gebrabbel. Es regt mich auf. Ich kann nur in seine hässliche Maske glotzen. Doch er grinst. Das sehe ich ganz genau an seinen Lippen und wie sie sich dabei bewegen. Macht sich dieses Arschloch über mich lustig? Er scheint seine Geschichte beendet zu haben. Nun kommt er zu dem, was er mir schon die ganze Zeit präsentieren wollte. Das verbrannte Steak in seiner rechten Hand. Riecht komisch. Weder nach Rind noch nach Schweinefleisch. Was ist das? Ich kann mich nicht länger zurückhalten denn der Anblick dieses Steaks versetzt mir einen tiefen Schlag in den Magen. Ich kotze alles aus was sich noch in meinem Magen befand. Ich kotze diesem Kerl auf die Füße. Alle kriegen es mit. Diese ganzen gestörten Freaks sehen es. Er lacht. Ich höre es. Auch wenn es sich wie ein Echo anhört. Sie lachen alle. Diese elenden Verrückten lachen mich aus!
Ich fange an schneller zu gehen. Hat dieses Gebäude, oder diese unterirdische Anlage überhaupt einen Ausgang? Das schnellere gehen wird zu einem laufen. Ich muss aufpassen das ich auf dem Erbrochenen oder den Essensresten nicht ausrutsche. Aber ich kann nicht mehr. Wohin ich schaue wird gefressen oder gevögelt. Oder beides. Ich komme kaum noch Vorwärts. Der Mensch bei seinen Lieblingsbeschäftigungen in Bestform.
Schon wieder steht so ein Freak vor mir. Er redet und redet. Ich gehe weiter. Ich sehe überall Fratzen. Verdammt ich habe solch eine Angst. Irgendwie muss ich dem Wahnsinn doch entkommen können. Ich sehe eine Tür. Eine Weiße Tür in der Ferne dieser Dunkelheit. Keine Aufschrift. Ich steuere genau darauf zu. Ich sehe nur noch diese Tür vor mir. Wird sie abgeschlossen sein? Eine solch suspekte Tür die diese verrückten Typen fernhält? Ich muss es wagen. Ich drücke die kalte Klinke herunter. Sie ist offen, welch unverschämtes Glück. Ich trete ein. Weißes Licht. Die Tür knallt hinter mir zu. Kein Laut ist mehr zu hören. Doch wo bin ich nun gelandet? Hier ist alles so ruhig und sauber. Mein Kopf bedankt sich.
Ich begutachte den Raum genau. Ist das hier ein Krankenzimmer? Bin ich hier in einem Krankenhaus? Mein Blick schweift zurück, doch die Tür ist nicht mehr da. Meine Augen richten sich auf das was vor mir liegt. Da befindet sich eine Gruppe von Menschen, versammelt um ein Krankenbett. Da stehen Ärzte, Krankenschwestern und mehrere Leute die weinen und trauern. Ich kann ihre Gesichter nicht erkennen. Aber ich kann einigermaßen verstehen was sie sagen. Bevor ich jedoch der Konversation aufrichtig zuhören kann knallt etwas zu Boden. Dunkelrotes Blut und Knochensplitter sind zu sehen. Dieser schöne, saubere Boden, besudelt mit... meinem Blut? Ich fasse mir vorsichtig mit meiner rechten Hand über den Kopf. Ich nehme ein Loch in der Größe eines Tennisballs wahr. Meine Beine werden schwer. Ich falle. Kann das Gleichgewicht nicht mehr halten. Verliere das Bewusstsein. Dabei hätte ich gerne erfahren wen diese Menschen hier beweinen. Keine Chance. Ich schaffe... es nicht mehr. Hat diese Odyssee nun endlich ein Ende?
Das Fazit von K. an die Gesellschaft:
Plötzlich realisiere ich es. Alles war so verdammt einfach. Ich bin dieser Mann um den sich diese viele Menschen versammelt haben. Der erbärmliche Kerl der so bescheuert reinschaut ist mein Bruder. Die Frau die sich bei dem Arzt ausheult (nachdem dieser ihr wohl sagte das ihr Mann seinen Verletzungen früher oder später unterliegen wird) ist meine Ehefrau. Da sind auch noch Freunde von mir. Meine Eltern und meinen Sohn sehe ich jedoch nicht.
