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Motiv und Vorbereitung

Es gibt viele Ursachen und Gründe für eine lange, einsame Radtour. Einige finden sich im Inneren eines Menschen, andere wirken von außen auf ihn ein.

Die äußere Ursache, die mich im Grunde dazu bewegte mein Glück auf dem Sattel eines Fahrrads zu suchen, war eine ungewöhnliche, beinahe tragische. Es ging dabei um einen Tod, oder genau genommen, um Siechtum und Sterben. Nicht das Sterben eines mir nahe stehenden Menschen oder das Verenden eines geliebten Tieres traf mich, - nein, es war das Sterben einer Branche.

Wenn eine ganze Branche stirbt, so ist das ein Sterben wie bei einem alten Menschen, der nicht mehr gebraucht wird. Auf Depression folgen langes Siechtum, Auszehrung und ein langsamer, aber unaufhaltsam näher rückender Tod.

Wer von den Einnahmen eines Geschäft in einer solchen Branche leben muss, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er steigt aus, oder er kämpft auf verlorenem Posten weiter, solange er noch auf eine Überlebenschance hofft.

Mein Laden in Bremen gehörte zu einer solchen Branche. Ich stieg nicht aus - ich kämpfte.

Während der Depression entließ ich mein Personal.

Während des Siechtums der Branche betrieb ich mein Geschäft allein.

Wer ein solches Geschäft allein betreibt, wird von seinen Pflichten in Haft genommen. Er sperrt morgens die Ladentüre auf, bedient bis mittags Kunden, schließt für eine halbe Stunde, holt sich eine Kleinigkeit zum Essen, erledigt schnell die notwendigen Bankgeschäfte, eilt zurück und arbeitet weiter bis zum Feierabend. Auch am Samstag. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Das geht so ein Jahrzehnt lang oder länger ohne dass je an Urlaub zu denken ist.

Als der Tod der Branche sich endgültig abzeichnete, immer mehr meiner Lieferanten in Konkurs gingen, die Stadt zwei Jahre lang die Straße vor meiner Ladentüre in eine Baustelle verwandelte, musste ich meinen aussichtslosen Kampf aufgeben, wenn ich mich nicht für alle Ewigkeit verschulden wollte. Im Februar war es so weit. Ich warf das Handtuch. Ich schloss meinen Laden für immer.

Damit war ich dieser freiwilligen Gefangenschaft, wider Willen entkommen. Die Zeit dieser Art Einzelhaft mit Heimschläferoption war beendet. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren hatte ich tagsüber für private Dinge Zeit. Geld war mir nicht viel geblieben. Aber ich hatte Zeit!

Der Sommer verfrühte sich. Er kam schon im April.

Und ich hatte Zeit!

Auch wochentags. Ich konnte die Sonne genießen, konnte mich einem halb vergessenen Hobby widmen: Konnte mich aufs Rad setzen, konnte hinausfahren, die Umgebung erkunden, Radwanderwege testen. Es war herrlich. Mein Leben gewann einen Hauch von Freiheit. Aber es war nicht die volle Freiheit. Denn abends musste ich umkehren, musste zurück nach Hause, war wieder Heimschläfer, wie in all den Jahren zuvor. Zuerst störte es mich nicht. Es war ja auch selbstverständlich. Dann aber an einem dieser strahlenden Sommertage im April, an dem die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel brannte, irgendwo auf dem Radweg neben einer Landstraße in Richtung Wildeshausen, stellte ich mir vor, wie es wäre nicht umzukehren, nicht zurückzufahren, sondern den Weg fortzusetzen, weiter und weiter zu radeln, mich von meinen Gewohnheiten, dem Alltag, der langweiligen Routine zu lösen, mich davon freizumachen - frei zu sein.

Der Gedanke war faszinierend. Er ließ mich nicht mehr los. Ich entschloss mich, einen Versuch zu wagen.

Leider muss die Freiheit in einem sozial geordneten Leben geplant werden, darf, wie die Liebe in einem solchen Leben, nicht ziellos sein, darf Grenzenlosigkeit nur ahnen lassen, muss aber Grenzen wahren.

Also bemühte ich mich um ein äußeres Ziel - ein Ziel, das weit genug entfernt lag, um Freiheit zu symbolisieren und nah genug um in begrenzter Zeit, also im Lauf eines Sommers erradelt zu werden.

Ich wählte den Bodensee. Auch deshalb, weil ich schon als Kind den Wunsch hatte, einmal die Pfahlbauten bei Unteruhldingen zu sehen. In den vielen Jahren als Autofahrer war ich oft dort vorbeigekommen, nur leider nie dort hin. Dabei hatten die Steinzeit und der Alltag unserer frühen Vorfahren mich immer schon interessiert.

Aber zunächst musste eine Ausrüstung her. An meinem guten alten Kettler-Rad war das Bremsseil gerissen, und wie es aussah, würde ein Überholen genau so viel kosten, wie ein neues Rad vom Sonderposten. Das fand sich dann auch zu einem moderaten Preis, ausgestattet mit 24 Gängen, Mountainbike-reifen, einem ausgezeichneten Sattel und zudem in meiner Lieblingsfarbe, nämlich Metallic-blau, lackiert.

Dazu brauchte ich Packtaschen, eine Lenkradtasche - alles natürlich in Blau, einen Schlafsack, einen kleinen Kocher, ein kleines Zelt, eine Stirnlampe, einen Mini-Radiorecorder und einen Routenplan.

Den Routenplan entwickelte ich am Computer. Es entstand ein Mix aus Fernradwegen und Radrouten. Ein Navi bsaß ich nicht. Also druckte ich Orte, Entfernungen und Übernachtungsmöglichkeiten aus. Das musste genügen. Karten dazu, wenigsten für den nördlichsten Teil der Strecke fand ich im Supermarkt.

Dann musste noch schnell mein erstes Buch bei »Books on Demand« untergebracht werden. Als das alles erledigt war, stand der Juni auf dem Kalender.

Erster Tag

Endlich war es so weit. Ich fuhr los.

Das Wetter war nicht berauschend, der Himmel leicht bedeckt. Es war mäßig warm. Ich kletterte also vor meinem Haus und den skeptischen Augen meiner beiden Mitbewohner auf das voll bepackte Rad. Die ersten Meter kam ich nur sehr wackelig voran. Nie zuvor hatte ich so viel Gepäck aufgeladen gehabt. Das ergab ein ganz neues Fahrgefühl. Aber nachdem ich die Stadt durchquert hatte, gewann ich an Sicherheit und auf dem Radweg neben der Landstraße hinter Stuhr, begann ich mich wohlzufühlen.

Ich folgte brav dem vorgegebenen Radfernweg in Richtung Heiligenrode und radelte hinter Klosterseelte auf einem Sandweg in ein Wäldchen, wo ich auf dem Grünstreifen vor dem Unterholz drei verschmitzt herüberlugende junge, dunkelbraune Pelztiere mit buschigen Schwänzen entdeckte, von denen ich bis heute nicht weiß, ob es sich um kleine Iltisse, Marder oder den Nachwuchs von Füchsen handelte, der zu lange auf der Sonnenbank gelegen hatte. Leider konnte ich mich nicht ausgiebig mit ihnen beschäftigen, weil sich ein Landrover näherte, aus dem ein Ehepaar in Jagdkleidung und voller Bewaffnung stieg, bei dessen Anblick die Tierchen sich vorsichtshalber eilig in die Büsche schlugen. Ich hätte es ihnen am liebsten gleich getan, denn die unter den Schultern auf mich gerichteten Waffen und die misstrauischen Blicke, mit denen ich gemustert wurde, ließen mich nichts Gutes ahnen und auch der Versuch mit einem entwaffnenden Lächeln und einem freundlichen: »Moin!« die Leute für mich einzunehmen, wurde finster ignoriert. Zum Glück blieb ich dann doch unbehelligt und Jäger und Jägerin verschwanden im Wald.

Ich trat wieder in die Pedale, kam aber nicht allzu weit, denn der Sand verwandelte sich in Schotter und der Weg in eine Fahrspur, die plötzlich steil bergab führte, sodass ich es angesichts meiner noch unsicheren Fahrweise mit dem schwerem Gepäck, vorzog zu schieben. Übrigens eine Fortbewegungsart, die ich in den folgenden Wochen noch häufig anwenden sollte.

Der Schotterweg endete in einer Kiesgrube, von der ein Feldweg zur Bundesstraße in Richtung Bassum führte. Mir war es recht. Auf dem ebenen Radweg fühlte ich mich sicher. Dazu kam zu meiner Freude noch ein leichter Rückenwind. So fiel es mir leicht der Versuchung zu widerstehen schon gleich hinter Bassum auf einem Campingplatz die erste Nacht zu verbringen. Ich fuhr also ziemlich mühelos bis Lehmbruch am Dümmersee. Es war früher Abend, als ich dort eintraf. Auf dem Tacho standen 91,1 km.

