1 Zweisamkeit
2 Paradiesvogel
Zweisamkeit
„Koch ihr doch was!“
„Nein, das ist langweilig.“
„Gar nicht! Koch ihr was Schönes, darüber freut sich jede Mutter.“
„Hm, stimmt…“, er lacht. „Aber du musst wissen, ich koche nur für eine bestimmte Frau.“
„Wie?“
„Verstehst du nicht, was ich meine, Rosa?“
„Oh, haha. Ich verstehe.“
Ich muss lächeln. Das ist typisch für ihn und wie er es jedes Mal immer wieder hinbekommt. So offen und entwaffnend.
„Also gut, nächstes Mal bin dann wohl ich an der Reihe mit anrufen. Schreib mir, wann du zu erreichen bist.“
„In Ordnung.“
„Ich werde dich anrufen, wenn ich dich so sehr vermisse, dass ich es nicht mehr aushalte, was schon der Fall sein wird sobald du jetzt auflegst…“
Wieder lächle ich.
„Ich vermisse dich so sehr. Aber nicht mehr lange – und du wirst wieder hier bei mir sein.“
„Ich vermisse dich auch. Es sind nur noch knappe zwei Wochen, das geht schnell vorbei!“
Ich lege das Telefon beiseite und atme tief durch. Wie immer, wenn ich bei ihm bin oder wenn wir telefonieren, fühle ich mich von seiner Liebe überwältigt. Er drückt sich ehrlich aus, vor allem aber auch direkt. Alles kommt ihm leicht von den Lippen; es ist kein Problem für ihn seine Gedanken einfach so auszusprechen. Keine Hemmungen. Anders als ich. Ich frage mich oft, ob er mich verändern wird oder schon dabei ist mich zu verändern. Dann wünsche ich mir, ein Mal als Außenstehender zu beobachten und zu beurteilen.
Was würde ein Außenstehender sehen?
Er, der ihr alles darbietet, was er zu bieten hat. Sie, lächelnd und annehmend. Er, der offensichtlich seine Liebe und Zuneigung zeigt. Sie, die ihn gewähren lässt, leicht errötend. Sie, die seine Aufmerksamkeit genießt.
Sie, die zu sehr verschlossen wirkt in seiner Anwesenheit.
Sie, mit sich kämpfend sich ihm zu öffnen.
Sie, die nicht so gibt wie er.
Das würde der Außenstehende sicher sehen.
Und da war gestern.
Gestern waren wir alle zusammen grillen. Er kam mit dem Fahrrad und begrüßte uns, während er abstieg und sein T-Shirt wechselte. Unsere Blicke treffen sich, wir lächeln uns an. Genau so wie ich es in Erinnerung behalten hatte, sein etwas kindliches, aber schönes Lächeln. Denkt er, ich hätte es nicht bemerkt? Seine Blicke, die immer in eine bestimmte Richtung huschten. Immer nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber fast jede Minute. Ich höre seine Stimme, sehe sein Lachen, seine Augen, die die meinen suchen – und werde doch von der Liebe eines anderen überschüttet.
Es wird dunkel. Ich sollte in Gedanken bei der richtigen Person sein.
Wir hatten unsere Chance. Nun ist es zu spät. Selbst wenn noch Gefühle da sind.
Man muss immer nach vorne blicken. Kein Schritt zurück.
„Koch ihr doch was!“
„Ach ne, ich weiß nicht. Zum Geburtstag kochen?“
„Wieso nicht? Er hat es für mich auch getan!“
„Wirklich? Wow, was gab’s denn?“
„Haha, es war ein vier Gänge Menü zum Valentinstag.“
Sie lächelt glücklich. In mir breitet sich ein Gefühl des Unwohlseins aus, während sie Alex strahlend vom Menü erzählt.
„Das klingt richtig gut, Rosa.“
„Ja, ich sag’s dir, darüber würde sich Anja sicher freuen!“
„Hm, ich wird’s mir durch den Kopf gehen lassen. Danke für die Idee.“
Alle scheinen begeistert, also lächle ich. Nur um ihnen Bestätigung zu geben.
Der Wind bläst den Rauch vom Grillfeuer zu uns. Sie versucht sich kleiner zu machen, damit er sie nicht erwischt, wird aber trotzdem in den grauen Schleier eingehüllt. Ich muss lächeln. Das ist typisch.
Ertappt. Unsere Blicke treffen sich schon wieder. Merkt sie, wie ich nicht davon lassen kann, sie zu beobachten?
„Und wie lang bist du noch da?“
„Zwei Wochen noch!“
Zwei Wochen also. Bis sie wieder geht, nach England.
Wieso muss sie so weit weg sein?
Marc’s Steak kommt vollkommen verkohlt auf seinem Teller zurück. Alle lachen, vor allem sie lacht ausgelassen und fröhlich.
Es wird dunkel. Die Bilder von gestern ziehen an mir vorbei.
Ich habe meine Chance verpasst. Sie hat uns oft Chancen gegeben, doch ich – habe sie vergeudet. Ist alles wirklich vorbei?
Ich sehe ihr Lächeln. Ihre Augen, die mich betrachten. Ihre freundschaftlichen Worte.
Ihre Worte über ihn.
Es ist zu spät. Selbst wenn ich noch diese Gefühle empfinde.
Ich muss nach vorne blicken. Sie zieht schon weiter, ich sollte nicht stehen bleiben.
Kein Blick zurück mehr.
Paradiesvogel
„Sind Sie Japanerin?“, fragt der Taxifahrer wie beiläufig. Das Gesicht der jungen Dame neben ihm auf dem Beifahrersitz wird rot.
„Nein…“, antwortet sie zögerlich. Eigentlich eher unsicher, oder sogar beschämt.
„Oh, aber Ihr Chinesisch hört sich nicht so an als ob Sie eine Einheimische wären.“
Der drahtige Mann scheint einen Moment lang zu überlegen, während sie sich unwillkürlich nach einem Sicherheitsgurt umsieht. Sie wird fündig. Vor allem fündig einer dicken Staubschicht auf unbenutztem schwarzem Stoff. Sie gibt den Gurt auf.
„Dann haben Sie sicher einige Zeit im Ausland verbracht…?“, wagt er schließlich vorsichtig.
Sie kurbelt das Fenster weiter herunter, während das kleine Auto durch die Straßen Xi’an’s rattert. Mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit sogar, die man ihm nicht zugetraut hätte.
„Hm ja.“, erwidert sie und sieht zu wie der rot-bräunliche Staub auf der Straße durch die vielen Autos aufgewirbelt wird. Es wirkt erstickend auf sie. „Ich wohne in Deutschland.“
„Deutschland?“, kommt es sehr beeindruckt zurück. „Was machen Sie dort?“
Sie wendet ihren Blick von der Straße dem neugierigen Taxifahrer zu. Seine sonnengebräunte Haut macht einen ledrigen Eindruck.
„Ich bin dort aufgewachsen und gehe dort im Moment noch zur Schule.“ Sie registriert einige Narben an seiner linken Wange, als er sie während ihrer Antwort kurz anblickt. „Meine Eltern arbeiten dort.“
„Und nun sind Sie zum Besuch hier, oder?“
„Ja, unsere Verwandten leben alle hier.“
Eine leichte Übelkeit hat sie erfasst. Mit tiefen Atemzügen sieht sie sich um und fragt sich, ob der Taxifahrer sie am richtigen Platz abgesetzt hat. Er ist wirklich fast im halsbrecherischen Tempo und im Zickzack durch die Stadt geheizt. Im Hinblick auf den chaotischen Verkehr kommt ihr der Gedanke, dass diese Taxifahrer alle Verkehrs-Kamikazen sein müssen.
Sie seufzt. Im Schein der unbarmherzigen Sonne beginnt sie in die Richtung zu gehen, in der mehr Menschen zu sehen sind.
Japanerin… wirkt sie als Chinesin tatsächlich so unüberzeugend?
Ihr Blick fällt auf einen Polizisten, der vor einem Kaufhaus steht. Menschenmassen strömen konstant ein und aus. Sie fühlt den im Vergleich zur Außentemperatur eisigen Lufthauch aus der Klimaanlage, deren Reich die Eingangstür ist.
Der Polizist weiß zu helfen. Er weist ihr die Richtung, wobei er sie ein Mal von oben bis unten beäugt. Findet er auch, dass sie japanisch klingt? Oder einfach nur seltsam?
Wieder seufzte sie. Dieses Mal frustrierter. Oder mehr resignierend.
Die Menschen bemerken sie kaum, nun, als sie langsam in die Richtung schlendert, die der Polizeimann ihr gewiesen hat. Sie sieht aus wie jeder andere. Schwarze Haare. Bräunliche und vielleicht etwas leicht gelbliche Haut. Braune Augen. Kleinere Augen, im Vergleich zu den westlichen. Die gleiche Gesichtsstruktur, weichere Gesichtszüge insgesamt.
Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich gut an, nicht hervorzustechen. Nicht besonders oder speziell zu sein. Jedoch, sobald sie den Mund öffnet und ihre eigentliche Muttersprache spricht – klingt es nicht nach Muttersprache. Dann ist sie wieder komisch, speziell. Vor allem aber: anders.
Während sie auf das Westtor der alten Stadtmauer zugeht, reist sie in Gedanken zurück in ihre andere Heimat. Dort fühlt sie sich in der Menschenmenge nicht wohl. Im Moment fühlt sie sich erfüllt, unter ihresgleichen, solange sie nicht zu viel spricht. Doch dort sieht sie nicht aus wie jeder andere. Um sie herum gibt es dort blonde Haare, oder braune, und rötliche. Die Haut der Menschen ist blass, weiß, manchmal rötlich, oder auch bräunlich, manchmal vom Solarium. Große Augen, in unterschiedlichsten Farben. Lange, geschwungene Wimpern. Oft dickes Doppellid. Das bei ihr nicht vorhanden ist. Meist härtere Gesichtszüge, markantere Wangenknochen. Und höhere Nasenwurzeln.
Es fühlt sich nicht gut an, dort durch die Straßen zu schlendern. Sie zieht Blicke auf sich. Die Menschen gaffen, kleine Kinder reden laut über sie. Unreife Jugendliche machen unreife Bemerkungen. Doch wenn sie spricht, ist sie eine von dort. Dann ist sie deutsch. Am Telefon irritiert nur der Name manchmal, denn ihre andere Muttersprache klingt nicht fremd aus ihrem Mund.
Dennoch, in beiden ‚Heimaten’ ist sie anders als die anderen, und zwar auf ergänzender Weise; immer liegt es an Sprache und Aussehen.
Sie lächelt. Wie ironisch.
Das Gefühl, in diesen zwei Welten ein vollkommenes Zuhause finden zu können, hat sie nicht. Ob es irgendwo solch einen Platz gibt, das weiß sie auch nicht.
Vielleicht ist es das, was sie ausmacht. Ein Mensch zwischen den Welten. Oder vielleicht ein Weltenbürger. Ungebunden, unverpflichtet, und frei von einseitigem Nationalgefühl. Ist das ihre Identität? Oder ist sie am Ende identitätslos?
„Wo kommen Sie denn her?“, fragt die alte Dame, die an ihrem Stand Buddha-Anhänger aus grüner Jade verkauft. „Sie haben einen seltsamen Akzent.“
„Das weiß ich nicht so genau“ würde sie am liebsten antworten.
„Von hier ursprünglich.“, sagt sie, während sie den kühlen Jadestein in ihrer Hand wiegt. „Aber ich war lange im Ausland.“
Zwei deutsche Touristen machen Halt an dem Stand der alten Dame. Sie bestaunen die Anhänger, bereden, ob sie welche kaufen sollen. Als Souvenir. Bei den Preisverhandlungen gibt es Verständnisprobleme. Sie hört zu und entscheidet zu helfen.
„Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen helfen?“
Überraschte Blicke, aber auch Erleichterung.
Am Ende die Frage: „Haben Sie Deutsch studiert?“
Sie lächelt.
„Ja, das habe ich.“
Tag der Veröffentlichung: 28.04.2009
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