Cover

1.

Mit einem schweren Seufzen betrat Taylor das Polizeipräsidium von Marietta und stellte dabei fest, dass der Eingangsbereich neu gestrichen worden war. Das war deprimierend. Wenn man nicht in diesem Gebäude arbeitete, dann sollte man so etwas gar nicht merken, aber er war schon viel zu oft in seinem Leben hier zu Besuch gewesen und fast immer aus demselben 1,83m großen, nervenaufreibenden und den Blutdruck in die Höhe treibenden Grund namens Sully. Der sich dummerweise seinen Freund schimpfte und den Taylor mindestens mit so einer Intensität liebte, wie er ihm gerade den verdammten Hals umdrehen könnte! Der Mann war sein pures Glück und gleichzeitig sein Verderben! Taylor hatte die Gespräche, die er morgen auf Pauls Geburtstag führen würde, schon perfekt im Kopf:

'Hey, Taylor, wieso siehst du so müde aus? Lange Nacht gestern?'

'Ja. Sully hat mich wachgehalten …'

Ein dreckiges Grinsen, ein vielsagender Blick. 'Habt ihr Turteltäubchen euch die ganze Nacht durch die Bettlaken gewühlt?'

Und das wäre der Moment, wo Taylor mit einem seligen Lächeln nicken sollte. Stattdessen würde er resigniert den Kopf schütteln. 'Nein, ich wurde abends angerufen. Von der Polizei. Anstatt also einen schönen, ruhigen Abend daheim zu verbringen, wie ich das geplant habe, hatte ich die zweifelhafte Ehre erst zur Bank und dann zum Polizeirevier zu laufen, um Kaution vorzustrecken, damit der Idiot nach Hause kommen kann.'

Gelächter. Schulterklopfen für Sully. Kopfschmerzen für Taylor. Trotzdem musste er bei dem Gedanken ein wenig schmunzeln.

Immerhin dauerte es nicht ganz so lange, wie Taylor es befürchtet hatte. Die Formalitäten zu klären war inzwischen schon traurige Routine geworden und die meiste Zeit durfte er sich damit vertreiben, die frisch angestrichene Wand zu begutachten, während er darauf wartete, dass man Sully aus der Zelle holte. Wenn man bedachte, dass er jetzt gemütlich in seinem Bett liegen und lesen könnte, dann war das ein klitzekleines bisschen frustrierend. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er jetzt schon mindestens sechzig Seiten weiter sein könnte, was mindestens zwei Kapitel waren. Oh, und wie er Sully den Hals umdrehen würde!

Dessen Brummen, was zusammen mit Schritten aus dem Flur drang, riss Taylor aus seinen Gedanken und ließ ihn aufstehen. Beim Anblick seines Freundes war der Ärger aber schon wieder so gut wie verebbt. Denn Sully war sicher der einzige Mann Ende zwanzig, der es trotzdem irgendwie hinbekam so bitterböse und trotzig in die Welt zu blicken wie nur ein Zwölfjähriger es konnte. Wenn Blicke töten könnten, dann würde der Polizist, der Sully gerade die Tüte mit seinen wenigen Habseligkeiten in die Hand drückte, sofort und auf der Stelle wegen eines Hirnschlags tot umfallen. Vielleicht war es gemein sich darüber lustig zu machen, weil Sully wirklich genervt aussah, aber ein wenig Schadenfreude empfand Taylor trotzdem. Zurecht, wenn man ihn fragte.

"Und bleib diesmal sauber, ja?" Der Polizist setzte einen Blick auf, der irgendwo zwischen Mahnung und Aufmunterung lag.

Bedrohlich zuckte Sullys Arm, weswegen Taylor schnell die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückte, seinen Freund bei der Hand nahm und ihre Finger miteinander verschränkte. "Das wird er!" Lächelnd nickte Taylor dem Beamten zu, der mit verwirrter Miene dabei zusah, wie er Sully mit sanfter Gewalt Richtung Ausgang schob. "Einen schönen Abend noch und einen ruhigen Dienst!"

