Cover

Die Katze




Die Sonne schien durch das grüne Blätterdach. Die Luft war schwer und drückend, doch ab und zu fuhr ein Windstoß zwischen den Bäumen entlang die Wiese hinab und verfing sich schließlich in den Häusern, die direkt an die große Wiese grenzten.
Es war ein kleines Dorf, das dort seit vielen Generationen existierte.
Im Sommer kamen viele Wanderer dort vorbei, doch im Winter war das Dorf einsam und verlassen. Die Leute lebten dann zurückgezogen und alleine. Manchmal luden sie sich gegenseitig zum Kaffee ein. Sie gingen zum einkaufen in den kleinen Laden oder schippten den Meter hohen Schnee von der kleinen Feldstraße die alle verband.
Die Kinder gingen am Vormittag in die kleine Dorf Schule. Am Nachmittag mussten sie ihren Eltern helfen und nach ihren Großeltern oder Urgroßeltern schauen.
Die Menschen die dort wohnten, lebten dort schon seit ihrer Geburt. Manchmal zog in eines der leer stehenden Häuser eine Familie aus der Stadt ein, doch sie hielten es nie lange aus, sie konnten mit der vollkommenen Stille nicht umgehen, zu sehr waren sie an den Lärm der großen Städte gewöhnt. So kam ein wenig Abwechslung in das verschlafene Dorf.
Selten kam es vor das jemand in die Stadt ging, das Dorf verließ und sich in die Klauen des ewigen Stresses begaben. Ja, die Dorfbewohner hatten eine richtige Abscheu gegen die neue Zivilisation.
Manche Leute liebten sich, andere hassten sich.
In der Geschichte des kleinen Dorfes kam es auch schon vor, das Leute verschwanden, wie aus dem Bild geschnitten, nie wieder auftauchten. Niemand hatte etwas gesehen, niemand hatte etwas gehört. All ihre Sachen waren noch da, nichts fehlte, nur ihre Besitzer. Diese Fälle waren ungeklärt und würden sich auch nie mehr klären.

Es war Sonntagnachmittag. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Die Leute saßen in ihren Gärten oder waren einfach nur drinnen und ruhten sich aus. Zu mehr war es zu heiß, selbst die Kinder zogen es vor faul im Schatten zu liegen als irgendwo herum zu toben.
In einem der kleinen zugewachsenen Gärten saß ein Mädchen in einem großen alten Schaukelstuhl. Er war vor langer Zeit mit Hand aus dunklem Holz geschnitzt worden. Bei jeder Vor- und Zurückbewegung knarrte er. Unter dem großen, alten Strohhut, den einst ihr Großvater getragen hatte, schauten ihre blonden Haare hervor. Die Farbe war wie die des Strohs, golden und glänzend. Wäre der Hut nicht so alt gewesen, hätte man ihn kaum bemerkt.
Wieder strich der warme sanfte Wind über ihre nackten Beine, ihre Arme hinauf, bis in ihr Gesicht, dann schleppte er sich träge weiter in den nächsten Garten. Auf ihren Lippen lag ein sanftes Lächeln, während ihre Augen verträumt durch die Lücken des Strohhutes in den strahlendblauen Himmel blickten.
Neben ihr raschelte es in den Büschen, ein Vogel erhob sich kreischend in den Himmel, seine Schwingen schwangen schnell auf und ab, so als hätte er mühe sich oben zu halten, ermüdet von der plötzlichen Anstrengung.
Das Mädchen hörte auf zu schaukeln und setzte sich aufrecht hin. Ihre Augen schweiften über die Büsche auf der Suche nach dem Auslöser des Raschelns. Doch es war schon wieder verklungen, von der Stille verscheucht worden. Gerade als sie sich wieder zurück lehnen wollte, trat sie hervor.
Geheimnisvoll und wunderschön.
Ihre Bewegungen waren anmutiger als die jeder anderen Katze. Die Augen des Mädchens hafteten auf ihr, nahmen jede ihrer wunderbaren Bewegungen war. Das Fell der Katze glänzte außergewöhnlich stark in der Sonne. Die Farben, des Braungrauen Fellkleids waren warm und stark.
Sie machte einen weiteren Schritt aus dem Gebüsch hervor, so das sie nun ganz frei, ohne Schutz auf der kleinen wilden Wiese des Gartens stand.
Ihr Körper war schlank und elegant gebaut. Der Schwanz bewegte sich langsam hin und her. Vorsichtig setzte sie einen Fuß nach dem anderen ins Gras, so als würde sie aufpassen wollen das sie nichts kaputt machte. Auch ihre Grassgrünen Augen ruhten auf ihr, musterten das Mädchen, immer bereit zur Flucht.
