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Schwarze Engel in der Nacht (Gedicht by Nadia K.)




Engelskrieg

Schwarz wie Nacht
Im Dunkeln lauert
versteckt der Engel
der mich retten will
er ist Verderben
er ist Liebe

Kann ich geben
Kann ich nehmen
kann ich haben was ich will
Doch wenn
Gut und Böse
sich im Kampf
gegenüberstehen
Schwarz und Weiss
Weiss und Schwarz
ein Grau ergeb'n
steh ich hier

Zwischen Zweien
die sich bekämpfen
bis aufs Blut
Steh ich hier an den Fronten
Kann nichts tun
kann mich nicht entscheiden
Es geht um Tod
um Leben
Ich kann mich nicht entscheiden
Kann nicht stehen, gehen, laufen, rennen
Kann nicht existieren


Prolog: Schwarz & Weiss




Ilay
>>Es herrschte eine Stille. Sie war tief und sie war rein, denn sie war nicht leise. Sie knisterte in Form von Feuer. Sie flüsterte in Form von Gedanken. Sie vibrierte in Form von Energie.Und sie trauerte wegen Liebe.<<



Die Wärme des Kaminfeuers kombiniert mit der stechenden Kälte in meiner Brust war eine unangenehme Mischung.


Kapitel 1: Erschreckend




Zarah
Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Sog ihre Energie in mich auf. Caleb zerstörte den schönen Moment, in dem er anfing, den Kopf zu schütteln und unwillig von einem Huf auf das andere zu treten. Langsam öffnete ich die Augen und setzte mich wieder gerade hin. Augenblicklich wurde er ruhiger. Konzentriert schritt ich mit ihm auf den Zirkel, um ihn aufzuwärmen. Unerbittlich schien die heisse Sommersonne auf uns herunter, während wir die verschiedenen Dressuraufgaben übten. Als wir schliesslich beide schwitzten wie die Schweine, liess ich ihn in den Schritt gehen. Ich stieg ab, nahm den schweren Dressurmasssattel von seinem Rücken und verknotete den Zaum so, dass Caleb nicht in die Zügel stehen konnte. Schnell nahm ich den Sattel von den Banden des Aussenvierecks und brachte ihn zurück in die Sattelkammer. Als ich wieder zum Viereck kam, wälzte sich Caleb, wie ich vermutet hatte, im Sand. Ich griff nach der weichen Bürste, die an einem der Pfosten hing und lief zu Caleb. Dieser hievte sich gerade wieder auf alle Viere und trottete auf mich zu. Ich streichelte seine weiche Nase und begann den Sand aus seinem Fell zu putzen. Behutsam knotete ich die Zügel auf und führte ihn zu einem grossen Stein, wo ich aufsteigen konnte. Calebs weisses Fell glänzte in der Sonne. Wir ritten zum See. Das Wasser glitzerte richtig. Caleb drängte in das Wasser und ich liess ihm seinen Willen, denn es war wirklich warm genug zum Schwimmen. Er tapste ins Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen vorwärts.


Caleb
Ich konnte das Wasser schon von Weitem sehen. Meine Güte, es war so heiss!
Zarah hat mit unerbittlich durch die verschiedenen Dressuraufgaben gedrängt und das immer und immer wieder. Ich hatte solchen Durst. Aufgeregt drängte ich zum Wasser und Zarah liess mich gewähren. Fast wäre ich wie ein kleines Fohlen ins Wasser geprescht, doch ich konnte mich beherrschen. Ich schwamm ein paar Meter weit und senkte meinen Kopf ins wohltuende Nass. Ich trank. Endlich Wasser! Aber plötzlich wurde Zarah unruhig. Was tat sie da? Sie schrie! Warum schrie sie denn, hatte sie Schmerzen? Ich drehte den Kopf zu ihr nach hinten. Da waren ihre vertrauten dunkelblauen Augen. Ihre Augen waren glasig vom Schmerz. Aber was schmerzte sie so? Verstört musterte ich ihr Gesicht. Es schien so, als ob Linien durch ihre Haut brachen. Die Linien waren verschnörkelt und wunderschön. Sie wanden sich entlang ihres Haaransatzes bis auf die Höhe der Ohren. Um ihre Augen zog sich die Linie in Mustern. Und die Muster färbten sich in den schönsten Farben. Unglaublich schön.


