Kennt ihr das Gefühl, wenn man aufwacht zu wissen, dass heute etwas schreckliches passiert?
Oft lässt mich dieses Gefühl aber erst aufwachen. Ich habe seit ich vierzehn bin Visionen in form von Träumen. Sie treten unregelmäßig auf, aber sie werden jedes Mal wahr.
Flashback (Rosalie):
Ich gehe mit schlimmen Kopfschmerzen ins Bett. Das ist bei mir entweder ein Zeichen dafür, dass ich krank werde, oder dass ich eine Vision bekomme. Aber ich glaube nicht, dass ich eine Vision bekommen werde, denn in der letzten Woche hatte ich schon zwei, was sonst nie vorkommt.
Ich schlafe ziemlich schnell ein, aber darauf, dass auch die Vision schnell kommt bin ich nicht vorbereitet.
Ich stehe mit Hendrik an der Brücke die ungefähr hundert Meter von der Schule entfernt ist. Wir schreien uns schlimme Dinge an den Kopf, wirklich schlimme Dinge. Er geht immer weiter auf die Brücke zu, bis er an das Geländer lehnt. Auch ich gehe zum Geländer, nehme seine Hand. Er sieht mich an und in seinen Augen liegt die schrecklichste Trauer die ich in meinem Leben gesehen habe. Ich ziehe an seiner Hand, eine stumme Aufforderung, der er sofort nachkommt. Gemeinsam klettern wir auf das breite, metallene Geländer. Ich sehe nach unten auf den harten Asphalt der Landstraße. Sicher dreißig Meter, denke ich. Aber ich habe keine Angst zu springen, rein ga nicht. "Los"?, frage ich. "Los.", sagt Hendrik, und wir springen.
Der Fall befreit mich. Ich lasse alles hinter mir, und ich bin mir sicher dass es Hendrik genauso geht. Nach deisem kurzen Glücksgefühl packt mich mein Überlebensinstinkt. Und auf einmal verändert sich alles. Ich verändere mich. Ich bin stark. Sehr stark.
Ich bin wieder an dem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden kann. Ich wache auf.
Flashback Ende
Keuchend setze ich mich auf. Der Traum war alles andere als schön gewesen, und wenn er wahr werden würde, wüsste ich nicht wie ich damit umgehen sollte. Ob ich überhaupt erst springen sollte? Wenn meine Vision aber wie immer Recht hat, wieso nicht?Ich komme zu dem Schluss dass das ganze Grübeln jetzt nichts hilft und ich das Ganze einfach auf mich zukommen lassen werde.
Ich schlafe dann überraschenderweise noch mal ein. Ich habe die gleiche Vision, mit dem Unterschied dass ich alles viel genauer erkenne. Und so sehe ich auch, wie meine Körper sich im Fall verändert. Er wird makellos und als er aufschlägt, splittern kleine Teile des Asphaltes weg. Aber das komisch ist, dass ich innerhalb eine Sekundenbruchteils aufstehe und genauso schnell im Wald neben der Autobahn verschwinde.
Am nächsten Morgen halte ich mich für völlig durchgeknallt. Ich meine, wer springt schon grundlos von der Brücke und überlebt? Immer wieder rede ich mir ein, dass es schlicht und ergreifend unmöglich ist, aber ich habe immer noch das Gefühl dass das geträumte eintreten wird. Ich bin total übermüdet und komme fast 10 Minuten zu spät in die Schule, die sogar nur 100 Meter von unserem Haus entfarnt ist. Schnell lasse ich mich neben Marvin auf den Stuhl fallen. Er beachtet mich nicht einmal, obwohl wir ja zusammen sind. Ich frage mich ob er über irgendetwas sauer ist, aber mir fällt einfach nichts ein. Kurz vor Ende der Pause steckt er mir einen Brief zu und flüstert: "Lies ihn alleine ohne jede Gesellschaft und tu was darin steht!", sagt er ausdrücklich und ich schaue ihn fragend an. Er schüttelt nur den Kopf und verschwindet in der Menge. Alex, meine beste Freundinn kommt zu mir und wir halten ein bisschen Small-Talk. Dann sage ich ihr dass ich aufs Klo muss und renne vom Schulgelände in den Wald. Meine Hände zittern, als ich den Brief langasam öffne.
" Hei Darling.
Erstmal, mach dir keine Sorgen, dass ich sauer auf dich bin. Ganz im Gegenteil, ich bin eher besorgt um dich. Sicher erinnerst du dich an deine Vision heute Nacht (warum ich davon weiß ist egal). Ich will, dass du sofort nach Schulschluss zu dieser Brücke gehst, und tust, was in der Vision passiert ist! Vertrau mir, bitte, ich will wie immer nur das beste für dich.
Marv.
PS: Ich werde auf dich warten, du wirst mich finden."
Will er mich gerade verarschen? Er will, dass ich von dieser verdammten Brücke springe, von der Hendrik auch springt? Und er will, dass wir beide Selbstmord begehen? Mir kommen die Tränen. Ich habe Marv immer vertraut, egal was passiert ist, und egal wie schwer das für mich war.
Aber um mich mache ich mir nicht so viele Gedanke, sondern eher um Hendrik. Wird er sich etwa von der Brücke stürzen, weil ich mich in Marvin verliebt habe? Oh Gott, nein. Ich fange an zu verstehen. Hendrik springt von der Brücke, weil er nicht mit unserer Trennung leben kann. Und ich springe von der Brücke, weil ich nicht mit solchen Schuldgefühlen leben kann!
Immernoch mit Tränen in den Augen renne ich aus der Mädchentoilette und suche Marvin. Der würde jetzt aber was zu hören kriegen! Doch egal wo ich suche, ich kann ihn einfach nicht finden. Ich schicke sogar einen Klassenkameraden auf die Jungstoilette, aber da ist er auch nicht. Meine Wut auf ihn lasse ich an meiner besten Freundin Alex ab, und hoffe inständig, dass sie mir das nicht übel nimmt. Aber alles hoffen bringt nichts, denn die letzten zwei Schulstunden zeigt sie mir nur die kalte Schulter. Deshalb nehme ich sie in der Fünfminuten-Pause zur Seite und will mich entschuldigen. Aber auf das, was mich dann erwartet bin ich nicht vorbereitet.
Als sie sich zu mir umdreht, hat sie ihr Zähne gebleckt und starrt mich aus feuerrot glühenden Augen an. "Was zum Teufel..?", bringe ich nur noch heraus, bevor sie mich auf den Boden stürzt.
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die ich liebe.