Das Mädchen lehnte sich langsam weiter vor, streckte ihre Hand aus und lockte die Katze zu sich heran.
Als sie das Fell berührte durchzuckte sie ein wohliges Gefühl, das sie noch nie verspürt hatte. Doch zu gleich war es auch ein starkes verlangen. Am liebsten wäre sie mit der Katze verschmolzen damit sie niemals mehr ohne sie sein musste.
Sie kannte die herrliche Katze nicht, hatte sie noch nie gesehen, die jetzt um ihre Beine strich, ihren Kopf an ihr rieb. Ihre Schlauen Augen ruhten auf ihr. Das Mädchen erschauderte, sie hatte noch niemals so viel Weisheit in einem Blick vereint gesehen Sie hatte Respekt vor der Katze und doch verlangte ihr Herz heftig nach ihr.
Als die Katze plötzlich von ihren Beinen abließ und wieder durch das hohe Graß auf den Busch zuschwebte durchfuhr das Mädchen ein Schmerz der sie zusammen zucken ließ. Es fühlte sich so an als hätte sie einen wichtigen Teil von ihr verloren, als wäre ihr Herz mit der Katze gegangen.
Augenblicklich drehte die Katze in einer geschmeidigen Bewegung ihren Kopf zu ihr. Die schlauen Augen forderten das Mädchen auf mit ihr zu kommen.
Es sprang ohne zu zögern auf, folgte der Katze, bereit ihr bis ans Ende der Welt hinter herzugehen. Wo auch immer sie, sie hinführen würde.
Die Katze wendete sich wieder ab und lief weiter, schlängelte sich durch den Busch hindurch. Das Mädchen lief ihr hinterher.
Hinter dem Busch lag eine große Wiese. Das Gras war saftig und sehr hoch gewachsen. Die verschiedensten Arten Pflanzen wuchsen hier, manche waren giftig andere wunderschön.
Als die Katze in das Grasmeer eintauchte konnte das Mädchen sie nicht mehr sehen. Die Angst das sie die Katze verlieren würde trieb sie an, sie lief mitten in das hohe Grass hinein schob es zur Seite, suchte hektisch weiter. Da sah sie, sie wieder. Erleichtert stieß sie die Luft aus. Die Katze lief einfach weiter, drehte sich nicht zu ihr um. Das Mädchen war immer hinter ihr.
Als sie an den Waldrand kamen blieb die Katze kurz stehen, schaute hinauf zu den Baumwipfeln. Der Blick des Mädchens folgte dem der Katze. Doch die senkte den Kopf wieder und lief in den Wald hinein.
Zwischen den vielen Nadelbäumen war es noch drückender, so als stünde die Luft, hatte sich verirrt und wusste den Weg nach draußen nicht mehr. Die Sonnenstrahlen kämpften sich vereinzelt durch das Geäst der Bäume hindurch und warfen Schatten auf den Boden, der mit Nadeln bedeckt war. Die Stille war so vollkommen das, das Mädchen erschauderte, es wirkte so unwirklich.
Die Katze war weiter gelaufen, zwischen den Bäumen hindurch und den kleinen Pflanzen am Boden. Das Mädchen folgte ihr, sah in die Richtung in die, die Katze sah, blieb stehen wenn sie stehen blieb. So entfernten sie sich immer weiter von dem kleinen Dorf. Die Katze vor raus, in ihrer ganzen Schönheit und das Mädchen mit dem Strohhut hinterher.
Nach einiger Zeit sehnte sich das Mädchen nach der Berührung der Katze, wollte ihr weiches Fell unter ihrer Haut fühlen, wollte sie streicheln und auf den Arm nehmen, doch die Katze blieb nicht sehen, lief immer weiter voraus. Die Sehnsucht wuchs. Wurde größer. Wurde unerträglich.
Zum ersten mal lief sie schneller als die Katze. Lief so nahe an sie heran bis sie mit der Hand das samtweiche Fell berühren konnte. Vorsichtig streckte sie ihre Finger aus und berührte die Katze.
Blitzschnell führ die Katze herum, kratzte das Mädchen mit ihren spitzen langen Krallen und fauchte bedrohlich, bleckte ihre kräftigen Zähne. Ein heftiger Windstoss fuhr zwischen den Bäumen hindurch. Blies dem Mädchen die goldenen Haare aus dem Gesicht und hob ganz leicht ihren Hut an.
Das Mädchen wich schockiert zurück. Drei lange Kratzer zierten ihren Arm. Langsam und zäh floss Blut aus der Wunde, bildete einen kleinen Strom ihren Arm hinunter und tropfte dann zähflüssig auf den Boden. Sie fühlte sich schrecklich. Verstoßen von ihrem ein und alles, alles was sie je wollte. Sie wollte die Katze berühren und wollte sie streicheln, doch so bald sie die Hand ausstreckte fauchte diese kalt und abweisend.