"Als ob der dumme -"

"Nicht jetzt!", unterbrach Taylor das Knurren seines Freundes, während er ihn mit nicht mehr ganz so sanfter Gewalt aus dem Präsidium bugsierte. Sobald die Türen hinter ihnen zufielen und die kühle Nachtluft sie umwehte, atmete Taylor schwer aus, ließ die Hand aber immer noch nicht los. Weniger aus romantischen Anwandlungen, sondern weil er wirklich befürchtete, dass Sully sonst kopflos direkt zurück ins Gebäude stolzieren und seinem Unmut Luft machen würde. Auf Sully-Art, was ihn in neun von zehn Fällen erneut in die Zelle verfrachten würde. Keine erstrebenswerte Abendplanung, wie Taylor fand.

"Was sollte das? Ich wollte dem Kerl gerade meine Meinung sagen!" Die sonst so warme Stimme war immer noch mehr ein Knurren und die blauen Augen sahen ihn eine Spur zu vorwurfsvoll an. So ernst, dass man fast vergessen konnte, wer von ihnen hier die Scheiße gebaut hatte.

Tat Taylor jedoch nicht, weswegen er Sully stur bis zur nächsten Straßenecke zerrte und ihn dann losließ, damit dieser sein Handy, Schlüssel und Portemonnaie aus der Tüte in seine Hosen- und Jackentaschen umlagern konnte. "Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst, du Egomane, aber ich bin wirklich nicht scharf darauf, dich die nächsten drei Jahre im Knast zu besuchen!"

"Pah! Die sollen mal versuchen mich wegzusperren!"

"Das wäre nicht nur Beamtenbeleidigung, sondern auch Widerstand gegen die Staatsgewalt. Vermutlich noch mit Körperverletzung. Natürlich würden sie dich dafür wegsperren! Gott, Sully! Manchmal frage ich mich wirklich, ob dein Kopf nur zum Haareschneiden gut ist." Aus Prinzip und weil Sully gerade so schön damit beschäftigt war seine Sachen wegzupacken, hob Taylor die Hand und schlug ihm kräftig auf den Hinterkopf. Der protestierende Laut, der daraufhin folgte, ließ ihn leicht schmunzeln.

"Hey! Das war total unnötig!"

"Das war vollkommen verdient! Du machst mich manchmal wirklich wahnsinnig!"

Das leichte Grinsen, was sich auf Sullys Gesicht ausbreitete, war Zeichen genug dafür, dass die Anspannung so langsam von seinem Freund abfiel. Gut so, denn wenn der Kerl sich erst einmal in etwas hineingesteigert hatte, dann konnte das noch ewig so weitergehen. "Du liebst mich trotzdem!"

Genervt stöhnte Taylor auf. Das Dumme war nur, dass er nicht widersprechen konnte, weswegen Sullys Grinsen auch gleich eine Spur breiter wurde. "Was ist überhaupt passiert?", wollte er da lieber wissen und beugte damit gleich weiteren Spinnereien vor.

"Dummheit ist passiert! Ignoranz ist passiert!" Sully schnaubte so laut und verächtlich, dass eine Passantin sich irritiert nach ihnen umdrehte und sie mit einem bösen Blick bedachte.

"Ja, ja, ich weiß. Die Welt ist böse, du bist der Unschuldsengel, alle sind gemein zu dir. Komm zum Punkt."

"Weißt du, dass du manchmal ein ziemliches Arschloch sein kannst, Schatz?"

"Weiß ich, Honeybunny." Taylors Grinsen wurde breiter, als er diesen unglaublich beschissenen Kosenamen mit extra schmalziger Stimme betonte. Spitznamen waren für sie beide einfach ein Gräuel. Sie waren Sully und Taylor, das sagte alles aus und noch viel mehr. "Immerhin habe ich vom Besten der Besten gelernt!"

"Es ist unfair, wenn du mir mit Komplimenten den Wind aus den Segeln nimmst."

"Ein Arschloch zu sein ist nichts, worauf du stolz sein solltest."

"Muss ich noch einmal betonen, dass du mich trotzdem liebst?"

