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Es war ein gewöhnlicher Freitagabend. Gemütlich saß ich auf meiner rosafarbenen mit Kissen gedeckten Fensterbank. Als meine Mutter mich rief, wusste ich nicht, dass ab diesem Zeitpunkt sich alles verändern würde. Meine Mutter legte den Hörer auf den Tisch. Sie sah geschockt und traurig aus. Mit diesem Gesichtsausdruck hatte ich sie zuletzt gesehen, als wir erfahren hatten, dass meine Oma gestorben war. Mir wurde mulmig und fragte, was los sei. Meine Mutter bat mich zu setzten. Aber das machte mich noch nervöser, denn so ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Sie atmete paar Mal tief ein und aus dann sagte sie: „Jeremys Schwester hat gerade angerufen. Jeremy hatte heute Mittag ein Autounfall“. Ich hatte das Gefühl, das der Boden unter meinen Füßen einfach weggezogen würde. Es war ein Gefühl wie im Fahrstuhl. Als ich zu zittern begann, griff meine Mutter meine Hand und sagte: „Elena, es tut mir leid aber Jeremy ist tödlich verunglückt!“ Als ich diesen Satz hörte, fing ich an zu schreien. Andere würden vielleicht anfangen zu weinen oder zusammenbrechen, aber ich hatte den drang einfach nur zu schreien. Meine Mutter packte mich an den Schultern und rief immer wieder meinen Namen. „Elena bitte beruhige dich! Elena bitte!“ Doch ich hörte sie kaum. Bevor ich noch die Fensterscheiben mit meinem Geschrei zerbrach, rannte ich in meinem Zimmer und weinte. Ich weinte die ganze Nacht lang. Die Worte meiner Mutter hallten immer wieder in meinen Ohren. Jeremy ist tot! Wie konnte das nur passieren? Wie konnte mein bester Freund tot sein?! Wir hatten uns noch gestern über dumme Sachen kaputt gelacht, und jetzt soll er plötzlich nicht mehr da sein? Ich verstand das nicht. Nein, ich weigerte mich es zu akzeptieren.
Als nach zwei Tagen Jeremys Beerdingung stattfand, hatte ich nicht die Kraft dazu dorthin zu gehen. Erst nach zwei Wochen traute ich mich zum Friedhof zu gehen um seinen Grab zu besuchen. Sein Foto war in dem grauen Marmorgrabstein befestigt. Es war einer seiner letzten Fotos, die von ihm geschossen wurde. Ich wusste noch, wie ich ihn aufgezogen hatte, dass er auf dem Foto, wie ein Mädchen aussah. Mit seinen etwas längeren Haaren und seinen blauen Augen sah er immer feminin aus. Doch jetzt fand ich das Foto wunderschön. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deshalb fing ich an ihn erst mal zu begrüßen. Da ich gerne viel redete, redete ich einfach drauf los. Ich sagte im alles, was mir in den Kopf so rumschwirrte. Die Leute die vorbei liefen dachten bestimmt ich wäre geistesgestört, aber ich konnte nicht anderes. Ich fühlte mich irgendwie verpflichtet ihn bei Laune zu halten. Es war schrecklich ihn dort zusehen. Er war immer ein aufgeweckter Junge gewesen, er liebte es Außergewöhnliches zu erleben. Ich vermisste ihn so sehr. In meinem Zimmer stellte ich einen kleinen Tisch mit einer Kerze und Jeremys Foto auf. Und immer wenn mir danach war, zündete ich die Kerze an. Das gab mir das Gefühl, dass er bei mir war. Als ich eines Tages aus der Dusche kam, bemerkte ich, dass die Kerze angezündet war. Ich wusste genau, dass ich die Kerze heute nicht angezündet hatte. Ich blies sie aus und zog mich an. Nachdem ich kurz das Zimmer verlassen hatte, und mein Zimmer wieder betrat, war die Kerze wieder an. Wie konnte das sein? Dachte ich verwirrt. Ich hatte sie doch vor ein paar Minuten erst ausgemacht. Als ich mich auf dem Boden kniete, um die Kerze erneut aus zublassen, kippte plötzlich Jeremys Bild um. Erschrocken zuckte ich zurück. Alle Fenster waren geschlossen somit konnte es kein Windstoß gewesen sein. Dann ging die Kerze vor meinen Augen aus und wieder an. Ich runzelte die Stirn. „Was ist hier nur los?“, sagte ich mit zittriger Stimme und stellte Jeremys Bild wieder auf. Doch dann verstand ich es. Es war Jeremy! Er hatte einen Weg gefunden mit mir Kontakt auf zu nehmen. Immer wenn die Kerze sich selbst anzündete, wusste ich, dass Jeremy im Moment bei mir war. Nach langen traurigen Wochen lächelte ich endlich wieder. Ich hatte nicht viele Freunde, außer vielleicht noch Kristin. Aber sie interessierte sich nur für Liebesromane, Gedichte und was noch alles mit Liebe zu tun hatte. Sie lebte in ihrer eigenen Welt. Da ich jetzt wusste, dass Jeremy bei mir war, verbrachte ich die meiste Zeit Zuhause. Ich redete Stunden lang mit Jeremy also mit der Kerze. Ich stellte mir vor wie Jeremy sich die Ohren zuhielt weil, ich wieder mal zuviel redete. Immer wenn die Flamme kurz flackerte, stellte ich mir vor das er lachte. Endlich fühlte ich mich ein bisschen glücklicher. Eines Tages besuchte mich Kristin um ihr neuestes Gedicht vorzutragen. Ich interessierte mich nicht besonders für ihr Hobby, aber sie war nun mal meine Freundin. Als sie von Jeremys tot erfahren hatte, hatte sie nicht lang getrauert. Er war ja nun mal mein bester Freund gewesen und nicht ihrer. Ich hatte das Gefühl das Kristin besser klarkam wenn sie allein war. Deswegen hatte sie auch kaum Freunde. Sie wirkte immer distanziert auf andere Leute. Deshalb hatte sie auch bis jetzt kein Freund gehabt, obwohl sie sich so gerne ein wünschte. Wie immer stand sie vor mir und trug ihr Gedicht mit übertriebenen Gesten vor. Ich verdrehte die Augen hörte aber diesmal (was ich sehr selten tat) aufmerksam zu. Auch heute war Jeremy bei mir. Die Kerze hatte sich seit Kristin das Zimmer betreten hatte angezündet. „Er war wohl auch neugierig auf Kristins neues Gedicht“, dachte ich lächelnd. Jeremy fand Kristin immer merkwürdig, aber war immer nett zu ihr gewesen. Zu ihren Gedichten hatte er nie etwas Gemeines gesagt, obwohl er sie kitschig und langweilig fand. Plötzlich während ihres Vortrags, stieß sie gegen den Tisch, wo Jeremys Kerze stand. Es kam mir wie in Zeitlupe vor, als die Kerze vom Tisch kippte und auf dem Boden zerbrach. Ich sprang auf und rannte hysterisch zur Kerze. Kristin schaute mich mit großen Augen an, so als würde sie denken: „Was regt die sich so auf, das ist doch nur eine Kerze!“ Aber es war eben nicht NUR eine Kerze! Zitternd versuchte ich die kaputte Kerze irgendwie zusammenzukleben. Aber es funktionierte nicht. Ich schaute Kristin böse an und schrie sie sollte abhauen. Es war alles ihre Schuld gewesen, sie und ihre dummen Gedichte! Kristin zuckte nach meinen Worten zusammen. Ich konnte richtig ihre Angst in ihren Augen sehen. Hätte ich mich in diesem Moment selber gesehen, hätte ich bestimmt selbst vor mir Angst gehabt. Auch als ich sogar die gleiche Kerze gekauft hatte und ich alles getan hatte um Jeremy zurück zuholen, blieb die Kerze jeden Tag aus. Meine Befürchtung, dass ich Jeremy erneut verloren hatte bestätigte sich. Es war wie sein Zweiter tot gewesen. Wieder verbrachte ich weinende Nächte. „Was hatte ich den im Leben Schlimmes getan, um erneut bestraft zu werden!?“ Nachdem fast meinen ganzen Kissen von meinen Tränen durchnässt wurde, schlief ich ein und träumte von Jeremy. Ich träumte, dass er mich an der Hand nahm. Er sagte mir ich sollte nicht mehr um ihn trauern. „Mir geht es gut“, sagte er und küsste meine Hand. Seine Hand war so angenehm warm. „Ich werde auf dich warten“, sagte er, als er immer mehr verschwand. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und rief nach ihm. Aber er verschwand. Als ich aufwachte, fühlte ich mich stark und glücklich. Jetzt wusste ich, dass es Jeremy gut ging. Ich schaute zur Kerze. Die Kerze zündete sich an flackerte kurz und dann erlosch sie.

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Tag der Veröffentlichung: 02.12.2010

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