Schnell und unaufhaltsam stiegen ihr Tränen in die Augen. Wurden mehr, bis sie, sie nicht mehr zurück halten konnte. Sie liefen langsam ihre Backe hinunter, so als würden sie darauf warten, dass sie weggewischt würden. Doch das Mädchen stand einfach nur da und rührte sich nicht, sah nur die Katze an, die sie nicht liebte.
Die Tränen liefen weiter, ungehindert bis sie sich an dem schmalen Kinn sammelten. Und dann in großen schweren Tropfen auf den Trockenen Boden tropften.
Die Katze drehte sich wieder um und schwebte weiter über den weichen Boden. Das Mädchen hinter ihr her. Kläglich und still weinte es.
Wind fuhr nun zwischen den Bäumen hindurch, kalt und schnell, als hätte sich der Stau gelöst, als wüsste er wieder wohin er wehen musste. Mit dem Wind kamen auch die Wolken, groß schwarz und bedrohlich. Sie schoben sich vor die Sonne, verdunkelten den Tag.
Der Wind wurde kräftiger, vertrieb die ganze Wärme, aus jeder noch so kleinen Ecke.
Doch auch er konnte die vielen Tränen des Mädchens nicht trocknen, immer noch liefen sie ungehindert über ihr Gesicht und tropften auf den trockenen Waldboden.
Die Katze drehte sich nicht um. Ignorierte das Mädchen, dessen Schmerz immer weiter wuchs.
Sie waren schon lange gelaufen, dem Mädchen taten die Beine weh und ihre nackten Füße waren wund, sie wollte nach Hause doch sie konnte nicht. Sie konnte sich nicht von dieser Katze losreißen.
Mit der Zeit kam auch die Nacht. Sie legte sich wie ein schwarzer Schleier über den Wald, wurde immer dunkler und bedrohender. Doch die Wolken waren schwärzer, sie blitzten durch die Lücken der Baumkronen hindurch. Das Mädchen hatte Angst, Angst davor die Katze aus den Augen zu verlieren, die wie ein unwirklicher Schatten vor ihr mit geschmeidigen Bewegungen über den Boden lief. Zwischen all den Bäumen lauerten die schwarzen Schatten. Sprangen dem Mädchen ins Gesicht doch es lief tapfer weiter. Immer noch brannte ihr Arm und die Tränen liefen ungehindert.
Die jungen Auswüchse wurden größer und dichter. Der Schatten der Katze schlängelte sich hindurch. Das Mädchen schob sich hindurch, blieb mit ihrem Leinenhemd an einem der vielen kleinen Äst, die wie viele kleine dünne Finger nach ihr fassten, hängen. Der Schatten der Katze war nicht mehr zu sehen. Von Panik getrieben riss sie sich los, rannte einfach. Die jungen Bäume bog sie zur Seite, immer wieder schlugen ihr Äste in ihr Tränen nasses Gesicht. Sie stolperte. Sprang wieder auf und rannte weiter. Der Schmerz war fast unerträglich. Der Wind wurde kräftiger und kälter, fuhr ihr immer wieder stark entgegen als wolle er sie zurück treiben. Doch sie kämpfte sich weiter voran.
Plötzlich war der Wald um sie herum verschwunden. Sie fühlte das feuchte Grass unter ihren verletzten Füssen. Verzweifelt suchten ihre Augen die Dunkelheit ab. Sie stolperte vor. Das Knöchel hohe Gras kühlte ihre erhitzen Füße.
Endlich hatte sie die Katze wieder im Auge, hatte sie gefunden. Sie stand ein stückweit von ihr entfernt mit dem Rücken zu ihr und blickte in die leicht Hügelige Landschaft. Das Mädchen machte einen weiteren Schritt auf die Katze zu, hoffnungsvoll. Sie wollte von dieser Katze geliebt werden, von ihr wahr genommen werden, wollte ihr Fell spüren.
Wieder drehte sie sich um, fauchte bedrohlich, ihr Schwanz spielte hin und her. Die Augen leuchteten gefährlich und jagten dem Mädchen ungeheime Angst ein. Es wollte umkehren, wieder in ihr kleines Gemütliches Dorf zurück zu ihrer Familie wo sie sicher war, doch sie konnte sich nicht von dieser Katze trennen, die ihr so viel Angst einjagte. Sie wollte von ihr geliebt werden.
Das Mädchen war hin und her gerissen. Hatte Angst, Respekt vor dieser herrlichen Katze die sich noch nicht mal von ihr streicheln lies.