"Tue ich nicht." Der leicht misstrauische Seitenblick entging Taylor nicht, trotzdem behielt er selbst seine ernste Miene bei. Auch wenn er das nur genau fünf Sekunden aushielt. "Ich liebe dich gerade deswegen. Unter anderem."

Das Lächeln auf dem Gesicht seines Freundes sah unglaublich ehrlich aus und brachte Taylors Herz dazu einen kleinen Sprung zu machen. Es war immer wieder erstaunlich, mit was für Kleinigkeiten Sully das bewerkstelligte. Nur ein Heben der Mundwinkel, ein verschlafener Blick, ein konzentriertes Stirnrunzeln oder sogar ein Gähnen reichten manchmal völlig aus, um seine Hormone in einen Tsunami zu schmeißen und einmal wild durchzuschütteln. Letztens war er ins Schlafzimmer gekommen, wo Sully gerade dabei gewesen war das Bett neu zu beziehen. Absolut nichts Aufregendes und trotzdem hatte Taylor ihn eine gefühlte Ewigkeit dabei beobachtet und dabei dieses ganze bestimmte Kribbeln in seinem Körper gespürt, was seine Nackenhaare auch nach Jahren immer noch dazu brachte, sich aufrecht zu stellen. Jetzt war wieder einer dieser Momente, in denen er so viel Liebe für diesen Mann verspürte, dass es schon fast schmerzte. Es war kitschig und albern und vermutlich würde Taylor sich eher ein Bein abhacken, als das jemals laut auszusprechen, aber das musste er vermutlich nicht.

"Weswegen noch?"

"Hm?" So in Gedanken versunken hatte Taylor vollkommen den Faden verloren, weswegen er seinen Freund fragend ansah, während sie an einer Kreuzung stehenblieben, wo die Ampel gerade auf rot gesprungen war.

"Du hast gesagt 'unter anderem'. Weswegen liebst du mich noch?"

Vielsagend hob Taylor eine Augenbraue. "Das Spiel fangen wir jetzt sicher nicht an. Erzähl lieber endlich, was zur Hölle du schon wieder angestellt hast."

"Ist es mein gutes Aussehen? Mein Humor? Mein Charme? Meine unfassbare Intelligenz, die alles andere in den Schatten stellt? Mein Talent im Bett?"

"Es ist vor allem deine Bescheidenheit", kommentierte Taylor das Ganze trocken, wobei er dem anderen Mann leicht gegen den Oberarm schlug. "Jetzt sag schon."

"Da gibt es nicht viel zu erzählen, es war nichts Besonderes." Ein wenig ratlos zuckte Sully mit den Schultern. "Ich war mit Cindy, Lydia, Ben und Anil in der Kneipe. Ein paar Tische weiter waren so ein paar Flachwichser, die meinten die Mädels dauernd angraben zu müssen. Du weißt schon, auf diese ganz schmierige Tour. Nach ein paar Gläsern haben sie es nicht mehr bei Sprüchen belassen. Irgendwann ist Anil der Kragen geplatzt und er hat einem der Vollpfosten eine reingehauen."

Ein schweres Seufzen brach sich den Weg durch Taylors Kehle und er schüttelte nur leicht den Kopf. Typisch. "Und anstatt dazwischen zu gehen, musstest du gleich mit drauf prügeln?"

"Natürlich! Wenn Anil es nicht irgendwann getan hätte, dann hätte ich es früher oder später getan. Die Idioten haben sowieso die ganze Kneipe genervt. Wir haben allen einen Gefallen getan. Weswegen es auch echt mies ist, dass irgendjemand die Bullen gerufen hat."

"Du Held."

"Ach, komm schon, Taylor! Hättest du da einfach zugesehen?"

"Nein, natürlich nicht, aber man muss nicht immer gleich drauf schlagen. Hast du schon mal daran gedacht, dass man auch einfach gehen kann?"

"Soweit kommt es noch. Ich lasse mich doch von niemanden aus meiner Kneipe vertreiben." Die Ampel sprang auf grün, was Grund genug für Sully war einen Arm um ihn zu legen, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten. "Sei nicht böse auf mich."

