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Entfesseltes Verlangen

„Tisch Nr. 8! Latte und Schokocroissant sind fertig.“

Mr. Salister schiebt mir das Tablett mit der dampfenden Tasse und dem Croissant über die Theke und schenkt mir ein breites Lächeln. Ich erwidere es bloss halbherzig und schnappe mir das Blechtablett, um den Inhalt zu Tisch Nr. 8 zu bringen.

„Guten Morgen Mrs. Lovegail! Wie geht es Ihrer Katze? Ist sie wieder auf den Beinen?“ Die alte, zerbrechlich wirkende Dame winkt lachend ab. „Oh, Moony geht es wieder ausgezeichnet. Morgen darf sie wieder raus! Und wie geht es Ihnen, meine Liebe?“ Ich lächle breit und ignoriere den schmerzhaften Stich in meiner Brust einfach. „Gut, wie immer, Mrs. Lovegail.“ Mit einem „Guten Appetit!“ trete ich die Flucht an und verschwinde schnell wieder hinter der Theke.

Ich hasse es, wenn man mich nach meinem Befinden fragt. Seit der Sache mit... na ja, eben der Sache da, geht es mir nicht mehr besonders gut. Ich trage tagtäglich eine Maske, die ich nur äusserst selten ablege. Es ist zu einer Art Schutz geworden.

Es hat sich viel geändert, seitdem ich in meinem neuen Appartement aufgewacht bin.

Zuerst war ich einfach nur vollkommen durcheinander. Immer wieder frage ich mich, warum er mich einfach so weggeschickt hat. Vielleicht bin ich ihm auf die Nerven gegangen? Vielleicht war er nicht zufrieden mit mir? Oder hatte er Angst weil ich seinen Namen kannte? Weil ich mich erinnern konnte?

Er hat mir nur einen Brief hinterlassen. Kühl und distanziert.

Darin stand bloss, dass das Appartement mir gehöre, ich in einem Büro für Webdesign arbeiten würde und unter ständiger Beobachtung stünde.

Die Arbeit im Büro gefällt mir, aber ich arbeite nur von Montag bis Donnerstag. Den Rest der Woche hätte ich theoretisch frei, was sich allerdings recht bald als schlecht herausstellte, da ich, kaum habe ich ein wenig Zeit, sofort in den verzweifelten Gedanken und Erinnerungen an Damien versinke. Deshalb habe ich mich nach ein paar Tagen nach einem zweiten Job umgesehen und per Zufall ein Angebot im Café Alice bekommen und dieses sofort angenommen.

Seitdem bin ich voll ausgelastet und finde kaum noch Zeit über Damien nachzudenken.

Nun ja, bis ich nachts im Bett liege. Dann kann ich die Gedanken nicht mehr zurückhalten.

Was mich allerdings viel mehr ärgert sind die ganzen Typen, die mich ständig beobachten.

Ich bemerke sie natürlich, obwohl sie sich wirklich gut verbergen. Im Café ist es besonders schlimm, vermutlich weil er mich dort nicht so gut überwachen kann, wie im Büro.

Überall sind sie, geben sich als normale Menschen aus, Touristen, Anzugträger, Paare. Und dennoch bemerke ich sie fast immer. Ich komme mir verfolgt vor, spüre ständig dieses Kribbeln im Nacken, wenn man sich beobachtet fühlt. Es ist schrecklich.

Ich fühle mich sogar unwohl, wenn ich mich in meinem Schlafzimmer mit heruntergelassenen Jalousien umziehe. Ich fühle mich beobachtet, wenn ich die Dusche verlasse und mich in ein Handtuch wickle. Es zerrt an meinen Nerven. Macht mich aggressiv und nervös. Und vor allem unglaublich schreckhaft.

„Alex! Tisch Nr. 4 wartet schon. Beeil dich mal!“ Daniel, einer meiner Mitarbeiter, der sich immer wieder gerne als Chef aufspielt, spiesst mich mit bösen Blicken auf.

Ich nicke geistesabwesend und schnappe mir meinen Block und den Kuli um zu Tisch Nr. 4 zu eilen.

„Was kann ich Ihnen bringen?“, rattere ich meinen Standardsatz runter und warte geduldig, bis sich das junge Pärchen endlich entschieden hat. Ich hasse es. Diese ständige Farce einer freundlichen, stets lächelnden Bedienung.

Der Arbeitstag zieht sich nur so dahin, aber das ist mir gerade recht. So kann ich mich nicht ablenken und denke nicht zu viel nach. Irgendwann schaltet mein Körper in Automodus und ich reagiere nur noch wie ein Roboter.

Kurz vor Feierabend gibt es dann nochmal Stress, als eine junge Mutter mit vier rotzfrechen Gören herein geschneit kommt. Ich bin ihr dankbar dafür, denn durch sie muss ich noch länger bleiben und verlasse das Café fast eine Stunde nach meinem eigentlichen Feierabend. Somit bleibt mir später weniger Zeit zum Nachdenken.

Ich ignoriere den Mann, der auf der gegenüberliegenden Strassenseite lässig an der Hauswand lehnt und so tut, als würde er eine Zeitung lesen. Ich spüre seine Blicke, reagiere allerdings kaum darauf. Anfangs habe ich meine ständigen Begleiter immer böse angeblitzt, doch da sie nie reagieren, habe ich es irgendwann aufgegeben und ignoriere sie seitdem strikt.

 

Zuhause erdrückt mich die Stille fast.

Da ich kaum Hunger habe, gehe ich nur kurz unter die Dusche und verkrieche mich dann sofort in meinem Bett, um dort noch ein wenig TV zu schauen. Bei den Nachrichten bleibe ich hängen und seufze frustriert. Gestern habe ich noch im Internet nachgeschaut, ob ich als vermisst gelte, doch natürlich ist dies nicht der Fall. Entweder interessiert sich wirklich kein Schwein für mich oder Damien hat da irgendetwas gedreht.

Vermutlich eher ersteres.

Ich habe keine Familie mehr. Und Freunde hatte ich auch nie gross. Wer sollte sich da also noch fragen, wo ich abbleibe? Vermutlich liegt bloss ein Kündigungsschreiben von meinem Exboss in meinem alten Briefkasten. Und vielleicht noch ein paar Rechnungen. Was wohl passiert, wenn man merkt, dass die Rechnungen nicht bezahlt werden? Wird man dann reagieren und mich suchen? Vermutlich.

Ich seufze leise und schalte den Fernseher aus. Die Welt ist schrecklich. Krieg. Nichts als Krieg. Und Tod.

Überall Leid und Elend.

Schlecht gelaunt und frustriert schlafe ich ein und versinke in chaotischen Träumen, deren Sinn mir wohl immer unbekannt bleiben wird.

 

Am nächsten Morgen geht es mir unheimlich schlecht.

Mein Bauch schmerzt, mir ist schlecht und mein ganzer Körper zittert.

Meine Stimmung schwankt ständig, was mir allerdings in den letzten Tagen immer wieder aufgefallen ist. Vielleicht hab ich einen Virus erwischt? Ich entscheide mich dazu, heute blau zu machen und melde mich bei Mr. Graph, dem Boss vom Café ab.

Nachdem ich das erledigt habe, rufe ich noch beim Arzt an und erkundige mich, ob es nicht besser wäre, vorbeizukommen.

Eigentlich gehöre ich nicht zu den Menschen, die sofort zum Arzt rennen, doch mir wird immer mehr bewusst, wie lange ich diese eigenartigen Symptome schon habe, was mir irgendwie Sorge bereitet.

Auch Dr. Klyros wirkt ein wenig beunruhigt am Telefon und fordert mich schliesslich in seine Praxis.

Also schleppe ich mich um 14 Uhr unter die Dusche, ziehe mich warm an und rufe mir ein Taxi.

 

Bei Dr. Klyros habe ich Glück und muss nicht lange warten, bis der ältere Mann mich herein bittet.

Er untersucht mich und nimmt schliesslich noch Blut ab. Danach entlässt er mich auch schon wieder und beruhigt mich ein wenig, als er mir sagt, dass es vermutlich kein grippaler Infekt ist oder ein Virus. Er verspricht auch, mich demnächst wegen den Blutproben anzurufen und gibt mir noch ein Rezept für ein Medikament mit. Ich beschliesse erst mal wieder ins Bett zu kriechen und sollte es mir später besser gehen, würde ich in die Apotheke gehen, um das Rezept einzulösen.

Zuhause mache ich mir einen starken Tee und kuschle mich in mein warmes Bett.

Schon nach wenigen Minuten versinke ich in einem unruhigen Schlaf.

 

Zwei Tage später fühle ich mich langsam wieder etwas besser. Dennoch fällt mir auf, dass ich noch immer extreme Stimmungsschwankungen habe und bin mehr als froh, als Dr. Klyros mich anruft und in die Praxis verlangt.

Der gutmütige Mann empfängt mich schon vorn bei seiner Sekretärin und bittet mich nach hinten in sein Sprechzimmer.

Angespannt folge ich ihm und setze mich auf den Stuhl, den er mir anbietet.

„Nun Miss Diver, die Ergebnisse Ihrer Blutprobe sind angekommen und ich habe tatsächlich Neuigkeiten.

Dennoch würde ich dies gerne nochmal überprüfen und bitte Sie, diesen Test zu machen.“

Er hält mir ein längliches Päckchen hin und ich starre eine Weile auf die Verpackung. Ein Schwangerschaftstest. Ernsthaft?

„Ich soll... schwanger sein?“, hake ich entsetzt nach und sacke in meinem Stuhl zusammen, als Dr. Klyros ernst nickt.

Starr erhebe ich mich und verschwinde in der Toilette.

Mein Kopf ist wie leer gefegt. Nur ein einziges Wort hallt wieder und wieder in meinen Gedanken. Schwanger. Schwanger. Schwanger.

Tranceartig ziehe ich die Anleitung raus und lese sie mir durch. Dann bringe ich den unangenehmen Teil hinter mich, ohne jegliche Gefühlsregung.

Und dann heisst es warten.

Auf dem Test steht fünf Minuten.

Mein Blick gleitet zu meiner Armbanduhr und verfolgt den Zeiger.

Vier Minuten.

Drei.

Zwei.

Dreissig Sekunden.

Fertig.

Meine Hände tasten nach dem Test und halten ihn vor meine Augen.

Da steht es. Schwarz auf Weiss. Nein, Moment – Blau auf Weiss.

Ich bin schwanger.

Von Damien.

Ich werde Mutter.

Alleinerziehende Mutter.

Oh. Mein. Gott.

 

Ich schwanke wieder nach vorne zu Dr. Klyros, der mich ohne ein weiteres Wort am Arm nimmt und auf den Stuhl setzt.

Sanft entzieht er mir den Test und wirft nur einen kurzen Blick darauf, ehe er mich eine Weile schweigend mustert.

„Ich nehme an, Sie wollen das Kind behalten?“, fragt er ernst und ich nicke, ohne gross nachzudenken. Natürlich werde ich dieses Baby behalten! Ich könnte niemals mein eigenes Kind ermorden.

„Nun, dann würde ich Sie jetzt gerne untersuchen.“ Erneuert nicke ich summ und starre auf meine ineinander verkrampfte Finger. „Gut, folgen Sie mir bitte.“

Schwerfällig erhebe ich mich und stolpere meinem Arzt hinterher. Noch immer kann ich es nicht fassen. Ich bin schwanger. Wahrhaftig schwanger. Von Damien. Meinem Entführer. Einem Psychopathen. Einem Psychopathen, der mich dazu gebracht hat, mich in ihn zu verlieben, denn das ist mir mittlerweile klar. Warum sonst vermisse ich ihn trotz allem so sehr?

Gott, was für eine scheiss Wendung!

Obwohl ich mich mit aller Macht dagegen wehre, überkommt mich plötzlich ein tiefes Glücksgefühl. Ich bekomme ein Baby! Ein eigenes süsses Kind! Und es wird hübsch aussehen, schliesslich sieht der Vater auch unheimlich attraktiv aus.

Damien wird Vater. Und er weiss nichts davon.

Ein scharfer Schmerz in meiner Brust raubt mir für einen Augenblick den Atem. Ob er sich wohl freuen würde, wenn er es erfahren würde? Wohl kaum.

Resigniert lasse ich mich auf die Behandlungsliege sinken und lege mich auf den Rücken.

Dr. Klyros verteilt eine grosse Portion kaltes Gel auf meinem Bauch und fährt mit einem seltsamen Teil darüber. Der Bildschirm neben uns erwacht zum Leben und zeigt ein seltsames, verzerrtes Bild. Er deutet auf einen schwachen, kaum sichtbaren Farbfleck und lächelt sanft. „Das da ist Ihr Baby, Miss Diver! Und es sieht alles gut aus. Das Kind scheint gesund zu sein. Wollen Sie ein Ultraschallbild?“ Ich nicke stumm und unterdrücke mit aller Kraft die Tränen.

Kurze Zeit später halte ich ein quadratisches Schwarz-Weiss-Foto in der Hand und schluchze trocken auf, während mein Daumen immer und immer wieder sanft über den Farbfleck streicht.

„Meine Sekretärin wird Ihnen Ihren Mutterpass aushändigen. Bitte machen Sie mit ihr gleich einen Termin für in zwei Wochen aus. Wir sehen uns dann.“

Er verabschiedet sich mit einem warmen Händedruck und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Mein Lächeln fällt mehr als schwach aus.

 

Wieder zuhause überkommt mich eine innere Unruhe, die mich hin und her treibt, bis ich es nicht mehr aushalte und aus meiner Wohnung flüchte.

Es ist ein bisschen wie ein Déjà Vu. Damals, als mich Truck alias Franky entführt hat, bin ich schon aus aus meiner Wohnung geflüchtet, um wieder zu meinem inneren Gleichgewicht zu finden.

Für einen irrsinnigen Moment wünsche ich mir, dass Franky wieder kommen würde und mich erneut zu Damien bringt.

Und plötzlich wird mir klar, dass ich mich nicht dagegen wehren würde. Nein, ich würde ihm sogar mit offenen Armen entgegen laufen. Und das macht mir Angst. Dämliches Stockholm-Syndrom! War ja klar, dass ausgerechnet ich mich in meinen psychopathischen Entführer verlieben würde!

Entschlossen laufe ich in die entgegengesetzte Richtung, um bloss nicht auf die dämliche Idee zu kommen, in den örtlichen Park zu gehen.

Stattdessen setze ich mich in ein kleines Restaurant und gönne mir ein Menü der Extraklasse. Plötzlich habe ich nämlich unglaublichen Hunger. Vermutlich wegen dem Baby. Es wundert mich ein wenig, dass ich bisher noch keine richtigen Schwangerschaftssymptome hatte, wie die morgendliche Übelkeit oder Spannungsgefühlen in den Brüsten. Auf Letzteres kann ich allerdings wirklich gut verzichten, denn mein Körper steht seit der Trennung von Damien schon genug unter Sexentzug. Da müssen mich nicht auch noch meine Brüste nerven. Und die Übelkeit soll mir auch bloss vom Leibe bleiben!

Allerdings nehme ich mir vor etwas mehr auf meinen Körper und dessen Veränderungen zu achten. Vielleicht wäre es mir dann sogar selbst aufgefallen.

„Hallo Süsse.“

Erschrocken lasse ich meine Gabel fallen und hebe ruckartig den Kopf.

Gelassen schenkt Franky mir ein breites Lächeln, zieht den Stuhl mir gegenüber nach hinten und setzt sich breitbeinig hin.

Wie gelähmt starre ich den bulligen Mann an, dessen Tattoos heute noch bedrohlicher wirken, als sonst. Ausserdem hat er sich ein Augenbrauenpiercing stechen lassen, wie mir auffällt.

Augenblicklich spannt sich mein Körper an, bereit zu kämpfen, wenn es sein muss. Vergessen ist der vorherige Gedanke, ihm mit offenen Armen entgegen zu laufen, sollte er mich erneut entführen wollen.

Er ist ein Feind. Ein Feind, der mich im Notfall ohne mit der Wimper zu zucken überwältigen könnte.

„Hey, Kleine! Ich bin heute hier als Freund, und nicht als Feind“, raunt er beschwörend, als hätte er meine Gedanken gelesen. Obwohl mich seine Worte ein wenig beruhigen, entspanne ich meine Haltung nicht und starre ihn bewegungslos an.

„Was willst du hier?“

Meine Stimme hört sich eigenartig fremd an und ziemlich kühl.

„Dich sehen.“

Ich hebe verwirrt eine Augenbraue. Das ist alles? „Und mit dir sprechen“, fügt er nach kurzem Zögern hinzu und plötzlich entdecke ich einen Anflug von Unsicherheit in seinem sonst so unbewegten Gesicht.

„Worüber?“, hake ich emotionslos nach und beobachte, wie er nach einer Serviette greift und sie nervös zwischen seinen Fingern hin und her dreht, bis sie zerreisst.

Er blickt sich kurz um, ehe er sich etwas näher zu mir beugt. „Können wir wo anders hin? Hier sind mir irgendwie ein wenig zu viele Leute.“

Augenblicklich rücke ich noch mehr nach hinten und balle meine Hände zu Fäusten. „Warum sollte ich mit dir allein sein wollen? Warum sollte ich dir überhaupt zuhören?“

Er schliesst für einen Moment die Augen und kurz habe ich das Gefühl so etwas wie einen Anflug von Verzweiflung auf seinen Zügen zu entdecken. „Es geht um Damien“, bricht es aus ihm heraus. Sofort sacke ich zusammen und verfalle in ein leichtes Beben.

Allein sein Name reicht, um meine Mauer einzureissen. „Ist etwas passiert?“, schiesst es aus mir heraus und ich spüre die Panik in mir hochkriechen. „Was? Nein!“, erwidert Franky sofort und ich entspanne mich wieder ein wenig.

„Oder doch, eigentlich schon“, setzt er dann allerdings noch hinterher und bei mir schrillen erneut alle Alarmglocken. „Aber können wir jetzt endlich verschwinden? Hier sind mir zu viele Späher. Das ist privat und geht diese Typen nichts an.“

Die Aussicht wenigstens für eine kurze Weile endlich aus den Augen dieser Beobachter zu kommen, lässt mich ohne gross nachzudenken nicken.

Sofort erhebt sich Franky, zieht einen 100 € Schein aus seinem Portemonnaie und wirft ihn auf den Tisch. „Komm, verschwinden wir von hier!“

 

Franky fährt viel zu schnell.

Angespannt kralle ich mich an meinem Sitz fest und werfe meinem Chauffeur einen panischen Blick zu. Ihn zu bitten, langsamer zu fahren, kommt nicht in Frage.

Franky fährt zum Wald, der direkt an die Stadt grenzt und für einen kurzen Moment überkommt mich Angst. Was, wenn er mich bloss beseitigen soll? Was, wenn er mich jetzt umbringt und im Wald verscharrt?

Ach was! In Gedanken gebe ich mir selbst eine Ohrfeige und herrsche mich an, mich ein wenig zusammenzureissen.

In einer Wegeinfahrt hält Franky schliesslich und eilt um den Wagen herum, um mir die Tür aufzuhalten und mir raus zu helfen. Wo zum Teufel ist der Rüpel hin, der mich am ersten Tag meiner Entführung noch „vergewaltigen“ wollte? Wo ist das Arschloch hin, das mich immer wieder mit seinen perversen Witzen zur Weissglut gebracht hat? Und wer ist dieser freundliche Mann, der mich gerade besorgt betrachtet, als würde er mir das Stück zu Fuss nicht zutrauen.

„Wohin gehen wir?“, fordere ich endlich aufgeklärt zu werden und stemme meine Hände in die Seiten. „Da hinten steht meine Hütte. Dort können wir ungestört reden. Komm.“

Ich folge ihm widerspruchslos, obwohl mich erneuert ein Hauch von Panik überkommt. Eine innere Stimme rät mir immer und immer wieder zur Flucht. Nach den ersten drei Schritten befehle ich ihr, die Klappe zu halten.

Tatsächlich befindet sich die Hütte gleich hinter der nächsten Wegbiegung und hat den Namen Hütte wahrlich nicht verdient.

Ein hübsches Bauernhaus ragt in die Höhe, wo ich eine alte, morsche Holzhütte erwartet habe.

Auf der geräumigen Veranda, die sich um das gesamte Haus herum zieht, steht ein kleiner Tisch und drei gemütliche, riesige Sessel. Franky setzt sich in den grössten und bietet mir den ihm gegenüber an.

Erwartungsvoll setze ich mich und hebe fragend eine Augenbraue. „Also?“

Anstatt endlich mit der Sprache herausrücken, brüllt er plötzlich laut: „Marie!“

Erschrocken zucke ich zusammen und weiche ein wenig vor ihm zurück. Wer ist Marie? Hat er etwa gerade nach seinem Komplizen gerufen, um mich mit ihm zusammen umzubringen?

Die Haustür geht auf und eine ältere Dame watschelt auf uns zu. Ein dicker, arrogant schauender Kater folgt ihr auf Schritt und Tritt. Vor mir bleibt er stehen und mustert mich abschätzig, ehe er sich an mein Bein schmiegt und beharrlich zu Schnurren beginnt. Zögernd lege ich eine Hand auf seinen weichen Rücken und streichle ihn sanft. Wohl doch kein Komplize.

Marie fragt derweil unwirsch: „was willst du denn jetzt schon wieder, unnützer Bengel? Und wen hast du da angeschleppt? Doch nicht etwa eine deiner Schlampen, oder?“ Sie wirft mir einen bösen Blick zu, unter dem ich zusammenzucke und mich möglichst klein mache. „Nein, sie gehört zum Boss“, erwidert Franky trocken und wirft mir einen emotionslosen Blick zu, den ich nicht deuten kann.

Bei Marie scheinen die Worte allerdings einzuschlagen, wie eine Bombe.

Sie verharrt einen Augenblicke, ehe sie zu mir herumwirbelt und mich für eine ganze Minute lang schweigend anstarrt und genau betrachtet. Schliesslich macht sich ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht breit, das ihr ein wenig das Aussehen einer lächelnden Kröte gibt.

„Was kann ich dir bringen, Schätzchen?“, fragt sie plötzlich mit zuckersüsser Stimme und ich runzle verdutzt meine Stirn.

„Du siehst ein bisschen erschöpft aus. Wie wär's mit einem Cognac?“

Meine Augen weiten sich ein wenig und ich muss ein verwirrtes Schnauben unterdrücken. Cognac? Um die Zeit? Bestimmt nicht! Ausserdem... „Lieber nicht. Mir wäre ein Glas Wasser lieber.“ Alkohol ist nicht, Mutti! Marie scheint ein wenig enttäuscht zu sein, watschelt dann allerdings ohne ein weiteres Wort davon.

„Bring mir ein Bier!“, ruft ihr Franky hinterher und sie schickt einen Fluch in unsere Richtung.

„Wer war das?“

„Meine Haushälterin.“ Franky schüttelt den Kopf und lächelt dünn. „Und meine Mutter.“

Wieder runzle ich meine Stirn. „Deine Mutter? Warum arbeitet deine Mutter für dich?“

„Sie arbeitet nicht wirklich für mich. Das hier ist mein Haus, aber wie du weisst, lebe ich bei Damien. Sie hält das Haus in Ordnung und passt auf, damit die Leute aus der Stadt nicht zu nahe kommen. Ich mag keine fremden Menschen hier.“

„Verstehe“, erwidere ich, obwohl ich im Grunde nur die Hälfte wirklich verstanden habe.

„Was wolltest du mir eigentlich sagen? Wegen... Damien?“ Seinen Namen kann ich bloss flüstern, zu mehr bin ich nicht fähig.

Franky versteift sich und öffnet gerade den Mund, als seine Mutter erneut die Tür aufreisst und wieder auf die Veranda gewatschelt kommt.

Ohne ein Wort knallt sie ein Glas Wasser und eine Bierflasche auf den Tisch, ehe sie sofort wieder verschwindet und etwas von undankbarem Bengel murmelt.

Wir beide ignorieren sie.

Erwartungsvoll schaue ich Franky zu, wie er die Flasche öffnet und ansetzt.

„Also?“, hake ich schliesslich ungeduldig nach, als es mir zu lange dauert.

Franky stellt die Flasche langsam wieder hin und blickt eine Weile in den Wald.

„Du fehlst.“ Es ist nur ein leises Flüstern, gemurmelte Worte. Und dennoch reissen sie die Wunde tief in meinem Herzen sofort auf. „Seitdem du weg bist, hat sich einiges geändert. Damien ist kalt geworden. Noch viel kälter, als je zuvor. Du musst wissen, ich kenne ihn schon sehr lange.“ Ein flüchtiges Lächeln huscht über seine kantigen Züge. Ein seltsamer Anblick.

„Wir sind zusammen aufgewachsen. Marie und seine Mutter waren befreundet. Als sie starb, kam Damien für eine Weile zu uns. Der Tod seiner Eltern veränderte ihn allerdings sehr. Du weisst ja, wie furchtbar dominant er sein kann. Das kommt von ihrem Tod. Er braucht immer die Kontrolle. Über alles und jeden. Das hat sich schon sehr früh gezeigt und Marie ist nicht damit klargekommen, dass er immer seinen Willen bekommen wollte und ausgeflippt ist, wenn er ihn einmal nicht bekommen hat.“ Er hebt den Kater, der sich mittlerweile von meinem Bein gelöst hat und zu ihm geschlichen ist, auf seinen Schoss und beginnt ihn geistesabwesend hinter dem Ohr zu kraulen.

„Als er zehn wurde, hat sie es aufgegeben und kapituliert. Er wurde in ein Heim gebracht und von Familie zu Familie geschoben. Damien war schon immer sehr schwierig und damit sind die wenigsten klargekommen. Die Leitung im Heim hat es irgendwann aufgegeben und ihn einfach nur bei sich gelassen. Damien hat zwei Mal versucht abzuhauen. Beide Male wurde er von der Polizei aufgegriffen und wieder zurück gebracht. Als er endlich 18 wurde und seinen Abschluss in der Tasche hatte, verschwand er sofort von der Bildfläche. Ich hab ihn ein paar Jahre lang nicht gesehen und als er plötzlich wieder da war, hatte er viel Geld und eine steile Berufslaufbahn hinter sich. Damien hat mehrere grosse Firmen, die in der IT-Branche tätig sind und das mit sehr viel Erfolg.“ Erstaunt folge ich seinen Erzählungen, begierig, jedes noch so kleine, unbedeutende Detail in mich aufzusaugen und tief in mir verborgen zu verstecken.

„Damals haben wir uns auch wieder gefunden und den Kontakt aufrecht erhalten. Ich hatte meine Sturm-und-Drang-Phase und hab einen Mist nach dem anderen gebaut. Irgendwann wurde ich dann gefeuert und stand plötzlich ohne Job da. Also hat Damien mir einen angeboten. Ich arbeite gerne für ihn, ausser wenn er so unausstehlich ist, wie jetzt. Und daran bist nur du schuld!“ Was? Warum das denn?

„Du hast alles verändert“, murmelt Franky und starrt mich einen Moment lang mit einem verwunderten Ausdruck an. So, als würde er mich zum ersten Mal wirklich sehen.

Und das tut er wohl auch, denn ich sehe nichts mehr von der sonstigen Lüsternheit, mit der er mich früher immer angesehen hat. Sie ist verschwunden und hat einem Hauch von Bewunderung, vermischt mit ein wenig Neid und Überraschung Platz gemacht.

Die trotzige Seite in mir will laut rufen, dass Damien selbst schuld ist, schliesslich hat er mich entführt, doch der Rest blutet still und leise vor sich hin. Ja, es fühlt sich wirklich so an, als würde ich innerlich verbluten. Als würde mir etwas meine gesamte Lebenskraft rauben, die seit dem Rausschmiss von Damien sowieso nur noch halb so stark ist.

Ich fühle mich schwach und zerbrechlich.

Nur der Gedanke an mein Baby flösst mir ein bisschen Kraft ein, die ausreicht, um mich vor der tröstenden Ohnmacht zu schützen, in die ich jetzt liebend gerne fallen würde.

„Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun?“, krächze ich leise und werfe Franky einen kurzen Blick zu. „Soll ich zu ihm gehen und um eine zweite Chance betteln? Ausserdem bin ich -“, ich stocke. Soll ich ihm wirklich verraten, dass ich schwanger bin? Nein, entscheide ich mich keine Sekunde später. Das geht nur mich etwas an. Und vielleicht Damien. Aber der wird das Baby sowieso nicht wollen!

Dennoch flüstert ein kleiner Engel in meinem Kopf, dass ich mich vielleicht täusche.

Franky schaut mich verzweifelt an und plötzlich wird mir klar, dass Damien wirklich ein Freund von ihm ist. Aber was erwartet er von mir?

„Komm zurück“, flüstert der grosse, bullige Mann mit der Stimme eines weinerlichen Kleinkindes. Nun gut, vielleicht übertreibe ich auch ein wenig, aber wirklich nur ein klitzekleines bisschen.

„Warum sollte ich?“, erwidere ich bockig. Ich will einen Grund. Einen richtigen Grund.

„Weil er dich liebt“, flüstert Franky und in mir zieht sich alles zusammen. Liebe? Dieser Mann soll mich lieben? Der Mann, der mich eiskalt rausgeworfen hat, kaum habe ich sein wahres Gesicht gesehen? Der soll mich lieben? Niemals.

„Nein“, stosse ich hervor. „Damien liebt mich nicht. Er kann nicht lieben.“

Plötzlich bricht schallendes Gelächter aus Franky hervor, das mich zusammenzucken lässt. Es klingt keineswegs belustigt, sondern eher hysterisch.

„Er liebt dich also nicht? Weisst du eigentlich, wie viel er von dir geschwärmt hat, als er dich damals bei diesem dämlichen Treffen mit diesem Idioten von Jay kennengelernt hat? Nein, natürlich nicht. Alex, ich habe diesen Mann noch nie mit so strahlenden Augen gesehen, wie in diesem Augenblick. Ich habe noch nie gehört, dass er so zärtlich über eine Frau spricht. Überhaupt über irgend einen Menschen!“

Vollkommen verblüfft sinke ich in meinem Sessel zurück.

Nein, das kann nicht sein.

Ich meine, natürlich gab es einige liebevolle Momente mit Damien, aber nie derart... überzeugt von Liebe!

Ich kann nicht zurück. Er wird mir das Baby wegnehmen. Oder von mir wollen, dass ich abtreibe. Und das kann ich nicht Ich würde ihn hassen – und das würde mir noch viel mehr wehtun.

Ich kann nicht zurück.

Niemals.

„Ich kann nicht, Truck“, flüstere ich leise und starre auf meine ineinander verknoteten Finger. „Aber du musst!“, ruft Franky plötzlich aus und springt auf. Erschrocken zucke ich zusammen und weiche zurück. Der Kater, der bis eben noch auf seinem Schoss gedöst hat, springt fauchend auf den Boden und stolziert beleidigt davon. Wir beide ignorieren ihn einfach und starren und gegenseitig nieder. Franky gewinnt, als ich schliesslich den Blick abwende, weil ich darin Dinge zu sehen glaube, die es nicht geben darf.

„Ich möchte jetzt nachhause. Ich war vorhin beim Arzt, mir geht es momentan nicht gut und ich sollte nicht so lange draussen bleiben“, nutze ich meine Krankheit und Schwangerschaft aus. Ich will wirklich nachhause. Irgendwie hab ich Angst, dass ich schlussendlich doch noch nachgebe und mit ihm mitgehen würde.

Die Sehnsucht nach diesem Psychopathen ist einfach zu stark, als dass ich lange widerstehen könnte

Franky nickt enttäuscht und winkt mich mit sich, um zum Auto zurückzugehen.

Schweigend fährt er mich durch die Strassen und starrt stur auf die Strasse. Es wundert mich null, dass er genau zu wissen scheint, wo ich wohne.

Für einen Moment bin ich versucht, ihn zu fragen, wie es Meg geht, doch irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl im Bauch beim Gedanken an die junge Französin.

