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Ich saß in meinem Büro und trank meinen extra starken, schwarzen Kaffee. Ich überlegte, was als nächstes getan werden müsste. Auf meinem Schreibtisch vor mir lagen mehrere Pläne ausgebreitet. Jeden hatte ich mir angeschaut und über seine Stärken und Schwächen spekuliert. Es waren Baupläne, die verschiedene Hochhäuser zeigten. Das Eine kennzeichnete sich durch seiner Vielfältigkeit aus und das Andere durch sein außergewöhnliches Aussehen. Eine Entscheidung zu treffen, welches der Hochhäuser nun gebaut werden würde, war schwer. Vielleicht würde ich mehrere nehmen. Ich schloss die Augen und führte meine Hand zu meiner Nasenwurzel, um sie mit meinem Daumen und Zeigefinger zu massieren, so wie ich es immer tat, wenn ich unter Stress stand. Das brachte doch nichts, dachte ich. Ich beschloss meine Entscheidung auf die nächsten Tage zu verzagen und nahm meine Füße von meinem schwarzen Designerschreibtisch. Mit einer Hand griff ich nach meinem Kaffee und trank ihn mit wenigen Schlucken aus, bevor ich ihn wieder abstellte. Währenddessen hatte ich mit meiner anderen Hand nach meiner Aktentasche gegriffen. Ich erhob mich aus meinem großem Schreitischstuhl und verlies mein Büro, um nach Hause zu fahren.

Ich fuhr gerade die Washington Allee entlang, als mir auf Einmal jemand vors Auto lief. Mit einer Vollbremsung hielt ich an und der Wagen machte einen Satz nach vorne. Der Sicherheitsgurt verhinderte, dass ich mit dem Kopf auf dem Lenkrad aufkam und ich wurde wieder in den Sitz zurück gepresst. Ich löste den Sicherheitsgurt und stieg aus dem Wagen. Vor meinem Auto hatte sich eine Frau zusammengekauert und wiegte etwas in ihrem Armen. Erst wollte ich sie ausschimpfen, aber es würde ja nicht helfen. Also ging ich auf die Frau zu und tippte ihr auf die Schulter. Sie wandte den Kopf zu mir und ich war für einen Moment sprachlos. Sie hatte lange, glatte, braune Haare, die ihr ovales Gesicht, wie ein Schleier umrahmten. Große blaue Augen schauten mir entgegen und ein Geruch von Äpfeln stieg mir in die Nase. Sie hielt eine orange getigerte Katze in den Armen. Ich wollte gerade meinen Mund öffnen, um etwas zu sagen, als sie mir zuvor kam und mich fragte: „Oh mein Gott! Geht es ihnen gut?“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Sollte ich das nicht eigentlich sie fragen?“ entgegnete ich. Sie schenkte mir ein liebliches Lächeln.
„Naja… eigentlich schon. Aber ich dachte, dass sie vielleicht beim Bremsen irgendwo aufgekommen sind, so haarscharf wie sie gebremst haben.“
„Mir blieb ja nichts anderes übrig, da sie mir einfach vors Auto gelaufen sind.“ entgegnete ich. Sie lächelte mich entschuldigend an.
„Wissen sie…“ fing sie an „Mein Kater Gismo“ sie deutete mit dem Kinn auf dem Kater, den sie in ihrem Armen hielt „Ist mir ausgebüchst. Ich habe gesehen, wie er auf die Straße gelaufen ist und ihr Auto kam gerade um die Ecke. In mir stieg Panik auf und ich habe mich vors Auto gestürzt, damit ich Gismo schützen konnte.“ Ihr Blick fiel auf ihrem Kater „Obwohl ich mich gerade frage, warum ich das für dieses kleine Mistviech eigentlich getan hab. Der bringt mir nur Probleme, dieser Kater.“ Sie rümpfte die Nase. Gismo sah sie mit großen Augen an, als würde nie etwas tun, was sein Frauchen missbilligen würde. Er stieß sie mit ihrem Kopf an, als wolle er sich entschuldigen. Lachend schüttelte die junge Frau den Kopf und drückte ihn einen Kuss auf sein Köpfchen.
„Ach, man liebt ja seine Tiere“ murmelte sie. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. „Ist ihnen denn wirklich nichts passiert?“ fragte ich.
„Nein, nein. Alles in Ordnung.“ Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Dann schien ihr etwas einzufallen.
„Mensch, wo bleiben denn meine Manieren.“ meinte sie und stand auf und reichte mir die Hand. „Ich bin übrigens Cynthia Lockwood.“
Ich sah auf ihre Hand und ergriff sie.
„Freut mich sie kennen zu lernen. Ich bin Drake Mirror“
Cynthia sah mich an „Drake Mirror… Der Name gefällt mir. Es war mir eine Freude sie kennen zulernen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits, Cynthia Lockwood.“ erwiderte ich. „Soll ich sie noch nach Hause begleiten oder schaffen sie das alleine?“
„Keine Sorge, dass schaffe ich schon.“ sagte Cynthia. Wir nickten uns noch Einmal gegenseitig zu und ich sah Cynthia noch eine Weile nach, obwohl sie schon längst verschwunden war und die Autos hinter mir zu hupen begannen. Selbst der Regen, der vor kurzem angefangen hatte, störte mich nicht.

Tu es nicht, hörte ich eine Stimme zu mir sagen, sonst werden wir auch noch den restlichen Teil einbüßen, der uns erblieben ist. Wir werden alles verlieren, wenn keiner endlich einen Schlussstrich zieht.
Die Wörter, die sich immer wieder wiederholten, wollten einfach nicht in meinem Kopf. Ich verstand sie nicht, verstand den Sinn aus ihnen nicht. Ein unlösbares Puzzle, das sich einfach nicht zusammensetzen ließ. Ich war in meinem Traum gefangen und wusste nicht, wie ich ihm entfliehen konnte.
Wenn es sie nicht mehr gibt, haben wir gar nichts mehr.
Verloren stand ich in einem dunklen Tunnel, aus dem es kein entrinnen gab. Kein Licht drang zu mir hindurch. Die Stimme war das Einzige, was mich begleitete. Auf einmal wurde ich durch Raum und Zeit gesogen. Ich befand mich nicht mehr in dem dunklen Tunnel, in dem ich vorher gewesen war, sondern auf einer Wiese, auf der man den Sonnenuntergang beobachten konnte. Auf der Spitze eines Hügels, der vor mir aufragte, stand jemand neben einen Baum und schaute der Sonne zu, wie sie am Horizont unterging. Ich folgte meinem Instinkt und ging auf diese Person zu. Ein Duft von Äpfeln stieg mir in die Nase. Ich hob meine Hand, um die Person vor mir zu berühren, als sie sich umdrehte. Mir blieb der Mund offen stehen. Es war Cynthia, in einem leichten, blauen Sommerkleid gehüllt, das ihre Kurven betonte. Ihre Augen strahlten vor Leben und sie ließ mich einer ihrer vielen Lächeln sehen. Ich war verwundert über der Tatsache, dass ich schon von Cynthia träumte, obwohl ich ihr doch erst heute begegnet war.
„Siehst du diesen Sonnuntergang dort?“ Cynthia deutete auf die sich herabsenkende Sonne. „Ja.“ antwortete ich.
„Es ist schön, die Sonne zu sehen, wie sie an einem so schönen Ort, wie diesen hier untergeht, nicht wahr?“ Ich nickte. „Willst du, dass es so bleibt?“ fragte sie mich unvermittelt. Diese Frage verwirrte mich. „Natürlich.“ antwortete ich.
„Dann wähle deine nächsten Entscheidungen bedacht. Entscheidungen haben einen großen Einfluss auf unser Leben. Manchmal auch auf andere.“ Sie blickte mich mit ernsten Augen an. „Wie meinst du das?“ fragte ich sie bestürzt. Cynthia verschloss meinem Mund, indem sie einen Finger auf meine Lippen senkte. „Das wirst du noch früh genug erfahren, Drake Mirror. Aber jetzt wirst du erstmal aufwachen.“ Bevor ich ihr noch irgendwas sagen konnte, wachte ich schweißgebadet in meinem Bett auf. Ich keuchte und mein Herz raste. Nur der Geruch von Äpfeln hing noch in der Luft.

Ich kam gerade aus der Dusche, um die Spuren der restlichen Nacht zu vernichten, als das Telefon klingelte. Als ich ran ging, war es Debbie Windsthoft, meine Sprechstundenhilfe. „Guten Tag, Herr Mirror. Herr Clavaniour hat gerade angerufen und hat sich einen Termin am Nachmittag um drei geben lassen. Ich wollte sie nur davon in Kenntnis setzten, da ich nicht wusste, wann sie zur Arbeit kommen gedenken.“ Ein leichter missbilliger Unterton hatte sich in ihrer Stimme geschlichen, was mir in ein Grinsen ins Gesicht zauberte. Frau Windsthoft mochte es nicht, wenn man zu spät zur Arbeit kam. Ob ich nun der Chef war oder nicht. Für sie war ich nur ein junges Kücken mit meinen 25 Jahren. Jemand, den man noch erziehen müsse. Ich wusste, dass sie mich noch für etwas zu jung hielt, um eine große Firma zu führen, die mein Vater mir vor einigen Monaten überlassen hatte, um in Frührente zu gehen.
„Keine Sorge.“ beruhigte ich sie. „Ich bin ca. einer Stunde da.“
„Gut.“ meinte Frau Windsthoft. „Dann sehen wir uns ja noch. Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen.“ sagte ich und legte auf. Ich war immer noch nur mit einem Handtuch bekleidet, deshalb machte ich mich auf dem Weg zum Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Ich entschied mich für heute nichts Großes zu tragen. Eine dunkele Jeans, ein schwarzes Hemd mit dem dazupassenden Sakko. Mit meiner Hand fuhr ich durch meine blonden Locken, um sie zu richten, als mir eine Taube an meinem Fenster auffiel. Sie trug eine Pfingstrose mit sich, die in voller Blüte war. Die Augen der Tauben blickten mich einfach nur an. Dann senkte die Taube ihren Kopf und legte die Pfingstrose auf meinem Fensterbrett. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie mich noch Einmal an, bevor sie die Flügel ausbreitete, und davon flog. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und machte mich auf zum Fenster. Ich öffnete es und nahm die Pfingstrose an mich. Sie roch wundervoll. Einen Moment lang stand ich einfach nur da, in Gedanken vertieft. Was sollte das bedeuten? Erst der Traum und jetzt so etwas… Wieder schüttelte ich den Kopf. Alles nur Zufall, sagte ich mir. Nichts Besonderes. Gedankenverloren drehte ich die Rose in meiner Hand, während ich mich auf dem Weg zur Tür machte. Als ich an meinem Wohnzimmertisch vorbei kam stoppte ich kurz und legte die Pfingstrose auf dem Tisch. Ich ging in die Küche, um eine Vase mit Wasser zu füllen, und ging wieder zurück in Wohnzimmer, wo ich die Pfingstrose nahm und sie in die Vase setzte. Sie stand nun mitten auf dem Tisch, wo sie alle Blicke auf sich ziehen würde. Ich drehte mich um, um die Wohnung zu verlassen. Noch ein kurzer Blick in den Spiegel. Ich war bereit. Für was auch immer das sein mochte.

Wie am vorherigen Tag, saß ich über Tausende von Bauplänen gebeugt. Herr Clavaniour, der Inhaber der Baufirma Clavaniour&Luchs, war nur kurz da, um mit mir über die bevorstehenden Bauarbeiten zu sprechen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass seine Sekretärin mir demnächst schon mal die Formulare für die Bauarbeiten zukommen lassen würde. Demnächst musste ich ihm ein paar der Baupläne überlassen, damit die Bauarbeiten beginnen konnten. Einen weiteren Aufschub der Entscheidung, welches Haus nun gebaut werden würde, konnte ich mir nicht leisten. Ich studierte noch Einmal alle Pläne durch und entschied mich dann für drei Hochhäuser. Eines war ein sehr gewagtes Gebäude. Die Fenster gingen von Boden bis zur Decke. Dieses Haus sollte nicht wie Andere in einer Farbe gehalten werden, sondern in 3 Verschiedenen. Saphirblau, Smaragdgrün und in einem Rubinrot. Das Meiste war verspiegelt. Das Andere war ein einfaches, graues Gebäude, was jedoch eine sehr hohe Vielfalt besaß. Ein großer Fahrstuhl sollte eingebaut werden, ein Hochsicherheitssystem und noch vieles mehr. Und das Letzte der drei Hochhäuser war schlicht und ähnelte ehr einem Hotel. Ich habe mich für dieses Hochhaus entschieden, da es schlichtweg eine altmodische Klassik ausstrahlte, was einen faszinieren konnte. Die Entscheidung war getroffen. Diese drei Hochhäuser würden gebaut werden. Wo die Häuser gebaut werden würden, war auch schon klar. Sie würden in der Nähe des Tropischen Regenwaldes gebaut werden. Ein paar Bäume müssten gefällt werden, aber das würde schon gehen. Herr Clavaniour hatte mir versichert, dass das keine Probleme da stellen würde. Ich legte mir die drei Baupläne raus und die Restlichen verstaute ich in einer meiner Schubladen meines Schreibtisches. Die anderen drei Baupläne faltete ich zusammen und steckte sie in einem großen Briefumschlag, um ihn demnächst Herr Clavaniour zukommen zu lassen. Da die Arbeit für heute getan war, entschied ich mich Feierabend zu machen. Ich packte meine Halbseligkeiten zusammen und verließ mein Büro. Debbie Windshoft war schon vor ungefähr einer Stunde aufgebrochen. Am Fahrstuhl angekommen, drückte ich auf den Knopf, damit der Fahrstuhl hochfuhr. Gerade als die Fahrstuhltür sich öffnete, und ich hinein gehen wollte, lief jemand in mich hinein. Tausende von Papieren und Akten flogen durch die Luft.
„Oh, oh, entschuldigen sie. Das wollte ich nicht. Wirklich nicht.“ stammelte eine mir vertraute Stimme. „Ich hoffe doch, dass ich ihnen nicht wehgetan habe? Ich bin manchmal auch ein Tollpatsch.“
„Keine Sorge. Sie haben mir nicht wehgetan, Cynthia.“ sagte ich grinsend. Cynthia blickte mich verblüfft an.
„Ach, Drake Mirror. Sie sind es.“ Verlegenheit spiegelte sich auf ihrem Gesicht.
„Entschuldigen sie, aber ich muss nur ein paar Papiere abgeben. Ähm…“ Sie blickte sich um. Überall neben uns lagen Papiere und Akten verteilt. Ich fand es süß, wie Cynthia so da stand und sich hilflos umblickte.
„Keine Sorge. Ich helfe dir, die Papiere aufzusammeln.“ Erleichtert atmete sie auf. „Danke.“ Wir machten uns daran alles einzusammeln. Das meiste hatten wir schon aufgehoben, als mir ein Formular auffiel, auf dem das Warenzeichen der Baufirma Clavaniour&Luchs draufgedruckt war, mit der Anschrift Architekturfirma Kormay. Es waren die Formulare für die Bauarbeiten, die demnächst stattfinden sollten. „Du bist die Sekretärin von Herrn Clavaniour?“ fragte ich Cynthia. Sie nickte. „Wow, dass ging echt schnell mit den Formularen. Ich werde sie mir Montag durchlesen und falls ich dann keine Einwände gegen den Vertrag habe, lasse ich sie euch mit den Bauplänen zukommen.“ Cynthia blickte mich mit offenem Mund an. „DU bist hier der Geschäftsführer?“
„Jap.“
„Das ist ja so cool. Du kannst praktisch alle hier herum kommandieren, ohne dass sie etwas dagegen tun können. Und du kannst doch auch bestimmt machen was du willst und…“ Sie verstummte plötzlich.
„Äh… Ich meine, sie freuen sich bestimmt, der Geschäftsführer einer so großen Firma zu sein…ähh…“ stammelte sie. Röte stieg in ihrem Gesicht auf.
„Du kannst mich ruhig dutzen.“ sagte ich grinsend. „Leider kann ich nicht tun und lassen, was ich will. Mein Vater hat ein Auge auf so etwas. Wenn ich seine Mitarbeiter rumkommandieren würde, würde er mich umbringen. Auch wenn mein Vater Frührentner ist, sollte man ihn lieber nicht verärgern.“ Ich machte eine vage Geste, die andeuten sollte, was mein Vater mit mir machen würde. Langsam löste sich die Röte auf ihrem Gesicht auf. Leise murmelte sie: „Ich bin ganz schön ins Fettnäpfchen getreten, oder?“ und blickte betreten zu Boden.
„Nein, nur knapp vorbei.“ antwortete ich immer noch grinsend und zwinkerte ihr zu, als sie langsam ihren Blick hob. Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und gab ihr die restlichen Papiere, die zu Boden gefallen waren. Nur den Vertrag behielt ich und legte ihn auf dem Schreibtisch von Frau Windsthoft.
„So, was machen wir jetzt?“ fragte ich Cynthia. Sie zuckte mit den Schultern.
„Hast du Hunger?“ Cynthia sah mich interessiert an „Ein wenig.“ antwortete sie.
„Wie wäre es mit einem schnellen Snack bei dem Italiener um die Ecke?“ Ein freches Grinsen stahl sich auf ihrem Gesicht.
„Ich steh auf Italienisch.“ meinte sie.
„Na dann komm. Ich lad dich ein. Steck deine Papiere in deiner Tasche und wir machen uns auf dem Weg.“ Ich bot ihr meinem Arm an. Sie verstaute ihre Papiere in ihrer Tasche und hakte sich dann grinsend bei mir ein.
„Dann mal los.“ sagte sie. Wir stiegen in den Fahrstuhl und machten uns auf zum Italiener.

Es war ein ganz netter Abend. Aus einem kleinen Snack wurden dann doch noch eine große Pizza, während wir italienischen Wein tranken, bis es anschließend so spät war, dass uns der Chef rausschmiss. Cynthia torkelte schon ein bisschen. Sie hatte ein paar Gläser mehr getrunken als ich.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“ fragte ich.
„Wäre besser.“ meinte sie. „Sonst lauf ich noch gegen ’ner Laterne.“
„Nein, so betrunken bist du nicht.“ beruhigte ich sie.
„Vielleicht bin ich nicht so betrunken, aber ich könnte trotzdem irgendwo gegen laufen.“ Ich schüttelte lachend den Kopf.
„Wo wohnst du?“ fragte ich sie.
„Klasterstraße 50“ raunte sie mir zu, als wäre das supergeheim.
Als wir vor ihrer Tür ankamen, bat ich sie um ihre Schlüssel, und schloss die Tür auf. Cynthia stolperte und wäre fast hingefallen, wenn ich sie nicht festgehalten hätte. „Huch, ganz schön wacklig hier.“ murmelte Cynthia an meiner Brust gedrückt. Ich schob sie ein Stück zurück. „Am Besten ich bringe dich ins Bett.“
Cynthia sah mich mit großen Augen an. „Willst du mich etwa verführen?“ fragte sie geschockt. „Nein, nein.“ beruhigte ich sie. „Ich finde einfach, du solltest jetzt besser schlafen gehen. Morgen ist zum Glück Sonntag. So kannst du wenigstens etwas ausschlafen.“ Sie sah mich einen Moment lang an. Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn du mich verführt hättest.“ Ich konnte nicht anders, ich musste einfach grinsen. „Vielleicht ein anderes Mal.“ versprach ich ihr. „Also wo ist dein Schlafzimmer?“ Cynthia deutete auf einer Tür am Ende des Flurs. Zusammen torkelten wir dahin und ich verfrachtete sie anschließend ins Bett. Rasch zog ich ihr die Schuhe aus.
„Danke schön, Drakie“ murmelte sie. „Krieg ich einen Gute-Nacht-Kuss?“
Grinsend schaute ich auf sie hinab. „Vielleicht ein anderes Mal.“
„Schon wieder diese doofe Antwort.“ Cynthia schürzte die Lippen und ich seufzte. „Schlaf gut und träum was Schönes.“ sagte ich zu ihr. Ich beugte mich zu ihr hinab und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Als ich mich wieder aufrichtete, sah Cynthia mich anzüglich an. „Ich werde bestimmt was Schönes träumen.“ sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich schüttelte nur den Kopf und konnte mir nur mühsam das Lachen verkneifen. „Schlaf gut.“
„Du auch.“ murmelte Cynthia, während sie die Augen schloss. Ich machte mich auf dem Weg nach Hause. Als ich endlich Zuhause angekommen war, fiel mir wieder die Pfingstrose ein und gab ihr noch ein wenig Wasser. Sie blühte immer noch, wie am ersten Tag. Es verwunderte mich, aber ich dachte mir nichts dabei. Ich ging ins Bett und dachte an Cynthia. Was für eine Frau.

Schon wieder hatte ich einen Traum. Ich war wieder auf der Wiese. Dieses Mal war Cynthia nicht da. Verwirrt blickte ich mich um. Doch dann auf einmal materialisierte sich eine Gestalt vor mir. Es war eine Frau mit milchkaffeebraune Haut, rot gelockten Haare, grauen Augen und einem wunderschönen Gesicht.
„Drake Mirror. Weißt du warum hier bist?“ fragte sie mit ihrer melodisch klingenden Stimme. Ich schüttelte den Kopf.
„Du bist hier, weil ich dir sagen will, dass die Bauarbeiten, die du in Auftrag gegeben hast, falsch sind. Sie werden die Natur zerstören. Du wirst sie beenden müssen. Früher oder später.“
„Aber es sind doch nur ein paar Bäume…“
„Das sind sie erstmal. Ihr Menschen sagt immer, es seien nur ein paar Bäume, aber es ist mehr als das. Und das wirst du bald erfahren, wenn du nichts dagegen tun wirst. Nun, du kannst gehen. Ich entlasse dich.“ Bevor ich noch was sagen konnte, schnippte sie mit den Fingen und ich war wieder in der schwarzen Welt des Schlafes gefangen.

Am Montag saß ich dann wieder in meinem Büro. Der Sonntag war ruhig gewesen. Ein kurzes Gespräch mit meinen Eltern. Bisschen fernsehen. In der Zeitung, die ich an Sonntagen immer bekam, stand auch nichts Besonderes drin. Nur etwas über Promis und ihre Schönheitsoperationen. Und eine Überschwemmung in Queensland. Bei dieser Meldung bekam ich ein mulmiges Gefühl, wegen des Traums mit dieser Frau, den ich hatte. Doch ich versuchte nicht daran zu denken. Schließlich ging es heute wieder an die Arbeit. Ich hatte heute schon Herr Clavaniour angerufen, um ihn zu fragen, wann ich ihn die Baupläne zu kommen lassen sollte. Er hatte sich spontan dazu entschieden, sie sich persönlich abzuholen, damit er auch gleich alles mit mir besprechen konnte. In jeden Moment müsste er kommen. Und schon klopfte es an der Tür.
„Herein.“ rief ich. Herr Clavaniour kam herein. Mit Cynthia.
„Guten Tag, Herr Mirror. Ich habe meine Sekretärin mitgebracht, da ich nur eine viertel Stunde Zeit habe. Falls wir es nicht schaffen sollten, alles zu besprechen, werden sie alles Weitere mit ihr klären. Das ist Cynthia Lockwood. Miss Lockwood, das ist Drake Mirror. Der Geschäftsführer.“ Cynthia nickte mir kurz zu, sah mich aber nicht an. Sie fixierte irgendeinen Punkt hinter meinem Kopf. „Wir kennen uns bereits. Miss Lockwood war noch so freundlich, mir die Formulare am Samstag für die Bauarbeiten zu überbringen.“ erwähnte ich. Dass sie mir einmal vors Auto gelaufen ist und wir essen waren, verschwieg ich lieber.
„Setzen sie sich. Wollen sie irgendwas trinken?“ fragte ich. Wir besprachen, wann die Bauarbeiten beginnen sollten und ob ich mit dem Vertrag zufrieden wäre. Gerade als wir die Baupläne besprechen wollten, klingelte das Handy von Herrn Clavaniour, und er meinte, dass er nun gehen müsse. Alles Weitere solle ich mit Cynthia besprechen. Als er das Büro verlies, breitete sich eine Stille zwischen uns aus, bis Cynthia leise fragte: „Wie sehr habe ich mich am Samstag blamiert?“
„Nicht besonders.“ Sie blickte mich erleichtert an. „Puh, ich dachte schon, ich hätte…“
„Du hast nur gedacht, ich würde dich verführen, und hast anschließend gemeint, du hättest nichts dagegen gehabt, wenn ich das getan hätte. Du hast mich Drakie genannt und mich um einen Gute-Nacht-Kuss gebeten“ unterbrach ich sie grinsend. Cynthia starrte mich fassungslos an und haute dann mit ihrem Kopf auf die Tischplatte. „Ouh mann…“
„Und als ich dir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn gedrückt habe und dir eine gute Nacht und träum was Schönes gewünscht habe, hast du mich anzüglich angeguckt und gemeint, du würdest bestimmt was Schönes träumen und hast mir dann zugezwinkert.“ fuhr ich fort. „Und du hast…“
„Okay, ich habs kapiert.“ meinte sie. Grinsend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. „Das ist mir so peinlich“ Beschämt sah Cynthia mich an.
„Es hätte schlimmer kommen können.“ Hoffnung schimmerte in ihren Augen „Wirklich?“
„Nein.“ Cynthia sah mich böse an.
„Na okay, es hätte doch noch schlimmer kommen können. Zwar nicht viel, aber es hätte schlimmer kommen können.“ beruhigte ich sie.