Ich war etwas in Sorge, weil ich nicht wusste, ob auf dem Campingplatz das Zelten vorgesehen war. Ich hatte bei einem früheren Besuch den Eindruck gewonnen, dass auf diesem Platz nur Wohnwagen stünden. Die Sorge war unbegründet. Der Platzwart reagierte freudig auf meinen vorgefertigten Spruch: »Ein Mann, ein Zelt, eine Nacht.«

»Kein Fahrzeug?«

»Nein, ich bin mit dem Fahrrad unterwegs.«

»Das finde ich gut«, stellte er fest und fixierte mich begeistert, als wäre er Ernst Jünger und hätte einen besonders seltenen Käfer für seine Sammlung entdeckt. Dann nach kurzer Pause: »Das macht einen Zehner. Warm duschen 10% dazu. Okay?«

Ich nickte, gab ihm das Geld und ließ mir eine Duschmarke aushändigen.

»Äh«, er wischte das Geld mit der rechten Hand in die Tischschublade. Mit der linken Hand wendete er nachdenklich, irgendwelche unsichtbaren Beweggründe hin und her. Dann fixierte er mich mit starrem, um Verständnis bittendem Blick.

»Warum soll ich wegen der paar Kröten eine Quittung schreiben?« fasste er endlich seine Absicht Zeit, Arbeit und Was-Weiß-Ich zu sparen, in eine Frage, die ich weder beantworten konnte noch wollte. Wir verzichteten also auf weitere Formalitäten und er beschrieb mir erleichtert den Weg zur Zeltwiese.

Den Zeltaufbau hatte ich zu Hause geübt. Nach knapp 20 Minuten war alles an seinem Platz.

Ich ging zum Eingangstor, trank ein Weizen im Freien hinter einem kleinen Imbiss mit Blick auf den See und wanderte auf dem Damm entlang zu einer einzeln stehenden Bank, von der aus ich zusah, wie der Himmel und das Wasser trüb-gelb mit rot entzündeten Rändern langsam in sich hinein dunkelten. Nebenbei besprach ich, weil es noch neu für mich war, etwas gehemmt, fast fremdelnd die erste Kassette auf meinem Mini-Radiorecorder und schaltete mein Handy ein. Ich hatte versprochen, eine Stunde am Tag erreichbar zu sein.

Vor mir auf dem Deich fuhren Radler vorbei. Ein Bernhardiner zog eine Frau im gelben Ostfriesennerz hinter sich her. Über dem See stritten sich ein paar Möwen. Zwei Jungs tasteten sich durch knisterndes, raschelndes Schilf ans Ufer. Sie trugen Angelruten in den Händen.

Mein Handy blieb stumm. Es war 21.30 Uhr. Ich schaltete es aus und ging zurück zum Zelt. Rechtschaffen müde kroch ich in den Schlafsack. Nebenan schnarchte jemand. Etwas weiter weg wurde leise geflüstert. Ein Mädchen kicherte. Ein leichter Wind kam auf, bog die Zeltwand nach innen.

Was hatte die Serviererin vom Imbiss gesagt, als sie nachsah, ob ich noch etwas trinken wolle, nachdem die beiden anderen Typen die dort gegessen hatten, abgezogen waren: »Der schöne Mann ist noch da.« Da nur noch ich da war, musste ich wohl auch gemeint sein. Morgen beim Rasieren würde ich nachsehen, wie sie darauf gekommen war. Hübsche, schlanke Beine unter einem kurzen Rock hatte sie gezeigt, als sie ging. Mit diesem angenehmen Bild vor Augen fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Plötzlich grelles Licht. Um mich herum war es taghell. Dann wieder stockfinster. Ein schmerzhaft berstendes Krachen. Sturm rüttelte am Zelt. Regen prasselte herab. Donner und Blitz tobten über mir. Ich versuchte auszumachen, ob irgendwelche Gegenstände die Zeltwand berührten. Ich wollte vermeiden, dass es hereinregnete. Die Stirnlampe musste her. Ich wühlte in der Lenkradtasche, fand nur eine Handvoll loser Teile. Das chinesische Modell hatte sich selbst zerlegt. In einem früheren Leben musste ich ein Chinese gewesen sein. Es gelang mir tatsächlich das Ding im Dunklen, nur mit Fingerspitzengefühl, zusammenzubauen. Sein Licht blendete im ersten Moment fast so heftig wie der Blitz. Der Wind wehte von rechts. Ich schob mein Gepäck etwas mehr in die Mitte. Auf meinem Schlafsack unter der Zeltspitze glänzte Feuchtigkeit. Ich legte meine Regenjacke darüber. Der Wind hatte den Regen durchs Moskitonetz getrieben. Die Abdeckung darüber war für dieses Wetter etwas zu sparsam geraten.