Zarah
Es tat so weh. Mein Gesicht fühlte sich an, als ob es mit brennenden Nadeln zerstochen würde. Ich sah nichts, hörte nichts, roch nichts und spürte nur noch den Schmerz. Doch dann hörte er plötzlich wieder auf. Langsam kehrten meine Sinne wieder zurück. So erleichtert war ich noch nie gewesen. Aber zu früh gefreut. Jemand schnitt mir in den Rücken. Nun, es fühlte sich zumindest so an. Ein lauter, hoher Schrei entfuhr meiner Kehle, ich hatte keine Kraft, ihn zurückzuhalten. Es fühlte sich an wie zwei tiefe, senkrechte Schnitte die parallel zwischen meinen Schulterblättern verliefen. Doch komischerweise erlosch auch dieser Schmerz wie eine Kerze, die man ausgeblasen hatte. Und diesmal konnte ich schneller wieder hören, sehen, schmecken und fühlen, war aber wie gerädert. So schrecklich müde. Und mir war kalt. Wo war denn die Sonne? Ich sah nach oben. Da waren nur weisse Federn. Äusserst faszinierende Federn. Sie schillerten in allen Farben. Es gab bloss ein Wort für so etwas: Zauberhaft. Vorsichtig berührte ich die Federn und zog sogar zaghaft an einer. Da fühlte ich ein Ziehen, als ob einer an meinen goldenen Locken gezogen hätte.Überrascht bemerkte ich, dass es meine Federn sein könnten. Darum wollte ich nun versuchen, sie zu bewegen. Tatsächlich gelang es mir. Ich übte ein wenig, sie zu koordinieren, bis ich es geschafft hatte, sie an meinem Rücken zusammenzufalten. Wie ein Schmetterling, schoss es mir durch den Kopf. Da wurde mir klar, dass diese Federn Flügel sein mussten.
Meine Flügel.


Ilay
Alec hatte es tatsächlich geschafft. Er hatte sie gefunden.Hoffentlich hat sie sich noch nicht gewandelt. Wäre schade, wenn sie die Schmerzen allein hatte ausstehen müssen. Oder wenn sie inmitten des lieben Familienkreises plötzlich mit mindestens je 2 Meter langen Flügeln dagesessen hätte. Alec meinte, sie würde in etwa 2-3 Tagen hier sein. Ich hörte schlurfende Schritte hinter meinem Rücken. Caspian.
,,Ist was, Caspian?“
,,Lisha möchte dich sprechen.“
,,Wo ist sie?“
,,In ihrem Büro.“
,,Gut.“ Seufzend stemmte ich mich aus dem bequemen Sessel. Während ich mich auf den Weg zu Lishas Arbeitszimmer machte, überlegte ich, was sie von mir wollte. Lisha und ich verstanden uns zwar einigermassen gut, aber sie war keine gute Freundin. Und in der Rangordnung war sie ziemlich weit unter mir. Ihre Aufgabe war ähnlich der einer Sekretärin. Ihr Wohnbereich befand sich im Ostflügel des Anwesens und im gleichen Gang war auch ihr Büro stationiert.Ich klopfte kurz an die Tür bevor ich eintrat. Lisha tippte gerade etwas in ihren Laptop. Ohne aufzublicken bat sie mich, Platz zu nehmen. Lisha tippte die letzten Buchstaben ein und hob endlich ihren Blick.
,,Lisha, du wolltest mich sprechen.“
,, Ja. Es ist wegen der Neuen. Du musst sie holen, weil Alec dringende Geschäfte zu erledigen hat.“
,,Und wo ist der Haken?“
,,Naja.. Alec wird sicher ein halbes Jahr weg sein. Ich glaube, er befindet sich derzeit in Afrika..oder so. Nun, es ist so...du wirst ihr dann alles zeigen müssen, sie in unsere Gesellschaft einführen, ihr dabei helfen mit ihren Kräften klarzukommen und....“
,,Ich soll ihr Mentor sein?!“
,, N..Ja.“ Wir schwiegen einen Moment.
,,Und wo finde ich sie?“ Es war sehr schwierig, meiner Stimme trotz meines Entsetzens einen glatten, kühlen Ton zu geben.
,,Alec schickt dir die Adresse. Per E-Mail“ ,fügte sie hinzu.
,,Gut.“,sagte ich wieder, auch wenn ich es dieses Mal nicht so meinte. Hastig stand ich auf. Na toll.