Damit habt ihr gerechnet oder? Ihr habt doch bestimmt schon beim ersten Teil gewusst wie berechenbar diese Geschichte doch ist und ich dieser Kerl auf dem Krankenbett bin. Habt ihr gut gemacht. Dafür werdet ihr auch ein Leckerli bekommen. Denkt nicht ich wollte den Freitod suchen. In meinem recht erfolglosen Dasein, das Leben im Mittelmaß, wollte ich, ein mittelmäßiger Kerl etwas ganz besonderes erschaffen. Meine Frau war Mittelmaß, mein Job war nicht einmal von Bedeutung, und mein Sohn wird es ebenfalls werden (genau wie seine Frau die er mal heiraten wird und die Kinder die sie bekommen wird). Willkommen in der Bedeutungslosigkeit. Viele Menschen denken nicht darüber nach oder geben sich damit zufrieden das Mittelmaß zu sein. Wenn sie etwas Futter bekommen sind sie glücklich. Doch es gibt Menschen die sehen sich dazu bestimmt noch etwas zu leisten. Weil diese Menschen kein Interesse an dieser Vielfraß Gesellschaft haben.
Also schrieb ich ein Buch, über Euch. Ein Verlag wollte es sogar publizieren. Mein Ticket zum Erfolg. Und so gebe ich nun denjenigen einen Tipp die ebenfalls eine wage Euphorie in ihrem Geist verspüren und aus dieser Gesellschaft gerne austreten würden: Habt ihr eine Geschichte geschrieben die dann auch noch so überzeugend ist und von einem Verlag akzeptiert wurde, dann gebt gut acht ob das Gebäude des Verlages in dem ihr euer Manuskript abliefern sollt nicht komplett saniert und umgebaut wird. Denn es könnte durchaus passieren, das ihr, wenn ihr das Gebäude verlasst von einem herabfallendem Ziegelstein oder Betonbrocken getroffen werdet und euch anschließend mit dem Treppenhaus anfreundet. Falls ihr es nicht so mit dem Denken habt, gebt wenigstens acht darauf die Finale Version des Manuskripts in eure Mappe zu packen.
Meine Frau wird wohl demnächst, während sie vor Michael Jacksons Liberian Girl
in Tränen ausbrechen wird weil sie dabei unsere gemeinsame Zeit betrauern wird, von dem Verlag angerufen werden welcher sie darüber unterrichten wird das der zuständige Redakteur ein unvollständiges Manuskript von ihrem Ehemann erhalten hat. Dann werden sie mich wahrscheinlich persönlich sprechen wollen. Anschließend wird meine Frau sagen das ihr Mann im Koma liegt und vermutlich nicht mehr aufwachen wird. Der Verlag wird ihr dann mitteilen das sich dies ganz hervorragend trifft weil nun ein Ghost Writer
die Geschichte beenden wird und der Verlag mit einem komatösen oder vielleicht sogar verstorbenen Autor noch viel mehr Geld machen kann. Posthum wird eine solche Veröffentlichung natürlich wesentlich mehr Gewinn einbringen.
Also, ihr mutigen Fleischfresser, hört gut zu: Wenn ihr euch, völlig benommen in einem seltsamen Kerker wiederfindet wo alle Leute Tiermasken tragen und gegrilltes Fleisch verspeisen, ihr dann in der Ferne eine einsame Tür erblickt und diese dann auch noch betreten könnt, nun, dann muss ich euch leider sagen das ihr es nicht geschafft habt. Was aber auch bedeutet, dass euch das nun egal sein kann. Denn ihr habt es ja dennoch geschafft aus dieser Gesellschaft auszutreten.
Was mich nun betrifft, ich habe es noch nicht ganz geschafft. Lest euch doch meine Geschichte durch wenn der Verlag sie veröffentlicht hat. Lest sie während ihr euch einen fettigen Burger oder ein paar saftige Nuggets ins Maul schiebt.
Guten Appetit
Ende
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2011
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