Es war Ende Juni, als der Sommer in Pittsburgh endlich eingetroffen war. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster mein Gesicht erwärmten. Die Nachbarskinder sprangen fröhlich in ihrem Gartenpool. Wie gerne würde ich jetzt hinaus und ins Schwimmbad gehen oder einfach nur zum IceCreamLand und mir ein großen Eisbecher gönnen. Doch ich kann es nicht. Ich bin nicht mehr der unauffällige 19 jährige Liam Wilson. Ich habe ein Geheimnis, das niemand erfahren darf. Ich habe Dinge getan, die niemand wissen darf.
Alles hatte vor etwa drei Jahren angefangen. Ich saß wie jeden Abend am Küchentisch schaute fernsehen und machte nebenbei meine Hausaufgaben. Meine Mutter kam wütend von der Arbeit. Sie erzählte mir, dass ihre Kollegin sie um eine Doppelschicht gebeten hatte, was sie abgelehnte, weil sie es leid war, immer Überstunden für andere zu machen.
Daraufhin fragte ihre Kollegin:
„Was hast du denn so wichtiges vor? Dein Mann ist doch schon vor Jahren abgehauen. Und dein Sohn kann auch ohne gute Nachtgeschichte schlafen gehen“. Da rastete meine Mutter aus und nannte sie ein hässliches Flittchen. Und noch andere Beschimpfungen die sie mir nicht sagen wollte.
„Aber das Beste kommt noch“, erzählte meine Mutter weiter. „Sie hat mich mit ihren arroganten Augen angestarrt und irgendwas auf ihrer Sprache gemurmelt. Dann hat sie mich angelächelt und gesagt, dass sie mich mit einem Fluch belegt hatte. Ich habe laut los gelacht und sie beim gehen mit meiner Schulter zur Seite gestoßen.
Du wirst schon sehen hat sie mir noch hinterher gerufen. Ich hasse diese Frau!“
Nachdem wir zu Abend gegessen hatten und meine Mom vor dem Fernseher eingeschlafen war, schmerzte plötzlich meine linke Hand. Erst dachte ich an eine Muskelzerrung,doch eincremen mit einer Salbe half nichts.Die Schmerzen wurden sogar noch stärker! Ich hatte das Gefühl, dass winzige Nadeln mein Fleisch durchbohrten und jede Bewegung war die Hölle. Langsam bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Als mir schon vor Schmerz Tränen in die Augen stiegen, sah ich wie die Haut auf meiner Hand langsam weiß wurde. Mein Gehirn sagte mir, dass ich schon halluzinierte. Es wurde aber noch schlimmer. Meine Haut löste sich nach und nach auf. Mit weit aufgerissenen Augen schaute ich zu, wie mein Gewebe zum Vorschein kam. Meine Venen pochten vor Angst. Meine komplette Haut, sowie Muskel und Gewebe verschwanden einfach im Nichts. Nur mein Knochen blieb zurück. Einen kurzen Moment hätte ich schwören können, dass ein leicht blauer Nebel mich umschlossen hatte. Ich hielt meine Skeletthand vor meine Augen und schrie wie verrückt. Meine Mutter rannte entsetzt in meinen Zimmer und blieb geschockt stehen. Ich weiß noch, wie ich auf sie losgegangen bin undum Hilfe geschrien hatte. Doch meine Mutter fiel hilflos auf den Knien undversteinerte vor Angst. Ich hatte sie noch nie so verängstigt gesehen. Ich lief in meinem Zimmer hin und her und hielt meine Hand von meinem Körper weg, so als wäre sie ein Fremdkörper oder ansteckend. Total in meiner Hysterie gefangen bemerkte ich gar nicht, wie meine Mutter etwas vor sich hin murmelte. Sie zitterte am ganzen Körper und flüsterte: „Der Fluch.“ Meine Gedanken überschlugen sich. Auch wenn es lächerlich und kindisch war, es gab einfach keine andere Erklärung dafür. Es konnte nur etwas Übernatürliches sein.
Am nächsten Tag fuhr meine Mutter zur Arbeit. Doch ihre Kollegin war nicht dort. Egal wo sie anrief oder hinfuhr sie war einfach nicht auffindbar. Ab diesem Zeitpunkt war mein normales Leben vorbei. Ich konnte meine Hand nicht mehr anschauen. Deshalb versteckte ich sie für immer unter einem Handschuh. Ich trug ihn beim Schlafen und sogar beim Duschen. Ich konnte den Anblick nicht ertragen.
Die nächsten Wochen lebten ich und meine Mutter nur vor sich hin. In der Schule erzählte ich,ich wäre krank und dürfte das Haus nicht verlassen. Ich wollte nicht, dass mich irgendjemand so sah. Eines Nachts, als ich mir ein Glas Milch holen wollte, sah ich, dass meine Mutter nicht mehr in ihrem Bett lag. Das Einzige was sie hinterlassen hatte, war Geld auf den Küchentisch. Kein Abschiedsbrief, keine Erklärung. Aber ich war ihr nicht böse, ich konnte sie sogar verstehen. Doch ich konnte nicht leugnen, dass ihr plötzliches Verhalten mir ein Stich in die Brust versetzte, und ich mich nun endgültig allein fühlte.Ich verließ das Haus nur zum Einkaufen und das kostete mich jedes Mal große Überwindung. Im Winter war es etwas einfacher, weil jeder Handschuhe trug. Aber sobald es wärmer wurde, starrten mich die Leute an. Schon wenn ich kurz auf die Veranda ging, spürte ich die fragenden Blicke der Nachbarn. Ich wusste, dass über mich gesprochen wurde. Am Anfang riefen mich meine Freunde noch an, aber nachdem sie ihren Abschluss in der Tasche hatten, meldete sich keiner mehr. Meine Familie hatte sich schon vor diesem Vorfall kaum bei uns gemeldet. Doch ein Anruf, den ich vor einigen Monaten erhielt, hatte mich zutiefst bestürzt. Meine Grandma war gestorben. Und obwohl ich keinen richtigen Kontakt zu ihr gehabt hatte, hatte sie mir Geld vererbt. Eigentlich verdiente ich das Geld nicht und wollte es auch ablehnen, aber ich brauchte es.
Gerade als ich mir ein Sandwich machen wollte, klingelte es an der Tür. Erst blieb ich in der Küche regungslos stehen, weil ich dachte, das es bestimmt wieder die Nachbarskinder waren, die mir ein Klingelstreich spielten. Es klingelte weitere zwei Male, dann folgte ein heftiges Klopfen. Ich lief zur Tür und schaute durch den Türspion. Es war mein alter Schulfreund Sean. Ich zögerte ein Moment. Eigentlich wollte ich so tun, als wäre ich nicht da, aber die Sehnsucht endlich wieder ein Freund zu treffen und alles zu vergessen war stärker. Mein Herz beschleunigte sich vor Freude und Aufregung. Ich öffnete einen Spalt und zeigte nur meinen halben Körper.
„Hey Liam! Wie geht’s dir den?“, redete er drauf los, schob mich zur Seite und betrat ohne Einladung das Haus. „Ich habe gehört du wohnst allein hier. Ist das nicht cool?“, sagte er und drehte sich zu mir um. Blitzschnell versteckte ich meine Hand in meiner Jogginghosentasche. „Ja, es ist ganz okay“, antwortete ich und bemerkte, wie meine Stimme über die Jahre an stärke verloren hatte.
„Und was machst du jetzt so?“, er steuerte ins Wohnzimmer. Ich fluchte innerlich, weil ich für so eine Situation keine gute Lüge vorbereitet hatte.
„Ich ... arbeite bei einem ...äh … Freund im Lager“, log ich und hoffte, dass er es mir glaubte und keine weiteren Fragen stellte.
„Was ist mit dir?“, fragte ich ihn.
„Ich arbeite bei meinem Vater. Er ist Eventmanager. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie cool das ist. Und wie viele Leute man dort kennenlernt“, prahlte er. „Du siehst ganz schön abgemagert aus. Hast du immer noch diese Krankheit?“
Mein Magen zog sich zusammen. Ich wusste, dass früher oder später diese Frage kommen würde. Doch ihm die Wahrheit zu sagen machte mir mehr Angst.
„Ja, es geht. Ich hab …“, stammelte ich, doch weiter kam ich nicht, weil er dann meine linke Hand erblickte. „Warum trägst du einen Handschuh?“, fragte er. Ich begann zu zittern. Ich spürte, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
„Hast du dir ein Tattoo stechen lassen? Komm schon, mir kannst du es zeigen“, er griff nach meiner Hand. Ehe er sie berührte, zog ich sie zurück. Als er merkte, dass ich nervös wurde, reizte es ihm umso mehr, das Geheimnis zu lüften.