Caleb
Oh. Das war alles, was mir dazu einfiel. Das Bild, das sie abgab, sah so schrecklich schön aus. Es brannte sich tief in meine Netzhaut ein und auch später rief ich es mir immer wieder ins Gedächtnis. Noch während sie vor Schmerz schrie, entfalteten sich ihre Flügel. Unheimlich grosse Flügel. Ihre Augen waren weit aufgerissen und das hübsche Blau schimmerte. Ihr liefen glitzernde Tränen über die Wangen und mit den blonden Locken sah sie insgesamt aus wie ein verwundeter Engel. Ich glaube sogar fast, dass sie ein Engel ist, denn welches Wesen sonst hat solche Flügel und Menschengestalt? Dann kam sie wieder zu sich. Als sie sich ein wenig vom Schrecken des Schmerzes erholt hatte, bestaunte sie ihre weissen Schwingen. Ich glaube, sie war so erschöpft von der Tortur, dass sie nicht mal kapierte, dass es ihre Flügel waren. Sie tat mir so leid. Zarah zog so fest an einer der Federn, bis sie herausfiel. Das war der Moment, als sie merkte das es ihre Flügel waren. Anscheinend noch immer benommen probierte sie ihre Flügel aus, klappte sie auf und zu. Sie sah aus wie ein Kind, das ein neues Spielzeug ausprobiert. Ihre Augen waren von der Anstrengung matt und plötzlich schwankte sie. Das empfand ich als Aufforderung, zum Ufer zu schwimmen. Ich stapfte nachhause und spürte, wie Zarah immer mehr vornüber fiel und vermutete, dass sie eingeschlafen war. Als ich nach ein paar Minuten vor meiner Box stand, rührte sie sich noch immer nicht. Um sie zu wecken, knabberte ich an ihrem Bein. Und tatsächlich, ihre Lider begannen zu flattern und seufzend sah sie sich um. Noch halb im Traum stieg sie ab, nahm mir das Zaumzeug ab und öffnete die Boxentür, damit ich eintreten konnte. Sie brachte mir Hafer, Heu und Wasser. Dann hockte sie sich auf einen Schemel und schrieb eine SMS. Seufzend erhob sie sich und holte einen Strohballen und legte ihn zu mir in die Box. Müde liess sie sich auf ihn fallen und schlief noch im selben Moment ein, als ihr Kopf die weichen Halme berührte.