Das Tier drehte sich wieder um und lief über die ewige Wiese hinab. Das Mädchen folgte ihr weiter hin, doch immer mehr wollte sie zurück, aber sie fühlte sich wie gebunden an diese Katze. Sie fühlte sich leer und schrecklich.
Der Himmel wurde immer schwärzer, je weiter sie auf die freie Wiese hinaus liefen, der Wind verstärkte sich. Plötzlich fiel die Katze in einen leichten Trab, das Mädchen war völlig erschöpf, sie hatte ewig schon nichts mehr gegessen und getrunken ihre Füße taten weh, ihre Augen brannten von dem Weinen das sie einfach nicht unter Kontrolle kriegen konnte. Und trotzdem lief sie schneller, flehte die Katze in Gedanken an langsamer zu laufen, auf sie zu warten, sie zu lieben, sich von ihr streicheln zu lassen, sie umkehren zu lassen.
Tatsächlich verlangsamte die Katze, lief langsamer, aber zielstrebig. Das Mädchen blieb wieder auf Abstand hinter ihr, verängstig von der fremden Umgebung, verängstigt von den schwarzen Wolken, die den ganzen Himmel überspannten, verängstigt von der schönsten Katze die sie je gesehen hatte.
Urplötzlich stoppte der Schatten der Katze vor ihr. Das Mädchen blieb ebenfalls stehen. Zwei Meter stand sie entfernt. Langsam drehte sie sich um. Ihre Augen glühten, funkelten sie an.
Das Mädchen vernahm ein Brummen. Schnell drehte sie den Kopf in die Richtung aus der es kam. Weiter weg sah sie Lichter, sie kamen im schnellem Tempo näher. Das Brummen wurde lauter. Erst da erkannte das Mädchen was es war. Ein Auto, alle die aus der Stadt kamen, hatten solche Ungeheuer. Sie mochte Autos nicht.
Das Mädchen machte einen Schritt weiter nach vorne. Der Boden hatte sich verändert. Statt dem weichem feucht war er jetzt rau und trocken. Verunsichert sah das Mädchen zu ihren Füßen hinunter. Es war ein schmaler Streifen, er war fast so schwarz wie der Himmel über ihr, in der Mitte waren weiße Striche. Nach einem kurzen Moment wusste sie den Namen dieses Streifen. Straße, hatten es die Leute aus der Stadt genannt. In ihrem Dorf gab es keine Straße, nur ein einfacher Feldweg. Doch sie wusste das eine Straße bis kurz vor ihr Dorf führt und dann in den Feldweg überging.
Ihr Blick wanderte wieder zu dem Schatten der Katze. Diese Miaute als sich ihre Blicke trafen. Es war eine schöne, helle und klare Stimme. Das Mädchen verspürte den Drang näher zur Katze hinzugehen. Doch als sie in die Richtung des Autos sah erschrak sie, es war nur noch wenige Meter entfernt. Nein, sie konnte nicht zu der Katze gehen, nicht jetzt da das Auto kam. Doch würde die Katze rechtzeitig von der Straße hinunter springen? Wenn nicht… Panik durchzuckte das Mädchen. Was sollte sie ohne die Katze machen, wie sollte sie den Weg zurück finden, konnte sie überhaupt ohne die Katze leben? Doch die Katze liebte sie nicht!
Der Schatten der Katze machte einen Schritt zurück und sie Miaute noch einmal mit ihrer Wunderbaren Stimme. Der drang zu ihr zu gehen wurde unerträglich. Die schlauen Augen forderten sie auf zu ihr zu kommen, sie zu retten. Sie würde überfahren werden.
Das Mädchen versuchte gegen den Drang an zu kämpfen, doch sie schaffte es nicht. Ihre Beine machten einen Schritt nach vorne. Dann lief sie über den warmen Asphalt zu der Katze hinüber. Sie ließ sich streicheln. Das Mädchen war nicht glücklich. Sie fühlte sich schrecklich. Langsam drehte sie ihren Kopf. Und sah direkt in das Maul des Autos.
Plötzlich überzucke ein Blitz nach dem anderen den Himmel, es wurden immer mehr. Kurz zeitig war es so hell wie am Tage. Die lauten Donner ließen die Erde erbeben.
Das Mädchen war tot.
Wieder erhellte ein Blitz den Himmel, erhellte das feine unglaublich schöne Gesicht der Katze. Es sah so aus als würde sie lächeln, dann wendete sie sich von der Leiche des Mädchens ab und lief wieder in die weite Ebene hinaus.

Ende


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Ginny meine Nachbarskatze

Nächste Seite
Seite 1 /