„Du solltest jetzt besser gehen“, sagte ich und versuchte dabei hart zu klingen.
„Ach komm schon. Du kannst es mir sagen. Ich werde es auch niemanden erzählen“, hakte er weiter nach und fing an mir hinterher zu laufen. „Willst du es auf die harte Tour? Du weißt ich bin stärker als du“, sagte er grinsend.
„Bitte geh einfach“, forderte ich, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Dann sprang er auf meinem Rücken so wie er es früher immer gemacht hatte um zu bekommen, was er wollte. Er umklammerte mein linkes Handgelenk und verstärkte seinen Griff. Ich versuchte ihn abzuschütteln aber er hatte recht, er war stärker als ich. Er riss mich mit seinem Gewicht zu Boden und drehte mit beiden Händen meinen Arm auf den Rücken. Ich konnte mich kaum bewegen.
„Tu es nicht! Sonst …“, sagte ich doch es war schon zu spät. Ich spürte, wie er mein Handschuh auszog und sein Griff dann locker wurde. Ohne ihn anzuschauen, riss ich ihn meinen Handschuh aus der Hand und zog ihn sofort an. Dann schaute ich nach seiner Reaktion. Er bewegte sich keinen Millimeter und glotzte wie gebannt auf meine Hand.
„Sean, hör zu“, versuchte ich es ihm zu erklären und ging langsam auf ihn zu.
„Was zum Teufel!“ Nun starrte er mir direkt in die Augen. Diesen kurzen schwachen Moment nutze ich aus. Ich schnappte mir das Telefonkabel und schnürte es ihm um den Hals. Er wehrte sich so gut er konnte aber dann gewann ich die Oberhand. Irgendwann gab er ein erstickendes Röcheln von sich und fiel zu Boden. Ich schaute auf ihn herab und schüttelte den Kopf.
„Warum musstest du das tun, Sean?“, fragte ich seine Leiche.
Niemand durfte mein Geheimnis erfahren.Jeden der es wusste oder herausfand, musste ich umbringen. So schlimm es auch war. Das war die einzige Lösung, die ich in meiner Verzweiflung hatte. Sean war schon die vierte Person, die sterben musste. Leider. Und das Grausame war, dass ich nichts dabei empfand. Die Schuld gab ich ihnen. Warum mussten sie zu mir kommen? Warum hatten sie mich nicht einfach vergessen? Mit einem Freak möchte niemand was zu tun haben. Ein Freak ist dafür gemacht sein ganzes Leben allein zu verbringen.
Meinen ersten Mord begann ich vor zwei Jahren. Es war kurz vor Weihnachten und die Straßen waren voller Schnee. Ich lief nachts durch die Gassen, als mich ein Obdachloser Mann aufhielt und nach Kleingeld fragte. Ich verneinte und wollte weiter laufen doch er hielt sich verzweifelt an meiner Jacke fest. So höflich wie möglich versuchte ich zu erklären das ich kein Bargeld bei mir hatte. Er nickte etwas verstört wollte aber dann meine Handschuhe haben. Ich versicherte ihn, dass ich am nächsten Tag vorbei kommen würde und ihn ein paar neue Handschuhe bringen würde. Doch er schüttelte entschieden den Kopf und schubste mich brutal gegen die Wand. Als meine Wirbelsäule gegen die harte Wand knallte, war ich für einen kurzen Moment so vom Schmerz überwältigt, dass er sich auf mich stürmte und mein Schal und meine Handschuhe stahl. Er fiel erschrocken zu Boden, als er meine Hand sah. Wut stieg in mir auf. Während ich auf ihn zu lief, wich er vor Furcht zurück. Ich packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Mir wurde klar, dass er mich nun als Monster sah und wenn ich das nächste Mal auf die Straße laufen würde, würde er auf mich zeigten.
Das konnte ich nicht zulassen! Ich schlug sein Kopf mehrmals gegen die Wand dann ließ ich ihn los. Meine Arme zitterten wie verrückt. Schwankend und mit letzter Kraft stand er noch auf, schaute mich an und rannte los. Aber weit kam er nicht. Ich joggte ihm hinterher schnappte ihn bei seiner Jacke und warf ihn wie ein Müllsack gegen einen Papiercontainer. Er schlug mit dem Kopf gegen den Container. Dann sackte er leblos zu Boden. Sein Genick war gebrochen. Ich zog meine Handschuhe wieder an und verließ ohne noch einmal nach ihm zu schauen die Gasse.
