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Kapitel 1


Ich war wieder an diesem Ort, was machte ich hier nur?
Es sah aus wie immer: es war ein pechschwarzer, kreisrunder Platz, umrahmt von einem giftgrün strahlenden Wald. Alles war dunkel, bis auf den weißen, riesigen Turm der in der sich direkt in der Mitte des Platzes erstreckte. Wie jedes Mal wurde ich wieder von dieser Gestalt verfolgt.
Sie kam immer näher und blitzte mich mit ihren glühend roten Augen an. Ich geriet in Panik und versuchte zu fliehen doch es gelang mir nicht.
Egal wo ich hin lief, die Gestalt war immer schneller. Es gab nur einen Ausweg: der Turm!
So schnell ich konnte lief ich die Treppen hinauf, keuchend sah ich mich um. Zu meiner Verwunderung wurde ich nicht verfolgt. Ein komisches Gefühl von Erleichterung überkam mich, als ich die Tür erreichte, die nach draußen auf den kleinen Balkon führte und nichts von der Gestalt in Sicht war.
Doch als ich die Tür öffnete, kam der Schock: Sie war schon da. Sie lehnte am Geländer und man konnte nur die Silhouette erkennen, aus der boshafte Augen strahlten.
„Da bist du ja endlich, ich hab schon auf dich gewartet“, erklang eine rauchige Stimme.
Ich drehte mich um und wollte wieder hinunter laufen, aber sie stand schon da und versperrte mir den Ausgang.
„Du willst doch nicht etwa schon wieder gehen?“
Sie machte einen Schritt auf mich zu. Ohne sie aus den Augen zu lassen, ging ich rückwärts bis sich das Geländer in meinem Rücken drückte.
„Jetzt entkommst du mir nicht mehr“, lachte die Gestalt.
Ich schaute nach hinten und registrierte, dass es dort ganz schon tief hinab ging. Ich dachte nach; entweder springe ich oder mein Gegenüber bekommt mich. Ich würde so oder so sterben. Plötzlich veränderte sich das Bild und alles wurde hell erleuchtet, die Gestalt strahlte auf einmal so stark, dass sie mich blendete. Das alles geschah im Bruchteil einer Sekunde. So schnell, dass kein menschliches Wesen es mit seinen Augen hätte verfolgen können.
Doch ich war kein Mensch, das wusste ich. Ich wusste zwar nicht was ich war, aber in dieser neuen Situation war ich kein Mensch.
Die Gestalt zuckte zusammen.
„Oh fuck! Deine Augen!“, rief sie erschrocken.
Was war mit meinen Augen?
„Sie leuchten hell lila!“, antwortete sie auf meine unausgesprochene Frage.
Als ich realisierte, dass sie Angst vor mir hatte, lächelte ich. Es war ein Boshaftes lächeln. Langsam wurde die Gestalt erkennbarer, es zeichnete sich ein Gesicht ab. Es war ein Mann, er hatte braunes, schulterlanges Haar und war blass wie eine Leiche. Seine Kleidung sah aus, als wäre einem anderen Jahrhundert entsprungen. Da wusste ich wer er war! Es war…
„Ella! Warum antwortest du mir nicht? Ella? Ella!“, mit weit aufgerissenen Augen starrte Herr Wolff mein Geschichtslehrer mich an.
Wenn ich ihn noch eine Minute länger warten lasse platzt er bestimmt, dachte ich belustigt. Aber mit Pech dürfte ich dann die Hautfetzen und Gedärme von den Wänden kratzen. Also schaute ich verdutzt auf.
„Was gibt’s?“
„Was es gibt? WAS ES GIBT? Ich habe dich schon dreimal gefragt, wann Thomas Mystik zum Bürgermeister von Port Augusta gewählt wurde! Also, ich warte?“
Ich starrte ihn an.
„Das weiß ich doch nicht!“
„Solltest du aber! Schließlich bist du die Enkeltochter seiner Urenkelin!“
Ja, das war ich wohl. Ich war Ella Mystik. Ja, ich weiß, komischer Nachname, aber was soll ich daran ändern?
Ich öffnete den Mund um etwas zu erwidern, als ich unterbrochen wurde.
„Am dreizehnten Juni 1861“, kam es von weiter hinten.
Ich drehte mich um. Tim hatte mich auch dieser brenzligen Situation befreit, die mir ansonsten wahrscheinlich Nachsitzen oder eine Schulordnung eingebracht hätte.
Ich drehte mich wieder um und starrte auf die leere Tafel. Mein Herz pochte wie verrückt. Ich war seit der sechsten Klasse in Tim verliebt, damals war er noch ein Punk, trug Bullet for my Valentine-Shirts und Springerstiefel. In den zwei Jahren hatte er sich sehr verändert, war nun der Skaterboy in DC Klamotten und mit Cap. Und ich musste zugeben: er war noch süßer geworden. Aber egal. Ich wusste eh, dass er sich niemals mit jemandem wie mir abgeben würde. Er ist cool und jeder mochte ihn, während ich das von vielen gehasste Außenseitergirl bin.
Und trotzdem gab ich nicht auf. Ich liebte diesen Kerl und nichts konnte daran etwas ändern.
„W- wie bitte?“, Herr Wolff wirkte geschlagen, da er mich jetzt nicht mehr vor der ganzen Klasse zur Schnecke machen konnte, wie er es sonst so gerne tat. Ich war nicht grade sein Liebling, das wusste ich.
„Thomas Mystik wurde am Freitag, den dreizehnten Juni 1861 zum Bürgermeister von Port Augusta gewählt. Er kümmerte sich zehn Jahre um die Bürgerrechte der 2342 Bewohner. Am zehnten November 1890 wurde er ermordet. Er wurde 52 Jahre alt.“, Tim lachte laut.
Ich musste mich einfach umdrehen um ihn anzusehen und da saß er.
Er hatte die Arme hinterm Kopf verschränkt und die Füße auf den Tisch gelegt. Die Genugtuung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich lächelte und mein Herz machte einen Purzelbaum um dann kurz auszusetzen als er mir zuzwinkerte. Ich sah Herrn Wolff an und musste grinsen, als seine Gesichtsfarbe sich von kalkweiß zu rot und dann zu lila und dann wieder zu kalkweiß veränderte. Es war wie das Farbspiel dieser Stimmungskugeln. Dann fasst er sich mit der linken Hand an den Hinterkopf und strich sich über die Glatze. Er setzte zweimal an um etwas zu sagen, drehte sich dann aber um und murmelte leise etwas von Luftgitarren und Nasenringen. Ich schaltete ab um über meinen Tagtraum nachzudenken. Ich hatte diesen Traum jetzt schon seit zwei Wochen bei Tag und bei Nacht. Ich hatte abends schon Angst einzuschlafen weil ich wusste was mich erwartete. Nach zwei Wochen müsste man denken, dass der Traum ausgeleiert wäre und einem keine Angst mehr machen würde, aber es war leider nicht so. Jedes mal war er aufs Neue erschrecken und angsteinflössend. Und irgendwas wollte er mir mitteilen. Ich wusste nicht was das war, aber ich wusste es war so.
Die nächsten beiden Unterrichtsstunden vergingen wie im Flug. Ich hab gar nicht wirklich etwas mitbekommen, da klingelte es schon zum Schulschluss. Ich schnappte mir meine Tasche und ging so schnell ich konnte auf die Fahrradständer zu, als mir auffiel dass ich meine Handschuhe unterm Tisch in der Klasse vergessen hatte genervt drehte ich mich um und wollte wieder zurück, da rempelte ich volle Kanne jemanden an der hinter mir stand und plumpste zu Boden.
„Man kannst du nicht aufpassen?“, motzte ich während ich mich aufrappelte.
„Du hast mich doch überfallen, was kann ich denn dafür?“, lachte eine Stimme die mich zusammen zucken ließ. Ich riss die Augen weit auf und schaute nach unten. Schwarz-weiße DC Schuhe. Mein Blick wanderte über die dunkelblaue Jeans, weiter zu der Schwarzen Jacke, über die perfekt geschwungenen Lippen, die schmale Nase bis hin zu den wunderschönen, blauen Augen. Das alles harmonierte wunderbar mit dem ungewöhnlichen blond seiner Haare. Mein Herz blieb fast stehen als ich bemerkte, dass ich Tim angerempelt und dann auch noch zu meinem Unrecht angepöbelt hatte.
„Ich.. äh… T-t.. Sorry“, stammelte ich.
Jetzt reiß dich mal zusammen! Sonst hält er dich noch für völlig bescheuert!, mahnte ich mich in Gedanken.
Er ignorierte meine Dummheit mit einem Lächeln und holt ein paar Hellbraune Lederhandschuhe aus seiner Jackentasche.
„Gehören die dir?“, er hielt sie mir hin. Ich nahm sie und sah zu ihm hoch.
„Ja, äh… danke“
„Ich muss in deine Richtung, wie sieht’s aus? Fasst du dir ein Herz und schiebst ein Stück?“, er grinste, als ob er wüsste wie meine Antwort lauten würde.
„Ähm, ja klar, gerne.“
Träumte ich? Das kann doch nicht sein! Tim hatte mich nie bemerkt, geschweige denn mit mir geredet. Außer das „Hi“ wenn wir uns begegneten war da nie ein Wortwechsel. Jetzt brachte er mir meine Handschuhe und fragte mich ob wir ein Stück zusammen nach Hause gehen. Und mir gefiel es.
„Äh danke, dass du mich vorhin vor Herrn Wolff gerettet hast“, piepste ich.
„Kein Problem. Er ist wohl nicht so dein Fan was?“
„Nein. Ganz und gar nicht. Und ich habe ihm wirklich nie etwas getan.“
„Glaub ich dir gerne. Jeder ist halt irgendwann mal dran.“
„Hm. Du anscheinend nicht.“
„Ja, ich weiß auch nicht wieso. Naja, was ich eigentlich fragen wollte, was machst du heute Abend?“
„Ich weiß nicht so recht. Wieso?“
„Heute ist doch das Luftballon Festival zur Begrüßung des Sommers und ich dachte, naja, dass wir vielleicht zusammen dort hingehen könnten. Ein Date, du weißt schon.“
Oh mein Gott! Ein Date mit Tim Williams! Das muss verdammt noch mal ein Traum sein!
„Äh ja klar gerne. Um wie viel Uhr denn?“
„Ich hol dich um acht ab okay?“
Ich nickte.

Zuhause freute ich mich wie ein kleines Kind. Ich tanzte und sang.
Ich aß schnell und machte meine Hausaufgaben, dann ging ich unter die Dusche. Ich duschte so lange, bist das warme Wasser aus war, dann föhnte ich eine halbe Stunden meine haare zurecht, um sie anschließen doch noch einmal nass zu machen und an der Luft trocken zu lassen. Als ich auf die Uhr guckte, war es erst halb 5. Ich durchsuchte meinen halben Schrank nach einem passenden Outfit. Ich wollte toll aussehen, aber nicht so als wenn ich mich für ihn zurechtgemacht hätte.
Ich fand ein tolles Rotes Top, das passte super zu der schwarzen Jeans und meinen roten Chucks. Auf Schmuck verzichtete ich, ich trug nur mein Amulett, aber das war keine Seltenheit das trug ich immer.
Genau punkt acht klingelte es an der Tür.
Aufgeregt oder eher panisch sprang ich auf und stürmte zur Tür. Genau als ich die Tür aufriss, hörte ich wie in der Küche der Stuhl umfiel, auf dem ich vor einer zehntel Sekunde noch saß. Aber das interessierte mich nicht mehr, denn vor mir stand mein Gott. Er trug die haare wie immer, aber dieses Mal hatte er die Cap nicht auf. Er hatte eine hellblaue Jeans, rote Schuhe und seine schwarze Jacke an.
„Hey!“, er lächelte und ich dachte ich würde gleich in Ohnmacht fallen. Ich konnte nichts sagen, ihn nur anstarren. Bewundern wie blau seine Augen waren, wie rauchig seine Stimme klang, wie gut sein Parfüm roch.
„Äh, bist du fertig?“, er lachte laut, vermutlich über meinen Gesichtsausdruck. Ich schüttelte mich und versuchte mich zusammen zu reißen.
„Ja, kleinen Moment. Ich muss noch meine Jacke holen komm du doch solange rein“, meine Stimme war zwei Oktaven höher als sie sein sollte.
Ich flitzte schnell hoch. Da fiel mir ein, dass ich meine Tür abgeschlossen hatte, damit meine kleine Schwester nicht meine Sachen benutzte und stibitzte während ich weg war. Und wo hatte ich den Schlüssel liegen lassen? Im Keller. Ich rannte die Treppe runter, an Tim vorbei und die nächste Treppe runter, schnappte den Schlüssel, dann wieder die Kellertreppe hoch, an Tim vorbei und nochmals die andere Treppe hoch. Vor meiner Zimmertür musste ich erstmal nach Luft holen, das hatte ich während meinem Sprint total vergessen. Dann schloss ich die Zimmertür auf, rannte rein und sah mich um. Keine Jacke! Verdammt! Wo hatte ich sie hingelegt? Ich schloss die Tür wieder ab und flitzte die Treppe hinunter. Tim verfolgte mich die ganze Zeit mit seinen Blicken, der Rest seines Körpers war reglos, er verlagerte nicht einmal das Gewicht. Beim zweiten Mal dran Vorbeilaufen, bemerkte ich dann endlich dass ich meine Jacke über den immer noch auf dem Boden liegenden Stuhl geschmissen hatte. Ich stellte den Stuhl hin nahm meine Jacke, machte überall das Licht aus und schaute Tim an.
„Können wir? Das Feuerwerk fängt gleich an“, er sah auf sein Handy.
„Ja, ich bin so weit.“

Das Fest war richtig schön. Überall waren kleine Stände mit Essen und Spielen und kleinen Flohmärkten. Die Liveband war auch nicht schlecht. Tim schoss mir an einem Stand eine Rose und schenkte mir sogar ein Ballon mit einem kleinen Kärtchen dran.
„Um null Uhr lassen alle die einen bekommen haben, ihre Ballons fliegen die kleinen Kärtchen machen sie vorher ab und wenn sie nicht mehr erkennen können, welcher Ballon ihrer ist, lesen sie die Botschaften in den Kärtchen“, erklärte er als er mir den Ballon gab.
Gegen zehn hatten wir alle Stände abgeklappert und zogen uns auf die kleine Bank an den Wasserfällen zurück. Wir saßen da knapp zwanzig Minuten und sagten nichts. Dann öffnete ich den Mund um etwas zu sagen, als er näher kam und mich einfach küsste. Ich erschrak und zuckte zurück. Er hörte sofort auf und drehte sich weg.
„Oh, ’tschuldigung. Ich dachte nur, naja, dass du auch so fühlst und mich magst. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
Ich starrte ihn entgeistert an aber das sah er nicht. Dann legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.
„Tim…“, setzte ich an, aber irgendwas in meinem Kopf brachte mich dazu diesen Satz nicht mit Worten, sondern mit Taten zu beenden, also drehte ich seinen Kopf zu mir und küsste ihn. Es war ein richtiger, inniger Kuss. Er keuchte und zog mich näher zu sich heran. Mir gefiel es. Seine Lippen auf meinen, sein Körper ganz dicht an meinen geschmiegt. Eine Hand in meinem Haar, eine an meinem Rückrat. Als er mit der Zunge vorsichtig über meine Lippen fuhr. Dachte ich, ich würde tot umfallen. Auf einmal hörte ich Schritte und laute, lallende Stimmen. Nicht sehr begeistert lösten wir uns von einander und gingen ein wenig auf Distanz. Er schaute mich an und ich musste grinsen. Die Stimmen kamen immer näher, bis man auch die dazugehörigen Personen sah. Es waren ein paar Jugendliche, die anscheinend zu tief ins Glas geguckt hatten.
„Komm, wir gehen“, sagte Tim und stand auf. Wir gingen zurück zum Fest. Einige aus unserer Schule, die auch dort waren, kicherten und tuschelten. Tim lächelte mich an und legte den Arm um mich. Waren wir jetzt offiziell zusammen? Sah ganz danach aus. Er kaufte uns noch zwei Gläser Punsch und dann stellten wir uns an einen Stand, an dem nicht ganz so viel los war.
„Was war das eigentlich eben?“, fragte ich ohne ihn anzusehen.
„Keine Ahnung du hast mich geküsst.“
„Dir schien es ja zu gefallen.“
„Dir nicht?“
„Doch. Sehr sogar. Meinst du, wir sind jetzt…“
Das Freudengejubel unterbrach meinen Satz.
„Es ist null Uhr! Los, lass den Luftballon fliegen!“ Er hatte immer noch den Arm um mich geschlungen.
Ich löste den Luftballon aus dem Gürtelriemen meiner Hose, an dem ich ihn befestigt hatte, damit ich ihn nicht frühzeitig verlor und ließ ihn los.
Tim lächelte und drückte mir die Lippen aufs Ohr.
„Ich bin kurz auf weg, der viele Punsch“, flüsterte er.
„Bleib hier und rühr dich nicht vom Fleck, bis gleich.“
Mit den Worten verschwand er.
Ich schaute nach oben. Noch konnte ich meinen Luftballon erkennen, es war der Grüne Herzförmige. Es fiel mir nicht schwer, ihn von den anderen zu unterscheiden. Es war das einzige grüne Herz. Ich hoffte, ich würde ihn noch lange genug erkennen, um die Nachricht erst lesen zu müssen, wenn Tim wieder da war. Wo blieb er denn? Auf einmal hörte ich von den Toiletten her einen lauten Schrei.
„Holt einen Krankenwagen! Schnell! Er verblutet!“, schrie eine weibliche Stimme. Ich lief so schnell ich konnte zu den Toiletten um zu sehen was passiert war und hoffte ich könnte helfen. Da überkam mich ein eiskalter Schauer und ich blieb stehen.
Da solltest du jetzt nicht hingehen!, mahnte eine Stimme in meinem Kopf mich, die nicht zu mir gehörte. Ich zwang meine Füße weiter zu laufen.
Ich meine es ernst! Es könnte dir nicht gefallen was du siehst!
Ich lief weiter, wenn auch etwas verunsichert.
Dies ist meine letzte Warnung! Es könnte sein, dass du deines Lebens nicht mehr glücklich wirst! Ella!
Ich schloss die Augen und ging weiter.
Als ich mich durch die Menschenmenge schlug und den Grund für den Aufruhr sah, fiel ich auf die Knie. Ich musste mich fast übergeben, als ich den reglosen, blutüberströmten, zuckenden Körper im Sand liegen anschaute. Nicht weil es widerlich war, sondern weil ich die Person die dort mit aufgeschlitzter Kehle lag kannte. Sie vor einer Stunde sogar noch geküsst hatte. Es war Tim! Mir liefen die Tränen und das grauenhafte Bild verschwamm zum Glück. Meine Ohren waren auf einmal taub und meine Gliedmaßen steif. Von ganz weit weg dröhnten Stimmen an mein Ohr: „Aus dem Weg! Der Krankenwagen ist da! Macht Platz!“
Auf einmal sah ich wie Gestalten sich an Tim zu schaffen machten, die ich noch nie gesehen hatte. Sie waren hässlich und dunkel. Die hatten graue Schnäbel und durchlöcherte Flügel, ihre Augen waren strahlend rot. Es sah aus als würden sie Tim küssen. Ich blinzelte und sah was sich wirklich taten: sie fraßen ihn!
„Nein!“, schrie ich. „Hört auf damit! Was macht ihr da?“, ich schlug die kleinen Monster von seinem Körper weg und versuchte ihn zu verteidigen. Auf einmal packten mich zwei eiskalte Hände von hinten und zogen mich von Tim weg. Ich weinte. Dann war ich plötzlich wieder in der Realität und sah reglos zu wie Sanitäter versuchten seine Blutungen am Hals zu stoppen.
‚Das bringt nichts mehr, er ist schon tot. Die kleinen Monster fressen schon seinen Körper auf’, wollte ich sagen. ‚Lasst ihn in Ruhe! Ihr könnt nichts mehr für ihn tun.’
Aber irgendwie bekam ich meinen Mund nicht auf.
„Todeszeitpunkt: null Uhr vierundzwanzig.“, diese Worte hallten in meinem Kopf als wenn jemand sie in die Alpen geschrieen worden wären.
Ich schaute auf meine mit Tims Blut beschmierten Hände und bemerkte dass ich das Kärtchen von dem Ballon noch in der Hand hielt. Ich schaute auf zum Himmel, nichts war mehr zu sehen, also öffnete ich das Kärtchen und las die Nachricht.

Ich liebe dich, dein Tim. -14.07.2009

Ich las die Worte wieder und wieder. Dann schob ich das Kärtchen in meine Hosentasche, stand auf und lief in den Wald.



5 Jahre Später



Kapitel 2



Ich fuhr in meinem schwarzen Mini den Highway entlang und genoss den Wind in meinen Haaren, der durch das offene Fenster strömte.
fünf Jahre waren seit diesem Abend vergangen. Nun war ich einundzwanzig und somit alt genug um für mich selbst zu entscheiden, was das Beste für mich ist.
Und diese Anstalt war es ganz bestimmt nicht.
Nachdem man mich im Wald gefunden hatte, wie ich an einem Baum lag und einfach nur weinte, erzählte ich meiner Mutter von den Wesen die ich nach Tims Tod gesehen hatte. Sie dachte das wäre der Schock und schickte mich zum Psychiater. Als der nichts feststellen konnte, ich aber immer noch auf diese Todeswesen und die anderen dunklen Wesen die ich seit dem gesehen hatte, es waren sehr dunkle Wesen, alle hatten leuchtend rote Augen, eine knochige Statur und machten komische Geräusche –eine Art Fauchen, bestanden hatte. Ließ meine Mutter mich in eine Anstalt einweisen, wo ich die letzten fünf Jahre meines Lebens alleine in einem dunklen Raum verbracht hatte. Dort hat mich niemand beschützt. Niemand nahm mich in den Arm wenn ich einen Albtraum hatte. Und niemand erzählte mir lustige Geschichten wenn ich traurig war. Ich war die letzten fünf Jahre meines Lebens allein. Aber das hat mich stark gemacht. Ich weine nicht mehr, ich glaube ich habe vergessen wie das geht, ich habe keine Angst mehr vor der Dunkelheit, geschweige denn vor etwas anderem. Ich habe meine ganze Vergangenheit hinter mir gelassen. Ich habe alles vergessen und verbrannt. Bis auf das Kärtchen von Tim. Ich trage es immer bei mir. Es ist schon ziemlich demoliert vom vielen auf und zu klappen und die Blutflecken von Tims Blut sind mittlerweile trocken und braun, aber es ist das wichtigste Teil in meinem neuen Leben. Das einzige was ich in mein neues Leben mitnehme.
Ich hatte meinen Namen geändert, ich nannte mich jetzt Alison-Summer Stewart. Ich hatte meine Frisur verändert, meine blonden Locken waren zu einem dunkelbraunen Bob geworden. Achja, meinen Wohnsitz hatte ich auch geändert. Ich wohnte jetzt in Ozette, das war eine Kleinstadt in Amerika. Ella Mystik, das deutsche, liebe Dorfmädchen gab es nicht mehr. Sie war tot. Hatte ich schon erwähnt, dass ich jetzt Dämonen jagte?
Wenn nicht, dann hatte ich das jetzt jedenfalls. Ich machte das noch nicht sehr lange, erst seit ein oder zwei Monaten. Ich wurde von einem Fremden angerufen. Er meinte er würde mich kennen, und er wolle mich treffen. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Aber ich fand es interessant, denn er meinte er könne mir mehr über das verraten, was ich war. Ich ließ das Gespräch Revue passieren.

Ich saß in einem Café und dachte über mein neues Leben nach da klingelte mein Handy.
„Hallo?“, hauchte ich ins Telefon.
„Ella Mystik“ sagte ein Mann mit rauer Stimme am anderen Ende. „Endlich habe ich dich gefunden.“
Ich erschrak. Der Mann sprach Deutsch und kannte meinen alten Namen.
„Entschuldigung? Sie müssen sich wohl verwählt haben“, sagte ich kalt.
„Nein Ella, ich weiß ganz genau, dass du es bist.“
„Wer sind sie?“
„Das interessiert jetzt nicht! Das einzig Wichtige ist: ich weiß was du bist und ich kann dir helfen! Du brauchst Hilfe!“
Ich schwieg.
„Ella, ich weiß, dass du die Wesen aus der Unterwelt sehen kannst“, sagte der Mann bestimmt.
„Sie wissen von den Wesen?“, flüsterte ich.
„Ja, und ich weiß was du bist.“
„Wie haben sie mich gefunden?“
„Ich muss auflegen. Komm heute Abend um acht zum Blue Sky Hotel, da wird sich alles klären. Ich dulde keine Verspätungen!“
Damit brach die Verbindung ab.
Ich wusste nicht wer diese Person am Telefon war, geschweige woher sie wusste, wer ich bin, aber genau deshalb musste ich sie treffen. Ich musste zum Blue Sky hotel. Also holte ich mein Portemanie raus, legte den passenden Betrag für meine zwei Milchkaffees und den Bagel auf den Tisch, plus zwei Dollar Trinkgeld, und fuhr mit meinem Roller nach Hause. Damals konnte ich mir ncoh kein Auto leisten, ich war gerade erst nach Amerika gekommen und mein Startbudget ging für das kleine Appartement, in dem ich lebte, drauf und mein Job brachte gerade mal genug Geld ein um zu überleben. Ich arbeitete in der Cupcakefactory, einem kleinen Bäckershaus, als Bedienung.
Aber der Roller reichte völlig aus, da Ozette nicht besonders groß war und ich die Kleinstadt so gut wie nie verließ.
Zuhause angekommen sprang ich erstmal unter die Dusche, ich fühlt mich klebrig und verschwitzt, vom ganzen Tag. Kaum unter der Dusche angekommen, hörte ich ein Gurren.
„Hector! Ich kann jetzt nicht, ich muss mich fertig machen!"
Hector war eines der Wesen die ich seit dem Vorfall vor fünf Jahren sehen konnte.
Aber er war irgendwie anders. Nicht so böse wie die anderen. Ich hatte Hector durch Zufall gefangen, als ich in das Appartement zog. Er streunerte überall in den Fluren herum und da nur ich ihn sehen konnte, beunruhigte er natürlich auch niemanden. Eines Tages hatte ich eine Schachtel mit kleinen beschrifteten Küchlein dabei, die ich an meinem ersten Tag in der Cupcakefactory bekam, als ich nach Hause kam. Und anders als die Todeswesen, die ich sonst kannte, liebte Hector Süßes und folgte mir und dem Karton heimlich bis zu meiner Wohnungstür. Was er nicht wissen konnte, ich hatte über meiner Eingang einen Pfefferminzzweig plaziert, das hielt die dunklen Wesen aus irgendeinem Grund ab, in mein Appartement zu gelangen. Als Hector also mit in mein Appartement wollte, bemerkte er den Zweig und schrie schrill auf, da bemerkte ich ihn. Als ich mich umdrehte, kauerte er verängstigt am Fahrstuhl und machte jaulende Geräusche, als würde er weinen.
Ich sah ihn an und bemerkte sofort, dass etwas an ihm anders war. Denn obwohl er eigentlich aussah wie jedes andere Todeswesen, knochig und finster und die roten Augen nicht zu vergessen, hatte er irgendwie etwas menschliches an sich. Er wirkte, als könne er Gefühle zeigen. Also ging ich auf ihn zu, den Karton mit den Küchlein immer noch unter den Arm geklemmt und sprach ihn einfach an.
„Hallo, kleiner.", sagte ich, als würde ich mit einem kleinen Jungen reden.
Er schaute zu mir auf und wimmerte.
„Was ist denn los? Warum bist du mir gefolgt?"
Er sprang auf und deutete mit einem leisen Gurren auf meinen Karton.
„Ach, meine Kuchen? Willst du etwas Süßes?", fragte ich.
Hector fing an wie wild auf und ab zu hüpfen und freudige Jauchzer von sich zu geben.
„Komisch. Eigentlich essen Todeswesen doch nichts. Sie ernähren sich von der schwindenden Ernergie eines Verstorbenen.", bei dem Wort Todeswesen schaute Hector mich verwirrt an und fing an zu Grunzen, als wäre er empört.
„Oh, hab ich dich beleidigt?", fragte ich beschämt, verrückt, wie ich mit ihm redete.
Hector begann wieder auf und ab zu hüpfen. Das war anscheinend sein „ja"

.
„Das wollte ich nicht", ich holte einen Kuchen mit der Aufschrift "Alles Liebe, Hector"

aus dem Karton und gab ihn dem kleinen Wesen.
„Hier, als Entschädigung."
Hector nahm den Kuchen an sich und verschlung ihn, dann schaute er mich mit glänzenden Augen an, als würde er sich bedanken. Ab da hieß er Hector für mich.
„Ok, ich geh dann mal rein, viel Spaß dir noch.", sagte ich und wollte wieder ins Appartement gehen, als ich Hector seufzen hörte. Irgendwie hatte ich Mitleid mit dem Kleinen, wie lange streunerte er hier schon rum und niemand sah ihn, außer mir?
„Willst du mit reinkommen?"
Er hüpfte auf und ab.
„Na gut, dann komm.", ich ging los, aber Hector bewegte sich nicht von der Stelle und fauchte.
„Was ist denn?", fragte ich.
Hector deutete auf den oberen Teil meines Türrahmens und schüttelte sich.
„Ach der Zweig? Warte kurz, ich hänge ihn ab."
Ich nahm den Zweig ab und nahm Hector mit in meine Wohnung.
Seit dem Vorfall war er sowas wie mein Haustier. Anfangs war es ungewöhnlich, aber mittlerweile hatte ich dieses kleine Wesen in mein Herz geschlossen. Aber er war auch verdammt anstrengend.
Er brauchte viel Zuneigung und ihn interessierte es nicht in welcher Situation er sie verlangte.
Wie jetzt gerade als ich unter der Dusche stand. Aber nun konnte ich nicht und das hatte ich ihm eben gesagt. Hector grummelte und verzog sich wieder. Ich wusste, ich würde viele Stunden mit ihm kuscheln müssen und ihm jede Menge kleine Kuchen bringen, damit er nicht mehr grummelig sein würde. Aber jetzt gerade war etwas anderes wichtiger, als mein Dämonenhaustier.
Ich musste wissen wer dieser Mann war und was er mir sagen konnte.
Ich stieg aus der Dusche und schaute auf die Uhr, in zwei Stunden würde ich es herrausfinden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.01.2010

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