"Das sagst du so. Ich bin nicht so scharf darauf, dass der Highlight meines Freitagabend aus einem Anruf der Polizei besteht. Wegen dir bekomme ich noch graue Haare."

Grinsend beugte Sully sich ein winziges Stück zu ihm rüber und fuhr ihm mit der freien Hand durch ein paar Strähnen, was vollkommen ausreichte, damit Taylor eine Gänsehaupt bekam. "Ach was, die sind alle noch braun und glänzend, alter Mann!"

"Du bist genauso alt wie ich."

"Ja, aber wir haben doch gerade schon festgestellt, dass ich toll bin."

Schnell drückte Sully ihm einen Kuss auf, bevor er auch nur auf die Idee kommen konnte zu widersprechen. Anstatt aber von ihm zu lassen, hielt Sully ihn nah bei sich, was es wirklich, wirklich schwer machte das Gleichgewicht zu bewahren. Mit der Schulter streifte Taylor eine Laterne und als sie nur um ein Haar eine Kollision mit einem älteren Ehepaar verhindern konnten, schubste er Sully lachend von sich. "Kindskopf!"

"Also wirklich!" Der ältere Herr blieb kurz stehen und musterte sie beide mit einem abschätzenden Blick, bevor er sich wieder seiner Begleiterin widmete. "Hast du das gesehen, Evelyn?"

"Waren Sie nie verliebt?" Fröhlich drehte Sully sich mitten im Gehen um, lief rückwärts, um das Ehepaar besser ansehen zu können.

"Das ist kein Grund sich so aufzuführen!"

"Natürlich ist es das. Wir sollten uns noch mehr aufführen!"

"Sully …" So ganz wusste Taylor ja nicht, ob er lachen oder peinlich berührt sein sollte, weswegen er es dabei beließ den Kopf ein wenig zu senken und seinen Freund am Ärmel seiner Jacke wieder mit sich zu ziehen. "Du bist unmöglich."

"Na, was denn? Soll ich mich dafür schämen?"

"Sei nicht albern. Aber ein wenig Taktgefühl wäre wirklich angebracht."

"Papperlapapp. Die Straßen gehören jedem und wenn ich meinen Freund küssen will, dann mach ich das auch. Scheiße, selbst wenn ich Lust hätte durch die Straßen zu tanzen, hat das niemanden zu interessieren."

"Du bist ja so ein Rebell."

Abrupt blieb Sully stehen, zog ihn mit einem Ruck zu sich und begann allen ernstes mit ihm über den Bürgersteig zu tanzen. Mit einem verdammten Wiener Walzer! Im ersten Moment war Taylor zu überrascht, im zweiten kämpfte er gegen den aufkommenden Drehwurm, im nächsten musste er lachen. Das war so typisch Sully, dass man sich nicht einmal darüber aufregen könnte, wenn man wollen würde. "Spinner!", ließ er seinen Freund trotzdem wissen, was er von der ganzen Sache hielt. Nicht ohne sich dabei ein wenig enger an Sully zu schmiegen. Natürlich nur, damit sie nicht wieder jemanden anrempelten. Die Tatsache, dass die Leute ihnen freiwillig auswichen und sie allesamt ansahen, wie zwei pinke, frisch aus der Irren-Anstalt entlaufende Riesen-Flamingos, ignorierte Taylor dabei geflissentlich.

"Ich spinne nicht." Noch eine Drehung, mit der Sully ihn davor rettete eine unschöne Bekanntschaft mit der Bushaltestelle zu machen. "Ich genieße nur mein Leben. Wir könnten morgen schon tot sein. Oder im Knast!" Taylor spürte genau die leichte Vibration des Brustkorbs, als Sully kurz auflachte, und konnte sich selbst ein Grinsen nicht verkneifen.

"Ganz bestimmt, wenn es ein Gesetz dafür gibt, dass man nicht auf der Straße tanzen darf. Verdammt, wieso kannst du das überhaupt noch?"