So, mehr konnte ich jetzt nicht tun. Ich legte mich zurück, lauschte dem Grollen des weiter ziehenden Gewitters, dazu dem verebbenden Geräusch, das meine Zeltnachbarn verursachten, und schlief wieder ein.

Zweiter Tag

Die Sonne schien freundlich und harmlos, als wäre nichts geschehen. Auf den Gräsern ringsum glitzerten Wassertropfen wie Brillanten. Das Zelt dampfte. Ich ging duschen.

Auf dem Kiesweg vor den Duschräumen standen zwei grauhaarige Männer in Trainingsanzügen. Im Vorbeigehen hörte ich, dass der Blitz in der Nacht die gesamte Elektrizitätsversorgung des Ortes lahmgelegt hatte.

Ich duschte, solange es meine Duschmarke erlaubte.

Inzwischen hatte die Sonne dem Gras seinen Schmuck geraubt. Das Zelt jedoch war immer noch nass. Ich holte meinen kleinen Kocher hervor und bereitete mir einen Becher Tee. Ringsum wurden Gegenstände aus den Zelten gezerrt und zum Trocknen ausgelegt. Ich bekam Hunger. Frühstück hatte ich keines dabei.

Der kleine Imbiss hatte schon geöffnet. Ich bestellte Rühreier mit Brot. Die mit den hübschen Beinen war nicht da. Eine Dicke mit zotteligen schwarzen Haaren und Sprachschwierigkeiten nahm meine Bestellung nur zögernd entgegen. Sie versuchte, mich zu Rührei mit Bratkartoffeln zu überreden. Ich aber bestand auf Brot á la carte. Endlich gab sie meinen Wunsch kopfschüttelnd an die Küche weiter und unterhielt sich dann mit einem Graubärtigen mit Halbglatze, der schwankend an der Theke Halt suchte und nach irgendwelchen Saufkumpanen fragte. Es war nicht auszumachen, ob er noch - oder schon wieder betrunken war. Er lud die Kellnerin zu einem Korn ein. Nachdem der getrunken war, bekam ich mein Essen. Es sah lecker aus und schmeckte auch so. Ich bestellte ein Kännchen Kaffee dazu, was diesmal ohne Einwände hingenommen wurde. Während ich aß, füllte sich der Raum vor der Theke mit Männern. Alles Freunde des Graubärtigen. Sie unterhielten sich flüsternd und schickten misstrauische Blicke zu mir herüber. Anscheinend war es hier nicht üblich morgens feste Nahrung zu sich zu nehmen. Hier wurde der Tag mit dem begonnen, mit dem die Nacht geendet hatte und das war flüssig und hochprozentig.

Während ich frühstückte, hatte die Sonne mein Zelt getrocknet. Ich packte, belud mein Stahlross und machte mich auf den Weg.

Als Etappenziel war Rödinghausen hinter dem Wiehengebirge am Ende des Nördlichen Teutoburger Waldes vorgesehen. Dort sollte es eine Jugendherberge geben. Den nächsten Campingplatz erwartete mein Routenplan erst nach ca. 186 km. Das war entschieden zu weit für einen Hobbyradler ohne Ehrgeiz.

Zunächst ging es parallel zum See nach Lemförde. Es wurde leicht diesig. Die Sonne brannte nicht mehr völlig unverschleiert herab. Von Lemförde aus musste ich nach Westen in Richtung Brokum, von dort weiter, fast bis Oppenwehe und dann vorwiegend nach Süden, über Oppenwehe nach Niedermehnen. Damit war ich den Stemweder Berg ausgewichen.

Es war ein angenehmes Fahren auf den sonntäglichen beinahe autofreien Landstraßen. Irgendwie fand ich den Weg nach Getmold und von da auf dem Radweg neben einer übermannshohen Hecke unter dem jetzt mit dunklen Wolken bedeckten Himmel nach Preussisch Oldendorf. Das Dorf machte einen sehr kompakten und aufgeräumten Eindruck auf mich. Möglicherweise lag das auch am Namen. Von da an ging`s bergauf bis Rödinghausen. Als ich nach mehreren Anläufen den Ortskern erreicht hatte, sah ich, dass es sich um einen sehr gepflegten Kurort mit einem eleganten Touristen-Zentrum handelte. Das Touristen-Zentrum hatte geschlossen. Also Mittagspause, nahm ich an. Das war auch ohne Bedeutung, denn es gab einen Wegweiser mit einem hübsch gemalten Hinweisschild zur Jugendherberge.

Die schmale Straße führte steil bergan. Ich musste schieben. Aus einem schwarzen Daimler stieg ein älteres, sonntäglich gekleidetes Paar. Ich wurde stirnrunzelnd gemustert. Ich hatte den Eindruck, der Mann im hellen, grauen Anzug wolle etwas zu mir sagen. Er ließ es dann aber nach kurzem Zögern, hakte seine Begleiterin unter und schob mit ihr davon. Die Wolken hatten sich wieder gelichtet. Die Sonne zeigte ihre Kraft. Ich schwitzte. 1,5 km können einem ganz schön lang werden.

Endlich stand ich vor der Jugendherberge. Ein relativ großer aufgeräumt wirkender Gebäudekomplex. Sogar die Geräusche hatte man weggeräumt. Es herrschte Totenstille. Niemand war zu sehen. Hinter dem Haupteingang gespenstisches Dunkel. Keine Klingel. Ich ging zum Nebeneingang. Nichts. Hinter einem Fenster lange Tische. Darauf Stühle mit den Lehnen nach unten. Kein Mensch ließ sich sehen. Nichts rührte sich.

Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz nach 15.00 Uhr. Ich wollte noch etwas warten. Vielleicht kam gleich jemand. Es musste doch einen Hausmeister geben. Im Stillen aber kam ich zu der Überzeugung, dass es wohl nichts werden würde mit dieser Übernachtungsmöglichkeit. Warum hatte ich Idiot mir bloß den Jugendherbergsausweis besorgt. Das hat man nun davon, wenn man auf andere Leute hört.

Ich musste umdenken. Eine einfache Lösung fiel mir ein. Im Touristen-Zentrum konnte man mir sicher ein bezahlbares Zimmer vermitteln. Ich stieg also aufs Rad und bremste mich die Straße hinunter.

Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude standen jetzt ein paar Wagen. Das stimmte mich fröhlich. Ich schloss mein Rad an einem Baum an und ging zum Eingang. Über einem Schalter stand Zimmervermittlung. Ich konnte es deutlich sehen. Also Tür aufstoßen und rein. Denkste. Die Tür blieb zu. Am Sonntag in der Vorsaison wurden hier keine Gäste empfangen.

Die wollten mich einfach nicht. Ein Blick auf meinen Routenplan sagte mir, dass mein heimischer Computer als nächsten größeren Ort Bünde vorgesehen hatte. Der Fernradweg R 47 sollte dorthin führen. Ich fragte eine Gruppe von etwa Dreißigjährigen, die gerade gutgelaunt aus einer Gaststätte heraus strömten. Einer von ihnen meinte: »Das muss ja wohl der Wellnessweg sein.«

Das glaubte ich nicht. Dieser Wellnessweg, was immer das sein sollte, führte garantiert nicht nach Bünde. Also zurück zur Landstraße. Bünde lag südöstlich von Rödinghausen. Das half mir weiter.

Kurz vor Bünde gab es dann wieder ein Problem: Ich musste unter der Autobahn hindurch. Aber wo? Erst versuchte ich es auf gut Glück, hatte jedoch bald das untrügliche Gefühl, nachdem ich zwei Unterführungen von Landstraßen durchquert hatte und es ständig bergauf ging, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben. Also umdrehen, zurück und die Karte zurate ziehen. Auf einem ungepflasterten Platz neben der Straße musste ich feststellen, dass das auch nicht half, denn Bünde war noch auf meiner Karte eingezeichnet, die Autobahn jedoch nicht. So, und wo ist jetzt die Anschlusskarte? Als ich noch in meiner Lenkradtasche wühlte, knirschte neben mir der Kies. Ein profihaft gestylter Radler brachte schlitternd sein Rennrad zum Stehen.

»Kann ich helfen?«

Und ob er das konnte.

Wo ich denn gerade herkäme?

»Vom Dümmer.«

»Da war ich gestern auch. Allerdings in Rot.« Er zeigte auf meine blaue Ausrüstung.

»Wir waren in der Gegend von Osnabrück und hatten das gleiche Problem. Die Routen sind schlecht oder gar nicht ausgeschildert

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.09.2013
ISBN: 978-3-7309-4814-9

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