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Lake Gravedoor



„So ein Mist!“, fluchte Ronda. Sie schlug verärgert auf die Klimaanlage ihres Autos. „Ich glaube, sie ist kaputt“, stellte sie fest und schaute zu ihrer Freundin, die neben ihr saß.

„Auch das noch! Hier drin sind es 38 grad!“, sagte Karissa genervt. Mit etwas Papier fächerte sie sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht. Es war ein heißer Augusttag. Beide Freundinnen waren sehr sportlich und Abenteuerlustig. Sobald sie gemeinsame freie Tage hatten, schnappten sie sich ihre Taschen und fuhren irgendwo hin. Diesmal hatten sie ein Wochenendtrip zu den Niagarafällen geplant. Es war Mittag und sie fuhren schon seit zwei Stunden.

„Können wir bitte eine Pause machen?“, fragte Karissa und wechselte ihre Sitzposition schon zum hundertsten Mal. „Mein Hintern tut schon weh“. Ihre nackten Oberschenkel klebten auf den braunen Ledersitz.

„Schau mal auf die Karte, wann die nächste Tankstelle kommt, dort können wir dann eine Pause machen“, schlug Ronda vor, dabei wischte sie sich mit einem Tuch die Schweißperlen von der Stirn. Karissa schaute auf die Karte und ging die Strecke mit dem Finger entlang.

„Die nächste Tankstelle kommt erst in 15 Kilometern“.

„Was? So viel!“, beschwerte sich Ronda, denn auch sie bekam langsam Hunger. „Warte! Ich glaube, wir kommen vorher noch ein einem See vorbei“, bemerkte Karissa und hoffte, dass der See nicht so weit lag.

„Er heißt Lake Gravedoor“.

„Was ist den das für ein Name? Wie weit noch bis zum diesem See?“, fragte die Fahrerin.

„Wir müssten bald da sein. Hier steht, ein Kilometer von der Murlyroad entfernt und da sind wir doch gerade vorbei gefahren“. Aufmerksam schaute sie aus dem Fenster.

„Ich glaube, ich sehe ihn!“, sagte Ronda triumphierend. Mit ausgestrecktem Finger zeigte sie auf die Stelle. Tatsächlich sah man neben kleinen Hügeln und zwischen Bäumen umrandet, glitzerndes Wasser aufblitzen.

„Na endlich!“, sagte Karissa und löste ihren Sicherheitsgurt. Nachdem Ronda den alten roten Fiat geparkt hatte, stiegen sie aus.

„Das ist aber schön hier“, staunte Ronda. Und kramte ihre Kamera aus der Tasche.

„Schau mal, wie sauber das Wasser ist!“, rief Karissa. Begeistert schoss sie ein Foto mit ihrem Handy. Nachdem sie das Schild vom Lake Gravedoor geschossen hatte, wurde sie stutzig. Warum kommt mir der Name so bekannt vor? fragte sie sich und dachte angestrengt nach. Sie wusste, dass sie mal was über diesen See gelesen hatte, aber es wollte ihr nicht einfallen. Von der Aussicht überwältigt lehnten sie sich an der Motorhaube und aßen schweigend ihre mitgebrachten Brötchen.

„Weißt du was?“, sagte Ronda plötzlich nachdem sie aufgegessen hatte. „Ich denke, ich werde ins Wasser springen!“

 „Das ist nicht dein erst oder?“, fragte ihre Freundin ein bisschen verwirrt. „Du weißt nicht mal, wie tief das Wasser ist“.

 „Dann werde ich es eben herausfinden“, antwortete sie. Lächelnd zog sie erst ihr T-Shirt dann ihre Hose aus. Nachdenklich betrachtete Karissa die wunderschöne Landschaft. Der Ort schien wie aus einem Poster heraus gesprungen zu sein. Irgendetwas Mystisches umgab das Wasser und die Bäume.

„Ta-Ta!“, präsentierte sich kurz darauf Ronda und zeigte ihren neuen blauen Bikini der perfekt zu ihren dunkelbraunen Haaren passte.

 „Warum trägst du überhaupt einen Bikini drunter? Wolltest du in den Niagarafällen baden?“, fragte Karissa sie lachend. Grinsend posierte sie für ein Foto.

 „Ich trage unter meiner Klamotten immer einen Bikini, egal wo ich hingehe. Man kann ja nie wissen“. Mit einem eleganten Hüftschwung schloss sie die Autotür. Bevor ihre Freundin das Wasser erreichte, hielt Karissa sie am Arm fest.

„Warte! Willst du wirklich da rein gehen? Ich hab irgendwie ein schlechtes Gefühl“. Ronda legte die Stirn in Falten.

„Warum denn? Du hast doch selbst gesagt das, dass Wasser sauber ist. Und ich werde schon nicht so weit hinausschwimmen“, beruhigte sie ihre Freundin.

„Ich finde es nur seltsam, dass hier niemand ist“, bemerkte sie und schaute sich um. Es war wirklich niemand zu sehen. Auch die Pflanzen und das Grass waren sehr hoch gewachsen.

„Umso besser“, sagte Ronda. „Dann hab ich meine Ruhe!“. Nach diesem Satz lief sie ins Wasser.

„Das Wasser ist gar nicht kalt“, rief sie ihr wenig später zu. „Es ist super, komm auch rein. In der Tasche hab ich noch ein Bikini“. Obwohl Karissa gerne auch rein gehüpft wäre, hielt sie irgendetwas davon ab. Vielleicht war es ihr schlechtes Gefühl, das ihr sagte, dass sie es besser nicht tun sollte. Wenn das Wasser so warm ist, wie Ronda sagt, dann müsste der See doch voller Menschen sein. Es ist mitten im Sommer und über 30 Grad! Das gab ihr zu denken und beschloss deshalb nicht ins Wasser zu gehen.

„Nein, danke. Ich werde mich auf die Decke legen und etwas entspannen“, rief Karissa ihrer Freundin zu. Ronda schwamm ausgelassen hin und her. Als Karissa einige Minuten entspannte, schien der See sich zu verändern. Stirnrunzelnd schaute sie auf das Wasser. Das klare blaue Wasser hatte sich urplötzlich zu einer grünen klumpigen Masse verändert. Obwohl Ronda überall voll mit dem grünen Zeug war, merkte sie nichts. Sie winkte ihr sogar fröhlich zu! Bilde ich mir das nur ein? fragte sie sich und rieb ihre Augen. Doch sie spielten ihr keinen Streich, das Wasser hatte sich wirklich verändert und es wurde immer dunkler. Plötzlich sah sie zwei Augen im See auf Blitzen. Erschrocken wich Karissa zurück. Dann sah sie ein Gesicht aus dem See kommen. Obwohl ihre Beine stark zitterten, stand sie blitzschnell auf. Das Gesicht war mit dem klumpigen grünen Dreck übersät. Nur die roten Sehorgane waren deutlich zu erkennen. Sie konnte keinen Körper erkennen, das Wasser war einfach viel zu trüb und dick. Einige Sekunden starrten die blutroten stechenden Augen sie an. Hilfe suchend schaute sie zu ihrer Freundin. Doch sie merkte von all dem nichts. Dann verschwand das Gesicht wieder im Wasser. Doch dann sah sie, wie der Kopf zu Ronda schwamm.

„Ronda!“, schrie Karissa angsterfüllt über den See. „Komm sofort aus dem Wasser!“

„Warum denn? Es ist so schön frisch“, sagte Ronda gelassen und merkte nicht, wie Karissa sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dieses Ding bewegte sich immer schneller!

„Bitte, Ronda! Komm sofort aus dem Wasser!“, schrie sie erneut. Sie hoffte, dass ihre Freundin heute nicht stur war.

„Was schreist du den so? Ich dachte, wir wollten ein bisschen entspannen?“ Sie bewegte sich kein Zentimeter zum Ufer. Karissa spürte, wie ihr das Adrenalin in den Venen schoss. Dieses Ding war jetzt nur noch einige Meter von Ronda entfernt. „Schnell komm raus! Da ist etwas im Wasser!“

„Was? Ist da eine Schlange?“, rief Ronda entsetzt. Blitzschnell schwamm sie ans Ufer. Das Ding verfehlte sie nur knapp. Karissa sah, wie die Feuer roten Augen sie boshaft fixierten. Dann verschwand es wieder in die Tiefe. Erleichtert atmete Karissa aus, als Ronda endlich das Ufer erreichte.

„Was ist den los mit dir? Du bist ja total blass“, bemerkte sie und trocknete sich mit einem Handtuch das Gesicht.

„Lass uns einfach gehen, Ok?“, sagte Karissa, starrte dabei wie gebannt zum See. Das Wasser war wieder makellos klar.

„Also gut“, gab Ronda nach und trocknete ihren Körper ab. Als Karissa sich gerade auf dem Weg zum Auto machen wollte, hörte sie Ronda aufschreien. Zwei schleimige grüne Arme hatten Rondas Knöchel umfasst und sie zu Boden gerissen. Blitzschnell packte Karissa die Arme ihrer Freundin und zog so stark sie konnte. Sie schaute in ihre angsterfüllte Augen.

„Lass mich nicht los!“, flehte sie ihre Freundin an. Tränen liefen über ihr geschocktes Gesicht.

„Das werde ich nicht“, sagte Karissa mit gepresster Stimme. Auch sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Hinter Ronda sah sie wieder dieses grauenhafte bleiche Gesicht aus dem Wasser kommen.

„Lass sie los!“, schrie Karissa schwer atmend.

„Ich will nicht sterben!“, flehte Ronda verzweifelt und schaute nach hinten. Als auch sie das Gesicht sah, fing sie laut an zu schreien. Die Arme um Rondas Knöcheln zogen sie immer stärker in den See. Schweißperlen bildeten sich auf Karissas Stirn. Ihre Armmuskeln begannen hart zu werden. Der kräftige Ruck lies sie nach vorne rutschen. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Muskeln und Nerven mitgerissen wurden. Eine Wolke aus Staub und Erde brannte in ihren Augen. Sie sah, wie eine Ader auf Rondas Stirn wild pochte.

„Ich kann dich nicht mehr halten!“, rief Karissa weinend und spürte, wie sie langsam ihre Arme verlor.

„Hilfe!“, schrie Karissa mit letzter Kraft. „Bitte! Hilft uns doch jemand!“ Außer dem Vogel Gezwitscher, war kein Mensch oder kommendes Auto zu sehen. Ronda fing bitterlich an zu schreien, als Karissa sie nur noch mit einer Hand hielt. Nasse Haare klebten auf ihren verschwitzten und gerötetem Gesicht. Auch Karissa schrie als ihre Hände zuschwitzen begannen und sie ihre Freundin nur noch mit ein paar Fingern hielt.

„Nein! Bitte nicht!“, schrie Ronda. Ihre Augen waren voller Todesangst. Danach lief vor Karissas Augen alles wie in Zeitlupe ab. Sie verlor ihre beste Freundin und musste mit ansehen, wie diese schreiend mit den Fingern auf den Boden gekrallt ins Wasser gezogen wurde. Ihr Geschrei und ihr vor Furcht entsetztes Gesicht würde sie nie wieder vergessen. Das, was sie als Letztes sah war, wie Ronda schleifend ins Wasser gezogen wurde und sie verzweifelt, versuchte irgendwo mit ihren Armen halt zu finden. Keuchend und kraftlos sah sie mit an, wie Rondas wild zuckender Arm langsam im Wasser verschwand. Dann war alles still. Das Wasser war wieder wunderschön, so als wäre nie etwas passiert.

 Einige Tage später erfuhr Karissa von der naheliegenden Polizeiwache, dass vor etwa zwanzig Jahren ein Pärchen am See Urlaub gemacht hatten. Ein Streit hatte ausgelöst, dass der Mann gewalttätig geworden war und die Frau angeblich ertränkt wurde. Seit diesem Tag verschwanden immer mehr Leute, die im See badeten. Die Vermissten Anzeige war unendlich lang und leider bis heute ohne Erfolg. Niemand wusste, ob das Gerücht wirklich stimmte, aber trotzdem gilt der See als verflucht. Sie mieden den See, auch wenn er so sauber und klar war.

 

Ende

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Tag der Veröffentlichung: 26.01.2012

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