Zarah
Ich wachte erst wieder auf, als die helle Morgensonne durch das kleine Boxenfenster schien und Caleb mich wie wild anstupste. Als Erstes sah ich zwei grosse, sanfte Pferdeaugen. Langsam kam die Erinnerung in mir hoch. Was für ein komischer Traum. In dem Traum hatte ich Flügel gehabt. Hm, es gibt schon Sachen. Ganz natürlich faltete ich meine Schwingen aus und hüllte mich in sie ein, um mich wieder schlafen zu legen. Gerade rechtzeitig konnte ich einen Schrei verhindern. Stattdessen entfuhr mir ein heiseres Kieksen. Es war kein Traum gewesen. Mit einem Schlag konnte ich mich wieder an die Schmerzen erinnern. Ich sollte wohl nachhause gehen. Zum Glück waren Allie und Max, meine Pflegeeltern, vielbeschäftigte Menschen. Sie arbeiteten jeden Tag bis um etwa 18 Uhr und waren über Mittag bei Freunden oder assen in Imbissbuden. Es war, wie mit einem Blick auf das Handydisplay feststellte, 7Uhr morgens, noch etwas zu früh, um sich auf den Weg zu machen.
Um die Zeit totzuschlagen, die mir bis 8 Uhr blieb, holte ich wie gestern Abend Wasser, Heu und ein wenig Hafer. Ich stellte alles in Calebs Box und machte mich auf die Suche nach meiner Putzkiste. Ich fand sie in der Sattelkammer und Calebs schmutzigem Vielseitigkeitsattel. Den hätte ich auch schon längst putzen sollen, dachte ich genervt. Schon von der Tür aus konnte ich Caleb schmatzen hören. Ich stellte die Putzkiste vor seiner Box ab und klappte sie schwungvoll auf. Ungläubig stellte ich fest, dass ich den Deckel zu schwungvoll aufgeklappt hatte. Der Deckel flog scheppernd durch die ganze Stallgasse. Ich, genauso entsetzt wie mein sensibler Hengst, drückte mich an die nächstgelegene Wand. Doch schon eine Zehntelsekunde später hatte ich mich wieder gefangen. Das war so verrückt! Flügel, übertriebene Kraft, Geschwindigkeit. Was soll ich denn tun? Ich fühlte mich so allein. Um mich zu beruhigen, säuberte ich Caleb ausgiebig. Danach war ich tatsächlich etwas entspannter, was die komischen Geschehnisse nicht weniger komisch machte. Erleichtert stellte ich fest, dass ich jetzt auch gefahrlos nach hause gehen konnte.
Ich gab meinem Süssen einen Abschiedskuss zwischen die Nüstern und versprach ihm, sobald wie möglich wieder aufzutauchen. Schnell machte ich mich auf den Weg nachhause. Dass ich rannte, wurde mir erst vor dem Gartentor bewusst.Ich konnte mich nicht bremsen, wollte es auch nicht. Das Einzige, was ich jetzt noch konnte, war nach hause gehen. Ich fühlte die Tränen vor der Haustür und die Erschöpfung auf der Treppe. Wie automatisch stürmte ich in mein Zimmer und stürzte mich auf mein Bett.


Kapitel 2: Ungebetener Gast




Zarah
Ich heulte mir die Augen aus und nach einer Ewigkeit, so kam es mir vor, stand ich mit verquollenen Augen und samt meinen Kleidern unter der heissen Dusche. Danach ging es mir überhaupt nicht besser. Ich zog die nassen Kleider aus, warf sie achtlos auf den Boden und zog den flauschigen Bademantel an. In meine Zimmer holte ich meine bequemsten Kleider aus dem Schrank und zog sie immer noch leise schluchzend an. Was war mit mir los? Was ging da vor? Ich machte den Fehler, mich im Spiegel zu betrachten. Das schimmernde Haar, die Flügel, die blauen Augen und, was ich bis dahin noch nicht gesehen hatte, die verschnörkelten Muster und Runen. Danke, das gab mir den Rest. Es sah so unwirklich aus. Es gab keine ENGEL. Und wenn doch, dann sehen sie ganz bestimmt nicht so aus wie ich! Geschockt setzte ich mich wieder auf mein Bett. Denk vernünftig, Summers! Was wenn der Postbote kommt?Mach gefälligst etwas! fast schon panisch kramte ich nach Make-up und Puder. Von unten hörte ich ein Klopfen. Gerade noch rechtzeitig kam mir in den Sinn, die Flügel zu falten. Ich spähte durch das Glas im oberen Teil der schweren Holztür. Langsam öffnete ich die Türe einen Spalt breit. Draussen stand ein junger Mann. Schwarze Haare, helle Augen. Was will der denn? ,,Ja?“
,,Hallo, ich bin Ilay. Bist du Zarah Summers?“ Überrascht öffnete ich die Tür ein wenig mehr. ,,Ähm..Jaa?“
,,Darf ich reinkommen?“
,,Wieso?“ ,fragte ich gereizt.
,,Weil es wichtig ist. Ich muss mit dir sprechen. Ich schwöre, dass ich kein Perversling bin, der dir schaden will.“ ,rechtfertigte er sich mit einem leichten Grinsen und hob die Hände. Mir fiel auf, dass er umwerfend aussah. Also, wenn ich nicht ein kleines ''Flügelproblem'' hätte, würde ich ihn ohne zu Zögern bereitwillig einlassen. Mir fiel auf, als ich ihn versonnen musterte, dass etwas um seinen Kopf herum waberte. Oranges Licht. Lebensfreude. Danke, liebes Gehirn, dass du mir unheimliche Botschaften schickst.
,,Zarah? Kann ich hereinkommen?“
,,Was? Ähm, ich meine: Ja.“ Ich zog die Tür nun ganz auf. Er trat ein.
,,Können wir uns irgendwo setzen?“
,,Ja, schon. In der Küche zum Beispiel.“ Sie setzen sich an den zerkratzten Holztisch.
,,Kommen wir gleich zu Kern der Sache: Zarah, du bist ein Engel.“
,,Danke, das habe ich auch schon festgestellt.
Schau dir das an!“ Ironisch und zugleich theatralisch spreizte ich meine Schwingen. Es machte mich wütend, dass ein unbekannter Fremder einfach hier rein platzte und mir Sachen sagte, die erstens unmöglich waren und zweitens ich schon wusste, beziehungsweise unter Schmerzen hatte erfahren müssen. ,,Dankeschön, das du mich schon so früh benachrichtigst.“
,,Oh.“ Als zusätzliche Antwort breitete auch er seine Flügel aus. ,,Wie du siehst, bist nicht die Einzige.“
,,Deine sind schwarz. Wieso?“
,,Die Flügelfarbe folgt zwei verschiedenen Faktoren. Zum einen, welcher Rasse von Engeln du angehörst und zum anderen, wie viel Engelsblut du tatsächlich in dir hast.“
,,Was meinst du? Welcher Rasse gehöre ich an? Wie viel Engelsblut habe ich?“ ,fragte ich giftig.
,,Rein geschätzt würde ich sagen, sicher über 80%, vielleicht 90%. Von der Rasse her, wahrscheinlich...wahrscheinlich Seraphim.“
Verblüfft starrte ich ihn an. Ich hätte nicht erwartet, dass er mir so ehrlich antworten würde. Oder dass er überhaupt etwas erwidern würde.
,,Und du?“ Ich fasste mich schnell wieder. Im Moment waren Anzeichen von Schwäche überhaupt nicht förderlich.
,,Ich bin ein Racheengel.“ Er lächelte schelmisch. Das macht mir dann doch ein wenig Angst. Was meint er damit? Ein Racheengel. Grrrr.
,,Was willst du dann hier?“
,,Ah, da kommen wir endlich zur Sache. Du musst mitkommen. Keine Diskussion. Geh in dein Zimmer und pack' möglichst wenig, aber alles was du vermissen würdest, ein. Und zieh etwas Bequemes an, wir haben eine lange Reise vor uns. Na los, mach schon.“
Ich war total perplex. Dann kam mir plötzlich Caleb in den Sinn. ,,Mein Pferd.“
,,Wie bitte?“ Er schien ganz und gar in Gedanken versunken, aber anscheinend hatte ich ihn mit meinen einfachen zwei Wörtern aus seiner Traumwelt gerissen.
,,Caleb, mein Pferd. Vielleicht komme ich freiwillig mit, aber bloss, wenn mein Pferd mitdarf.“
,, 'kay. Ich schicke einen Pferdetransporter.“ Er gähnte und hob scheinbar gelangweilt die Zeitung auf und las darin. Anscheinend war das Thema damit abgeschlossen. Beleidigt ging ich nach oben. Ich warf mich auf mein Bett. Ich möchte den Moment geniessen, ihn unsterblich machen und niemals dieses Gefühl vergessen. Den eine Stimme in meinen Kopf sagt mir eindringlich immer wieder, dass es für lange Zeit dass letzte Mal sein wird, dass ich in diesem Zimmer sein werde.


