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1. Der Himmel war klar ...

 

Der Himmel war klar, die Sterne und der volle Mond schimmerten über dem verlassenen Anwesen etwa fünfzig Autominuten von Cork entfernt. Moos bedeckte das einst geschieferte Dach, welches an machen Stellen bereits eingestürzt war. Flechten und Efeuranken suchten sich ihren Weg an den Backsteinwänden hinauf, kletterten durch zerbrochene Fensterscheiben. Im Großen und Ganzen wirkte das einst prachtvolle Herrenhaus wie ein Andenken an längst vergessene Zeiten, einsam, kalt und trostlos. Waren wirklich erst dreißig Jahre vergangen, seit sein Besitzer, ein irischer Lord, das Anwesen verlassen hatte? Dem Betrachter schien es anders, als seien nicht dreißig sonder hundert Jahre vergangen. Doch es waren wirklich nur drei Jahrzehnte. Über Jahrhunderte war das Anwesen in Familienbesitz, doch nun überließ man es der Natur. In der Gegend erzählte man sich, dass es in den altehrwürdigen Mauern spukte, keiner betrat mehr das Grundstück.

Langsam schritt der Mann die Freitreppe hinauf, den Kragen der Lederjacke hochgeschlagen, in Gedanken vertieft. Er kannte die wahre Geschichte dieses Anwesens, war nicht zum Ersten mal dort. Viel hatte sich seit seinem letzten Besuch geändert, zu viel! Er dachte an seine Freunde, die darauf warteten, dass er anrief. Am Ende der Treppe blieb er stehen, blickte hinunter auf die Einfahrt und den Vorplatz, wo unter einem Baum sein Motorrad stand. Wie lange war es her, dass Ballgäste in edlen Roben diese Stufen hinauf schritten, dem Mann schien es eine halbe Ewigkeit zu sein. Trotzdem spürte er noch den Prunk längst vergangener Tage. Entschlossen wand er sich ab, stieß die Eingangstüre auf, die etwas schief in den Angeln hing, und betrat das verlassene Herrenhaus. Die große Eingangshalle war leer geräumt, so wie alle anderen Räume in dem zweigeschossigen Haus. Nur in der Küche zeugte ein alter Herd davon, dass hier einmal Leben herrschte. Langsam ging der Mann durch die Zimmer, zog die abgestandene Luft ein, strich hier und dort über einen Kaminsims. Er würde dafür sorgen, dass das Anwesen wieder in neuem Glanz erstrahlte. Zwei Wochen blieben ihm, bis seine Freunde kamen. Die Handwerker waren bestellt. Keine Männer aus den umliegenden Orten, denn diese waren zu abergläubig, um das Anwesen zu betreten. Alle kamen sie aus der Stadt. Vor dem großen Kamin im Wohnzimmer blieb der Fremde stehen, strich vorsichtig über die Verzierungen des Simses, als könnten sie zerbröckeln, bevor er sein Handy aus der Tasche nahm. Er öffnete die Terrassentür und betrachtete den Garten, während er darauf wartete, dass am anderen Ende jemand den Anruf entgegen nahm. Einen Gärtner würden sie auch noch brauchen, wichtiger war jedoch erst einmal das Haus an sich. Endlich hörte er ein Klicken in der Leitung und eine raue Männerstimme meldete sich.

„Hey ich bin´s. Schau mir gerade das Anwesen an, ziemlich heruntergekommen.“ Er ging die Stufen zum Garten hinunter, während der andere sprach.

„Sicher, ich werde mein Bestes geben, du kennst mich doch! Hoffe die Möbel kommen vor euch an, wäre zu schade, wenn wir auf dem Boden schlafen müssten!“ Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln, wieder sprach sein Gesprächspartner.

„Natürlich, also mach es gut und pass auf unseren Neuen auf! Wir sehen uns dann in zwei Wochen, slán!“ Damit beendete er das Gespräch und schlenderte um das Haus herum zu den ehemaligen Stallungen. Sie waren mittlerweile zu Garagen umgebaut worden, boten nun Platz genug für mehrere Motorräder und Autos. Der Wald, welcher das Anwesen vor Blicken verbarg, zog einen Teil des Mannes mächtig an, doch er drehte sich um und ging zurück zu seinem Motorrad. Bald würde ein neuer Tag anbrechen und er wollte sich noch etwas im Hotel ausruhen, bevor er damit begann, dass Anwesen wieder bewohnbar zu machen. Der neue Hausbesitzer setzte seinen Motorradhelm auf und fuhr im Mondschein davon, die Stille der Nacht hüllte das Anwesen ein.

Ein anderer Mann stand in Deutschland ebenfalls in der kühlen Nacht, blickte auf sein altes Heim und dachte darüber nach, wie schnell sich die Zeiten änderten. Sein Leben war einmal das eines normalen Kriminalkommissars, gut er war beim SEK gewesen und besaß eine Ausbildung zum Scharfschütze. Trotzdem hatte er seine Arbeit gemacht, wie jeder andere auch. Bis zu dem Moment, als man ihn im Einsatz anschoss. Manchmal wünschte er sich noch heute, zwei Jahre später, dass er nicht diesen Weg gegangen wäre, denn er hatte alles hinter sich lassen müssen. Seine Brüder, seine Freunde und in vierzehn Tagen auch die Stadt, die er so sehr liebte. Der Schmerz über all diese Verluste schnürte ihm die Kehle zu. Traurig senkte der Mann den Kopf, so dass die langen pechschwarzen Haare sein Gesicht verbargen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter schob ihn mit sanfter Gewalt fort. Er brauchte sich nicht umzudrehen, denn er wusste, dass es sein Retter war. Seit zwei Jahren schon, waren sie nun Freunde und doch empfand er oft nur Hass für ihn.

