"Eure Hoheit?"
Prinzessin Seraphim wandte ihren Blick ab von dem großen Fenster, das zum Schlossgarten hinausführte.
"Ja?", antwortete sie und hoffte dabei zu verbergen, wie ertappt sie sich fühlte.
Mariella, die ehemalige Amme der Prinzessin und nun Hofdame, versuchte sich an einem Lächeln.
"Euer Koch lässt fragen, wann ihr heute zu Abendessen gedenkt?"
"Oh", erwiderte Seraphim und verbarg ihre Enttäuschung. Sie hatte gehofft, dass ihr Bruder ihr erlauben würde von Magister Josephus unterrichtet zu werden.
"Richte ihm aus zur übliche Stunde."
"Natürlich Mylady."
Mit einem tiefen Hofknicks verschwand die Dame, deren Haar mittlerweile mehr grau als blond war aus dem Wohnzimmer.
Sobald sich die Tür hinter einer ihrer engsten Vertrauten innerhalb der Schlossmauern schlossen wandte sie sich wieder dem Fenster zu.
Draußen, im prächtigen, weitläufigen Palastgarten, flanierten die früh angereisten Gäste durch den Schnee, bestaunten die Skulpturen und Springbrunnen, die Dank der heißen Quellen Eritraeas das ganze Jahr in voller Pracht sprudeln konnten.
Ihr eigener Springbrunnen war bei Wintereinbruch versiegt und der wenige Schnee, der durch die Dachvorsprünge in ihren Garten gelangte, reichte gerade einmal aus um die Büsche wie ein Tuch zu überdecken.
Seufzend wandte sie sich ihrem Buch zu das, hätte man sie damit erwischt, ihr sofort entrissen worden wäre.
Ging es nach ihrem Vormund, ihrem zweitältesten Bruder Alexandre, so sollte sie sich den lieben langen tag mit Musizieren, Sticken, Stricken, Klöppeln, Häkeln beschäftigen. Vielleicht noch ein Gedichtband bekannter Eritraeischer Dichter, aber niemals ein Werk über Wirtschaftsprinzipien.
Ihre eigene, von ihrem Bruder zusammengestellte, Bibliothek umfasste mehr als 500 Bände, die sich alle mit den Schönen Künsten und den Tugenden einer Frau befassten. Kein einziges davon gewährte ihr einen Blick in das wahre Leben hinter den Mauern, weswegen sie sich vor mehr als 7 Jahren mit ihrer Kammerzofe Rena verschworen, die ihr von Zeit zu Zeit Bücher aus der großen Schlossbibliothek schmuggelte, um den Verstand der Prinzessin nicht völlig verstauben zu lassen.
Den Einband belangloser Bücher um die entliehenen gelegt war es Mariella bisher noch nie aufgefallen, dass Sie sich mit etwas anderem als der Kunst des Fächerns beschäftigte. Eben jenes Buch war für sie von absolut keinem Nutzen gewesen, da es ihr verboten war mit jemand anderem als ihrer Hofdame und ihrer Kammerzofe zu sprechen.
Seit 21 Jahren war sie im ersten Stock des Westflügels eingeschlossen, wenn man die Besuche in ihrem Garten einmal absah.
Sämtliche Fenster des Flügels, die einmal zum Hof geführt hatten, waren mit Brettern verschlossen worden, sodass niemand sie sehen konnte. Und sie niemand anderen. Lediglich das Fenster hinaus zum Palastgarten gab ihr die Möglichkeit andere Menschen zu beobachten. Rena hatte ihr mitgeteilt, dass man von Außen nicht in ihr Wohnzimmer blicken konnte, selbst wenn man es wollte. Eine komplizierte Glasskonstruktion machte es unmöglich und so war sie auf das Beobachten der Menschen verdammt.
Selbst ihr Vormund kommunizierte nur per Brief mit ihr und nur dank Rena erfuhr sie, was außerhalb der Schlossmauern vor sich ging.
Etwa, dass ein Teil der Bevölkerung nicht glücklich war.
Ihr ältester Bruder, Nikolai, war zwar ein guter und weiser König, ihre anderen Brüder jedoch waren nicht wie er und verstanden sich weder in Kriegsführung, noch in Wirtschaftsfragen.
Prinzessin Seraphim seufzte.
Gerade nun, da das Winterfest bevorstand, wünschte sie sich für die Bewohner Eritreas nichts mehr als ein paar Tage des Glücks und der Zufriedenheit. Ihr eigenes hatte sie bereits vor Jahren aufgegeben.
Tief in den Wirtschaftstheorien eines verstorbenen, angesehenen Magisters der Universität verloren bemerkte sie Rena erst, als diese sich räusperte.
"Hoheit?", fragte sie und deutete auf die Uhr.
"Wir müssen uns beeilen."
Seraphim seufzte.
Ihre Mahlzeiten, die sie mit Mariella zusammen im Salon einnahm, war geprägt von Schweigen und doch zwang ihre Hofdame sie dort aufzutreten als würde sie ein Bankett mit allen Adeligen des Landes beiwohnen.
In eines der alten, noch gut erhaltenen, Kleider ihrer Mutter gesteckt und die langen braunen Locken am Kopf frisiert betrat sie eine halbe stunde später den grünen Salon, dessen Tafel bereits gedeckt war.
"Werden viele Gäste zum Winterfest erwartet?", versuchte sie Mariella in ein Gespräch zu verwickeln.
"Aber ja, es ist immerhin das wichtige Fest des Jahres! Sogar die Generäle eures Bruders werden dieses Jahr anwesend sein."
"Wirklich?"
"Oh ja! Der Krieg mag vielleicht nicht so erfolgreich gewesen sein, wie euer Bruder sich das vorgestellt hat, es ist ihm jedoch gelungen unser Land zu verteidigen und als Dank dafür erweist er seinen Generälen die Ehre, am Winterfest teilzunehmen."
"Eine wirklich großzügige Geste von Nikolai."
"Nicht wahr? Außerdem soll die Verlobung von Prinz Julius bekannt gegeben werden!", sagte Mariella und nippte an ihrem Wasserglass.
Seraphim hielt inne.
Damit wäre auch der letzte ihrer Brüder vergeben und nur noch Nikolai und Alexandre würden im Schloss verweilen.
Die Hoffnung, dass man sie auf eine Burg auf dem Land sperren würde, wurde damit hinfällig.
Sie drängte die dunklen, sirenden Gedanken an ihre Zukunft zurück und zwang sich dazu weiter zu essen, obwohl ihr jeglicher Appetit vergangen war.
Aus diesem Grund entschuldigte sie sich auch kurz darauf und schloss sich mit Rena in ihrem Schlafzimmer ein.
Die erkannte die Gefühlslage der Prinzessin und wurde einmal mehr zur Schwester, die Seraphim nicht hatte.
"Ich muss hier raus!", murmelte sie mit leiser stimme, jegliches Hofprotokoll vergessend.
"Das ist unmöglich", seufzte Rena, die bereits seit Jahren nach einem Weg suchte, ihre Herrin auf irgendeinem Weg aus dem Schloss zu befördern.
Niemand verdiente es ein leben lang eingesperrt zu sein, nur weil es der eigene Vater so wollte.
Das Hauptproblem waren die Soldaten, die Tag und Nacht vor ihrer Tür postiert waren. Die Prinzessin an ihnen vorbei zu schleusen war unmöglich.
Tief betrübt saß die Prinzessin zusammengesackt auf dem Frisierstuhl während Rena ihre langen Haare kämmte um sie anschließend zu einem Zopf zu flechten.
"Bitte gebt die Hoffnung nicht auf Prinzessin. Ich wird noch einmal darüber nachdenken, wie wir die Wachen umgehen können."
Dankbar lächelte Seraphim ihre einzige Freundin an und legte sich anschließend, mit einem winzigen Funken Hoffnung in der Brust, schlafen.
Ausgerechnet ihr Bruder verhalf ihr schließlich zur Flucht.
Neben den Generälen erhielten auch alle Soldaten des Reiches eine kleine Geste der Dankbarkeit in Form eines Wintergebäcks, einer Schneekugel, einem winzigen Küchlein in Puderzucker gewälzt.
Rena tränkte sie mit einem leichten Schlafmittel, schmuggelte eines ihrer Kleider in die Kemenate der Prinzessin, kleidete sie darin ein und führte sie anschließend hinaus.
Niemand, wirklich niemand außer Rena und Mariella wusste, wie Prinzessin Seraphim aussah.
In einfache Kleider gehüllt mit den Haaren zu einem Zopf geflochten konnte sie als einfache Dienstmagd durch die Gänge des Schlosses laufen.
Doch die Freude darüber, ihrem Gefängnis entflohen zu sein, wich schon nach wenigen Schritten die Pure Angst. Die Angst vor der Interaktion mit Menschen. Vor Menschenmassen.
"Ich will zurück!", hauchte sie nach nur wenigen Gängen.
"Oh nein Prinzessin!", zischte Rena bestimmt.
"Ihr werdet das Schloss heute verlassen, und wenn es nur für eine Nacht ist! Das Winterfest soll die Freude auf das Vergangene und zukünftige Jahr zelebrieren und ihr würdet nicht noch ein weiteres Jahr in euren Gemächern verbringen wollen ohne zu wissen, wie es draußen aussieht!", kam es bestimmt von der Kammerzofe.
"Aber was der Mensch nicht kennt, kann er nicht begehren", murmelte Seraphim, Rena einige Treppen hinunter folgend.
"Ihr habt in den letzten Jahren eine solche Vielzahl an Büchern über die Geschichte und Geographie Eritreas verschlungen, dass ihr das Unbekannte bereits seit langem kennt, wenn auch nur auf Papier!"
Durch den Dienstboteneingang schleuste Rena die Prinzessin an der Küche vorbei, in der bereits die Vorbereitungen für den Winterball liefen.
Noch war es später Nachmittag, der Ball würde nicht vor 9 Uhr Abends beginnen.
Trotzdem wimmelte es überall nur so von Menschen.
Vor allem in den Königlichen Stallungen, durch die Seraphim und Rena liefen, herrschte geschäftiges Treiben.
Männer. Um sie herum waren lauter Männer.
Seraphim war fasziniert endlich einmal das andere Geschlecht von nahmen zu sehen und sie nicht nur in Büchern zu studieren.
Vor allem die Generäle, die nacheinander ihre Pferde an die Stallburschen übergaben, versinnbildlichten für sie ihre Vorstellung eines Mannes.
Nur schien auch sie die Aufmerksamkeit einiger Männer erregt zu haben, denn es folgten ihr viele neugierige Blicke, als sie Rena folgt.
Plötzlich stellte sich ein Pferd ihnen in den Weg.
"Verzieht", kam es sofort von Rena die einen knicks hinterher setzte.
Seraphim tat es ihr gleich, das schien der Reiter, ebenfalls ein General jedoch nicht zu bemerken, denn er starrte die Prinzessin unverhohlen an.
"Einer schönen Frau sei jederzeit verziehen", murmelte er schließlich und setzte sein Pferd wieder in bewegen, sodass sie passieren konnten.
Rena ergriff ihre Hand und zog sie zu dem Portal, durch das die Dienstboten die Palastanlage betraten.
Die Wachhabenden Soldaten bemerkten sie gar nicht.
Als Seraphim ihren Fuß auf die breite, vielbefahrene, gepflasterte Straße setzte war ihr so, als könnte sie fliegen.
Die Gerüche der Stallungen hatten bereits ihr Interesse geweckt, die Gerüche der Stadt, die unmittelbar an das Schlossgelände anschloss, waren wie ein Schlüssel für das Schloss, das sie umgeben hatte.
Ein breites, glückliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Prinzessin aus.
"Kommt, ich zeige euch die Stadt. Meinen Teil der Stadt", sagte Rena mit einem zwinkern, eilte mit der Prinzessin an der Hand über die Straße und verschwand zwischen den imposanten Bauten der wohlhabenden Bevölkerung der Eritraeaischen Hauptstadt Aldora.
"General Matteo Ghalan, Fürst von Nimbu", kündigte sich der hochgewachsene Mann beim Lakai des Königs an.
Es war ihm zuwider heute hier zu sein.
Er hätte das Winterfest lieber in seiner Heimatstadt verbracht, die weiter mehr Festlichkeiten und Wärme bot als die große Hauptstadt in der die Unzufriedenheit der Menschen die Festlichkeiten überdeckte.
Prinz Alexandre war die Verantwortung anscheinend über den Kopf gewachsen, denn keiner seiner anderen Brüder, die Gouverneure der beiden größten Handelsstädte des Landes waren, hatte mit so viel Unzufriedenheit zu kämpfen wie er.
Doch Matteo war drauf und dran den König persönlich zu treffen, deswegen verschob er den Gedanken an die kalte Atmosphäre und betrat, als man ihn angekündigt hatte, da Arbeitszimmer von König Nikolai.
"Fürst Ghalan, es ist mir eine außerordentliche Freude euch endlich kennen lernen zu dürfen!"
König Nikolai war etwas kleiner als Er selbst, sein Auftritt zeugte jedoch von Autorität.
"Mein König!"
Matteo fiel auf die Knie.
"Ah, da ist ja unser großer Held!", kam es nun von anderer Seite.
"Alexandre! Geht es Vater wieder besser?", fragte der König besorgt an seinen Bruder.
"Aber ja Bruder. Er zetert wie eh und je, es könnte ihm nicht besser gehen. General Ghalan, es ist mir ebenfalls eine Freude", kam es von Prinz Alexandre, dessen Ausstrahlung weit weniger Autoritär und warmherzig war als die seines Bruders.
"Euer Hoheit", erwiderte Matteo.
"Bitte, nehmt Platz General. Ich hoffe ihr hattet eine Angenehme Reise und eine angenehme Ankunft."
"Sicherlich mein König. Auch wenn ich eine eurer bezaubernden Dienstmägde beinahe über den Haufen geritten hätte. Das arme Mädchen schien etwas zerstreut."
Nikolai lachte.
"Für viele ist das erste Winterfest immer eine große Flut an neuen Aufgaben!"
"Nun, dieses Mädchen schien nicht teil des Winterfestes zu sein, immerhin schienen sie und ihre Begleiterin den Palast verlassen zu wollen."
"Dann dürfte es wohl an euch und euren Kameraden liegen, dass das arme Kind so verwirrt schien. Es kommt nicht alle Tage vor, dass 25 schneidige Generäle sich in unserem Schloss versammeln."
Der General konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
"Allerdings."
An Verehrerinnen fehlte es keinem der Generäle, selbst wenn sie verheiratet waren.
Der König drängte ihn schließlich dazu von seinem entscheidenden Sieg zu erzählen. Wohlwissentlich ließ der General dabei einige Details unter den Teppich fallen, die den jüngeren Bruder des Königs, der in diesem Krieg als Hauptgeneral gedient hatte, sonst in ein äußerst schlechtes Licht gerückt hätten.
Während der König sehr an Taktischen Dingen interessiert war und an den Diplomatischen Verhandlungsversuchen zwischen ihm und dem General des Palemischen Heeres, war Prinz Alexandre eher an materiellen Dingen interessiert. An Landgewinnen, Beute, Waffenverluste.
Ihr schien nicht zu interessieren, dass viele gute Männer diesem Krieg zum Opfer gefallen waren.
"Euer ausscheiden aus dem Heer ist wirklich bedauerlich", sagte der König schließlich seufzend.
"Verzeiht Majestät, jedoch wird es für mich langsam an der Zeit mich um mein Erbe zu kümmern. Nimbu ist herrlicher Fleck Eritraeischen Landes und ich habe vor es auch weiterhin als solches zu erhalten. Des weiteren ist mein 33. Geburtstag nicht mehr weit entfernt und ich habe vor mich auf die Suche nach einer Lebenspartnerin zu begeben."
"Verständlich General, verständlich, jedoch ..."
Der König wurde unterbrochen, durch einen Tumult, der sich vor der Türe seines Arbeitszimmers abzuspielen schien.
Alexandre sprang auf, eilte zur Tür und riss sie auf.
"Was soll das?", rief er aufgebracht.
Einige Palastwachen stritten sich mit dem Hofmarschall.
"H ... Hoheit", antwortete schließlich einer der Soldaten, sichtlich ängstlich.
Matteo und der König erhoben sich und gesellten sich zu den Versammelten.
"Rede!", fuhr der Prinz den Soldaten barsch an.
"Die Prinzessin ist verschwunden."
"Wie bitte?", fragte der Prinz unglaubwürdig.
"P ... Prinzessin Seraphim ist aus ihren Gemächern verschwunden. Die Schneekugeln der Wachen waren mit einem Schlaftrunk versehen, sodass sie ihr verschwinden nicht bemerkten", sagte der Soldat viel zu schnell.
"Was?", brüllte Alexandre aufgebracht und sah so aus, als würde er ihm gleich an die Gurgel gehen.
"Weit kann sie ja nicht sein", versuchte der Hofmarschall die Sache zu klären.
"Weit kann sie nicht sein? Keiner kennt ihr Gesicht, sie könnte längst aus dem Palast spaziert sein, ohne das irgendjemand es bemerkt hätte!", brüllte der Prinz den Hofmarschall an.
Da musste Matteo ihm Recht geben.
Prinzessin Seraphim war fast schon eine Legende, viele bezweifelten ob es die Prinzessin überhaupt gab oder ob es einfach nur eine leichte Erklärung für den Tod der Königin gewesen war.
"Weis wirklich niemand wie sie aussieht?", fragte Er schließlich in die Runde, ungläubig, dass selbst ihre Brüder sie nicht kannten.
"Nein", sagte der König zögernd.
"Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen", setzte er seufzend hinterher.
"Aber ihre Amme schon!", mischte sich Prinz ein.
"Bringt sie her, sofort! Wir müssen sie umgehen zurück in ihre Gemächer bringen."
"Warum?", rutschte es Matteo heraus und er schlug sich Mental für seinen Fauxpas.
Der König blickte ihn an, während sein Bruder und die Palastwachen davonstürmten.
"Wenn es nach mir ginge hätte ich meine Schwester längst erlaubt das Schloss zu verlassen und ihr eigenes Leben zu führen. Mein Vater jedoch ..."
Der König seufzte tief.
"Er hat nur Stunden nach ihrer Geburt und dem Tod unserer Mutter verfügt, dass sie niemals die Mauern des Palastes verlassen darf, als Strafe dafür, dass sie einem anderen Menschen das leben gekostet hat."
In Matteo zog sich etwas zusammen. Das war grausam, barbarisch. Es starben beinahe täglich Frauen im Kindbett. Der Tod der Königin war eine Katastrophe, keine Frage, aber ein Kind dafür bestrafen? Es zeugte von mehr Unmenschlichkeit als es Matteo jemals begegnet war.
"Was würde passieren, wenn die Prinzessin den Palast verlässt."
Die Miene des Königs wurde sehr ernst und emotionslos.
"Vom Exil bis hin zum Tod durch den Galgen wäre für meinen Vater alles möglich."
"Könnt ihr das Gesetz nicht ändern?"
Er konnte es immer noch nicht glauben.
"Nicht solange sie offizieller Teil meiner Familie ist. Meint Vater hat genauestens festgelegt, dass solange sie ein Teil des Hauses Cahléer ist Ich das Gesetz nicht ändern kann. Glauben sie mir General, wäre es möglich hätte ich es längst getan!", schloss der König bitter ab, entschuldigte sich und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.
Matteo sah ihm nach.
Es war deutlich zu sehen, dass die Prinzessin ihm nicht egal war, dass der Einfluss des Alt-Königs jedoch größer Wog als alles andere.
Seraphim war sprachlos. Sprachlos vor Glück und Sprachlos vor staunen.
Rena hatte sie die letzten Stunden über durch die Gassen der Unterstadt geführt, ihr gezeigt wo einfache Menschen lebten und arbeiteten.
Sie hatte Recht, die Menschen waren unzufrieden. Laut Rena jedoch schien es nur ein Problem der Hauptstadt zu sein - Dank ihres Bruders.
An den verlor sie jedoch im Moment keine Gedanken, sie war viel zu sehr damit beschäftigt die neuen Eindrücke wie ein Schwamm aufzusaugen und als Rena sie in eine Taverne führte, in der viele Stadtbewohner mit einigen Soldaten tranken und lachten, war ihr als würde ihr Kopf explodieren, so vielfältig waren die Dinge, die sie umgaben.
Der Lärm war das schlimmste das ihr zu schaffen machte.
Aus diesem Grund zogen sie sich in eine ruhigere Ecke der Taverne nahe des Hinterausgangs zurück und Rena bestellte ein Glas Met um sie davon probieren zu lassen, zusammen mit einem Teller mit Eintopf.
Es schmeckte köstlich.
Die Menschen stimmten Feiertagslieder an, sangen über Krieg und Frieden und die Vielfalt des Lebens und Seraphim hatte das Gefühl endlich frei atmen zu können.
Gerade als die Menge ein weiteres Lied anstimmte ging die Tür der Taverne auf und ein Mann kam herein - ein Mann der Seraphim nur allzu bekannt vorkam.
Groß gebaut, mit einem scharf geschnittenen Gesicht und dunklen Augen sah er wie der Krieger aus, der er war.
Seine Generalsrobe hob ihn deutlich vom Rest der Gäste ab und die Soldaten verstummten sofort, als sie ihn erblickte.
Der General blickte grimmig in die Runde, ging dann zum Tresen der Taverne und lehnte sich dagegen.
"Eine Runde auf mich!", kam es schließlich mit bestimmter dunkler Stimme von ihm und die Taverne bog sich fast unter den Jubelrufen der Gäste.
"Wir müssen von hier weg!", flüsterte Seraphim Rena zu, die jedoch war viel zu sehr damit beschäftigt, sich mit einem jungen Soldaten zu unterhalten.
Sie spürte Blickte, die sich auf sie legten und als sie sich umsah erblickte sie den General, der sie anstarrte.
"Rena!", versuchte sie es noch einmal, doch ihre Kammerzofe reagierte nicht.
Verzweifelt schnappte sie sich ihren Mantel und eilte zum Hinterausgang, der in eine Gasse führte.
Panisch blickte sie nach Links und rechts, sah dann jedoch eine Gruppe Soldaten am linken Ende stehen und eilte nach Rechts, tiefer in die immer dunkler werdende Unterstadt hinein.
Doch weit kam sie nicht.
Schnelle Schritte ertönten die sie einholten, selbst als sie zu laufen begann, ihr Schuhwerk war für die schlecht gepflasterten, rutschigen verschneiten Straßen allerdings auch nicht ausgelegt.
Sie wurde am Arm gepackt und herumgedreht.
"Hört mir zu Prinzessin", murmelte der General und drückte sie an eine Hauswand.
"Ihr seid in Gefahr. Lebensgefahr. Euer Bruder Alexandre lässt gerade die gesamte Stadt nach euch durchsuchen und wenn er euch findet werdet ihr den Morgigen Tag nicht überleben!"
"Was? Warum?", fragte sie verzweifelt und nicht in der Lage sich zu bewegen.
"Euer Vater scheint auf ihn noch mehr Einfluss zu haben als auf den König, er ist jedenfalls fest entschlossen der Legende um euch endgültig ein Ende zu setzen."
Vor ihren Augen verschwamm alles.
"Prinzessin. Prinzessin!"
Der General schüttelte sie zaghaft.
"Ich kann euch helfen."
"Warum?", fragte sie schwach und mutlos.
"Ihr seid meinem Bruder unterstellt", flüsterte sie kraftlos.
"Weil ihr eine kluge Frau zu sein scheint die wahrhaftig Leben will. Und weil das, was man euch angetan hat grausamer ist als alles, was mir bisher auf dem Schlachtfeld begegnet ist."
Die dunklen Augen des im Halbschatten gelegenen Gesichtes bohrten sich in ihre.
"Wie könnt ihr mir helfen?", fragte Seraphim und fand ihre Fassung wider.
Für mehrere Atemzüge starrte sie der General einfach nur an.
"Wie weit würdet ihr gehen um in Freiheit leben zu können?", fragte er sie und ließ sie los.
Sich an der Hausmauer abstützen blickte sie ihm mit erhobenem Kinn entgegen.
"Alles", erwiderte sie ohne zögern.
"Dann heiratet mich Prinzessin. Es ist der einzige Weg euch von euren Brüdern loszusagen."
Er hatte Fragen erwartet. Viele Fragen. Oder ein unglaubwürdiges Lachen.
Aber stattdessen blickten ihm die klugen blauen Augen der Jungen Frau weiter fest in die Augen.
"Ich verstehe", sagte sie schließlich nach einem Augenblick und er hob überrascht die Augenbrauen.
"Wirklich?", fragte er ungläubig.
"Ein ganzes Leben lang hinter Palastmauern eingeschlossen zu sein gibt einem eine Menge freie Zeit und eine große Bibliothek bietet viele Möglichkeiten. Die Ehe ist laut den Eritraeaischen Gesetzen die einzige Möglichkeit für eine Frau die Familie zu wechseln, wenn sie den Namen und Titel ihres Mannes bei der Ehe annimmt. Der Ehemann wird somit auch zu einem Art Vormund und da mein Bruder Alexandre diese Funktion bisher inne hatte gehe ich davon aus, dass diese Rolle für meine Freiheit eine bedeutende Rolle spielt."
Sie war schön, klug und gebildet. Er hatte sich darauf eingestellt eine Ehe mit einer verschreckten Person führen zu müssen, hätte sie einer Eheschließung zugestimmt.
Nun aber schien es ihm ganz so, als ob diese Lebenslustige junge Frau sich als gute Wahl herausstellen würde.
"Also bedeutet das, ich würdet meinem Vorschlag zustimmen?", hakte er nach.
"Ich werde niemanden Heiraten dessen Namen ich nicht kennen!", erwiderte sie und verschränkte undamenhaft die Arme vor der Brust.
Er konnte nichts anders als glucksend zu lachen.
"Verzeiht Hoheit. Mein Name ist Matteo Ghalan, Fürst von Nimbu und General der 9. Legion."
"Es ist mir eine Freude euch kennenzulernen", erwiderte die Prinzessin und erfüllte ganz das Bild, welches er von anderen Frauen ihres Ranges im Kopfe hatte.
Anmutig. Würdevoll.
"Nun, nehmt ihr mein Angebot an?", fragte er in ähnlichem Ton, auch wenn ihm das Höfische Geplänkel nicht gerade taugte.
Die Prinzessin schloss die Augen, atmete einmal tief durch und blickte ihm einmal mehr fest in die Augen.
"Es wäre mir eine Freude euer Angebot anzunehmen", sagte sie schließlich.
Matteo verschwendete keine weitere Minute sondern ergriff ihre Hand, rannte mit ihr zu der Station, an der er das geliehene Pferd aus den Stallungen des Königs abgegeben hatte, verlangte nach einem neuen und bestieg zusammen mit der sichtlich unsicheren Prinzessin das Pferde und jagte durch die nächtlichen verschneiten Straßen der Stadt davon.
Kein Zweifel, Prinz Alexandre würde an sämtlichen Stadttore nach seiner Schwester Ausschau halten, ein paar der Hauptmänner der Stadtwache schuldeten ihm jedoch einen Gefallen dafür einige ihrer Männer nicht für seine Legion eingezogen zu haben und genau diese Gefallen löste er nun an den beiden Toren ein, welche die Unterstadt von den Vororten trennten und erst als die Lichter der Hauptstadt weit hinter ihnen lagen zügelte er sein Pferd und blickte hinab auf seine Braut.
Tränen schimmerten in ihren Augen, als er sich zu ihr wandte und ihr Griff um ihn wurde noch fester.
"Bringt mich hier weg!", bat sie nur und Matteo gab dieser Bitte gerne nach und trieb das Pferd hinein in die Nacht Richtung Nimbu und dem Herzogssitz von Tannoi, wo man einer raschen Eheschließung nicht im Weg stehen würde denn wie Matteo nur zu gut wusste war sein Freund, der Herzog von Tannoi, kein Freund Prinz Alexandre's und würde die Ehe nur zu gerne zu Papier bringen.
Der alljährliche Winterball im Schluss zu Aldora sollte einmal mehr den Höhepunkt des Jahres bilden. Alle 8 Prinzen waren mit ihren Ehefrauen abwesend und begrüßten die Adeligen, die aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gereist waren.
Vorne weg stand König Nikolai der, nach dem Tod seines Vaters, seinen Bruder Alexandre die Verantwortung über die Hauptstadt entzogen, und ihn an die Ostgrenze des Landes versetzt hatte. Seitdem sprachen die beiden Brüder kein Wort mehr miteinander.
Der Etraeischen Bevölkerung gegenüber gab man jedoch weiterhin die Heile Familie vor, die Gerüchte um Prinzessin Seraphim und ihre Flucht aus dem Palast waren bereits lange verstummt und selbst die Aufhebung ihres Hausarrestes durch den König hatte nicht für neue Gerüchte gesorgt.
Sehr zum Wohlwollen der Königlichen Familie.
Im großen Ballsaal des Schlosses standen Meterhohe Tannen, geschmückt mit Kristallen und Silber, der Zugang zum tief verschneiten Palastgarten war geöffnet, doch nur wenige Gäste nutzten die Möglichkeit nach draußen zu treten, da es bereits seit mehreren Tagen immer wieder anfing zu schneien.
"Die letzte Kutsche ist so eben vorgefahren!", verkündete der Hofmarschall dem König, während dieser weiterhin Hände schüttelte.
Der König, dem es an diesem Abend als einzigem erlaubt war Weiß zu tragen, hatte gerade die Hand eines Cousins losgelassen, als ein Paar durch die Tür trat, welche die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog.
Der Mann war groß gebaut, das lang gewachsene Haar im Nacken zurückgebunden und den gleichfarbigen dunklen Bart nur minimal gestutzt.
Die Frau an seiner Seite glich einem der mystischen alten Wesen, die in den Märchen des Landes Beschrieben wurden.
Ihr Wallendes Rotes Kleid, eine Mischung aus Brokat, Spitze und Seide, umschmeichelte ihren wohlgeformten Körper und das aus dem Gesicht frisierte, lockige braune Haar umrahmte ihr zartes Gesicht und brachte ihre blauen Augen zum Strahlen.
"Fürst Matteo Ghalan von Nimbu mit seiner Gemahlin, Fürstin Amilia", verkündete der Zeremonienmeister, während das Paar auf die Königliche Familie zutrat.
Während der König zufrieden Lächelte, war die Miene Prinz Alexandres wie versteinert.
"Majestät", kam es simultan vom Fürstenpaar und Fürstin Amilia versank in einen tiefen, elenganten Hofknicks.
"Fürst Matteo", begrüßte der König den dunkelhaarigen Mann und schüttelte seine Hand, dann wandte er sich an die Fürstin.
