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Aus dem Tagebuch einer Frau

Ich konnte den ohrenbetäubenden Lärm meines Babys nicht mehr ertragen. Der Lärm der mich, nach noch all so guter Tarnung, verriet.
Nur leicht bekleidet und ganz verschwitzt, saß ich völlig erschöpft auf den kalten Fliesen des Badezimmers meiner Einzimmerwohnung, vor mir, ebenfalls auf den kalten Fliesen, lag mein neugeborener Sohn, blutgebadet, und schrie sich die Seele aus dem Leib.
Der Lärm macht mir wirklich zu schaffen.
Noch wackelig auf den Beinen schleppte ich mich zu meinem Bett, griff nach meinem Kissen, und kehrte zu meinem Sohn zurück.
Immer noch schrie er, der Lärm drang durch meine Ohren in meinem Kopf ein, mein ganzer Körper zitterte.

Ich erinnerte mich wieder an die Nacht, an der ich den größten Fehler meines Lebens begangen hatte. An die Nacht, an der ich mich abends heimlich, auf Socken, die Schuhe in der Hand, aus dem Haus schlich, und zu meinem Freund ging, der zwei Ecken weiter im Auto auf mich wartete. Ich öffnete hastig die Wagentür, gab ihm einen Kuss auf den Mund, und dann fuhren wir los, die lange, dunkle Straße entlang, gen Ungewissheit.
Vor einem großen Blockhaus hielten wir an. Ich stieg hinter ihm die steile Treppe zu der Wohnung hinauf. Und schließlich stand ich neugierig und aufgeregt vor dem Eintritt in eine mir damals fremden Welt. Mit der ins Schloss fallenden Tür, den Kleidungsstücken, die eins nach dem anderen auf dem Fußboden landeten, und der riesigen Daunendecke, die mich am Rücken kratze, erfüllte sich mein Traum, einen Einblick, in die mir ungewisse Welt zu erlangen.
Als ich am Morgen erwachte, war jede Spur von ihm verschwunden, obwohl es noch recht früh war. Ich kehrte nach Hause zurück, wo alle zum Glück noch schliefen. Als meine Periode ausblieb, wurde mir bewusst, dass ich schwanger war. Seit dem Tag an, lebte ich mit der Last, dieses Geheimnisses.

Ich hielt das Kissen fester in meinen Händen. Immer noch schrie mein Kind. Ich schloss die Augen, drückte ihm das Kissen aufs Gesicht. Es schrie immer noch, jedoch wurde der Lärm gedämpft. Ich öffnete meine Augen, ich konnte den Anblick dieses hilflosen Wesens nicht ertragen, gleichzeitig jedoch auch nicht wegsehen. Mein Kind zappelte. Man hörte sein ersticktes Schreien. Ich wusste nicht wie lange ichdas Kissen schon an sein Gesicht drückte. Er hörte auf zu zappeln, sein Geschrei war kaum noch zu hören, sein Körper fing an sich blau zu färben. Und dann war es endlich still…

Als sie die lauten Schritte ihrer Tochter auf der Holztreppe ihres wunderschönen Einfamilienhauses hörte, schlug sie schnell ihr Tagebuch zu und verstaute es in eine Schublade. Sie ging aus dem Zimmer, nahm ihre kleine Tochter ganz fest in den Arm, und ging zu ihrem Ehemann, der gemütlich auf der Veranda seine Tee genoss und ab und zu ihrem Hund den Ball zuwarf, gab ihm einen Kuss und setzte sich zu ihm. Eine auf dem Fahrrad vorbeifahrende Nachbarin begrüßte sie freundlich und lud sie herzlich zu Abendessen ein. Ihre Tochter spielte inzwischen mit dem Nachbarsjungen, der nur wenige Jahre älter war als sie, im Garten. Sie schaute diesem Jungen in die Augen, Augen, die sie an ein schreckliches Geheimnis erinnerten, weshalb sie schleunigst wegschaute. Sie lächelte ihrem geliebten Ehemann erleichtert zu. Beide saßen wortlos auf den Holzstühlen der Veranda und genossen gemeinsam den sonnigen Vormittag, das Vogelgezwitscher und die friedliche Atmosphäre.

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Tag der Veröffentlichung: 05.01.2010

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