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Zitat

  

 Erst im Unglück weiß man wahrhaft, wer man ist.

Übrig bleibt nur mein Blut. Nehmt es, doch lasst mich nicht lange leiden.

Marie Antoinette

Prolog

 

 

 

Frühjahr 1810, Rumänien

 

Marie Élisabeth Princesse de Serdaine

Nachts, Schloss Friedrichshof

 

Eine tobende Menge. Geschrei. Ein Blutgerüst. Das Fallbeil fällt. Die Menge kreischt. Blut. Überall Blut. Schweißnass und schwer atmend wache ich auf. Es sind immer dieselben Träume. Immer und immer wieder. Ich erlebe die Revolution von 1789 in unzähligen Nächten und spüre die Furcht der Menschen, als wäre ich selbst dabei gewesen. Doch ich kam erst im September 1794 in Preußen zur Welt, dem Jahr, in dem die Terrorherrschaft ihr Ende fand. Ein Ende, das ebenso blutig gewesen war, wie sein Anfang. Mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatte es zu dieser Zeit schon längst nichts mehr zu tun gehabt. Ein falsches Wort, ein falscher Schritt schon war man Gefahr gelaufen mit Madame la Guillotine Bekanntschaft zu machen. Und nicht mehr nur der Adel und Klerus waren verfolgt und vernichtet worden. Man hatte auch begonnen in den eigenen Reihen auszusieben: im Nationalkonvent. Was schlussendlich dazu geführt hatte, dass sich die „demokratische“ Diktatur selbst zugrunde gerichtet hatte. In meinen jungen Augen hatte die Gerechtigkeit damit gesiegt, denn die Königsmörder hatten, nach nur wenigen Jahren des Triumphs, ihre verdiente Strafe bekommen. Und die Menschen konnten allmählich wieder aufatmen.
Ich verstand nicht, warum mich diese Alpträume plagten. Mutter und Vater sprachen nie über diese Zeit. Und meine Geschwister ebenso wenig. Es verlor generell niemand ein Wort über diese Jahre des Schreckens. Aber ich spürte die Angst meiner Familie. War es möglicherweise die Angst, dass sich derartiges wiederholen könnte? Ich wusste es nicht – und zu fragen wagte ich nicht. Allerdings wuchs mit jedem Traum das leise Gefühl, dass diese Familie ein Geheimnis hütete. Ein großes so­gar. Das Totschweigen der damaligen Ereignisse, die Zurückgezogenheit. Das alles erschien mir merkwürdig. Aber denkbarerweise konnte ich mich auch täuschen und das Verhalten war – nach den vormaligen Geschehnissen – selbstverständlich. Ob ich jemals erfahren würde, was meine Familie erlebt hatte? Gegenwärtig musste ich mich mit den Geschichtsbüchern zu Frieden geben.
Seitdem ich das erste Mal von Marie Antoinette, der damaligen französischen Königin, gehört hatte, faszinierte mich diese Zeit auf absonderliche Weise. Es war im Herbst letzten Jahres gewesen, als ich im Zimmer meiner Mutter nach einem Buch suchte, das sie mir zur Strafe entzogen hatte. Auf dieser Suche war mir ein kleines Porträt in die Hände gefallen, welches meine gesamte Aufmerk­samkeit auf sich zog. Meine Mutter, die inzwischen den Raum betreten hatte, bemerkte ich gar nicht.
„Was machst du da, mein Kind?“, fragte sie überrascht.
„Maman!“, rief ich erschrocken aus. Sie war früher aus Hermannstadt zurückgekehrt, als ich erwar­tet hatte. Um von meinem unerlaubten Eindringen in ihre Räumlichkeiten abzulenken, stellte ich ihr eine Gegenfrage: ,,Wieso versteckt Ihr das Bild in Eurem Sekretär?“
„Ich verstecke es nicht. Ich hüte es nur sehr gut, weil es mir unendlich viel bedeutet.“ Große Trauer lag in ihrer Stimme.
„Wer ist diese Dame?“, fragte ich und deutete auf das kleine Porträt. Mir war sie nie zuvor begeg­net. Sie war hübsch.
Meine Mutter nahm mir die Miniatur aus der Hand. „Das ist Marie Antoinette d'Autriche Reine de France et Navarra, die letzte wahre Königin Frankreichs. Sie wurde von ihrem eigenen Volk zum Tode verurteilt und durch die Guillotine hingerichtet“, erwiderte sie bitter. „Sie war mir eine wundervolle Freundin und ich hoffe sehr, dass ich ihr eine ebenso gute war.“

Teil 1

 

 

 

Juni 1784, Frankreich

 

Viktorija Elisabeth von Krolock Prinzessin von Rumänien
     05. Juni – Nachmittags, Île-de-France

 

„Sind wir bald da? Mir ist schon ganz schlecht von dem Geschaukel!“
„Morgen, Viktorija, morgen...“
„Dann sag dem Kutscher, er soll schneller fahren!“
Genervt klopfte Ana mit ihrem Fächer gegen die Kutschwand. Kurz darauf war das Knallen der Peitsche zu vernehmen. Mir graute es vor der Rückreise; es nahm mir die ganze Freunde…in Her­rendorf konnte ich es kaum erwarten Sarah in Frankreich zu besuchen – doch jetzt? Zerstreuung, Vika, Zerstreuung. Ich schaute mir meine Umgebung an. Die Kutsche, eine der prächtigsten unserer Reisekutschen, war im Inneren prunkvoll und bequem ausgestattet: gepolsterte Sitze aus hellblauem Damast mit goldene Verzierungen. Decke, Wände und Vorhänge waren ebenfalls aus demselben Stoff. Dieses sonst beruhigende blau wirkte, nach beinahe drei Wochen nicht enden wollender Fahrt, inzwischen doch eher erdrückend. Zudem war es heiß und stickig in der Kutsche, denn seit Stunden schien die französische Sonne von einem wolkenlosen Himmel auf uns herab.
Ein Glück, dass seit der letzten Rast, am späten Vormittag, keine unserer Hofdamen in unserem Wa­gen mitfuhr. Die Ehrendamen meiner älteren Schwester Ana und meiner Cousine Antonia empfand ich wenig unterhaltsam. Sie waren für meinen Geschmack zu schweigsam. Komtess von Kornis, die Hofdame meiner Schwester, war recht dürr und groß, wodurch sie noch schmaler wirkte. Ihre grau­en Augen lagen so tief, dass sie die ganze Zeit über aussah, als würde sie nie schlafen. Außerdem waren ihre hohen Wangen oft viel zu rot geschminkt. Antonias junge Hofdame, Komtess von Báthory, deren Bruder der Kammerherr meines ältesten Bruders war, war nicht ganz so hager. Ihre Nase war klein, wodurch ihr Mund verhältnismäßig groß erschien. Komtess von Arco, meine Hof­dame, versuchte mit Puder und Rouge ein paar Pockennarben zu verstecken. Sie war eine kinderlo­se Witwe, die doppelt so alt war wie ich und wusste stets von neusten Geschehnissen zu berichten. Als ich vor einem Jahr das heiratsfähige Alter erlangt hatte, war sie in meinen Dienst getreten. Ge­meinsam gaben diese drei rumänischen Gräfinnen ein lustiges Bild ab, ich musste grinsen.
„Was erheitert dich, Vika?“, fragte Ana.
„Ich dachte an früher, wie wir im Park mit unseren Brüdern spielten“, log ich.
„Und dran erinnerst du dich noch? Warst doch noch so klein damals.“
Schon war es wieder still, wir redeten nicht viel seit wir aufgebrochen waren. Lag wohl an der lan­gen Reise. Hin und wieder spielten wir Karten, aber auch das wurde auf Dauer öde. Ana schaute wieder aus dem Fenster. Ein erwartungsvolles Lächeln umspielte ihren Mund, während Antonia schlief. Wie konnte sie bei dem Geschaukel nur so friedlich schlafen? Beneidenswert. Müde war ich allerdings auch, allzu gut schlief es sich in der Kutsche nämlich nicht und nur selten lag auf unserer Reisestrecke ein Schloss oder Landsitz, wo wir um Unterkunft für eine Nacht hätten fragen können. Gasthäuser kamen für uns nicht infrage. Ich lehnte mich zurück und schloss für einen Moment die Augen.
„Vika, Antonia, aufwachen! Die Pferd brauchen eine Pause. Wir erfrischen uns ein wenig und dann geht es weiter.“
„Wo sind wir denn?“, fragte Antonia schlaftrunken.
Ich musste wohl doch eingeschlafen sein; ich wollte die Augen nicht öffnen, ich war noch viel zu müde.
„Bis Versailles ist es gar nicht mehr so weit, wie wir dachten. Wahrscheinlich treffen wir bereits heute Nacht ein“, antwortete Ana.
Jetzt war ich hellwach. „Gott, da bin ich aber froh!“ Die Aussicht, dass das Geschaukel schon so bald ein Ende haben würde, ließ mich aufatmen. Wir stiegen aus und die Tatsache wieder festen Bo­den unter den Füßen zu haben, erleichterte mich ungemein.
Draußen wehte ein leichte Brise, die nach der Hitze in der Kutsche äußerst angenehm war. Ein Gasthaus mit Poststation befand sich in dem kleinen Dorf, in dem wir gehalten hatten; die Bewoh­ner betrachteten uns neugierig. Hier schienen wohl nicht allzu oft Adlige vorbei zu kommen. Es lohnte sich auch nicht, denn außer Weizenfeldern und Apfelbäumen gab es auch nicht viel, dachte ich abschätzig.
„Hinter dem Wald dort drüben liegt irgendwo Versailles, wenn wir durch ihn hindurch sind, müssten wir die Stadt von weitem erahnen können.“
„Woher willst du das wissen, Antonia?“, fragte ich neugierig.
„Ich habe die Kleine dort drüben gefragt“, sie deutete auf ein Bauernmädchen mit blonden Zöpfen und von der Feldarbeit gebräuntem Gesicht.
„Schäm' dich, Antonia, wenn deine Mutter mit wäre, müsstest du dir jetzt eine Predigt anhören, warum ein Mädchen von deinem Stand nicht mit wildfremden Bauern redet“, mahnte Ana.
„Dann habe ich aber Glück, dass die in Herrenstadt geblieben ist“, lachte sie.
Ich mochte Antonias Lachen. Es passte zu ihr, zu ihrer hellen klaren Stimme. Es passte zu ihrer ge­samten Erscheinung. Antonia war klein und zierlich; sie hatte Augen, die so blau waren, dass man glaubte in ihnen zu ertrinken, dass man alle Gedanken vergaß, an die man grade noch dachte. Sie hatte ein rundes Gesicht mit feinen Gesichtszügen, das von goldblonden Korkenzieherlocken eingerahmt wurde. Ihre Haut war blass, beinahe porzellanartig. Ein rundum feenhaftes Erschei­nungsbild: feine symmetrische Züge, zierlicher Körper, Porzellan-Teint. Die Herren konnten die Augen nicht von ihr lassen und die Damen beneideten sie um Aussehen, Anmut und Aufmerksam­keit.
Während der kleinen Mahlzeit, die wir im Gasthaus einnahmen, waren wir genauso schweigsam, wie an den anderen Tagen auch. Was hätten wir uns auch erzählen sollen? Wir hatten die letzten Wochen ja gemeinsam in einer Kutsche gesessen. Wenn man von den drei Achsbrüchen absah, war nicht viel passiert – um genau zu sein gar nichts.
Ana stocherte in ihrem Essen herum und blickte verträumt auf ihren Teller. Meine Schwester war zu beneiden, sie wurde jedes Jahr ein- bis zweimal von der französischen Königin nach Versailles ein­geladen. Sie ging auf Bälle und Soupers der hochrangigen Pariser Gesellschaft, besuchte die Pariser Oper und unsere Schwester Sarah Amalie in ihrem Stadthaus, dem Palais Royal. Sarah war 1781 mit Louis Philippe Duc de Chartres, dem Sohn des Herzog von Orléans und Vetter von Louis XVI., getraut worden. Es hieß, dass er den König und vor allem die Königin verachtete, daher würden wir ihn in Versailles wohl nicht antreffen.
Antonia hatte ebenfalls keinen Hunger, sie wollte lieber die frische Landluft genießen und ein we­nig lustwandeln, wie sie sagte. Florim von Károlyi, ein junger Offizier unserer kleinen Leibgarde, begleitete sie. Mein Vater hatte einige seiner Leibgardisten für unseren Schutz abstellen lassen. Károlyi war der jüngste Sohn eines Freiherren, welcher ihm bereits im Alter von zwölf Jahren ein Offizierspatent kaufte. Ob ihm ihr träumerischer Blick galt? Hübsch anzusehen war er: Florim von Károlyi hatte ein hübsches Gesicht mit edler gerader Nase und spitzem Kinn, haselnussbraune Haa­re und kristallblaue Augen.
Als wir kurze Zeit später wieder in der Kutsche saßen, betrachtete ich die an uns vorbeiziehende Landschaft aus Feldern und Wäldern. Antonia und ich waren zum ersten Mal soweit von unserer Heimat entfernt. Ana war im Jahre 1781 zum ersten Mal nach Versailles gereist. Während der ge­samten Kutschfahrt wirkte sie so befreit, wie seit langem nicht mehr. Mir schien, als läge es an der Abwesenheit ihres Gemahls, denn ihre Ehe mit dem gefühlskalten Herzog von Kürthy galt als sehr unglücklich. Ich war besorgt, dass meine Ehe ebenso unglücklich werden könnte. Im November letzten Jahres hatte Erbprinz Timotheus Ludwig von Bruckberg bei meinem Vater um meine Hand angehalten. Seine Schwestern waren mit meinen älteren Brüdern vermählt. Der Prinz hatte mir sehr zugeneigt gewirkt, doch ich machte mir keine Illusionen. Wir kannten uns schließlich kaum und selbst wenn, wäre es kein Garant für eine glückliche Ehe. Darum ging es im Grunde auch gar nicht. Meine Aufgabe war es, meinem Hause Ehre zu mache, standesgemäß zu heiraten und möglichst vielen gesunden Knaben das Leben zu schenken.
Beim Gedanken an meine Vermählung überkam mich ein unruhiges Gefühl, ich wusste nicht, was mich am Bruckberger Hof – hunderte Meilen von meiner Familie entfernt – erwarten würde und mein zukünftiger Gemahl war beinahe zehn Jahre älter als ich.
Meine Cousine Sophie Alexandrine hatte 1780 den Erbprinzen Ludwig Alexander geehelicht, der ein Cousin von Timotheus Ludwig war. Die eher kleinen Herzogtümer Bruckberg und Treist lagen innerhalb des Kurfürstentums Bayern und besaßen ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem bayri­schen Kurfürsten, denn im Kriegsfall wären sie kaum in der Lage ihre Herzogtümer zu schützen. Dazu waren ihre Heere schlicht zu klein. Glücklicherweise waren ihre Besitzungen auch nicht weit von­einander entfernt, sodass ich Alexandrine bald wieder häufiger sehen würde. Dies freute mich sehr, weil mir ihre Gesellschaft in den letzten Jahren gefehlt hatte und ich hoffte, mich dann nicht ganz so einsam in dem fremden Land zu fühlen. Rudolph von Rittershaus, der zukünftige Gemahl ihrer jün­geren Schwester, Amalie Marika, kam ebenfalls aus dieser Gegend. Das kleine Herzogtum Ritters­haus lag nicht ganz so nah an Bruckberg wie Treist, aber dennoch würden wir uns des Öfteren sehen können. Ich war darüber hocherfreut, denn als meine engste Vertraute würde sie mir sonst arg feh­len.

 


Ana Luise von Krolock Herzogin von Kürthy
05. Juni – Abends, Schloss Versailles

 

Bald nach Mitternacht kamen unsere Kutschen in Versailles an. Wir wurden vom Oberhofmarschall, der – wie wir – recht müde schien und einigen Hofbediensteten in Empfang genommen. Er richtete im Namen des Königs einige huldvolle Begrüßungsworte an uns, bevor wir zu den uns zugeteilten Gästeappartements geführt wurden. Ich sah sicher sehr erschöpft von der langen Reise aus, weshalb ich erleichtert war, keinem meines Standes zu begegnen. Die meisten Adligen befanden sich zu die­ser Uhrzeit in den Salles des jeu und widmeten ihre Zeit dem Glücksspiel und anderen Vergnügun­gen.
Der König, Louis XVI., teilte mir bei jedem Besuch die über seinen Gemächern liegende Wohnung zu. Es war seit meinem ersten Aufenthalt der Wunsch der Königin Marie Antoinette, denn es waren die einzigen freien Appartements in ihrer Nähe. Schon während der Zeit der Brieffreundschaft, die ich meinem älteren Bruder Friedrich zu verdanken hatte, fühlte ich mich Marie Antoinette sehr ver­bunden. Ich war über alle Maßen erfreut, dass diese freundschaftliche Zuneigung auf Gegenseitig­keit stieß.
Die Wohnung gehörte zu den größeren, die es in Versailles für Angehörige des Hofes gab und war dementsprechend beliebt. Einigen Höflingen missfiel es daher, dass die Königin dieses Appartement für eine ausländische Prinzessin beanspruchte, doch der König konnte seiner Frau nur selten einen Wunsch ausschlagen. Allerdings hatte er in diesem Falle auch ein eigenes Interesse daran, dass ich diese Gemächer bewohnte. Da die Wohnung für gewöhnlich nur ein Schlafzimmer beherbergte, wa­ren in den anderen beiden großen Zimmern, die sonst als Salon und Speisezimmer dienten, zusätzli­che Betten aufgestellt worden.
Während Antonia – die Augen verdrehend – Viktorijas Monolog, warum ihr das größere Zimmer zustand, über sich ergehen ließ, wählte ich das am nächsten zur Tür gelegene. Die beiden sollten nicht hören, dass ich mich nachts davonstahl. Ich schloss die Tür hinter mir und genoß einen kurzen Moment der Einsamkeit. Nach einer derart langen Reise, war es nötig etwas Abstand nehmen zu können, denn zu viel Gesellschaft war nicht immer förderlich. Jedoch umfasste dies nicht die Ge­sellschaft eines gewissen Mannes, ihm wollte ich jederzeit nahe sein. Bedauerlicherweise war es aber unmöglich. Wir mussten uns mit dem zufrieden geben, was wir hatten: die begrenzten nächtli­chen Stunden, wenn ich zu Besuch in Versailles war. Dann konnten wir beisammen sein, zwar heimlich, aber wir hatten uns und unsere Liebe. Das genügte. Meistens. Doch manchmal wünschte ich mir eben mehr, aber Louis war mit Marie Antoinette verheiratet und auch ich trug, den mir ver­hassten Ring am Finger, der mich an einen ebenso verhassten Mann band. Ein wenig beneidete ich die beiden um die freundschaftliche Beziehung, die in den vierzehn Jahren Ehe zwischen ihnen ge­wachsen war.
Ich verfluchte meinen Vater für diese Verbindung mit dem Herzog von Kürthy. Wäre sie wenigstens von dynastischen Nutzen gewesen und ich Gemahlin eines regierenden Fürsten oder Mitglied einer anderen Königsfamilie geworden, wie meine jüngeren Schwestern Sarah und Viktorija, hätte ich diese Bürde demütig ertragen. Aber ich war lediglich an den Lieblingsoffizier meines Vaters ver­schachert worden, weil ich in dem Moment, als er eine neue Frau suchte, heiratsfähig geworden war.
Wie hatte er sein eigen Fleisch und Blut diesem gefühlskaltem Trunkenbold anvertrauen können? War er dem Herzog zu ähnlich, um dies klar zu sehen? Oder waren wir für ihn tatsächlich nichts weiter als Schachfiguren, wie mein ältester Bruder Herbert zu sagen pflegte? Mit Gewissheit wusste ich nur, dass ich seit dem Tag meiner Verlobung insgeheim hinterfragte, dass Familie und Dynastie über den persönlichen Interessen zu stehen hatten. Es war ein Grundsatz unserer aristokratischen Erziehung, weshalb ich nie wirklichen Widerstand gewagt hatte. Meinen Vater hätte jedoch auch kein Flehen erweichen können. Nun war es jedenfalls nicht mehr zu ändern, die Ehe war bereits lan­ge vollzogen...
Ich schob die trüben Gedanken beiseite, denn schließlich konnte ich dem Herzog wieder eine Zeit lang entfliehen. Ein Grund zur Freude, die ich Marie Antoinette verdankte. Vor drei Jahren hatte sie mich zum erstmals an den Hof eingeladen, seitdem besuchte ich sie ein bis zwei Mal jährlich in Versailles. Ich mochte und schätzte die Königin sehr, nicht allein weil ich dadurch Louis kennenge­lernt hatte, sondern auch da sie mir eine treue und sehr gute Freundin war, deren Meinungen und Ansichten ich sehr ernst nahm. Auf der einen Seite tat es mir daher Weh, sie mit ihrem Mann zu hintergehen, aber auf der anderen Seite war ich gegen meine Gefühle zu Louis wehrlos, gar macht­los. Nicht nur ich, sondern auch Louis sehnte sich nach dieser einen Art von Liebe, die eine Ehe, je­denfalls in den seltenen glücklichen Fällen, mit sich brachte oder bringen sollte. In unseren Stand kam dies zwar nicht oft vor, doch insgeheim sehnt sich jeder Mensch danach. Für mich machte es deshalb auch wenig Sinn, eine Ehe nur nach politischen und dynastischen Nutzen zu schließen. Es brachte in meinen Augen häufig nur Leid und Unglück. Und das nützte niemanden; ich hatte das am eigenen Leib erfahren.
Mariá, meine erste Zofe kam, um mir beim Auskleiden behilflich zu sein. Zuerst nahm sie mir den Schmuck ab, dann kam das Kleid an die Reihe: Es war vorne mithilfe von Nadeln geschlossen, die den Stecker mit dem Manteau, dem mantelartigen Oberkleid, zusammenhielten. Danach folgten die Jupe sowie die Unterröcke, die für den nötigen Stand und dafür, dass sich das Panier nicht durch­drückte, sorgten. Als letztes zog Mariá mir das Panier und die Schnürbrust aus und half mir in den Morgenrock. Eine Dienerin hatte Wein und kalten Braten auf den Tisch neben dem Kanapee ge­stellt, dem ich mich anschließend widmete.
„Kann ich noch etwas für Eure königliche Hoheit tun?“
„Nein, Mariá, du kannst nun gehen. Ich benötige dich für heute nicht mehr!“ Sie knickste und zog sich in ihre Kammer zurück.
Mein Schlafgemach, das sonst als Salon diente, wurde durch ein zierliches Himmelbett mit karme­sinroten Damastvorhängen dominiert. Suchend schaute ich mich um, wo Louis eine kleine Nach­richt für versteckt haben könnte – falls sie sich überhaupt in diesem Raum befand. Die Vase auf dem Kaminsims war leer und auch unter goldenen Uhr lag nichts. Enttäuscht ließ ich mich aufs Bett sinken.
Ein leises klopfen weckte mich aus meiner Versunkenheit. Nach kurzem Warten noch eins und dann noch eins. Drei Klopfzeichen. Louis? Konnte das sein? Meist trafen wir uns doch in seiner Werk­statt. Meine Knie wurden weich, in meinem Bauch kribbelte es. Seine Stimme hören, ihn berühren, riechen, küssen zu können, dies war alles wieder in greifbarer Nähe. Danach hatte ich mich seit meiner Abreise im März gesehnt. Hastig sprang ich auf und öffnete die Tür.
„Ma chère!“, flüsterte er und schloss mich fest in seine Arme. So standen wir lange da, genossen die Wärme und den Duft des anderen. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Dieser Moment war un­endlich. Für mich. Für ihn. Für uns. Dann lockerte er seine Umarmung, aber nur so weit, dass er mir ins Gesicht sehen konnte. Er küsste mir zärtlich auf die Stirn und betrachtete mich eingehend. „Du scheinst noch viel schöner geworden zu sein.“
„Du hast mir unendlich gefehlt, Louis!“ Tränen liefen über meine Wangen, aber nicht, weil ich trau­rig war. Nein, weil ich glücklich war, so unsagbar glücklich.
„Weine doch nicht, mon Coeur. Ich habe dich auch vermisst. Sehr sogar“, hauchte er mit sanfter Stimme an meinem Ohr.
„Aber es sind doch Freudentränen!“ Liebevoll lächelnd begann er mir die Tränen von den Wangen zu küssen. Zärtlich und sanft. Dann nahm er meine Hand in seine, küsste sie und führte mich zum Bett. Gleich würden seine Küsse fordernder werden, seine Sanftheit der Leidenschaft Platz machen.
Wir brauchten uns nichts zu erzählen, wir hatten uns alles in unzähligen heimlich Briefen berichte­te. Schöne und traurige Dinge. Wie mein Gemahl mit mir umging verschwieg ich jedoch, aus Angst er würde sich dann zu sehr um mich sorgen. Ich hoffte sehr, dass er die blauen Flecken an meiner Schulter nicht bemerken würde; an Hüfte und Oberschenkel waren sie glücklicherweise im Kerzen­schein kaum noch zu erkennen. Ach, warum dachte ich an so etwas, wenn der Mann, der mich lieb­te und den ich liebte, mit mir zusammen war? Ich sollte mich dem widmen, was kommen würde: Der Liebe! Der Lust! Louis fuhr fort mich zu küssen, zu streicheln. Er zog mir meinen Morgenman­tel aus und auch unsere Hemden waren schnell nicht mehr dort, wo sie mal waren... Lautlos liebten wir uns den ganzen Rest der noch verbleibenden Nacht. Jedes Eindringen seines Körpers in meinen erschien mir wie der Himmel auf Erden. Voller Verlangen spreizte ich die Beine, unterdrückte lust­volles Stöhnen. Ich genoss die schnellen tiefen Stöße, presste meinen Leib an seinen. Wir trieben ein gefährliches Spiel. Wenn unsere Liaison aufflog, war mein Ansehen für alle Zeit zerstört. Doch dieses kleine bisschen Glück war das Risiko wert.
Es waren herrliche Stunden. Wir lagen beisammen und genossen unsere Zweisamkeit. Er hatte mich ganz eng an sich gezogen und küsste mich wieder auf die Stirn, dann auf den Mund, auf das Kinn, auf den Hals...
Die Nacht war viel zu schnell vorbei. Ach, wenn man die Zeit doch nur anhalten könnte. Jetzt genau in diesem Moment sollte sie still stehen. Dieser Moment sollte nicht vergehen! Ich seufzte, weil die­ser Moment natürlich vergehen würde.
„Was hast du, Ana?“
„Ich wünschte, die Zeit würde stehenblieben, damit dieser Moment mit dir nie vergeht.“
„Daran denke ich auch oft... Wie glücklich ich wäre, wenn du meine Königin wärst. Aber das hier ist unser Schicksal; das Leben, das Gott uns zu gedacht hat.“ Schweigen.
„Es dämmert bereits“, sagte ich nach einer Weile. Auch Louis hatte es bemerkt, denn er richtete sich auf, stieg aus dem Bett und zog seine Kleider an.
„Ich muss leider gehen, ma chère. Aber wir sehen uns heute Mittag. Und vor allem heute Nacht!“
„Ist das ein Versprechen?“
„Ein königliches Ehrenwort.“ Er schenkte mir jenes Lächeln, das ich so sehr an ihm liebte. Wir küs­sten uns noch einmal, dann verschwand er so heimlich, wie er gekommen war.

 


Antonia Josepha von Krolock Prinzessin von Blazon
06. Juni - Vormittags, Schloss Versailles

 

Ich blinzelte den Schlaf aus meinen Augen; Sonnenstrahlen fielen durch die Lücken der Vorhänge ins Zimmer. Eine Kirchturmuhr schlug neun. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Die Reise war lang und erschöpfend gewesen. Es war kaum in Worte zufassen wie erleichtert ich war, endlich in Versailles angekommen zu sein. Nach den Strapazen der letzten Wochen tat es un­endlich gut wieder in einem anständigen Bett geschlafen zu haben. Ich war am Abend zuvor so mü­de gewesen, dass ich, sobald ich von meiner Kleidung befreit, ins Bett gefallen war.
Erst jetzt kam ich dazu, das Zimmer genauer zu betrachten. Das Himmelbett war mit hellgelben Da­mast und Goldstickereien versehen; aus dem selben Stoff waren auch die Wände, Vorhänge und Ta­pisserie-Sessel. Es war ein herrliches Zimmer, auch wenn ich den frühlingsgrünen Damast aus mei­nem Schlafgemach im Luisenpalast bevorzugte. Das restliche Mobiliar, bestehend aus einem klei­nen Sekretär, einer Kommode, einem Toilettentisch, diversen kleinen Tischen vor dem Kanapee und neben dem Bett, war aus dunklem Holz gefertigt und teilweise mit aufwendigen Intarsien versehen. Auf der Kommode stand eine goldene Uhren, darüber hing ein großer, in Gold gefasste Spiegel.
Die Tür öffnete sich und meine Zofe Estera betrat, gefolgt von einer Dienerin, die mir mein Früh­stück brachte, das Zimmer. Ich richtete mich im Bett auf und ließ mir die heiße Schokolade reichen. Dazu gab es Früchte und Brioche. Fenster wurden geöffnet, Wasser zum Waschen gebracht. Estera machte währenddessen alles zum Ankleiden bereit. Zu Hause lief das Procedere etwas anders ab: Dort strömte morgens immer eine ganze Schar aus vier oder fünf Dienerinnen in meine Räume. Beim Ankleiden halfen mir dann drei bis vier Zofen; sie zeigten mir Schmuck, Parfums, Kleider und dergleichen, aus denen ich mir dann das auswählte, wonach mir gerade war. Hier kümmerte sich nur Estera darum.
Ich freute mich sehr in Versailles zu sein; die nächsten Wochen versprachen aufregend und schön zu werden. Diese Reise war für Viktorija und mich eine willkommene Abwechslung zum Alltag am ru­mänischen Hof. Vor allem aber war sie für mich ein kleiner Ausgleich dafür, dass mir, als Frau, die Grande Tour versagt war. Ich glitt gerade aus dem Bett und schlüpfte in meinen Morgenrock, als es an der Tür klopfte und Vika das Zimmer betrat.
„Hast du gut geschlafen, Cousine?“
„So erholsam wie die letzten drei Wochen nicht mehr“, antwortete ich.
„Ich bin so gespannt, wie Marie Antoinette wohl sein wird und natürlich auch auf Louis XVI. – überhaupt auf alles hier.“ Vika schien wirklich recht aufgeregt zu sein, denn sie spielte nervös mit einer Schleife an ihrem Kleid. Sie trug eine rosa-weiß gestreifte Robe à la Française über einem ausladendem Hofpanier, ihr Haar war fein säuberlich in Locken hochgesteckt und auf der rechten Seite steckte eine Seidenrose. Das zarte rosa stand ihr wirklich vortrefflich, es passte hervorragend zu ihren aschblonden Haaren.
„Ob die Königin wirklich so charmant, humorvoll und intelligent ist, wie Ana es beschrieben hat?“, gab ich zu bedenken.
„Ganz bestimmt! Ana redet, wenn wir unter uns sind, doch nur gut über jemanden, wenn sie ihn auch wirklich schätzt“, entgegnete Viktorija, während sie sich, auf dem Kanapee sitzend, im Zim­mer umsah. Ich setzte mich ihr gegenüber. „Schön hast du es hier! Ich hoffe, du bist zufrieden!“, sagte sie leicht pikiert. Ich war am Vorabend, unbeeindruckt von ihrem Redefluss, in das von ihr be­anspruchte Zimmer spaziert, da ich zu müde für jegliche Diskussionen gewesen war. Ich hatte ein­fach nur ein Bett gewollt. Sie schien es mir doch leicht übel zunehmen. Ich beschloss es zu ignorie­ren und überlegte, was ich zur Einführung am Hofe anziehen sollte. Die grüne Robe à la Française mit den rosafarbenen Rosen und den rosa Schleifen auf dem Stecker oder doch eher die weiß-pa­stellblaue mit den blauen Verzierungen und der einen Schleife am Stecker? Im Grunde war mir das ziemlich gleichgültig, es musste bloß eine Robe à la Cour sein.
„Was wirst du denn anziehen?“, riss Vika mich aus meinen Gedanken, als ob sie gewusst hätte, wo diese im Moment waren. „Gewiss wieder ein grünes Kleid“, scherzte sie und griff nach einer Erd­beere.
„Das klingt, als würde ich nur grüne Kleider tragen!“, empörte ich mich, „Ich besitze durchaus auch Roben in anderen Farben.“
„Nun, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich habe das Gefühl dich immer nur in verschie­denen Grüntönen zu sehen“, sagte sie und lächelte dabei amüsiert, „Deine "Eintönigkeit" ist unter den Damen am rumänischen Hof ein häufiges Thema, beliebter ist nur die Frage, ob du jemals unter die Haube kommst und wer derjenige wohl sein wird oder, ob du vielleicht doch eher ins Kloster gesteckt wirst?“
„Kloster?! Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, Viktorija! Nur weil sich für mich noch keine passende Partie ergeben hat, schickt mein Vater mich gewiss nicht ins Kloster. Nur Frauen des nie­deren oder verarmten Adels werden ins Kloster gebracht, wenn sich niemand für sie findet oder da­mit sie gut versorgt sind. Aber doch niemand aus dem rumänischen Hochadel! Das ist in unserer Fa­milie seit 300 Jahren nicht mehr vorgekommen. Außerdem bin ich mit meinem Vermögen mehr als ausreichend versorgt, auch wenn ich unverheiratet bleibe. Meine Apanage ist weit mehr als ausrei­chend.“ So sicher, wie es klang war ich allerdings nicht. Die Gefahr des Klosters bestand leider doch... Ich hoffte, es war nur wieder eine leere Drohung meiner Mutter gewesen. Eine neue Erzie­hungsmaßnahme, vielleicht? Ihr und Onkel Richard war schließlich alles zu zutrauen...
„Möglicherweise findet sich hier ein geeigneter Prinz oder Herzog. Unseren Cousin zu heiraten, hast du dich ja geweigert.“
„Mit gutem Grund!“, erwiderte ich scharf, „Varujan von Kürthy zu heiraten, würde ins sichere Ver­derben führen. Sieh dir doch an, wie es Ana in ihrer Ehe ergeht! Ganz abgesehen davon war mein Vater mit dieser Verbindung ebenfalls nicht einverstanden.“ Sie selbst hätte es auch nicht getan. Den jüngeren Bruder von Anas Gemahl zu ehelichen, würde laut Ana bedeuten, sich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.
„Gut, wechseln wir das Thema: Du wirst nicht glauben, was meine Komtess mir eben alles berichtet hat...“ Während ich mein Frühstück beendete, erzählte mir Viktorija allen möglichen Tratsch über Hof und König, den die Gräfin von Arco, in kürzester Zeit, in Erfahrung gebracht hatte. Erstaunlich, wie Klatsch- und Tratschsüchtig diese Komtess doch war. Sie würde Vika eines Tages verderben. Andererseits war es in unseren Kreisen auch einfach so üblich. Ich empfand es jedenfalls als ziem­lich lästig, womit ich vermutlich eine Ausnahme war... Meine Hofdame, Komtess von Báthory, schien es offensichtlich zu langweilen, dass ich keinen Sinn für so etwas hatte, aber es war ihre Auf­gabe mir Gesellschaft zu leisten, nicht andersherum. Ich las viel lieber, vor allem über Philosophie und Botanik, liebte es auszureiten oder mit den Hunden in den Parkanlagen lustzuwandeln. Intelli­gente Gespräche mit Herren zog ich jedem höfischem Tratsch vor; von dem ganzen Gemale und Gesticke ganz zu schweigen. Tanz und Musik war ich aber ebenso verfallen, wie alle jungen Da­men.
„Du entschuldigst mich?“, fragte ich und erhob mich langsam, „Ich werde mich nun ankleiden.“
„Gewiss doch, so kannst du schließlich nicht vor die Majestäten treten“, erwiderte Viktorija ki­chernd und ging, an der Tür wandte sie sich noch einmal um, „Aber vergiss nicht: Hofkleidung.“ Wie könnte ich! Mich daran zu erinnern, war unnötig. Ruhe. Herrlich! An diesem Vormittag war ich wahrlich noch nicht zum Plaudern aufgelegt.

 


Ana Luise von Krolock Herzogin von Kürthy
06. Juni – Mittags, Schloss Versailles

 

Ich führte meine kleine Schwester und meine Cousine eine breite Marmortreppe hinauf zu den großen Gemächern meiner Freundin. Zuerst kamen wir in den Salon der Leibgarde der Königin. Die angehörigen Offiziere trugen blaue Röcke mit silbernen Verzierungen, rote Kniehosen und Westen. Sie sahen sehr stattlich aus, wie Viktorija befand. Durch die offenen Türen des Salons der Edlen konnte man die Vielzahl, der sich dort aufhaltenden Damen, erahnen. Eine farbenfrohe Pracht an Roben erwartete uns, deren wuchtige Paniers sich aneinander drängten.
„Was für eine herrliche Farbe“, bewunderte Antonia die hellgrüne, an saure Äpfel erinnernde, Wandbespannung.
„Es ist die Lieblingsfarbe ihrer Majestät. Der Salon wurde damals nach ihren Wünschen umgestal­tet“, gab ich flüsternd zurück, denn wir hatten den Raum inzwischen betreten. Wir schritten gerade­wegs auf Marie Antoinette zu und machten einen tiefen Knicks.
„Madame de Kürthy, schön Euch wieder in Versailles willkommen zu heißen“, sagte sie so förmlich wie nur möglich, doch konnte sie ein Schmunzeln nicht verhindern. Die sonntägliche Einführung am Hofe war immer eine formelle Angelegenheit, daher war es verwunderlich, dass sie überhaupt das Wort an mich richtete. Diese Tatsache führte deshalb auch zu einigen neidvollen Blicken der Umstehenden. Marie Antoinette und ich würden uns später – unseren wahren Gefühlen entspre­chend – begrüßen.
Ich erwiderte ihre Worte mit einem erneuten Knicks, um dann, als einführende Dame, zu verkün­den: „Darf ich Euch vorstellen, Madame, meine Cousine Prinzessin Antonia de Blazon.“
Diese trat daraufhin vor, wobei sie einmal innehielt, um vor Marie Antoinette nochmals zu knick­sen. Dann beugte sie sich nach vorne, zog den rechten Handschuh aus und griff nach dem Saum der dunkelgrünen mit Silberstickereien verzierten Robe à la Française, um ihn mit den Lippen zu be­rühren. Wie gewöhnlich erwartete ich, dass die Königin, mit einem leichten Schlag ihres Fächers, das Kleid entziehen würde, bevor die Zeremonie beendet werden konnte, doch sie tat es nicht. Ab­gesehen von einigen wenigen Ausnahmen, gestatte sie es sonst niemanden. Ein Raunen ging durch die Menge und auch ich staunte nicht schlecht. Antonia blickte verunsichert drein; ich hatte ihr und Vika bereits während der langen Fahrt erklärt, wie die Einführung üblicherweise ablief.
„Prinzessin Viktorija von Rumänien, Madame, meine Schwester“, verkündete ich ein weiteres Mal. Sie vollführte dasselbe Ritual und auch diesmal erlaubte die Königin, dass man ihr kostbares Ge­wand küsste, in dem sie hinreißend aussah und sich dessen auch bewusst war.
Ich wandte voll Stolz meinen Kopf den Anwesenden zu und nickte prahlend. Wie zu erwarten, ern­tete ich nicht nur anerkennende, sondern auch missgönnende, gar böse, Blicke.
„Himmel, was war denn das?“, platzte es aus meiner Schwester raus, als wir die Gemächer meiner Freundin wieder verlassen hatten.
„Euch beiden ist soeben eine große Ehre zu Teil geworden.“
In der Galerie des Glaces, einem hellen Raum mit vielen Spiegeln, die das Sonnenlicht, das durch die siebzehn Fenster drang, reflektierten, hielten wir inne. Als nächstes würde ich die beiden dem König vorstellen. Während Antonia im Spiegelsaal das Deckenfresko, welches die Siege Louis XIV. zeigte, sowie die roten mit goldenen Kapitellen gekrönten Marmorsäulen bewunderte, musste ich daran denken, wie Sarah mich vor drei Jahren hier eingeführt hatte. Auf dem Weg zu den Paradege­mächern des Königs waren wir an einem großen Gemälde von ihm vorbei gekommen; ich hatte nicht anders gekonnt als stehenzubleiben und es eingängig zu betrachten: Ein gutaussehender, athle­tischer junger Mann mit klugen blauen Augen war darauf abgebildet gewesen. Ich schätzte die Ent­stehungszeit des Porträts auf das Jahr 1774, dem Jahr seiner Krönung.
„Dieses Deckengemälde ist beeindruckend!“, kommentierte Antonia schließlich.
„Wirklich, findest du? Also, unsere Schlösser stehen Versailles in rein gar nichts nach. Der Winter­palast ist mindestens ebenso beeindruckend“, urteilte Viktorija, wobei sie ihr Kinn nach oben reckte und das letzte Wort besonders betonte.
Ich ließ die beiden weiter über Versailles und unsere Schlösser diskutieren und fuhr fort in meinen Erinnerungen zu schwelgen. An meine erste Begegnung mit Louis erinnerte ich mich so gut, als sei es erst gestern gewesen. Er hatte im Paradeschlafzimmer vor der Balustrade gestanden, die das Bett von dem Bereich trennte, der für den Empfang von Höflingen vorgesehen war. Bei seinem Anblick hatte mein Atem gestockt und mein Herz war ins Stolpern geraten. Er war ein wenig stattlicher ge­worden, als er es auf dem Porträt gewesen war, was seiner Erscheinung jedoch zu gute kam. Seine blauen Augen strahlten so unglaublich viel Wärme und Gutmütigkeit aus. Ich hatte drei tiefe Knick­se vollzogen, bis ich schließlich vor ihm stand. Er hatte mir recht unbeholfen aus dem letzten Knicks hoch geholfen. Mir schien es, als sei er ebenso nervös gewesen wie ich. Dann hatten sich unsere Blicke getroffen. Dieser Blick mit dem er mich bedacht hatte, ließ mein Herz für eine Sekun­de aussetzen – auch heute noch, wenn ich an diesen Moment dachte. Danach hatte er mich schwei­gend umarmt, so wie es, laut Sarah, bei der Einführung immer ablief. Doch das, was dann geschah, tat er sonst nie: Er hatte mich mit einem bezaubernden Lächeln und herzlichen Worten in Versailles willkommen geheißen. Sarah hatte es gar nicht fassen können, dass der König das Wort an mich ge­richtet hatte. Es war ein ähnlich ungewöhnliches Ereignis gewesen, wie die heutige Situation bei Marie Antoinette.
„Stimmt es eigentlich, Ana, was auf den Kupferstichen über den König verbreitet wird?“, meinte Vika auf einmal fragend, „Meine Komtess erzählte mir, der König würde auf diesen als klein, dick, dumm oder gar impotent dargestellt.“
„Ich verabscheue diese grässlichen Flugblätter!“, erwiderte ich heftig. Ich atmete tief durch, ehe ich gemäßigt fort fuhr, „Sie entsprechen ganz und gar nicht der Wahrheit. Der König interessiert sich sehr für Geschichte, Seefahrt und Geographie. Es kommt gelegentlich zu Streitigkeiten mit seinen Brüdern und seiner Frau, weil ihm Bildung und moralisches Handeln wichtiger sind als höfische Repräsentation. Und davon, dass er weder klein noch dick ist, könnt Ihr Euch gleich selbst ein Bild machen. Was ich noch vergessen habe zu erwähnen: der König ist zudem ein ausgezeichneter Jäger und Reiter.“ Dieser Satz hatte aus meiner Sicht eine gewisse Doppeldeutigkeit. Aber was waren das nur für frivole Gedanken, maßregelte ich mich selbst und musste prompt grinsen.
„Was ist daran so lustig?“, fragte Antonia verwirrt.
„Ach, ich bin so unsagbar froh wieder in Versailles zu sein. Es ist einfach herrlich hier, nicht wahr?“
Antonia nickte eifrig, nur meine Schwester ließ sich nicht von meiner plötzlichen Euphorie mitrei­ßen.
„Dieses strenge Hofzeremoniell und die Höflinge erst... Vorhin im Saal der Edlen habe ich zwei Da­men bemerkt, der Blick der einen war neidvoll und der anderen bösartig“, erwiderte sie.
„Das wundert mich nicht. Bei dem, was eben geschehen ist, ist jeglicher Neid verständlich“, gab ich zurück, „Ihr echtes Haar wird sie zwar unter einer Perücke verborgen haben, aber hatte die mit dem bösen Blick dunkle Augenbrauen?“
„Ja, sie waren pechschwarz“, bestätigte Vika meinen Verdacht.
„Dann ist es gut möglich, dass es Bérénice de Levallois de Courcelles war. Ich kann sie nicht aus­stehen“, sagte ich und setzte bestimmend hinterher, „Allez, wir müssen weiter!“
Als wir das Paradeschlafzimmer erreicht hatten, kündigte der erste Kammerherr des Königs meine Schwester und meine Cousine an. Wie zuvor bei der Königin vollführten wir drei tiefe Knickse.
Louis stand, behängt mit einem blauen silberbestickten Umhang und dem diamantenen Ordensstern des Heiligen Geistes, vor besagter Balustrade; im Hintergrund das imposante, mit rotem Brokat ver­hängte, goldene Prunkbett.
Er begrüßte Viktorija und Antonia gemäß dem Hofzeremoniell. Da er recht groß war, musste Louis sich zu Antonia runter beugen, um sie zu umarmen. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Achsel.
Sein Großvater, Louis XV., hatte hübsche Damen wohl oft mit huldvollen Worten begrüßt, doch Louis blieb meist stumm – ebenso an diesem Tag. Es fiel im häufig schwer seine Schüchternheit zu überwinden. Nur für mich fand er heute wieder ein paar Worte: „Die Königin hat Eure Gesellschaft schmerzlich vermisst.“
Mich wunderte es freilich nicht, dass er das Wort an mich gewandt hatte, die meisten Höflinge hin­gegen eher. Anschließend begaben wir uns zu den Gemächern Madame Élisabeths, der jüngeren Schwester Louis'. Sie lächelte und empfing uns mit herzlichen Umarmungen.
„Es ist mir eine Freude Euch kennenzulernen“, begann sie an beide gerichtet, bevor sie sich an An­tonia wandte, „Die Herzogin erzählte mir, dass Ihr Euch für Botanik interessiert?“
„Oui, c'est vrai, Madame.“
„Dann lade ich Euch auf meinen Landsitz Montreuil ein. Der Pflanzenforscher Louis Guillaume Le Monnier, Ihr habt bestimmt von ihm gehört, lehrt mich dort in dieser Wissenschaft. Ich würde mich freuen, wenn Ihr einmal an diesem Unterricht teilnehmt.“
„In der Tat, das habe ich. Es wäre mir eine Ehre“, bedankte meine Cousine sich mit einem Knicks. Sicherlich würden sie gute Freundinnen werden, beide waren frei von Hochmut und teilten einige Interessen.
Da die anderen Familienmitglieder zurzeit nicht am Hofe verweilten, war die Einführung nun end­lich beendet. Es war doch recht ermüdend, wenn man schon alles kannte. Als nächstes ging es zur Messe in die Kapelle und anschließend in den Salon du Grand Couvert, dort wohnte man dem Di­ner des Königspaares bei. Marie Antoinette würde ihr Essen nicht anrühren. Danach würden wir selbst an der offenen Tafel in den Gemächern der Duchesse de Polignac speisen. Sie war die Lieb­lingshofdame Marie Antoinettes und Erzieherin der königlichen Zöglinge.

 


Viktorija Elisabeth von Krolock Prinzessin von Rumänien
06. Juni – Abends, Versailles – Appartement des Königs

 

Als Ana und ich den privaten Speisesalon des Königs betraten, war Sarah bereits da. Sie stand an ei­nem der großen Fenster und unterhielt sich mit einem jungen Herren. Ich wäre am liebsten auf sie zu gestürmt, so lange hatte ich sie nicht gesehen, so sehr vermisst. Doch das hätte sich nicht ge­ziemt, zuhause in Rumänien hätte mich das wenig gekümmert, aber hier konnte ich mir so etwas nicht erlauben. Ich stupste Ana an, denn sie schien Sarah noch nicht entdeckt zu haben: „Sarah steht dort drüben am anderen Ende bei den Fenstern und spricht mit einem Herren. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, wer ist er noch gleich?“
„Das ist Louis Sébastien de Tourvel, ein entfernter Verwandter von Sarahs Gemahl“, antwortete sie mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
Ich wusste doch, dass ich das Gesicht schon einmal gesehen hatte, zwar nur auf einem Porträt, aber immerhin hatte ich ihn wiedererkannt. Es war ein kleines Gemälde, auf dem auch Sarah und der Duc zu sehen waren. Sie hatte es mir im letzten Jahr geschickt. Sarah hatte uns nun auch entdeckt. Sie kam uns entgegen und wir fielen uns eine nach der anderen in die Arme. Als wir die Umarmung lösten, behielt Sarah meine Hände in den ihren.
„Ich bin so froh dich wieder in die Arme schließen zu können. Es ist reizend von Marie Antoinette, dass sie Antonia und dich eingeladen hat“, sagte sie freudig, wobei sie mich eingehend betrachtete, „Meine Güte, Vika, bist du erwachsen geworden. Als ich Rumänien vor drei Jahren verließ, warst du noch ein junges Mädchen von elf Jahren.“
„Ja, sie hat sich sehr verändert, aber das wurde auch Zeit jetzt, wo sie bald...“
„Ana, psst, dass wollte ich ihr doch selber erzählen!“, unterbrach ich Ana rasch, um dann an Sarah gewandt den Satz meiner ältesten Schwester weiterzuführen, „Ich werde im August heiraten.“
„Das ist eine wahrlich frohe Botschaft, unser Nesthäkchen wird heiraten. Wer ist denn der glückli­che Herr?“, fragte Sarah gespannt.
„Timotheus Ludwig Erbprinz von Bruckberg“, antwortete ich.
„Der Bruder deiner Schwägerinnen ist ohne Zweifel eine gute Partie. Soweit mir bekannt halten die Herzöge von Bruckberg seit weit über hundert Jahren einen kleinen, aber prächtigen Hof.“
„Es gibt noch weitere Neuigkeiten: Antonia sollte sich im März mit meinen Schwager verloben“, begann Ana zu berichten, „Aber sie hat ihrem Vater erklärt, dass diese Heirat sie zur unglücklich­sten Person der Welt machen würde und so heftig protestiert, dass Onkel Ferdinand schließlich zu unserem Vater meinte, er wolle keines seiner Kinder zwingen sich zu verheiraten, vor allem nicht gegen deren Neigung.“
Sarah blickte uns erstaunt an. „Von alldem habt ihr mir gar nicht geschrieben. Doch auch wenn ihr Betragen die Loyalität gegenüber unserem Hause vermissen lässt, kann ich sie doch irgendwie ver­stehen... Aber wo bleibt sie denn bloß?“
„Ach, Antonia, nur Ärger und Sorgen hat man mit ihr...“ seufzte Ana. Sie klang schon fast wie Tante Tereza.
Wir begrüßten Sébastien de Tourvel, der mittlerweile zu uns getreten war, und Sarah stellte mich ihm vor. Er vollführte eine galante Verbeugung. „Ist das dort drüben an der Tür nicht Eure Cousine?“, fragte Sébastien und deutete in die Richtung, „Sie ist jedenfalls die einzige hier, die mir nicht bekannt ist.“
„In der Tat, das ist Antonia“, nach einer kleinen Pause fügte Ana verwundert hinzu, „Aber wie au­ßergewöhnlich, wen will sie denn damit beeindrucken?“
„Ei, das ist tatsächlich ein seltener Anblick!“, pflichtete ich ihr bei. Unsere Cousine trug kein grün. Ich musterte ihre Erscheinung, während ihr Blick an einem athletischen jungen Kavalier zu hängen schien.
Antonias Robe à la Française war karmesinrot, ebenso die Schleifen auf ihrem Stecker, Jupe und Manteau waren mit goldenen Stickereien verziert. Zudem trug sie ein schwarzes Samthalsband mit einer Kamee sowie an jedem Handgelenk ein vierreihiges Perlenarmband. Ihr Gesicht wurde, wie so häufig, rechts und links von je einer Strähne ihre blonden Korkenzieherlocken gerahmt, der Rest war, wie es der Mode entsprach, hochgesteckt und auf der linken Seite steckte eine rote Seidenrose.
Dieses Kleid hatte ich noch nie zuvor an ihr gesehen, sie sah darin wunderschön aus. Pastelltöne oder rot passten sehr viel besser zu ihren aquamarinblauen Augen, stellte ich fest.
„Sie bevorzugt also immer noch grün?“, fragte Sarah mit ehrlicher Verwunderung.
„Oh, ja“, bestätigte ich.
Als Antonia uns endlich gefunden hatte, wurde sie ebenfalls mit Sébastien bekanntgemacht. „Ver­zeiht bitte die Verspätung, ich habe mich ein wenig verlaufen“, entschuldigte sie sich.
„Das wundert mich nicht, das Schloss ist riesig und ihre Majestäten sind auch noch nicht eingetrof­fen“, beruhigte sie Ana, während Sarah Antonia in die Arme schloss.
„Schön dich wiederzusehen. Du hast dich kaum verändert.“
„Du dich auch nicht. Zuhause fehlt etwas ohne dich“, erwiderte Antonia aufrichtig, „Herbert ver­misst dich sehr. Ich soll...“
„Da seht, in der cremefarbenen Robe, das ist die Dame aus dem Salon der Edlen!“, unterbrach ich Antonia mit gesenkter Stimme. Sie war mir bisher nicht aufgefallen. Im Gesicht meiner Cousine las ich Empörung, doch ich ignorierte dies geflissentlich. „Ist das Bérénice de Levallois?“
„Ganz recht. Marie Antoinette mag sie nicht sonderlich, aber ihren Gemahl, den zukünftigen Her­zog, umso mehr. Nur ihm verdankt sie den Zutritt zum auserwählten Zirkel der Königin“, verriet Sébastien de Tourvel.
„Wer ist die Dame neben ihr?“, erkundigte sich Ana, „Ich habe sie hier noch nie gesehen.“
„Das ist Éléonore de Vezon, eine Freundin von Madame de Levallois aus der Provinz. Sie hat mit Engelszungen auf Marie Antoinette eingeredet, damit dieser Mademoiselle während ihres Besuchs ebenfalls der Zutritt zum engsten Kreise gewährt wird“, gab Sarah pikiert zur Auskunft. Aus irgend­einem Grund schien ihr dieser Umstand nicht zugefallen.
Kurz darauf betraten Louis XVI. und Marie Antoinette den kleinen Saal. Ich musste erneut feststel­len, dass sie eindeutig die Mode am Hof bestimmte. Die Anwesenden verbeugten sich oder machten einen Knicks. Der König begrüßte uns Gäste aus Rumänien und stellte uns den geladenen Höflin­gen vor. Dann nahmen wir an der runden Tafel Platz. Lakaien schoben die Stühle ran und weitere traten ein, um mit dem Auftragen der Speisen zu beginnen. Das Mahl war reichlich: es gab Con­sommés, Pâtés, Entrêmets und Desserts in allen möglichen Variationen. Dazu wurden in silbernen Kübeln gekühlter Champagner, rote Weine oder süßer Weißwein gereicht.
Währende des Soupers fiel mir auf, wie missfällig diese Madame de Levallois meine Cousine Anto­nia betrachtete. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie mir über alle Maßen höflich zu. Ihr Ge­habe erregte in mir Argwohn. Doch erfreulicherweise nahm ich auch affektionierte Blicke wahr. Nämlich die jenes Kavaliers, den zuvor Antonia bei ihrer Ankunft in Augenschein genommen hatte. Auch sie schien sein Gefallen geweckt zu haben.
Wir wurden für den Nachmittag des nächsten Tages von Marie Antoinette in ihr privates Schlös­schen Petit Trianon eingeladen, in diesem empfing sie nur ihre engsten Vertrauten, selbst der König durfte sich dort nur als Gast aufhalten. In Versailles war eben so einiges anders als daheim, beson­ders das strenge Hofzeremoniell war ungewohnt. Unseres war weniger streng, dafür war das Hofle­ben militärisch geprägt, denn jeder Adlige – natürlich nur die männlichen – war zugleich auch ein Offizier.

 


Ana Luise von Krolock Herzogin von Kürthy
06. Juni – Abends, Versailles – Appartement des Königs

 

Nach dem Souper gingen wir in den angrenzenden Salon, in dem verschiedene Spieltische standen. Marie Antoinette, Gabrielle de Polignac, Marie Thérèse de Lamballe, Armand de Saint-Simon und Yves Léon de Levallois nahmen am Pharo-Tisch Platz. Ich gesellte mich neben letzteren, zu dessen rechter bereits Antonia saß. Die Übrigen, bis auf Madame Élisabeth, spielten am anderen Tisch Whist. Sie entschied sich für das Cembalo. Louis verschwand für eine Weile mit Sébastien im Ne­benzimmer. Als er zurückkehrte, trat er zu uns an den Tisch und verfolgte aufmerksam das Gesche­hen. Antonia seufzte frustriert, denn sie hatte bisher alle Spiele verloren.
„Ihr spielt zu selten“, bemerkte meine jüngste Schwester tadelnd.
Antonia rollte daraufhin entrüstet mit den Augen. Ich konnte mir gut denken, was sie gerade dachte. Für meine Cousine gab es sinnvollere Beschäftigungen als Glücksspiel, weshalb sie nur spielte, wenn die Konvention es verlangte und somit unumgänglich war.
„Dürfte ich um eine Partie bitten?“, zögernd richtete Louis die Frage an Antonia und deutete zum Backgammontisch in der Nähe des Kamins. Tric-Trac war sein Lieblingsspiel.
„Es wäre mir eine Ehre, Sire“, säuselte Antonia mit ihrer glockenhellen Stimme und schenkte ihm ein – für meinen Geschmack zu – bezauberndes Lächeln. Sie kokettierte doch wohl nicht mit mei­nem Louis? „Aber ich muss Euch warnen, Sire, ich bin eine miserable Spielerin“, fügte sie hinzu. Sie schien höchst erleichtert, als sie den Kartentisch verließ. Ich sah zu, wie sich die beiden an das zierliche Tischchen setzten.
„Ihr bringt mir Glück, Madame!“, rief Marie Antoinette euphorisch aus, ich lächelte geschmeichelt. Sie hatte auch diese Runde Pharo wieder für sich entschieden. Diese Glückssträhne bereitete ihr un­verkennbar viel Spaß. Neue Karten, neue Einsätze. Ohne zu zögern setzte sie erneut 15 Louis d'or. Begeistert klatschte Vika bei jedem Sieg Marie Antoinettes in die Hände. Das Leuchten in ihren waldseegrünen Augen verriet mir, dass sie liebend gern mitgespielt hätte.
„Warum spielt Ihr nicht auch, Ana? Bedrückt Euch etwas?“, flüsterte mir Gabrielle zu.
„Ganz im Gegenteil. Aber im Augenblick macht es mir mehr Freude, dem armen Armand beim Ver­lieren zu zuschauen“, erwiderte ich amüsiert. Widerwillig wandte er den Kopf in meine Richtung. Sein Blick hing noch immer meiner Cousine nach, die – wahrscheinlich zu seinem Bedauern – ihren Platz gewechselt hatte. Der Prince de Saint-Simon hatte bereits beim Souper kaum die Augen von ihr wenden können. „Wo habt Ihr nur Euren Kopf, Monsieur? Wenn Ihr so weiter macht, verspielt Ihr noch Euren gesamten Besitz“, scherzte ich. Seine Familie verfügte über ein derart großes Ver­mögen, dass es mehr als nur ein paar Partien Pharo benötigt hätte, um ihn arm zu machen.
„Ich schätze, er ist abgelenkt, weil seine Augen etwas ausgesprochen Hübsches entdeckt haben. Nicht wahr, mein Lieber?“, fragte Marie Antoinette ungeniert. Armand nahm einen großen Schluck Champagner, er war offenbar peinlich berührt von ihrer Beobachtung.
„Nun ja“, begann er, „bei soviel Schönheit in einem Raum, ist es schwer, sich voll und ganz einem allzu bekannten Spiel zu widmen.“ Eine wohlüberlegte Antwort, wie sie zu Armand passte und mit der er versuchte, den anwesenden Damen zu poussieren. Doch alle am Kartentisch schmunzelten belustigt – nur Armand nicht.
„Wartet nicht allzu lange damit, ihr den Hof zu machen, wenn sie Euch gefällt. Ihr werdet nicht der einzige sein, der ein Auge auf sie wirft“, riet Marie Antoinette ihm.
„Wenn Eure Majestät es meinen, aber das muss warten. Ich muss noch heute Abend nach Paris zu­rück. Ich empfehle mich.“ Mit einer flüchtigen Verbeugung verabschiedete er sich.
„Sehr abrupt dieser Abgang“, stellte Marie Antoinette lakonisch fest. „Ich habe ihn doch wohl nicht verärgert?“
Ihre beiden Hofdamen, Gabrielle und Marie Thérèse, sowie meine Wenigkeit zuckten ratlos mit den Schultern, gleichzeitig nahm Viktorija auf Armands frei gewordenen Stuhl Platz. Armands Auf­bruch war in der Tat sehr unerwartet gewesen. Solch impulsive Ausbrüche waren für ihn ungewöhn­lich, er war sonst immer sehr bedachtsam.
„Bitte, teuerste Schwester, Ihr wisst doch, wie gerne ich spiele?“, flehte Vika mich. Ich schüttelte den Kopf.
„Denkt daran, was Mutter gesagt hat“, erinnerte ich sie.
„Aber Vater hat es mir nicht verboten, seine Worte wiegen mehr“, sie lächelte triumphierend und griff nach den Karten, noch bevor ich etwas erwidern konnte. Ich hatte keine Lust mit ihr zu disku­tieren und gab nach. Wessen Worte mehr wogen, änderte sich bei meiner Schwester je nachdem, wessen Geheiß ihr justament besser gefiel. Auch ich gab mir einen Ruck und stieg ins Spiel mit ein. Mir war den ganzen Abend nicht danach gewesen, doch so würde die Zeit bis zu meiner nächtlichen Zusammenkunft mit Louis schneller vergehen. Viktorija strahlte vor Entzückung, als sie ihre erste Partie an diesem Abend gewann. Sichtlich Freude hatte aber auch meine Cousine.
„Seht, Sire, habe ich es Euch nicht gesagt?“, drang Antonias helles Lachen an mein Ohr. Louis lach­te ebenfalls.
„Das war doch gar nicht so schlecht, Mademoiselle. Ihr braucht nur ein wenig Übung.“
Ich ballte meine linke Hand unter dem Spieltisch zur Faust, während ich zum wiederholten Male zu den beiden herüber schielte. Was wollte sie mit ihren unterschwelligen Tändeleien beim König bezwecken?
„Deine Cousine hat bemerkenswerte Augen und eine erstaunliche Ähnlichkeit mit deinen Brüdern“, erwähnte Louis später am Abend, als wir in seiner Werkstatt waren. Es war bereits weit nach Mitter­nacht.
„Nun, wie es scheint war ihre Koketterie erfolgreich.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn voll Vorwurf an.
Er lachte leise auf. „Du bist ja eifersüchtig, ma chère. Aber sie hat nicht mit mir getändelt, ihre Auf­merksamkeit galt vielmehr meinem treuen Freund Armand. Und nun gräme dich nicht mehr, wobei ich deine Grübchen über alle Maßen reizend finde“, gab er versöhnlich zurück. Dann zog er mich eng an sich und küsste mich.

 


Antonia Josepha von Krolock Prinzessin von Blazon
07. Juni - Mittags, Versailles - Gartenanlage

 

Während ich zu meiner Verabredung im Park eilte, fragte ich mich, wie man sich bei all den Gän­gen und Gebäuden hier nur zu recht finden konnte? Lucienne war bereits da. Sie entsprach exakt Anas Beschreibung: Wie Viktorija hatte sie aschblondes Haar, große, runde grüne Augen und hohe Wangenknochen. Allerdings waren ihre Lippen weniger voll und die Nase runder. Der hellgelbe, de­zent mit kleinen Lilien gemusterte Seidenstoff ihrer Robe à la Polonaise schimmerte im Sonnen­licht; auf ihrem Kopf thronte eine reich verzierte Bergère.
Als sie mich erblickte, kam sie auf mich zu und streckte mir ihre Hände entgegen, die ich freudig ergriff: „Ihr müsst Antonia sein, ich bin hocherfreut Euch endlich von Angesicht zu Angesicht zu begegnen!“
„Die Freude ist ganz meinerseits, Cousine“, erwiderte ich, während sie mich mit Wangenküssen be­grüßte.
„Es ist jammerschade, dass Jean Édouard und ich gestern nicht dem Souper beiwohnen konnten. Meine Schwägerin Lucile erzählte mir, der Abend sei äußerst unterhaltsam gewesen“, meinte sie be­dauernd.
„In der Tat, das war er“, bejahte ich, „Ich habe mich herrlich amüsiert, der König lehrte mich Tric-Trac zu spielen. Bisher kannte ich nur die deutsche Backgammon-Variante Puff.“
„Das überrascht mich, unseren Tanten Charlotte und Clara dürfte die französische Spielart bekannt sein. Es gibt auf unserem Anwesen nahe Rennes ein Porträt, auf dem sie es mit meinem Vater spie­len“, derweil Lucienne sprach, führte sie uns weiter in den Park hinein.
Ich genoss das Meer aus Farben und Düften im Schlossgarten. Solch eine Blütenpracht hatte ich sel­ten gesehen, doch ich schien die einzige zu sein, die sich an ihr erfreute. Zumindest ein älterer Herr mit Lockenperücke schaute lieber in den Ausschnitt seiner jungen Begleitung. Nach ihrem Ge­habe zu urteilen offenbar ein leichtes Mädchen. Lucienne und ich begannen ein reges Gespräch über dies und jenes. Sie wollte soviel wie möglich über die Heimat ihrer Mutter und ihre rumänischen Ver­wandten wissen. Neben Ana und Sarah hatte sie bisher nur meine Cousins und Onkel Carl kenneng­elernt, dieser hatte die drei auf ihrer Grand Tour im Jahre 1779 begleitet. Auf einen Brief Friedrichs aus Frankreich, folgte damals der erste von Lucienne; seither pflegten wir uns regelmä­ßig zuschrei­ben.
„Lucienne, Ihr müsst mich unbedingt mit Eurer Mutter bekannt machen. Mein Vater erzählte mir, als ich klein war, so viel von seiner großen Schwester und der gemeinsamen Kinderzeit in Rumäni­en, dass ich mir seit jeher gewünscht habe, ihr einmal zu begegnen“, ließ ich Lucienne wissen, als sie mir von ihrer Familie erzählte.
„Sehr gerne. Ich bin mir sicher, dass sie sich außerordentlich freuen wird, Euch kennenzulernen. Sie scheint Eurem Vater besonders zugetan, denn jedes mal, wenn ein Brief Eures Vaters kommt, meine ich einen Funken Schmerz in den Augen meiner Mutter wahrzunehmen. Ich glaube, manchmal ver­misst sie ihn, ihre Familie und Rumänien“, nach einer kurzen Pause sprach sie vergnügt im Plauder­ton weiter, „Meine Eltern kehren in wenigen Tagen nach Paris zurück und werden sicherlich auch des öfteren nach Versailles kommen, Ihr werdet also nicht einmal nach Paris fahren müssen, um sie zu treffen.“
„Wisst Ihr, ich würde es ehrlich gesagt bevorzugen, Eure Mutter in Paris kennenzulernen. Ich habe das Gefühl, dass es außerhalb von Versailles doch ein wenig ungezwungener zu geht. Man ist hier nicht immer man selbst, scheint mir. Außerdem hätte ich nichts dagegen, den ein oder anderen Tag in Paris zu verbringen“, gab ich zögerlich zu bedenken.
Lucienne nickte nachdenklich und klappte ihren Fächer auf: „Das mag so sein, dennoch bergen der Hof und Versailles für junge Damen, wie uns, viele Reize, besonders in der Abendunterhaltung. Ihr müsstet es mal erleben, wenn die Königin Theater spielt. Ihr wäret begeistert“, sie hielt inne und zwinkerte mir zu, „Oder in puncto Heirat. Es gibt hier noch einige Junggesellen unter den Höflin­gen, vielleicht nicht alle standesgemäß für die Nichte eines Königs, aber so viele gute Partien findet man sonst sicher nirgends. Die großen Fürstenhöfe sind eben die besten Heiratsmärkte.“ Sie warf mir einen erwartungsvollen Blick zu.
Warum musste sich bloß jeder darum scheren, dass ich noch unverheiratet war? Langsam, aber si­cher war ich genervt davon. Ich war schließlich noch keine alte Jungfer. Ich war immerhin noch kei­ne zwanzig Jahre alt. Gut, die meisten meiner Cousinen waren in diesem Alter bereits verheiratet oder würden es dann sein...
„Kennt Ihr eigentlich einen gewissen Armand de Saint-Simon?“, fragte ich neugierig, ohne weiter auf das Thema Heirat einzugehen.
„Die Frage ist eher, wer ihn hier nicht kennt? Er ist der engste Vertraute des Königs und praktisch stets an seiner Seite, vor allem bei der Jagd. Außerdem entstammt er dem reichsten Adelsge­schlecht, nach der königlichen Familie“, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, „Bref, die beste Partie die man in Frankreich machen kann. Armand ist der einzige Sohn der Familie und hat nur noch eine Schwester. Eugénie ist eine reizende Person, sie wird Euch gefallen. Mein Gatte und ich kennen Armand schon sehr lange, wir besuchen häufig gemeinsam die Pariser Oper. Aber weshalb fragt Ihr, habt Ihr bereits gefallen an dem Monsieur gefunden?“, erzählte sie und endete mit einem anspielenden Lächeln. Ich errötete.
Es war wohl nicht die klügste Entscheidung, sich unmittelbar nach dem Sujet Heiratsmarkt nach ihm zu erkundigen. „Er hat ein Gesicht, das Wohlgefallen erregt“, antwortete ich so gleichgültig wie möglich, doch das Gefühl in meinem Magen erschwerte die Angelegenheit.
„Dann würde es Euch sicher gefallen, wenn ich Euch Armand morgen Abend auf dem Ball vorstel­le?“
Ihr war nicht entgangen, dass mein Desinteresse nur gespielt war; ich lächelte ertappt. „Es wäre mir eine Ehre, liebste Cousine.“
Eine Stunde später lustwandelten wir noch immer durch den Park; es war ein warmer und sonniger Tag, weshalb viele Menschen zugegen waren. Wir begegneten immer wieder Freunden und Be­kanntschaften von Lucienne, mit denen sie mich bekannt machte. Mir schwirrte allmählich der Kopf von den vielen Namen. Sie hatte mich grade wieder einer Gräfin und ihrer Tochter vorgestellt, als sie meinte: „Antonia, schaut mal“, dabei zeigte sie auf ein größeres Stück Wiese, „Dort drüben ist Ana und dann ist die blonde junge Dame bestimmt unsere Cousine Viktorija? Lasst uns hinüber gehen, ich möchte ihr gerne vorgestellt werden.“
Ana und Vika spielten Jeu de volant, während einige andere Damen an einem Tisch saßen, den man nach draußen getragen hatte. Sie tranken Tee und stickten. Als wir näher kamen erkannte ich unter ihnen Luciennes Schwägerin Lucile de Rennes, die am Vorabend auch auf dem Souper gewesen war. Nachdem ich die beiden bekannt gemacht hatte, entstand sofort ein an angeregtes Gespräch. Ich jedoch verspürte nach dem ausgedehnten Spaziergang, der Hitze und den vielen Menschen im Park, das Bedürfnis nach etwas Ruhe, sodass ich mich damit entschuldigte, von der Sonne Kopf­schmerzen zu bekommen.
Auf meinem Weg zu unserer Wohnung passierte ich Bérénice de Levallois und ihre Freundin. Schwungvoll schlug sie ihren Fächer auf und begann eifrig mit besagter Mademoiselle zu tuscheln. Ihr merkwürdiges Betragen irritierte mich, schließlich waren wir uns am Vortrag erstmals begegnet und hatten kaum ein Wort gewechselt. Kurz danach traf ich auch auf den König, der sich in Beglei­tung von Sébastien de Tourvel und diesem gewissen Armand de Saint-Simon befand. Ich machte einen tiefen Knicks.
„Bonjour, ich hoffe, Mademoiselle fühlen sich hier wohl?“, erkundigte sich seine Majestät mit wohlmeinenden Lächeln.
„Oui, ich kann mich nicht erinnern, je an einem schöneren Ort gewesen zu sein“, entgegnete ich aufrichtig. Bei meinen Worten wurde sein Lachen noch warmherziger.
Er begann mir Fragen über meine Heimat zustellen und lauschte interessiert meinen Antworten. Währenddessen spürte ich die ganze Zeit Armand de Saint-Simons Augen auf mir ruhen. Mir war bewusst, dass ich, wo immer ich war, die Blicke der Herren auf mich zog, aber solch einem durch­dringenden war ich noch nie begegnet. Ich fühlte mich auf einmal überaus kribblig.
„Ist Euch nicht wohl, Princesse, ihr wirkt etwas erhitzt und fahrig?“, fragte der König. Ich glaubte Besorgnis in seinen Augen zu lesen. Die Anwesenheit des Prinzen machte mich ganz durcheinander.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein Majestät, es ist alles in bester Ordnung“, versicherte ich, doch ich merkte, wie mich ein leichter Schwindel überkam.
„Würde einer von Euch beiden die Prinzessin an die frische Luft begleiten? Ich denke, dass wird ihr gut tun“, wandte sich Louis XVI. an seine Begleiter.
„Eure Sorge ehrt mich sehr, Sire, aber ich war bereits den ganzen Nachmittag mit der Princesse d'Armeray im Park und wollte mich nun etwas zurückziehen“, erklärte ich.
„Nun gut“, sagte er, „Aber Ihr werdet nicht ohne Begleitung zu Euren Gemächern zurückkehren, nicht dass Ihr doch ohnmächtig werdet.“ Er schaute die zwei Herren auffordernd an; Sébastien bot ohne zu zögern seine Dienste an.

 


Viktorija Elisabeth von Krolock Prinzessin von Rumänien
08. Juni - Abends, Versailles - Königliche Oper

 

Der Ball fand im Zuschauerraum der königlichen Oper von Versailles statt. Vor den großen Flügel­türen im marmornen Treppenhaus hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet. Jeder Gast wurde beim Betreten angekündigt. In unserer unmittelbaren Nähe hatte ich bis jetzt keine bekannten Ge­sichter ausfindig machen können. Gelangweilt schlug ich meinen Fächer auf, ich war es nicht ge­wöhnt, auf das Betreten des Ballsaals warten zu müssen. Zuhause gehörte ich zur königlichen Fami­lie und stand oder saß neben meinen Eltern, während uns die ankommenden Gäste ihre Aufwartung machten.
Antonia bestaunte wieder einmal die Architektur, vor allem die Decke hatte es ihr angetan. Ich fand sie nicht herausragender als die Deckenfresken daheim.
Endlich kamen wir an die Reihe, wir machten einen tiefen Knicks und stellten oder setzten uns zu den anderen Ballgästen an den Rand. Nach einer weiteren halben Stunde war die Zeremonie been­det und der Ball wurde feierlich eröffnet. Ana wurde von Sébastien de Tourvel, Antonia von einem älteren Herrn, der sich als Marquis de Vaucourt vorstellte, zum Tanzen aufgefordert.
„Mademoiselle, mein Name ist Charles Philippe Comte d'Artois.“ Ein gutaussehender Mann, viel­leicht etwas älter als meine Brüder, war vor mich getreten und verbeugte sich. „Darf ich um den Tanz bitten?“
Ich legte meine Hand in seine, er führte mich auf die Tanzfläche. Das war er also. Ana hatte mir be­reits vom jüngsten Bruder des Königs erzählt, er gehörte zu den Freuden Marie Antoinettes und liebte ausschweifende Vergnügungen.
„Wie gefällt Euch Versailles?“, fragte er nach einiger Zeit, musste aber auf eine Antwort warten, bis ich wieder in seiner Nähe war.
„Hervorragend. Finden die Hofbälle immer hier statt?“
„Und Bankette“, bejahte er, „Das Parkett wird dafür mit Hilfe eines Hebemechanismus auf die Hö­he des Bühnenbodens angehoben.“
„Faszinierend“, antwortete ich und bemühte mich den gelangweilten Tonfall meiner Stimme zu ver­bergen. Kurz darauf verklang der letzte Ton des Menuetts.
„Es war mir eine Ehre, Mademoiselle.“
Ich tanzte noch einige anderer Tänze, darunter einen mit dem König, bis ich mich entschied eine Pause zu machen. Louis XVI. war kein guter Tänzer, doch da er, dem Hofklatsch zufolge, Bälle und dergleichen abgeneigt war, fand ich es nicht verwunderlich.
Ein Diener mit einem Tablett voll Champagnergläser blieb vor mir stehen, ich nahm mir eins und stellte mich etwas abseits von einer Sitzgruppe, auf der Lucienne zusammen mit einem Mann Platz genommen hatte, hin. Die Sicht auf die Tanzfläche war hier besser. Die Musiker spielten gerade eine Courante, während Ana zum wiederholten Male mit dem König tanzte; lange würde sie das nicht mehr können, mir war nämlich zu Ohren gekommen, dass der König immer um elf Uhr abends zu Bett ginge.
Ich ließ meinen Blick weiter durch den großen Saal schweifen. Auf der gegenüberliegende Seite entdeckte ich Sarah in einem silbergrauen Kleid, sie sprach mit Sébastien de Tourvel. Als auch sie mich erblickte, kam sie gemeinsam mit dem jungen Duc herüber.
„Bon soir Monsieur, bon soir ma sœur“, begrüßte ich die beiden.
„Habt Ihr bereits genug vom Tanzen, Mademoiselle?“, fragte Sébastien.
„Nein, ich pausiere nur ein wenig.“
„Es macht mich wunder, dass Artois so wenig mit Euch gesprochen hat. Er tändelt sonst mit jeder hübschen Dame“, meinte er ehrlich verwundert.
Sarah kicherte amüsiert hinter ihrem Fächer. „Ana hat ihn gestern angewiesen, er solle sich damit bei Viktorija zurückhalten. Nicht, dass er die junge, zukünftige Braut noch auf Abwege bringe“, klärte sie uns auf.
Es missfiel mir, dass Ana offenbar versuchte meinen Umgang zu kontrollieren. Nur weil jemand mit mir kokettierte, hieß dies noch lange nicht, dass ich mich von ihm, zu was auch immer, verführen ließ.
„Sie wacht ja strenger über mich, als die alte Baronin Vécsey damals“, bemerkte ich verstimmt.
Sarah begann von den Geschäften ihres Gatten zu berichten, er hatte rund um den Palastgarten des Palais Royal Arkadengänge bauen lassen, welche Wohnungen, Geschäfte und Vergnügungseinrich­tungen beherbergten. Danach sprachen die beiden über das Befinden seiner Gemahlin Sophie und eine bevorstehende Parforcejagd. Beim letzteren musste ich an Antonia denken, ob sie noch immer mit dem schwarzhaarigen Marquis tanzte? Ich fand sie tatsächlich zwischen den vielen Paaren auf der Tanzfläche. Antonia hatte dasselbe gezwungene Lächeln aufgesetzt, wie in der Gegenwart mei­nes Vaters, woraus ich schloss, dass ihr die Gesellschaft des Marquis nicht sonderlich zusagte. Ich meinte Erleichterung in ihrem Gesicht zu erkennen, als der letzte Ton der Sarabande verklang. Sie steuerte auf unser Grüppchen zu, doch Lucienne fing sie ab.
„Ich muss Euch jemandem vorstellen, Cousine“, sagte sie lächelnd. Antonia blickte entschuldigend in meine Richtung.
Sie gingen zu dem hübschen Mann, neben dem Lucienne bis eben gesessen hatte. Mir fiel auf, dass ich nicht die einzige war die, die drei beobachtete. Wieder war es Bérénice de Levallois. Ihr ste­chender Blick hatte etwas angsteinflößendes. Während der junge Herr nun, so weit ich wusste, hieß er Armand de Saint-Simon, eine galante Verbeugung mit Handkuss vollführte, sah ich wie sich Bérénice' Kiefer anspannte und sie ihre Lippen zusammenpresste. Ihr musste viel an dem Monsieur liegen, wenn eine Bekanntmachung mit einer anderen Dame sie so offenkundig in Rage brachte. Ich war neugierig und rückte näher an meine beiden Cousinen und den jungen Mann, um ihre Unterhal­tung verfolgen zu können.
„Wir sahen uns bereits vorgestern Abend beim Souper des Königs, wenn ich mich recht entsinne, bedauernswerterweise wurden wir allerdings nicht vorgestellt“, erklärte der Prinz an Lucienne ge­richtet.
„In der Tat, so war es. Seine Majestät hat sich sehr über Euren plötzlichen Aufbruch gewundert“, er­gänzte Antonia freundlich.
Ihre Äußerung schien ihn in Verlegenheit zu bringen. Ich hatte mir schon gedacht, dass seine knap­pe Erklärung nur ein Vorwand gewesen war, um der für ihn anscheinend unangenehmen Situation zu entkommen. Seine Reaktion war für mich Bestätigung genug.
„Nun“, räusperte er sich.
„Ihr müsst Euch dafür nicht rechtfertigen“, kam Antonia ihm zuvor und lächelte herzlich. Er erwi­derte es aufrichtig.
Ich wandte meinen Blick in Bérénice Richtung. Ihre Mine war unverändert düster. Was wohl Ihr Problem war? Armand de Saint-Simon fragte Antonia, ob ihr der Ball gefiele und sie gern tanze.
„Leidenschaftlich“, gab sie strahlend zur Antwort, woraufhin er sie ebenso lächelnd zum nächsten Tanz aufforderte. Es war eine Allemande. Anschließend führte er sie wieder zu Lucienne und ent­schuldigte sich kurz.
„Na, wie gefällt er Euch?“, fragte sie gespannt.
„Ein ganz passabler junger Herr“, hörte ich Antonia zögernd antworten.
Passable? Diese Bezeichnung war für den schmucken Kavalier wohl eher eine Beleidigung. Luci­enne schien ähnliches zu denken, denn sie hob irritiert eine Braue.
„Ihr liegt falsch, teure Cousine. Am Ende dieses Abends werdet Ihr anders denken.“
Mehr konnte sie dazu nicht sagen, denn Armand kehrte mit drei Champagnergläsern zurück. Ich lauschte weiter ihrer Unterhaltung, bis meine Cousine Lucienne mich entdeckte und auf mich zu kam.
„Ihr scheint wohl lieber den Gesprächen anderer zu zuhören, als zu Tanzen“, fragte sie belustigt.
Ich atmete erleichtert auf, hatte ich doch befürchtet, sie könnte deshalb verärgert sein. Es machte mich dennoch ein wenig verlegen, dass ich ertappt wurde, daher nickte ich lediglich.
„Kommt, ich stelle Euch meinem Gemahl und seinem Bruder vor. Die beiden werden gewiss gern mit uns tanzen.“
Ich empfand Luciennes Gemahl, Jean Édouard, und seinen älteren Bruder, Louis Xavière, als äu­ßerst angenehme Gesellschaft. Nach jedem Tanz wechselten wir den Partner und ich begann endlich Vergnügen an diesem Ball zu haben. Dennoch ließ ich Antonia und den Prince de Saint-Simon nicht aus den Augen. Seit Lucienne meine Cousine mit ihm bekannt gemacht hatte, war er kaum von ihrer Seite gewichen.

 


Ana Luise von Krolock Herzogin von Kürthy
08. Juni - Abends, Versailles - Königliche Oper

 

„Bitte verzeiht, Monsieur. Ich brauche eine kleine Tanzpause.“
„Geht es Euch nicht gut? Soll ich Euch eine kleine Erfrischung bringen?", fragte Alexandre de Lan­des besorgt, während er mich von der Tanzfläche zu einer kleinen Sitzgruppe führte.
Ich fühlte mich ziemlich schwindelig. „Oui, merci beaucoup.“
Am liebsten hätte ich die Oper verlassen und den Prinzen einfach stehengelassen, was sehr unhöf­lich gewesen wäre. Mir war jedoch so elend zumute, dass ich nur noch alleine sein wollte. Wahr­scheinlich hatte ich mich mit dem Tanzen übernommen. Ich schlug meinen Fächer auf und versuch­te mich von dem Kreisen in meinem Kopf abzulenken. Wenn Alexandre de Landes nicht schon ver­heiratet gewesen wäre, hätte ich ihn mir gut als Gatten für Antonia vorstellen können. Wo war sie eigentlich? Ich blickte mich im Saal um, doch ich konnte nur Vika finden. Sie tanzte, nachdem sie eine ganze Weile mit Édouard und Xavière de Toulouse getanzt hatte, nun mit Sébastien de Tourvel. Dieser hatte im letzten Jahr Sophie, die jüngste Tochter eines preußischen Herzogs, geheiratet. Sie stand unmittelbar vor ihrer ersten Niederkunft, weshalb sie heute Abend nicht auf dem Ball, sondern in ihrem Stadtpalais in Paris war. Ihr Arzt hatte ihr wohl, wegen mehreren Schwächeanfällen, gera­ten sich zu schonen. Das wusste ich von Marie Antoinette, denn Sophie gehörte zu ihren Hofdamen.
Alexandre war inzwischen auch wieder in Sicht, mit zwei Champagnergläsern kam er auf mich zu. „Habt Ihr Euch ein wenig erholt?“, fragte er während er mir das Glas reichte, „Ihr saht vorhin sehr blass aus.“
„Oui, ich fühle mich schon wieder besser. Der Champagner und frische Luft werden mich schon wieder in Schwung bringen“, erwiderte ich mit einem schwachen Lächeln, „Würdet Ihr mich nach draußen begleiten?“
„Mais bien sûr, Madame.“
Er bot mir seinen Arm an und führte mich nach draußen. Wir stellten uns auf die oberste Stufe der Freitreppe und schauten in den Park. Vereinzelt strömten noch Bedienstete umher, um die letzten Laternen zu entzünden.
„Wo ist eigentlich Eure reizende Gemahlin. Ich habe sie seit meiner Ankunft in Versailles noch kein einziges Mal gesehen“, fragte ich interessiert.
„Éloïse ist seit der letzten Woche in Paris geblieben, weil sie Sophie de Tourvel Gesellschaft leisten wollte“, antwortete er. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihm fehlte.
„Bedauert Ihr das?“
„Ich gebe zu, dass mir ihre Gesellschaft fehlt. Wir haben uns schon in Kindertagen hervorragend verstanden. Ich schätze, das war auch einer der Gründe, warum unsere Eltern für diese Verbindung waren. Vermutlich haben sie die Hoffnung, dass aus einer glücklichen Ehe mehr Kinder hervorge­hen“, erzählte er.
„Éloïses Verhalten ist äußerst edel und mitfühlend, nicht viele jungen Damen würden auf das Ver­gnügen eines Balls verzichten“, bemerkte ich.
„Ja, da habt Ihr wohl recht. Éloïse hat in Sophie eine wundervolle Freundin gefunden, sie stehen sich sehr nah. Ich kann ihr deshalb auch keine Vorwürfe machen, dass sie mich heute Abend ande­ren bezaubernden Damen zum Tanzen freigibt. Meinen Freunden würde ich ebenso zur Seite stehen, wie sie es tut“, meinte er mit einem Lächeln auf den Lippen.
Es schien ihm zu gefallen, dass seiner Gemahlin Freundschaft wichtiger war als ein Ball. Wirkliche Freundschaft fand man an den großen Fürstenhöfen nur selten, denn dort regierte oft nur Intrige und Verrat. Man musste vorsichtig sein, nicht nur hier in Versailles, sondern auch zu Hause in Rumäni­en. Der eigene Vorteil war für die meisten Höflinge von größter Bedeutung, zu seiner Erlangungen waren auch Diskreditierung und Verleumdung beliebte Mittel. Manche fanden auch einfach Spaß daran, wie die Schwestern meines Gemahls. Sie liebten es am Hofe Gerüchte über mich zu verbrei­ten und der Herzog schlug mich für jedes, in seinen Augen, falsche Verhalten oder Wort von mir, dass ihm zu Ohren kam.
Die Kürthys waren ein hochrangiges und angesehenes Adelsgeschlecht, jede Familie in Rumänien wäre stolz auf eine Verbindung mit ihnen. Doch wie es in Wahrheit hinter ihrer Fassade aussah, in­teressierte niemanden. Es zählte einzig und allein der jahrhundertealte und ehrenwerte Name. Für einen Teil meiner Familie waren die Söhne der Kürthys die reinste Schande für unseren Stand. Mei­ne Mutter, Königin Charlotte, empfand es gar als Beleidigung, dass ihre älteste Tochter an die­ses Haus „verkauft“ wurde, wie sie es ausdrückte. Antonia hatte gut daran getan, sich gegen eine Verlo­bung mit dem Bruder des Herzogs zu wehren. Wenn ich nur den gleichen Mut gehabt hätte, mich gegen meinen Vater und das innere Pflichtgefühl aufzulehnen... Aber ich hatte keine Wahl gehabt: Frauen mussten gehorchen, taten wir es nicht, wurden wir gezüchtigt. Und Vater hätte mich dafür hart bestraft. Onkel Ferdinand, Antonias Vater, war warmherzig und gutmütig, sie hatte nichts zu befürchten gehabt.
Ach, diese Gedanken brachten nichts. Sie linderten die Qualen nicht, sondern mehrten sie nur. Sie brachten nur mehr Schmerz und Trauer in den Scherbenhaufen meines Lebens, der jedes Mal, wenn ich hier war für einige Wochen gekittet wurde, um kurz darauf wieder zerbrochen zu werden. Wo waren nur all meine Kraft und mein Mut hin? Wo war meine Stärke? So dachte eine Krolock nicht. Reiß dich zusammen!, befahl ich mir. Doch schon längst rannen mir die Tränen an den Wangen run­ter. Was war nur los mit mir? Ich hatte mich doch sonst im Griff.
„Was ist los, Madame? Geht es Euch wieder schlechter?“, drang Alexandres besorgte Stimme lang­sam zu mir durch. Ich hatte alles um mich herum vergessen. Ich sah Alexandre durch meine von Tränen verschleierten Augen an und schüttelte den Kopf.
„Nein, Monsieur, alles ist gut. Unser Gespräch hat mich an etwas trauriges erinnert. Bitte, entschul­digt meinen Gefühlsausbruch. Ich denke, es ist besser, wenn ich mich nun in mein Gemach zurück­ziehe.“ Ich deutete einen Knicks an und ging. Niemand schien mich wahrzunehmen. Welch ein Glück, dass alle hier mit sich selbst beschäftigt waren.
Es tat mir Leid, dass ich den Prinzen anlügen musste, aber so liebenswürdig er auch war, die Wahr­heit konnte ich ihm nicht sagen. Die kannte noch nicht mal Louis. Ich sagte ihm nicht, wie es mir wirklich ging, wenn ich in Rumänien war. Ich konnte es ihm nicht sagen, er liebte mich so sehr, dass ich fürchtete, es könnte ihn zu sehr belasten. Das wollte ich ihm nicht antun, denn es war mein Schicksal – nicht seines. Er hatte schon mit seinem zu kämpfen, König zu sein.
Endlich erreichte ich die kleine Wohnung. Ich öffnete meine Zimmertür und sobald ich sie hinter mir geschlossen hatte, gaben meine Knie nach. Ich konnte die unterdrückten Tränen nicht mehr hal­ten und begann leise zu schluchzten. Am liebsten hätte ich geschrienen, doch ich befürchtete, dass mich jemand hören könnte.
Plötzlich drückte mich jemand an sich und flüsterte mir beruhigend zu. „Schss, Ana, alles ist gut! Ich bin bei dir. Ich halte dich.“ Es war Louis. Anscheinend hatte er hier auf mich gewartet. Er strei­chelte und wiegte mich in seinen Armen. „Was ist los, ma chère? Was ist passiert? Als ich den Ball verließ, warst du noch fröhlich am Tanzen und nun?“
„Nichts ist passiert, Louis“, antwortete ich kaum verständlich, „Ich fühle mich nur ein wenig unpäs­slich und schwindelig. Wahrscheinlich habe ich es mit dem Tanzen übertrieben oder zu viel Cham­pagner getrunken.“
„Vielleicht solltest du deine Zofe nach dem Arzt schicken lassen“, erwiderte er dennoch voller Sor­ge.
„Nein, Louis! Bitte nicht...du wirst sehen morgen früh ist alles wieder in Ordnung. Mir kamen auch traurige Gedanken und ich habe mich wohl einfach zu arg aufgeregt.“
Louis sah mich fragend an, er schien nicht überzeugt zu sein. „Ana,...“
„Bitte, Louis!“
„Eh bon. Aber nur weil ich nicht möchte, dass du dich noch mehr aufregst...“, gab er seufzend nach und half mir beim Aufstehen. „Aber zu Bett bringen werde ich dich.“
Diesmal widersprach ich nicht, es hätte ihn sicherlich gekränkt, wenn ich seine Hilfe ausgeschlagen hätte. Ich empfand es als seltsam, dass der König von Frankreich mich entkleidete und nicht meine Zofe. Aber Louis war in einigen Dingen eher unköniglich, wie etwa seine Vorliebe für Anzüge aus Ratin, einem schlichten Wollstoff.
Nachdem wir mich ausgezogen und ich mich hingelegt hatte, deckte er mich zu. Dann legte er sei­nen seidenen Banyan, einen weiten, T-förmig geschnittenen Morgenmantel ab, kam zu mir ins Bett und zog mich sanft in seinen Arm. Ich begann erneut zu weinen. Ich konnte nichts dafür, die Tränen flossen einfach.
„Bleib bei mir, Louis!“, schluchzte ich.
„Ich bin immer bei dir, das weißt du.“
„Ich möchte nie mehr nach Hause, ich möchte hier bleiben in Versailles – bei dir.“
„Und ich möchte wissen, was dich quält? Ich sehe es dir doch an. Dass du einfach nur hier bleiben willst, kann nicht der ganze Grund deiner Verzweiflung sein?“
Ich weinte immer heftiger, woraufhin Louis leise anfing ein französisches Kinderlied zu summen. Bevor mir erschöpft die Augen zu fielen, spürte ich noch, wie er mich sacht auf die Schläfe küsste.

 


Antonia Josepha von Krolock Prinzessin von Blazon
08. Juni - Abends, Versailles – Gartenanlage

 

Seit dem ich Armand de Rouvrory de Saint-Simon vorgestellt worden war, hatte ich mich so unbe­schwert gefühlt wie auf keinem anderen Ball zuvor. Ich konnte mich nicht daran erinnern, gleich­sam so viel getanzt und gelacht zu haben. Nachdem wir genug getanzt hatten, holte Armand uns eine kleine Erfrischung und wir gingen hinaus auf die große Freitreppe. Dort tauschten wir Anekdo­ten und wissenswertes über Frankreich und Rumänien aus. Die Mythen unseres Volkes behielt ich allerdings für mich. Es waren nur alberne Geschichten, die die Menschen untereinander erzählten, um sich die langen Winterabende zu vertreiben. Nicht mehr und nicht weniger. Ich glaubte nicht an diesen Unsinn. Vika hingegen liebte diese Mythen, sie fand sie sehr unterhaltsam und war fasziniert von der Vorstellung, dass es blutsaugende Menschenähnliche Wesen, die Vampyre genannt wurden, geben sollte. Für mich war das nicht nachvollziehbar.
Irgendwann verließen wir die Freitreppe und folgten den ordentlich angelegten Alleen, passierten Springbrunnen und Fontänen, die unseres Besuchs wegen angestellt worden waren – eine Ehre, die nicht jedem zuteil wurde – und gelangten in einen kleinen Rosengarten. Dort setzten wir uns auf ein zierliches Bänkchen. Leise drang die Musik aus dem Schloss in die nächtliche Stille des Parks. Schweigend saßen wir nebeneinander, eingehüllt vom Duft der weißen und roten Rosen. Ich ließ meinen Blick über den wolkenlosen Nachthimmel schweifen und entdeckte einige Sternbilder.

 

„Hör, es klagt die Flöte wieder,

Und die kühlen Brunnen rauschen.

Golden weh'n die Töne nieder,

Stille, stille, lass uns lauschen!

 

Holdes Bitten, mild Verlangen,

Wie es süß zum Herzen spricht!

Durch die Nacht, die mich umfangen,

Blickt zu mir der Töne Licht.“

("Abendständchen" Clemens Brentano, 1802),


rezitierte Armand.
„Ein wundervolles Gedicht“, erwiderte ich überrascht. Seine braunen Augen schauten melancho­lisch gen Himmel.
„Mir kam es eben wieder in den Sinn. Meine Schwester Isabelle hatte ein ausgeprägtes Interesse für Lyrik. Dies war eines ihrer liebsten Gedichte“, sagte er, wandte den Blick vom Himmel und lächelte mich verlegen an. „Mademoiselle, ich habe den heutigen Abend über alle Maßen genossen. Selten habe ich mich in so angenehmer Gesellschaft befunden. Ihr seid anders als die meisten Damen hier, deren Interessen nicht viel weiter als Mode und derlei Tand reichen. Mit Euch kann man tiefgründi­ge Gespräche führen, nicht nur inhaltslose Hofkonversation.“ Er schwieg einen Moment. „Ihr seid feinsinnig, nachdenklich und empfindsam – das gefällt mir!“
„Der Abend war in der Tat sehr schön. Ich kann diese höfische Art der Konversation auch nicht son­derlich leiden, das scheinen wir gemein zu haben. Mir fehlt die Ehrlichkeit in dieser Welt“, antwor­tete ich lächelnd. Er erwiderte es und sofort begann es in mir zu kribbeln. Ich betrachtete seine ebenmäßigen Zügen, die zugleich weich und markant waren.
„Erlaubt mir noch etwas zu sagen: Ihr habt faszinierende Augen, sie lassen alles andere drumherum unbedeutend erscheinen, als gäbe es nur diesen einen Augenblick.“
„Ihr schmeichelt mir, Monsieur.“ Ich spürte wie meine Wangen erröteten.
„Ihr friert, wir sollten ins Schloss zurückkehren“, meinte Armand, nachdem wir dort noch eine Wei­le gesessen und unser Gespräch von der Freitreppe fortgeführt hatte. Ich stimmte zu und hakte mich in seinem dargebotenem Arm ein. Nach nur wenigen Schritten blieb Armand de Saint-Simon plötz­lich stehen, brach eine kleine Rose ab und überreichte sie mir.
„Merci“, sagte ich und lächelte verlegen in die Dunkelheit. Als wir den Ballsaal erreicht hatten, ver­abschiedete er sich von mir, versprach mir allerdings, dass wir uns am nächsten Tag wiedersehen würden. Dann machte ich mich, unter der noch immer unzähligen Gästeschar, auf die Suche nach meinen Cousinen.
Ich hätte die Erinnerungen an diesen Abend am liebsten in einem Flakon verschlossen, um diese herrlichen Stunden nie zu vergessen. Da ich keine meiner Cousinen ausfindig machen konnte, ver­ließ auch ich – in Gedanken noch immer bei dem jungen, dunkelblonden Mann mit dem schiefen Lächeln – den Ball. Lucienne hatte sich nicht getäuscht, Armand war weit mehr als nur passabel.

 


Ana Luise von Krolock Herzogin von Kürthy
10. Juni – Nachmittags, Versailles – Hameau de la Reine

 

Das Hameau de la Reine, das wir besuchten lag hinter dem Petit Trianon im Englischen Garten. Ringsum einen See waren Bauernhäuser angeordnet, die denen des Payes de Caux nachempfunden waren.
„Willkommen in meinem petit village“, sagte Marie Antoinette freudig, während sie uns durch das Gartentor mit Blumen umrankten Torbogen führte.
„Schön ist es hier, très beau“, äußerte sich Viktorija begeistert, „So idyllisch.“
Marie Antoinette breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. „Ich genieße es, es ist mein Paradies.“ Eine leichte Brise brachte die Baumkronen zum Rauschen und unsere Musselin­kleider zum Wehen, während wir den Weg zum größten der Häuser entlang schritten.
„Oh, wer bist du denn?“, rief ich aus, als ein Lämmchen an uns vorbei lief.
„Ist es nicht süß?“, erwidert Marie Antoinette lachend. Ich nickte. Das war es in der Tat und sein Fell so schön weich. „Aus der Wolle lasse ich Socken für die Armen machen.“
„Wie reizend, Eure Majestät. Das sollte sich der Adel zum Vorbild nehmen“, sagte Antonia anerken­nend.
Marie Antoinette führte uns zu einem bäuerlichen Holztisch, er hatte nichts mit den reichverzierten Tischen unseres Standes gemein. Er war klobig und schmucklos, darüber konnte auch das filigran bemalte Porzellanservice nicht hinweg täuschen. Die Herzogin de Polignac und Prinzessin de Lam­balle hatten auf einer Bank Platz genommen.
„Möchtet Ihr von der Milch kosten, die Gabrielle soeben gemolken hat? Sie ist ganz frisch“, fragte die Prinzessin, während Antoinette schon die Tassen befüllte.
„Die ist ja warm“, rief Viktorija überrascht aus. „Und äußerst köstlich, wie es sich für königliche Kühe gebührt.“
Die Herzogin ging mit Antonia Erdbeeren pflücken, Vika und die Königin zu den Hühnerställen, um nach frisch gelegten Eier zu suchen. Ich hörte Armand de Saint-Simons Namen fallen, als sie sich von mir und Marie Thérèse de Lamballe entfernten. Gabrielle war es offenbar auch nicht ent­gangen, dass der einzige Sohn von Augustin de Rouvrory Duc de Saint-Simon, Marquis de Sandri­court auf dem Ball nur Augen für eine Dame hatte. Als der Erbe eines beträchtlichen Vermögens – alle Verwandten väterlicherseits waren verstorben – war Armand außerordentlich begehrt. Es gab niemanden, der ihn nicht zum Schwiegersohn wollte. Ich kannte zwar nicht die Absichten der Her­zogin, aber ich wusste, dass sie gerne gute Partien, Posten und Titel für ihre Familie und Freunde beanspruchte. Marie Antoinette gewährte ihr alles oft ohne zu zögern, womit sie viele andere Höf­linge verärgerte. Aber dafür war sie blind.
„Schön, dass Ihr Euch zu uns gesellt. Ich habe Eurer Cousine soeben eine kleine Übersicht über die besten Junggesellen am Hofe gegeben. Der Marquis de Vaucourt ist bereits durchgefallen“, wandte sich Gabrielle an mich und steckte sich schalkhaft lächelnd eine Erdbeere in den Mund.
„Er ist älter als mein Vater, Ana“, reagierte Antonia auf meinen verwunderten Blick, der allerdings nicht damit verbunden war. „Könnt Ihr Euch vorstellen, mit einem so altem Mann verheiratet zu sein? Ganz und gar entsetzlich.“
„Er könnte jeder Zeit sterben, dann wärt Ihr eine sehr reiche Witwe und könntet Euch einen Liebha­ber nehmen“, die Duchesse lächelte anzüglich. Antonia schaute sie entgeistert an. Mit solch offe­nen Worten hatte sie nicht gerechnet.
„Setzt Ihr keine Flausen in den Kopf, Gabrielle. Der Marquis kommt nicht infrage, mein Onkel würde seine Zustimmung zu der Verbindung verweigern.“
Den Abend verbrachten wir im Petit Trianon, mit Glücksspiel und Musik. Ich erkundigte mich bei Sébastien de Tourvel, ob die Duchesse de Polignac auf der Suche nach heiratsfähigen Männern war, doch alle Freunde und Verwandten waren bereits versorgt – wie ich erleichtert feststellte. Sie hatte wohl doch nicht vor, meine Cousine in irgendwelche Intrigen zu verwickeln oder zu diskreditieren.

 


Antonia Josepha von Krolock Prinzessin von Blazon
12. Juni - Nachmittags, Paris - Hôtel de Rennes

 

„Die Abreise aus Rumänien ist am letzten Julitag geplant“, beendete Vika die Erzählung über ihre bevorstehende Vermählung und nahm sich ein kandiertes Veilchen aus dem eleganten Porzellan­schälchen.
„Meinen Glückwunsch, Cousine. Ihr werdet Eure Familie gewiss nicht enttäuschen“, meinte Luci­enne und lächelte aufrichtig.
„Kommt, lasst uns ein paar Schritte gehen“, sagte Tante Rebekka an mich gewandt und setzte ihre Teetasse ab. Sie führte mich durch die geöffnete Terrassentür in den bepflanzten Innenhof. In seiner Mitte gleißte eine vergoldete Statue in der Sonne. Zitronen, Feigen und Oliven reiften an eingetopf­ten Bäumchen heran.
„Wie geht es der Großherzogin Tereza?“
Die Frage erstaunte mich, denn laut meinem Vater, konnte auch sie die Kürthys nicht leiden. „Meine Mutter erfreut sich bester Gesundheit“, bemühte ich mich so neutral wie möglich zu sagen.
Rebekka betrachtete mich argwöhnisch von der Seite. „Ihr seht so aus als wäre es Euch lieber, wenn dem nicht so wäre?“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich fühlte mich zu ertappt, um die passenden Worte zu finde. Stattdessen bewunderte ich ihre beiden Zwergpudel, die sich gegenseitig durch den Hof jagten.
„Glaubt nicht, Antonia, dass ich nichts von den Differenzen zwischen Euch und Eurer Mutter wüs­ste. Ferdinand schreibt zwar selten, aber er schilderte mir äußerst lebendig den Vorfall mit Varujan von Kürthy und wie wütend die Großherzogin seitdem sei. Ich bin mir sicher, sie würde Euch ver­zeihen, wenn Ihr sie darum bätet.“
Entschuldigen? Niemals! Ich hatte kein Interesse an einem bessern Verhältnis zu meiner Mutter; wir hatten uns nie nahe gestanden – auch nicht vor der gescheiterten Verlobung. Mütterliche Zuneigung hatte ich von Seiten meiner beiden Tanten gespürt, aber nie von meiner Mutter, daher konnte ich gut ohne sie leben.
„Es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste“, antwortete ich scharf und wechselte das Thema, „Berichtet Vater auch manchmal vom König?“
„Ferdinand erwähnte ein paar Vorkommnisse. Aber ich würde sehr gerne auch Eure Schilderungen hören, also bitte ich Euch, liebste Nichte, frei zu sprechen.“
Es gab eine Menge solcher Vorkommnisse, wie meine Tante sie bezeichnete, daher hielt ich mich nicht damit auf, von konkreten Situationen zu berichten. „Onkel Richard quält und prügelt meine Cousins bis an die Grenzen des Erträglichen“, begann ich meine Erzählung, „Herbert und Friedrich sind ihm zu weich, deshalb will er sie mit aller Gewalt in echte Männer und stramme Soldaten ver­wandeln. Doch damit hat er in den letzten Jahren nur erreicht, dass sie ihn zugleich fürchten und hassen. Je mehr Prügel sie von ihrem Vater erfuhren, umso mehr wendeten sie sich ihrer liebevollen Mutter und meinem Vater zu. Dies schürte wiederum Richards Wut. Es ist ein ewiger, undurch­brechlicher Kreislauf; es genügen Kleinigkeiten, um seinen Zorn und Argwohn zu erregen, seine ganze Umgebung – Hof ebenso wie Volk – leidet unter seinen gewalttätigen Ausbrüchen.“
Tante Rebekka nickte bestürzt. „Ich erkenne Richard in Euren und Ferdinands Schilderungen kaum wieder, auch wenn er schon immer ein aufbrausendes Temperament hatte.“
„Er war also nicht immer so tyrannisch und jähzornig?“, fragte ich verwundert.
„Ganz im Gegenteil, er war Eurem Vater ähnlicher, als Ihr denkt. Erst als junger Mann, mit acht­zehn oder neunzehn, hat er sich so verändert.“
„Was ist damals geschehen? Habt Ihr eine Vermutung, Tante?“
„Die Liebe. Es begann alles damit, dass unser Vater ihm verwehrte, sich mit deiner Mutter zu ver­mählen, in die er damals unsterblich verliebt war. Richard hatte sogar für sie komponiert. Das traut man ihm gar nicht zu, nicht wahr?“ Ich nickte verblüfft und hörte Tante Rebekka ungläubig zu, schließlich kannte ich den König nur als jemanden, der keinen Sinn für die Künste hatte und es ver­abscheute, wenn seine Söhne musizierten. „Nach der Hochzeit mit der ihm verhassten Französin, Charlotte de Rennes, war er nicht mehr der selbe“, fuhr sie fort zu erzählen, „Er hörte mit der Musik auf und begann einem Trunkenbold gleich mit seinen Freunden, zumeist Offiziere, die mit ihm im Heer unseres Vaters dienten, grölend durch die nächtlichen Straßen Hermannstadts zuziehen. Dabei sollen sie Fensterscheiben eingeschlagen und brave Bürger vor sich her gejagt haben. Die Mädchen in den Bordellen blieben von ihnen auch nicht verschont. Seitdem er den Thron bestiegen hat, scheint alles noch schlimmer geworden zu sein.“ In ihrer sanften Stimme schwang Betrübnis mit.
„Das ist es“, erwiderte ich nur und sog den schweren Blütenduft ein, der uns im Innenhof umgab.
Unglückliche Liebe als Ursprung seiner Verbitterung und Tyrannei? Der Wille seines Vaters musste ihn tief verletzt haben. Ich verspürte so etwas wie Mitgefühl für Onkel Richard, aber sein Schicksal entschuldigte keineswegs seine Brutalität. Friedrich war durch ein ähnliches Schicksal nicht grausa­m und gewalttätig geworden.
„So wie ich hörte, würdet Ihr jemanden wie den Preußenkönig als Herrscher bevorzugen, aber auch er wird nicht von allen verehrt. Es kommt auf die Ehrfurcht an, die hervorgerufen wird, nicht auf die Beliebtheit“, meinte meine Tante, nachdem wir eine Weile schweigend einher gegangen waren, „Ein harter, strenger König, wie Richard, ist immerhin besser als ein schwacher, nachgiebiger mit einer Königin an seiner Seite, die sich gern einmischt, obwohl sie kaum Ahnung von Politik hat.“
Ich zog verwundert die Brauen hoch. „Aber Marie Antoinette, ich nehme an, dass Ihr von ihr sprecht, hat Charme und Esprit und ist eine liebevolle Mutter. Das zählt doch vielmehr für eine Dame.“
„Diese Eigenschaften finden am Hof kaum Beachtung, Nichte. Ich weiß beispielsweise von Luci­enne, dass ihrer Majestät nichts unerträglicher ist, als der Zwang zum Hofzeremoniell, doch als Kö­nigin gehört seine Einhaltung zu ihren Pflichten – genauso wie es zu unseren gehört. Stattdessen hat Marie Antoinette aber von Beginn an gegen die Etikette angekämpft, womit sie sich, gerade am Hofe, zu viele Feinde gemacht hat. Dazu gehört auch ihre ehemalige Hofdame die Comtesse de No­ailles. Viele Höflinge sind allerdings auch verärgert, weil sie sich immer mehr zurückzieht und fern vom Protokoll im Trianon lebt. Außerdem...“, Rebekka stockte überrascht. „Wie ich sehe, ist gerade weiterer Besuch angekommen.“
Als auch ich den unerwarteten Besucher erblickte, senkte ich verlegen den Blick. In meinem Bauch begann es zu kribbeln und meine Hände wurden zittrig.

 

Personen

Fiktive Personen

 

Erzählende Figuren

Marie Élisabeth Princesse de Serdaine

Viktorija von Krolock Prinzessin von Rumänien

Ana von Krolock Herzogin von Kürthy

Antonia von Krolock Prinzessin von Blazon

Lucienne de Rennes Princesse d'Armeray

Friedrich von Krolock Großherzog von Rumänien

 

...

Anmerkung

Meine Geschichte greift historische Ereignisse (z.B. die französische Revolution) und Persönlich­keiten der damaligen Zeit auf (Marie Antoinette, Ludwig XVI.), doch wie bei jeder Geschichte ist vieles Fiktion, wie das von mir erdachte Königreich Rumänien, welches in Wirklichkeit erst 1859 durch die Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei entstand.

Ich benutze teils die Namen real existierender Adelsfamilien und verpasse ihnen zum Teil auch an­dere Titel; diese haben dann keinerlei Bezug zu den damals lebenden Personen dieser Familie. Beim Herzog von Chartres, später von Orléans, habe ich seine Vita so verändert, dass er sich von seiner ersten Frau hat scheiden lassen, um eine meiner Figuren zu ehelichen.

Den Namen der rumänischen Königsfamilie habe ich mir als Hommage aus meinem Lieblingsmusi­cal geborgt.

(Um nur ein paar Beispiele zu nennen.)

 

_________

 

Gedicht auf S. 63f: "Abendständchen" von Clemens Brentano, 1802

Impressum

Texte: Viktoria K.
Bildmaterialien: französische Modekupfer des 18. Jahrhunderts; Cover: La Toilette von Pierre-Antoine Baudouin, 1771
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Nils und Bianca

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