Vor meinem Haus bleibt der Wagen stehen und wir bleiben noch einen Moment schweigend sitzen. Schliesslich greife ich nach der Türklinke und stosse die Autotür auf. „Tschüss“, murmle ich leise, ein wenig verlegen und unsicher, was ich sagen könnte.

„Wir werden uns bald wieder sehen“, antwortet Franky und startet den Motor. Tatsächlich? Wir werden sehen. Ich zucke die Achseln und hebe zum Abschied schwach die Hand. Sekunden später braust er davon und ich stehe einsam auf dem Bürgersteig.

Mit einem erschöpften Seufzen drehe ich mich um und verschwinde in meinem Appartement.

 

Tatsächlich steht Franky am nächsten Morgen in aller Frühe vor meiner Wohnungstür und hält mir eine grosse Tüte mit dem Logo der örtlichen Bäckerei entgegen. Ein leckerer Duft nach warmen Croissants steigt in meine empfindliche Nase und ich winke ihn ohne gross nachzudenken rein.

Es ist seltsam diesen grossen, bulligen Mann in meiner Wohnung zu sehen. Wenn er an einem der Fenster vorbei läuft, verdunkelt sich für einen Moment das gesamte Zimmer, weil er die Sonne kaum reinlässt. Hastig räume ich ein paar Zeitschriften von meinem Sessel und biete ihm den Platz an.

„Ich mach schnell Frühstück. Danke für die... Croissants“, murmle ich und verschwinde schnellstens in meiner Küche.

Ich fühle mich nervös und fahrig und muss ständig aufpassen, dass mir die Dinge, die ich gerade in den Händen halte, nicht runter fallen. Ohne wirklich darauf zu achten, was ich tue, tische ich auf und bereite uns ein kleines Frühstück vor.

Dann hole ich Franky und wir setzen uns schweigend hin, um zu essen.

Plötzlich höre ich ein angewidertes Geräusch und hebe den Kopf. Franky schaut angeekelt auf meine Sauergurke, die ich gerade voller Genuss in einen Klecks Schokoladenaufstrich tunke, um sie mir dann in den Mund zu schieben. „Was ist?“, frage ich unschuldig und kaue genüsslich. „Nichts“, erwidert Franky und schüttelt den Kopf.

Ohne auf ihn zu achten, wiederhole ich das Manöver mit der nächsten Gurke und stopfe mich damit voll.

„Du warst also krank?“, fragt er irgendwann in die Stille und ich nicke geistesabwesend. „Ja, die Woche ging es mir nicht so gut.“ Als wüsste er das nicht schon längst von den dämlichen Spähern Damiens. „Grippe?“, hakt er nach und ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Warum interessiert ihn das? Verzögert nicke ich und streichle unbewusst über meinen flachen Bauch. Noch ist er straff und flach. Aber das wird sich bald ändern.

Mit Schrecken wird mir klar, dass Damien so oder so irgendwann davon erfahren wird, bei den ganzen Spähern, die er auf mich angesetzt hat.

Schlagartig wird mir speiübel und ich springe auf.Gehetzt renne ich in mein Bad, um die Kloschüssel in eine Umarmung zu schliessen und meinen Mageninhalt wieder rauszulassen. Tja, damit ist die Ruhe wohl vorbei. Ich habe soeben mit der Morgenübelkeit Bekanntschaft gemacht, wie es scheint. Wie eklig. Darauf hätte ich wirklich verzichten können.

Angewidert spüle ich meinen Mund aus und putze rasch meine Zähne. Im Augenwinkel nehme ich wahr, dass Franky die Tür zu meinem Bad aufgestossen hat und mich mit verengten Augen beobachtet. „Grippe, sagtest du?“, fragt er und ich werde das Gefühl nicht los, dass er mich durchschaut hat.

Betont unschuldig nicke ich und spucke die Zahnpasta aus.

„Ja, Magendarm. Ist noch nicht ganz weg.“ Er nickt langsam und verschwindet wieder in meiner Küche. Aufatmend lehne ich mich für einen Moment an den Badschrank und schliesse die Augen, ehe ich ihm folge und mich wieder an den Tisch setze, krampfhaft darauf achtend, ihm bloss nicht in die Augen zu sehen.

„Was machst du heute noch?“, versucht Franky irgendwann wieder ein Gespräch in Gang zu bringen. Allerdings habe ich zu grosse Angst, etwas Falsches zu sagen, sodass ich ihn mit einsilbigen Antworten abspeise. „Keine Ahnung.“ Er nickt nachdenklich und beisst in sein Brötchen rein.

Irgendwie ist mir seit der Begegnung mit der Kloschüssel der Appetit vergangen, weshalb ich meinen Teller von mir schiebe und stattdessen ein Glas mit kaltem Wasser fülle.

„Ich geh heute mit ein paar Leuten weg, vielleicht hast du ja Lust mitzukommen?“

Überrascht hebe ich den Kopf und starre Franky ein paar Sekunden an. Ernsthaft?

Verwirrt runzle ich die Stirn. „Warum?“ Franky hebt ebenfalls den Kopf und trinkt einen Schluck Kaffee, bevor er antwortet. „Ich weiss nicht“, er zuckt wie zur Bestätigung die Achseln. „Ich dachte einfach, du würdest vielleicht gerne wieder einmal ein bisschen Spass haben.“

Ich nicke langsam. „Okay. Ich komme mit“, höre ich mich sagen, ehe ich überhaupt weiter darüber nachdenken kann. Franky strahlt mich an. Es macht ihn um Jahre jünger.

Wenig später verabschiedet er sich von mir mit dem Versprechen, mich um acht abzuholen.

Danach räume ich den Tisch ab und mache es mir auf meiner Couch gemütlich. Eine Weile schaue ich TV, doch da um diese Tageszeit nichts gutes läuft, gebe ich es bald auf und schnappe mir stattdessen ein Buch über Webdesign.

So verbringe ich den Tag recht langweilig, mit genau dem richtigen Mass an Ablenkung um nicht an Damien zu denken.

Plötzlich ist es schon halb sieben und ich entschliesse mich, erst mal unter die Dusche zu gehen und mich danach bereit zu machen.

 

Nervös tigere ich in meinem Wohnzimmer hin und her.

Es ist drei vor acht und ich bin total aufgeregt. Eigentlich habe ich mir geschworen, kein grosses Drama aus diesem Abend zu machen, doch kaum stand ich vor meinem Kleiderschrank, hat sich dieser Vorsatz in Luft aufgelöst. Zuerst habe ich stundenlange gebraucht, bis ich mich für ein Kleid entschieden habe, danach habe ich meine passenden Pumps nicht gefunden und schliesslich wollten meine Haare nicht so, wie ich wollte.

Irgendwie habe ich es dennoch geschafft bis jetzt bereit zu sein und bin auch ganz zufrieden mit meinem Aussehen.

Im Spiegel, der im Flur steht, betrachte ich mich ein letztes Mal zur Kontrolle.

Ich habe mich für ein knielanges Kleid in Schwarz mit leichten Spitzeneinsätzen entschieden und trage dazu meine Lieblingspumps, die unglaublich bequem sind, trotz ihrer 9 cm Absatz.

Meine langen, schwarzen Haare fallen mir offen über die Schultern bis zu den Hüften. Sie sind in letzter Zeit ziemlich gewachsen und die Locken, die früher eher Wellen glichen, werden immer stärker.

Vielleicht sollte ich sie demnächst mal wieder schneiden. Es wird sowieso wieder einmal Zeit für eine Veränderung.

Nun ja, eine Veränderung steht mir ja schon bald bevor. Eine sehr grosse Veränderung. Mein Blick wandert zu meinem Bauch und ich streichle leicht darüber. Ich bin jetzt in der achten Woche, doch eine wirkliche Veränderung ist bis jetzt noch nicht sichtbar. Obwohl – meine Brüste wirken irgendwie grösser und mein BH scheint heute ungewöhnlich eng zu sein.

Ich schüttle entnervt den Kopf. Das bildest du dir ein, sage ich mir, denn ich weiss, dass ich ab jetzt regelrecht nach einem Beweis für meine Schwangerschaft suchen werde. Irgendwie kann ich es noch immer nicht ganz fassen. Ich bin wirklich schwanger!

Plötzlich kriecht Panik in mir hoch, denn ich frage mich, wie ich es bloss schaffen soll, alleine ein Kind aufzuziehen.

Im nächsten Augenblick rettet mich die Klingel vor unüberlegten Handlungen und ich haste schnell zur Tür.

Franky grinst mich breit an und mir fällt zum ersten Mal auf, dass er eigentlich wirklich nicht schlecht aussieht. Vielleicht ist sein Spitzname Franky doch nicht so ganz passend. Obwohl. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich ihm wohl lieber nicht gerne in einer dunklen Gasse begegnen. Augenblicklich erscheinen die Bilder meiner Entführung vor meinem inneren Auge und ich muss leicht grinsen. Seit damals ist viel geschehen.

„Hättest du mich damals eigentlich wirklich umgebracht? In dieser Gasse, meine ich.“

Franky wirft mir einen kurzen Blick zu, ehe er lächelt und den Kopf schüttelt. „Damit Damien mich anschliessend umbringt? Und zuvor noch tage lang foltert? Niemals. Ausserdem warst du viel zu süss, wie du da gezittert hast.“ Sein Lächeln wird eine Spur hämisch. „Es sah aus, als würdest du dir gleich in die Hosen machen.“

Plötzlich verdunkelt sich sein Gesicht ein wenig und er wirkt ernst und nachdenklich.

„Dein Sturz allerdings war nicht geplant. Kannst du dich noch daran erinnern?“ Ich schüttle den Kopf. „Ich weiss nur noch, dass mein Kopf plötzlich explodiert ist. Jedenfalls fühlte es sich so an.“

„Du bist ausgerutscht, als du dich losgerissen hast, und mit dem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand geknallt. Das sah echt brutal aus. Ich vermute mal, deine Erinnerungen sind durch den Stoss verschwunden.“

„Wie hat Damien reagiert?“, flüstere ich leise und angespannt. Das würde mich nämlich brennend interessieren. Franky verzieht das Gesicht. „Er war stinksauer. Hat getobt und gewütet wie ein Stier. Ich glaub, da hatte ich zum ersten Mal Angst, er könnte mich tatsächlich umbringen.“ Er grinst schief und hält mir die Autotür auf, wie ein waschechter Gentleman.

„Okay, wir treffen uns im „Justice“, das ist ein ziemlich beliebter Club. Vielleicht warst du da schon mal?“ Ich schüttle den Kopf. In letzter Zeit hatte ich keine Lust, feiern zu gehen. „Gut. Du wirst es mögen. Also, es werden ein paar Kumpels von mir da sein. Josh und Danny sind Brüder, du wirst die beiden sofort erkennen. Sie sehen aus wie Zwillinge, liegen aber zwei Jahre auseinander. Foxy ist Dannys Verlobte. Sie ist cool. Ein bisschen ausgeflippt, aber toll. Du wirst dich gut mit ihr verstehen. Dann hätten wir da noch Elin. Elin ist eher der ruhige, kühle Typ Frau. Sie geht sehr oft auf Abstand, hat aber ein riesiges Herz. Sie braucht immer ein wenig, um sich zu lockern. Ausserdem gibt es da noch Lex. Er ist einer meiner besten Kumpels, kann aber manchmal ein richtiges Arschloch sein. Ausserdem ist er total in Elin verknallt, will es sich aber nicht eingestehen. Eventuell wird Britney da sein. Sie ist eine waschechte Tussi. An manchen Tagen kann sie sogar richtig nett sein, aber das ist sie so gut wie nie. Ausserdem will sie was von Damien.“ Er wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Okay, diese Britney werde ich nicht mögen, beschliesse ich.

„Und ganz selten begleitet uns PJ. Er heisst eigentlich Peter-Jacob, hasst diesen Namen aber – was ja auch ganz verständlich ist, oder? Er ist der ruhigste und klügste aus unserer Gruppe und ein wenig... schräg. Er hat ein paar Ticks. Er hasst Nähe und er hat so einen Sauberkeitsfummel. Alles, was er berührt, wischt er zuvor mit einem Desinfektionstuch ab. Aber wenn man sich ein wenig mit ihm unterhält, wird schnell klar, dass er echt toll ist. Ausserdem ist er schwul. Ich hoffe, das stört dich nicht.“ Er wirft mir einen knappen Blick zu, ehe er auf die Schnellstrasse einbiegt und losrast. „Nein, natürlich nicht. Da bin ich, wie fast alle Frauen. Schwule Männer sind toll.“ Ich grinse und freue mich irgendwie total auf diese bunten Gruppe. Ausser diese Britney, die kann mir gestohlen bleiben. Die soll bloss ihre Finger von Damien lassen.

Die heisse Wut, die plötzlich durch meine Adern rauscht, verwirrt mich. Verdammte Stimmungsschwankungen!

„Da sind wir auch schon!“, murmelt der grosse Mann neben mir und hält auf einem Parkplatz, der gut gefüllt ist.

Vor dem Club wartet eine kurze Schlange schick gekleideter Menschen.

Ein paar Leute winken uns fröhlich zu - beziehungsweise Franky, der breit grinsend auf sie zusteuert.

„Hi Leute, das hier ist Alex. Alex, das sind Josh und Danny“, er deutet auf zwei junge Männer, die sich wie ein Ei gleichen. Ja, zu übersehen, dass das Brüder sind, wäre echt... bedenklich. „Dann haben wir da noch Elin“, er deutet auf eine ganz in Schwarz gekleidete, hübsche junge Frau, die mich ausdruckslos mustert und mir dann knapp zu nickt. Ich lächle sie etwas schüchtern an. Direkt hinter ihr steht ein junger Mann, der mich entfernt ein wenig an Damien erinnert, was mir einen winzigen Stich versetzt. Er hat dunkles, fast schwarzes Haar und sehr kantige, männliche Züge. Ihn stellt Franky als Lex vor. Er schenkt mir ein charmantes Lächeln, das jedoch nicht wirklich ernst gemeint scheint, denn seine Augen gleiten sofort wieder zurück zu Elin und beginnen zu strahlen. Ja, man sieht sofort, dass er total verknallt ist in die kühle Schönheit. An Lex' Arm geklammert steht eine Blondine, die derart billig wirkt, dass sich mir alle Haare sträuben. Das muss dann wohl Britney sein. Vermutlich waren ihre Eltern gerade auf einem Trip und haben Britney Spears gehört, als sie sie so genannt haben. Britney mustert mich abschätzig, ohne auf mein kurzes Nicken zu reagieren. Gut, wir zwei werden bestimmt niemals Freundinnen.

Im nächsten Augenblick stürmt ein rothaariger Wirbelwind auf mich zu und schliesst mich in eine herzliche Umarmung. Eine Wolke Blumenduft kommt mir entgegen und raubt mir ganz kurz den Atem. „Ich bin Fabrice, aber alle nennen mich Foxy“, quietscht sie und ich schliesse sie augenblicklich ins Herz.

„Ist PJ nicht da?“, fragt Franky leise an Josh gewandt – ich nehme jedenfalls an, dass es Josh ist – der den Kopf schüttelt.

„Er hat gesagt, dass er vielleicht später noch reinschaut, aber du kennst ihn ja. Wenn er so was in der Art raus lässt, heisst das so gut wie immer Nein.“ Franky runzelt ein wenig die Stirn und ich weiss instinktiv, dass ihm viel an PJ liegt.

„Schade. Ich ruf ihn später noch an.“ Josh zuckt die Achseln und wendet sich an Foxy. Okay, dem Kuss zufolge habe ich mich geirrt, das muss dann wohl Danny sein. Wie Foxy wohl ihren Verlobten von seinem Bruder unterscheiden kann? Kann es da nicht mal passieren, dass sie den falschen küsst?

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als wir von einem Schrank von Mann in den Club gewunken werden.

Das „Justice“ ist wirklich super.

Der ganze Club ist in Rot und Schwarz gehalten und besteht aus zwei Ebenen. Eigentlich sogar noch aus einer dritten, die ein separates Restaurant bildet, in das man auch von aussen rein kommt, ohne den ganz Club zu durchqueren.

Die erste Ebene bildet eine riesige Tanzfläche, auf der es in der Mitte noch ein Podest gibt, auf dem, laut Franky, einmal in der Woche eine Band live spielt. Hoch in der Luft schwebt eine Art Käfig, in dem Tänzer ihr bestes geben.

Die zweite Etage besteht eher aus Sitzgelegenheiten und kleinen Nischen, die einem ein wenig Privatsphäre gönnen. Zudem gibt es hier oben auch noch die Bar, die sich in einem unvollendeten Quadrat an die Wand schmiegt.

Foxy und Danny verschwinden sofort auf der Tanzfläche, während wir anderen uns dazu entscheiden erst mal nach oben zu gehen und uns einen Drink zu holen.

Oben nehmen wir eine freie Nische ein, die direkt am Rand der Ebene liegt, sodass wir einen perfekten Ausblick auf die Tanzfläche unter uns haben.

Lex erhebt sich sofort wieder und fragt uns nach unseren Wünschen bezüglich der Drinks. Ich persönlich habe ja eher das Gefühl, dass er vor der dem blonden Klammeräffchen flüchtet. Die zieht nämlich gerade eine Schnute und starrt ihm unverhohlen auf den Po. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Elin ihr einen verächtlichen Blick zuwirft und sich dann demonstrativ von ihr abwendet. Interessant.

Als ich mich wieder den anderen zuwende, fällt mir auf, dass Franky mich mit gerunzelter Stirn anschaut. „Ist was?“

„Stilles Wasser? Ist das dein Ernst? Wir sind hier, um zu feiern, Alex, nicht um ein bisschen zu plaudern!“ Fast hätte ich ihm ins Gesicht geschleudert, dass ihn das nicht angeht, doch irgendwie lässt mich etwas verstummen. Stattdessen zucke ich bloss mit den Schultern und starre auf die Tanzfläche hinunter.

Foxy und Danny scheinen zwei begnadete Tänzer zu sein, denn um sie herum hat sich ein Kreis gebildet, der ihnen johlend zuschaut.

 

Irgendwann gesellt sich ein schmächtiger, junger Mann zu uns, der mit offensichtlicher Freude empfangen wird. „PJ! Du bist ja doch noch gekommen!“ Franky schlägt ihm kumpelhaft auf die schmächtigen Schultern und ich beobachte mitleidig, wie der Kleine unter seinem Schlag zusammenzuckt.

Er zuckt verlegen die Achseln und setzt sich neben Franky, nicht ohne zuvor den Stuhl mit einem weissen Tuch gesäubert zu haben. Das muss dann wohl sein Tick sein. Aber irgendwie macht ihn das in meinen Augen nur noch süsser und liebenswerter. So scheint es Franky ebenfalls zu gehen, der mittlerweile schon einiges an Alkohol intus hat und sich jetzt ohne Scheu an den Kleineren schmiegt und ihm was ins Ohr flüstert. Belustigt beobachte ich, wie seine Ohrenspitzen rot werden und sich auf seinen Wangen verlegene Flecken bilden. Wenn ich mich nicht noch zu deutlich an den ersten Tag meiner Entführung erinnern könnte, an dem mich Franky so unverhohlen angemacht hat, würde ich glatt glauben, dass zwischen den Beiden was läuft. Ich weiss ja, dass PJ schwul ist – nur bei Franky passt es nicht. Vielleicht ist er ja bi? Grübelnd nehme ich einen tiefen Schluck von meinem Wasser und beobachte die beiden weiterhin. Es ist seltsam Franky so gelöst und gut gelaunt zu sehen. Bei Damien war er immer ein Arschloch und ziemlich... unreif.

 

Der Abend verläuft sehr angenehm, obwohl ich immer wieder die stechenden Blicke von Franky auf mir spüre und zudem bemerke, dass direkt neben uns ein Paar sitzt, das mich unauffällig auffällig beobachtet. Die beiden werden Damien heute wohl Bericht erstatten, was ich getrunken, gesagt und gemacht habe. Pff. Dämliche Speichellecker. Was die wohl so für ihren Job bekommen? Vielleicht sollte ich ja eine Liste erstellen, von allem, was ich tue und diese Damien zukommen lassen. Dann kann er sich die Spinner sparen und ich verdiene ein hübsches Sümmchen!

Mein Blick wandert zu Franky und für einen Augenblick überkommt mich wieder der Argwohn. Was, wenn er nur so tut, als wolle er wirklich so etwas wie eine Freundschaft von mir? Was, wenn er nur auf Befehl von Damien handelt? Was, wenn er mich nur ein bisschen mehr beobachtet, als als all die anderen Späher?

„Ich geh schnell zur Toilette“, murmle ich in die Runde und verschwinde hastig. Tatsächlich muss ich mal – aber das ist nicht der einzige Grund. Ich muss hier weg. Einen kühlen Kopf bekommen.

Doch auch auf dem Klo werde ich nicht verschont. Foxy kommt keine ganze Minute später herein gewirbelt und mustert mich besorgt.

Was, wenn sie alle nur so tun, als ob? Wenn sie alle nur auf Befehl Damiens handeln? Was, wenn jeder mich beobachtet, einfach auf seine eigene Art und Weise? Mein Puls steigt an, mein Herz beginnt zu rasen und mir wird heiss.

„Setz' dich hin, Süsse“, höre ich von weitem Foxy. Ich nehme kaum wahr, dass sie mich auf den runter geklappten Klodeckel drückt und mit einem nassen Tuch über meine Stirn fährt. Das Bild vor meinen Augen verschwimmt, wird unklar und wässrig. In meinen Ohren rauscht es. Laut pumpt mein Herz und meine Lunge fühlt sich winzig an. Ich bekomme keine Luft mehr! Die Panik überrollt mich so intensiv, dass mir schwarz vor Augen wird.

„Diese Schlampe!“, kreischt es plötzlich laut und ich reisse erschrocken meine Augen auf. Eine verschwommene Gestalt fegt auf uns zu, aber ich bemerke es kaum. Mein Körper rast mit stetiger Geschwindigkeit nach Rechts, bis ich plötzlich wieder in die Senkrechte gerückt werde.

Ein heller Wirbel vor meinem Auge fesselt meine Aufmerksamkeit. Ist das... Britney? Irgendetwas quietscht hier so unangenehm...

Geh weg... du nervst... lass dir Finger von ihm... er will dich sowieso nicht...

Ein roter Wirbel springt direkt vor mir auf und scheint den hellen Wirbel anzugreifen. Was ist das?

Plötzlich bekomme ich einen harten Schlag mitten ins Gesicht und ich sehe für einen Moment klar.

Britney und Foxy liegen sich in den Haaren, aber so richtig. Dann wird alles dunkel.

 

 

 

Mein Schädel brummt, als hätte ich fünf Flaschen Wodka runter geschüttet.

Seltsam... Alkohol ist doch irgendwie momentan für mich verboten... bloss, weshalb?

Die Antwort schlägt ein, wie eine Bombe.

Ich bin schwanger. Habe ich gestern getrunken? Hoffentlich nicht! Panik überkommt mich. Was, wenn ich Alkohol getrunken habe?

Innerhalb von Sekunden springe ich auf die Beine – und sinke mit einem schmerzhaften Stöhnen wieder zurück.

Oh Gott, mein Kopf explodiert gleich!

Wimmernd vergrabe ich meinen brummenden Schädel in meinem Kissen und versuche mich an den letzten Abend zu erinnern. War ich nicht mit Franky unterwegs? Und dann...

Ein leises Klopfen reisst mich aus meinen Gedanken. „Ja?“, krächze ich so leise es geht, zur Schonung meines Kopfes und starre auf die weisse Tür. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich in meinem Bett liege und meine Klamotten noch anhabe.

Die Tür geht leise knarrend auf und und ein besorgt dreinschauender Franky schiebt seinen Kopf herein. „Alles in Ordnung bei dir?“

Ich ringe mir ein schwaches Lächeln ab. Nicken trau ich mich nicht.

„Warum bist du noch hier?“, frage ich irgendwann leise, als mir die Stille zu lange dauert.

„Ich hab mir Sorgen gemacht“, brummt er leise und kommt jetzt ganz rein.

„Du bist gestern zusammengeklappt.“ Was? Warum das denn?!

„Was.. was ist passiert?“ Er zuckt die Achseln.

„Dir ging es wohl schlecht, jedenfalls bist du aufs Klo verschwunden. Ich hab dann Foxy hinterher geschickt, damit sie schaut, ob du etwas brauchst. Irgendwie hat Britney rausgekriegt, wie du zu Damien stehst und hat 'nen Anfall gekriegt. Sie ist dann auch in der Toilette verschwunden und wir Jungs hörten nur noch lautes Gekreische. Foxy hat mir später erzählt, dass Britney auf dich losgehen wollte. Im Versuch dich vor dieser Furie zu schützen, hat sie sich auf Britney gestürzt. Tja, irgendwie hast aber einen Schlag abbekommen und bist schlussendlich ohnmächtig geworden. Britney wurde rausgeschmissen, und da du irgendwie auch nicht wieder aufgewacht bist, haben wir beschlossen, dich nachhause zu bringen. Wie geht's dir jetzt?“

Ich zucke kaum sichtbar die Achseln.

Oh man. Zum Glück kann ich mich nicht mehr an diesen Scheiss erinnern.

„Übrigens hast du jetzt ein hübsches Veilchen. Britney hat scheinbar 'nen harten Schlag drauf.“ Er grinst spöttisch, dennoch kann ich sehen, dass er sich Sorgen macht.

Ich stöhne entnervt auf und vergrabe mein Gesicht wieder in meinem Kissen. „Bringst du mir 'ne Aspirin? Im Badschrank, oben rechts.“ Franky brummt etwas und verschwindet.

Kurz darauf kommt er wieder mit einem Glas Wasser und den Tabletten.

Ächzend setze ich mich auf und schütte das Zeug nach hinten.

Zu spät fällt mir ein, dass ich momentan aufpassen sollte, was Medikamente angeht und will schon nach der Packung greifen, um hastig nachzuschauen, was Aspirin bei Schwangerschaft anrichten kann, als ich Frankys Blick bemerke. Er beobachtet mich. Und zwar ziemlich genau.

Automatisch zucke ich zurück und kralle mich an die Decke.

„Hunger?“, fragt er irgendwann und ich nicke, um ihn loszuwerden. Eigentlich habe ich nicht wirklich Hunger, aber ich hasse es langsam, ständig unter Beobachtung zu stehen.

 

Am Nachmittag scheint Franky endlich davon überzeugt zu sein, dass er mich alleine lassen kann und geht.

Ich geniesse die einkehrende Stille nicht lange, denn wie von alleine wandern meine Gedanken zu Damien. Und dem Ereignis gestern.

Was ist da bloss passiert? Jetzt, im Nachhinein kann ich mich erinnern, dass ich auf die Toilette gegangen bin. Und plötzlich ist mir schwindlig gewesen und ganz seltsam... als hätte ich Drogen genommen.

Vielleicht hat mir irgendjemand etwas ins Wasser geschüttet?

Wieder verspüre ich das bedrückende Gefühl von Panik. Was, wenn dem Baby etwas geschehen ist?

Hastig springe ich auf und verziehe kurz das Gesicht, da mir mein Kopf noch immer zu schaffen macht.

Dennoch kann mich das nicht davon abhalten, zu meinem Telefon zu eilen und Dr. Klyros unverzüglich anzurufen.

Glücklicherweise nimmt seine Sekretärin schon nach dem dritten Klingeln ab. Ich erkläre kurz, was passiert ist und sie versteht sofort die Lage und macht mit mir einen Termin aus.

 

Etwas mehr als eine Stunde später sitze ich nervös auf dem unbequemen Stuhl im Sprechzimmer von Dr. Klyros.

Dieser sitzt mir gegenüber und scheint irgendetwas in seinem Computer zu suchen. Plötzlich sieht er auf und schaut mich nachdenklich an.

„Miss Diver. Gab es in ihrem Leben einen schlimmen Vorfall? Haben Sie seit einiger Zeit vielleicht Depressionen? Ich würde ihnen diese Fragen nicht stellen, wenn es nicht absolut ernst wäre.“

Ich klammere mich an den Stuhl fest und wippe leicht vor und zurück. Erzählen kann ich ihm nicht von Damien. Niemals. Aber dennoch...

„Ja, es gab einen Vorfall. Aber depressiv habe ich mich deswegen nie gefühlt. Bloss die ständigen Stimmungsschwankungen, aber das kommt ja vom Baby, nehme ich an?“ Er nickt und nimmt seine Brille ab.

„Es ist bloss so, dass das, was Sie mir da beschrieben haben ein bisschen über einen normalen Zusammenbruch hinausgeht. Das waren auch keine Drogen. Wissen Sie, unser Körper ist hochsensibel auf jegliche Veränderung und alles, was um uns herum geschieht. Ich hake jetzt nicht nach, was damals passiert ist, aber vielleicht sollten Sie mal mit einem Psychologen sprechen?“ Ich bin ihm unheimlich dankbar, dass er nicht nachfragt, aber das mit dem Psychiater ist nicht so mein Ding. Was soll ich dem denn erzählen? Dass ich entführt wurde, in die dunklen Künste der Erotik eingetaucht bin und mich in Damien verliebt habe? Dass ich unter dem Stockholm-Syndrom leide? Vergiss es.

Das gehört definitiv nicht in ein steriles Klappsenzimmer.

„Nun ja, das ist Ihre Sache. Dennoch gebe ich Ihnen die hier mit.“ Er drückt mir eine Visitenkarte in die Hand. „Dr. Lacros ist ein alter Freund von mir und sehr gut in dem, was er tut. Bei ihm würden Sie sich bestimmt wohl fühlen. Ich bitte Sie wirklich, denken Sie darüber nach. Ihr Körper hat nicht einfach so so reagiert. Denken Sie auch ein wenig an Ihr Baby. Desto besser es Ihnen geht, desto besser geht es auch dem Kind.“ Er lächelt sanft und ich kann mir das leise Seufzen nicht mehr verkneifen. Warum muss immer alles so beschissen laufen? Natürlich sollte ich besser auf mich achten, allein wegen meinem Baby. Aber irgendwie scheint das schwieriger zu sein, als gedacht.

„Ausserdem sollten Sie in nächster Zeit auf derartige Ereignisse, wie das gestrige, verzichten. Stress tut Ihnen nicht gut. Und auch dem Kind kann es auf Dauer Schaden zufügen. Achten Sie auch ein bisschen auf Ihre Ernährung. Wenn Sie möchten, kann Ihnen meine Sekretärin einen Plan mitgeben, damit Sie besser informiert sind, was gut tut und was eher schlecht für Ihren Körper ist.“ Ich nicke leicht und rutsche ein wenig unruhig auf dem Stuhl hin und her.

Seitdem ich hier drin sitze fühle ich mich unheimlich nervös und hibbelig. Am liebsten würde ich sofort raus hier und einfach nur los sprinten.

Ungeduldig klopfen meine Finger in einem unregelmässigen Rhythmus gegen den Stuhl, während ich nur noch darauf wart, dass ich entlassen bin.

„Nun denn, das wäre dann alles“, gibt Dr. Klyros endlich das Stichwort und ich muss mich unheimlich zusammenreissen, um nicht sofort aufzuspringen.

Betont langsam erhebe ich mich und schüttle kurz die angebotene Hand des älteren Arztes.

Bei der Sekretärin hol ich mir nur kurz den Plan mit dem Essen und flüchte dann regelrecht nach draussen.

Gierig sauge ich die frische Luft in mich rein und laufe los.

 

Das Kribbeln in meinem Nacken kenne ich schon zu gut und normalerweise ignoriere ich es auch immer standhaft. Aber diesmal ist etwas anders.

Die Luft um mich herum scheint zu vibrieren. Um mich herum herrscht geräuschlose Ruhe. Es ist, als befände ich mich in der Stille vor dem Sturm.

Alles in mir will sich umdrehen und meinen Beobachter anschauen, doch mein Wille ist stärker und ich gebe dem Drang nicht nach.

Nach fünf weiteren Schritten gebe ich es auf und werfe einen Blick über meine Schulter.