Opfer Nummer zwei war Mrs. Gonnie gewesen. Die ältere Frau wohne neben mir und verirrte sich oft in unseren Hintergarten. Meine Mutter sagte immer sie wäre geistig krank aber harmlos. Doch ich hatte sie mehrmals erwischt, wie sie durch unsere Fenster schaute. Eingebrochen war sie auch schon Mal, aber wir erstatteten keine Anzeige. Auch an diesem Tag war ich gerade dabei meinen alten Handschuh durch einen frischen zu wechseln, als ich ein erschrockenes Seufzen hörte. Mrs. Gonnie stand vor dem Zimmerfenster und beobachtete mich. Ich lief zur Glastür die zum Garten führte und lief ihr entgegen. Sie schaute mich entsetzt an und rief: „Teufel!“ Bei diesem Wort zuckte ich zusammen. Es war nicht schwer sie umzubringen, da sie viel zu schwach war um sich zu wehren. Sie war die Erste die ich im Fluss entsorgte. Danach folgte eine Pfandfinderin, die auf einmal in meiner Küche stand. Ich war gerade dabei die Blumen auf meiner Veranda zu gießen. Die Tür lies ich nur kurz offen um die Gießkanne aufzufüllen. Ungeschickt öffnete ich zu abrupt den Wasserhahn und mein Handschuh wurde klitschnass. Ich zog ihn aus und legte es auf die Fensterbank, damit er trocknete. Als ich mich umdrehte, stand da dieses Mädchen mit einer grünen Uniform in meiner Küche. Sie hatte Kekspackungen in der Hand. Wie versteinert blieb sie vor mir stehen und starrte mich an. So hart es auch klingen mag, warf ich ihr eine Porzellanvase an den Kopf. Sie fiel ohne laut zu Boden. Wenn sie angeklopft hätte, würde sie heute noch leben.
Ich lief an dem Hausflurspiegel vorbei und blieb davor stehen. Der Spiegel zeigte mir einen abgemagerten Jungen mit blasser Haut. Meine braunen Haare warenwild durcheinander gewachsen und standen in jede Richtung. Ich dachte kurz an einen Friseurbesuch, verwarf den Gedanken aber sofort. Meine graublauen Augen hatten schon lange das Funkeln verloren. Es hatten sich leichte Augenringe gebildet, die mir deshalb ein müdes und erschöpftes Erscheinungsbild gaben.Bevor ich meinen Schulfreund in einem Müllsack verstaute, schaute ich noch etwas Fernsehen. Alle meine Opfer entsorgte ich in einem Park, wo es einen großen Fluss gab. Dank mir hatten die Medien einen Mörder namens „The River Killer“ erfunden. Ich stellte mir vor, wie spätestens morgen früh alle Sender darüber Berichteten, das der River Killer wieder zu geschlagen hatte. Bis jetzt hatte die Polizei keine Spuren oder Verbindung zu mir hergestellt. Und das sollte auch so bleiben. Ich hoffte, dass Sean niemanden erzählt hatte, dass er mich besuchen wollte. Sonst musste ich mir wirklich Sorgen machen. Als es dunkel wurde und in allen Nachbarhäusern die Lichter erlöschen, trug ich Seans Leiche in meinen Wagen. Ich hatte Glück, das es stark regnete und deswegen so gut, wie keiner unterwegs war. Das Autofahren hatte ich mir vor einem Jahr selber beigebracht. Ich habe Stunden vor dem Computer verbracht um die Verkehrsregeln zu lernen. Später bin ich abends immer um den Block gefahren. Als ich den Park erreichte und Seans Leiche über die Absperrung ins kalte Wasser werfen wollte, rannte eine Person an mir vorbei. Ich rannte hinter einem Busch, den Müllsack lies ich dort liegen. Die Person blieb kurz stehen schaute in meine Richtung. Gerade als sie einige Schritte auf den Busch laufen wollte, klingelte das Handy in seiner Hosentasche. Sie nahm es in den Händen rannte an mir und den Busch vorbei. Ich atmete vor Erleichterung aus. Nachdem ich ihn in den Fluss geworfen hatte, saß ich in meinem Auto und schaute aus dem Fenster. Es gab Tage, an denen ich mich selbst hasste und einfach alles Vergessen wollte.Ich wollte leben wie ein normaler Teenager. Genau heute war so ein Tag. An der gegenüberliegenden Straßenseite sah ich eine Bar. Die Leute, die ich durch das Fenster beobachtete, lachten und hatten Spaß. Sie lebten ihr Leben. Sie waren einfach normal. Wütend schlug ich aufs Lenkrad. Ich beschloss auch in die Bar zu gehen und wenigstens für ein paar Stunden unter normalen Menschen zu sein und einfach alles zu vergessen. Es fiel mir unbeschreiblich schwer von mein Sitz aufzustehen und über die Straße zu laufen. Doch ich nahm all meinen Mut zusammen und stieg aus dem Auto. Als ich die Bar betrat, spürte ich, wie mich Blicke musterten. Andere tuschelten,aber ichwusste aber nicht, ob es mir galt. Ich zwang mich alles um mich herum zu ignorieren und einfach einen schönen Abend zu haben. Ich setzte mich an den Tresen und bestelle ein Cocktail namens „Kissberry“. Der Barkeeper schaute mich misstrauisch an und fragte nach meinem Ausweis. Nachdem ich ihn meinem Ausweis gezeigt hatte, lächelte er freundlich und reichte mir ein hohes Glas mit einer roten Flüssigkeit. Um den Glasrand hingen geschnittene Erdbeeren und Himbeeren. Das Getränk war nur leicht mit Alkohol besetzt, schmeckte aber verdammt gut. Während ich an meinem Getränk nippte, bemerkte ich, wie mich jemand von der Seite anschaute. Gerade als ich mich in die Richtung drehen wollte, stand die Person schon neben mir und setzte sich auf einen der freien Hocker.
„Du musst neu hier sein. Ich habe dich nie zuvor hier gesehen“, sagte sie lächelnd und zupfte ihr enges T-Shirt zurecht. Ich schluckte. Es war wirklich sehr lange her, dass eine Frau mit mir geflirtet hatte. Sie hatte wunderschöne dunkelgrüne Augen, die perfekt mit ihren braunen Locken harmonierten.
„Ja, das bin ich“, sagte ich nickend.
„Und was ist mit dir? Bist du oft hier?“
Sie hob die Schultern. „Ab und zu mal hänge ich hier rum“.
„Ganz allein? Bist du ohne Begleitung hier?“, fragte ich.
Sie hob die Augenbrauen und beugte sich zu mir vor. „Warum? Bist du der Meinung, dass ich Schutz bräuchte?“
Ich spürte, wie meine Ohren heiß wurden und ich zu schwitzen begann.
„Nein, aber findest du es nicht langweilig, wenn du immer hier alleine rumhängst?“
Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Es liegt ja nicht an mir. Man muss nur die passenden Leute zum Spaß haben finden“. Als sie ihre Haare mit einer eleganten Bewegung zurückwarf, kam mir ein Kokos Geruch entgegen. Ihr Dekolleté glitzerte, wenn sie sich bewegte. Sie war eigentlich ganz mein Typ. Ein total hübsches und sympathisches Gesicht. Dazu noch eine Sanduhr Figur mit langen schlanken Beinen.
„Was? Warum schaust du mich so an?“, fragte sie und wirkte verlegen. Ertappt richtete ich mein Blick auf ein Poster, das an der Wand hing.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anstarren. Du erinnerst mich nur an diese Schauspielerinnen, die in den Teeniefilmen alle heiß finden“, gestand ich und war von meiner spontanen Anmache überrascht. Sie lachte und trank ein Schluck aus ihrem Glas.
„Wow nicht schlecht. Dass in dir ein Aufreißer steckt, hätte ich gar nicht gedacht. Du wirkst eher schüchtern“. Ich lächelte zurück und verspürte endlich wieder Freude und Spaß. Bis mir wieder klar wurde, dass ich sowie nichts mit ihr Anfangen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie an mir herab schaut und den Handschuh entdeckte.
„Ich heiße Jen“, stellte sie sich vor. Da sie mit ihrer rechten Hand am Tresen lehnte und ihren Drink umklammerte, streckte sie mir ihre linke zum Groß entgegen. Ich reagierte automatischund als ich auch meine linke Hand ausstreckte, blieb ich mit meinem Handschuh an den Reißverschluss meiner Jacke hängen. Ein Stück meiner Skeletthand kam zum Vorschein. Bevor noch meine ganze Hand zu sehen war, schnappte ich blitzschnell nach meinem Handschuh. Doch es war schon zu spät. Jen schaute mich entsetzt an murmelte ein „Ich muss gehen“ und stürmte aus der Bar.
„So ein Mist!“, fluchte ich, legte ein Geldschein auf den Tresen und rannte in den Regen hinaus. Der Regen durchnässte mich in Sekundenschnelle.Ich schaute mich nach Jen um, konnte sie aber wegen der dicken Regenwand nicht sehen. Dafür hörte ich ihre hohen Absätze, wie sie auf den Asphalt hämmerten. Ich folgte ihnen. Obwohl mir kalt war, glühten meine Wangen wie Herdplatten.
„Ich darf sie nicht entkommen lassen!“, brannte es in meinem Kopf. Sie rannte in den Park und schaute sich immer wieder hektisch um. Als sie mich entdeckte schrie sie und stolperte. Ich näherte mich und kniete mich neben ihr. Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an und schrie um Hilfe. Der Regen schien stärker zu werden und trübte meine Sicht, als ich mich umschaute. Sie wehrte sich heftig und rammte mir ein paar Mal die Fäuste in den Bauch. Ich griff nach ihrem Hals und drückte zu. Ich schaute sie dabei nicht an.
„Verdammt noch mal! Warum musstest du zu mir rüber kommen!“, rief ich aufgebracht. Ich spürte, wie ihr Puls immer schwächer wurde und sie dann in meinen Händen leblos zusammenklappte. Ich wusste nicht, ob es die Kälte war oder ob ich zum ersten Mal Angst verspürte, aber ich zitterte am ganzen Körper. Ihr Kopf war zur Seite geneigt und ihre Augen schauten ins leere. Ich verfluchte mich selbst, warum ich so dumm gewesen war und nicht einfach nach Hause gefahren bin. Wegen mir musste diese hübsche junge Frau sterben! Ich wollte schreien um meine Wut und meinen Kummer los zu werden, aber ich konnte nicht. Bevor noch irgendjemand auf mich aufmerksam wurde, schleifte ich das tote Mädchen bis zur Stelle, wo ich vor einer Stunde Sean in den Fluss geworfen hatte. Ich schaute nach unten in den Fluss und sah, dass immer noch ein Absperrband von der Polizei hing, das vor etwa ein Monat angebracht sein musste als ich meine dritte Leiche in den Fluss geworfen hatte.
„Ich wollte das wirklich nicht tun“, sagte ich und strich über ihr nasses Haar. Ich warf ihre Leiche über das Geländer in den Fluss. Ich schaute zu, wie ihre Leiche vom Wasser mit einem lauten klatschen abgefangen und langsam fort getragen wurde. Die Regentropfen prasselten auf meiner Lederjacke und übertönten jedes Geräusch.
„Du bist ein sehr böser Junge“, sagte plötzlich eine Stimme direkt hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich gebannt vor Angst um. Eine Frau im Alter von ungefähr fünfzig Jahren stand mit einem schwarzen Regenschirm vor mir. Ich kannte sie nicht. Meine Gedanken überschlugen sich mit Fragen.
„Wie viele Menschen hast du schon getötet?“, fragte sie mich und genoss meinen verwirrten Gesichtsausdruck. Ich antwortete nicht, starrte sie einfach nur an.
„Egal was du tust, es ändert nichts daran, dass du ein Freak bist“, sagte sie, mit ihrem Blick auf meine Hand gerichtet.
„Wer sind Sie?“, ich wappnete mich schon für einen Kampf mit ihr. Sie lachte laut dann funkelten ihre Augen unnatürlich grün auf. Ich löste mich von meiner Erstarrung und lief langsam auf sie zu.
„Deine Rabenmutter ist bestimmt stolz auf dich“, rief sie mir bösartig zu. Dann verstand ich, wer sie war. Sie war diejenige, die meine Mutter bestrafen wollte, indem sie mich zum Ungeheuer machte. Sie hatte mein ganzes Leben zerstört! Ich gab einen Wutschrei von mir und rannte wie besessen auf sie zu. Sie hob ihre Hand und plötzlich wurde ich nach hinten geschleudert. Ich knallte mit voller Wucht gegen das Geländer. Ich schnappte schmerzhaft nach Luft.
Was zum Teufel ist gerade passiert, dachte ich panisch und schaute zu der Frau. Sie lief ruhig und gelassen auf mich zu.
„Du verdammte Hexe!“, rief ich ihr hasserfüllt zu.
„Du kleines naives Kind! Dachtest du wirklich, dass du damit durch kommst?“, sie durchbohrte mich mit einem angewiderten Blick.
„Es ist doch alles deine Schuld! Das Blut auf meinen Händen klebt auch auf deinen!“, schrie ich sie an. Sie spuckte auf den Boden und hob ihre Hand. Ich spürte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor und plötzlich in der Luft schwebte.
„Deine Taten müssen bestraft werden“, erwiderte sie und ein großer heller Blitz durchzuckte den schwarzen Himmel. Meine Augen weiteten sich vor Furcht und mein Hals wurde so schlagartig trocken das ich befürchtete nie wieder schlucken zu können. Verängstigt schaute ich zu ihr hinab und flehte sie mit Blicken an. Doch sie grinste nur zornig zurück. Dann ließ sie ihre Hand zur Seite sacken. Und genau in diesen Momentstürzte ich wie ein tonnenschwerer Stein in den Fluss. Mein Körper klatschte wie Beton auf dem Wasser. Meine Kleider sogen sich voll und zogen mich in die Tiefe.
Ich schnappte panisch nach Luft, schluckte dabei jede Menge Wasser. Ich kämpfte mich mit jedem Muskel in meinem Körper ans Ufer. Nach Atem ringend zog ich mich an den Steinen hoch die den Fluss umrandeten. Ich hustete so lange bis meine Lunge vor Anstrengung brannte. Kraftlos ließ ich mich zu Boden fallen und schloss die Augen. Die letzten Sekunden, die ich gerade erlebt hatte, liefen wie eine Diashow vor meinen inneren Augen vorbei. Der Regen hatte aufgehört und einige Vögel fingen an zu zwitschern.
„Es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut!“, brachte ich halb flüsternd hervor. Ich öffnete die Augen und setzte mich auf. Als ich meine Hände zum Gesicht führen wollte, bemerkte ich, dass meine linke Hand wieder ganz normal war. Ich starrte meine Hand fassungslos an, bewegte meine Finger, streichelte meine Haut. Es war so schön, meine Hand endlich wieder normal zu sehen.
„Es ist endlich alles vorbei“, sagte ich überglücklich, wie schon seit Jahren nicht mehr. Ich konnte einfach nicht aufhören zu grinsen. Als ich hinauf schaute erfror mein Lächeln in Sekundenschnelle. Hinter dem Geländer stand die Frau und schaute mich herausfordernd an.
„Was wollen Sie von mir?“, rief ich ihr erschöpft zu. Sie kniff die Augen zusammen, so als hätte sie mich nicht verstanden.
„Ich möchte gar nichts von dir. Du hast deine gerechte Strafe bekommen“, rief sie zurück. Ich schüttelte den Kopf und beschloss nicht weiter auf sie einzugehen. Ich wollte einfach nur nach Hause. Endlich mein neues Leben zu beginnen. Doch als ich mich umdrehte, versteifte sich mein Körper wie eine Mauer. Ich verstand nicht, was ich dort sah. An den Steinen lag mein bleicher, lebloser Körper.
Nein, das kann nicht sein! Ich stehe doch hier. Ich lebe!, dachte ich rasend. „Was haben Sie getan!? Machen sie das sofort rückgängig!“, schrie ich die Frau an.
„Was meinst du?“, rief sie und zog ein Handspiegel aus ihrer Tasche. „Du wolltest doch wie ein normaler Junge sein. War das nicht dein größter Wunsch?“ Sie betrachtete sich seelenruhig in den Spiegel.
„Ich verstehe nicht“, sagte ich hilflos.
„Ich habe deinen Wunsch erfüllt. Du bist jetzt ein ganz normaler Mensch. Oder soll ich besser Geist sagen? Wie auch immer, du kannst jetzt dein neues Leben beginnen. Natürlich kann dich keiner weder sehen noch hören. Ich wünsche dir viel Spaß“, rief sie mir noch zu, bevor sie ihr Handspiegel zuklappte und vom der Morgensonne erhellten Park verschwand.
Ende
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2013
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