„Kilian, es bring nichts, wenn du mich für all deinen Kummer hassest. Es wird nicht der letzte Abschied sein, den du nehmen musst!“ Meinte eine raue und doch sanft klingende Stimme, hinter ihm. Kilian drehte sich um, funkelte seinen Retter mit kalten nachtblauen Augen an. Bevor er sich endgültig umdrehte und mit schweren Schritten davon ging, er spürte, dass der andere ihm folgte. Vor einer schweren Kawasaki blieb Kilian stehen.

„Warum lassen du und Dean mich nicht einfach in Ruhe, ich brauch eure Hilfe nicht Brendan!“ Fauchte er wütend, streifte seine Motorradhandschuhe über, bevor er seinen Helm aufsetzte. Wie gerne würde er Brendan einfach stehen lassen, doch er wusste, dass es unmöglich war.

„Das letzte Mal als du alleine unterwegs warst…“ Setzte dieser an.

„Halt den Mund, verdammt!“ Nun knurrte Kilian mehr, als dass er sprach. Brendan führte den Satz nicht mehr zu Ende, sondern stieg seinerseits auf eine ebenso schwere Suzuki. Was würde sein Schützling wohl heute Nacht anstellen, sein Motorrad zu Schrott fahren? Wann begriff dieser endlich, dass es nichts nützte, seinem Schicksal davon zu laufen. Es war wohl besser, wenn Brendan ihm folgte. In diesem Zustand war Kilian unberechenbar, fuhr mal wieder viel zu schnell. Er verließ die Stadt, schlug einen weniger befahrene dafür aber Kurven reichere Straße ein und verlangte seinem Motorrad alles ab, was die PS-starke Maschine hergab. Bei über 200 Stundenkilometer hörte Brendan auf Gas zu geben, ließ ihn fahren und hoffte, dass keiner auf der Gegenfahrbahn unterwegs war. Dass es Kilian vollkommen egal war, ob sich Brendan um ihn sorgte, wusste dieser. Bei knapp 250 Kilometer pro Stunde hörte auch dieser auf Gas zu geben, mehr brachte sein Motorrad nicht mehr, die Tachonadel kratzte schon am roten Bereich, dass ihm zusätzlich Tränen die Sicht versperrten, ließ ihn kalt. er liebte Extremsituationen, früher war er in seiner knappen Freizeit Motorradrennen gefahren. Bis in die Bundesliga hätte er es schaffen können, wenn ihm nicht sein Beruf mehr am Herzen gelegen hätte. Auch als Scharfschütze gehörten Extreme zum Alltag. Die nächste Kurve sah Kilian zu spät, beim Versuch zu bremsen verlor er die Kontrolle über das schwere Gefährt, schlitterte über den Asphalt. Während seine Maschine funkensprühend gegen einen Baum am Straßenrand krachte, landete er einige Meter weiter im Gebüsch. Ihm wurde schwarz vor Augen, dann versank die Welt in Dunkelheit. Hatte er es nun endlich geschafft und sein Dasein beendet? Minuten vergingen bis er in leuchtend smaragdgrüne Augen blickte. Nein, ihm war es wieder nicht gelungen! Kilian ließ zu, dass Brendan ihn vorsichtig aufsetzt und gegen einen Baum lehnte, dann betrachtete er seinen Körper, die Lederhose war am linken Bein zerrissen, die Wunde darunter begann sich jedoch bereits zu schließen. Tränen liefen ihm über die Wangen, nicht wegen der Schmerzen, die er haben müsste, nein in seinem jetzigen Dasein spürte er diese kaum. Viel mehr waren es Tränen der Verzweiflung. Brendan hob die Hand, strich über seine Wange, wie bei einem kleinen Kind. Den Motorradhelm, hatte er ihm schon vorher abgenommen. Ein trauriges Funkeln erschien in den grünen Augen.

„Du weist, das du dich so nicht mehr umbringen kannst, Lian!“ Bemerkte er sanft, während Kilian weinend dort saß. Zu viel Schmerz im Herzen, den sein Retter nur all zu gut verstand, da er ihn auch einmal fühlte, vor so langer Zeit. Ohne ein Wort nahm der Sitzende die dargebotene Hand. Sein Motorrad konnte er vergessen, es war nicht mehr als ein Haufen Schrott. Es war schon das dritte, das er in den letzten zwei Jahren in einen Blechhaufen verwandelt hatte. Sicher würden Brendan und Dean nun ihre Drohung wahr machen und ihm keine neue Maschine kaufen. Kilian verlor sein Konto vor zwei Jahren, als er zu dem wurde, was er heute war. Schweigend stieg er schließlich hinter Brendan auf dessen Motorrad. Dieser fuhr zurück nach Köln, in die Wohnung die sie sich seit dem teilten. Auch er dachte an den Schaden, den der Jüngere in den letzten Jahren angerichtete. Wobei die vielen zerbrochenen Gegenstände, die meist durch dessen Wutausbrüche entstanden, noch das Wenigste waren. Die beiden Motorräder hatten einen Wert von über zwanzigtausend Euro, die Brendan nicht zurück haben wollte. Schließlich trug er selbst eine Mitschuld an allem, denn er hatte Kilian aus Gutmütigkeit zu dem gemacht, was er nun war. Einem Kind der Nacht, einem Vampir, genauso wie er und Dean es waren. Vor ihrer Wohnung ließ er seinen Schützling zu erst absteigen, er betrachtete einen Moment den Mann, der mit hängenden Schulter und Kopf zur Haustür ging. Wie immer schloss dieser nicht auf, sondern wartete bis er kam, folgte ihm dann in das geräumige Zweifamilienhaus, dass sie sich mit Dean teilten. Kilian schmiss seine Jacke achtlos auf einen Sessel, fiel dann in die weiche Kingsize-Couch.