Mein Herz macht einen Satz, ich stolpere und alles beginnt sich zu drehen.

Obwohl ich kaum noch Luft bekomme, weil meine Kehle wie zugeschnürt ist, renne ich los. Geradeaus, nach links, wieder geradeaus und dann nach rechts in eine enge Gasse. Schwer atmend lehne ich mich mit dem Rücken an die Wand, presse mich regelrecht an den kühlen Stein.

Damien!

Ich hab ihn endlich wieder gesehen.

Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild erneuert.

Gross, breitschultriger und noch attraktiver, als in meiner Erinnerung, stand er auf der anderen Strassenseite und blickte mich bewegungslos an.

Er wirkte wie ein Puma, der in bewegungsloser Ruhe auf seine Beute wartet.

Mein Herz rast ungestüm und alles in mir schreit nach ihm. Nach seinem. Körper. Nach seiner Stimme. Nach seinen Berührungen. Nach seinen streichelnden Blicken.

Am liebsten würde ich sofort Kehrt machen und mich in seine Arme stürzen.

Doch bevor es soweit kommt, reagiert plötzlich mein Verstand. Streng scheint er mich anzufunkeln, ehe er auch schon mit seiner Predigt beginnt.

'Du wirst jetzt ganz bestimmt nicht wieder zu diesem Psychopathen gehen, Alex!' zischt er und stemmt die Arme in die Seiten.

Die Sehnsucht nach diesem Mann begräbt ihn fast unter sich – aber nur fast.

Nein, Alex. Vergiss es. Du wirst diesem Mann nicht hinterher laufen. Er hat dich rausgeworfen, als es ihm zu brenzlig wurde. Er hat dich abgeschoben, wie Müll.

Meine Beine geben nach und ich sinke an der Wand herab auf den schmutzigen Boden. Ein älterer Mann läuft an mir vorbei, schenkt mir einen mitleidigen Blick und wirft eine Münze vor meine Füsse.

Dabei murmelt er etwas von seiner Zeit und der heutigen Zeit.

Mit ausdrucksloser Miene starre ich auf die Münze, auf der ein Kopf abgebildet ist.

Was würde dieser Kopf wohl sagen, wenn er von meinem Dilemma wüsste? Würde er den Kopf schütteln und mich als naiv und dumm bezeichnen? Oder würde er mir raten, zu ihm zurückzukehren und alles zu vergessen? Oder würde er mich eher darauf hinweisen, dass ich eine emanzipierte Frau bin, die stark genug ist, ein Kind alleine aufzuziehen, ohne einen Gedanken an den Vater zu verschwenden?

Ich schüttle den Kopf und breche in hysterisches Gelächter aus.

Ich rede gerade mit einem Kopf auf einer Münze! Zwar nur in Gedanken, aber das reicht! Langsam werde ich wirklich verrückt! Vielleicht sollte ich den Vorschlag von Dr. Klyros doch noch mal überdenken und mich gleich selbst in die Irrenanstalt einliefern!

Das Gelächter schwingt abrupt um und endet in hemmungslosen Schluchzern, während die Tränen in Sturzbächen über meine Wagen laufen.

Mein Blick wandert gen Himmel und etwas in mir brüllt laut: „womit habe ich das verdient? Wie bin ich bloss in diese verschissene Situation gekommen?! Warum bloss?“

 

Es dämmert bereits, als die Tränen versiegen und die Schluchzer immer leiser werden, bis sie ganz verstummen. Mittlerweile habe ich mich auf dem Boden zusammengerollt und wiege mich hin und her. Mein Kopf pocht und schmerzt. Aber ich geniesse es. Für einen irrsinnigen Moment verstehe ich all die Menschen da draussen, die zur Rasierklinge greifen und sich die Arme aufschlitzen. Denn genauso leer und gefühllos fühle ich mich gerade. Es ist, als wären meine Nerven abgestorben.

Verzweifelt hämmere ich mit den Fäusten in den Boden, bis die Knöchel bluten. Aber ich spüre nichts. Erneuert bricht das hysterische Gelächter aus mir heraus und verstummt erst, als ein kleiner Junge an der Gasse vorbei läuft und mich entdeckt. Seine grossen Augen starren mich verwundert an. „Was machst du denn hier so ganz alleine in dieser Gasse? Ist dir nicht kalt?“, fragt er in seiner kindlichen Unschuld und ich möchte ihm am liebsten alles erzählen. Meine ganze, beschissene Lebensgeschichte.

Doch die Mutter des Jungen macht mir einen gehörigen Strich durch die Rechnung.

„Lucas! Lass die Frau in Ruhe! Komm, weiter!“

Sie wirft mir einen ängstlichen Blick zu, als würde sie erwarten, ich stürze mich jeden Moment auf ihren Sohn.

Und genau dieser Blick bringt mich plötzlich wieder zur Besinnung.

Mein ganzer Körper schmerzt, meine Hände brennen und mein Schädel brummt.

Schwerfällig erhebe ich mich wieder auf meine wackligen Beine und stütze mich für einen Moment ächzend an der Wand ab.

Das war eine dumme Aktion, schimpfe ich mit mir. Meinem Kind tut es bestimmt nicht gut, wenn ich hier in irgendeiner Gasse herumliege und irgendwelche Anfälle bekomme.

Auf unsicheren Beinen mache ich mich auf den Heimweg und ignoriere die verabscheuten Blicke, die man mir zuwirft. Kein Wunder, ich muss aussehen, wie der letzte Dreck.

 

Mein Spiegelbild bestätigt diesen Verdacht gnadenlos.

Meine linke Wange ist total dreckig und eine Blutspur zieht sich über mein Kinn, weil ich vorhin mit meinem Handrücken darüber gewischt habe.

Leise seufzend lasse ich ein Bad ein und lausche dem beruhigenden Laut des Wassers.

Sobald sie voll ist, ziehe ich mich aus und sinke in die wohltuende Hitze.

Nur bei meinen Fingern ist es nicht besonders angenehm. Die aufgerissenen Stellen brennen, als hätte ich Säure drüber gekippt.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht zwinge ich mich trotzdem dazu, die Hände unter das Wasser zu halten, um den gröbsten Dreck jetzt schon raus zu waschen. Später, wenn ich Desinfektionsspray drüber sprühen muss, wird es noch viel schmerzhafter werden, das ist wenigstens ein kleiner Trost.

Mit einem leisen Seufzen schliesse ich meine Augen und versuche meinen Körper so weit es geht zu entspannen.

 

 

 

Er steht mit dem Rücken zu mir in seinem Büro.

Für einen Augenblick saugen sich meine Augen an seinen gestählten Rückenmuskeln fest, die durch das gespannte Hemd gut sichtbar sind.

„Du bist spät“, flüstert er mit rauer Stimme und ich spüre den wohligen Schauer einer Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper ausbreitet, wie ein Flächenbrand.

Ich antworte nicht. Das ist gar nicht nötig. Ich weiss auch so, dass er mich bestrafen wird. Wenn ich pünktlich gewesen wäre, hätte er eben einen anderen Grund für eine Bestrafung gefunden.

Ich trete langsam näher, bis ich direkt hinter ihm stehe und die Hitze, die er ausstrahlt, spüren kann.

Behutsam, als wäre er aus Glas, hebe ich eine Hand und lege sie ganz sachte auf seine rechte Schulter. Ich fühle, wie die Muskeln unter meiner Handfläche zucken und er sich kurz anspannt.

„Du spielst, Alex“, raunt er. „Und du verlierst.“ Blitzschnell dreht er sich um. Im nächsten Augenblick stehe ich mit dem Rücken an die Wand gepresst, direkt vor mir seine breite Brust, die mein gesamtes Sichtfeld einnimmt.

Ich lasse den Blick gesenkt, weiss ich doch, dass er darauf steht, wenn ich mich als seine Sklavin gebe. Seine süsse, unschuldige Sklavin...

Sanft aber mit Nachdruck umfasst er mein Kinn und hebt es langsam an, bis ich ihm in die Augen schauen muss.

Augenblicklich versinke ich in diesen dunklen Seen, ertrinke in diesem tiefen Blick, der mir mehr preisgibt, als alles andere.

„Warum bist du hier, Alex?“

Sein heisser Atem trifft auf meine Lippen. Ich rieche einen Hauch Kaffee, vermischt mit Pfefferminz.

„Weil ich es will“, antworte ich leise und beobachte, wie sich seine Augen für den Bruchteil einer Sekunde weiten.

Ein langsames, unglaublich sinnliches Lächeln erscheint auf seinen Zügen und raubt mir für einen Moment den Atem.

Er kommt noch ein wenig näher, bis unsere Lippen nur noch Zentimeter voneinander entfernt sind.

„Küss mich“, bitte ich ihn heiser und schlucke.

Damiens Augenlider senken sich, bis sie nur noch einen Spaltbreit offen sind. „Du legst es wirklich darauf an“, raunt er erstaunt und nagelt mich an die Wand.

Seine Lippen senken sich auf meine, hart und unnachgiebig. Die Leidenschaft ertränkt uns in dem steigenden See der Lust und Begierde.

Seine Zunge schiebt sich zwischen meine Lippen, öffnet meinen Mund und nimmt ihn in Besitz.

Ich geniesse jede Sekunde dieses Kusses und wünsche mir immer mehr und mehr.

Sein Knie drängt sich zwischen meine Beine, seine Hände gleiten über meinen ganzen Körper, erwecken das Feuer in mir.

Ein raues Stöhnen entwicht mir, als er mich packt und hochhebt, sodass ich meine Beine um ihn schlingen muss und meine Mitte genau an seiner liegt. Hart und unnachgiebig spüre ich seinen Schwanz, der sich an mich drückt und Lust und harten Sex verspricht.

Gehalten von der Wand und seinem starken Körper lasse ich mich gehen, lasse zu, dass er seine Finger unter meinen Rock schiebt, bis hoch zu meiner Mitte.

Seine Lippen werden noch leidenschaftlicher, rauben mir mehr und mehr den Atem.

Als seine Finger mein nasses Heiligtum erreichen, löse ich mich keuchend von seinem Mund und schnappe nach Luft, nur um sie gleich wieder in Form eines lauten, sehnsüchtigen Stöhnens auszustossen.

Damien packt mich fester und dreht sich mit mir um, ohne auch nur daran zu denken, seine Lippen von meinen zu lösen.

Vorsichtig setzt er mich auf die Kante seines massiven Bürotisches und wischt mit einer grosszügigen Bewegung alle störenden Blätter und Unterlagen vom der Platte.

„Sex auf dem Bürotisch? Ernsthaft?“, raune ich leise und fahre mit den Fingern unter sein Hemd.

„Ja, und jetzt halt deine Klappe.“ Er erstickt jeden weiteren Laut mit einem weiteren, leidenschaftlichen Kuss und zerrt gleichzeitig meinen Rock ganz hoch, bis über die Hüfte.

Ohne sich von mir zu lösen, greift er nach meinem Spitzenhöschen und zerreisst es einfach.

Und im nächsten Augenblick – oh mein Gott!
Mein lautes Stöhnen hallt in meinem Kopf wieder, als er ohne mit der Wimper zu zucken in mich stösst und sofort einen harten Rhythmus, der mir den Atem raubt, anschlägt.

Meine Fingernägel krallen sich in seine Arme, reissen an dem Hemd, das bis zur Hälfte geöffnet auf seinem Oberkörper liegt und seine muskulöse Brust entblösst.

Ich gebe mich ihm vollkommen hin, lasse mich auf seinen Rhythmus ein.

Ein lauter Knall erklingt. Dann schreit plötzlich eine dünne Stimme: „Mama! Papa!“

Augenblicklich reisse ich meine Augen auf und starre in die ebenso erschrockenen von Damien, der sich mit einem Ruck aus mir zurückzieht und herumwirbelt.

Hastig springe ich auf und zerre den Rock runter, wobei ich mein zerrissenes Höschen unauffällig unter den Tisch schiebe.

Vierzehn grosse Augen starren uns an.

Dann läuft ein kleiner Junge auf uns zu und klammert sich an mein Bein. „Mama!“, schreit er laut und fängt an zu heulen. Erschrocken und verunsichert werfe ich einen Blick in Richtung Damien, der den Jungen mit ebenso riesigen Augen anstarrt. Von dem sollte ich wohl keine Hilfe erwarten.

Seufzend beuge ich mich zu dem Jungen und hebe ihn hoch.

Doch scheinbar ist das der Startschuss für die restlichen sechs Kinder, die jetzt auf uns zustürzen und sich weinend an unsere Beine klammern. „Mama“ „Papa!“ „Moommy!“ „Paapaaa!“

Das Geschrei wird immer lauter, plötzlich stürmt ein erneuerter Schwall kleiner Kinder durch die Tür und es wird noch lauter.

Die Umgebung scheint zu verschwimmen, ich versuche nach Damien zu greifen, um mich an ihm festzuhalten, doch seine Finger entgleiten mir immer wieder.

Plötzlich verliere ich das Gleichgewicht und ein Schrei löst sich aus meiner Kehle.

 

Mit einem dumpfen Knall lande ich auf dem Boden.

Stöhnend rolle ich mich auf den Rücken und starre an die weisse Decke. Oh man, was für ein beschissener Traum!

Meine Hand gleitet zu meinem Bauch.

„Hoffentlich wirst du mir nicht solche Sorgen machen, Kleines“, flüstere ich leise und betrachte meinen noch immer flachen Bauch.

Ein leichtes Brennen an meiner Hand zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine der Wunden von meinem „Anfall“ gestern ist wieder aufgegangen und blutet.

Seufzend rapple ich mich auf und werfe einen Blick auf meinen Wecker. 4.27 Uhr in der Früh.

Grummelnd laufe ich ins Bad, um das Blut abzuwaschen und endlich einen Verband um meine Knöchel zu wickeln. Ein Pflaster mag ich nicht drauf tun, ich hasse das spannende Gefühl des Klebers.

Wieder in meinem Zimmer angekommen, bleibe ich erst mal stehen und atme tief durch.

Damien. Er war gestern da. Auf der anderen Strassenseite. So nah und doch so fern.

Ach, Alex. Denk nicht so viel über diesen Mann, nach, das tut weder dir, noch sonst jemandem gut.

Tief seufzend lasse ich mich auf die Bettkante fallen und verziehe kurz das Gesicht, weil ich blöd aufgekommen bin.

Was soll ich bloss machen? Soll ich Franky bitten, mich zu ihm zurückzubringen? Soll ich nachgeben und mich – erneuert – in diese Welt entführen lassen, die mir so fremd und doch so vertraut erscheint?

Soll ich zu ihm gehen und ihm einfach nur ins Gesicht sagen, dass ich ein Kind von ihm erwarte? Und danach? Mir mitansehen, wie er diese kalte Maske aufsetzt und eiskalt von mir verlangt, abzutreiben? Das könnte ich nicht. Und ich würde ihn dafür hassen.

Es würde mich kaputt machen, wenn ich ihn hassen müsste.

Oh man, in was für einen Schlamassel habe ich mich da eigentlich reingebracht? Vermerk an Alex: nicht mehr von Verrückten entführen lassen. Das bringt nur Ärger.

Ich lasse mich in die aufgewühlte Decke fallen und starre ins Leere.

Soll ich, oder soll ich nicht?

Mein Verstand schreit laut „NEIN!“, aber mein Herz brüllt noch lauter „JA!“

Ich muss darüber nachdenken... ich brauche Zeit.

Mein Blick wandert erneuert zu meinem Wecker. Viertel vor 5 Uhr Morgens.

Heute muss ich arbeiten gehen, das Büro braucht mich. Bis Ende Woche muss ich einen Auftrag für „Ladykiller Mobiles“ fertig bekommen.

Also erhebe ich mich wieder und schlüpfe unter die Dusche.

 

 

Im Büro ist noch fast niemand zu sehen, ich bin eine der ersten. Mit einem müden Lächeln begrüsse ich meinen Chef, Graven Kollard.

Kollard ist ein guter Chef, anständig und fair. Aber ich weiss auch, dass er mich überwacht. Trotzdem komme ich nicht umhin, ihm irgendwann mitzuteilen, dass ich schwanger bin. Aber solange noch nichts zu sehen ist, muss er es nicht wissen.

Lustlos setze ich mich an meinen Pc und schaue mein bisherige Material für den „Ladykiller“-Auftrag an. Viel habe ich bisher ja nicht gemacht. Aber das ist gut, dann muss ich heute nämlich doppelt so viel arbeiten, wie sonst und werde dementsprechend wenig an Damien denken. Sehr gut!

Bald habe ich ein paar Skizzen angefertigt und recherchiere noch ein wenig über das Unternehmen, um mehr über deren persönlichen Stil herauszufinden. Das ist sehr wichtig in diesem Beruf, denn wenn man die Webseite für eine Firma oder ein Geschäft erstellt, muss der Kunde sofort sehen, wie das Unternehmen tickt. Der Stil muss schon beim ersten Satzzeichen erkennbar sein.

„Ladykiller Mobiles“ ist eine grosse Werkstatt, die sich hauptsächlich auf Motorräder spezialisiert hat. Harleys und solche Dinge eben. Ich kenne mich da nicht besonders aus, auch wenn mich diese grossen, verchromten Maschinen ganz schön reizen. Zu gerne wäre ich selbst stolze Besitzerin einer solchen Lady.

Kollard reisst mich recht unsanft aus meinen Träumen, als er nachhakt, wie weit ich mit dem Auftrag bin.

Ich zeige ihm meine Ergebnisse und er zischt zufrieden wieder ab.

Limit ist bis nächsten Freitag, bis dahin bin ich längst fertig. Dennoch sollte ich mich heute ran halten und zügig arbeiten.

Und das tue ich auch.

Bald verfalle ich in einen Modus, bei dem alles automatisch abläuft.

Es ist schon nach 7 Uhr Abends, als Kollard mich darauf aufmerksam macht, dass ich seit 2 Stunden frei hätte.

Also packe ich – eher widerwillig – meine Sachen zusammen und verlasse das Büro. Zuhause erwartet mich meine einsame, leere Wohnung. Kaum habe ich mein Heim betreten überkommt mich das unangenehme Gefühl, gleich zu ersticken.

Sofort mache ich kehrt und verschwinde wieder nach draussen.

Ich beschliesse in eine kleine Bar am Stadtende zu gehen, um dort ein wenig die Leute zu beobachten und mich abzulenken.

Das „Iron“ ist eher mittelmässig gefüllt, aber dennoch reicht es aus, um mich von jeglichen Gedanken an Damien abzulenken. Mehr oder weniger.

Obwohl ich nicht gerade hübsch aussehe – ich habe schliesslich den ganzen Tag gearbeitet und eine verflucht schlechte Nacht hinter mich – werden laufend Drinks auf meinen Tisch gestellt, mit irgendwelchen Grüssen fremder Kerle.

Ich nicke den Männern knapp zu, rühre die Drinks allerdings nicht an. Kein einziges ist ohne Alkohol.

Also bestelle ich mir noch ein Wasser und verkneife mir ein spöttisches Grinsen, als ich die enttäuschten Gesichter der Typen sehe.

„Hey, Kleines!“

Frankys bulliger Körper schiebt sich neben mich und ich bin von mir selbst überrascht, als ich ihn anstrahle. „Hi, Truck!“, rufe ich erfreut aus und grinse ihn unschuldig an. „Was tust du hier, Kleines?“, murmelt er wenig erfreut und wirft den Männern, die uns allesamt neugierig bis neidisch beobachten, einen bösen Blick zu. „Und was ist das?“ Er deutet verächtlich auf die unzähligen Gläser. „Geschenke“, murmle ich und trinke mein Wasser aus.

„Und du trinkst die nicht?“ Franky mustert mich verwirrt und schnappt sich ein Bier, das direkt vor mir gestanden hat.

Ich zucke bloss die Achseln und winke den Barkeeper her. „Kann ich noch ein Wasser haben?“ Er nickt und wirft einen verdutzten Blick auf die ganzen Gläser vor mir.

„Du kannst sie alle haben, ich schenk sie dir.“ Franky hebt eine Augenbraue, schnappt sich allerdings gleich darauf ein paar der Gläser, um sie vor sich hübsch in einer Reihe hinzustellen.

„Was ist passiert?“, zischt er plötzlich erschrocken und ich zucke zusammen. Was meint er?

Dann fällt mir sein Blick auf, der auf meine verbundenen Hände geheftet ist.

„Ach nichts, ich hab sie blöd aufgescheuert. Hat ein wenig geblutet, also hab ich sie eingebunden.“

„Du tust dir doch nicht etwa weh, oder? Ritzen und solche Sachen?“, fragt er geschockt und starrt noch immer auf meine Hände, die ich zu Fäusten geballt habe. „Was? Spinnst du?!“

Ich bin geschockt von seinem Gedanken. Doch dann fällt mir auf, dass ich genau dies gestern getan habe. Ich habe mir selbst Schmerzen zugefügt, um mich zu spüren. Hastig schiebe ich den Gedanken zur Seite und verschränke meine Hände unter dem Tisch.

Endlich hebt auch Franky den Kopf wieder und mustert mir eine Weile schweigend.

„Was tust du überhaupt hier?“, will ich irgendwann wissen, weil mir die Stille zu lange dauert.

Franky lacht. „Darf ich etwa nicht mehr abends in eine Bar gehen?“

Ich zucke verlegen die Achseln. Er hat ja Recht. Ausserdem passt er mit seinem Aussehen auch viel mehr in diese Bar, als ich.

„Du hast ihn gestern gesehen, nicht wahr?“, fragt er plötzlich leise und ich zucke zusammen.

Meine Kehle schnürt sich zusammen, ich bekomme kein Wort heraus und zucke zur Antwort bloss erneuert die Achseln.

„Ich hab ihm gesagt, er soll nicht rausgehen!“, zischt Franky eher zu sich selbst und donnert verärgert die Faust auf den Tisch. Die Gläser klirren und ich weiche erschrocken zurück.

„He, alles in Ordnung bei Ihnen?“, ruft der Barkeeper misstrauisch und wirft uns einen lauernden Blick zu. Hastig nicke ich und packe Frankys linken Arm, um ihn energisch hinter mir her aus der Bar zu ziehen. „Hey, wo gehen wir hin?“, will Franky verdutzt wissen und stolpert mir wenig elegant hinterher.

„Raus. Ich muss mit dir reden.“

Draussen bleibe ich eine Sekunde stehen und sehe mich um. Mittlerweile ist es dunkel geworden und ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass es schon nach 10 Uhr ist.

„Komm, wir gehen zum Park.“ Erneuert packe ich seinen Arm und zerre ihn hinter mir her.

Der Park liegt verlassen da, dennoch bietet er irgendwie eine gemütliche Atmosphäre, perfekt für ein klärendes Gespräch.

„Was hat er in der Stadt gemacht? Wollte er mich sehen? Was hat das zu bedeuten? Ist etwas passiert?“, schiesst es wie aus der Pistole aus meinem Mund, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. Ungeduldig starre ich den bulligen Mann mir gegenüber an, der wohl noch dabei ist, diese Fragenflut zu ordnen.

„Ich... äh...Nein, passiert ist nichts. Bloss das übliche Drama eben..“, erwidert er nach einer halben Ewigkeit endlich, und ich stosse die Luft, die ich, wie mir gerade auffällt, angehalten habe, aus meiner Lunge. „Was für ein übliches Drama?“, hake ich verwirrt nach. „Na ja, er ist mal wieder total ausgerastet. Aber das tut er seit... du weg bist immer wieder mal. Jeden Tag mindestens einmal“, gibt er emotionslos preis. Dennoch fällt mir auf, das ein Muskel in seinem Gesicht zuckt und instinktiv nehme ich wahr, wie sehr es ihn verletzt, seinen besten Freund so zu erleben.

„Was passiert... wenn er ausrastet?“, traue ich mich leise zu fragen und knete meine Finger nervös in meinem Schoss.

„Meistens wirft er ein paar Gegenstände in die Luft... oder er zerstört irgendwelche Designermöbel.“ Ich zucke leicht zusammen und stelle mir Damien als randalierendes Monster vor.

Obwohl ich das überhaupt nicht will, entsteht augenblicklich ein Bild von ihm vor meinem inneren Auge, wie er mit nacktem Oberkörper, mit Schweiss überzogen, einen Tisch umwirft. In meinen Gedanken sehe ich, wie seine Muskeln sexy spielen und sich anspannen, wie er die Augenbrauen wütend zusammenkneift und mit seiner verruchten Sinnlichkeit alles um sich herum verbrennt.

Ein lautes Schnipsen reisst mich aus meinen Träumereien. „Hey, hörst du mir überhaupt zu?“ Franky grinst mich an und ich ahne, dass er genau weiss, an was ich gedacht habe. „Natürlich...“, murmle ich ein wenig verpeilt und werfe einen Blick in die Dunkelheit, um mich wieder etwas zu sammeln.

„Erzähl mir mehr davon. Ich möchte wissen, was sich alles verändert hat.“

Franky nickt verstehend und beginnt zu reden.

„Ich wusste, dass es ein Fehler wäre, dich gehen zu lassen, aber Damien hatte das Gefühl, du würdest ihn hassen, weil du ja schliesslich weisst, wie er heisst und wer er ist. Er hat dich mit ein paar seiner Wachhunde hier her gebracht. Schon als er wieder zurückkam, wusste ich, dass es ein Fehler war. Er hat sich sofort in seinem Büro eingeschlossen und ist drei Tage lang nicht raus gekommen. Du kannst dir vorstellen, wie er aussah, als er endlich wieder raus kam. Wir dachten, jetzt würde alles wieder normal werden. Aber wir haben uns getäuscht. Er wurde immer launischer, anfangs waren es bloss kleine Anfälle, aber es wurde immer schlimmer und schlimmer. Manchmal sitzt er auch einfach stundenlang in seinem Büro und trinkt einen Whisky nach dem anderen. Das sind die schlimmsten Tage. Wenn er besoffen ist, wird er unberechenbar.“ Franky seufzt leise und ich starre ihn mit grossen Augen an.

Oh man. Was geht bloss in diesem Mann vor?

 

Wir sprechen noch lange und ich gestehe Franky meine Gefühle. Von der Schwangerschaft sage ich nichts, das wird er früh genug erfahren.

Es ist schon nach Mitternacht, als wir uns endlich aufraffen und nachhause gehen.

 

Obwohl ich hundemüde bin, liege ich noch lange Wache und denke über Damien nach. Sehnsüchtig denke ich an seine Berührungen, an seine Blicke, die so viel sagten, aber dennoch nie alles.

Ich wünsche mir, er würde neben mir liegen und mich in seine starken Arme ziehen.

Leise seufzend schliesse ich meine Augen und versinke endlich in einem unruhigen Schlaf.

 

Am nächsten Tag gehe ich wieder zur Arbeit und stelle den Ladykiller-Auftrag fertig. Kollard ist mehr als zufrieden mit dem Ergebnis und lässt mich schon um 14 Uhr gehen. Nur widerwillig packe ich meine Sachen zusammen und gehe nachhause.

In meinem Appartement ist es wie immer: still und einsam.

Obwohl ich sofort wieder das altbekannte Gefühl verspüre, hier drin zu ersticken, überwinde ich mich dazu, drin zu bleiben und ein wenig aufzuräumen.

Es ist kurz nach 17 Uhr als es plötzlich heftig klingelt.

Verwundert drücke ich auf den Summer und lausche ins Treppenhaus. Ein gehetzt wirkender Franky rast die Stufen hoch und rennt mich fast um.

„Alex!“, erleichtert bleibt er vor mir stehen und schnappt nach Luft. „Was ist los, Truck?“, frage ich angespannt. Etwas muss passiert sein.

„Damien! Er... du musst sofort mitkommen!“ Er packt meine Hand und will mich hinter sich her ziehen. „Hey! Moment mal! Was ist passiert, Truck? Ich will wissen, was los ist!“

„Er hat...“, er schnappt nach Luft und fährt sich mit der Hand verzweifelt übers Gesicht. „Er ist total besoffen und hat irgendetwas genommen. Er redet ständig von dir und ist total hinüber. Du muss sofort zu ihm!“

Ich verschränke die Arme vor der Brust, obwohl alles in mir darin schreit, sofort zu Damien zu hasten. „Warum sollte ich?“

„Er braucht dich! Herr Gott, Alex, es geht ihm beschissen! Wenn er so weiter macht, bringt er sich selbst um! Willst du daran schuld sein?“, provoziert er verzweifelt und starrt mich böse und bittend zugleich an.

„Okay, worauf warten wir dann noch?!“ Ich schnappe mir meine Jacke, schlüpfe in meine Schuhe und eile an Franky vorbei, der mir sichtlich erleichtert folgt.

Die Fahrt verbringe wir schweigend, obwohl ich Franky ein paar mal fast angeschrien hätte, weil er so ein Affentempo drauf hat. Angesichts der Situation unterlasse ich das aber und klammere mich stumm an meinem Sitz fest.

Wir fahren an die zwanzig Minuten, ehe Franky plötzlich scharf nach rechts abbiegt und einen Waldweg hinauf brettert.

Das muss wohl der Wald vor seinem Haus sein, fällt es mir unsinnigerweise ein.

Erneuert biegt Franky scharf ab und macht eine Vollbremsung. Wir befinden uns im Hof vor dem Haupteingang, aber ich achte nicht darauf.

Mit grossen Schritten renne ich die Treppe hoch, stosse die Tür auf und rase in das Haus hinein. „Wo ist er?“, rufe ich Franky über meine Schulter zu, der dicht hinter mir ist. „Als ich gegangen bin, hat ihn Meg in sein Schlafzimmer gebracht.“

Ich weiss nicht genau, wo sein Schlafzimmer ist, weshalb ich Franky kurzerhand vor lasse und ihm folge.

Das Bild, das sich mir bietet, als wir durch die dunkle Tür stürzen, haut mich fast um.

Damien liegt mehr schlecht als Recht auf seinem Bett, wobei er aber dem Rand so nahe kommt, dass sein gesamter Oberkörper gefährlich rutscht.

Meg zerrt verzweifelt an seinem Hemd, um ihn wieder auf sein Bett zu hieven.

Natürlich ist sie zu schwach und Damien fällt mir einem Rumps auf den Boden. Dort bleibt er liegen und starrt dämlich lächelnd an die Decke. In seiner linken Hand entdecke ich eine fast leere Whiskyflasche, an die er sich festklammert, als wäre sie der einzige Halt, den er bekommen kann.

„Wo ist meine süsse, kleine Alex? Wo ist sie?“, nuschelt der besoffene Vollidiot und kichert dümmlich. Seine Augen rollen, bis man nur noch das Weisse sieht, und eine Welle der Panik über mir zusammenbricht.

Sofort stürze ich zu ihm und lasse mich neben ihm auf die Knie fallen. „Damien! Damien, schau mich an!“ Damien blinzelt, dann klappen seine Lider zu und sein Kopf rollt von einer Seite zur anderen.

Verzweifelt tätschle ich seine Wangen und versuche seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. „Damien! Damien, mach die Augen auf und schau mich an! Damien, verdammt!“ Der Volltrottel nuschelt etwas und hebt unkoordiniert die Flasche zu seinem Gesicht, wohl in der Absicht einen weiteren Schluck dieses verdammten Giftes zu nehmen. Stattdessen kippt die Flasche um und der Inhalt breitet sich auf seiner Brust und dem Teppich aus. Mit einem Ruck reisse ich ihm die Flasche aus der Hand und stelle sie neben mich auf den Boden. „Damien! Scheisse nochmal, schau mich sofort an! Du darfst nicht einschlafen!“

Eine Träne der Verzweiflung rollt über meine Wange und tropft auf sein Gesicht, das zusehends von Schweiss überzogen wird. Überhaupt scheint sein Körper den vielen Alkohol über die Poren wieder loszuwerden versuchen, denn er beginnt wie ein Schwein zu schwitzen. Seine Brust hebt sich heftig, eine kurze Berührung an seinem Hals sagt mir, dass sein Puls viel zu schnell ist.

Panik überkommt mich. Meine Hände krallen sich in seine Schulter und rütteln gewaltsam an ihm. „Damien! Damien, bitte! Du darfst nicht sterben! Wir bekommen doch ein Baby! Du darfst mich nicht verlassen, nicht jetzt, bitte!“

Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht an seinem nassen Hals und kralle mich an ihm fest. „Bitte... Damien...“, flüstere ich verzweifelt in die Kuhle oberhalb des Schlüsselbeins und drücke einen Kuss auf die Haut, die ich so sehr vermisst habe.

Plötzlich scheint das Leben wieder in seinen Körper zurück zu kehren denn er regt sich schwach unter mir.

„Alex?“, flüstert er krächzend und ich schluchze auf. „Ja, ich bin hier. Damien, bitte, schau mich an. Mach die Augen auf.“ Ich löse mich von ihm und tätschle erneuert seine Wangen. Seine Augenlider zucken, dann flattern sie.

Seine Augen sind glasig und seine Pupillen geweitet, aber dennoch schaut er mich an. Mehr oder weniger.

„Alex...“, murmelt er erleichtert und schliesst flatternd wieder seine Lider. Obwohl ich noch immer Angst um ihn verspüre, nehme ich erleichtert wahr, dass sein Pulsschlag runter gegangen ist und die Schweissausbrüche aufgehört haben. Seine Brust verfällt in einen regelmässigen Rhythmus und er nuschelt nur noch hin und wieder unzusammenhängendes Zeug.

Mit Hilfe von Meg und Franky, die die Szene stumm beobachtet haben, hieve ich ihn zurück auf sein Bett und lege mich dicht neben ihn. Franky starrt mich mit gehobenen Augenbrauen an. „Du bist also schwanger, ja? Ich wusste es!“ Im ersten Moment will ich es abstreiten, aber dann überlege ich es mir anders.

„Ja“, erwidere ich schlicht und schmiege mich an Damien, der sich an mich klammert und leise Worte murmelt, die ich nicht verstehe.

 

Die beiden verschwinden bald darauf und lassen mich mit dem Riesenbaby alleine, das noch immer hin und wieder leise Dinge vor sich hin nuschelt.

Ich drehe ihm das Gesicht zu und beobachte ihn stumm. Meine Finger gleiten automatisch in sein volles, weiches Haar, das sich in Strähnen um sie wickelt. Damien seufzt leise und schlingt seine Arme unerbittlich um mich.

Unter normalen Umständen wäre mir das unangenehm gewesen, aber jetzt geniesse ich es mehr als alles andere.

„Damien... Mein süsser, dummer, sexy Damien...“, flüstere ich leise und zeichne sanft seine Lippen nach.

Bartstoppeln zieren sein unrasiertes Kinn, unter seinen Augen entdecke ich dunkle Ringe.

Er riecht wie eine Schnapsdrossel, dennoch schmiege ich mich noch enger an ihn, küsse zärtliche seine Wange und schliesse schliesslich meine Augen.

 

„Alex?“

Damiens verschlafene Stimme dringt in meine unruhigen Träume. Ich murre leise und presse mich enger an die Wärmequelle, die sich mir zu entziehen scheint. „Nicht“, bettle ich leise und kralle meine Finger in warmes Fleisch.

„Alex? Bist du das wirklich? Ist das ein Traum?“ Damiens verwunderter Ton lässt mich aufhorchen. Warum sollte ich es nicht sein? Natürlich bin ich es! Obwohl... warum genau wache ich neben Damien auf? Und warum riecht es hier so verdammt nach einer Schnapsbrennerei?

Blinzelnd öffne ich meine Augen und starre direkt in zwei dunkle Seen.

Oh man, was habe ich dieses Gesicht vermisst...

„Damien“, murmle ich völlig durch den Wind und versinke in seinen Augen.

„Was zum Teufel tust du hier?!“, zischt er wütend und starrt mich böse an.

Moment mal! Wenn jemand hier Grund hat, wütend zu sein, dann ja wohl ich!

„Was ich hier tue?! Du verdammtes Arschloch hast dich fast ins Koma gesoffen! Weisst du eigentlich, was für einen riesigen Schrecken du mir eingejagt hast?!“, fauche ich ihm entgegen und erhebe mich mit hoch erhobenem Haupt. „Truck!“ Meine Stimme gleicht einem wutentbrannten Drachen, der kurz davor steht, ein ganzes Dorf niederzuwalzen.

Der bullige Riese erscheint in der Tür und mustert uns verwirrt. „Was ist denn hier los?“

„Dieses Arsch ist wieder einmal ignorant und überheblich, wie nicht anders zu erwarten! Bring mich sofort Nachhause, meine Aufgabe hier ist getan. Es geht ihm ja wieder besser!“

Zornig stampfe ich an ihm vorbei und ignoriere den überraschten Laut von Damien.

Man, unser Wiedersehen habe ich mir wirklich anders vorgestellt. Aber das zeigt ja mal wieder, wie sehr ich mich in ihm getäuscht habe. Er liebt mich nicht und hat es wohl auch nie.

Du bist so naiv, Alex, schimpfe ich in Gedanken mit mir.

„Alexandria! Du bleibst sofort stehen!“, donnert Damiens typische Sklaventreiberstimme direkt hinter mir und zwingt mich augenblicklich dazu stehenzubleiben. Noch immer hat er diese dominierende Wirkung auf mich, wie ich resigniert feststelle.

„Was willst du denn noch von mir?!“ Wütend verschränke ich die Arme vor der Brust und starre ihn böse an. „Du sagst mir jetzt sofort, was passiert ist! Und was du hier zu suchen hast!“

Er bleibt dicht vor mir stehen, die Arme ebenfalls vor der Brust verschränkt, das Kinn genauso trotzig erhoben, wie ich.

Plötzlich fallen mir die dunklen Ringe unter seinen Augen wieder auf und ein Hauch von Sorge vertreibt für einen kurzen Moment meine Wut. Er muss schreckliche Kopfschmerzen haben! Aber natürlich zeigt er das nicht. Nein, er versteckt seine Gefühle mal wieder hinter seiner eisernen Maske! Dieser Feigling.

„Ich höre.“

Soll ich ihm wirklich erzählen, wie ich ihn gefunden habe? Kann er sich noch an das Gespräch erinnern? Weiss er, dass ich... schwanger bin?

Vermutlich nicht. Oder er ignoriert es einfach.

„Kannst du dir das nicht denken?“, zische ich zurück und verenge meine Augen zu Schlitzen. „Truck ist zu mir gekommen. Ich hab mitbekommen, dass du in den letzte Wochen immer wieder solche Saufgelage abgezogen hast! Also bin ich hergekommen, weil Truck mir was vorgejammert hat, von wegen du würdest ständig nach mir rufen.“

Zum ersten Mal nehme ich eine andere Gefühlsregung als Wut in seinem Gesicht war. Erschrecken.

„Ich soll nach dir gerufen haben? Wie ein kleines Baby, ja?“ Er hebt eine Augenbraue, ehe er plötzlich herumwirbelt und anklagend mit dem Finger auf Truck deutet. „Sag mir, dass das nicht stimmt! Sag mir, dass das eine Lüge ist!“ Selbst ich höre die flehende Verzweiflung in seiner Stimme.

Truck zögert sichtbar, senkt dann allerdings den Blick und nickt knapp. „Ja, Damien. Es ist die Wahrheit. Du hast nach ihr geschrien und gejammert. Was hätte ich denn tun sollen? Dich einsperren und warten, bis du dich wieder beruhigst? Nein, das konnte ich nicht.“

Damien sinkt wie ein Häufchen Elend in sich zusammen und lässt sich auf sein Bett fallen.

Unruhig klammere ich mich am Türrahmen fest und beobachte den grossen Mann, der plötzlich unglaublich zerbrechlich wirkt. Vor lauter Nervosität vergraben sich meine Zähne in meiner Unterlippe, bis ich den metallenen Geschmack von Blut auf der Zunge schmecke.

„Aber da war doch noch etwas!“, ruft Damien plötzlich aus und wirft mir einen seltsamen Blick zu. „Ich kann mich genau erinnern, dass da gestern etwas war! Du hast irgendwas gesagt... Bloss was?“ Jetzt ist er es, der sich unruhig auf die Lippen beisst und angestrengt nachdenkt.

Ich kralle meine Finger schmerzhaft ins Holz und presse meine Lippen zusammen. Oh Gott, gleich wird er es sagen! Gleich wird er sich erinnern!

„Aber natürlich! Du hast mich „mein süsser, sexy Damien“ genannt!“, ruft er aus. „Ich weiss und es tut mir auch unendlich leid, dass du es auf diesem Weg und erst jetzt erfahren hast! Aber ich wusste nicht – Moment mal. Wie bitte?“ Entgeistert starre ich ihn an. Eigentlich habe ich gedacht, er würde sich an das Geständnis meiner Schwangerschaft erinnern, und nicht daran! Abgesehen davon, dass er das „dumm“ ausgelassen hat. Er ist nicht nur süss und sexy, sondern auch dämlich. Nur dumme Menschen besaufen sich bis ins Koma, das ist jedenfalls meine Meinung,

Aber irgendwie ist es ja auch süss, wie sehr er sich darüber freut, dass ich ihn so genannt habe. Bliebt nur noch zu hoffen, dass...

„Was hast du denn gedacht, an was ich mich erinnern würde?“, hakt er auch schon mit zusammengekniffenen Augen nach und beobachtet jede Regung in meinem Gesicht.

„Ich... äh... nichts?“ Stotternd weiche ich einen Schritt zurück und sehe hilfsuchend zu Franky, der uns stumm beobachtet hat und jetzt entschuldigend die Achseln zuckt. „Süsse, du musst es ihm sagen“, murmelt er leise und wirft seinem Boss und besten Freund einen kurzen Blick zu. „So bald wie möglich.“

„Nein!“, trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust und hebe das Kinn. Ganz bestimmt nicht, werde ich ihm jetzt gleich auf die Nase binden, dass ich schwanger bin!

„Fahr mich nachhause, Truck!“

„Du fährst nirgends hin, solange ich nicht weiss, was hier läuft!“, zischt Damien plötzlich gefährlich leise und erhebt sich mit einer typisch fliessenden Bewegung, die ihm das gewisse Etwas von einem Raubtier schenkt. Und genau so schleicht er jetzt auch auf mich zu. Wie gelähmt bleibe ich stehen und versuche meine Haltung zu bewahren.

Keine fünf Zentimeter vor mir bleibt er stehen und schaut ausdruckslos auf mich runter.

Ich ertrage seinen Blick nicht und starre deshalb lieber auf die breite Brust vor mir.

„Du stinkst!“, entfährt es mir, als mir eine Welle von abgestandenem Alkohol entgegen kommt. Naserümpfend wedle ich den Geruch weg. „Ich werde duschen, aber erst, wenn du mir verraten hast, was du mir verheimlichst. Und zwar jetzt, augenblicklich.“

Damiens Stimme hört sich kalt und berechnend an, aber die Ungeduld schwingt so deutlich mit, dass ich fast schon automatisch den Mund öffnen will, um ihm alles zu gestehen. Im letzten Moment kann ich mich davon abbringen und klappe den Mund wieder zu. „Vergiss es“, erwidere ich stattdessen standhaft und versuche einen weiteren hilfsuchenden Blick an seiner breiten Brust vorbei Franky entgegen zu werfen. Doch dieser konzentriert sich fest auf seine Fingernägel und ignoriert meinen stummen Hilfeschrei.

„Sag es mir, Alexandria“, säuselt Damien und hebt wie in Zeitlupe seine linke Hand. Automatisch weiche ich noch mehr zurück und berühre mit der rechten Schulter die Wand.

Damien verfolgt mich schritt für schritt und legt seine Hand schliesslich zärtlich auf meine Wange.

Der kaum spürbare Körperkontakt gibt mir den Rest. Zitternd lehne ich mich an die Wand, krampfhaft versuchend, meine einknickenden Beine unter Kontrolle zu bringen.

„Sie ist schwanger, verdammt!“, donnert plötzlich Frankys laute Stimme hinter uns. Ich erstarre zu Stein. Scheisse!

Augenblicklich macht Damien ein Schritt zurück und ich schliesse vor Verzweiflung die Augen. Genau mit dieser Reaktion habe ich gerechnet, genau deswegen wollte ich nicht, dass er es weiss! Er weist mich ab. Einfach so. Ein Kind passt nicht in sein Leben. Und schon gar nicht zu seinem Lebensstil. Der Schmerzt geht tiefer, als gedacht und raubt mir den Atem.

Ohne die Augen zu öffnen, weiss ich, dass Damien mich fassungslos anstarrt. Gleich wird er sich abwenden und gehen.

Ich höre Schritte, die sich schnell entfernen, dann eine Tür, die zu schlägt.

Die Ohnmacht überkommt mich sofort und ich versinke in tiefem Schmerz und Leid.

 

„Alex. Alex, bitte, wasche auf!“ Megs Stimme hallt in meinem leeren Kopf wieder, aber ich reagiere nicht. Ich bin längst wieder wach, aber der Schmerz hält mich in einem tranceartigen Zustand fest. Damien ist weg. Franky hat es vorhin Meg erzählt. Er ist einfach gegangen. Ach, mein kleines Würmchen. Du stellst hier alles auf den Kopf. Warum konntest du nicht noch ein paar Jahre warten, bis ich wieder mit Damien zusammen bin und wir eine glückliche Beziehung führen? Wunschdenken, ich weiss. Aber vielleicht wäre irgendwann wirklich... Nein, Alex! Wenn er so reagiert, dann ganz bestimmt nicht.

Wieder fühle ich den Schmerz und krümme mich zusammen. Es zerreisst mein Herz, nur der Gedanke an mein Baby lässt nicht zu, dass ich meinen Verstand ganz verliere.

„Alex, Liebes. Komm schon, mach deine Augen auf“, flüstert Frankys besorgte Stimme dicht an meinem Ohr. Am liebsten würde ich aufspringen und ihn eigenhändig erwürgen, aber meine Kraft reicht nicht dazu aus. Ich schaffe es noch nicht einmal meine Lider zu heben. Stattdessen kneife ich sie noch fester zu und presse die Lippen zusammen.

Ich habe verloren. Schon wieder.

 

Erst am nächsten Morgen beruhige ich mich wieder etwas, sodass ich immerhin meine Augen öffnen kann.

Es ist noch dunkel, aber der Himmel färbt sich schon blau. Scheiss auf den Himmel! Scheiss auf die ganze Welt.

Ich kneife meine Augen wieder zusammen und versuche mich zu orientieren. Ich liege auf dem Bett von Damien, kann sogar seinen körpereigenen Duft riechen. Mir wird übel.

Nur mit Mühe kann ich den Würgedrang unterdrücken, rapple mich aber dennoch auf. Mein Körper fühlt sich ungewohnt schwach und kränklich an, so als wäre ich tagelang im Bett gewesen.

Mit wackligen Beinen stehe ich auf und knicke fast sofort wieder ein. Mit letzter Kraft halte ich mich am Bettpfosten fest und warte, bis meine Beine wieder etwas fester werden und mein Körpergewicht tragen. Mit trägen Schritte stolpere ich nach einer halben Ewigkeit los und öffne die Tür links. Ein geräumiges Bad kommt zum Vorschein. Langsam schleppe ich mich hinein und setze mich erschöpft auf den Klodeckel. Das Bad ist vollkommen aufgeräumt und sieht aus, wie in einem Hotel. Unberührt und steril. Nichts persönliches von Damien steht hier herum, kein Kamm, kein Deo, nicht einmal seine Zahnbürste entdecke ich. Das passt zu ihm. Meine Lippen verziehen sich zu einem kläglichen Lächeln, das gerade noch so als zynisch bezeichnet werden könnte.

Mein Blick bleibt am körpergrossen Spiegel hängen und ich schnappe entsetzt nach Luft.

Oh man, so scheisse sah ich schon lange nicht mehr aus!

Meine Haare hängen stumpf runter, meine Augen sind rot, geschwollen und glanzlos. Ich sehe aus, wie ein sehr hässliche Porzellanpuppe, die jeden Augenblick zerbrechen könnte. Und genau so fühle ich mich auch. Dummer Damien. Warum musst du mir auch immer wieder so wehtun?

Langsam erhebe ich mich wieder und trete an das weisse Waschbecken. Eiskaltes Wasser kommt aus dem Hahn, als ich ihn aufdrehe, und ich zucke zurück. Dann überwinde ich mich aber dazu, die Hände darunter zu halten und mir einen Schwall ins Gesicht zu spritzen. Sofort spüre ich die erfrischende Wirkung, wenn auch nicht besonders intensiv. Meine Haare hängen mir in nassen Strähnen ins Gesicht, aber ich geniesse die Kälte, die sie ausstrahlen.

„Alex? Alex, wo bist du?“ Oh nein, auf den habe ich jetzt wirklich keine Lust! Ich beschliesse Franky zu ignorieren und spritze mir noch eine weitere Ladung eisiges Wasser ins Gesicht.

„Ach, hier bist du! Ich hab dich schon gesucht. Geht's dir wieder besser?“

Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, wiederhole ich die Prozedur ein weiteres Mal. „Alex, ich weiss, du bist sauer auf mich. Und es tut mir auch Leid, aber denk bitte auch daran, dass er mein bester Freund ist und er ein Recht darauf hat, es zu erfahren!“ Ich ignoriere ihn weiterhin und schiebe mich einfach ihm vorbei. Mein Lebenswille ist wieder da, was vermutlich an der Wut auf Franky liegt.

Dieser folgt mir auf Schritt und Tritt. „Ignorierst du mich etwa?“ Schlau erkannt, Sherlock.

„Ach komm schon, Alex! Das kannst du mir nicht antun“, bettelt er. Am liebsten würde ich ihn jetzt mit meinen Blicken erdolchen, überwinde mich aber dann doch dazu, ihn keines Blickes zu würdigen.

Franky setzt sich aufs Bett und beobachtet mich, wie ich ruhelos durchs Zimmer laufe. „Er ist weg“, murmelt er irgendwann. Ich weiss. Und das nur deinetwegen!

Ich bleibe stehen, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Ich fühle mich noch immer unruhig, will weg und gleichzeitig nie wieder verschwinden.

Mit einem erschöpften Seufzen lasse ich mich schliesslich an der Wand hinunter gleiten und betrachte meine Fingernägel.

Sie sind kurz. Interessant.

Mehrere Mal schlage ich leicht mit meinem Hinterkopf gegen die Wand hinter mir und beisse mir heftig auf die Lippen.

Wieder steigt mir Damiens Duft in die Nase und ich schniefe leise.

„Fahr mich Nachhause. Ich habe hier nichts mehr verloren.“ Ich habe bereits alles, was mir wichtig ist, verloren. Ausser meinem kleinen Würmchen ist da niemand mehr.

Franky, scheinbar froh darüber, dass ich wieder mit ihm spreche, springt sofort wieder auf und sagt hastig zu.

Ich verabschiede mich knapp von Meg, die im Türrahmen erschienen ist und mich einen Moment lang besorgt gemustert hat.

Danach verlasse ich mit grossen Schritten Damiens Haus und warte ungeduldig vor Frankys Wagen. Fröstelnd umarme ich meinen Oberkörper, als ein kühler Wind über meine Haut streichelt. Der Himmel ist grau, es sieht nach Regen aus. Wen interessiert's?

Franky wirft einen kurzen, suchenden Blick in Richtung Wald und ich tue es ihm automatisch gleich. Natürlich entdecken wir nichts von ihm. Wenn er hier in der Nähe wäre, dann würde er sich vermutlich hinter einem der dichten Bäume verstecken, der Feigling. Alex, sieh es einfach ein. Er will dich nicht sehen, also mach dir auch keine Hoffnung, dass er jetzt plötzlich angerannt kommt, auf die Knie geht und um Vergebung bettelt, staucht mich meine innere Stimme zusammen und ich stimme ihr ergeben zu.

Traurig seufzend lasse ich mich neben Franky in den Wagen gleiten und schaue aus dem Fenster. Er soll bloss nicht auf die Idee kommen, jetzt zu quatschen.

Franky scheint mich zu verstehen und dreht das Radio etwas lauter. Eine raue, krächzige Raucherstimme erzählt davon, wie scheisse die Liebe ist und ich stimme ihr von ganzem Herzen zu. Ja, du unbekannter, schlecht singender Typ. Du sprichst mir aus der Seele, allein dafür solltest du für den Grammy nominiert werden. Oder ein Oscar bekommen.

 

Franky hält vor meinem Appartement und beobachtet stumm, wie ich die Tür aufstosse. „Alex?“ Obwohl ich rein gar keine Lust auf irgendwelche Bemitleidigungen oder Sonstiges habe, halte ich inne. „Es wird sich alles wieder einrenken. Ich verspreche es“, flüstert er nach einem Moment des Schweigens. Ich antworte nicht und verlasse den Wagen. Ohne mich nochmal umzudrehen laufe ich zur Haustür und betrete das Treppenhaus. Doch anstatt nach oben zu laufen, gehe ich die Treppe runter, in den Wäschekeller.

Hier unten ist niemand ausser einem einsamen Sessel, der hier wohl schon seit Jahrzehnten herumsteht, dem Aussehen nach zu urteilen.

Ich benutze den Wäschekeller nie, weil ich meine eigene Wachmaschine und einen Trockner besitze. Aber manchmal, wenn es mir wieder einmal richtig beschissen geht, ich aber nicht raus will, verkrieche ich mich hier unten. Manchmal besucht mich Edith, die Katze des Nachbars. Jedes Mal muss ich über den bescheuerten Namen lachen, aber die Katze ist wirklich ein süsses Ding, die die Kunst des Tröstens ausgezeichnet versteht.

Ich lasse mich in den Sessel fallen und höre tatsächlich schon nach wenigen Minuten ein leises Maunzen. Im nächsten Augenblick springt ein schwarzes Fellknäuel auf meinen Schoss und macht es sich dort gemütlich.

Automatisch fahren meine Hände in das weiche Fell und beginnen damit, die Katze zu streicheln, die sofort anfängt zu schnurren.

Grosse, hellgrüne Augen beobachten mich ruhig, Ediths Kopf schmiegt sich an meine Hand, als würde sie mich ganz genau verstehen. „Ach, meine Süsse... warum kannst du nicht ein Mensch sein?“, frage ich sie leise und drücke ihr geistesabwesend einen Kuss auf den weichen Kopf. „Manchmal hätte ich wirklich die grösste Lust, mich in den nächsten Fluss zu stürzen, oder ein paar Schlaftabletten zu kaufen und sie alle zu schlucken. Aber ich kann nicht.“ Die Katze miaut leise, als würde sie mich fragen, warum.

„Wegen meinem Würmchen“, murmle ich und lege meine linke Hand kurz auf meinen Bauch. Langsam habe ich das Gefühl, der ist ein bisschen grösser geworden, aber das kann durchaus auch Einbildung sein.

 

Ich kann mich nicht mehr wirklich daran erinnern, wie ich schlussendlich doch noch in meine Wohnung gekommen bin. Der letzte Abend versinkt in einem Schleier aus Trauer und Schmerz. Edith hat mich mal wieder getröstet und die Nacht in meinem Bett verbracht.

Es geht mir wieder ein wenig besser, sodass ich mich dazu entschliesse, heute zur Arbeit zu gehen. Gestern habe ich mich schliesslich noch nicht einmal abgemeldet, wie mir plötzlich siedend heiss einfällt.

Also kann ich heute keinesfalls fehlen.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch genügend Zeit habe, um zu duschen und gemütlich zu frühstücken, obwohl ich das auch gerne mal im Café Alice mache.

Allerdings wird mir diese Entscheidung rasch abgenommen, als ich den Kühlschrank – gähnende Leere – öffne und danach noch kurz in die Brotschüssel schaue – ebenfalls gähnende Leere. Also gibt es heute wohl frische, warme Croissants direkt aus dem Ofen, mit Liebe zubereitet „hust“, von unserem liebenswerten Koch, Mr. Salister.

Edith stelle ich noch eine Schüssel Milch hin und öffne das Fenster, damit sie später wieder raus kann, dann verlasse ich auch schon mein Appartement. Mittlerweile fühle ich mich wieder etwas besser, allerdings nur, weil ich krampfhaft jeglichen Gedanken an Damien vermeide. Was jedoch nur... mittelmässig funktioniert. Aber nun gut. Die Arbeit wird mich schon ablenken.

 

Tatsächlich geht es dort schon hektisch zu, als ich herein komme – und dass, obwohl noch nicht geöffnet ist! Daniel, unser „geliebter“ Mitarbeiter macht wohl wieder Stress. Er ist dafür bekannt, sich als Boss aufzuspielen und hat den Hang zum Herumkommandieren.

Eine Welle der Übelkeit kommt in mir auf und ich mache noch einen kurzen Abstecher zur Toilette, um die Kloschüssel in eine Umarmung zu schliessen. Ihr versteht schon. Es wundert mich, dass mich die Morgenübelkeit bisher weitgehendst immer wieder mal eine Zeit lang in Ruhe lässt, ehe sie dann wieder mit voller Kraft zuschlägt.

Zu meinem Pech hat mich meine Kollegin, Anna, gesehen und ist mir gefolgt. „Bist du etwa krank, Süsse?“ Sie kommt näher und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Anna ist ein sehr herzlicher Mensch, der in meinen Augen einfach nur zu gut für diese Welt ist. Wenn ein Wildfremder sie darum bitten würde, vor einen Zug zu springen, um dessen Sohn zu retten – sie würde es mit 100 Prozentiger Sicherheit tun. Besorgt betrachtet sie mich. „Nein, nein. Alles in Ordnung.“ Ich schiebe sie ein wenig zur Seite, um mir den üblen Geschmack aus dem Mund zu spülen. „Du bist doch nicht etwa schwanger? Warst du deshalb gestern nicht da?“ Ohne es zu wollen, hat sie mir hiermit die perfekte Ausrede geliefert, um mich für gestern zu entschuldigen. Dankbar nicke ich und finde mich Sekunden später in einer warmen Umarmung. „Herzlichen Glückwunsch!“ quiekt sie und strahlt mich an. „Oh, das müssen wir sofort den anderen erzählen!“ Sie packt mich an der Hand und zerrt mich, ohne auf meine Gegenwehr zu achten, nach vorne.

„Alex ist schwanger!“

Na toll. Alle, aber auch wirklich alle Augenpaare liegen jetzt auf mir. Dann kommen sie auch schon auf mich zugestürzt, um mich von einer Umarmung in die nächste zu schieben. Na danke, Anna.

Kaum ist der Ansturm vorbei, kommt die nächste Herausforderung. Anna zupft leicht an meinem Ärmel, um mich auf sich aufmerksam zu machen. „Der Boss will dich sprechen.“ Ich verziehe das Gesicht und bin versucht, so zu tun, als würde mir wieder übel werden. Aber schliesslich lasse ich das lieber und füge mich.

Garry Kraft ist ein Mann, der seinem Nachnamen alle Ehre macht. Er ist ein Riese und verdammt muskulös. Und dazu auch noch in Besitz eines verdammt guten Gehirns! All das macht ihn zu einem erfolgreichen, furchteinflössenden und selbstsicheren Geschäftsmann. Seine Frau, Alice, nach der auch das Café benannt ist, ist das genaue Gegenteil von ihm. Klein, zierlich, sanft, liebenswürdig und voller Mitleid für jedes Wesen da draussen. Anna könnte gut und gern ihre Tochter sein, vom Charakter her jedenfalls. Alice ist übrigens auch die grösste Schwäche von Garry, denn er vergöttert seine Frau geradezu. Und sie ihn.

Ich mag sie beide sehr gerne, aber trotzdem habe ich jedes Mal eine Heidenangst, wenn mich Garry nach hinten ruft. Ich will diesen Job nicht verlieren und der Gute ist ziemlich genau, was die Arbeit seiner Untergebenen betrifft. Ein Fehler ist okay, aber wehe es werden zwei!

„Hallo, Miss Diver. Wo waren Sie gestern?“ Direkt, wie üblich. Ich unterdrücke ein Seufzer und setze mich auf den Stuhl ihm gegenüber. „Mir ging es nicht gut, da ich von meiner Schwangerschaft erfahren habe“, murmle ich und senke den Blick auf meinen Schoss. Es ist mir peinlich, ihm eine Lüge aufzutischen. Obwohl, so gelogen ist es ja noch nicht einmal. „Sie sind schwanger?“ Garry scheint ernsthaft überrascht zu sein, was mich aber nicht wundern sollte, schliesslich habe ich nie von einem Freund oder Ehemann gesprochen. Und auch in meinen Unterlagen steht nichts von dergleichen.

„Ja, Mr. Kraft. Ich bin im zweiten Monat.“ Er nickt und scheint zu überlegen. „Nun gut. Da Sie bisher sehr gute Arbeit geleistet haben, werde ich über ihr gestriges Fehlen hinwegsehen. Wie lange möchten Sie noch arbeiten?“ Dankbar nicke ich ihm zu. Seine letzte Frage allerdings bringt mich wiederum zum Nachdenken. Daran habe ich gar nicht gedacht! „So lange, es geht.“ Er ist zufrieden mit dieser Antwort und entlässt mich schliesslich wieder. Erleichtert gehe ich wieder nach vorn und beginne mit der Arbeit.

 

Der Tag vergeht schnell und ehe ich mich versehe, ist es auch schon halb sechs Uhr abends. Anna begleitet mich noch ein Stück nachhause und versucht mich dazu zu überreden, eine Babyparty zu schmeissen. Vehement wehre ich diese Idee ab. Irgendwie bin ich froh, als sie bei der nächsten Kreuzung einen anderen Weg gehen muss und ich sie endlich loswerde.

Kaum ist sie weg, überkommen mich wieder die Gedanken an Damien. 'Nein, Alex! Du denkst jetzt nicht an dieses Arschloch!'

Immer und immer wieder wiederhole ich diesen Satz in Gedanken, erreiche damit allerdings nur, dass sein Gesicht die ganze Zeit über vor meinem inneren Auge schwebt. Wenn euch jemand sagt: „Stell dir jetzt keinen blauen Elefanten vor“, was stellt man sich dann vor? Ja, genau. Einen blauen Elefanten.

Als ich vor meinem Appartement ankomme, überlege ich kurz, ob ich mich nicht noch in den Wäschekeller verziehen sollte, überwinde mich dann aber dazu, sofort in die Wohnung rauf zu gehen. Kaum öffne ich allerdings die Tür, schlägt mir ein übler Geruch entgegen. Eklig süss, verrottet, fast, als hätte jemand eine Leiche vor mich gelegt. Mit angehaltenem Atem schliesse ich leise die Tür und werfe einen Blick in jedes Zimmer. Im Wohnzimmer ist der Gestank so heftig, dass es mich fast umhaut. Meine Augen gleiten zu dem Fenster, das ich heute Morgen für Edith geöffnet habe. Entsetzt starre ich auf das total verweste Tier, das fein säuberlich auf der Fensterbank liegt. Was zum Teufel ist das? Mit zugehaltener Nase trete ich näher zu dem Kadaver und versuche herauszufinden, was das mal war. Der Grösse und dem dünnen Schwanz nach vermutlich eine ziemlich grosse Ratte. Igitt.

Mein Magen kehrt sich, als ich eine Made entdecke, die munter im Fleisch wühlt. Würgend wirble ich herum, rase ins Bad und übergebe mich zum zweiten Mal an diesem Tag.

Im Bad ist der Gestank zum Glück nicht ganz so allgegenwärtig und verschwindet auch recht schnell wieder, als ich das Fenster weit aufreisse. Was soll ich denn jetzt bloss machen? Polizei anrufen? Den Kadaver zum Tierarzt bringen? Oder einfach vergraben? Ich entscheide mich für letzteres und schnappe mir ein paar Einweghandschuhe, einen Abfallsack und meine Notfallschaufel. Nach kurzem überlegen wickle ich mir noch einen Schal um, den ich in meine Schmutzwäsche geworfen habe. Obwohl er leicht müffelt, stecke ich meine Nase tief rein und verlasse so ausgerüstet das Bad. Mit grosser Überwindung schaffe ich es schliesslich, das Vieh in den Abfallsack zu schieben und verschliesse ihn sofort. Dann reisse ich alle Fenster auf und verlasse meine Wohnung samt Sack und Schaufel.

Das Appartement besitzt zwar einen Garten, aber um ehrlich zu sein, habe ich wirklich keine Lust, dort dieses Ding zu vergraben, weshalb ich lieber zum Wald fahre und mich dort im Unterholz an die Arbeit mache. Irgendwie komme ich mir ein wenig vor, wie ein Mörder, der sein Opfer im Wald vergräbt. Immer wieder überkommt mich der Würgereiz, aber ich schaffe es, mich nicht nochmal zu übergeben. Die Schaufel ist nicht besonders gut und der Boden ziemlich hart weshalb ich eine ganze Weile brauche, bis das Loch tief genug ist, damit nicht gleich der nächste Hund nach dem Kadaver sucht und ihn wieder frei gräbt.

Nach getaner Arbeit fahre ich wieder zurück und bin unheimlich froh, dass der üble Gestank mittlerweile mehr oder weniger wieder verflogen ist.

Erschöpft hole ich Putzzeug und Desinfektionsmittel, um auch noch die Fensterbank sauber zu machen. Es ist bereits nach zehn Uhr, als ich endlich fertig bin und mich müde in meinen Sessel fallen lasse.

Mein Blick fällt auf den zweiten Sessel, der direkt vor der Fensterbank liegt, aber nicht der Sessel selbst, sondern das, was darunter hervorblitzt fesselt meine Aufmerksamkeit. Da liegt ein Stück Papier!

Ich bin zwar nicht gerade der ordentlichste Mensch, aber durch meine ganzen Ablenkungsversuche von IhrWisstSchonWem – oh man, ich mache hier schon einen auf Harry Potter! – hatte ich in letzter Zeit häufig Putzattacken, weshalb es hier weitgehendst sauber blieb. Und dieser Zettel lag heute Morgen definitiv noch nicht da!

Neugierig hebe ich ihn auf und entfalte ihn.

Das, was ich darin lese, entfesselt pures Entsetzen in mir.

 

„Dreckiges Miststück! Du wirst bezahlen! Und dein Bastard wird auch noch dran glauben! Es wird Blut fliessen, Schlampe!“

 

Nicht nur die Worte selbst sind es, die mich so sehr entsetzen, sondern die Farbe mit der sie geschrieben wurden. Rotbraun, wie getrocknetes Blut.

Als hätte ich mich verbrannt, lasse ich den Brief augenblicklich fallen und starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Scheisse! Was soll ich denn jetzt machen? Panik überkommt mich und mein ganzer Körper beginnt zu zittern. Meine Beine knicken ein und ich sinke in den Sessel zurück. Mein Baby! Es ist in Gefahr! Aber wer könnte so grausam sein? Damien? Nein, nicht einmal er, selbst wenn er dieses Kind nicht will! Niemals würde er auf eine solch kranke Idee kommen! Wenn er mir Angst einjagen wollte, hätte er weitaus effektivere Methoden. Mit einem leisen Schaudern denke ich an seine Schlange Lucy. Vor diesem Vieh hab ich nämlich verdammt Respekt und auch eine gewisse Angst. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Schlangen, aber nur in zehn Meter Entfernung.

Aber wenn es nicht Damien war, wer dann? Wer würde auf eine solche Idee kommen? Und überhaupt, wie ist derjenige so hoch gekommen? Mein Appartement liegt immerhin im dritten Stock! Schnell springe ich auf, umgehe den Zettel weitgehendst, und öffne das Fenster erneuert, um mich weit hinauszubeugen. Links daneben finde ich schliesslich auch die Art, wie derjenige rauf gekommen sein muss. Dort befindet sich nämlich eine Feuerleiter, die sich über die gesamte Wand zieht, bis hoch auf das Dach. Verdammt. Das heisst also, ich darf dieses Fenster nicht mehr öffnen.

Kurz denke ich darüber nach, zur Polizei zu gehen, dann fällt mir aber ein, dass diese bestimmt meine Hintergrundgeschichte wissen wollen und das tote Tier sehen möchten. Der einzige Anhaltspunkt wäre demnach dieser Zettel. Und ich kann noch nicht einmal herausfinden, ob die Farbe wirklich Blut ist, oder einfach nur billiges Kunstblut. Oder wer weiss, ganz normale Farbe?

Erschöpft lasse ich mich wieder in meinen Sessel sinken und schlinge die Arme um meine Knie. Warum hasst mich das Leben so? Zuerst die Entführung, dann musste ich mich auch noch in Damien verlieben, jetzt bin ich schwanger, er weist mich ab und jetzt auch noch das! Irgend ein Verrückter will mir an die Gurgel, wie es aussieht. Verdammt, ich halte das nicht mehr aus!

Mein Körper beginnt zu zittern und ich bekomme eiskalt.

Jetzt wo Damien von dem Baby weiss, wird er kein Interesse mehr an mir haben. Vielleicht wird er sogar seine Späher abziehen. Und wer beschützt mich dann noch? Oder mein kleines Würmchen?

Angst kriecht in mir hoch und raubt mir den Atem. Was, wenn mich dieser Verrückte tatsächlich aufsucht und mir etwas antut? Oder dem Baby? Wenn jemand schon so skrupellos ist und eine tote Ratte auf mein Fensterbrett legt, wird er bestimmt nicht zögern, mir körperliche Schmerzen zu zufügen. Oh Gott.

Ich schnappe nach Luft, aber irgendwie bekomme ich nichts in meine Lunge. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Oh mein Gott, ich bekomme keine Luft mehr! Panisch fasse ich mir an den Hals, doch es nützt nichts. Schwarze Punkte erscheinen vor meinen Augen, dann versinke ich in einer tiefen Ohnmacht.

 

Irgendwie scheint es langsam zur Gewohnheit zu werden, mit einem brummenden Schädel aufzuwachen. Und das, obwohl ich momentan keinen Alkohol trinken darf! Wie unfair.

Stöhnend rapple ich mich auf und komme schwankend auf meine Beine. Was ist bloss passiert?

Meine Augen fallen auf den Brief. Siedend heiss fällt mir alles wieder ein. Ich schnappe nach Luft, als sich alles um mich herum zu drehen beginnt. Wankend halte ich mich an der Sessellehne fest, kralle meine Fingernägel regelrecht in das harte Leder.

Nach ein paar Minuten vergeht das Schwindelgefühl wieder und ich kann endlich normal durchatmen. Hat Dr. Klyros nicht was viel Ruhe und keinem Stress gesagt? Na, das zum Thema. Irgendwie scheint sich ja geradezu die ganzen Welt gegen mich verschworen zu haben. Ein Drama nach dem anderen. Wann hört das endlich auf? Der Stress bricht über mir zusammen und ich sinke wie ein Häufchen Elend zu Boden. Hemmungslos schluchzend vergrabe ich meinen Kopf zwischen meinen Knien und vergehe in tiefem Selbstmitleid. Erbärmlich, aber es tut unheimlich gut.

Als die Tränen getrocknet sind, geht es mir besser. Langsam erhebe ich mich, greife mir den Drohbrief und verstaue ihn ganz weit unten in meiner Schublade mit unbrauchbarem Kram. Ich werde nichts dagegen unternehmen, sondern einfach abwarten. Sollte nochmal etwas passieren, schalte ich die Polizei ein, so einfach ist das. Und was, wenn dieser Verrückte dich gleich holt?, will mein Verstand nüchtern wissen. Ich schüttle entschieden den Kopf. Derjenige, der mir das mit dieser Ratte angetan hat, wird noch weitere solche Aktionen machen. Er will mich aufhetzen, nervös machen. Ich weiss es ganz genau. Und genau deshalb werde ich ihn auch einfach ignorieren. Mehr oder weniger.

 

Dieser Vorsatz gerät allerdings ins Wanken, als ich drei Tage später von der Arbeit nachhause komme. Schon als mir im Gang wieder dieser hässliche Geruch entgegen kommt, zieht sich in mir alles zusammen. Was hat dieser Verrückte diesmal hier gelassen? Vorsichtig betrete ich das Wohnzimmer, kann jedoch nichts entdecken. Erst im Schlafzimmer werde ich fündig. Mitten auf meinem Bett liegt der Kadaver eines Frettchens. Die Tierleiche ist noch nicht so verwest, wie die der Ratte es war. Aber dennoch stinkt es unheimlich und sieht eklig aus. Würgend halte ich mir meinen Pullover vor die Nase. Und was jetzt? Polizei? Nein, erst werde ich diesen Brief suchen. Er hat mir bestimmt wieder eine Botschaft hinterlassen. Allerdings kann ich nichts im Schlafzimmer finden. Im Bad schon. Entsetzt starre ich die blutverschmierte Wand an. In grossen Lettern steht dort:

„Hallo Miststück! Hast du mich schon vermisst? Ich werde dir zeigen, was Angst ist, du verdammte Hure! Bluten wirst du! Ich werde dir deinen Bastard bei lebendigem Leibe raus schneiden!“

 

Schwankend stolpere ich zurück, stosse gegen den Türrahmen und stürze zu Boden. Die Angst überrollt mich so dermassen heftig, weshalb mein Körper einfach nur noch zusammenbricht. Die Tränen kommen in Sturzbächen und unaufhaltsam. Ein unkontrollierbares Zittern übernimmt die Macht über meine Gliedmassen. Bebend, schluchzend und vor Angst zitternd umklammere ich meine Beine und lasse all meinen Schmerz raus. „Warum tust du mir das an? Was habe ich dir angetan?“ Schluchzend werfe ich einen Blick in Richtung Himmel. Wenn es da oben wirklich so etwas, wie einen Gott gibt, soll er mich verdammt nochmal endlich schützen und diesen Spuk auffliegen lassen! Ich halte das nicht mehr aus! Ich zerbreche regelrecht unter dieser Last. Es ist einfach zu viel.

Ich verfalle in einen Zustand dem Delirium nahe. Es klopft laut an der Tür, aber ich höre es gar nicht. „Alex! Verdammt, ich weiss, dass du da bist! Mach diese beschissene Tür auf, ich muss mit dir reden!“ Obwohl ich Frankys Worte höre, reagiere ich in keinster Weise darauf. Selbst wenn ich es gewollt hätte, es wäre nicht gegangen. Die Angst hat meinen Körper in ihren Krallen. Unerbittlich.

Wieder donnert es mehrere Male laut an die Tür, dann verstummt der Krach und hinterlässt unheimliche Stille. Ich bekomme es gar nicht mit. Stattdessen streichle ich zärtlich über meinen Bauch und flüstere meinem Baby leise Liebkosungen zu. Für einen Aussenstehenden muss ich verrückt wirken. Schlichtweg psychisch nicht ganz normal. Aber ganz ehrlich, wer wäre das noch, nach meiner Geschichte? Nach diesem ganzen Scheiss hier? Ja genau, niemand. Jeder würde daran kaputt gehen. Und ich allen voran. Aber ich muss stark sein, allein schon wegen meinem Würmchen. Aber kann ich das denn auch? Probeweise versuche ich auf die Beine zu kommen, knicke allerdings unter der Last meines Körpers wieder ein. Erschöpft, zitternd und weinend rolle ich mich zusammen und wiege mich in einen Zustand zwischen Traum und Realität.

 

Es kratzt an der Tür. Dann knarrt es leise.

Sofort bin ich hellwach und sehen mich um. Noch immer befinde ich mich im Zwischengang zum Bad, das hell erleuchtet ist. Langsam wage ich einen Schritt hinein, weiche dann jedoch entsetzt wieder zurück, als mir die blutroten Buchstaben entgegen leuchten.

Schritte hinter mir lassen mich herumfahren. Doch da ist nichts. Wie gelähmt starre ich in die Dunkelheit, die seltsam verschlingend zu sein scheint. Wie ein schwarzes Loch. Es knarrt über mir und automatisch zuckt mein Kopf hoch. Kurz denke ich, dass jemand über mir herumläuft, erinnre mich dann aber, dass ich im obersten Stock wohne und über mir nur noch der Dachboden ist, der immer abgeschlossen bleibt. Es ist also schlichtweg unmöglich, dass da oben jemand ist. Wieder scheint ein Geräusch vor mir aus der Dunkelheit zu kommen und ich weiche langsam zurück, ohne den Blick auch nur eine Sekunde lang von der Schwärze zu lenken. Plötzlich verändert sich das Bild. Die Dunkelheit verformt sich, eine dunkle Silhouette löst sich. Da steht jemand! Erschrocken schreie ich auf, als die Gestalt plötzlich einen Schritt vor macht und ich in das vernichtende Gesicht des Todes blicke. Knochige Hände lösen sich aus den Schleier der Schwärze, die um das Wesen herum wabern, greifen wie in Zeitlupe nach mir. Irres Gekicher erklingt hinter mir und ich wirble herum. Das Bad leuchtet unheimlich, die Blutschrift bewegt sich, verformt sich. Die Buchstaben ändern ihren Platz und den Sinn der Sätze. „Stirb, Schlampe! Stirb! Blut wird fliessen, deines wird meine Hände beflecken. Ich werde darin baden, Hure. Und das Blut deines Bastards wird meinen Opferaltar benetzen! Renn' um dein Leben, Drecksstück!“

Wieder irres Gekicher, überall. Ich weiche an die Wand zurück, den Blick immer zwischen der Schrift und dem Monster, das mir immer näher kommt, wechselnd. Einerseits will ich davor flüchten, andererseits kann ich dann nur ins Bad, zu diesem unheimlichen Gekicher, das immer mehr und mehr an Lautstärke zunimmt. Dann berühren mich die knochigen Hände des Todes und ich schreie.

 

 

Nass geschwitzt fahre ich hoch.

Irgendjemand schreit laut und so dermassen hoch, dass es nur noch eine Qual für die Ohren ist. Erst nach ein paar Sekunden nehme ich wahr, dass ich es bin, die da so laut schreit. Augenblicklich verstumme ich und schnappe heftig nach Luft. Autsch, meine Kehle brennt!

Oh man, was für ein Albtraum! Schwer atmend lehne ich mich einen Moment lang an die Wand und schliesse die Augen. Okay, Alex. Du stehst jetzt auf, putzt die Badezimmerwand und räumst dieses verdammte Frettchen weg, das hier noch immer vor sich hin gammelt und die Luft verpestet!

Na, das sieht doch schon mal nach einem Plan aus! Ich atme nochmal tief durch, sammle meine Kräfte wieder und stemme mich dann hoch. Meine Beine fühlen sich noch immer nicht ganz sicher an, aber mit viel Willenskraft und zusammengebissenen Zähnen schaffe ich es, nicht einzuknicken.

Mein Rücken wehrt sich ziemlich gegen die Bewegungen, was aber auch kein Wunder ist, nach dieser Nacht, die ich hier auf dem Fussboden verbracht habe. Ich werfe noch einen kurzen Blick ins Bad und habe fast schon die Hoffnung, dass das Geschmiere weg ist und bloss ein Gebilde meiner Fantasie war, muss dann jedoch einsehen, dass das Wunschdenken ist. Nach wie vor prangt die rote Schrift an der Wand und scheint mich von oben herab zu verhöhnen. Hoffentlich geht das nachher gut ab!

Als ich allerdings mein Schlafzimmer betrete, raubt mir der Gestank erst mal wieder für einen Moment den Atem. Scheisse, das ist so was von eklig! Der Kadaver des toten Tieres liegt noch immer unverändert auf meinem Bett und gammelt vor sich hin. Igitt. Schnell hole ich meine Sachen, die ich auch schon bei der Ratte benutzt habe, und kehre bewaffnet mit Müllsack, Einweghandschuhen und Schaufel wieder ins Schlafzimmer. Würgend beseitige ich das Vieh so schnell es geht und reisse sofort die Fenster weit auf. Ein kurzer Blick bestätigt meinen Verdacht, dass es auch hier eine Feuerleiter gibt und ich schüttle den Kopf über meine Dummheit. Das bedeutet dann wohl, dass ich nie wieder mein Fenster hier öffnen kann. Verdammte Scheisse.

Schlecht gelaunt schnappe ich mir den Müllsack samt Inhalt und verfrachte ihn nebst Schaufel in meinem Wagen. Draussen ist es noch dämmrig, kein Wunder, ein Blick auf die Digitaluhr in meinem Auto sagt mir, dass es gerade mal halb Sieben Uhr morgens ist.

Dennoch mache ich mich voller Tatendrang - so gut es jedenfalls geht – ans Buddeln und hebe ein nicht besonders tiefes Loch aus. Na ja, es muss für das Frettchen reichen. Ich hab nämlich keine Kraft mehr, tiefer zu graben. Die Nacht ist nicht gerade spurlos an mir vorübergezogen. Und mein Rücken schmerzt mittlerweile echt höllisch!

Ich werfe den Müllsack in das Loch, verziehe kurz traurig das Gesicht und fahre dann wieder nachhause. Dort mache ich mich erst mal daran, die Bettwäsche zu wechseln und beschliesse gleich bei nächster Gelegenheit eine neue Matratze zu kaufen. Als ich endlich fertig bin, rufe ich kurz im Büro an, um mich abzumelden, da ich heute nun wirklich keine Kraft dazu habe, irgendwelche Designs zusammenzustellen. Ausserdem muss ich noch das Bad putzen. Seufz. Wer auch immer du bist, Verrückter, du halst mir eine Menge Ärger auf!

Für das putzen im Bad brauche ich mehr als drei Stunden, weil dieses Zeug verdammt hartnäckig ist und mit normalem Putzmittel nicht weggeht. Demnach wird es auch kein Blut sein, höchstens mit irgendwas anderem vermischt. Der Gedanke bringt mich zum schaudern. Als ich endlich fertig bin, schmerzt mein gesamter Körper. Obwohl ich Hunger habe, beschliesse ich, erst mal eine Runde zu schlafen. Im Schlafzimmer ekelt mich allerdings allein der Gedanke, jetzt auf dieses Bett zu liegen und zu schlafen. Also lasse ich mich auf meine Couch sinken und schlafe tatsächlich schon nach wenigen Minuten ein.

 

BAM!

BAM!

BAM!

Erschrocken fahre ich hoch. Was zum Teufel ist das?

BAM!

BAM!

BAM!

Oh, Gott! Dieser Psychopath holt mich! Es ist aus!

„Alex! Verdammt nochmal, mach augenblicklich diese Tür auf! Ich muss mit dir sprechen!“ Uff, doch nicht der Psychopath. Franky steht wohl vor der Tür und will was von mir. Soll er doch. Ich hab jetzt wirklich keine Lust mich mit dem besten Freund dieses Verräters abzugeben. Ausserdem hab ich echt Hunger. Und mir ist übel.

BAM!

BAM!

BAM!

„Man! Truck, verschwinde! Lass mich in Ruhe!“, brülle ich wütend, als er zum wiederholten Mal gegen die Tür hämmert. Wenn Franky allerdings eines ist, dann ehrgeizig. Immer wieder und wieder hämmert er gegen das Holz, bis ich Angst habe, er könnte die Tür noch eintreten. Also erbarme ich mich und öffne resigniert die Tür. Mit verschränkten Armen stelle ich mich mit trotzig gehobenem Kinn in den Türrahmen, damit er nicht rein kann. Aber ganz ehrlich, als könnte ich diesen bulligen Riesen wirklich davon abhalten, an mir vorbei zu kommen. Das beweist er auch gleich, in dem er mich mit einer knappen Handbewegung zur Seite schiebt und mein Appartement betritt. Schnuppernd hebt er die Nase in die Luft. „Sag mal, hast du hier vielleicht 'ne Leiche versteckt? Hier stinkt es ja schlimmer, als auf dem Dachboden meiner Oma! Und die hat da oben so einiges versteckt, wovon ich lieber nicht wissen möchte, was es ist!“

Obwohl ich gerade wirklich nicht in Laune bin, muss ich unwillkürlich lächeln, beim Gedanken an eine alte, kleine, zierliche Frau, die Franky liebevoll in die Wangen kneift.

„Nein, das ist nichts. Also, was willst du?“ Ich knalle die Tür hinter ihm zu und stelle mich erneuert mit verschränkten Armen vor ihn hin. „Damien ist weg.“

Na und? Das Arschloch ist einfach geflüchtet, kaum hört er etwas von Schwangerschaft. Was interessiert es mich da, ob er abgehauen ist, oder nicht? „Seit du es ihm gesagt hast -“ „Moment mal, das warst jawohl immer noch du!“, unterbreche ich ihn unwirsch. Er schüttelt entnervt den Kopf. „Du hast es ihm aber auch schon gesagt, als er sturzbetrunken war! Also hab ich dich nur wiederholt! Ach egal, es geht hier jetzt nicht darum. Er ist seitdem verschwunden. Ich mach mir langsam echt sorgen!“ Oh, schön! Und wer macht sich sorgen, wenn ich plötzlich verschwinde?

„Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Ihn etwa suchen, nur damit er mich dann wieder abweisen kann? Ich lass mich doch nicht verarschen! Und jetzt verschwinde, ich hab Hunger!“ Abrupt wende ich mich von ihm ab und begebe ich in meine Küche. Hinter mir höre ich derbe Flüche und irgendwas von wegen „Schwangere“, „Hormone“ und „eingeschnappte Zicke“. Na, danke auch! Wenn sein bester Freund sich wieder eingekriegt hat und zu mir gekrochen kommt, soll er nochmal zu mir kommen. Vielleicht verzeih ich ihm dann sogar. Aber nur vielleicht.

Stumm setzt er sich mir gegenüber an den Tisch und beobachtet mich, wie ich mir – mal wieder – ein Schokobrötchen mit Gurken mache. Mir ist noch immer übel, aber die sauren Gurken helfen irgendwie dagegen. Und die Schokolade schmeckt einfach. Lasst mich!

„Hör auf, auf mein Brötchen zu starren, als wär's von einem anderen Planeten!“, zische ich Franky irgendwann nach dem dritten Brötchen an. Er schenkt mir einen angewiderten Blick und schnappt sich dann – ohne zu fragen! – eine Gurke. „Hey! Das ist mein Essen! Frag gefälligst, wenn du was klaust!“ Franky zuckt die Achseln und beisst genüsslich in das grüne Ding. Grummelnd beobachte ich ihn dabei und versuche krampfhaft nicht darüber nachzudenken, wo Damien stecken könnte.

„In welchem Monat bist du eigentlich?“, hakt Franky kauend nach. „Das geht dich nichts an!“, zische ich reflexartig und erschrecke mich selbst ab meinem bösartigen Ton. Auch Franky hebt eine Augenbraue und hält mitten im Kauen inne. „Tut mir leid, das sind wohl die Hormone...“ Nur minimal zerknirscht fahre ich mir durch die Haare und atme tief durch. „Okay, da Mister Angsthase ja abgehauen ist, was genau hast du jetzt vor?“ „Na, suchen, was denn sonst?“, erwidert er, als wäre das doch Sonnenklar. Ich hebe eine Augenbraue und beisse genüsslich in mein Brot. „Klar, warum bin ich da nicht vorher schon drauf gekommen?“, ätze ich voller Sarkasmus, als ich fertig bin mit Essen. „Und wo genau willst du deinen Boss suchen?“ Franky murmelt einen leisen Fluch. „Eigentlich hatte ich mir von dir mehr Hilfe erhofft. Meg hat mich zwar gewarnt, aber dass du gleich so drauf bist? Oh man, hoffentlich hab ich nie eine schwangere Freundin.“ „Hey! Lass schwangere Frauen aus dem Spiel! Das sind nicht nur meine Hormone! Ich mometan echt nicht gut auf deinen beschissenen Freund zu sprechen – und stell dir vor, das kommt tatsächlich nicht wegen meiner Hormone oder weil ich gerade keinen Bock auf ihn habe! Nein, das kommt ganz allein daher, dass er sofort die Flucht ergreift, kaum hört er das Wort „Schwanger“! Und ganz ehrlich Truck, momentan hab ich echt genug andere Probleme!“ Fast wäre mir auch noch herausgerutscht, dass ich von einem Verrückten genervt werde, der mir tote Tiere und blutige Botschaften hinterlässt.

In letzter Sekunde beisse ich mir auf die Zunge und halte die Klappe.

Ich muss das alleine hinkriegen. Falls das ganze ausartet kann ich immer noch um Hilfe bitten.

„Alex! Jetzt hör mir mal zu. Es tut mir leid, okay? Ich weiss, dass das hier alles nicht ganz so geklappt hat, wie eigentlich vorgesehen. Aber ich brauche deine Hilfe. Verdammt, auch wenn er manchmal ein Arschloch ist, Damien ist immer noch mein bester Freund. Ich muss ihn suchen! Er ist manchmal nicht ganz klar im Kopf und kommt auf total bescheuerte Ideen. Warum meinst du wohl, hat er dich entführen lassen? Bitte Alex. Hilf mir. Nur dieses eine Mal. Und wenn wir ihn gefunden haben, kannst du ihn weiter hassen und dein Leben normal weiterführen. Einverstanden?“ Mein Leben normal weiterführen. Klar. Wie bitteschön soll das gehen? „Truck! Ich kann nicht. Ich hab echt genug andere Dinge im Kopf! Irgend so ein Verrückter ist hinter mir her und ich -“ „Moment mal. Was genau meinst du mit 'irgend ein Verrückter ist hinter mir her'?“ Abrupt halte ich inne. Verdammt. Das habe ich jetzt nicht gerade wirklich gesagt, oder? „Ähm... ich... Weisst du was? Vergiss es einfach! Vergiss, was ich gesagt habe, okay? Das war nur... so dahingeredet.“ „Nein, Alex. Du erklärst mir jetzt, was du damit gemeint hast. Auf der Stelle!“ Scheisse... eigentlich wollte ich das auf meine Weise regeln. Also gar nicht. Aber vielleicht ist es ja ganz gut, wenn ich wenigstens eine andere Person in Kenntnis setze. Nachdenklich betrachte ich Franky. Würde er mir überhaupt zu Hilfe eilen, sollte mir mal etwas geschehen? Oder sieht er mich einfach nur als das Flittchen, in das sein bester Freund „verknallt“ ist? Als die kleine, eigentlich vollkommen unwichtige Schlampe, die von ihm schwanger ist und unter Beobachtung steht, weil sie sich verquatschen könnte? Vermutlich schon.

„Nun sag schon! Ich will wissen, was passiert ist!“ Ich kann nicht beurteilen, ob die Besorgnis in seiner Stimme wirklich echt ist. Irgendwie klingt es schon so, als würde er sich Sorgen um mich machen. Ach scheiss drauf, ich bin schwanger und hab genug andere Probleme. Es wird niemanden umbringen, wenn ich ihm von diesem Verrückten erzähle – im Gegenteil. Sollte mir etwas passieren, würde wenigstens eine Person Bescheid wissen.

„Na ja... seit ein paar Tagen bricht hin und wieder einer hier ein und hinterlässt mir ein Geschenk, sowie eine Botschaft.“ Ich denke gerade darüber nach, ob ich gross ins Detail gehen sollte, oder nicht, als Franky schon ungeduldig fragt: „und was für Geschenke sind das?“ Ich grinse verzerrt und denke an das tote Frettchen. Ob es überhaupt ein Frettchen war? Vielleicht war es ja auch ein... Opossum? Ja, das könnte durchaus möglich sein, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie so ein Opossum aussieht... „Alex! Würdest du vielleicht die Freundlichkeit besitzen und mich aufklären?“

„Oh, äh... ja, klar. Also er hat mir eine tote Ratte und ein totes... Frettchen-Opossum-Dingens hinterlassen. Die Ratte auf den Fenstersims und das andere Ding aufs Bett.“ Franky starrt mich angeekelt an, seine Augen gleiten für einen Augenblick zum Türrahmen der Küche, als würde er erwarten, dass dort jeden Augenblick ein totes Tier liegen könnte. „Und was genau stand in den Nachrichten?“ Verdammt, ich habe schon gehofft, er könnte das vergessen haben. „Ach, das waren nur so blöde Schülerstreiche. Ich glaube nicht, dass das -“ „Alex, was stand in den Nachrichten? Ich will nur wissen, was da drin stand. Mehr nicht.“ Oh, äh, da stand was von Blut, das fliessen würde, dass ich ein Miststück wäre, und dass derjenige mir zeigen würde, was Angst sei. Also nicht besonders eindrücklich“, rassle ich so schnell ich kann runter, in der Hoffnung, er würde kein Wort verstehen. „Und was genau verschweigst du mir jetzt noch? Ich kann dir ansehen, dass da noch mehr stand. Nun sag schon, Alex!“ Franky hebt bedrohlich den Finger und ich sinke in mich zusammen. „Er will meinem Baby etwas antun. Er droht, es mir bei lebendigem Leibe rauszuschneiden“, flüstere ich und greife mir an die Kehle, weil sie sich plötzlich zusammen schnürt und ich das Gefühl habe, keine Luft mehr zu bekommen. „Ach du scheisse! Und das sagst erst jetzt?!“ Noch nie habe ich Franky so dermassen entsetzt gesehen. Irgendwie hat er auf mich immer unerschütterlich gewirkt. Ich meine, hallo?! Er hat seinem besten Freund einen Gefallen getan und mich entführt! Das tut nicht jeder!

„Wir müssen zu den Bullen“, stellt er gerade fachmännisch und entschlossen fest. „Nein, auf gar keinen Fall!“ Ich springe auf und packe ihn an den Schultern, um ihn wieder auf seinen Stuhl zurück zu drücken. „Die werden nach meiner Geschichte fragen! Die werden herausfinden, was mit mir passiert ist. Und dann kommt Damien dran!“ Obwohl. Momentan hätte ich die grösste Lust, ihm die Bullen auf den Hals zu hetzten. Aber das kann ich ihm trotzdem nicht antun. Allein bei dem Gedanken zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Verdammt, warum muss ich mich auch ausgerechnet in ein Arschloch verlieben? Das ist ja wiedermal typisch Frau. Zuerst Jay, dann Damien. Was kommt als nächstes? Ein Ex-Knasti? Ein Psychopath? Nein, das hatte ich mit Damien ja schon. Oh Gott, ich rutsche von einem Scheiss zum nächsten!

Plötzlich habe ich das Gefühl, ein schwarzes Loch würde sich unter mir aufmachen und mich in tiefe Schwärze ziehen. Und schon fliessen die Tränen. Verdammte Hormone!

Schluchzend sinke ich auf meinem Stuhl zusammen und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.

Grosse, tröstende Hände streichen überraschenderweise über meinen Rücken und ich zucke kurz zusammen. Vielleicht ist Franky ja doch ein Freund. Vielleicht sollte ich mein Misstrauen einfach nur mal zur Seite schieben und mich wenigstens ihm vollkommen anvertrauen. Vielleicht.

„Hey, wir kriegen das schon hin. Polizei ist vermutlich wirklich nicht die richtige Lösung, die reagieren sowie so immer erst wenn's zu spät ist. Aber dennoch können wir nicht einfach hier herum sitzen und abwarten! Und sag mir jetzt bitte nicht, dass du das vorhattest. Vielleicht sollte ich dich wieder zu Damien -“ „Nein! Auf keinen Fall zieh ich wieder in dieses Irrenhaus!“ Entschlossen und eine Spur trotzig – ich gebe es zu – schiebe ich das Kinn vor und presse die Lippen zusammen. „Niemals.“ Franky zuckt die Achseln. „Tut mir leid, das hätte ich wissen müssen. Und was, wenn du zu mir ziehen würdest?“ Ich runzle die Stirn. „Was? In dein Haus? Zu deiner Mutter?“ „Stimmt, das war eine blöde Idee. Sie wird dich ausfragen. Und bemuttern bis zum geht nicht mehr. Wie wär's mit Foxy und Danny?“ Ich denke an den aufgedrehten, rothaarigen Wirbelwind. „Wohnen die zusammen? Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ein Paar braucht Privatsphäre und ich hab keinen Bock, zuzuhören, wie die beiden es miteinander treiben. Das würde mich... deprimieren.“ Franky nickt verständnisvoll. „Oh, ich hab's! Elin!“ Nachdenklich zerknülle ich eine Serviette zwischen meinen Fingern. Soll ich wirklich zu der kühlen Schönheit ziehen. „Hat die denn überhaupt Platz?“ „Ja! Sie hat mir vor zwei Wochen erst erzählt, dass ihr Mitbewohner ausgezogen ist, jetzt hat sie ein freies Zimmer und sucht einen Untermieter. Du verdienst genug mit deinen zwei Jobs und sie wird dich weder nerven, noch ausfragen. Und schon gar nicht wirst du irgendwelchen obszönen Geräuschen ausgesetzt.“ Er grinst spöttisch. Ich runzle nachdenklich die Stirn. „Hör zu, Alex. Ich kann dich hier nicht allein lassen. Und zu Lex will ich dich auch nicht schicken, der macht ständig Party. Das kannst du so“, er wirft einen bedeutungsvollen Blick auf meinen Bauch, „ganz bestimmt nicht brauchen. Und mit PJ wird das auch nicht klappen. Er mag es nicht, wenn Fremde sich zu lange in seiner Wohnung aufhalten. Und mit zu lange meine ich über zehn Minuten. Das will ich weder ihm, noch dir antun.“ Ich nicke verstehend. „Elin ist unsere einzige Lösung. Sie ist wirklich in Ordnung und wird dir auch einen gewissen Schutz bieten können. Sie war eine Zeitlang bei der Polizei und hat mehrere Kampfausbildungen. Und ausserdem kann sie hervorragend mit einer Schusswaffe umgehen.“ Wow, das hätte ich diesem zierlichen, schönen Mädchen gar nicht zugetraut! „Gut, aber du wirst sie fragen. Bitte.“ Franky nickt und erhebt sich. „Warte schnell, ich ruf sie gleich mal an.“ Er verschwindet im Wohnzimmer und ich räume unterdessen den Tisch ab. Nach knappen zehn Minuten kommt er wieder herein und setzt sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck hin. „Du kannst froh sein, dass dich Elin mag. Sonst hätte sie gleich abgelehnt. Aber sie hat zugesagt.“ Dankbar seufze ich auf und setze mich ebenfalls wieder hin. „Und wann kann ich umziehen?“ „Jetzt sofort. Sie ist heute Abend zuhause, du kannst also gleich dein wichtigstes Zeug packen. Ich will das auch so schnell wie möglich hinter uns bringen. Dann bist du sicher und ich kann mich wieder auf die Suche nach Damien machen. Diesen Saukerl werd' ich schon finden.“ Letzteres murmelt er zwar nur noch leise, aber dennoch kann ich es hören. Ein leichtes Lächeln legt sich auf mein Gesicht.

„Gut, ich werd' dann mal gehen. Soll ich dich und deinen Krempel später abholen und zu Elin fahren?“ Zuerst will ich ablehnen, da ich ja selbst ein Auto besitze, dann kommt mir aber der Gedanke, dass es vielleicht besser wäre, wenn dieser Psycho denkt ich wäre zuhause. Also nicke ich mit einem dankbaren Lächeln und bringe den grossen Mann zur Tür. Er steht schon auf dem Treppenabsatz, als ich seinen Namen nochmal rufe. „Truck? Danke. Für alles.“ Er schenkt mir ein sanftes Lächeln und nickt leicht. „Für dich immer, Kleines.“

 

Innerhalb von knappen zwei Stunden habe ich alles, was ich brauchen werde, zusammengepackt. Da ich noch nicht genau weiss, wie lange ich bei Elin bleiben werde, besteht das meiste aus Klamotten und Toilettenartikeln. Ich will nicht zu viel mitnehmen, aber dennoch alles nötige da haben.

Danach rufe ich kurz bei Franky an und gebe ihm Bescheid. Die Wohnung sieht jetzt noch leerer aus, als sonst und ich verkrieche mich fröstelnd auf der Couch, in eine dicke Decke gewickelt. Franky hat mir versprochen in spätestens zwanzig Minuten da zu sein, aber irgendwie vergehen die Minuten wie Stunden. Nach exakt einer Viertelstunde läutet es endlich an der Tür und ich erhebe mich umständlich.

„Wir beeilen uns am besten ein wenig, desto schneller du hier weg bist, desto besser.“ Franky drängt sich ohne Begrüssung an mir vorbei und schnappt sich die ersten zwei Koffer, die ich vorsorglich schon mal in den Eingang gestellt habe. Ich nehme mir die Tasche und den Rest, dann dackle ich ihm hinterher und schmeisse das Zeug auf den Rücksitz. Unauffällig werfe ich einen Blick in die Runde und entdecke einen jungen Mann, der unbeteiligt an der Hauswand gegenüber lehnt und raucht. Ob er mich beobachtet? Vermutlich. Meine Augen gleiten weiter und bleiben an einer alten Dame mit kleiner Töle an der Leine hängen. Sie beobachtet mich bestimmt auch, dem neugierigen Blick zufolge, den sie uns zuwirft. Ich schaue zu den Fenstern und habe das Gefühl, überall würde sich jemand dahinter verstecken, ausgerüstet mit Feldstecher und Abhörgeräten.

Oh Gott, Alex! Du wirst langsam echt verrückt!

„Kommst du?“

Seufzend reisse ich mich von der interessanten Umgebung los, nicke Franky knapp zu und setze mich dann vorne rein. „Wo wohnt Elin überhaupt?“, frage ich aus Neugierde und weil ich es wirklich wissen will – schliesslich werde ich dort auch eine Weile leben. „Am Stadtrand. Zehn Minuten vom Bahnhof entfernt und ungefähr eine Viertelstunde vom Café Alice. Sie hat eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung. Ich schätze, um die 120m2. Sie hatte ziemlich Glück mit der Wohnung, aber sie ist ein bisschen teuer, weswegen sie auch einen Untermieter braucht. Der letzte, ich glaube Finn hiess er, war ein ziemlich eigenbrötlerischer Typ. Hat sich kaum blicken lassen und wenn, kein Wort gesagt.“ Oh, hört sich ja sehr... gesellig an. „Hat sie Tiere?“ Irgendwie eine seltsame Vorstellung, Elin an einen Hund gekuschelt zu sehen. „Nein, nicht das ich wüsste. Oder doch! Warte, sie hat mir, glaube ich, mal von einer Katze erzählt, die hat sie aber noch nicht so lange. Ist soweit ich weiss ziemlich scheu. Bist du allergisch?“ Ich schüttle den Kopf. Glücklicherweise gehöre ich zu den wenigen Menschen, die auf rein gar nichts allergisch sind.

Nach weiteren, stummen, zehn Minuten Fahrt, biegt Franky von der Hauptstrasse ab und rast einen kurzen Weg hinauf. Vor einem Mehrfamilienhaus mit drei Etagen hält er an. Hübsch. Sieht gemütlich aus. Es es scheint einen Garten zu haben, dem Weg nach zu urteilen, der hinter dem Haus verschwindet und ziemlich... bewachsen aussieht. Das Haus selbst ist im Bauernstil gehalten und besitzt einen angenehmen, unaufdringlichen Charme. Franky läuft schnurstracks zur Tür und läutet.

 

Elins Wohnung ist wunderschön und ziemlich gross. Sie zieht sich sehr nach hinten, was man von aussen her gar nicht vermuten würde. Ausserdem beweist Elin mit dieser Wohnung wirklichen Geschmack, denn sie ist perfekt eingerichtet. Alles ist aufeinander abgestimmt, ohne charakterlos und gewollt zu wirken. Im grossen und ganzen scheint die kühle Schönheit ein Faible für dunkles Holz und alte Möbel zu haben. Retrostyle nennt man das heutzutage wohl. Ein riesiger Flügel in dunklem Braun – das habe ich übrigens noch nie gesehen – nimmt die gesamte linke Seite des Wohnzimmers ein und ich frage mich, ob sie wohl spielen kann. Eine offene Küche grenzt direkt an den grossen Raum und wirkt mehr als einladend. Rechts hinten befindet sich eine gemütliche Kaminecke, bei der ich mich direkt auf den Winter freue. Eine offene Treppe führt hinauf und ein Gang zweigt neben der Küche ab, wie es aussieht zu anderen Zimmern.

„Okay, willst du dich erst umschauen, oder alles besprechen?“ Elin betrachtet mich mit distanzierter, aber freundlicher Miene, während sie die Kaffeemaschine bedient – ein ziemlich teures Stück – und Orangensaft auf den Tisch stellt. „Ich würde mich lieber zuerst umsehen, wenn das in Ordnung geht.“ Ich weiss irgendwie noch immer nicht, wie ich mich dieser Frau gegenüber verhalten soll. „Ja, natürlich. Truck? Kaffee?“

Langsam, fast schon zögernd, streife ich durch das Wohnzimmer zum Gang. Es gibt zwei Türen. Nach einem Blick durch jede stelle ich fest, dass sich hier ein Schlafzimmer und ein geräumiges Bad befindet. Danach laufe ich die Treppe hoch und sehe mich staunend um. Elin wohnt direkt unter dem Dach, demnach ist hier alles schräg. Die gesamte Fläche scheint aus einem einzigen Raum zu bestehen. Nein, es sieht schon fast wie eine eigene kleine Wohnung aus! Es gibt eine winzig kleine Küche, die ebenfalls offen ist und hinten in der Mitte, direkt unter einer riesigen Fensterfront befindet sich ein grosses Doppelbett. Ein langer, kniehoher Schrank zieht sich über die gesamte, rechte Länge und scheint sich hervorragend für Schuhe zu eignen. Direkt neben mir, an der Wand, steht ein grosser, aber ziemlich flacher Schrank, der wohl für die Klamotten ist. Da es um einiges leerer ist, als das Schlafzimmer unten, vermute ich, dass das hier mein Domizil sein wird. Wow! Endlich mal wieder eine gute Nachricht!

„Alex? Kommst du wieder runter? Ich muss gleich los.“ Franky steht unten an der Treppe und schaut zu mir hoch. Ich nicke und laufe freudig zurück. „Das ist hammermässig!“ Elin schenkt mir ein breites Lächeln – das erste, das ich je gesehen habe bei ihr. „Danke. Die Wohnung ist mein ganzer Stolz. Willst du einen Orangensaft?“ Ich nicke und bedanke mich, als sie mir ein kaltes Glas in die Hand drückt. „Also, du wohnst oben, kannst aber auch die Küche hier unten benutzen. Mit dem Raum kannst du praktisch alles machen, wie du es möchtest, aber bitte – lass einfach das Haus stehen.“ Ich grinse sie an, irgendwie fühle ich mich plötzlich total gut gelaunt und beschwingt.

„Mein letzter Untermieter, Finn, hat mir monatlich 700 € gegeben. Für dich mach ich einen Freundschaftspreis“, sie zwinkert mir zu, „von 600 €. Du kannst den Betrag bar auf die Hand zahlen oder auf mein Konto übertragen. Und, äh... die Toilettenspülung geht nicht. Also schon, aber sie klemmt ziemlich. Morgen kommt deshalb noch jemand vorbei. So, ich glaub, damit wäre alles Geschäftliche geklärt.“

Franky nickt zufrieden. „Gut, kommen wir zum Wichtigen. Ich hab dir nur eine grobe Fassung der ganzen Story gegeben, ich denke mal, du willst da noch genauer Bescheid wissen.“ Elin nickt und wirft mir einen auffordernden Blick zu. „Also, erzähl mal.“

Zögernd beginne ich von diesem Psychopathen zu erzählen. Elin hört stumm, aber aufmerksam zu. Als ich fertig bin, ist es erst mal ein paar Minuten still. „Okay, und warum genau gehst du nicht zur Polizei?“ „Weil ich Angst habe, dass die dann von meiner Vergangenheit wissen wollen. Ich...“, ich verstumme. Elin kennt Damien, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber sie weiss nicht, dass er mich entführt hat. „Okay, ich nehme mal an, du willst mir diese Geschichte nicht erzählen, deiner Miene nach zu urteilen. Gut, das ist nicht schlimm. Aber wenn du wirklich nicht zu den Cops willst, müssen wir in Zukunft unglaublich vorsichtig sein. Das hört sich nicht nach einem ungefährlichen Stalker an. Wer solche Dinge tut, hat nichts Gutes vor. Ich kann dich bis zu einem gewissen Grad beschützen. Wie du weisst, war ich selbst jahrelang bei der Polizei und beherrsche sieben Kampfkünste perfekt. Aber auch das wird dir nichts nützen, wenn du nicht auf mich hörst. Du darfst das Haus, wenn überhaupt, nur noch in Begleitung verlassen.“ Ich verziehe das Gesicht. Na toll. „Das ist zu deinem eigenen Schutz, Schätzchen. Und zum Schutz deines Babys. Nimm dir das bitte zu Herzen. Es geht hier nicht mehr nur um dich.“ Sie schaut mich durchdringend an, bis ich ergeben nicke. „Ich weiss“, flüstere ich geknickt. „Gut. Ich werde dir nachher ein neues Handy kaufen, wer weiss, ob deines nicht schon abgehört wird.“ „Was? Ich glaube kaum, dass das ein Verrückter dieser Art ist!“ „Egal, Alex! Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Es kann gut sein, dass dieser Jemand intelligenter ist, als er aussieht!“ „Okay.“ Verdammte scheisse! Ich will nicht alles aufgeben müssen, nur weil irgend so ein Verrückter mit tot sehen will. Aber Elin hat Recht; es geht hier nicht mehr nur um mich, sondern auch um mein Baby. Ach, mein kleines Würmchen. Du stellst alles auf den Kopf...

Zärtlich streichle ich über meinen Bauch und lächle leicht in mein Orangensaftglas.

„Okay, wann musst du arbeiten?“ „Montag bis Donnerstag arbeite ich in der Agentur, den Rest der Woche im Café Alice.“Okay, dann müssen wir schauen, dass du immer unter Beobachtung stehst.“ Super, daran bin ich ja schon gewöhnt. Nur dass es jetzt offiziell ist und nicht mit dieser Heimlichtuerei. „Ich selbst arbeite von zuhause aus, kann demnach also gut auf dich aufpassen, wenn du zuhause bist. Allerdings kann ich mein Haus nicht einfach so verlassen, um mit dir zur Arbeit zu fahren, da müssen wir jemand anderen finden. Truck, du musst bestimmt den grössten Teil bei Damien sein, um für ihn zu arbeiten.“ Truck nickt. „Wenn er denn mal wieder hier wäre“, grummelt er noch leise, was jedoch weder von mir, noch von Elin beachtet wird.

„Vielleicht kann ich ja Foxy dazu bringen, dich hin und wieder ins Café zu begleiten... Und Danny mag dich ebenfalls, der wird sich auch dazu bereiterklären. Sein Bruder wird bestimmt auch helfen, so wie ich ihn kenne.“ Foxy ist in Ordnung und die zwei Brüder auch. Aber ich hoffe bloss, dass das jetzt nicht für immer so sein wird. „Okay, dann wäre das geklärt.“ Ich grinse ein wenig übertrieben in die Runde und trinke meinen Orangensaft aus. „Ich muss jetzt sowie so auch los. Ich meld mich morgen noch bei dir. Aber jetzt muss ich erst mal diesen Dummkopf suchen gehen.“ Eine tiefe Falte erscheint zwischen Frankys Augenbrauen und ich kann nicht verhindern, dass mich wieder dieses Gefühl von Sorge überkommt. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.

 

Die Zeit verfliegt unglaublich schnell und plötzlich ist schon wieder Wochenende. In der Agentur war es relativ ruhig, ich hatte bloss ein Gespräch mit dem Ladykiller Mobiles-Unternehmen, wegen deren Auftrag. Danach musste ich noch ein paar kleinere Aufträge erledigen, das meiste waren Gestaltungen von Restaurantmenükarten und Postkarten.

Im Café allerdings war es um einiges stressiger gewesen. Immer war mindestens ein Freund von Franky da, meistens Foxy, da diese selbstständig ist und sich somit die Zeit selbst einteilen kann.

Franky meldet sich jeden Tag einmal, um zu hören, wie es mir geht. Ausserdem teilt er mir jedes Mal mit, dass er noch nichts von seinem entschwundenen Freund gehört oder gesehen hat. Mittlerweile kann ich es nicht mehr verbergen; ich mache mir ernsthafte Sorgen. Ich bin zwar froh, dass ich nichts mehr von meinem verrückten Stalker gehört habe, aber dieses Gefühl wird immer mehr zur Seite geschoben, von der Angst um Damien. Nein, ich kann es nicht mehr verstecken, ich will es irgendwie auch gar nicht mehr. Natürlich bin ich noch immer wütend auf ihn und enttäuscht, aber ich beginne ihn immer mehr zu verstehen. Ich weiss, dass viele Männer verdammt grosse Angst haben vor der Vaterschaft. Und ich weiss, dass Damien nicht gerade der normalste Mann auf dieser Welt ist. Nein, ganz und gar nicht! Aber er muss es versuchen. Das ist meine Bedingung.

Elin entwickelt sich unterdessen immer mehr zu einer sehr guten Freundin, die mich des öfteren auch mal in den Arm nimmt, wenn meine Hormone mich mal wieder zu Boden ziehen oder ich würgend die Toilette umarme. Foxy versucht mich im Gegenzug abzulenken und schleppt mich auf mehrere Shoppingtouren. Seit sie ebenfalls weiss, dass ich schwanger bin, zerrt sie mich von einem Babyladen zum nächsten. Die Hälfte meines Zimmers in Elins Wohnung ist zugestellt mit einem Babywickelkasten, einer Wiege, einem Schrank, der mittlerweile voll ist mit Babykleidern in verschiedenen Grössen und zu guter Letzt versperrt mir eine Kiste den Weg, die bis an den Rand mit Spielzeug gefüllt ist. Und, wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, ist praktisch alles ein Geschenk von Foxy. Hin und wieder bekomme ich auch etwas von Anna und Elin, aber das ist eher selten. Wenn das Baby da ist, muss ich so wie es aussieht nichts mehr kaufen.

Mittlerweile nimmt mein Bauch ein wenig zu und ich spüre die erste Rundung. Ich besuche meinen Arzt, der mir bestätigt, dass alles in Ordnung ist und zufrieden beobachtet, dass ich wieder ein wenig mehr zugenommen habe – was daher kommt, dass Elin und die anderen streng darauf achten, dass ich genug esse. Sogar Garry Kraft, mein Chef im Alice, kommt manchmal nach vorne und erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden. Einerseits freut mich diese ganze Aufmerksamkeit, andererseits fühle ich mich manchmal ein wenig erdrückt.

 

Die Nächte sind jedoch immer mehr und mehr der reinste Horror. Albträume plagen mich, in denen ich miterlebe, wie mir bei lebendigem Leibe der Bauch aufgeschnitten wird, von einem Arzt, der aussieht wie Damien und gespenstisch lacht. Jedes mal erwache ich mit einem gellenden Schrei.

Durch den Schlafmangel, nimmt meine Aufmerksamkeit am Tag immer mehr ab, mein Äusseres verwandelt sich langsam in eine Vogelscheuche, tiefe Ringe graben sich unter meinen Augen in die Haut. Elin spricht mich mehrmals darauf an, aber als sich nichts ändert, schickt sich mich zu ihrem Hausarzt, der mir leichte Schlaftabletten verschreibt. Die Wirkung ist nicht besonders stark, aber es reicht, um mich durchschlafen zu lassen.

 

Genau zwanzig Tage nach Damiens Verschwinden ruft ein aufgeregter Franky bei mir im Café an.

„Kannst du mich in einer halben Stunde im „Drunken Sailor“ treffen? Es ist wichtig, ich glaube, ich habe Damien gefunden.“ Vor Überraschung lasse ich fast das Glas fallen, das ich gerade einem Kunden übergeben will. Hastig entschuldige ich mich, ehe ich Anna ein knappes Handzeichen gebe, damit sie meine Kunden übernimmt, und ich im Raum für die Angestellten verschwinden kann.

„Was meinst du mit: 'ich glaube, ich habe ihn gefunden?' Warum glaubst du es nur?“, frage ich ihn leise, während ich mich schnell umschaue, da ich keine Lust habe, dass mich jemand beim Telefonieren in meiner Dienstzeit erwischt. „Ich muss es dir erklären, es ist kompliziert! Kannst du jetzt kommen? Bitte. Ich weiss, dass er dir nicht so egal ist, wie du tust und ich könnte deine Hilfe gebrauchen!“ „Man, Truck! Ich habe eigentlich Dienst! Das ist echt ein denkbar schlechter Zeitpunkt! Aber ich schaue mal, ob ich da was machen kann. Ich ruf dich an, sobald ich auf dem Weg bin.“ Ohne mich zu verschieden lege ich auf und schiebe das Handy in meine rechte Hintertasche. Okay, ein Plan muss her, aber schnell! Ich kann nicht einfach so zu Mr. Kraft gehen und ihm sagen, dass mein dämlicher Ex – oder ist er das überhaupt? – Mist gebaut hat und ich jetzt schnell mal weg muss. Und plötzlich kommt mir eine Idee.Anna!

 

„Anna? Anna! Kannst du bitte mal ganz schnell hier rein kommen!“ Verdutzt hebt sie ihren Kopf und schaut zu mir. Mein Gott, ich muss aber auch bescheuert aussehen – wie ich hier so im Türrahmen hänge, mit gehetztem Gesichtsausdruck und rasendem Herzen.

„Klar, warte schnell, ich muss nur noch schnelle ein Rechnung ausstellen.“

Sie tippt elend lange auf der Kasse herum, bis endlich die Quittung heraus kommt und sie sie zu einem Tisch bringt. Dann kommt sie endlich neugierig zu mir. „Also?“

Ich werfe einen schnellen Blick nach links und rechts, ehe ich sie am Handgelenk schnappe und rein ziehe. „Ich habe ein Problem. Mein Freund hatte einen Unfall und ich muss sofort hier weg“, lüge ich drauf los und bin froh, dass mein Gesicht ziemlich debil und gehetzt aussieht. „Oh Gott, das ist ja furchtbar! Du musst sofort zu ihm! Ich lasse mir was einfallen, du hast heute ja sowie so nur bis 15 Uhr Dienst, ich hau dich bei Mr. Kraft schon raus.“ Sie sieht richtig geschockt aus und einmal mehr bin ich dankbar, dass dieses Mädchen so ein riesiges Herz besitzt. „Danke, Anna! Du hast was gut bei mir!“ „Ach was, ist doch Ehrensache. Und nun beeil' dich!“ Sie scheucht mich nach hinten zu meinen Sachen und verschwindet dann wieder nach vorne. In Windeseile ziehe ich mich um und schleiche dann wieder nach vorne, nicht ohne Anna noch ein dankbares Lächeln zu schenken. Dann bin ich auch schon im Auto, rufe kurz bei Franky an um ihm Bescheid zu geben, dass ich unterwegs bin und rase dann los.

In der Bar entdecke ich Franky ganz hinten in einer Sitznische. Vor ihm steht ein Wasser. Also muss wirklich etwas passiert sein.

„Und?“, frage ich, kaum sitze ich. „Also, hör mir genau zu! Es ist ein wenig kompliziert. In Lorenzon wurde ein Mann eingeliefert, der einen Autounfall hatte.“ Mein Herz stockt, ehe es losrast. Oh Gott, lass ihn bitte nicht... „Keine Angst, es gab keine Tote. Der Mann, der eingeliefert wurde, hatte keine Papiere bei sich, nicht einmal einen Führerschein haben sie gefunden. Kein Wunder, das Auto ist total ausgebrannt, es ist ein Wunder, dass man ihn zuerst gefunden hat. Jedenfalls wurde er im Ortsspital eingeliefert und behandelt. Er scheint noch im Koma zu liegen und kein Schwein weiss, wer er eigentlich ist. Aber eine Krankenschwester meint Damien aus dem Fernsehen wiederzuerkennen. Die haben bei ihm Zuhause angerufen und so wie es aussieht ist er es tatsächlich! Wir müssen sofort dort hin fahren, Alex!“ Koma? Was meint er mit Koma? Er wird doch nicht etwa nicht mehr aufwachen, oder? Oh Gott, tu mir das bitte nicht auch noch an!

 

„Wir müssen zu dem Mann, der gestern eingeliefert wurde. Autounfall.“

Die junge Krankenschwester sieht uns erstaunt an. „Sie meinen den Mann, den man für Damien Dragenos hält?“ Ich nicke hektisch. Mein ganzer Körper befindet sich in Aufruhr. Ich muss ihn sehen! Auch wenn er Mist gebaut hat, auch wenn er dieses Baby in meinem Bauch nicht will, er ist dennoch der Mann, dem ich ohne zu zögern mein Herz schenken würde. Er ist der Mann, um den ich mir gerade verdammt grosse Sorgen mache.

„Sind Sie verwandte von ihm? Ich darf nur die Familie zu ihm lassen. „Ich bin seine Frau, Herrgott nochmal!“, zische ich ungeduldig und ignoriere den überraschte Blick von Franky. „Oh, dann bringe ich Sie natürlich sofort zu ihm. Ich werde zudem sofort nach Dr. Graf schicken lassen. Er ist sein behandelnder Arzt.“ Ich nicke und warte unruhig, bis sie endlich ihre Dokumente auf den Tisch legt und sich erhebt, um zu uns zu kommen. „Elina, kannst du hier schnell übernehmen? Ich bin gleich wieder da!“, ruft sie ihrer Kollegin noch zu, dann winkt sie uns zu sich und führt uns durch einen langen, hell gestrichenen Gang. An der Wand hängen hübsche Bilder, aber ich bemerke es kaum. „Wie geht es ihm?“hake ich irgendwann nach und beisse mir auf die Lippen.

„Er ist stabil, befindet sich allerdings noch im Koma. Ich weiss keine Details, aber dazu wird Ihnen Dr. Graf bestimmt näheres erläutern können.“

Vor dem Zimmer mit der Nummer 355 bleibt sie stehen. „Bitte seien Sie nicht allzu geschockt, es sieht schlimmer aus, als es ist.“ Ich nicke ungeduldig und starre auf die Türklinke, auf der ihre Hand liegt.

Dann öffnet sie die Tür und ich schnappe nach Luft. Hinter mir höre ich Franky ein seltsames Geräusch von sich geben, bin jedoch viel zu gebannt von dem Anblick, der sich vor mir ausbreitet.

Damien liegt in einem typischen Spitalbett mit weisser Wäsche. Aber es ist nicht das, was mich so sehr schockiert. Unzählige Kabel führen von ihm weg, drei grosse Monitore stehen um ihn herum, einen erkenne ich von meinem Frauenarzt, er misst die Herzfrequenz soweit ich weiss. Regelmässiges Piepen erklingt im Fünf-Sekunden-Takt, aber ich kann nicht einordnen, woher es kommt. Sein Kopf ist verbunden, nur ein paar vorwitzige Haare schauen heraus, sein rechtes Handgelenk ist ebenfalls verbunden. Eine Nadel verschwindet auf der linken Seite in seiner Haut, durch die die Flüssigkeit der Infusion geleitet wird. Auch in seiner Nase verschwindet ein Schlauch.

Seine Haut ist bleich und ich entdecke mehrere Schürfwunden, ausserdem befinden sich unter seinen Augen tiefe Augenringe.

„Oh Gott“, flüstert Franky entsetzt hinter mir, und spricht mir damit aus der Seele.

Ein leises Klopfen an der offenen Tür reisst mich aus meiner Schockstarre. „Sind Sie Mrs. Dragenos? Ich bin Dr. Graf, der behandelnde Arzt Ihres Mannes.“ Vollkommen neben mir drehe ich mich um und schüttle dem älteren Mann im weissen Arztkittel die Hand. „Ihrem Blick nach zu urteilen handelt es sich hier also tatsächlich um Damien Dragenos? Gut, dann wäre wenigstens etwas geklärt. Also, Mrs. Dragenos. Ihr Mann hatte einen schweren Autounfall, genaueres kann ich Ihnen hier nicht sagen. Drei seiner Rippen sind gebrochen, zwei links, eine rechts. Ausserdem sind mehrere angebrochen, was aber nicht so schlimm ist. Sein rechtes Handgelenk ist ebenfalls angebrochen. Die schwersten und kompliziertesten Verletzungen befinden sich am Kopf. Er muss sich ziemlich kräftig die Stirn gestossen haben, gebrochen ist nichts, aber ich denke, das wird sein Koma erklären. Es kommt oft vor, dass ein Patient bei einem solchen Unfall mehrere Tage in einen tiefen Schlaf sinkt, der da ist, um den Körper wieder zu regenerieren.“ Puuh. Das sind viele Dinge, die gebrochen oder angebrochen sind. „Wird er wieder...?“, meine Stimme versagt, als mein Blick wieder zu seinem Gesicht wandert. Er sieht so zerbrechlich aus. „Bisher war es meist so, dass der Patient nach ein paar Tagen wieder aufgewacht ist. Es kommt eher selten vor, dass jemand nicht mehr erwacht oder mehrere Monate im Koma liegt. Bei Mr. Dragenos sieht es sehr vielversprechend aus. Ihr Mann hatte sehr viel Glück. Hätte man ihn nicht gefunden, wäre er jetzt tot.“ Unwillkürlich verkrampfe ich mich und Franky schnappt kaum hörbar nach Luft. „Momentan können wir nicht viel tun, ausser abzuwarten und zu hoffen, dass alles gut geht. Ich schlage vor, Sie fahren jetzt Nachhause, schlafen eine Runde und kommen morgen wieder vorbei. Vielleicht ist er bis dahin längst wieder wach.“ Da ich zu keiner Antwort fähig bin, stimmt Franky diesem Vorschlag zu. „Komm, Alex. Hier können wir nichts mehr tun, gehen wir Nachhause.“ ich reagiere gar nicht, sondern starre wie gebannt auf Damiens Gesicht. Mein Herz blutet. Wie konnte ich nur jemals denken, ich würde diesen Mann nicht lieben? Vorsichtig hebe ich eine Hand und streiche sanft über seine linke Wange, der einzige Fleck ohne eine Schramme oder Schnittwunde. „Bitte, komm zurück zu mir“, flüstere ich leise, ehe ich mich umdrehe und wortlos das Zimmer verlasse.

Selbst im Auto habe ich noch das Gefühl, das stete Piepen der Maschinen in seinem Zimmer zu hören. Franky sagt kein Wort, und ich bin ihm dankbar dafür. Momentan bin ich nicht fähig, eine normale, menschliche Diskussion zu führen. Nein, meine Kommunikationsfähigkeit ist fürs erste ausgeschaltet.

Franky fährt mich nachhause und ich bin ihm unglaublich dankbar für seine stumme Anteilnahme. Plötzlich spüre ich auch die drückende Müdigkeit, die sich wie Blei über meine Glieder senkt und mich ins Bett zwingt. Elin ist nicht da, aber das ist mir auch lieber so.

Zwei Sekunden nachdem mein Kopf das Kissen berührt hat, bin ich eingeschlafen.

 

Am nächsten Morgen steht Franky um neun Uhr vor der Tür und fährt mit mir nach Lorenzon ins Krankenhaus. Auch heute reden wir kaum ein Wort, er fragt nur ganz knapp, wie es mir geht. Meine Antwort besteht aus einem Kopfschütteln, das er nicht weiter kommentiert.

Im Krankenhaus hat sich nicht viel geändert, Damien liegt nach wie vor im Koma. Ich verbringe den halben Tag damit, stumm an seinem Bett Wache zu halten, sein Gesicht anzustarren und geistesabwesend über seine Hand zu streicheln. Um 15 Uhr fordert mich Franky dazu auf, etwas zu essen und redet so lange auf mich ein, bis ich mich seufzend erhebe und runter zur Cafeteria schlurfe, den bulligen Riesen im Schlepptau. Lustlos betrachte ich die grosse Auswahl an Gerichten, wobei sich mir allein bei dem Gedanken, etwas von diesem Zeug zu essen, der Magen umkehrt, und greife schliesslich nach einem Apfel. Franky runzelt die Stirn. „Willst du etwa nur diesen Apfel essen?“ Ich nicke knapp und laufe zur Kasse. „Hey, Alex! Jetzt warte doch mal. Du bist schwanger und du isst so schon immer viel zu wenig! Du musst endlich mal wieder etwas Anständiges in den Magen bekommen. Ich bitte dich nicht nur um deinetwillen darum, sondern auch weil du schwanger bist. Mein Gott, dein Baby verhungert dir noch im Bauch!“ Obwohl ich absolut keinen Hunger habe, erhebe ich keine Einwände, als er mir eine grosse Portion Spaghetti holt und auf ein Tablett stellt, nebst einer Schüssel mit gemischtem Salat und einem Sprite.

Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster. Stumm stochere ich in meinen Spaghetti herum und zähle die sichtbaren Maiskörner in meinem Salat. Fünfzehn Stück.

„Alex! Iss wenigstens die Hälfte davon.“ Franky schaut mich mit gerunzelter Stirn an, bis ich endlich eine Portion auf meine Gabel schaufle und runter würge.

„Zufrieden?“ Franky hebt eine Augenbraue und schaut auf meinen vollen Teller. „Erst wenn die Hälfte weg ist. Iss jetzt, Alex. Es wird dir gut tun.“ Seufzend wende ich mich meinem Salat zu und plötzlich spüre ich, wie hungrig ich eigentlich bin. Auch die Spaghetti sind im Nu weg. Franky grinst selbstzufrieden und ich verdrehe die Augen.

„Ach ja, was ich dir noch sagen wollte, Elin und Foxy kommen nachher noch vorbei. Sie kennen Damien zwar nicht so gut, aber er gehört irgendwie dennoch zu uns. Ausserdem werden dich die beiden ein wenig ablenken.“ Er grinst und ich runzle die Stirn. Nur Elin wäre mir lieber gewesen. Foxy ist mir momentan einfach nur zu aufgedreht. Aber vielleicht hat Franky ja Recht und sie lenkt mich tatsächlich ein wenig ab.

 

„Lorenzon ist wirklich wunderschön!“, seufzt Foxy begeistert, während sie über die Hafenabsperrung hüpft und eine riesige Yacht anhimmelt. Ich zucke die Achseln und schaue hinaus aufs Meer.

Nachdem die beiden kurz bei Damien vorbeigeschaut haben, Foxy hat ihm einen riesigen Blumenstrauss mit Herzchen und unzähligen Gute-Besserung-Kärtchen geschenkt, schleppten mich die beiden gleich weiter. Foxy wollte shoppen und Elin ein Eis. Elin hasst Eis. Sehr unauffällig, was?

Aber irgendwie ist es ja süss, wie die zwei sich um mich bemühen. Mittlerweile sind sie zwei echt gute Freundinnen geworden, etwas das ich von früher nicht kenne.

Und tatsächlich schaffen sie es, mich für drei Stunden vergessen zu lassen und einfach mal ein wenig zu entspannen. Na ja, so gut man in Gegenwart von Foxy eben entspannen kann.

„Irgendwann mal angle ich mir einen reichen Kerl und kaufe mir auch so einen Luxusschlitten!“, träumt Foxy gerade vor sich hin. „Und was ist mit deinem Freund?“, lacht Elin – etwas das man wirklich selten bei ihr zu sehen bekommt.

„Ach der“, Foxy winkt ab. Ich hebe eine Augenbraue. Für den rothaarigen Wirbelwind ist es eher ungewöhnlich, so über ihren geliebten Schatz zu sprechen. „Habt ihr Streit?“, hakt Elin nach. Auch sie scheint ein wenig verwirrt von ihrem Ton zu sein.

Foxy beisst sich auf die Lippen und plötzlich bricht alles aus ihr raus. Wie ein Häufchen Elend sinkt sie weinend in sich zusammen. Entsetzt werfe ich Elin einen Blick zu, ehe wir gleichzeitig zu ihr rennen und sie in die Arme nehmen.

„Oh Gott, Foxy. Was ist denn los?“, stammle ich unbeholfen, während Elin hastig nach einem Taschentuch sucht. Eine weinende Foxy, das ist wirklich ein ungewöhnlicher Anblick, den man erst mal verdauen muss. „Ich bin nicht gut genug für ihn!“, jammert sie erstickt. „Wie meint du das?“, fragt Elin, während sie ihr mit einem Tempo die Wangen trocken tupft. Es hilft nicht viel.

„Ich bin keine richtige Frau.“ Okay, das ist jetzt irgendwie verwirrend. Ich mustere Foxy. Sie gehört zu den Frauen mit einer grossen Oberweite, vollen Lippen und einem knackigen Arsch – mehr Frau geht ja wohl nicht, oder? „Versteht ihr denn nicht? Ich kann ihm kein Baby machen“, schluchzt sie. Meine Augen weiten sich. Oh Gott. Ausgerechnet Foxy. Dabei liebt sie Kinder doch so sehr! „Ach Schätzchen, das tut mir schrecklich leid“, ich umarme sie fester und auch Elin überwindet ihren Schock und zieht ihre Arme enger um sie. „Es tut mir leid“, flüstere ich immer wieder, bis sie sich ein wenig beruhigt hat. „Alex, du kannst doch nichts dafür. Niemand kann etwas dafür“, haucht sie heiser und wischt sich die letzten Tränen weg. Dann schnappt sie sich ein frisches Tempo und schnäuzt erst mal geräuschvoll. „Irgendwie hat das gut getan“, lächelt sie plötzlich. Ich grinse sie leicht verwirrt an. Oh man, diese Frau. „Kommt, wir setzen uns lieber auf die Bank dort vorne. Hier auf dem Boden wird es langsam unruhig“, sagt Elin irgendwann mit einem Blick auf mich. Ich nicke und auch Foxy scheint damit einverstanden zu sein.

„Okay, erzähl uns mal Schritt für Schritt was genau los ist“, bittet Elin und hält ihre Hand, während ich beruhigend über ihren Rücken streiche.

„Mir geht es seit einem halben Jahr nicht mehr so gut, meine Tage sind plötzlich unregelmässig gekommen. Also hab ich einen Termin bei meinem Frauenarzt ausgemacht und dieser hat mich untersucht. Ich weiss nicht genau warum, aber meine Gebärmutter ist verkümmert. Mein Arzt konnte nicht sagen, woher das kommt. Krebs oder so habe ich jedenfalls nicht, sagt er. Aber so wie es aussieht kann ich nie ein eigenes Baby bekommen.“ Sie wirft eine langen Blick auf meinen Bauch, der mittlerweile ein kleines bisschen grösser geworden ist. „Und was genau hat Danny dazu gesagt?“ Sie zuckt die Achseln. „Er hat sofort abgeblockt und sich von mir abgewendet. Er hasst mich!“ Und schon beginnen die Tränen wieder zu laufen. „Ach was, Danny vergöttert dich! Er braucht vermutlich einfach ein wenig Zeit, um damit klar zu kommen“, versucht Elin sie zu trösten und ich nicke zustimmend. „Das denke ich auch. Danny wird dich deswegen bestimmt nicht verlassen.“ Verunsichert blinzelt Foxy zu uns auf. „Meint ihr wirklich?“ Wie nicken heftig.

„So, und jetzt gehen wir ins Hafencafé und essen ein Stück von diesem leckeren Käsekuchen, der im Schaufenster steht!“, bestimmt Elin. Dankbar nehmen ich und Foxy die Ablenkung an und erheben uns.

 

Da Elin zusammen mit Foxy gekommen ist, fährt sie nur ein Stück hinter mir, ehe sie abbiegt, um Foxy Nachhause zu fahren. Ich schicke den beiden durchs Fenster einen Luftkuss und fahre weiter.

Foxy tut mir unglaublich leid. Gerade deswegen, weil sie mit mir all diese Babysachen gekauft hat und ständig in meiner Nähe ist. Und die Reaktion von Danny macht mich irgendwie wütend. Sind denn alle Männer plötzlich riesige Feiglinge geworden? Ich hätte erwartet, dass er sie in den Arm nimmt, tröstet und den Vorschlag macht, stattdessen irgendwann ein Kind zu adoptieren. Seufzend biege ich in Elins Strasse ein und parkiere in der Ausfahrt.

Gerade als ich nach meiner Tasche greife, um nach meinem Schlüssel zu suchen, höre ich hinter mir ein Geräusch.

„Hallo Miststück“ flüstert jemand dicht an meinem Ohr, dann wird alles schwarz um mich herum.

 

Brennender Schmerz in meiner Magengegend und heftige Kopfschmerzen reissen mich aus meiner Ohnmacht. Stöhnend versuche ich nach meinem Kopf zu greifen, aber ich kann nicht. Ich bin an Armen und Füssen gefesselt. Es ist so etwas wie eine Art Dèja-Vu. Nur dass das hier noch viel schlimmer ist, als damals in Damiens Keller. Ich sitze gefesselt auf einem Stuhl, direkt vor mir an der Decke hängt eine Lampe, die einen einsamen Lichtkegel um mich herum bildet und mich blendet. „Oh Gott“, keuche ich leise, als mir plötzlich speiübel wird und sich alles zu drehen beginnt.

„Na? Ausgeschlafen, Schlampe?“ Ich fühle mich wie in einem schlechten Horrorfilm, als sich direkt vor mir eine Gestalt aus der Dunkelheit löst. Sofort erkenne ich ihr Gesicht wieder. „Britney!“, flüstere ich entsetzt. Aber ihre Stimme...? Sie hört sich so anders an. Und sie sieht irgendwie seltsam aus. Ihre Kleider sind kaputt und schmutzig. Und sie schielt fürchterlich, wie mir plötzlich auffällt. Britney starrt mich ein paar Sekunden lang ausdruckslos an, ehe sie plötzlich wie irre anfängt hysterisch zu kichern. Eine Gänsehaut legt sich über meinen gesamten Körper.

Mit einem Schlag verstummt sie wieder und starrt mich erneuert lange an. „Ja, das sollte man wohl annehmen...“, flüstert sie und legt den Kopf leicht schräg, wie ein Vogel. „Aber falsch!“, kreischt sie plötzlich laut und ich zucke vor lauter Schreck heftig zusammen. Erneuert beginnt sie zu kichern und ich versuche die Kopfschmerzen zu ignorieren, die durch das schreckliche Geräusch anschwellen. Mit riesigen Augen mustere ich die blonde Frau vor mir und plötzlich wird mir alles klar. „Du warst das, Britney! Du hast diese Drohungen an meine Wände geschmiert und die Kadaver... das warst alles du!“, hauche ich entsetzt. Oh Gott, ich hätte nie gedacht, dass ihr Hass so tief geht. „Nein!“, schreit sie laut und erneuert fahre ich erschrocken zusammen. „Das war nicht Britney! Das war ich, Schlampe!“ Sie tritt einen Schritt vor und schlägt mir hart ins Gesicht. Tränen schiessen mit in die Augen und mein Kopf wird heftig nach links gestossen. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie so etwas wie einen Schlagring trägt, den ich schmerzhaft zu spüren bekomme. Hart presse ich meinen Kiefer zusammen, um den Schrei, der mir in der Kehle steckt, zu unterdrücken. „Hat das wehgetan? Oh, du armes Ding“, haucht Britney und legt wieder ihren Kopf schräg, was sie mehr denn je wie eine Verrückte aussehen lässt, gerade in Zusammenhang mit ihrer viel zu sanften Stimme. Plötzlich hält sie ein grosses Messer in die Höhe. „Erkennst du es?“ Paradoxerweise lächelt sie breit. Durch den Tränenschleier versuche ich das Messer genauer anzusehen und mir wird klar, dass es mein eigenes ist. Sie muss noch mal bei mir eingebrochen sein, oder vielleicht hat sie es auch bei ihrem letzten Einbruch mitgehen lassen.

Als Britney einen Schritt vor macht und ihre Hand hebt schnappe ich nach Luft und versuche so weit wie möglich zurückzuweichen. Sie schnaubt verächtlich und krallt ihre Hand schmerzhaft in meine Haare. Dann reisst sie sie zurück und zerrt so lange, bis mein Kopf im Nacken liegt und mein Hals schutzlos präsentiert wird. Sie tritt dicht hinter mich und beugt sich über mich. Ihr süsslicher Atem schwappt in mein Gesicht, zusammen mit einem Schwall Parfüm. Augenblicklich muss ich würgen. Momentan bin ich extrem empfindlich, was Gerüche angeht.

Plötzlich fühle ich die scharfe, kalte Schneidefläche an meinem Hals und halte entsetzt die Luft an. Sie wird doch nicht...?

„Es wäre so einfach“, haucht sie, während das Messer meine Halsschlagader nachzeichnet und leicht einschneidet. Ich spüre das Brennen und fühle etwas warmes meinen Hals hinunterlaufen. Sie seufzt leise, während ich stocksteif unter ihr liege und versuche, mich nicht mehr zu bewegen. „So einfach... Aber nein. Ich will dich noch ein wenig... quälen.“ Sie grinst bösartig, reisst meinen Kopf nochmal heftig nach unten, bis er hart an der Stuhlkante anschlägt. Endlich lässt sie von mir ab und weicht zurück. Ich versuche krampfhaft die Sternchen zu vertreiben, die für einen Moment lang vor meinen Augen schweben. Und diese verdammten Kopfschmerzen...

Erst jetzt dringt der Sinn ihrer Worte in meinen Kopf und schlägt erbarmungslos zu. Ich werde sterben. Und mein Baby ebenso. Britney lacht wie eine Irre los. „Du hast es endlich kapiert, Miststück! Ja, du wirst hier nicht mehr lebend raus kommen, dafür werde ich schon sorgen...“

Panische Angst macht sich in mir breit, noch immer kann ich das Blut fühlen, das zäh in mein T-Shirt tropft.

Mit einem ohrenbetäubenden Ratsch reisst sie das T-Shirt auseinander, bis mein Oberkörper frei vor ihr liegt. Wieder hebt sie das Messer und ich ziehe unwillkürlich den Bauch ein. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, am liebsten würde ich sie schützend vor mich halten, aber sie sind an die Armlehnen gefesselt. „Bitte“, flüstere ich panisch, als sie die Klinge über meinen Bauch gleiten lässt, ohne mich zu schneiden. „Bitte, Britney.“ Aber sie ignoriert mich eiskalt, währen sie die Spitze des Messers um meine Brustwarzen gleiten lässt. „Sei still, sonst kann es gut sein, dass ich ausrutsche und die etwas abschneide, Schlampe.“ Mit weit aufgerissenen Augen beobachte ich, wie sie das Messer mehrmals über meinen Oberkörper fahren lässt und immer mehr Druck gibt, bis dünne, rote Blutspuren entstehen. Die Schnitte brennen und es wird immer schlimmer. Keuchend schnappe ich nach Luft und unterdrücke einen Schrei, als sie etwas mehr Druck gibt. „Warum... tust du das?“, jammere ich erstickt. „Bitte Britney.“ Zu meiner Überraschung lässt sie abrupt von mir ab. „Vielleicht ist es an der Zeit, mich vorzustellen“, kichert sie bösartig und ich atme tief durch, um den Schmerz zu kompensieren. „Mein Name ist Sarah. Und stell dir vor“, erneuert bricht sie in hysterisches Gelächter aus, „ich bin nicht Britney!“ Ach scheisse, ist die etwas auch noch schizophren? Schlagartig wird sie wieder ernst und betrachtet interessiert die blutige Klinge ihres Messers. „Ich bin bloss die dumme kleine Zwillingsschwester von ihr.“ Oh Gott, es gibt zwei von denen? Aber ich kenne die doch gar nicht! Ich kenne nur Britney – und die hat mir beileibe schon gereicht.

„Ich habe dich beobachtet... jeden Tag. Dein naives Verhalten war ja so lustig!“ Sie kichert wieder und langsam geht es mir auf die Nerven. Ausserdem dreht sich wieder alles und mir wird schon wieder übel. Oh Oh. „Ich habe eigentlich gedacht mein süsser Schatz würde sich eine intelligentere Schlampe holen, aber er hat mich enttäuscht.“ Sie seufzt. Moment mal, meint die mit „süsser Schatz“ etwa Damien? „Du hast es allerdings erstaunlich lange bei ihm ausgehalten und ich habe mir schon Sorgen gemacht, er würde mich betrügen.“ Eine tiefe Falte erscheint zwischen ihren Augenbrauen. „Aber dann hat er dich ja glücklicherweise rausgeschmissen. Ich dachte, du würdest aus seinem Leben verschwinden, aber dann kommt meine dumme Schwester und erzählt mir, dass du mit Truck unterwegs warst und sogar gut mir ihm befreundet bist!“ Sie schnaubt verächtlich. „Und dann habe ich auch noch herausgefunden, dass du schwanger bist!“ Ihr Gesicht verzerrt sich zu einer bösartigen Fratze, die mir höllische Angst einjagt.

Ich versuche den Schwindel, der immer mehr und mehr anwächst, zurückzudrängen und einen klaren Gedanken zu fassen. Für einen Moment lang gelingt es mir und mir wird klar, dass das so etwas wie ein böser Zwilling sein muss. Dabei war doch Britney immer die böse. Ich fühle mich wie ein Kind, das überfordert wird und schon versinke ich auch wieder in einem Strudel von Angst und Chaos.

„Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“, schnauzt sie mich laut an und schlägt erneuert mitten in mein lädiertes Gesicht. Mein rechtes Auge schwillt zu und meine Wange platzt auf. Autsch.

Krampfhaft versuche ich die Ohnmacht, die immer näher kommt und am Rand meines Sichtfeldes hoch kriecht, zurückzudrängen. Unter gesenkten Lidern versuche ich sie anzuschauen und starre auf ihren Mund, der sich bewegt, aber ich höre irgendwie kein Wort mehr. Ich versuche etwas zu sagen, aber meine Zunge fühlt sich so schwer wie Blei an.

Erst als ich einen brennenden Schmerz in meinem Gesicht, quer über die linke Wange spüre, komme ich wieder etwas zu mir und sehe gerade noch, wie sich Britneys Doppelgängerin wieder entfernt. Von ihrem Messer tropft frisches Blut und mir wird klar, dass sie mich ziemlich tief geschnitten hat. Wieder fühle ich eine Welle Übelkeit auf mich zukommen und diesmal kann ich es nicht mehr zurückhalten. Gerade noch so kann ich mich nach vorne beugen und entleere meinen Magen neben meine Füsse. Mein Bauch verkrampft sich mehrmals und erneuert erwischt mich eine Welle. Ich übergebe mich so lange, bis mein Magen leer ist, aber die Krämpfe hören einfach nicht mehr auf. Mein Blickfeld verschwimmt, unklar nehme ich Sarah war, die mit dem Messer herumfuchtelt, wieder bewegt sich ihr Mund, aber das Blut rauscht so dermassen laut in meinen Ohren, dass ich sie nicht mehr hören kann. Mein letzter Gedanke gilt meinem Baby und ich wünsche mir sehnlichst, ich könnte es schützen. Erschöpft sinke ich in dem Stuhl zusammen und versinke in einer tiefen Ohnmacht.

 

Laute Geräusche reissen mich aus meinem Schlaf und mit dem Erwachen kommt der Schmerz.

Ich habe das Gefühl, etwas zerreisst mir meinen Bauch. Ein gellend hoher, durchdringender Schrei dringt an meine Ohren und am liebsten würde ich sie mir zuhalten, aber ich kann nicht. Mit aller Kraft versuche ich mich zu bewegen, aber es geht nicht. Ich habe keine Kontrolle mehr über meine Gliedmassen.

Ganz kurz schaffe ich es, meine Augen aufzureissen und starre in helles Licht. Sofort schliessen sich meine Lider wieder und ich spüre ein Stechen in meinem Arm. Bitte, flüstert eine leise Stimme tief in mir, rettet mein Baby. Dann wird erneuert alles dunkel um mich herum.

 

„Warum wacht sie nicht auf?“

„Wir wissen es nicht, Mister Valis. Es muss der Schock sein. Lassen Sie ihr noch ein wenig Zeit.“

„Aber sie ist jetzt schon seit drei Tagen bewusstlos!“

Drei Tage? Wer ist seit drei Tagen bewusstlos? Und wer sind diese Leute, die da so irre laut sprechen? Sie sollen gehen und mich in Ruhe lassen... Ich will schlafen. Bloss noch schlafen... So müde...

 

Wieder ist es eine leise Stimme, die mich weckt.

„Ach Kleines, was machst du bloss für Sachen?“, flüstert sie traurig und ich fühle einen leichten Druck in meiner rechten Hand. Ich will die Stimme trösten, sagen, dass ich wach bin und den Druck erwidern, aber ich kann nicht. Noch immer habe ich keine Kontrolle über meinen Körper. Ich spüre ihn zwar, aber es gibt irgendwie keine Verbindung mehr zwischen meinem Gehirn und meinen Nerven. Und immer diese Müdigkeit. Sie ist so schwer...

 

„Lassen Sie sie in Ruhe! Sehen Sie nicht, dass sie nicht in der Lage ist, Ihnen irgendetwas zu sagen? Sie ist bewusstlos, verdammt nochmal! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was diese Frau alles durchmachen musste?“ Ich brauche einen Moment, ehe ich die Stimme wiedererkenne. Franky. Er ist hier. Und er hört sich wütend an. Was ist da los? Ich wünschte, ich könnte meine Augen öffnen, nur für einen kurzen Moment, aber es geht nicht. „So leid es mir tut, Kommissar, ich muss Mr. Valis in diesem Punkt Recht geben. Miss Diver ist momentan nicht zu sprechen, sie liegt seit vier Tagen im Koma.“ Diese Stimme erkenne ich hingegen nicht, aber sie hört sich unglaublich sanft an.

„In Ordnung, Doktor. Würden Sie mich vielleicht benachrichtigen, wenn sie wieder zu sich kommt und ansprechbar ist? Hier ist meine Karte.“ Auch diese Stimme ist mir vollkommen unbekannt. Wie hat ihn dieser Arzt genannt? Kommissar... Also muss er von der Polizei kommen... Wieder fühle ich die Müdigkeit näher kommen und lasse mich von ihr davon tragen.

 

Stechende Schmerzen in meiner Magengegend wecken mich dermassen heftig, dass ich das Gefühl habe, mit einem Ruck wieder in meinen Körper gerissen zu werden. Stöhnend krümme ich mich zusammen und krampfe meine Finger in das durchgeschwitzte Laken. Oh Gott, scheisse tut das weh!

„Alex! Du bist wach!“ Ein Stuhl wird zurückgeschoben, im nächsten Moment steht Franky neben mir. „Was ist los?“ Er hört sich eindeutig überfordert an, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter. „Schmerzen“, keuche ich mit verzerrtem Gesicht und kralle meine rechte Hand in sein Shirt. Hechelnd versuche ich den Schmerz zu kompensieren, aber es hilft nichts.

Franky reagiert erstaunlich schnell und drückt mehrere male auf einen Knopf, der über mir hängt. Wenige Sekunden später hört man draussen Schritte heran eilen, dann wird eine Tür aufgeschmissen und mehrere Leute betreten den Raum. Wie aus weiter Entfernung höre ich Stimmen, jemand fragt besorgt nach, was passiert ist, Franky antwortet irgendetwas.

Bitte, dieser Schmerz, es soll aufhören. Gequält schreie ich auf und presse meine Augen fest zusammen.

Und mit einem Mal ist es vorbei und ich versinke in weicher Watte. Endlich...

 

Schrecklich grosser Hunger reisst mich irgendwann aus meinem tranceartigen Zustand, von dem ich nicht genau sagen kann, ob es Schlaf war, oder irgendwelche Drogen.

Noch immer fühle ich mich ein wenig seltsam, so leicht. Aber das dringende Bedürfnis, etwas Anständiges in meinen leeren Magen zu bekommen, ist grösser.

Blinzelnd öffne ich meine Augen und versuche mich probeweise auf die Ellbogen aufzustützen. Meine Muskeln sind weich wie Pudding und geben sofort wieder nach. Mit einem leisen Aufstöhnen falle ich wieder zurück ins Bett. „Verdammt“, krächze ich mit heiserer Stimme. Das hätte ich lieber nicht getan, denn jetzt kommt auch noch riesiger Durst zu meinem Hunger. Meine Kehle fühlt sich an, als hätte sie Urlaub in der Sahara gemacht.

„Alex! Du bist wieder wach!“ Frankys erleichtertes Gesicht erscheint über mir und ich schrecke zusammen. Er sieht schrecklich aus. Als hätte er seit mehreren Tagen kein Wasser und Seife mehr gesehen. Und sein Rasiermesser muss ihm wohl auch verloren gegangen sein. „Wie geht es dir?“, hakt er nach und greift nach meiner Hand, die in seiner Pranke verschwindet. „Hunger“, flüstere ich heiser. Es klingt so leise wie ein Windhauch, aber er scheint es verstanden zu haben. „Gut, ich hole dir sofort etwas! Und ich sage schnell den Schwestern Bescheid, dass du wach bist!“ Er scheint erleichtert zu sein, eine Aufgabe zu haben und verschwindet schnell. Ich seufze leise und mache eine kurze Bestandsaufnahme. Mein Körper fühlt sich unglaublich schwach an und ich habe an verschiedenen Stellen leichte Schmerzen, vor allem mein Bauch ist davon betroffen. Aber irgendwie fühlt sich der Schmerz wie... betäubt an.

Plötzlich überkommt mich Panik und ich taste nach meinem Bauch, aber da scheint sich nicht viel verändert zu haben, mit Ausnahme, dass ein dicker Verband um meinen gesamten Oberkörper gewickelt ist. Instinktiv weiss ich, dass es noch da ist. Mein Baby ist nicht weg. Grenzenlose Erleichterung überkommt mich.

Mit einem tiefen Seufzer mache ich weiter mit meiner Kontrolle und spüre zum ersten Mal, dass ich einen Schlauch in der Nase habe. Igitt. Ausserdem haben sie mir einen Zugang gelegt, denn in meiner linken Hand steckt eine Nadel, die in einem Infusionsschlauch endet, der wiederum in einen Beutel mit klarer Flüssigkeit führt.

An meinen Handgelenken entdecke ich dünne Striemen, die rötlich schimmern und davon zeugen, dass ich ziemlich an meinen Fesseln gezerrt habe, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich an meinen Füssen dasselbe entdecken werde.

Ein Schauer überkommt mich und ich versuche mich verzweifelt daran zu erinnern, was passiert ist, nachdem ich in Ohnmacht gefallen bin. Ganz kurz schwebt ein Erinnerungsfetzen durch meinen Kopf, aber als ich danach greifen will, entgleitet er mir und verschwindet genauso schnell wieder, wie er gekommen ist. Verdammt.

Schritte auf dem Gang kommen näher und im nächsten Moment wird die Tür auch schon geöffnet und eine junge freundlich schauende Krankenschwester kommt herein, dicht gefolgt von Franky.

„Willkommen zurück, Miss Diver“, sagt die Schwester und tritt neben mein Bett. „Mein Name ist Lilly, wir werden uns wohl noch eine Weile sehen, solange Sie noch hier bleiben.“ Sie lächelt herzlich und ich erwidere es schwach. „Ich habe nach Dr. Azarus schicken lassen, er wird in wenigen Augenblicken kommen. Wie ich höre, haben Sie Hunger?“ Ich nicke leicht. „Schrecklich grossen“, krächze ich und wie aufs Stichwort knurrt mein Magen laut hörbar. Lilly lacht leise. „Gut, aber da Sie längere Zeit bewusstlos waren, haben Sie nur Flüssignahrung bekommen. Ihr Magen muss sich erst wieder an feste Mahlzeiten gewöhnen. Ich schlage vor, Sie trinken erst mal einen Schluck Wasser und ich sehe, ob wir eine Suppe für Sie bekommen, in Ordnung?“ Ich nicke erneuert. Wasser ist gut. Und Suppe auch, Hauptsache, sie kommt schnell. Lilly entschuldigt sich und verschwindet kurz. Als sie wieder herein kommt, wird sie von einem älteren Arzt begleitet.

„Sie sind wieder wach, sehr gut, Miss Diver!“ Er lächelt breit und ich meine mich daran erinnern zu können, seine Stimme schon einmal gehört zu haben. Eine schwache Erinnerung von mehreren Stimmen taucht in meinem Kopf auf und ich bin mir sicher, dass er auch dabei war. „Mein Name ist Dr. Azarus, ich bin Ihr behandelnder Arzt. Wie geht es Ihnen denn? Als sie vor ein paar Stunden erwacht sind, hatten Sie ja unglaubliche Schmerzen, sind diese noch vorhanden?“ Seine sanfte Stimme lullt mich ein und macht mich fast ein wenig schläfrig. Ich muss mich ziemlich konzentrieren, um ihm eine anständige Antwort geben zu können. Lilly hilft mir, als sie mir ein Glas mit Wasser in die Hand drückt. „Langsam trinken“, mahnt sie mich. Gierig trinke ich das Glas in kleinen Schlucken aus und fühle mich sofort besser. Erst jetzt wende ich mich wieder dem Arzt zu. „Nein, ich spüre fast nichts mehr. Nur ganz leicht, aber es ist irgendwie betäubt. Was haben Sie mir da vorhin verabreicht? Das fühlte sich an, wie Drogen.“ Er lächelt verständnisvoll. „Ja, das haben diese Medikamente so an sich. Aber nein, es war bloss ein starkes Schmerzmittel. Und keine Angst, wir haben darauf geachtet, dass es nicht schädlich für Ihr Baby ist. An was können Sie sich noch erinnern?“

Ich blinzle leicht und schiele zu Franky. Was weiss er? Was ist passiert, nachdem ich in Ohnmacht gefallen bin?

„Ich bin ohnmächtig geworden, Britney war da, nein, halt, sie nannte sich Sarah.“ Abrupt verstumme ich und beginne zu zittern. Wieder und wieder höre ich ihr schrilles, irres Lachen. Franky springt panisch auf. „Was ist mit ihr?“ Er will zu mir, aber Dr. Azarus hebt beruhigend die Hand. „Lassen Sie sie, Mr. Valis. Das ist der Schock. Es ist nur normal, dass dieser erst jetzt eintritt. Sie muss das durchmachen, danach wird es ihr besser gehen, das verspreche ich Ihnen.“

Und tatsächlich hat er Recht. Das Gefühl der Ohnmacht geht vorbei und ich fühle mich gleich viel besser. Lilly streichelt beruhigend meine Hand. „Sie sind in Sicherheit, wir haben dafür gesorgt, dass Sarah in einem anderen Trakt untergebracht wurde.“ „Sie wird von mehreren Sicherheitsleuten bewacht“, fügt Dr. Azarus sanft hinzu und ich atme erleichtert durch. Aber Moment mal, sie ist hier? „Warum ist Sarah auch hier?“, hake ich verwirrt nach. „Sie wurde schwer verletzt, als man Sie gerettet hat, Miss Diver. Aber das wird Ihnen Kommissar Dankes noch genauer erklären und ich bin mir sicher, ihr Freund hier weiss auch mehr, als wir.“ Er nickt in Richtung Franky.

„So, genug geredet. Ich bin eigentlich hier, um Sie kurz durchzuchecken und zu schauen, wie Sie die Operation überstanden haben.“ Dr. Azarus wirft Franky einen bedeutenden Blick zu. Er springt sofort auf und verschwindet nach draussen. „Gut, dann wollen wir doch mal sehen, wie es ihrem Bauch geht!“, er lächelt mich an und schiebt die Decke beiseite. Ich trage ein dünnes Krankenhaushemd, das hinten offen ist, wie mir erst jetzt auffällt und für den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich, wer mich ausgezogen hat. Lilly greift nach dem Hemd und schiebt es nach oben, bis knapp unter meine Brust. Mein gesamter unterer Oberkörper ist von einem dicken weissen Verband umwickelt, den Dr. Azarus jetzt mit geschickten Händen öffnet. „Sie müssen sich jetzt leider für ein paar Sekunden aufsetzen. Lilly wird Ihnen helfen.“ Er tritt einen Schritt zurück, während Lilly auf einen Kopf am Bett drückt, der bewirkt, dass sich der Kopfteil nach oben bewegt, bis ich sitze. Sie hält mir ihre Hände hin und ich greife danach. Vorsichtig zieht sie mich etwas nach vorne, und ich ziehe scharf die Luft durch die Zähne, als ein stechender Schmerz durch meine Rippen schiesst. „Langsam, ganz vorsichtig“, murmelt Lilly und hält mich mit der einen Hand aufrecht oben, während sie mit der anderen geschickt den Verband löst. Wenige Sekunden später ist er weg und ich kann mich wieder hinlegen. Entsetzt starre ich auf meinen Bauch. Die gesamte linke

Seite wird von einem grossen Pflaster bedeckt und der Teil der noch sichtbar ist, ist über und über mit Schnittwunden bedeckt, die allerdings schon verheilen. „Das sieht schon mal nicht schlecht aus“, murmelt Dr. Azarus und tritt wieder näher. „Das wird jetzt ein bisschen wehtun“, warnt er mich, ehe er das Pflaster löst und vorsichtig von meiner Haut zieht. Ein langer Schnitt kommt zum Vorschein, bei dem man sogar noch die Stiche sieht, dort, wo der Arzt genäht hat. „Wir mussten das nähen und einen Teil Ihres Magens retten, den Sarah wohl auch erwischt hat. Aber wie es aussieht ist alles gut gelaufen und es verheilt sehr gut. Es wird eine Narbe bleiben, aber sie wird nur sehr dünn sein. Die restlichen Schnittwunden werden vermutlich auch länger zu sehen bleiben, aber sie werden verblassen. Zudem sind zwei Ihrer Rippen gebrochen, aber wir konnten das schon richten und wenn Sie sich nicht zu viel bewegen, wird das auch bald wieder zusammenwachsen. Ihrem Baby geht es soweit gut, es hat den Schock wohl auch gespürt, aber keine Schäden abbekommen.“

Ich seufze leise und beisse mir auf die Lippen. Dabei ertaste ich eine Wunde, die schon verschorft ist. Wie sieht überhaupt mein Gesicht aus? Ich meine, Sarah hat mehrmals ziemlich heftig zugeschlagen und mein Kiefer tut echt weh, wie mir auffällt. Mein Auge ist glücklicherweise wieder abgeschwollen, ich kann mich dunkel daran erinnern, dass sie mir ein Veilchen verpasst hat. „Kann ich vielleicht einen Spiegel haben?“, bitte ich und Lilly nickt und verschwindet.

Wenige Sekunden später kommt sie auch schon wieder mit einem Handspiegel, den sie mir jetzt in die Hand drückt. Ich erschrecke ziemlich heftig, als ich mich zum ersten Mal sehe. Meine gesamte rechte Gesichtshälfte ist dahin. Um mein Auge prangt noch immer ein violettes Veilchen, dessen Farbe langsam zu einem ekligen Gelb wechselt. Direkt darunter ist die gesamte Wange aufgeplatzt und verschorft. Auch auf meiner Lippe sehe ich eine Wunde, diejenige, die ich schon vorhin entdeckt habe. Ich halte den Spiegel etwas weiter nach unten und finde den langen Schnitt, den mir das Miststück am Anfang verpasst hat.

„Wir konnten kein anständiges Pflaster draufkleben, weil es alles verklebt hätte und schlecht wechselbar gewesen wären. Ausserdem wollten wir nicht riskieren, dass wir die gesamte Wunde wieder aufreissen, wenn wir das Pflaster wechseln müssten“, erklärt Lilly leise. Dr. Azarus lächelt leicht. „Es sieht schlimmer aus, als es ist“, tröstet er mich, und ich zucke die Achseln. Momentan bin ich einfach nur froh, noch am Leben zu sein und dass meinem Baby nichts passiert ist. Ach, mein süsses kleines Würmchen... Was würde ich bloss ohne dich tun? Tiefe Liebe für dieses ungeborene Wesen überkommt mich.

Leises Klopfen erklingt an der Tür. Lilly öffnet sie und lässt eine weitere Schwester und Franky herein. Die Krankenschwester rollt einen kleinen Wagen mit einem grossen Tablett herein, auf dem sich eine Wärmekuppel befindet. „Guten Appetit“, wünscht sie mir, und verschwindet gleich darauf wieder. Franky setzt sich auf seinen Stuhl und beobachtet, wie Lilly die Kuppel hebt und unten verstaut. Sofort kommt mir der Duft von leckerer Gemüsesuppe entgegen und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Lilly stellt den dampfenden Teller auf eine verschiebbare Ablage, die sie vor mich schiebt, sodass alles in perfekter Reichweite ist, ohne dass ich mich aufsetzen muss.

Ich greife nach dem Löffel und will schon gierig alles in mich rein schaufeln, als sie mahnend den Finger hebt. „Langsam, sonst bleibt es nicht lange im Magen!“ Ich nicke und reisse mich zusammen. Die Suppe ist wirklich köstlich und im Nu ist der Teller leer. Ich wünsche mir fast, dass ich noch einen zweiten Teller bekommen würde, aber Lillys Blick sagt genug aus. „So, wir lassen euch jetzt mal allein, Mr. Valis hat bestimmt einiges zu erzählen. Falls etwas ist, einfach klingeln.“ Beide schenken mir noch ein sanftes Lächeln, ehe sie verschwinden und das Tablett mit dem leeren Teller gleich mitnehmen.

Kaum ist die Tür hinter ihnen eingerastet, starre ich Franky erwartungsvoll an. „Nun erzähl schon, was ist passiert? Wie habt ihr mich gefunden? Was ist mit Sarah passiert?“

Franky seufzt leise und rückt mit seinem Stuhl näher. „Also gut. Manche Dinge verstehe ich selbst noch nicht ganz, aber ich versuche dir alles zu erzählen, so wie ich es mitbekommen habe. Nachdem Elin wieder bei eurer Wohnung angekommen ist und du nirgends warst, hat sie sich natürlich ziemliche Sorgen gemacht. Sie hat mehrmals versucht dich auf deinem Handy zu erreichen, aber es war aus. Gerade als sie zur Polizei wollte, rief Foxy an, und fragte, ob du ihr Handy noch hättest. Wie es aussieht hat sie es dir irgendwann im Laufe des Tages gegeben, damit du es zu dir nimmst. Sie hat es vergessen und du hast sie auch nicht mehr darauf angesprochen.“ Ich erinnere mich tatsächlich noch daran, dass sie mich gebeten hat, ihr Handy zu nehmen, weil sie ständig Danny anrufen wollte und es sich selbst verbot. Da sie wusste, dass ich es ihr nicht mehr einfach so zurück geben würde, hatte sie es mir gegeben und ich hatte es in meine hintere Hosentasche gesteckt - beide haben wir es in dem ganzen Trubel vergessen. „Jedenfalls wusste Elin, dass das die einzige Lösung war. Sie hatte die nötigen Dinge, um das Handy zu orten und fand dich in dieser Hütte im nördlichen Wald. Sie hat ihre Kollegen vom Revier informiert und ist mit einer Truppe zu dieser Hütte. Allerdings war die leer. Tja, zuerst dachte Elin, du wärst schon wieder weg, aber dann fanden sie einen Eingang in ein unterirdisches Kellergewölbe. Da unten haben sie dann auch dich und diese Verrückte gefunden.“ Plötzlich stockt er und schüttelt den Kopf. „Ich war ja so dumm! Es tut mir unglaublich leid, Alex. Ich kenne Sarah und ihre Liebe für Damien und ich war einfach nur zu blind, um die Zusammenhänge zu sehen! Es ist alles meine Schuld“, flüstert er und ich sehe ihn erschrocken an. „Meinst du das ernst? Spinnst du?! Nicht du hast mich entführt – okay schon, aber das ist eine andere Geschichte – sondern Sarah! Niemand trägt Schuld, nicht einmal Britney, die ihr von mir erzählt hat.“

Franky hebt erstaunt den Kopf. „Britney? Hatte die etwa auch noch die Finger im Spiel?“ Sein Gesicht verzeiht sich angewidert. Hastig versuche ich ihn wieder zu beruhigen – auch wenn ich Britney nicht sonderlich ausstehen kann, will ich sie nicht für etwas verantwortlich machen, wofür sie im Grunde nichts kann. Wenn sie mitschuldig ist, wird man das herausfinden. „Ich glaube nicht, Truck. Sie muss wohl erwähnt haben, dass ich mit dir und deinen Freunden aus war.“ Er schüttelt den Kopf. „Erzähl bitte weiter“, bettle ich, weil ich spüre, dass er das Thema mit Britney noch nicht zur Seite legen möchte. „Okay, also, als sie den Raum gefunden haben, in dem du warst, haben sie versucht ihn aufzubekommen, aber sie hat euch eingeschlossen. Sarah hat mitbekommen, dass jemand vor der Tür war und mit deinem Tod gedroht, sollte irgendwer auf die Idee kommen, die Tür aufzubrechen. Elin und ihre Truppe waren ziemlich in einen Schlamassel geraten, sie wussten nicht, ob sie es riskieren konnten, trotzdem einzubrechen. Einer der Männer kam dann auf den Gedanken, nach einem Lüftungsschacht zu suchen, etwas das dort unten in jedem Raum vorhanden war. Man nahm also an, dass es auch zu dir einen solchen geben würde und fand tatsächlich einen. Sie sind also über den Lüftungsschacht reingekommen und haben Sarah überrascht. Die ist total ausgerastet.“ Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ich schaudere. „Hey, ganz ruhig, es ist vorbei“, flüstert Franky tröstend und plötzlich kann ich es nicht mehr zurückhalten und beginne haltlos zu weinen. Franky steht auf, schiebt sich auf die Bettkante und nimmt mich fest in die Arme. „Schhh“, flüstert er leise und streichelt über meine Haare. „Es ist alles so beschissen, Truck!“, jammere ich. „Zuerst die Sache mit Damien, dann werde ich auch noch schwanger, er baut diesen Unfall und ich werde von dieser Verrückten verfolgt. Ich habe solche Angst“, hauche ich. „Ich fühle mich so allein“, schluchze ich verzerrt und vergrabe mein Gesicht an seiner breiten Brust. „Ach was, Alex. Du bist nicht allein. Ich passe auf dich auf und auch Elin, Foxy und der Rest mögen dich wirklich, sie würden dich niemals im Stich lassen.“ Ich schniefe und hebe den Kopf. „Meinst du das ernst?“ Er lächelt leicht und zum ersten Mal entdecke ich die tausend Lachfältchen, die um seine Augen erscheinen und sie strahlen lassen. „Ja, das bin ich, Kleines.“ Ich seufze leise und schniefe nochmal. „Oh Gott, ich hab dich total eingesaut!“, flüstere ich verlegen. Auf seinem Hemd prangt ein grosser, nasser Fleck, der von meinen Tränen stammt. „Kein Problem, ich hab Ersatzkleider im Wagen.“ Ich starre ihn eine Sekunde lang verblüfft an, dann breche ich in Gelächter aus. „Wirklich?“ Er zuckt die Achseln und grinst verlegen. Ich wundere mich nicht mehr über meine Launenhaftigkeit, es gehört irgendwie dazu.

Ich seufze leise. „Erzählst du mir vielleicht noch, warum Sarah auch hier ist? Und warum ist sie schwer verletzt?“ Franky betrachtet mich lange. „Sie hatte eine Waffe bei sich und versucht, sich den Weg frei zu ballern. Einer der Polizisten wurde angeschossen, aber es war nur ein Streifschuss. Allerdings haben die Bullen da entschieden, dass es besser wäre, wenn man sie niederstreckt. Eigentlich wollte man ihr nur ins Knie schiessen, damit sie nicht mehr aufstehen kann, allerdings ist das schief gegangen und schlussendlich hat sie eine Kugel in die linke Schulter bekommen, allerdings ziemlich weit unten, in der Nähe des Herzens. Wenn du mich fragst, hätte der Bulle ruhig noch ein wenig tiefer zielen können.“ Obwohl ich keiner Fliege etwas zu leide tun kann, stimmt ein winziger Teil in mir zu. Ich schüttle mich und greife nach dem Glas, das Lilly vorhin nochmal aufgefüllt hat. Mit grossen Schlucken stürze ich alles runter und wünsche mir fast, es wäre nicht nur Wasser gewesen.

Plötzlich fühle ich mich unglaublich müde und sinke in den Kissen zusammen. „Du bist müde, stimmt's?“, flüstert Franky leise und ich nicke mit geschlossenen Augen. „Soll ich dich alleine lassen?“ Ich schüttle den Kopf. Irgendwie fühle ich mich besser, wenn ich weiss, dass er noch da ist. „Okay.“ Es raschelt leise und ich hebe ein Augenlid. Er hat sich bloss etwas zurechtgerückt in seinem Stuhl und grinst mich an. „Schlaf gut.“ „Danke“, flüstere ich kaum hörbar und schliesse meine Augen wieder ganz. Schon nach wenigen Minuten erklingt nur noch mein tiefer, regelmässiger Atem.

 

„Alex? Alex, wach auf“, flüstert jemand leise an meinem Ohr. Eine Hand rüttelt vorsichtig an meiner Schulter. Blinzelnd öffne ich meine Augen und hebe fragend meine Brauen. „Was ist denn los?“, frage ich schläfrig und gähne erst mal herzlich. „Damien ist aufgewacht!“, platzt es aus ihm heraus. Ich erstarre mitten in meiner Bewegung und meine Augen weiten sich. „Was?“, hauche ich überrascht. Damien. Er ist wieder wach. Gott sei dank.

„Wie geht es ihm?“, frage ich leise und Franky strahlt. „Erstaunlich gut. Er ist noch ein wenig verwirrt und er fragt ständig nach dir. Er weiss noch nichts von... der ganzen Geschichte.“ Ich seufze und schüttle den Kopf. „Gut. Was genau meinst du mit 'er fragt ständig nach mir'?“, will ich wissen. „ Na ja, er will dich sehen. Als ich ihm sagte, dass das nicht gehen würde, schien er ziemlich verwirrt zu sein. Ich glaube wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er einfach aufgestanden und aus dem Krankenhaus marschiert. Vielleicht solltest du noch wissen, dass er Krankenhäuser hasst“, grinst Franky. Ich rolle die Augen. Natürlich hasst er Krankenhäuser, wie auch nicht? Irgendwie habe ich das schon geahnt. Aber.. warum will er mich so dringend sehen? Um mir noch mal das Herz zu brechen? Nein, das lasse ich bestimmt nicht zu. Trotzig schüttle ich den Kopf. „Er hat mich einfach abserviert, Truck!“ Franky seufzt leise, aber er scheint mich zu verstehen. „Denk bitte darüber nach“, bittet er und ich weiss, dass er uns liebend gerne wieder zusammen sehen würde. Ihm zuliebe nicke ich schliesslich und schliesse für einen Moment lang erschöpft die Augen. Ich bin noch immer so schrecklich müde. Aber ich fühle mich schon wieder viel besser. „Ich lasse dich noch ein wenig schlafen, wir sehen uns morgen, einverstanden?“ Ich nicke schläfrig und beobachte unter gesenkten Wimpern, wie er mein Zimmer verlässt. Damien ist also wieder wach. Was er wohl von mir will? Vielleicht bereut er es ja, einfach abgehauen zu sein. Oder er will nur hören, ob ich das Baby abgetrieben habe. Ich schnaube. Als könnte ich so etwas jemals tun.

Ich denke noch eine Weile darüber nach, aber dann übermannt mich der Schlaf und ich lasse mich nur zu gerne von ihm hinweg tragen.

 

Meine Wunden verheilen erstaunlich schnell. Es ist jetzt eine Woche her, seitdem ich aufgewacht bin, und mir geht es schon bedeutend besser. Meine Rippen schmerzen zwar noch immer echt fies, wenn ich meinen Oberkörper bewege, aber es geht. Und mein Gesicht sieht noch immer ein wenig Zombieartig aus, aber es verheilt gut. Dr. Azarus hat gesagt, dass ich mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Narbe davon tragen werde, aber das ist okay. Solange es nicht allzu schlimm aussieht, kann ich damit leben. Auch der tiefe Schnitt auf meinem Bauch wird wohl eine Narbe hinterlassen, aber das kümmert mich recht wenig. Ich bin einfach nur heilfroh, dass ich diesen Scheiss einigermassen gut und lebend überstanden habe. Und dass es meinem Würmchen gut geht. Ich bin jetzt im dritten Monat und so langsam sieht man es mir wirklich an. Gott sei dank hat die Morgenübelkeit endlich nachgelassen, allerdings fühle ich mich noch immer ziemlich launisch. Ich schaue schon gar keine Tagesnachrichten mehr, weil mir bei jeder schlechten Nachricht die Tränen kommen – und heute ist es ja leider so, dass die Tagesnachrichten nur noch aus schlechten Nachrichten bestehen. Überhaupt lasse ich den Fernseher in meinem Zimmer lieber aus, weil ich einfach viel zu sehr auf die unzähligen Filme und Eindrücke reagiere. Ob das wohl jede schwangere Frau so erlebt? Wohl kaum. Aber gestern Mittag ist Dr. Klyros noch vorbeigekommen, der mich untersuchen wollte, und er hat mir gesagt, dass sich das vermutlich bald wieder legen würde. Mein Körper müsse sich eben zuerst an die Hormone gewöhnen, dann würde ich das gar nicht mehr bemerken. Ich sehe dem noch etwas skeptisch gegenüber. Skeptisch bin ich auch was Damien betrifft. Er will mich nach wie vor sehen und, laut Franky, geht er dem Personal damit gehörig auf die Nerven. Ich weiss nicht genau ob ich darüber lachen oder weinen soll. Momentan ist mir eher nach letzterem zumute.

Irgendwann werde ich ihm wieder gegenüber treten müssen, aber ich muss zugeben, ich habe verdammt viel Angst davor. Ich will nicht noch einmal zurückgewiesen werden, das letzte Mal tat echt weh.

Ich sehe auf die Uhr, gleich wird Lilly mit meinem Mittagessen kommen. Ein Lächeln huscht über mein geschundenes Gesicht. Ich bin wirklich froh darüber, eine so liebe Schwester zugeteilt bekommen zu haben, sie liest mir jeden Wunsch von den Augen ab und hat immer ein Ohr offen, wenn ich mal wieder mit den Nerven am Ende bin. Was ungefähr so ziemlich jeden Tag der Fall ist.

 

Nach drei Wochen ist es dann so weit, Dr. Azarus entlässt mich endlich!

Mit gepackten Taschen – Franky hat kurz nach meinem Aufwachen ein paar Sachen von mir geholt – stehe ich neben meinem Bett und umarme Lilly. Ich werde sie vermissen, sie ist mir sehr ans Herz gewachsen. „Du schreibst mir doch, nicht wahr?“, bittet sie und ich nicke mit Tränen in den Augen. „Natürlich! Und nächsten Freitag sehen wir uns im „Lucky“ um acht.“ Sie nickt und strahlt mich an. Wir beide haben beschlossen, dass wir den Kontakt aufrecht halten, und werden am Freitag ins „Lucky“ gehen, einem kleinen Restaurant, gleich um die Ecke. Ich freue mich jetzt schon darauf.

„Du musst los, dein Freund wartet schon“, murmelt sie und küsst mich zum Abschied noch mal auf die Wangen. Ich nicke, greife nach meinen Taschen und verlasse das Krankenzimmer, in dem ich über einen Monat verbracht habe. Draussen wartet Franky, der mir sofort die Taschen abnimmt und mit mir das Krankenhaus verlässt. Als das Gepäck jedoch in seinem Jeep verstaut ist, zögert er. „Willst du nicht noch schnell bei Damien vorbei schauen?“, fragt er leise und ich zucke ein wenig zusammen. Ich habe gehofft, dass er es vergisst und mich einfach nur Nachhause fährt. Nachdenklich betrachte ich meine Schuhspitzen.

Er muss noch ein paar Tage hier bleiben, wird aber auch bald entlassen. Franky hat mir jeden Tag Bericht erstattet, wie es ihm geht – und dass er immer nach mir fragt. Ich habe immer und immer wieder nachgehakt, was er will, aber Franky hat mir nichts verraten. Jetzt stehe ich vor einem inneren Zwiespalt, denn noch immer bin ich hin- und hergerissen, ob ich ihn besuchen soll oder nicht. Aber dann flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf, dass ich sowieso nicht drumherum komme, mit ihm zu sprechen – und ganz ehrlich, ich rede lieber mit ihm, wenn er noch an sein Bett „gefesselt“ ist, als wenn er wieder vollkommen bei Kräften ist. Kurzentschlossen nicke ich und folge Franky. Aufregung und tiefe Nervosität macht sich flatternd in meinem Magen bemerkbar und mein Herz beginnt zu hüpfen und rast dann los. Es ist das erste Mal, seitdem er mich abgewiesen hat, dass ich ihn wieder wach sehe.

Vor dem Zimmer mit der Nummer 355 bleiben wir stehe und ich beobachte, wie Franky leise an die Tür klopft. Ein dumpfes „Herein“, erklingt und mein Herz macht einen Sprung, als es seine Stimme erkennt. Ich trete dicht hinter Franky ein – und ja, ich gebe es zu, ich benutze ihn als meinen persönlichen Schutzschild. Der gerade die Fliege macht und mich im Stich lässt, in dem er einen Schritt nach links macht und mich damit Damien ausliefert. Ich schenke ihm einen vorwurfsvollen Blick, ehe ich langsam den Kopf wende und den Mann anschaue, dem ich mein Herz geschenkt habe – wenn auch widerwillig. Das erste, was mir auffällt, ist, dass der Verband um seinen Kopf weg ist. Auch an seinem Handgelenk ist nichts mehr. Ich kann mir ein erleichtertes Seufzen nur schwer verkneifen. „Alexandria“, flüstert er überrascht und ich spüre seinen stechenden Blick auf mir. Langsam hebe ich den Kopf und sehe ihm in die Augen. „Hallo Damien“, murmle ich und bin froh, dass meine Stimme erstaunlich kräftig klingt. Franky legt sanft seine Hand auf meine Schulter und drückt mich sacht einen Schritt vorwärts. „Redet endlich, ich warte draussen“, brummt er und verschwindet. Nein!, schreit alles in mir und am liebsten würde ich ihm hinterher stürzen und ihn zurück zerren.

Mehrere Minuten lang schweigen wir uns an, ich noch immer unsicher mitten in seinem Zimmer stehend und auf meine Fussspitzen starrend. Die scheinen heute wirklich ausgesprochen interessant zu sein, mir ist noch nie aufgefallen, dass meine Schuhe eine Naht links und rechts haben.

Damien seufzt leise und ich schrecke zusammen. „Setz dich“, befiehlt er mit leiser Stimme. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubt, ihm näher zu kommen, kann ich mich seiner Stimme nicht erwehren. Noch immer hat er diese Macht über mich, die mich Dinge tun lässt, die für mich sonst niemals in Frage kämen. Mit weichen Knien laufe ich um das Bett herum und setze mich auf den einzigen Stuhl. „Schau mich an.“ Wieder zucke ich kaum merklich zusammen und hebe den Kopf. Er starrt mir direkt in die Augen und ich versinke augenblicklich in diesem tiefen Blau. Nur mit Mühe kann ich mich wieder von ihm losreissen. Er wirkt besorgt. Und... sehnsüchtig? Es ist schwer zu sagen. Seine Lippen öffnen sich und es sieht aus, als wolle er etwas sagen, aber er schweigt. Ich tue es ihm gleich und senke den Blick auf meine ineinander verknoteten Hände.

Die Stille wird immer drückender und irgendwann halte ich es nicht mehr aus. „Wie geht es dir?“, frage ich leise und traue mich nicht, ihn anzuschauen. „Beschissen“, erwidert er ebenso leise und mit einem Ton, der mich augenblicklich aufhorchen lässt. Er sieht traurig aus. Am liebsten würde ich mich in seine Arme werfen und ihn trösten, aber ich kann mich nicht bewegen. Er atmet tief durch und ich beobachte unter gesenkten Lidern, wie er die Augen schliesst. Als er sie wieder öffnet ist sein Gesicht ausdruckslos und fast schon eisig. „Du wirst wieder bei mir einziehen“, sagt er mit fester Stimme. Es ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich hebe die Augenbrauen. „Tatsächlich?“, hake ich nach und kann den fast schon spöttischen Unterton nicht unterdrücken. „Ich dachte, du willst mich nicht mehr? Ich dachte, du willst dieses Baby nicht? Du hast mich abgewiesen, Damien. Als ich dich am meisten brauchte. Hast du das schon wieder vergessen? Warum also sollte ich wieder zu dir ziehen?“ Ich bin selbst ein wenig überrascht über meinen eisigen Ton, aber ich klopfe mir insgeheim auch auf die Schultern vor lauter Stolz. „Das war keine Frage, Alexandria“, erwidert er ernst, ohne den Blick von mir zu lösen. „Keine Widerrede. Du wirst wieder zu mir ziehen. Truck wird dich nachher zu mir fahren und nicht zu Elin.“ Es überrascht mich keineswegs, dass er weiss, wo ich derzeit wohne. Allerdings frage ich mich, ob er auch die Gründe kennt. Ich habe keine Ahnung, ob Franky ihn in der Zwischenzeit aufgeklärt hat. Mit Ausnahme von der einen Stunde, als dieser Kommissar mich verhört hat, haben wir nicht mehr über Sarah und den Vorfall gesprochen.

„Warum?“, will ich wissen und verschränke meine Arme vor der Brust. „Gib mir einen anständigen Grund.“ Er seufzt leise. „Weil ich dich nicht mehr gehen lassen möchte. Nie wieder“, flüstert er und plötzlich tritt ein Ausdruck von tiefer Trauer und Sehnsucht in seine Augen. „Ich habe zu viel verloren, ich will nicht auch noch dich verlieren. Die Zeit, als du weg warst, war die Hölle. Ich kann das nicht mehr, ich gehe kaputt daran.“ Tränen treten mir in die Augen und ich muss schniefen. „Deshalb wirst du wieder bei mir einziehen. Wenn es sein muss, fessle ich dich ans Bett.“ Ich erschaure bei dem Gedanken. Damien scheint genau zu wissen, was in meinem Kopf vor sich geht und lächelt anzüglich. Ich schüttle die aufkommende Erregung ab und beisse mir nachdenklich auf die Lippen. „Okay.“ Damien runzelt die Stirn. „Einfach so? Kein 'niemals, da musst du mich an den Haaren hier raus zerren lassen'?“, hakt er nach und ich sehe ihm die Überraschung deutlich an. „ich habe bloss eine Bedingung. Ich komme mit dir, aber nur, wenn wir reden, sobald du hier raus bist“, stelle ich meine Anforderungen fest. Wir müssen endlich mal Klartext reden! Aber dieses Krankenzimmer ist eindeutig der falsche Ort. Damien nickt zufrieden und lehnt sich zurück. Er schliesst die Augen und zum ersten Mal fällt mir auf, wie müde und erschöpfte er aussieht. Liebend gerne würde ich jetzt seine Wangen streicheln oder meine Finger durch sein vom vielen Liegen zerzaustes Haar gleiten lassen, aber ich unterdrücke den Drang mit eiserner Selbstdisziplin und erhebe mich. „Wenn du mich suchst, du weisst ja wo ich bin“, murmle ich zynisch. „Man sieht sich.“ Hinter mir höre ich ein leises Schnauben, das ich nicht wirklich einordnen kann, aber ich drehe mich nicht mehr um, sondern öffne entschlossen die Tür und gehe. Draussen lehne ich mich erschöpft an das harte Türblatt und seufze leise. Verdammter Mist. Wenn ich jetzt zu ihm muss, dann werde ich wieder weich. Ich muss unbedingt mit ihm reden, so können wir das nicht stehen lassen.

 

Franky fährt mich mit schnellem Tempo durch den Wald, hinauf zu Damiens Anwesen. Einmal mehr fühle ich mich von der kühlen Eleganz des Hauses erschlagen. „Du wirst es überleben. Ich bin ja auch noch da und ausserdem hast du auch noch Meg und Dana, seine Haushälterin“, beruhigt Franky mich und ich werfe ihm einen abschätzigen Blick zu. „Ich fasse es nicht, dass ich wieder hier bin“, murmle ich. Worauf habe ich mich da wieder eingelassen?

„Bringst du mich bitte gleich in mein Zimmer, ich will nur noch schlafen“, bitte ich Franky und nehme meine grosse Reisetasche. Franky sieht mir mit gerunzelter Stirn zu, wie ich das grosse Ding aus seinem Auto wuchte und mit Schwung auf meinen Rücken befördere. „Wenn du dieses Ding gleich wieder hinstellst, ja“, brummt er und ich komme dem nur zu gerne nach. Das Teil ist echt schwer.

Franky nimmt die Tasche, die bei ihm leicht wie eine Feder zu sein scheint, und geht los. Ist der Typ irgendwie Superman? Wundern würde es mich nicht, bei seiner Muskelmasse. Ich schnappe mir die kleinere Tasche und hole ihn mit grossen Schritten wieder ein.

Er führt mich durch die unzähligen weissen Gänge, die mir nach wie vor das Gefühl geben, in einer Irrenanstalt gelandet zu sein, und stellt die Tasche vor meiner Tür ab. Wenn ich hier wirklich längere Zeit bleiben muss, dann werde ich ihn wohl um eine Karte des Hauses bitten müssen. „Du wirst dich schnell daran gewöhnen“, errät Franky mal wieder meine Gedanken und grinst schief. Ich zucke die Achseln. „Wird schon schief gehen.“

Er lässt mich alleine und ich schaffe es bloss noch, meine Taschen rein zu tragen, mich auszuziehen und meinen müden Körper ins Bett zu bringen. Schon zehn Minuten nach meiner Ankunft bin ich in einem tiefen, traumlosen Schlaf versunken.

 

„Ich fahre nachher zu Damien, möchtest du mit?“ Ich beisse nachdenklich in mein Croissant. „Nein, eher nicht. Er ist wieder wach, es geht ihm gut. Warum sollte ich ihn dann auch noch besuchen?“, frage ich ein wenig trotzig und kaue demonstrativ auf dem Croissant herum. „Schon gut“, murmelt Franky und isst schweigend sein Frühstück weiter.

Ich bin jetzt seit zwei Tagen hier und fühle mich ganz wohl. Meg umsorgt mich wie eine Glucke, Franky ist ein wenig schweigsam geworden und Dana, die Haushälterin, sehe ich eher selten, weil sie meist in der Küche ist. Ich verbringe die meiste Zeit damit etwas für meinen Körper zu tun und bin oft im Fitnessraum oder beim Pool. Nach meinem Sturz hat dort jemand, ich vermute Damien, rutschfeste Teppiche anbringen lassen, damit es nicht zu einer Wiederholung kommt, aber ansonsten sieht alles noch genauso aus, wie damals. Ich geniesse es, im Wasser herum zu plantschen, auch wenn es ein wenig langweilig ist, so alleine. Dennoch möchte ich es nicht mehr missen.

Ausserdem könnte ich meinen Körper stundenlang betrachten, so fasziniert bin ich von dem Wunder, das da in mir heranwächst. Man sieht den Bauch jetzt deutlich, auch wenn er noch nicht so gross ist. Nächste Woche bin ich schon im vierten Monat und manchmal könnte ich schreien vor Glück. Wenn doch nur Damien auch so glücklich über dieses kleine Wunder wäre... Das wiederum macht mich todunglücklich. Ich möchte doch einfach nur eine kleine Familie, die sich liebt und gegenseitig beschützt.

Manchmal habe ich unglaubliche Angst beim Gedanken daran, Mutter zu werden, verantwortlich zu sein für ein kleines Kind. Aber dann kommt mir jedes Mal Franky in den Sinn. Nein, ich werde nicht allein sein. Franky, Meg, