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Bedächtig schreite ich noch einmal durch die Zimmer meiner kleinen Wohnung, lasse meinen Blick über die Schatten wandern, die an der Wand zu kleben scheinen. Unbeweglich, starr, dunkel. Worte, die es perfekt beschreiben. Das Bett, schmal. Die Laken, weiß und kalt. Die Bilderrahmen, aus denen mir immer noch die perfekten Familien entgegen sehen, voller Optimismus, Lebensfreude. Aber eben doch nur eine Lüge, denn so ist es im Leben nun einmal. Es wirkt alles so fremd hier. In der Wohnung, in der ich jahrelang gelebt habe. Gelebt? Ein wahrer Euphemismus. Aber doch schon etwas Alltägliches, wie die Menschen immer versuchen, alles schön zu reden, wie sie es einfach nicht wahr haben wollen. Krampfhaft so tun, als wäre alles in Ordnung. Sich die Hilflosigkeit nicht eingestehen zu wollen. So bin ich nicht. Sicherlich gibt es dann noch die Menschen, die es wirklich so erleben, die in jedem noch so riesigen Problem meinen, einen Sinn entdecken zu können. Für Außenstehende oft bei den Haaren herbeigezogen, für sie selbst eine Offenbarung, die Wahrheit, … ein Grund. Ein Grund, es genau so weiter zu führen, wie bisher. Und so schön das auch sein mag, ein solcher Mensch zu sein, so bin ich auch nicht. Wie bin ich dann? Der Kalender in der Küche zeigt mir an, dass es Mai ist, obwohl wir schon längst November haben. Ein grauer, verregneter Novembertag, das bestätigt mir auch ein Blick aus dem Fenster. Die Rollläden zu zwei Dritteln heruntergelassen. Aber Zeit spielt für mich schon längst keine Rolle mehr. Was für mich eine Rolle spielt? Ich schließe die Augen und trotzdem sehe ich die gestapelten Teller in der Spüle. Erinnere mich an die Momente, in denen ich von ihnen gegessen habe. Alleine. Ob es geschmeckt hat? Längst kenne ich das alles auswendig. Und als ich die Augen öffne, sehe ich dasselbe. Die Dunkelheit, welche mich Tag für Tag begleitet. Die Uhr tickt, aber der Zeiger springt lediglich von der Drei auf die Vier und wieder zurück. Seit Ewigkeiten. Aber es kümmert mich nicht, denn wie gesagt, Zeit spielt für mich keine Rolle. Den Blick auf die Haustür gerichtet schreite ich aus der Küche. Das ist wohl die Ironie des Lebens. Eine Tür, symbolisch für den Zugang zu etwas Neuem. Und auf dem Weg zu etwas Neuem bin ich in der Tat. Ein leises Lachen erklingt aus meiner Kehle. Wenige Sekunden später stehe ich auf der anderen Seite und drehe den Schlüssel im Schloss herum. Warum ich das überhaupt noch tue? Aus Gewohnheit vielleicht. Mit den Händen in den Jackentaschen laufe ich die beinahe menschenleere Straße entlang. Einen Jogger und eine Frau, die mit ihrem Hund spazieren geht, bemerke ich auf dem Weg zur Hauptstraße. Aber auch sie spielen keine Rolle. Nicht heute, nicht hier, nicht für mich. In meiner Welt. Auch auf der wesentlich belebteren Hauptstraße gleiten die Menschen an mir vorbei, ohne wirklich zu mir vorzudringen. Denn ich bin alleine. Ich beschleunige meine Schritte, ich will es endlich. Ankommen. Atemlos erreiche ich das Gebäude. Ein weiterer Ort der Dunkelheit. Hier arbeite ich. Habe ich gearbeitet. In was für einem Beruf? Mit ruhigen Händen schließe ich auf. Wieder eine Tür. Denn ihr wisst ja, wohin ich unterwegs bin. Seltsam, wie ruhig ich bin. Aber so ist das nun einmal, wenn man nicht zu einer der ersten beiden Sorten von Menschen gehört. Wenn ich jetzt nervös wäre, dann wäre es vielleicht falsch, was ich vorhabe. Im Gegenzug jedoch erscheint mir alles andere falsch. Alles um mich herum. Ich lasse mich nicht ablenken, ich schreite voran. Geradeaus. Erklimme die vielen Treppenstufen. Der Aufzug ist so spät abends natürlich abgestellt, denn die Mitarbeiter genießen jetzt ihren Feierabend. Während ich gerade erst meine Schicht antrete. Ich, ein Mensch der Dunkelheit. Aber ich bevorzuge sowieso die Treppen, spielt Zeit für mich doch keine Rolle. Lächelnd öffne ich die letzte Tür. Langsam geht mir die unterschwellige Bedeutung dieser Türen doch auf den Geist. Ich bin da. Endlich. Es ist kalt. Ich schlinge mir die Arme um den Oberkörper, blicke in die Ferne. In die Dunkelheit. Hinab. Plötzlich erklingt hinter mir ein Geräusch. Aus Instinkt, ich bin ja auch nur Mensch, drehe ich mich um. Sehe eine Frau auf mich zu stürzen, mit erschrockenem Gesicht. Blicke in ein helles Licht. Eine Taschenlampe. Und mir wird in diesem Bruchteil einer Sekunde bewusst, es war nicht zu spät, das war es niemals. Denn es war mein Fehler, dass ich zwar die Türen, aber nicht das Licht gesehen habe. Doch ich falle. Höre den markerschütternden Schrei der Frau durch die Stille dringen. Bevor mich die Dunkelheit umgibt, für immer in sich aufnimmt.

Impressum

Texte: © by mysticmango (Cover & Text)
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für dich.

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