„Möchtest du auch was trinken, Lian?“ Wollte Brendan wissen.

„Ja was Starkes bitte, einen dreifachen Whiskey, wenn wir den haben.“ War die Antwort. Kopfschüttelnd goss er ihm einen doppelten Whiskey ein und sich einen normalen, bevor er diesem gegenüber in einen Sessel sank und zusah wie dieser den Alkohol hinunterstürzte. Kilian blickte auf seine zerrissene Hose.

„Es tut mir leid wegen des Motorrads. Brendan bitte verzeih mir, es ist alles so schwer. Ich würde gerne meine Brüder noch einmal sehen, meine Freunde und alles was mir etwas wert war. Ich werde das alles nie wirklich begreifen, es ist alles so anders.“ Seine Stimme war nicht mehr, als ein trauriges Flüstern und doch verstand der Andere jedes Wort deutlich.

„Für niemanden ist es einfach, glaubst du, mit mir wäre es leicht gewesen?“ Brendan verzog den Mund zu einem harten Lächeln, ließ dabei seine weißen Fänge blitzen. Kilian sah ihn an und zuckte die Schultern. Er sprach noch nie über seine eigene Geschichte mit ihm, war diesem Thema in den letzten Jahren immer wider ausgewichen. Doch jetzt wollte er reden, seinem Schützling so vielleicht eine Hilfe sein.

„Ich war der Sohn eines irischen Adeligen, hatte mir gerade meine eigene Existenz aufgebaut. Arbeitete als Handelsreisender für eine damals große Whiskey-Destillerie. In einer kalte und düsteren Dezembernacht war ich mit zwei meiner Freunde unterwegs nach Dublin. Unser Kutscher fuhr durch einen finsteren Wald.“ Brendan stand auf, füllte sein Whiskyglas und ging zum Fenster, mit Blick auf den Rhein und die Skyline von Köln. Kilian saß schweigend da und rauchte, wenigstens brauchte er sich keine Gedanken mehr über Lungenkrebs zu machen. Tode lebten länger! Sein Mentor fuhr sich mit der Hand durch die dunkelroten langen Locken, leise sprach er weiter.

„Plötzlich scheuten die Pferde, der Kutscher hatte Mühe sie zu beruhigen. Wir dachten wohl alle, dass an der Umgebung lag durch die wir fuhren. Wie die Männer aus dem Dickicht kamen, weis ich nicht. Die Schreie des Kutschers brachen plötzlich ab. Bevor wir unsere Schwerter ziehen konnten, stürmten die Bestien ins Innere, einer biss mich, doch ich schaffte es zu fliehen. Meine Freunde kamen dabei alle um. Ich bin um mein Leben gerannt, brach dann im Wald zusammen. Vor Schwäche, das glaubte ich damals. Aber heute weis ich, dass meine Verwandlung dort auf dem kalten und nassen Waldboden begann. Eine alte Kräuterfrau fand mich, sie glaubte noch an die Kinder der Nacht. Die Alte stand mir bei, brachte mir anfangs noch meinen – Lebenssaft -. Sie sagte mir, was ich nun war, warum ich Blut brauchte um zu überleben. Als es mir besser ging, floh ich nach Belfast, später nach Schottland. Wo ich Dean kennenlernte, der aus dem gleichen Grund wie ich aus Eire geflohen war. Weder er noch ich haben jemals einen Menschen getötet. Dass ich dich zu dem gemacht habe, was du bist, tut mir leid. Aber ich sah den Blick in den Augen deines Freundes. Für die Frau war es zu spät, wirklich zu spät!“ Die Traurigkeit in der Stimme des Vampir, ließ jeden frösteln.

„Wie alt bist du eigentlich wirklich Brendan?“ Wollte Kilian nun wissen. Der Angesprochene wand sich ihm wieder zu. Seine Augen schimmerten im Lichterglanz der Stadt, wie zwei Smaragde.

„Nach der Rechnung eines Menschen wäre ich jetzt 293 Jahre alt. Aber für einen Vampir, bin ich wohl noch recht jung. Darf ich dir auch eine Frage stellen? Wer war die Frau, die wir nicht retten konnten?“ Kilian sah zu Boden, für einen Moment schloss er seine Augen. Die Bilder des Einsatzes kamen zurück. Finn Cameron, wie er auf dem Boden kniete und seine Schwester in den Armen hielt. Er, der mit zwei weiteren SEK-Männern die Wohnung stürmte, ein roter Punkt, der auf Finn Camerons Herz zielte, er schmiss sich gedankenlos in die Schusslinie des Präzisionsgewehr, rettete seinem Freund das Leben und wäre fast selbst gestorben, oder war es für die anderen.

„Sie war meine Frau, wir wollten einen Tag später heiraten. Stattdessen musste sie sterben und du hast mir das Leben gerettet! Warum nur Fiona Ann, warum nicht ich, sie war doch noch so jung?“ Kilians Stimme versagte bei den letzten Worten. „Ich war nicht mal auf ihrer…“ Er stand abrupt auf, nahm die Whiskyflasche und verschwand, Brendan hörte seine Zimmertür zuschlagen. Doch er verstand nun, warum Kilian nicht mehr leben wollte. Hoffentlich weckte der Umzug aus der vertrauten Gegend, die Lebensgeister wieder in ihm. Der Rothaarige dachte an seinen Freund Dean, der das alte Herrenhaus in Irland für sie herrichtete. Kilian kannte das Anwesen seiner Familie nicht, er wusste nichts von seiner adeligen Abstammung. Der junge Vampir weis so vieles noch nicht, ging es ihm durch den Kopf. Er und Dean verschwiegen diesem, dass ein weiterer junger Vampir mit ihnen nach Irland gehen würde. Conner gehörte seit acht Jahren zu ihnen, lebte in Berlin und arbeitete dort, wie Kilian, bei der Polizei. Als Brendan ihn das erste Mal sah, war dieser schon verwandelt, nicht durch einen von ihnen, sondern durch ihre Gegner. Hatte, im Gegensatz zu Kilian, sein Schicksal schnell angenommen. Es war dessen Verdienst, dass sie wussten, wer hinter den O´ Harras her war. Warum blieb jedoch weiterhin ein Rätsel. Ebenso, wie warum derjenige oder diejenigen nur hinter den Drillingen her waren. Jedoch nicht auf den ältesten der Familie Sean oder das Nesthäkchen Pádraig jagt machten.

Conner saß an der Spree, in der Dunkelheit fühlte er sich hier am Wohlsten. Seine Gedanken wanderten zu Kilian und somit zu dessen Schwester Kira. Er war mit ihr gemeinsam in einer Familie in Schottland aufgewachsen. Sie wussten schon früh, dass dies nicht ihre richtige Familie war. Vielleicht hatte er deswegen auch nur zu ihr eine feste Bindung, weil sie sich genauso falsch fühlte wie er. Sie waren gemeinsam zur Polizei gegangen, doch ihre Wege hatten sich in Irland getrennt. Kira arbeitete nun in Frankfurt. Er hier in Berlin, er würde diese laute und große Stadt nicht vermissen. Es gab zwar genug Gegenden um zu jagen, aber er sehnte sich nach der Freiheit, die er in Schottland und Irland kennen gelernt hatte. Doch noch lagen vierzehn lange Tage und Nächte vor ihm. Seit heute war der Polizist außer Dienst. In den nächsten Tagen musste er seine Wohnung ausräumen, die wichtigsten Kartons befanden sich bereits auf dem Weg nach Irland. Seine Bücher, die Papiere die er hier nicht mehr brauchte, etwas Hausrat und einige Erinnerungsstücke. Wie würde es wohl sein, wenn er bald mit drei Artgenossen in einem Haus lebte. Die letzten Jahre verbrachte er meist allein hier in Berlin, nur gelegentlich kam Dean für einige Tage vorbei. Allerdings freute er sich auf Brendan und diesen. Gedanken machte er sich, wie Kilian auf ihn reagieren würde. Man hatte ihm erzählt, dass dieser mit seinem Schicksal nicht ganz zu Recht kam. Sie würden Kira früher oder später auch aus Deutschland bringen müssen, dachte Conner. Nach einer Weile ließ der Vampir das Nachdenken sein, konzentrierte sich auf den Geruch der Tiere, er war durstig, schon seit ein paar Tagen war er nicht mehr zum Jagen gekommen. Nun erhob er sich und verschwand in den Sträuchern zu seiner Rechten.

Kiran O´ Harra strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Es ging ein kräftiger Wind auf der Nordsee, wer den Mann der Küstenwache sah, glaubte nicht, dass er Kapitän und Kriminalhauptkommissar war. Er zog die Uniformjacke wieder an und verbarg so den schwarzen Zopf, der ihm über den Rücken hing. Die raue See gab ihm das Gefühl von Freiheit. Schon in ein paar Stunden würde er im Flieger von Hamburg nach Berlin sitzen, seinem besten Freund Lebewohl sagen, der in einigen Tagen nach Irland ging. Die beiden Männer sahen nicht oft, doch sie telefonierten sie häufig, wenn es ihre Dienstpläne zuließen. Das Knistern des Funkgeräts riss Kiran aus seinen Gedanken. Ein Frachter aus den USA sendete Hilferufe aus. Er bekam noch mit, dass das Schiff von Piraten überfallen worden sei, dann war er auch schon wieder ganz Polizist, beantwortete den Hilferuf, gab der Leitstelle Bescheid und änderte den Kurs. Der Frachter befand sich nur knapp drei Seemeilen nördlich von ihnen. Das Boot der Küstenwache begann zu schaukeln als er den Motor auf volle Fahrt brachte. Seinen Kollegen signalisierte er per Handzeichen, dass sie sich nun im Einsatz befanden.

Schon aus einiger Entfernung sah der Kapitän den Frachter, beim näher kommen auch das Schnellboot, das längsseits lag. Er steuerte um den Frachter herum, bevor er ebenfalls seitlich dazu fuhr. Sofort waren seine Männer angriffsbereit, mit Seilen enterten sie das Schiff, da ihnen die Besatzung nicht zur Hilfe eilte. Er blieb alleine zurück, hielt sein Boot auf Kurs, unterstützte seine Kollegen über Funk. Immer wieder meldete einer der drei Polizisten ein getötetes Besatzungsmitglied, von den Tätern keine Spur. Kiran begann sich um seine Kollegen zu sorgen. Er forderte Verstärkung an, bat darum, dass man die anderen Schiffe möglichst nicht in ihre Reichweite lenkte. Kurze Zeit später, brach der Funkkontakt zu einem seiner Kollegen ab, dann blieben auch die beiden anderen still. Nur noch die Funksprüche der Leitzentrale und anderer Schiffe waren zu hören. Er wusste, dass es nichts bringen würde, sich auf die Suche nach seinen Kollegen zu machen, ein Alleingang wäre zu gefährlich, wenn nicht sogar tödlich. Nur einen Moment wand er sich ab, um nach der Schachtel Zigaretten zu greifen, die neben ihm lag, da durchzuckte ihn ein stechender Schmerz im Hals. Geistesgegenwärtig stieß er den Mann zurück, der hinter ihm stand. Griff nach seiner Pistole und schoss, als der Fremde ihn nur ansah, sich kurz über die getroffene Schulter strich und wieder auf ihn zukam. Zog er das Messer, welches in seiner Hosentasche steckte. Es war ein Geschenk von Conner zum dreißigsten Geburtstag gewesen. Kiran stach zu, dem Mann direkt ins Herz, es war Notwehr, das wusste der erfahrene Polizist. Schreiend ging der Angreifer zu Boden blieb reglos liegen. Er verließ das Steuerhaus, beugte sich über die Reling und erbrach. Seine Kollegen brachten ihn zurück an Land, von der Fahrt bekam er nicht sehr viel mit, die Wunde am Hals schmerze höllisch, obwohl sie nicht tief war. Auf der Wache weigerte er sich ins Krankenhaus zu gehen, ließ sich stattdessen nach Hause bringen. Dort angekommen nahm Kiran eine Flasche Whiskey aus dem Schrank und fiel erschöpft auf die Couch. Alles drehte sich um ihn herum, seine Gedanken wanderten zu Kilian, der vor zwei Jahren ebenfalls bei einem Einsatz umgekommen war. Verzweifelt griff er nach dem Handy, das er auf den Couchtisch gelegt hatte. Der letzte Anrufer war Conner, halb besinnungslos drückte auf die Wiederwahltaste. Sein Anruf wurde überraschend schnell angenommen. Mit schwacher Stimme brachte er noch hervor, dass er am Hals verletzt worden sei, dann wurde es schwarz um ihn. Nur noch am Rande bekam er mit, dass Conner kommen wollte.

Dieser war froh, dass es Nacht war und das sein Motorrad gut dreihundert Kilometer die Stunde schaffte. Mit zweihundertfünfzig Stundenkilometer jagte er über die Autobahn 24 Richtung Hamburg. Legte die Strecke in nur der Hälfte der normalen Zeit zurück. Wenn seine Vermutung stimmte, wäre es um Kiran genauso geschehen, wie damals um dessen Zwillingsbruder. Noch mehrmals versuchte er diesen zu erreichen, doch die Anrufe blieben unbeantwortet. Auch die Wohnungstür wurde ihm nicht geöffnet. Auf das Schlimmste gefasst, brach er sie schließlich auf. Er fand Kiran bewusstlos und blass auf der Couch liegend. Vorsichtig strich Conner die Haare von dessen Hals, sie hatten sich aus dem Zopf gelöst. Zwei kleine Wunden zeigten sich unweit der Schlagader, Kiran atmete schwach. Vorsichtig öffnete er das Diensthemd um seinem Freund das Atmen zu erleichtern, ohne viel Anstrengung hob er ihn von der Couch und brachte ihn ins Schlafzimmer. Als er ihm die Hose auszog fiel das Messer auf den Boden, es sprang auf. Conner sah das dunkle Blut an der Klinge. Kiran musste seinen Angreifer getötet haben, sonst wäre er nicht hier. Er nahm die Hose wickelte sie sich um die Hand und hob so das Messer auf. Er hatte damals reines Silber in der Klinge verarbeiten lassen. Ein Vampir würde der Silberanteil schwer verletzen, ein Stich ins Herz bedeutete dessen Ende. Sein Freund musste ihm ins Herz gestochen haben. Wütend bleckte er die Fänge, legte das Messer auf den Nachtisch. Im Moment konnte er nicht viel für den Anderen tun. Er würde Sean anrufen müssen, diesem mitteilen, dass das Schicksal ihm Kiran nahm. Auch mit Brendan musste er reden, diesem sagen, was hier in Hamburg geschehen war. Conner warf einen Blick auf die Uhr in der Küche, viertel vor drei, der Vampir war sicher noch wach, wenn er überhaupt schlief. Er nahm sein Handy aus der Jacke, hängte diese über einen Küchenstuhl und setzte sich auf die Couch.

„Brendan, ich bin es, Conner!“ Antwortete er als sich der Andere meldete.

„Was ist passiert Conner, du hörst dich nicht gerade gut an.“ Stellte dieser fest.

„Kiran hat es erwischt, er ist gebissen worden. Wie es genau passiert ist, weis ich nicht. Er rief mich vor ein paar Stunden an, klang ziemlich schwach am Telefon. Er sei verletzt und es ginge ihm schlecht, sagte er, dann war die Leitung tot. Ich bin sofort nach Hamburg gefahren, fand ihn auf der Couch, bewusstlos und mit eindeutigen Verletzungen am Hals. Es hat bereits begonnen Brendan, sein Atem ist nur noch flach. Oh dhia, ich muss es Sean sagen, muss ihm sagen, dass er den zweiten Bruder verloren hat.“ Conners Stimme wurde rau. Er sah zu dem Bild, dass auf dem Schrank stand. Es zeigte Kiran, Kilian, Sean und Pádraig, in einem Pub in Irland. Es musste kurz vor dem Tag gemacht worden sein, als sich die Brüder zerstritten.

„Nein Conner, du brauchst es Sean nicht zu sagen. Kiran ist ganz plötzlich verschwunden ohne jede Nachricht einfach so. Solche Dinge geschehen! Sobald du kannst, pack ihn in ein Auto und fahr mit ihm nach Irland. Ich werde Dean Bescheid sagen, dass er euch ein Zimmer besorgt.“ Sprach Brendan ruhig.

„Ich bin mit dem Motorrad hier, in seinem Zustand kann ich Kiran nirgendwo hin bringen, es sei denn wir fliegen rüber. Bis zum Flughafen schaffe ich es mit ihm. Das Problem ist nur, ich habe keinen Flieger.“ Conner hatte während seiner Ausbildung auch den Pilotenschein gemacht. Heute flog er nur gelegentlich in seiner Freizeit.

„Gut, ich besorg euch einen Flieger! Ruf mich heute Abend noch einmal an, dann sag ich dir genaueres, Conner.“ Dankbar beendete er das kurze Gespräch, lehnte sich zurück. Auch er hatte als Vampir das Rauchen nicht aufgegeben, nahm jetzt eine Zigarette aus der Schachtel, die vor ihm auf dem Tisch lag. Wieder stieg die Wut in ihm hoch, auf den, der Kiran verwandelt hatte, auch wenn er nun nicht mehr existierte. Er wollte wissen, was heute Abend geschehen war. Der Vampir stand auf, schaltete den Laptop an, der auf dem Küchentisch stand. Loggte sich dann in das System der Polizei ein. Schnell fand er einen Bericht über das Massaker auf der Nordsee. Es hieß, dass drei Polizisten umgekommen seien und der Kapitän des Polizeibootes verletzt wurde. Die Täter waren bereits geflüchtet, als die Kollegen ankamen. Auch von dem Mann, der den Kriminalhauptkommissar und Kapitän angegriffen habe fehlte jede Spur. Der Polizist sei nicht ansprechbar gewesen. Also, dachte Conner, hatte Kiran aus einem bestimmten Grund nicht ausgesagt. Vielleicht weil er mehr gesehen hatte, als er wollte. Er schaltete den Laptop aus, im dunklen Bildschirm spiegelten sich seine blaugrauen Augen, sie glänzten wütend, für einen normalen Menschen unnatürlich.

Brendan fand Kilian in seinem Zimmer, mit einer Zigarette und der Whiskyflasche in den Händen saß dies am offenen Fenster. Die dunkelblauen Augen glänzten voller Wut. Er blieb in der Tür stehen, betrachtete den Mann, der so viel gelitten hatte in den letzten zwei Jahren. Dieser zog gerade die Beine auf das breite Fensterbrett, er trug nun eine alte Jeans, die an den Beinen bereits zerrissen war.

„Etwas ist passiert, ich spür Kiran kaum noch in meinem Herzen! Brendan, wir müssen nach Hamburg, mein Bruder ist in großer Gefahr! Ich kann es so deutlich fühlen wie nie zuvor!“ Kilian wand den Blick nicht vom Fenster ab.

„Wir können nichts mehr für ihn tun, Lian!“ Kam es mit sanfter und doch so trauriger Stimme zurück. Ein Aufschrei, dann stand der Schwarzhaarige bereits vor ihm, die Hand feste um den Kragen des dunklen Hemdes seines Freundes geschlossen. Er ergriff sie und schob sie mühelos weg. In den nachtblauen Augen lag immer noch Wut und nun auch Trauer.

„Sein bester Freund ist bei ihm Lian, er achtet auf deinen Zwilling.“ Brendan hob die Hand, legte sie auf die Schulter seines Freundes und Zöglings. Kaum hörbar sprach er weiter. „Dein Bruder ist während eines Einsatzes gebissen worden. Conner meinte, dass Kiran wohl seinen Angreifer vernichtet hat. Die Verwandlung hat schon begonnen, du wirst ihn bald wiedersehen. Schneller als Dean und ich es eigentlich wollten.“ Kilian liefen Tränen über die Wange, rote Tränen, denn ein Vampir weinte Blut. Er wischte sie ihm ab, sich bewusst, dass dieser seinem Bruder solch ein Schicksal nie gewünscht hatte. Ein schmerzerfüllter Schrei drang aus der Kehle des Jüngeren.

„Geh jagen mein Freund. Es wird dich beruhigen und die Sonne geht erst in drei Stunden auf.“ Bevor Brendan noch etwas hinzufügen konnte, war Kilian aus dem Fenster gesprungen, die drei Meter, die ihn vom Boden trennten, überbrückte der Vampir mühelos. Er sah ihm nach, bis dieser im angrenzenden Wald verschwunden war. Nachdem er bekommen hatte, was er brauchte, würde der junge Vampir zurückkehren. Wenn es bei Kiran so war, wie bei diesem, konnte Conner nicht vor Übermorgen fliegen, Brendan beschloss Dean erst anzurufen, so bald er den Flieger organisiert hatte. Also ging er zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und betrachtete die Nacht durch das Fenster.