„Das ist nicht gerade hilfreich.“ Wenn Blicke hätten töten können, wäre ich jetzt tot gewesen. „Lass uns lieber zu den Bauplänen übergehen. Du bist anscheinend nicht Gentleman genug, um nicht mehr auf diesen peinlichen Abend rum zu reiten.“ Ich sah sie einfach nur belustigt an, bis sie mich wütend anfunkelte und mir rüde zu verstehen gab, dass wir jetzt mit den Plänen weitermachten. Als wir dann fertig waren, wollte ich sie noch bis zum Fahrstuhl begleiten, als wir auf den Gang meinen Eltern begegneten. „Mom? Dad? Was macht ihr denn hier?“ fragte ich sie. Die Umstehenden, einschließlich Cynthia, sahen uns neugierig an und manche begrüßten meine Eltern. „Wir freuen uns auch dich zu sehen, Junge“ brummte mein Vater mit seiner tiefen Bärenstimme. Er war ein massiger Kerl, seine schwarzen Locken waren schon teilweise vergraut und er konnte sehr Angst einflößend wirken, wenn er es wollte. Trotz allem war ein fairer Kerl. Meine Mutter, eine große Frau mit blondem Haar, war beleidigt, weil ich sie beide noch nicht richtig begrüßt hatte. Das wäre ja nicht so schlimm gewesen, aber meine Mutter war eine Art Rachegöttin. Dafür würde sie sich rächen. Und so kam es dann auch. Ich sah nur noch kurz das bösartige Lächeln meiner Mutter, bevor sie sich an meinem Hals warf und mich im ganzen Gesicht abküsste, was dazu führte, dass ich Tausende von rosafarbenen Lippenstiftabdrücken auf meinem Gesicht hatte. Die Umstehenden taten ihr Bestes, um nicht zu grinsen. „Mom, du blamierst mich.“ flüsterte ich ihr zu, während sie mir durch die Haare wuschelte. Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge. „Dann solltest du uns beide nächstes Mal richtig begrüßen.“ raunte sie mir zu. Dann rief meiner Mutter, ganz die Dramaqueen, mit trauriger, hoher Stimme: „Ach Drake. Ich dachte, du würdest dich freuen uns zu sehen!“ Dramatisch hob sie ihre linke Hand zu ihrer Stirn. Ich sah zu Cynthia, die mich mit Genugtuung anblickte. „Tja, das Schicksal rächt sich, wenn jemand wie du, auf einer unangenehmen Situation rum reitet.“ raunte sie mir zu. Böse blickte ich sie an. „Gabriel, sieh, was aus unseren Sohn geworden ist! So undankbar. Keinen Respekt vor uns. Dabei sollte er uns achten, besonders, da du ihm ja diese Firma vererbt hast.“ Mein Vater zog eine Augenbraue hoch und lächelte meine Mutter vergnügt an. Meine Mutter war einer der Wenigen, die meinem Vater ein Lächeln entlocken konnten. „Du hast Recht, Linda. Die jungen Leute von heute. Kein Respekt mehr vor der älteren Generation.“ Er schüttelte bedauernd den Kopf, bis er sich mir zuwandte. „Wir wollten dich besuchen, um zu gucken, ob alles gut läuft.“ Sein Blick fiel auf Cynthia „Falls wir nicht stören.“
„Nein, nein. Ihr stört nicht.“ sagte ich „Ich wollte nur Miss Lockwood zum Fahrstuhl bringen. Sie ist eine Angestellte von Herrn Clavaniour. Sie hat mit mir die Baupläne besprochen.“ Mein Vater nickte und sah mich nachdenklich an.
„Drake, mein Junge.“
„Ja?“
„Besorg dir mal ein Taschentuch. Du siehst aus, als hättest du eine wilde Knutscherei mit einer Verrückten hinter dir. Überall Lippenstift im Gesicht und deine Haare…Wuah.“ Mein Vater schüttelte sich. Meine Mutter schlug meinen Vater auf die Brust und stemmte die Hände in die Hüften, während sie ihn verärgert anblickte. Mein Vater grinste nur und zwinkerte mir zu. Die Umstehenden fingen an zu lachen und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Lachend schüttelte ich den Kopf. „Ich bringe nur schnell Miss Lockwood zum Fahrstuhl. Dann kümmere ich mich um euch.“ Mein Vater nickte, während meine Mutter wild auf ihn einschimpfte, wie er es wagen konnte, sie als eine Verrückte zu bezeichnen. Er versuchte nicht Einmal sie zu beruhigen, sondern drückte ihr einfach einen Kuss auf die Lippen, während er sie in die Arme schloss. Meine Mutter schlug auf ihn ein, bis er sie endlich los lies. Sie stieß wilde Drohungen aus, die jeden abgeschreckt hätten, außer meinem Vater. Er lächelte einfach. Die Beiden benahmen sich, trotz ihres Alters, wie Teenager. „Deine Eltern lieben sich.“ sagte Cynthia neben mir unvermittelt.
„Ja, dass tun sie.“
„Es ist schön zu sehen, dass sich manche noch lieben, obwohl sie schon so eine lange Zeit gemeinsam verbracht haben.“ meinte Cynthia. Ich sah sie verwundert an. Für mich war es schon von klein auf selbstverständlich gewesen, dass sich meine Eltern liebten. Aber nach Cynthias Worten fiel mir auf, dass es für manche nicht so ist. Viele heirateten, aber nach 10 Jahren leben sie einfach nur noch zusammen, weil sie es gewohnt sind, nicht weil sie es wollen. Das war mir bisher noch nie aufgefallen. Cynthia hatte ich mich ganze Zeit gespannt beobachtet, als erwartete sie etwas von mir. „Naja, wir sehen uns bestimmt noch in den nächsten Tagen.“ sagte ich zu ihr und irgendwie wirkte Cynthia enttäuscht. „Okay.“ meinte sie geknickt. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und Cynthia wollte gerade in den Fahrstuhl gehen, als ich sie aufhielt.
„Sag mal, willst du mit mir heute ins Kino?“ fragte ich sie. Cynthia blickte mich erfreut an. „Warum nicht? Welcher Film denn?“
„Das können wir da entscheiden. Ich hole dich um 7 ab, ja?“ Cynthia nickte begeistert und stieg in den Fahrstuhl. Ich sah noch ihr wunderschönes Lächeln, bevor sich die Fahrstuhltüren schlossen und ich mich auf zu meinem Eltern machte.

„Du magst sie.“ sagte mein Vater, als meine Mutter kurz losgezogen war, um nach etwas Essbaren zu suchen.
„Wen?“ fragte ich perplex.
„Die hübsche, braunhaarige. Die kleine Lockwood.“
„Sie ist nett. Eine sehr gute Mitarbeiterin.“
„Eine gute Mitarbeiterin lädt man aber nicht einfach ins Kino ein.“ Mein Vater hob seine Tasse Kaffee an die Lippen, um sein Grinsen zu verbergen. Doch ich hatte es gesehen. Misstrauisch blickte ich ihn an. „Du hast gelauscht.“
„Vielleicht.“
„Warum?“
„Na du erzählst mir ja nichts. Ich bin dir ja zu alt.“
„Dad…“ fing ich an, doch er unterbrach mich.
„Sie ist eine besondere Frau, Drake. Pass auf sie auf. Sie gehört nicht zu den Frauen, die du gewöhnlich kennst. Denk daran.“ Bevor ich fragen konnte, wie er es meinte, kamen die Nachrichten. Wir hatten den Fernseher, der in meinem Büro an der Wand hing, ganze Zeit über laufen gelassen. Der Nachrichtensprecher sah ernst in die Kamera. Er grüßte kurz und fing dann schon mit der Hauptmeldung des Tages an.
„Durch eine Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon wurden Unmengen von Öl ausgestoßen. In Moment erstreckt sich ein Ölteppich in der Größe von 1,5 km × 8 km auf dem Golf von Mexiko. Genaueres ist noch nicht bekannt, aber wir informieren sie, sobald wir mehr wissen.“
Mein Vater blickte zum Bildschirm und schüttelte den Kopf. „Das ist ja schrecklich. Was heutzutage nur alles passiert.“ Fassungslos starrte ich zum Bildschirm. War das etwa eine Warnung? Ich wusste es nicht. Jedoch konnte ich mir auch keine weiteren Gedanken darüber machen, da meine Mutter ins Büro kam und darüber schimpfte, dass sie extra zum Bäcker gehen musste, um was zu Essen zu bekommen. Ich war froh, als ich endlich zu Hause ankam, doch ein Blick zum Wohnzimmertisch lies mich innehalten. Von der Pfingstrose waren bereits zwei Blätter verwelkt und sind auf den Tisch herab gefallen. Zwei Blätter, zwei Naturkatastrophen. Dieser Zufall gefiel mir ganz und gar nicht. Aber ich wollte mir keine Gedanken darüber machen. Schließlich hatte ich gleich ein Date.

„Also, welchen Film willst du gucken?“ fragte ich Cynthia später, als wir vor dem Kino standen. „Fluch der Karibik.“ kam es wie aus der Pistole geschossen. „Okay.“ Wir holten uns ein die Karten uns setzen uns in den Kinosaal. Der Film war toll, auch wenn ich nicht viel mitbekam, weil ich die ganze Zeit auf Cynthia fixiert war. Sie war völlig in der Filmwelt eingetaucht. Gespannt beobachtete sie, was als Nächstes geschah. Die verschiedensten Emotionen spiegelten sich auf ihrem Gesicht ab. Als der Film dann zu Ende war, war sie vollkommen begeistert. Ihre Augen leuchteten und sie sagte mir, wie toll sie den Film fand. Auf den ganzen Weg zu ihrem Haus redete sie darüber. Als wir anschließend vor ihrer Haustür standen, fragte sie mich, ob ich noch auf einem Kaffee mit rein kommen möchte. Natürlich wollte ich. Wir unterhielten uns und lachten zusammen, während Gismo neben uns schlief. Doch dann schlug die Uhr zur zwölften Stunde. „Ich sollte langsam gehen.“ sagte ich zu ihr. Cynthia nickte und brachte mich zur Tür. An der Tür angekommen, breitete sich zwischen uns eine unangenehme Stille aus. Cynthia trat von einem Fuß auf dem Anderen. Dann lächelte sie mich an. „Naja, wir sehen uns ja bestimmt noch in den nächsten Tagen.“ Sie schaute mir tief in die Augen und ich konnte einfach nicht anders. Ich zog sie an mich und drückte meine Lippen auf ihre. Überrascht schnappte sie nach Luft. Doch dann erwiderte sie meinen Kuss mit so einer Leidenschaft, dass mir schwindlig wurde. Eine Hand vergrub sie in meinen Haaren, während sie die Andere auf meiner Schulter legte. Sanft löste ich mich von ihr und sah sie an. Cynthia blickte zu Boden. „Wolltest du nicht nach Hause?“ fragte sie mich. „Jetzt nicht mehr.“ erwiderte ich und hob sie hoch. Verblüfft quietschte sie auf. „Du meintest am Samstag, du würdest nichts dagegen haben, von mir verführt zu werden. Ich habe darauf ’Vielleicht ein anderes Mal’ erwidert. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.“ Ich trug Cynthia ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett. „Oder meist du nicht?“ – „Doch.“ antwortete sie „Und wie.“ Mit diesem Worten zog sie mich an sich und küsste mich wild und ungestüm. Sagen wir es mal so… Es wurde eine lange Nacht.

Am nächsten Tag kam ich in die Küche und küsste Cynthia auf dem Scheitel.
„Ich hab mich in der Firma für heute krank gemeldet.“
„Liebeskrank, was?“ fragte Cynthia belustig. „Vielleicht“ antwortete ich und erwiderte ihr Lächeln. Ich drehte ihr den Rücken zu, damit ich uns beiden einen Kaffee machen konnte. „Drake?“
„Ja?“
„Das mit diesem Hochhäuser in den Regenwäldern… Hältst du das für eine gute Idee?“
„Klar, warum nicht?“
„Naja…“ druckste Cynthia herum. „Ihr nimmt schließlich ein Teil des Lebensraum der Tiere weg.“ Ich drehte mich zu Cynthia, ging vor ihr auf die Hocke und legte meine Hände auf ihr Knie.
„Cynthia.“ fing ich an „Es wird auch nicht viel sein. Nur ein kleines Stück. Außerdem vergrößern wir lediglich den Lebensraum der Menschen. Das wird der Natur und den Tieren schon nicht schaden.“ Ich stand auf und drehte mich wieder zu der Kaffeemaschine um.
„Ach Drake. Wenn du nur wüsstest.“ hörte ich sie murmeln. Doch als ich mich umdrehte, lächelte sie mich an und as ihre Banane. Ich musste mich wohl geirrt haben.

Alles lief perfekt. Cynthia und ich liebten uns. Meine Eltern hatten sie sofort gern gehabt und sie akzeptiert, als ich sie ihnen vorgestellt habe. Das Einzige, was mir Angst machte, war, dass Cynthia und meine Mutter sich so gut verstanden. Jederzeit musste ich vor den Beidem auf der Hut sein. Auch mit der Firma lief es prima. Allerdings musste der Regenwald nun doch mehr eingeschränkt werden, als ich dachte, da der Platz nicht reichte. Aber das war ja nur halb so schlimm. Nur mein Vater warnte mich davor, dass alles nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich habe ihn versprochen, die Bauarbeiten abzubrechen, sobald der Regelwald nun doch zu sehr eingeengt werden sollte. Dieses Versprechen beruhigte ihn erst Einmal. Heute waren Cynthia und ich schon genau eine Woche zusammen. Um das zu feiern, gingen wir zusammen Essen und anschließend ins Kino. Cynthia beschloss, dass sie heute bei mir übernachten würde. Sozusagen als Feier des Tages. Zuhause angekommen wollte Cynthia noch kurz in den Nachrichten reinhören, bevor wir zu Bett gingen. Ich war gerade in der Küche, als ich Cynthia erschrocken nach Luft schnappen hörte. Ich ging ins Wohnzimmer, um sie zu fragen, was los sei, doch die Worte des Nachrichtensprechers ließen mich verstummen.
„Heute erschüttete der Inselstaat Haiti ein heftiges Erdbeben der Stärke 7. Am Stärksten betroffen sind derzeit die Départements Ouest, mit der Hauptstadt Haitis Port-au-Prince, Sud-Est und Nippes. Doch die am schwersten betroffene Stadt ist derzeit Léogâne. Genaue Opferzahlen sind noch nicht bekannt, doch sobald wir mehr wissen, werden wir sie…“ Cynthia schielt den Fernseher aus. „Mehr brauche ich nicht zu hören.“ Sie sah mich ernst an. „Drake, setz dich zu mir. Ich muss mit dir reden. Bitte, es ist wichtig.“ Irgendetwas bedrückte Cynthia. Das merkte ich. Also setzte ich mich zu ihr. Cynthia griff nach meiner Hand. „Drake, diese Naturkatastrophen… Du hast es bestimmt bemerkt, dass es letzter Zeit so viele Naturkatastrophen gab. Ich hatte vor kurzem so einen Traum gehabt. Mehrere sogar.“ Mich beschlich ein leiser Verdacht, was als nächstes kam. „Ich habe vor kurzem einen Traum gehabt, indem eine Frau vorkam. Sie war wunderhübsch. Rote Locken, graue Augen. Sie sagte mir, dass ich versuchen soll, dich von den Bauarbeiten abzuhalten, weil sie falsch sind. Und ich finde das auch, Drake. Mit den Bauarbeiten zerstörst du etwas Wunderschönes.“ Mit bekümmerten Augen sah sie mich an. Tränen standen in ihren Augen. „Drake, was ist wenn das Alles erst der Anfang ist?“ Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. „Ich will nicht, dass alles zusammenbricht, Drake. Tu was dagegen, bitte.“ Ich nahm Cynthia in die Arme und streichelte ihr übers Haar. „Ich hatte diese Träume auch, Cynthia. Aber vielleicht ist das alles ein Zufall. Vielleicht hat das Alles nichts zu bedeuten. Diese Naturkatastrophen haben bestimmt nichts mit den Bauarbeiten zu tun. Es ist nur ein Zufall, verstehst du? Nichts Großes.“
„Hoffentlich irrst du dich nicht.“
„Das werde ich schon nicht. Und wenn demnächst noch irgendetwas Merkwürdiges passiert, dann verspreche ich dir, dass ich die Bauarbeiten abbrechen weiter, okay?“ Cynthia nickte. Wir saßen eine Zeit lang noch eng umschlungen da, bevor wir ins Bett gingen. Dass sich ein weiteres Blütenblatt aus der Rose gelöst hatte, übersah ich.

Heute waren wir zum Essen bei meinen Eltern eingeladen. Es herrschte eine eigenartige Stimmung. So war es auch schon in der Firma gewesen. Jeder benahm sich wie sonst auch, aber dennoch anders. Als würde sich etwas Mächtiges zusammenbrauchen. Auch das Wetter war nicht das Beste. Es regnete aus Strömen. Wir aßen unser Mittagessen, während wir das Radio hörten. Doch bei einer Meldung hielt ich inne.
„Heute ereignete sich ein Erdbeben an der Pazifik-Küste vor der Tōhoku-Region, mit einer Stärke von 9,0. Es gilt als bisher stärkstes Erdbeben der Geschichte Japans. Mehr ist bisher noch nicht bekannt. Wir hoffen in den nächsten Stunden mehr zu erfahren. In einer Stunde hören sie wieder von uns.“ Alle am Tisch schwiegen. Meine Mutter sah Cynthia an, Cynthia mich und ich meinem Vater, der seinen Blick in die Ferne gerichtet hatte. Ich wollte gerade etwas sagen, um die Stille zu beenden, als der Radiosprecher noch eine Meldung durchgab.
„Uns erreicht gerade die Meldung, dass aufgrund des Erdbebens ein Tsunami ausgelöst wurde. Die ersten Tsunamiwellen trafen auf das Kernkraftwerk Fukushima ein. Genaueres ist noch nicht bekannt. Wir melden uns wieder, sobald wir mehr wissen.“ Nun richtete sich der Blick meines Vaters zu mir. „Die Natur übt Rache.“
„Wie bitte?“ Ich schaute meinen Vater verblüfft an.
„Ich hatte mal vor längere Zeit einen Traum gehabt. Das war kurz bevor ich dir die Firma vererbt habe. Ich träumte von der Schönheit der Natur. Doch dann störte auf Einmal etwas das Bild. Auf einer Baustelle war ich auf Einmal. An einem Regenwald. Nur gefällte Bäume überall. Eine Stimme sagte zu mir, dass die Natur solche Zerstörungsakte nicht mehr länger tolerieren würde. Schließlich habe auch die Natur ihren Preis. Ist es dann kein witziger Zufall, dass du ein Bauprojekt im Auftrag gegeben hast, dass in den Regenwäldern ausgeführt werden soll? Und jetzt lauter Naturkatastrophen. Du hattest nicht zufällig ähnliche Träume?“ mein Vater blickte mich an. Ich sagte nichts. Auch meine Mutter war für dieses Mal still. „Das bedeutet wohl ja. Drake, mein Junge. Ich glaube, dass weit mehr Bäume gefällt wurden, als du dachtest. Aber du warst immer schon jemand, der die Sachen gerne runterspielte.“
„Es war wirklich nicht viel.“ erwiderte ich.
„Beweis es mir.“
„Okay, dann fliegen wir morgen mit deinem Privatjet zu den Bauarbeiten. Du wirst sehen, dass alles nur ein Zufall ist.“ Mein Vater nickte.
„Spätestens morgen werden wir es ja wissen.“

Wie besprochen flogen wir zu den Regenwäldern. Es regnete wie am vorherigen Tag aus Strömen und es blitzte und donnerte Ich hielt Cynthias Hand in meiner und meine Eltern folgte uns. Doch dann hielt ich geschockt inne. Ich wusste, dass ein paar Bäume gefällt werden würden, aber doch nicht so viele. In 10 km begann der Wald. Alles was davor war, bestand aus gefällten Bäumen. Ganze Zeit über hatte ich meine Augen vor der Realität verschlossen. Ich habe nicht gemerkt, wie schlimm das Ausmaß in Wirklichkeit ist. „Nennst du das immer noch wenig, mein Junge?“ fragte mein Vater. Ich schaffte es nicht, ihm zu antworten. Mein Vater sah mich ernst an. „Noch kannst du es aufhalten, aber wenn du weiterhin nur rum sitzt, sind wir alle verloren. Selbst für diesen Ort hier. Willst du wirklich, dass so etwas Schönes zerstört wird, nur für ein paar Hochhäuser?“
„Er hat Recht, Drake.“ sagte nun auch meine Mutter, die sich ganze Zeit über raus gehalten hat. „Lass das nicht zu.“ Ich sah zu Cynthia. Sie sah mich einfach nur an und drückte mir die Hand und in mir wurde ein Schalter umgelegt.
Ein paar Arbeiter waren gerade dabei weitere Bäume zu fällen. „Stop!“ rief ich. „Hört auf!“ verblüfft starrten sie mich an. Herr Clavaniour, der die Arbeiteten beobachtete, kam auf uns zu. „Guten Tag, Herr Mirror. Natürlich auch ihren Eltern einen guten Tag. Und Frau…“ Sein Blick fiel auf Cynthias und meine verschränkte Hände. „…Lockwood. Was kann ich für sie tun?“
„Sie müssen die Arbeiten abbrechen.“ sagte ich.
„Warum wenn ich fragen darf?“
„Weil es falsch ist.“
„Herr Mirror, wie sie wissen, haben sie einen Vertrag unterzeichnet. Sie können die Bauarbeiten nicht abbrechen. Entschuldigen sie.“ Herr Clavaniour schenkte mir ein schmallippiges Lächeln. Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein heftiger Blitz aus den Himmel schoss und uns fast getroffen hätte. Kurz darauf erklang ein ohrenbetäubender Donner. Die Erde bebte und ich hörte Cynthia meinem Namen schreien. Mein Vater packte mich am Arm und meine Mutter klammerte sich an ihn. Vor uns schien etwas zu explodieren und wir fielen zu Boden. Vor uns materialisierte sich eine Gestalt. Rote Haare, milchkaffeebraune Haut. Die Frau aus meinem Träumen. Mutter Natur. Ich hörte die Anderen überrascht aufjauchzen. Herr Clavaniour wirkte geschockt. Dann fing Mutter Natur zu sprechen an. „Drake Mirror, es erfreut mich, dass du doch noch den richtigen Weg eingeschlagen hast. Ihr alle denkt immer, es wäre nichts Schlimmes ein paar Bäume zu fällen, auch wenn es der Regenwald ist. Die Menschen schätzen die Natur nicht mehr. Eine Zeit lang haben wir uns das gefallen lassen, aber irgendwann schlägt auch die Natur zurück. Es tut mir leid, dass es dabei Tote und Verletzte gab, aber anders wollt ihr es ja nicht einsehen. Ihr wollt die Welt schützen, damit sie erhalten bleibt, aber immer weiter zerstört ihr sie, weil ihr nichts ändern wollt. Damit werdet ihr der Welt nicht helfen, das wird nur dafür sorgen, dass die Welt nach und nach zerstört wird. Sieht ihr den Wasserfall dort ganz weit hinten?“ Sie deutete auf einem weit entfernten Wasserfall. Er war wunderschön. „So etwas Schönes wird es bald nicht mehr geben, wenn ihr nicht endlich aufhört, alles zu zerstören. Die Welt, die wir einmal kannten, würde so nicht mehr existieren. Ich beweise es euch.“ Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und ein greller Lichtschein blendete uns. Dann wurden wir auch schon hineingezogen. Was ich dann sah verschlug mir den Atem. Ein wunderschöner Ort nachdem anderen erschien mir. Sie strahlten so eine Schönheit aus, dass ich am Liebsten sie berühren wollte. Sie für immer erhalten wollte. Doch dann wurde alles trüb. Ich sah nur noch Zerstörung. Ein wunderschöner See war ausgetrocknet und die Fische kämpften ums Überleben. Die Wälder bestanden nur noch aus gefällten Bäumen und die Tiere blickten sich erschreckt um. Alles war zerstört. Ich hörte einen lauten Knall und ich war wieder bei den Bauarbeiten. Auf die Gesichter der Anderen breitete sich Fassungslosigkeit aus.
„Ihr Menschen wollt die Welt bewahren, doch ändern tut ihr nicht.“ sagte Mutter Natur.
„Doch das werden wir.“ sagte ich „Mit Hilfe deren, die heute hier waren, werden wir es tun. Nicht wahr, Herr Clavaniour?“ fragte ich. Er nickte stumm.
„Das will ich doch hoffen. Ich habe Vertrauen zu dir, Drake Mirror. Du hast ja auch tatkräftige Unterstützung. Deine Eltern werden dir bestimmt helfen und deine Freundin hätte bestimmt nichts dagegen, dich zu unterstützen.“ Sie zwinkerte mir zu und lächelte. Es hatte aufgehört zu regnen und die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Wolken. Ich sah zu Cynthia und meinen Eltern. Ja, sie würden mich unterstützen. Daran hatte ich keine Zweifel. Ich wandte mich an Mutter Natur. „Danke, dass du uns die Augen geöffnet hast.“
„Nein. Ich danke dir. Du wirst dafür sorgen, dass die Welt demnächst mehr geachtet wird. Außerdem habe nicht nur ich dir die Augen geöffnet, sondern deine Familie. Ohne sie, würden die Bauarbeiten wie gewohnt weiter gehen. Du musst eins wissen, Drake Mirror: Ich vertraue dir. Aber jetzt ist es Zeit zu gehen. Vielleicht sehen wir uns ja noch Einmal. Es war nett, euch alle kennen zu lernen.“ sagte Mutter Natur und verschwand einfach im Nichts. Ich sprach noch kurz mit Herrn Clavaniour und dann ging es auf nach Hause. Die Pfingstrose, die bis auf ein einziges Blatt alle verloren hatte, blühte wieder wie am ersten Tag.

Zeitungsausschnitt aus der New York Times
Drake Mirror, der Inhaber der Architekturfirma Kormay , setzt sich für den Weltweiten Naturschutz ein. Am Dienstag, dem 19.07.2011, hatte er sich mit seinem Konzept, das weitere Zerstörung der Wälder untersagte, durchgesetzt. In einem Interview erzählte er uns, wie wichtig es sei, die Welt zu schützen, weil sie sonst nicht mehr als die, die wir kannten, existieren würde. Mit der Hilfe von Alec Clavaniour, Inhaber der Baufirma Clavaniour&Luchs, seiner Familie und seiner Verlobten Cynthia L. hätte er es jedoch nie geschafft, so meint er. Was er als Nächstes vorhat, wollte er uns nicht sagen, aber wir sind gespannt.“

Impressum

Texte: alle Rechte des Covers liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Hündin Cora, die am 07.07.11 von heut auf morgen von uns gegangen ist :( Und der Wiederholung von Galileo Big Pictures am Sonntag,die erst aus meiner anfänglichen Idee (Schnulz-Schnulz Liebesdrama) etwas Besonderes gemacht hat ;)

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