"Du hast mich damals zu diesem absolut dämlichen Tanzkurs geschleppt. Nur wegen dem Abschlussball. Also beschwer dich nicht." Als sie an der Ecke ihrer Straße ankamen, ließ Sully endlich von ihm, wuschelte ihm durch die Haare und lief dann ganz brav neben ihm. Als wenn der Mann kein Wässerchen trüben könnte. Als ob! Das Gewässer Sulyvan Parker war verdammt tief und verdammt dreckig.

"Das war vor über zehn Jahren. Sonst vergisst du jeden Mist nach drei Sekunden. Besonders wenn es darum geht den Müll rauszubringen."

"Traumatische Erlebnisse bleiben einem eben im Gedächtnis."

"Amen." Mehr als zustimmen konnte man da einfach nicht. Deswegen beließ es Taylor auch dabei und kramte lieber den Schlüssel aus seiner Hosentasche, damit sie endlich nach Hause konnten. Der Abend war lang genug gewesen und wenn es nach ihm ging, dann würde er sich jetzt nur noch mit Sully ins Bett legen und heute gar nichts mehr machen, außer zu atmen. Das war auch anstrengend genug.

Darum schloss Taylor auch mit einem Seufzen die Tür hinter ihnen, sobald sie die Wohnung betraten, und atmete erleichtert aus. Sully hingegen machte weder einen erleichterten noch einen erschöpften Eindruck, sondern ging einfach weiter Richtung Wohnzimmer, aus dem deutlich die Geräusche des Fernsehers zu hören waren. "Hey, Dino, was läuft -"

"Pssst!" Mit zwei schnellen Schritten war Taylor bei seinem Freund angekommen und stieß ihn leicht in die Seite. "Dino schläft. Hat er vorhin schon, als ich losgegangen bin."

Ein wenig irritiert sah Sully zwischen ihm und dem schlafendem Bündel Mensch, was sich auf der Couch eingerollt hatte, hin und her, dann legte sich seine Stirn leicht in Falten und diesmal sprach er mit gesenkter Stimme. "Wie geht es ihm?"

"Es geht. Der Husten ist besser geworden, aber er fühlt sich immer noch ziemlich schlapp. Ich denke, er muss sich einfach gesund schlafen. Die Grippe ist ziemlich hartnäckig."

Verstehend nickte Sully, sah ihren Mitbewohner noch zwei Sekunden nachdenklich an und schlich dann auf leisen Sohlen zur Couch herüber. Die Decke, die Dino in der letzten Stunden anscheinend wieder von sich und auf den Boden getreten hatte, breitete er über den schlafenden Körper aus, bis fast nur noch die roten Haare darunter hervorlugten, durch die Sully sanf strich. Die Geste sah so ruhig und liebevoll aus, dass sie Taylor nur beim Zusehen tief berührte. Mit einem Lächeln lehnte er sich in den Türrahmen, sah dabei zu, wie sein Freund noch eine kleine Weile bei Dino hocken blieb, seine Stirn nach Fieber abfühlte und sicherging, dass er in Ruhe schlief. Es war vollkommen faszinierend. So wild und ungezähmt dieser Mann sein konnte, so ausgeprägt war auch seine ruhige und fürsorgliche Seite. Wenn Sully liebte, dann aus tiefstem Herzen und das merkte man in jeder Handlung und jedem Blick.

Deswegen ließ Taylor es sich auch nicht nehmen seinen Freund kurz, aber intensiv zu küssen, als dieser wieder aufgestanden und zu ihm gekommen war. "Wofür war das jetzt?"

Unbekümmert zuckte Taylor mit den Schultern. "Für deinen Charme oder deinen tollen Humor oder dein Talent im Bett. Such es dir aus!"

"Tz!" Wirklich gelingen tat es Sully nicht beleidigt auszusehen, aber das wollte er vermutlich auch gar nicht. "Wollen wir Dino lieber ins Bett bringen?"

Sofort schüttelte Taylor den Kopf. "Dann wird er wach. Lass ihn schlafen, er kann das gebrauchen."

"Na gut." Der spitzbübische Gesichtsausdruck, den Sully aufsetzte, ließ absolut nichts Gutes erahnen. "Dann können wir ja jetzt noch was Schönes machen."

Mit Mühe konnte Taylor es sich verkneifen laut zu fluchen und schaffte es nur, weil er Dino nicht wecken wollte. Den Fernseher ließen sie immer mit Absicht an, weil ihr Freund mit den leisen Hintergrundgeräuschen besser schlafen konnte, aber wenn man um ihn herum selbst zu laut war, dann saß er sofort aufrecht und war hellwach. Eine von vielen kleinen Merkwürdigkeiten, die Dino so ausmachten.

"Tu mir das nicht an, Sully. Du kannst doch jetzt noch unmöglich weg wollen. War der Abend nicht aufregend genug für dich?"

"Er könnte noch aufregender werden! Lass uns zum Nest gehen. Ich hab noch Gras und Whiskey."

Aufmerksam spitzte Taylor die Ohren und spürte eine Welle der Erleichterung in sich. Dazu konnte man ihn immer überreden und je länger er darüber nachdachte, umso besser gefiel ihm die Idee, weswegen er nach nur kurzem Zögern nickte. "Gib mir zwei Minuten, ich hol noch eben die Decken."

 

 

Der kühle Wind kitzelte seine Nase und Sully hob eine Hand, um sich dort zu kratzen. Hier oben auf dem Dach des Hauses kam es ihm immer ein paar Grad kälter vor als es tatsächlich war, aber er mochte das. Der Plattenbau war hoch genug, sodass man hier kaum den Lärm der Straße hören konnte, und die Kühle bildete einen angenehmen Kontrast zu dem warmen Körper seines Freundes. Der Alkohol in seinem Magen tat sein Übriges, damit die Temperaturen nicht unangenehm wurden, und gerade fühlte er sich verdammt gut und entspannt.

"Ich verstehe nicht, wieso manche Leute Unmengen an Kohle für einen schicken Dachgarten ausgeben, den sie meistens eh nicht benutzen, weil sie auf irgendwelchen Reisen in der Karibik sind. Erklär mir das mal." Fragend sah Sully seine bessere Hälfte von unten herauf an. Den Kopf hatte er auf Taylors Bauch abgelegt und beobachtete, wie der Rauch das Gesicht seines Freundes vernebelte, nachdem dieser einen Zug vom Joint genommen hatte.

"Will ich wissen, wie zur Hölle du jetzt auf so einen Mist kommst?" Anscheinend war das eine rhetorische Frage, denn Taylor schüttelte selbst leicht den Kopf, reichte den Joint an ihn weiter und legte dann ein nachdenkliches Gesicht auf. "Ich weiß nicht. Als Statussymbol?"

"Was soll das denn bitte aussagen?"

"Keine Ahnung? Dass sie Geld haben?"

"Was bringt ihnen das? Ich würde unser Nest für keinen verdammten Dachgarten der Welt aufgeben." Die paar Decken, auf denen sie es sich hier ab und an bequem machten, konnten vielleicht nicht mit einem Sofa oder einer Hollywood-Schaukel mithalten, aber es war trotzdem einer seiner liebsten Orte. Gerade im Sommer hatte er hier schon etliche Stunden mit Dino und Taylor verbracht, so viel gelacht, wie manch andere Menschen in ihrem ganzen Leben nicht. Nein, das würde er wirklich für nichts auf der Welt eintauschen und schon gar nicht für so etwas banales wie Geld.

"Sollst du ja auch gar nicht, Spinner." Ruhig fing Taylor an ihm übers Gesicht zu streicheln, was ihm ein leises Seufzen entlockte. Sofort schloss Sully die Augen, streckte sich der Berührung entgegen und war gerade völlig zufrieden mit der Welt. Ungefähr eine Minute lang, dann verzog er bei den nächsten Worten seines Freundes missmutig das Gesicht. "Du solltest trotzdem besser auf dich aufpassen."

"Das sagst du ständig."

"Wenn du nicht dauernd Mist bauen würdest, dann müsste ich dir das auch nicht ständig sagen." Mit einem feinen Grinsen schnipste der Arsch ihm gegen die Nase und klaubte ihm dann wieder den Joint aus der Hand. Fies. So fies!

"Ich mache überhaupt gar nichst, sondern werde nur permanent missverstanden. Die scheiß Bullen vorhin haben mir zum Beispiel nicht einmal richtig zugehört!"

"Du warst sich auch unglaublich höflich und nett, nicht wahr? Hast nicht mit wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen um dich geschmissen."

Manchmal glaubte Sully, dass es nicht unbedingt von Vorteil war, wenn sein Freund einen so gut kannte. Jetzt war einer dieser Momente. "Das tut überhaupt nichts zur Sache! Selbst wenn ich lieb Bitte gesagt hätte, dann hätte mir immer noch keiner zugehört!"

"Habe ich heute schon erwähnt, dass du unmöglich bist?"

"So ungefähr eine Million Mal und jetzt nimm mich ernst." Mit Schwung stand Sully auf, griff dabei nach der Whiskey-Flasche und ging ein paar Schritte hin und her. Bewegung war das beste Mittel, wenn er sich aufregte. "Wenn die Idioten einfach mal zuhören oder Fragen stellen würden, bevor sie einen einbuchten, dann könnten sie sich das Ganze sparen!"

Das plötzliche Lachen war nicht unbedingt aufbauend und brachte Taylor einen bösen Blick ein.

"Was ist daran bitte jetzt so komisch?"

"Du!" Mit einem Grinsen setzte der andere Mann sich aufrecht hin, drückte den Joint am Boden aus und legte die Unterarme auf seinen Knien ab. "Du bist der Letzte, der erst Fragen stellt, bevor er sich ein Urteil bildet. Wenn man nach deinen Kriterien geht, dann wärst du der perfekte Polizist!"

"Vergiss es!" Laut schnaubte Sully aus und schüttelte so demonstrativ den Kopf, dass ihm ein wenig schwindelig davon wurde. "Niemals, nie. Nicht einmal unter Folter. Auf gar keinen Fall unterstütze ich den scheiß auch noch." Ein zu kräftiger Schluck, brennendes Gefühl in der Kehle, bitterer Nachgeschmack auf der Zunge. "Fuck the police!"

"Sully …"

"Nein! Ernsthaft!" Sully legte den Kopf in den Nacken, streckte die Arme nach beiden Seiten aus und schrie es in den Nachthimmel. "Fuck the fucking police! Das kann ruhig jeder wissen!"

Wieder ein leises Lachen, diesmal eine ganze Spur sanfter. "Fuck me! Das klingt definitiv besser."

Oh, das würde er sich ganz bestimmt nicht zweimal sagen lassen! Trotzdem nahm Sully vorher noch einen Schluck, bevor er wieder zu seinem Freund ging und auf ihn hinab sah. "Gibt es da etwas, was du mir sagen willst? Geheime Fetische? Rollenspiel-Fantasien?"

Skeptisch musterte Taylor ihn, wobei seine Mundwinkel verdächtig zuckten. "Ich glaube, es gäbe nichts, was mich mehr abtörnen würde, als wenn du ein Polizist wärst."

"Ach, komm schon! Ich würde fantastisch aussehen in einer Uniform."

"Du siehst auch jetzt fantastisch aus." Bevor Sully auch nur blinzeln konnte, hatte der andere Mann die Finger unter seinen Gürtel gehakt und zog ihn mit einem Ruck zu sich. Hart krachten ihre Körper aufeinander, doch Sully war weit davon entfernt sich zu beschweren. Sehr weit.

Stattdessen nutzte er die plötzliche Nähe aus, um die Lippen seines Freundes zu einem Kuss einzufangen. Das zufriedene Seufzen konnte er nicht nur hören, sondern förmlich auf seiner Zunge schmecken. Hände, die seine Haare zerwühlten, Beine, zwischen denen er es sich bequem machen konnte, der vertraute Körper, an den er sich schmiegen durfte und den er in- und auswendig kannte. Mehr brauchte es nicht, um Sullys kleine Welt zu perfektionieren.