"Fürstin Amilia, es ist mir eine außerordentliche euch endlich einmal kennen lernen zu dürfen. Ich hoffe ihr könnt den Aufenthalt in meinem Schloss genießen."
"Ich werde des versuchen Majestät", kam es von der jungen Frau, die noch einmal knickste und dann mit ihrem Mann die übrige Königsfamilie entlang schritt.
"Bruder!", zischte Alexandre aufgebracht.
Nikolais Miene wurde verschlossen.
"Sie ist nicht länger unsere Schwester Alexandre. Du hast kein Recht über sie zu bestimmen. Niemand von uns hat das. Akzeptiere es."
"Du wusstest es!", rief der Prinz aufgebracht und zog damit neugierige Blicke auf sich.
"Natürlich", antwortete der König ruhig.
"Aber mit dem Moment ihrer Heirat waren die Bestimmungen unseres Vaters hinfällig. Ich habe sie aus reiner Höflichkeit erst nach seinem Tod geändert. Aber ich sage es noch einmal Alexandre: Sie ist nicht länger unsere Schwester."
"Wie konntest du?", knurrte der Prinz aufgebracht, wurde von seinem Bruder jedoch abgewürgt, indem dieser den Ballsaal entlang Schritt zu dem Podest, auf dem eine Kopie seines Throns stand. Der Zeremonienmeister klopfte mit seinem Zeremonienstab auf den Boden und verschuf so dem König das nötige Gehör für seine Eröffnungsansprache.
Es schien ihr wie eine Ewigkeit, seitdem sie den Palast verlassen hatte und doch hatte beim Betreten des Schlosses das Gefühl von Angst sie ergriffen.
Matteo hatte sie, seit sie die Kutsche verlassen hatten, keinen Moment losgelassen. Sei es ihre Hand, die erhielt, oder dass sie ihren Arm in seine Armbeuge gelegt hatte ja selbst eine gelegentliche Berührung am Rücken und an ihrer Taille dienten dazu, sie zu beruhigen.
Ihre Brüder endlich einmal zu Gesicht zu sehen und nicht nur Miniaturabbildungen ihrer Köpfe, war für sie ein unbeschreibliches Gefühl.
Auch wenn sie offiziell nicht mehr ihre Brüder waren.
Prinzessin Seraphim war noch am Tag ihrer Flucht gestorben und Fürstin Amilia hatte am nächsten Tag das Licht der Welt erblickt.
Sie war endlich frei. Obwohl sie die Blicke Prinz Alexandres bemerkte, kümmerte sie sich nicht weiter darum. Er hatte keinerlei Befugnisse über sie, denn König Nikolai, mit dem sie seit ihr Mann um die Bestätigung ihrer Eheschließung gebeten hatte, losen Briefkontakt gehalten hatte, war auf ihrer Seite.
Er hatte ihr gestanden, dass er es sehr bedauerte sie nicht mehr als seine Schwester bezeichnen zu können, hatte jedoch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie unter seinem persönlichen Schutz stand.
Sollte Alexandre oder irgendjemand anderes ihr etwas anhaben wollen würden sie damit den Zorn des Königs auf sich ziehen. Ganz geschweige von dem Zorn ihres Ehemannes, der wachsam an ihrer Seite stand und, ganz wie man es von einem ehemaligen General erwartet, nur wenig emotionale Regungen zeigte.
Schenkte sie ihm jedoch ein Lächeln, so zuckten auch seine Mundwinkel. Runzelte sie die Stirn so wurde seine Miene noch ernster.
Alle Tänze, die sie gemeinsam tanzten, geschahen wortlos, denn zu Verständigung reichte der Kontakt ihrer Augen, der nie abzureisen schien.
Angesichts der neugierigen und auch lüsternen Blicke, die man ihr Entgegen brachte, machte Matteo es durch die Position seiner Hände an ihrem Körper deutlich, dass sie sein war, was ihr jedoch nichts ausmachte.
Er sorgte sich um sie, das wusste sie, und sobald sie das Schloss und die Hauptstadt wieder verlassen hatten, würde er sich wieder entspannen und seine Maske ablegen.
"Geht es dir gut Amilia?", fragte er leise und mit besorgtem Ton, als sie sich in einem der Erfrischungsräume auf einen Sessel sinken ließ und von einem Lakai ein Glas Wasser entgegen nahm.
"Aber ja, nur so viel zu tanzen bin ich nicht gewohnt. Und unsere Reise schien doch anstrengender zu sein als gedacht."
Matteos Gesichtsausdruck war weiterhin besorgt, er widersprach seiner jungen Frau jedoch nicht die, wie er in den letzten beiden Jahren festgestellt hatte, sehr wohl wusste was für sie das beste war. So lange Zeit fast alleine zu sein hatte ihr ein gutes Verständnis über sich und ihren Körper gegeben und das eine Mal, als er dies angezweifelt hatte, hatte er erfahren müssen, welches Temperament seine sonst so liebevolle Gemahlin verbarg.
Zugegeben, es reizte ihn sie herauszufordern und zu necken, denn es kam nicht oft vor, dass sie von sich aus ihre wilde Natur zeigte, die er sehr zu schätzen gelernt hatte.
"Komm!", forderte er sie auf, als sie das Glas gelehrt hatte und führte sie in Richtung der Terrasse, die an den Schlossgarten anschloss.
Da die Hitze des Ballsaales bis nach draußen Drang und die Schichten ihrer Kleidung warm genug hielten führte er sie hinunter auf einen der Springbrunnenplätze, wohlwissend, dass sie oft davon geträumt hatte an einem eben jener Plätze an einem der Brunnen zu sitzen und die Weitläufigkeit der Gärten genießen zu können.
Der glückliche Gesichtsausdruck, der sich auf Amilias Gesichts ausbreitete belohnte ihn für seine Handlung und der Kuss, dem sie ihn bot, zeugte von der Tiefgründigkeit seines Tuns.
"Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?", fragte er sie, während sie sich umblickte.
"Nein. Besser!"
Ein ganzes Gesicht strahlte von jugendlicher Euphorie und er konnte nicht anders als sie zu Küssen.
Er war vernarrt in seine junge Frau, die ihm blind vertraut hatte und der er das Versprechen ihr zur Freiheit zu verhelfen bis zum Gegenwärtigen Zeitpunkt hielt.
Sie reisten viel und lange und wenn sie alleine reiten wollte, dann ließ er sie.
Die Bewohner Nimbus waren mittlerweile daran gewöhnt, dass ihre Fürstin oft stundenlange Spaziergänge zu tun pflegte und nach einigen Erklärungen, die der Wahrheit zumindest etwas nahe kamen, hörte das Getuschel über eine mögliche Flucht der jungen Frau aus den Fängen des Generals gänzlich auf.
Sie floh nicht vor ihm, sondern vor den Mauern die sie umgaben.
Matteo hatte das Schlafgemach extra für sie in das Erdgeschoss verlegen lassen, sodass ein mehr oder weniger direkter Zugang zu den Gärten bestand, sodass sie jederzeit die Möglichkeit besaß die sie manchmal bedrückenden Mauern zu verlassen.
Von ihr ablassend ließ er ein Lächeln auf seinem Gesicht zu, während er Amilia weiter festhielt.
Aus dem Ballsaal wurde einmal mehr Tanzmusik laut und ein schelmisches Funkeln schlich sich in die Augen der Fürstin.
"Tanz mit mir!"
"Hier?", hakte Matteo nach.
Sie nickte und bevor sie sich versah, wurde sie von ihrem Ehemann bereits über den geräumten Platz geführt, dem Takt der zu ihnen dringenden Musik folgend, ohne sich jedoch an die Regeln eines bestimmten Tanzes zu halten.
Amilia genoss die kühle Abendluft, die ihre Haut umschmeichelte, den frischen Geruch der Natur und der Wärme des Mannes, dem sie ihre Freiheit zu verdanken hatte und in dessen dunklen Augen sie einmal mehr versank, die im Schein der Fackeln, die den Garten erleuchteten, schimmerten wie schwarze Diamanten.
Der saum ihres Kleides wirbelte die wenigen noch übrigen Schneeflocken auf und spielte um ihre Füße herum und als würde der Himmel auf ihre Aufforderung eingehen, begann es zu schneien.
Nicht sehr stark, doch gerade genug um wie durch einen milden Sommerregen hindurch zu tanzen.
Die Flocken wirbelten um sie herum, verfingen sich in ihren Haaren und legten sich auf ihre Kleider ab.
"Ich bin dir sehr dankbar", durchbrach Matteo plötzlich die Ruhe im Garten, die lediglich durch die Musik durchbrochen worden war.
"Wofür?", fragte sie verwirrt.
"Dafür, dass wir bei den Stallungen zusammen gestoßen sind. Und dafür, dass du eine begabte Künstlerin bist. Ohne dein Selbstportrait hätte ich wahrscheinlich nicht gewusst, nach welcher jungen Frau ich suchen sollte, um sie vor dem Tod zu retten."
Ihr Selbstportrait, dass ihre Amme dem König ausgehändigt hatte und auf das er einen Blick hatte erhaschen können, hatte ihm ihrer Familie gegenüber einen entscheidenden Vorteil geliefert und die Tatsache, dass ein Großteil seiner Männer die Straßen gefülllt hatten, ebenfalls.
Auf das Kompliment hin lachte Amilia nur, lehnte sich noch mehr in seine Arme.
"ich liebe dich", hauchte sie ihm kaum hörbar zu.
Er lächelte, lehnte sich vor und murmelte ihr ihr ins Ohr: "Wer auch immer du entscheidest sein zu wollen, dein Name wird nichts daran ändern, dass ich dich ebenfalls Liebe."
Die beiden tanzte durch den Schnee, ihre rote Kleidung als starker Kontrast zu der sich langsam weiß färbenden Landschaft und vollkommen unwissend, dass sie von der Terrasse aus beobachtet wurden.
König Nikolai betrachtete die beiden Liebenden, welche ihre Umgebung vollkommen vergessen zu schienen hatte, die Augen nur aufeinander gerichtet.
Vielleicht würde die Legende von Prinzessin Seraphim eines Tages gänzlich ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Dann jedoch hoffte er, dass die Legende von der Liebe handelte, welche die Prinzessin gefunden hatte und der Freiheit, die sie darin fand.
Das Bild der tanzenden Liebenden im Schein von Mond und Feuer jedoch würde er für sich behalten, als Erinnerung daran, welche Wunder auf dieser Welt möglich waren.
Ende
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2016
Alle Rechte vorbehalten