Nach gefühlten Stunden stemmte ich mich seufzend aus dem bequemen Bett. Ich erinnerte mich langsam an den Auftrag von Ilay. Meine berechnende Gehirnhälfte übernahm jetzt das Ruder, erledigte alles mit grösster Präzision, während meine emotionale Hälfte in Panik ausbrach und sich anschliessend in Selbstmitleid suhlte. Meine emotionale Seite machte sich bloss mit gelegentlichen Aufschluchzern und ein paar wenigen Tränen bemerkbar. Doch schlussendlich zeige sich, dass ich wohl doch nicht so gefühlsduselig war wie ich manchmal glaubte, denn ich konnte eine voll gepackten riesigen Koffer vorweisen und eine geschminkte und frisch angezogene Zarah.
Aber als ich den riesigen Koffer anheben wollte, verliess mich jeder mühsam erkämpfte Mut wieder. Frustriert stampfte ich mich dem Fuss auf. Wie gerufen tauchte plötzlich Ilay vor mir auf.
,,Brauchst du Hilfe?“ Ich wollte schon etwas gehässiges erwidern, aber er kam mir zuvor und trug scheinbar mühelos den Koffer die lange Treppe hinunter. Ich folgte ihm. Er bewegte sich sehr elegant, auch mit dem Koffer. Ich stand mitten auf der Treppe, als mir mein iPod, mein Handy und mein Laptop in den Sinn kamen. Ich huschte schnell zurück in mein Zimmer und packte bei der Gelegenheit auch gleich noch einen Zeichenblock und mein Bleistiftetui. Möglichst leise schlich ich mich und die Waschküche und nahm einen kleinen Rucksack vom Nagel in der Wand. Ich lies meine Sachen hineinfallen und ging ,diesmal etwas unvorsichtiger, zur Küche, langte in die Obstschüssel und liess zwei Äpfel und eine Birne in den Rucksack fallen. In eine Küchenschublade fand ich meine Lieblingskekse, die mit Orangenmarmelade und Schokolade, und füllte eine Wasserflasche mit Mineralwasser. Auch diese beiden Errungenschaften fanden im Rucksack Platz.
,,Was machst du da?“
Ich kreischte so laut, dass mindestens das ganze Land in Angst und Schrecken unter Stühle und Tische verschwunden war und das in Erwartung, von einem zähnefletschenden Monster gefressen zu werden.
,,Woah, ich wollte dich nicht fressen oder so. Reg dich ab.“
Er lächelte sein Ist-wohl-ein-bisschen-zu-viel-für-dich-Kleines-Lächeln, das ich ihm schon beim ersten Mal am liebsten vom Gesicht gekratzt hätte. Wut kochte in mir hoch. Ich verspürte den Drang, in anzufallen und ihn so fest zu beissen, dass es blutete. Ich hielt mich zurück und knirschte stattdessen lautstark mit den Zähnen. ,,Du hast dich angeschlichen. Tu's am besten nie wieder.“
,,Ich hab mich nicht angeschlichen.“
,,Is' ja auch egal“, murmelte ich. Ohne irgendetwas darauf zu erwidern - ich war mir sicher, dass er es gehört hatte - verschwand er wieder. Ich riss mich zusammen und ging ihm nach. Ich fand ihn nicht, also band ich meine Haare zu einem Zopf zusammen,
zog meine Lieblingsjeansjacke und die abgetragenen Lederhightops vom letzten Jahr an. Wo war der Kerl?
,,Ilay? Wo bist du? Können wir gehen?“
Hinter mir war was. Langsam drehte ich mich um. Helle blaugraue Augen. Ilay. ,,Wie?“ ,fragte ich mich zusammengekniffenen Augen.
,, Wirst du auch noch können...Gehen wir?“
,, Mhmmam äh...“ Mehr brachte ich nicht zustande. Ich wusste nicht, ob ich mit einem relativ unbekannten Fremden - auch wenn es sich nicht wirklich so anfühlte, musste ich mir eingestehen -
irgendwohin gehen wollte, vor allem, wenn der Fremde sich anschleichen konnte wie eine Raubkatze auf der Jagd. Aber...was hatte ich denn für eine Wahl? Hierbleiben konnte ich nicht, vor allem nicht mit den Flügeln. Ausserdem hatte Ilay mit dem ''wirst du auch noch können'' neugierig gemacht. Und Caleb kam mit. Viele Freunde hatte ich zwar, aber seien wir ehrlich, keinen Einzigen der mich wirklich mag oder den ich schlimm vermissen würde. Ich hatte nichts zu verlieren.
,,Welche Klasse fliegen wir?“
,,Privatjet.“
,,Du hast einen Privatjet?!“ Er hat sicher eine Freundin. Ich meine Hallo?!, er hat einen Privatjet!!
,,Ist ziemlich unbequem in einen normalen Flugzeug, eh. Ausserdem kommt man viel rum. Und man muss sich nicht wegen der Flügel achten. Ist halt praktisch.“
,,Wer fliegt?“
,,Ich und der Autopilot.“
Ilay hatte einen schwarzen Geländewagen vor der Haustür stehen. Und er war vielleicht ein Engel, aber er fuhr wie der Teufel. Mehr als einmal hatte ich Angst, dass das Auto die Kurve nicht kriegen würde und wir beide bei einem Crash in einen Baum ums Leben kämen. Das war zum Glück nicht der Fall und wir kamen heil an einem kleinen Privatflugplatz an. Darauf stand ein Jet. So einen, bei dem man sich vorstellt, dass im nächsten Moment ein Ölscheich aus Arabien aussteigt. Auch dass Innenleben liess nichts zu wünschen übrig. Ledersitze, diese kleinen Fernsehmonitoren, Minibar und ein kleiner Kühlschrank.
,,Hinter dem Vorhang da ist ein kleines Schlafzimmer.“
,,Danke. Wohin fliegen wir eigentlich?“ Diese Frage kam mir reichlich bedenklich vor, immerhin flog ich mit einem Menschen (oder Engel, so wie man es eben sieht), den ich seit heute Vormittag kannte an einen unbekannten Ort.
,,Nach Ancona, das ist in Italien.“
,, Aha. Weck mich, wenn wir da sind.“

Kapitel 2
Neuanfänge
,,Zarah? Wach auf, wir sind da.''
,,Hast du was zu essen?''
,,Was?!''
,,Ich hab Hunger! ''
,,Sorry, ich hab nichts mitgenommen. Obwohl ich jetzt auch Hunger habe...''
,,Gibst du mir mal den Rucksack da hinten?'' Ich hatte den Rucksack in eine Ecke geschmissen. Hoffentlich war den Keksen nichts passiert!
,,Hier!''
Ich fing den Rucksack auf. Hungrig langte ich nach den Keksen. Ilay hockte sich neben mich auf das Bett.
,,Kann ich auch einen haben? Bitte!!''
Er hatte einen Hundeblick aufgesetzt, der einem wirklich das Herz erweichte. Wie süss!
,,Da. Wohin gehen wir jetzt eigentlich?'', schon wieder diese bedenkliche Frage.
,,In unser Haus. Es steht unten am Strand.''
,,Uh! Am Strand! Ist es eine Villa?'' Am Strand! Wie cool ist das denn?!
,,Lass dich überraschen!''

Wir assen die Keksschachtel leer. Ich hatte mich Italien-tauglich umgezogen und trug jetzt ein flatterndes knielanges Sommerkleid mit weissen Spitzenansätzen im Dekolleté und Römersandalen. Ilay hatte mir eine Gucci-Sonnenbrille in die Hand gedrückt. Ich glaube, langsam freute ich mich sogar ein wenig. Was hatte ich schon zu verlieren? Optimistisch stieg ich aus dem Flugzeug.
,,Willkommen in Italien. Stellen sie ihre Uhren nun bitte auf 11 Uhr 14, Ortszeit. Aussentemperatur ist 29° Celsius. Wir wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt und beehren sie uns bald wieder!'' Ilay stand am Ende der Passagiertreppe und hielt mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und schaute mich um. Wir waren in einer Garage, so einer grossen, in der auch kleinere Flugzeuge Platz hatten. Gleich vor mir standen mehrere Autos. Ein rotes Cabrio, ein schwarzer und ein gelber Sportwagen und ein Geländewagen in dunkelgrün. Als ich am Ende der Treppe stand, verlud Ilay gerade meinen Monsterkoffer in das rote Cabrio. Und er sah extrem sexy dabei aus. Ich spürte das mir leicht warm wurde, obwohl in der Garage um einiges kälter war als im Flugzeug. Oh oh, Zarah pass auf, das könnte gefährlich werden!

,,Wie lang gehts noch, bis wir in Ancona sind?''
,,Etwa eine halbe Stunde."
,,Oh. das ist ja nicht mehr so weit.'' Ich war entsprechend enttäuscht, so hatte ich deutlich weniger Zeit, ihn nach ... diesen ... Dingen ... auszufragen. Wenn man mal etwas längere Reisezeit möchte, dann kriegt man natürlich eine halbe Stunde. Das Leben ist unfair. Aber man macht das Beste draus.
,,Darf ich dich etwas fragen?" , das hatte ich eindeutig nicht alleine gefragt.
,,Du zuerst." Wieder beide gleichzeitig. So ein Klischee! Betretenes Schweigen. Ich war die Erste, die es brach.
,,Was bin ich?'' Ich war so verzweifelt, wie meine Stimme klang. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals jemandem eine solche Frage stellen muss. Aber ich hatte keine andere Wahl.
,,Du bist, wie dir schon erklärt habe, ein Engel aus dem hause der Seraphim. Die Was-Frage ist also schon geklärt."
,,Hast du auch solche..Tattoos?"
,,Ja. Die hat jeder Engel. Ich hab sie -wie du- nur überschminkt, denn im Gegensatz zu unseren Flügeln können die Menschen die Zeichnungen der Engel sehen."
,, Ein Mann, der sich schminkt.", murmelte ich amüsiert.
,,Ein Mann, der sich schminken MUSS.'' korrigierte er. Fragend schaute er mich an. ,,Zeigst du mir deine?'' Ich zögerte. ,,Jetzt?''
,,Du musst nicht, wenn du nicht willst. Male können etwas sehr Persönliches sein.''
,,Nein, ist schon in Ordnung.'' Ich wischte mit dem Handrücken ein paarmal über meine Stirn. Ehrfürchtig wandte er denn Blick zu mir. Sein Blick war beinahe andächtig.
,,Deine sind die Schönsten, die ich je gesehen habe. Meine sind direkt langweilig gegen deine."
,,Danke“, sagte ich verlegen. ,,Wie sehen denn deine aus?"
,,Meine sind schwarz. Ich zeig sie dir, wenn wir daheim sind." Das Wort "daheim" löste eine solch grosse Sehnsucht in mir aus, dass ich das Gefühl hatte, daran zu zerbrechen, zu zerbersten.


Impressum

Texte: Copyright by Moii.Die Rechte aller Gedichte und aller Ideen liegen ausschlieslich bei meinem *BRAiiN*
Tag der Veröffentlichung: 25.06.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme das Buch *EUCH* und der Musik. Vielleicht noch meiner Katze....

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