"Also keine versauten Rollenspiele?", konnte er es sich trotzdem nicht verkneifen zwischen zwei Küssen nachzufragen, was Taylor ein kurzes Lachen entlockte. Die Finger wanderten durch seine Haare in den Nacken, kraulten ihn dort und Sully konnte gar nicht anders, als ein zufriedenes Brummen von sich zu geben, während er sich über den Hals seines Freundes küsste.

"Keine Rollenspiele."

"Warum nicht?" Ein wenig stützte Sully sich am Boden ab, um dem anderen Mann ins Gesicht sehen zu können. Taylor war so oder so ein schöner Mensch, aber jetzt, mit den leicht zerzausten Haaren und den vom Alkohol geröteten Wangen, gehörte es fast schon verboten. Der Anblick löste in Sully den Impuls aus in seinen Freund reinzukriechen, so nah wollte er ihm sein.

"Sag ich dir nicht, du lachst mich aus und es ist zu kitschig."

Seine Augenbraue zog sich von alleine in die Höhe und den neugierigen Blick konnte Sully ebenfalls nicht zurückhalten. "Du bist der Erste, der bei der Filmauswahl im Kino nach einem Action-Film verlangt, Blumen sind für dich nur nicht essbares Gemüse, Amor braucht deiner Meinung nach eine Therapie, -"

"Das ist ein fetter Mann in Windeln!", unterbrach ihn Taylor voller Inbrunst. "Natürlich braucht der Kerl eine Therapie!"

Sully grinste, nickte aber nur, um mit seiner Liste weitermachen zu können. "Bei Liebesliedern stellst du sofort den Sender im Radio um und du bist der festen Überzeugung, dass der Valentinstag nur erfunden wurde, weil Folter illegal ist. Ich glaube, du kannst nicht einmal kitschig sein, wenn du wollen würdest!"

"Ich bin mir noch nicht sicher, ob du mich gerade beleidigt oder mir ein Kompliment gemacht hast."

"Weich nicht aus! Warum keine Rollenspiele?"

Ein paar Sekunden sah Taylor ihn weiterhin skeptisch an, wobei Sullys sein Gesicht in beide Hände nahm und geistesabwesend mit dem Daumen über die Wangen strich. Dann seufzte er leise. "Weil ich mit niemand anderen Sex haben will. Nicht einmal in meiner Fantasie. Ein Rollenspiel kann für mich also nie so aufregend sein, wie mit dir zu schlafen."

Überrascht hob Sully auch die zweite Augenbraue. Das war nicht wirklich die Antwort, mit der er gerechnet hatte. Nicht einmal im Ansatz. Gerade deswegen freute sie ihn aber noch mehr. "Du hast Recht, das ist kitschig."

"Arschloch!" Kräftig schlug Taylor ihm gegen die Brust, doch Sully machte sich aus Prinzip nur noch ein wenig schwerer und kuschelte sich demonstrativ an seinen Freund.

"Hör auf so brutal zu sein. Ich liebe dich trotzdem. Auch wenn du ein kitschiger, schnulziger Schlumpf bist."

"Du laberst nur Scheiße, wenn du geraucht hast, weißt du das eigentlich?"

"Kann sein. Das macht es aber nicht weniger wahr."

Zugegeben, der leichte Schlag auf den Rücken war vermutlich gerechtfertigt, weswegen Sully auch gar nicht erst zu einem Protest ansetzte, sondern sich lieber damit begnügte Taylor noch einmal zu küssen, wobei er die Stirn dann gegen die seines Freundes lehnte. Das leise Brummen brachte ihn zum Lächeln und als Taylor ihn noch ein Stück näher zu sich zog, war Sully sich vollkommen sicher, dass der Abend trotz seines unfreiwilligen Aufenthalts auf dem Revier einer sein würde, an den er sich später noch mit Freuden zurückerinnern würde.

 

 

 

Impressum

Texte: Seth Ratio
Bildmaterialien: Sam Maxwell, Seth Ratio
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /