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Endstation Tod

Prolog

Die Emotionen, sie werden Dir genommen,
Deine Augenblicke, sie verkommen.
Dass ist erst der Anfang.

Die Stimmen klanglos und gleich,
die Kleidung auf Standard geeicht.
Dass ist erst der Anfang.
(Auszug aus den Litaneien des Alltags, Zitat des obersten Regenten)

Was am Ende bleibt:
Ein Torso zum Leben,
herzlos und kalt.
Aber ist es am Ende,
wirklich das Ende
der Gewalt?
(Passus aus Der letzte Freidenker)

I.
An der Kante einer Felsenhöhle, mit Blick auf zwei Meere und einer Waldenge dazwischen, lag in einer Liege ausgestreckt ein Mann. Seine Gestalt war muskulös, die einzelnen Partien glänzten im Licht der Sonne. Das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen hatte tief in den Höhlen liegende Augen, das silberne Haar war mit einem Zopf zurück gebunden. Die Kotletten gingen in einen präzise gestutzten und kunstvoll geschwungenen Bart über. Der Mann drehte sich gerade auf den Bauch, um sich von zwei femininen Elfenwesen den Rücken massieren zu lassen, als er sagte: „Sie fühlen nichts. Sie sind einfach nur da. Und tun was man ihnen sagt. Spürst Du sie auch, diese Ruhe, Ordonnanz?“ Die Ordonnanz war ein krötenartiges, kämpferisches Wesen, das jeweils einem Befehlsgeber direkt unterstand.
„So friedlich wie das wogende Meer zu dieser Zeit. Ich fühle sie nicht, ich sehe sie nur, Befehlsgeber Antaron.“
„Und wollen wir diesen Frieden bewahren? Endgültig in allen Welten festsetzen?“
„Es ist beinahe vollbracht, Befehlsgeber. Nur eine Randgruppe weist höhere Emotionen auf. Sie haben sich der Prägung bisher erfolgreich entzogen.“
„Fester, packt fester zu! Knetet den Körper nur gut durch, er muss gestärkt werden für den Einsatz.
Und zu Dir Ordonnanz: Die Randgruppe ist nicht nur irgendeine. Aus den Widerstandsvölkern sind es die letzten Gesandten der Welle. Außer einer Elfe und einem Wandler ist auch ein Barbar dabei – dieses Volk hat von Anfang an die meisten Schwierigkeiten bereitet und wir dachten sie seine ausgerottet! Die Wut eines Barbaren ist unkontrollierbar. Er muss unbedingt geprägt werden, bevor sich seine Raserei auf andere übertragen kann.“
„Wir finden sie, Befehlsgeber. Gerade geht von Okurn die Nachricht ein, dass sie Spuren haben. Die Gesandten der Welle laufen in eine Sackgasse.“
Antaron lächelte. Okurn war der Obereste Wäscher und damit der Anführer der zehnköpfigen Robotgarde, die bisher noch jeden gefunden hatte und eine Spur auch anhand von Kleinigkeiten fand. „Sag Okurn sie sollen warten. Ich werde mich persönlich vor Ort einfinden und den letzten Widerständlern ein Ende bereiten.“
Antaron stand übergangslos auf. Dass eine der filigranen Elfen dabei zu Boden stürzte und sich die Knie aufschlug ignorierte er. Es war nicht von Bedeutung. „Ankleiden.“ befahl er. „Und Du Ordonnanz, sattle meine Reitechse Dornschwanz. Gib dem Tier zudem eine ausreichende Mahlzeit – hier, das Rothaar am Boden sollte genügen, sie brauche ich nicht mehr.“
Die Ordonnanz ging ohne ein weiteres Wort, die rothaarige Elfe stand stoisch auf und folgte ihr. Antaron sah dem ungleichen Paar mit einem Lächeln nach. Und wenn ich sage sie soll sich selbst richten, so wird sie es tun, dachte er. Dann versank der Regent und oberste Befehlshaber von Trikton in mantrischen Litaneien.

*
Auf den Spuren der Widerständler.
Trikton war der letzte Fluchtpunkt gewesen, der zur Auswahl stand und zugleich der Ort, von dem die Regenten den Feldzug seit Anbeginn steuerten und in alle andere Welten leiteten. Und dennoch, immer wieder hier im Zentrum sammelten sich die Widerständler und verschwanden spurlos.
Der Barbar wurde von dem Elfenwesen Amida aus seinen Überlegungen gerissen. „Beldar, wir müssen rasten. Tork ist verletzt.“
Tork war einer der stärksten unter ihnen und zugleich der anfälligste. Durch seine Wandlergabe brauche er ständig Nahrung und Verletzungen führten bei ihm zu einem langsamen Ausbrennen. Zumindest in diesen Zeiten, da der Regent alle Regenbogenpflanzen hatte ausrotten lassen – diese bildeten die Hauptnahrungsquelle der Wandler.
Beldar unterdrückte die raue Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag. Er wusste wie wichtig dieser Begleiter war. Seine Liebe zu Amida und umgekehrt, diese Verbindung, musste unter allen Umständen gehalten werden. Wenn sie versagte, würde die Prägung endgültig alle Eigenständigkeit verbieten. Es würde keine Nachkommen mehr geben und selbst wenn eines Tages wieder Paarungen erlaubt waren, würde niemand mehr wissen was Liebe ist. Dieses Gefühl wäre dann endgültig von den Welten getilgt. Denn was regierte war und ist die Angst, unter der jedes Gefühl und auch der Widerstand erstarb. Beinahe jedenfalls.
„Wir unterbrechen hinter der nächsten Biegung für wenige Herzschläge. Lasst uns noch einmal in uns gehen und die letzten Kräfte mobilisieren. Auf! Diese paar Meter müssen wir noch zurücklegen!“
Das Land war hier wild und ungebrochen. Mannsdicke Stämme schraubten sich in die Höhe, ihr Blätterdach verdunkelte den Himmel. Teilweise musste sie sich mit Buschmessern einen Weg bahnen, doch sie wollten dieses Mittel nicht zu oft benutzen. Zu groß war die Gefahr, andere Lebensbewohner aufzuschrecken und eine deutliche Spur zu hinterlassen. Wir werden nicht mehr lange allein sein. Wenn wir dann nicht gefunden haben wonach wir suchen, ist es zu spät. Der Barbar stapfte in den sandigen Boden. Seine Zähne mahlten schwer aufeinander. Als sie an einem umgekippten, morschen Stamm vorbei kamen, der eine Bresche in das Astwerk geschlagen hatte, stoppte Beldar die Gruppe. „Pause.“ brummte er. „Stellt eine Wache ab. Ich gehe derweil etwas für uns essbares suchen.“
„Ich werde aufpassen.“ meldete sich Amida. Beldar klopfte ihr auf die Schulter, dann trat er hinter der Elfe ins Buschwerk. Er würde wohl gut daran tun, auf vegetarische Kost zu setzen, wie in den letzten Wochen auch. Dabei gelüstete ihn nach Fleisch, frisch gebratenem deftigen Fleisch oder einem zarten, noch blutigem Stück, das etwas angeräuchert schmeckte. Sein Magen begann bei diesen Gedanken zu knurren. Aber so laut?
Instinktiv wich er zur Seite aus und rollte sich rückwärts ab. Keine Sekunde zu früh, denn dort wo er eben gestanden hatte, klaffte eine brunnengroße Mulde. Der Barbar zog aus seinem Rücken ein doppelhändiges Langschwert und starrte geradewegs in das Zahnbewehrte Maul einer Meerechse. „Gut dann eben Fleisch mit vegetarischer Kost!“ fluchte Beldar. „Ich will verdammt sein, wenn ich aus dir keine nahrhaften Häppchen mache.“ Der Meeresbewohner hatte einen langen Hals, das vordere wie hintere Flossenpaar hatte Krallenfüße ausgebildet, wohl um auch an Land eine Fortbewegung zu ermöglichen. Plötzlich war auch Amida an seiner Seite, sie hatte sich Tork untergehakt. „Wir bekommen Besuch. Emotionsstehler sind uns auf den Fersen. Doch die Wäscher scheinen auf jemanden zu warten. Sie haben soeben eine Pause gemacht.“
„Dann werden wir bald hohen Besuch erwarten – zurück!“ Er versetze den beiden Begleitern einen Stoß und hechtete selbst hinter einen Baumstamm. Knapp, viel zu knapp war das. Wir müssen weiter. Amida rief von gegenüber: „Diese Riesenechsen müssen die besagten Wächter sein. Es heißt, wer dem Hort unaufgefordert zu Nahe kommt, wird grausige Ungeheuer herauf beschwören. Weder an Land noch im Wasser wird er vor ihnen sicher sein.“
Der Barbar deutete auf das Echsenwesen, dass hohe Fauch und Zischlaute ausstieß. „Oder unser geliebte Regent hat diese Kreaturen erweckt.“
„Ich stimme Amida zu“ mischte sich Tork ein. Er befreite sich aus den Händen der Elfe. „Laut den alten Schriften aus dem Zeitalter der Magie, bewachen uralte Geschöpfe – zur Hälfte Land- und zur anderen Hälfte Meeresbewohner – einen geheimen Zugang, der zur Kammer der Ewigkeit führen soll.“
„Das klingt etwas melancholisch, aber es ist das, was wir suchen. Mein Volk bezeichnet es allerdings praktischer - als Die letzte Bastion im Widerstand.“
„Und du hoffst dort jemanden deiner Art zu finden, nicht wahr?“
„Das geht dich nichts an! Das geht niemanden etwas an.“ blaffte der Barbar Amida an. Mit etwas gemäßigter Stimme sagte er: „Und jetzt lasst uns verschwinden. Die Rast ist zu Ende!“ Sie alle wussten, dass niemals eine Rast stattgefunden hatte, aber niemand sagte etwas. Wenn sie überleben wollten, mussten sie weiter.
„Ich werde für etwas Ablenkung sorgen.“ Die Stimme des Wandlers klang entschlossen.
„Tork, bitte, du musst-„ Amidas Worte gingen in einem Heulen unter. Tork sprang in Gestalt eines braunhaarigen Wolfes auf die Wächter zu. Er schien sich in dem lederartigen Fleisch festbeißen zu wollen. Das Wächterwesen versuchte Tork wie ein lästiges Insekt abzuschütteln.
„Komm jetzt. Es war seine Entscheidung. Und er hat es in erster Linie für Dich getan, Amida. AMIDA!“ Als sie weiter nur in Richtung des Wolfes starrte, warf er sich die Elfe über die Schulter und stapfte davon. Er ignorierte ihr wütendes Trommeln in seinem Rücken, das sich für ihn wie eine gute, seit langem vermisste Massage anfühlte.
Beldar lief seinen Instinkten entsprechend, dabei wurde das Rauschen der Meere immer lauter. Er verließ sich ganz auf sein Gefühl, dass ihm oft schon den richtigen Weg gewiesen hatte. Es war als wären die Barbaren ein Volk, das gerade in abenteuerlichen Situationen zur Höchstform auflief und dabei einen siebten Sinn für verstecktes und verloren geglaubtes entwickelte.
„Der Regent“ keuchte Amida plötzlich und ihr Trommeln ließ augenblicklich nach. „Er ist hinter uns. Mit ihm sind mehrere Wäscher hier. Wenn sie uns prägen, dann verlieren wir unsere Existenz.“
Beldar konnte die Angst verstehen, die von der Elfe besitzt ergriff, doch sie durfte keine Oberhand gewinnen. Die Wäscher wurden davon nur angezogen. „Du und Tork und ich, wir sind die letzten die noch eigenständig handeln, die noch fühlen und frei denken. Wir müssen dafür kämpfen. Wir wurden von unseren Völkern erwählt, diese Eigenschaften zu bewahren und selbst wenn nicht heute, so doch morgen wieder hinaus zu tragen in die Welten.“
Inzwischen wurden seine Beine schwer und der Barbar wusste, dass eine ewige Flucht sie nicht retten würde. „Amida, hör mir jetzt genau zu – und keine Widerrede! Mein Volk ist tot, das Volk der Elfen und der Wandler aber ist noch zahlreich. Und Euch vereint das Gefühl, das als einziges die Angst besiegen kann. Bewahrt es Euch und findet einen Weg, es den Völkern zu vermitteln und zurückzugeben. Ich spüre, dass wir ganz in der Nähe des geheimen Ortes sind, er wird Euch helfen. – Und jetzt geh!“
„Aber-„
„Mein Volk ist immer schon im Kampf gefallen. Und jetzt ist es an der Zeit meine Brüder wieder zu sehen. Jetzt geh!“
Amida war kaum im Dickicht verschwunden, da hatten ihn die Roboter bereits eingekreist. „Sehr schön. Und jetzt sag mir, wo die anderen beiden sind! Meine Wäscher sprachen von drei Impulsen.“ Es war die Stimme des Regenten, kühl und dominierend.
Beldar zog langsam sein Schwert aus der Rückentasche.
„So einer bist Du also. Aber wir können es auch so machen: Wir prägen Dich und dann holen wir die Informationen aus deinem Kopf.“
Der Barbar zog mit dem Schwert einen Kreis um sich. „Niemand, ganz egal wer, niemand kommt hier hinein. Oder wieder hinaus.“
„Mutig. Und dumm zugleich. So war Euer Volk aber immer schon. Hat sich nichts sagen lassen. Nun, jetzt ist es dann also endgültig vom Boden getilgt. Weißt Du, dein Vater Began, er machte Augen wie ein Kind, als ihn die Krallen von Dornschwanz zerfetzen.“ Je mehr der Regent sagte, desto mehr stieg die Wut in ihm. Sein Körper kribbelte vor Lust auf einen Kampf. Er konnte sich bereits jetzt kaum mehr zügeln.
Der Regent strich über den Hals der Echse. Panzerplatten umgaben den muskulösen Körper und ein Keulenschwanz bildete das tödliche Ende. Das Tier war nicht zu unterschätzen, kein Wunder das der Regent sich sicher fühlte und ihn bewusst reizte. Er will einen rasenden Krieger besiegen, das würde sein Selbstbewusstsein und Ansehen unermesslich steigern. Bei seinem Herrn hätte er einen Sieg vorzuweisen, der zu einer Reichserweiterung beitragen könnte. Macht und immer mehr Macht. Oh nein, auch wenn der letzte Widerstand versiegt, wird es keinen Frieden geben. Dann beginnen die inneren Kriege und Machtkämpfe.
Während seinen Überlegungen hatte er die Angreifer genau im Blick und suchte nach der Lücke. Sie würden denken, er handle blind und triebgesteuert. Sie würden eine Überraschung erleben. Die erlebte allerdings auch der Barbar und er nutzte die Chance, die sich daraus ergab kaltblütig.
Die Kreatur, die sie zuvor angegriffen hatte, mischte sich auch jetzt wieder ein. Sie musste ihm gefolgt sein und schien dem Regenten nicht zu unterstehen. Es gibt also noch freie Wesen. Und wieder fanden sie sich im Zentrum.
Das Maul senkte sich trotz der Freiheiten der Echse auf ihn nieder und nicht auf die Wäscher. Beldar wich nach rechts aus. Im Wegspringen zerschmetterte der Barbar einen der Wäscher, aus dessen zerteilten Blechhaufen ein Quietschen und Krachen kam. „Holt ihn euch. Egal ob ihr in prägt oder tötet, das bleibt euren Berechnung überlassen.“ rief der Regent.
Die Wäscher entfalteten ihr kämpferisches Potential, doch sie konnten den dritten Teilnehmer nicht einschätzen. Das Meereswesen wütete jetzt ohne zu unterscheiden, allein angezogen von der Unruhe und den vielen Fremden. Plötzlich kam auch von der anderen Seite eine solche Kreatur heran und es war nicht die letzte. Ein Kopf nach dem anderen senkte sich zwischen Baumstämmen hindurch. Als ob wir Raubtierfütterung hätten. Beldar fällte einen weiteren Wäscher.
„Richtet Eure Blechaugen rein auf ihn. Ich kümmere mich um die ungewünschte Besucher.“ Der Regent drehte mit dem Echsenwesen ab. Beldar sah wie er aus einer Seitentasche eine Art Bogen holte. Er wollte wohl versuchen sie zu prägen, aber dafür brauchte es schon mehr. Das er falsch gedacht hatte, sah er als sich ein süßlicher Geruch verbreitete und mit ihm Schwärme von Faltern aufstiegen. Der Regent musste sie vor ihm entdeckt haben und wieder gehörten sie nicht zu ihm. Verdammt, er hatte sich zu sehr ablenken lassen - einer der Wächter hatte ihn mit einem Greifarm gepackt und eine spritzenförmige Kanüle angesetzt. Kaum das sich das Ding aus seiner Haut löste, fühlte er eine ungewohnte schwere im Arm. Die Wächterwesen wurden von den Faltern verwirrt. Ihre Flossenarme peitschen unkontrolliert und ließen den Boden erzittern.
Als ein Falter, größer als die anderen und von veilchenblauem Ton direkt auf ihn zuhielt, hörte er Amidas Stimme von oben: „Deine Arme, streck sie aus!“ Obwohl er ungern Befehle entgegen nahm, folgte er ihrem Aufruf. Im nächsten Moment wurde er gepackt und in die Luft gehoben. Sie tauchten unter den Köpfen der Meereskreaturen, die sich wie Wasserfälle auf sie nieder senkten hindurch. Hinter Ihnen wurde das Kampffeld kleiner. Er glaubte die Stimme des Regenten zu hören, der ihre Flucht bemerkt hatte.
„Wir haben nicht viel-„
Der Barbar wurde unterbrochen, als die Gestalt des Falters zu flackern begann. Der Griff um seinen Arm lockerte sich und keine Sekunde darauf fiel er in die Tiefe. Auch Amida stürzte. Und der Falter nahm seine wahre Gestalt an: Torks Gestalt.
Beldar konnte sich abrollen, kam aber schwer auf dem tauben Arm zur Ruhe. Er rappelte sich auf und rannte zu der Elfe. „Komm“ er schleifte sie mit, holte auch Tork und folgte einem Trampelpfad, der im Nichts endete. Stattdessen blickten sie direkt auf die Gestalt eines der Wächterwesen. Beldar ließ Tork und Amida in den Sand fallen. „Wir sind so kurz davor! Das kann nicht das Ende sein!“ Er fasste mit der gesunden Hand nach dem Langschwert.
Ist es nicht. Wenn ihr Euch als würdig erweist.
„Hört Ihr auch diese Stimme?“ fragte der Barbar argwöhnisch. Die beiden Gefährten verneinten.
„Wer bist Du?“ fragte Beldar laut.
Ich bin zu groß um übersehen zu werden.
Als der Barbar erneut aufschaute begriff er, dass das Wächterwesen zu ihm sprach.
„Wir sind die letzten Freien.“
Nicht die letzten. Und nicht die ersten. Aber in diesem Zeitalter ist kein Kampf zu gewinnen. Geschweige Frieden in die Welten zu bringen. Das einzige was gesät wird ist Leere.
„Lass die Parolen. Sag mir lieber, Wächterwesen, wie erweisen wir uns als würdig?“
Ein brummiges Lachen ertönte. „Erzählt mir von einem Traum. Von eurem Traum. Jeder für sich und jeder still. Jetzt.“
Er sah an den Blicken der anderen, dass auch sie die Stimme nun hörten.
Und dann erzählten sie ihre Träume.
Als sie geendet hatten, begannen die beiden Meere zu brodeln und ein graues, steiniges Etwas erhob sich aus den Wassern. Es war ein Felsengang, der sich aus der Tiefe empor schob wie eine Brücke.
Der letzte Hort. Geht hinein. Und sucht einen Platz zur Ruhe bis ich Euch rufe. Ihr seid nicht die ersten, die diesen Ort betreten, wohl aber die letzten.
„Und was geschieht dann?“ Tausend Fragen sammelten sich in seinem Kopf. Er hörte die Stimme seines Vaters, die ihm vor blindem Vertrauen warnte.
Doch als ihm der Wächter mitteilten, dass der Regent bald hier sein würde, hatte er seinen Entschluss gefasst: „Wir gehen. Wenn Du uns sagst, was mit Verletzten passiert?“ Dabei strich er über seinen tauben Arm.
Auch Verletzte schlafen. Manche finden Heilung. Manche werden nie mehr erwachen. In jedem Falle aber finden auch sie einen friedlichen Schlaf.
„So gehen wir, Freunde.“ Er fasste rechts den Wandler und hakte links die Elfe unter.
„Eine letzte Frage noch, Wächter!“ Es war Amida die das Wort ergriffen hatte. „Wann werden wir geweckt? Und von wem?“
Nach Jahrzehnten? Wenn es sein muss, nach Jahrhunderten. Um auf die zweite Frage einzugehen: Jemand wird aus dem Wasser zu Euch kommen. Jemand nicht Mensch und nicht Tier.
Damit schien die Mitteilungsfreude dieses Geschöpfes endgültig verflogen.
Beldar hielt sich eng an seine Freunde, er spürte wie sein Griff um sie stärker wurde. Er würde sie nie mehr loslassen. „Wir sehen uns in einem neuen Leben wieder.“ Dann traten sie ein.


II.
Als die Gruppe tiefer in der Grotte war, spürte sie, wie der Hort sich aufmachte, wieder in den Tiefen der beiden Wasser zu versinken.
„Und warum wird uns niemand finden? Warum haben die Regenten diesen Ort niemals entdeckt?“ fragte Amida in die Stille hinein.
Beldar blieb plötzlich stehen. „Seht, dann werdet ihr verstehen.“
„Tod. Das ist ein Grab.“ entfuhr es Tork beim Anblick der vielen gläsernen Becken.
Der Barbar schüttelte den Kopf. „Ein riesiger Schlafplatz ist das. Und zu deiner Frage Amida: Niemand wird uns finden, wenn unsere Herzen nicht mehr schlagen.“
„So hoffen wir, das die ersten die uns finden Freunde sind.“
Tork fasste die Hand der Elfe. „Hoffnung ist ein gutes Gefühl. Das Zweitbeste das ich kenne.“
Dann küsste er sie.
Beldar ließ die beiden alleine und setzte sich von ihnen ab. Ihn trieb eine irrwitzige Hoffnung tiefer hinein. Gläserne Behältnisse, die den Ort tatsächlich wie ein Grab wirken ließen, waren wie die Blätter einer Blüte angelegt. Die Blüte der Hoffnung, dachte Beldar.
Als der Barbar bei einem offenen, gläsernem Blatt anhielt, wischte er das angelaufene Glas seines benachbarten Schläfers. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er einen Blick auf den Schlafenden werfen konnte. Die Augen waren friedlich geschlossen. Und mit dem Gedanken nicht der letzte zu sein, stieg er in den Schlaftank daneben. Dabei fragte er sich noch, ob er gerade einen Barbaren oder eine Barbarin gesehen hatte.

Impressum

Texte: by Marc Short
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2012

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