Kilian wischte sich über den Mund, er hatte bekommen was er brauchte, doch heute wollte er nicht gleich zurück. Er ging hinunter zum Rhein, hier war es ruhig und hier sah keiner seine Tränen. Nun hatte das Schicksal auch Kiran ereilt, wer würde der oder die Nächste sein, vielleicht seine Schwester Kira, die er nur einmal kurz auf einer Schulung bei der Frankfurter Polizei gesehen hatte, oder Paddy sein jüngster Bruder? Eine Frage die er sich lieber nicht stellen wollte, es jedoch trotzdem tat. Er griff nach der Kette um seinen Hals, ein keltisches Kreuz mit einem schwarzen Onyx in der Mitte. Auf der Rückseite standen die Namen der Drillinge, Kiran, Kira und seiner. Brendan hatte sie ihm damals nachmachen lassen, da dieser die eigentlich aus reinem Silber bestehende Kette nicht mehr tragen konnte. Sein Bruder würde die seine auch nicht mehr vertragen, wenn die Verwandlung abgeschlossen war. Kilian dachte nicht häufig an seine Geschwister, Kiran hatte er nun seit fast acht Jahren nicht mehr gesehen und Kira nur einmal ganz kurz. Bald würde er jedoch seinen Zwilling wiedersehen und dessen besten Freund. Ob es dieser Conner war, der sie vor einigen Monaten für zwei Tage besucht hatte. Wenn ja, so dachte er, würden sie beide gut auskommen. Conner und er waren einen Abend gemeinsam draußen gewesen. Er hatte erfahren, dass auch dieser noch nicht lange Vampir war. Acht Jahre, was war das für ein Wesen, dass Jahrhunderte überleben konnte? Ewig dreißig zu sein, sicher auch nicht von Vorteil, doch ein netter Nebeneffekt. Schließlich sahen Brendan und Dean immer noch aus, wie Anfang dreißig und ersterer zählte ganze 293 Jahre. Kilian schloss die Augen, genoss den leichten Wind, der vom Fluss kam. In einigen Tagen kehrte er zurück in das Land in dem er geboren wurde, er Kira und Kiran. Ihn verband nicht viel mit Irland. Er war in seiner Kindheit von einem Heim ins andere gewechselt, hatte manchmal seine drei Brüder Wochen lang nicht sehen dürfen. Die Trennungen von seinen Geschwistern und die Verluste von Freunden, machten aus Kilian einen gefühllosen jungen Mann. Er war es gewesen, der seinen Bruder mit dessen Freundin betrog, auch wenn Kiran es anders sah. Der einzige Mensch dem er jemals ohne Bedenken vertraute, war Fiona Ann. Als sie starb, starb auch der letzte Funken Hoffnung in ihm. Seine Gedanken wanderten zu Finn Cameron, der ebenfalls bei der Scotland Yard gewesen war, sich jedoch vor dem Mord von ihr los sagte. Kilian wusste mittlerweile, dass Fiona deshalb sterben musste. Alleine Brendans und Deans Vorsicht verdankte der Mörder sein Leben. Sonst hätte er ihm schon vor anderthalb Jahren die letzte Kugel gegeben. Finn Cameron sah er seit dem Mord nicht mehr, etwas dass ihn mehr beschäftigte, als alles andere. Sie waren gute Freunde, auch wenn der eine auf der Seite der Yard stand und der andere sich auf die Seite der IRA geschlagen hatte. Kilian vermisste die Gespräche, die er damals mit seinem Freund führte, ebenso wie die Abende, die sie gemeinsam in den Pubs von Dublin und Belfast verbrachten. Das einzige was Kilian aus dieser Zeit mitnahm, waren die Erinnerungen und ein Foto von Fiona Ann, Finn Cameron und sich, dass am Tag seiner Verlobung entstanden war.

Als er Schritte hörte, stand er auf. Ein Mann mit langen roten Locken, die Hände tief in der Lederjacke verborgen, ging langsam am Ufer entlang. Den Kopf gesenkt, spürbare Trauer, ging in diesem Moment von dem Fremden aus. Er roch den Zigarettenrauch und die Whiskyfahne schon aus einigen Metern Entfernung. Verschwand in den Schatten eines Baumes, irgendetwas sagte ihm in diesem Moment, dass der Rothaarige Hilfe brauchte. Dieser ging weiter mit hängenden Schultern an ihm vorbei, sah ihn nicht in der Dunkelheit. Nach einer Weile blieb der Mann stehen, fuhr sich von Kilian abgewandt mit der Hand durchs Gesicht, der Vampir hatte gesehen, dass ihm Tränen über die Wangen liefen, nahm gleichzeitig die Anwesenheit eines weiter Vampirs wahr, es war nicht Brendan. Kilian wusste, dass er noch nicht der Stärkste war, aber er besaß eine der besten Ausbildungen der Scotland Yard und der Wind wehte seinen eigenen Geruch von dem fremden Vampir fort. Nicht noch ein Opfer dachte er, ihre Feinde waren im Moment sehr stark. Der Rothaarige stand keine zehn Meter von ihm entfernt, als plötzlich ein weiterer Mann am Ufer erschien. Kurze braune Haare umgaben ein hasserfülltes Gesicht, die Augen des Fremden glühten vor Gier. Kilian sprintete los, stieß den Rothaarigen mit einer schnellen Bewegung um und stürzte sich blindlings auf seinen Gegner. Der Überraschungsangriff gelang, er riss ihn mit sich zu Boden. Ein wuterfülltes Knurren, dann versuchte der Vampir nach seinem Hals zu fassen, schnell wand dieser den Kopf. Hinter ihnen stöhnte der Mensch und gelang wieder auf die Beine. Sah wie sich die beiden Männer bekämpften, war jedoch unfähig einzugreifen. Für einen Moment gewann der Braunhaarige die Oberhand, riss den Anderen an den langen Haaren zurück, ungeachtet des Schmerzes stieß dieser ihm den Ellbogen mit aller Kraft in die Rippen, es knackte laut, als eine Rippe brach. Doch der Fremde ließ von Kilians Haaren ab, blitzschnell sauste etwas glänzendes vor seinem Kopf auf den Fremden nieder, trennte dessen Haupt sauber vom Hals ab. Er blickte auf, sah in die kalten grünen Augen von Brendan, der mit einem Schwert in der Hand neben ihm stand. Niemals zuvor hatte er diesen Ausdruck in dessen Gesicht gesehen, blanker Hass und eine Kälte, die selbst einen Vampir zum frieren brachte. Langsam stand er auf, die Augen auf seinen Retter gerichtet, der das Schwert nun in eine Scheide unter dem langen Ledermantel schob.

„Bring den Mensch in unser Haus und sorg dafür, dass er sich beruhigt. Ich erledige das hier eben schnell, dann komm ich nach!“ Brendans Stimme war ebenso kalt und ausdruckslos, wie seine Mine. Kilian gehorchte, half dem zitternd am Boden knienden Mann auf die Beine und brachte ihn weg. Die langen roten Haare verbargen das Gesicht des Fremden, er hörte jedoch das leise und panische Schluchzen und roch die Todesangst des Menschen. Er konnte sich vorstellen, wie der Kampf zwischen ihm und dem anderen auf den Mann gewirkt hatte. Selbst wenn seine Kraft noch nicht der von Brendan und Dean entsprach, war er unmenschlich stark, blitzschnell und brutal vorgegangen. In der Wohnung drückte Kilian den immer noch zitternden Mensch in einen Sessel. Stellte Kaffee an und goss Whiskey in einen großen Kaffeebecher, er erhitzte den Alkohol kurz in der Mikrowelle füllte den bereits halbvollen Becher mit Kaffee und gab ihn dem Fremden. Dieser griff mit beiden Händen danach.

„Go raibh maith agat!“ Sagte der Fremde leise und fügte ein Danke auf Deutsch hinzu. Kilian hatte bereits die ersten Worte auf Gälisch verstanden, auch erkannte er die so vertraute Stimme. Vor ihm saß zitternd und völlig mit den Nerven am Ende, sein ehemaliger bester Freund und fast Schwager Finn Cameron. Scheinbar hatte dieser ihn nicht erkannt. Der Schwarzhaarige ging zum Fenster, sah hinaus auf die Stadt. Er hatte gerade zum zweiten Mal den Rothaarigen vor dem sicheren Tod bewahrt.

Für einen Menschen unhörbar fiel eine Etage tiefer die Haustür ins Schloss, Brendan kam zurück. Ebenso für einen Menschen nicht sichtbar, verschwand dieser in sein Zimmer, von da ins Bad und stand nur eine Minute später in der Wohnzimmertür. Kilian wand sich ihm zu, sah ihn mit fragendem Blick an, als dieser nickte, wusste er, dass auch er Finn Cameron erkannt hatte. Letzterer hob nun den Blick, betrachtete Brendan mit Verwunderung und gleichzeitiger Angst in den ebenfalls grünen Augen. Dann wand er sich dem Anderen zu, der Ausdruck in seinem Gesicht wechselte und seine Augen wurden größer, jetzt war es eher Überraschung.

„Ich dachte…“ Begann dieser, schüttelte dann den Kopf und schloss für einen Moment ungläubig die Augen.

„Du dachtest ich sei damals gestorben, wie Fiona.“ Vollendete Kilian den Satz und warf einen fragenden Blick auf Brendan, der sich nun auf die Couch gesetzt hatte. Finn Cameron nickte. Schlug nun die Hände vors Gesicht und begann erneut zu schluchzen.

„Gott wer oder was bist du, Lian und wo bin ich hier nur hinein geraden? Vielleicht hätte ich mir gleich damals eine Kugel in den Schädel jagen sollen, nicht erst heute daran denken!“ Verzweifelt griff er sich in die Locken und zog daran. Brendan war mit einem Satz um den Tisch, zog ihm mit sanfter Gewalt die Hände aus den Haaren, er nahm sie in seine.

„Ich glaube du solltest heute Nacht hier bleiben und erst einmal schlafen, Mann. Danach kann dir Kilian erzählen, was damals geschehen ist.“ Mit diesen Worten zog er Finn Cameron aus dem Sessel und führte ihn in das kleine Gästezimmer. Kilian sah den beiden schweigend hinterher. Brendan hatte eine Art, die machen Menschen abschreckte, andere jedoch dazu brachte ihm bedingungslos zu folgen. Finn Cameron gehörte wohl zu den letzteren, denn er ließ einfach zu, dass man ihn weg brachte. Kilian sah wider aus dem Fenster, über der Stadt kündigte sich ein neuer Tag an, er würde heute nicht schlafen können, denn zu viel war in den letzten Stunden geschehen. Er selbst hatte mal wider versucht sein Dasein zu beenden, Kiran war zu einem von ihnen geworden und zu guter letzt hatte er seinem Freund das Leben gerettet. Eine Hand legte sich von hinten auf seinen linken Unterarm, umfasste die Stelle, wo der fremde Vampir ihn im Kampf verletzt hatte. Die kleine Wunde nahm dieser erst wahr, als Brendan sie berührte.

„Woher wusstest du, dass ich dort unten bin?“ Wollte Kilian wissen und machte mit dem Kopf eine Bewegung Richtung Rhein.

„Vergiss nicht, dass ich dich zu dem gemacht habe, was du bist. Ich spüre, wenn du in Gefahr

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Gräfin Nadine von Wittgensteyn
Bildmaterialien: by Simon Weikamp
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2014
ISBN: 978-3-7309-8608-0

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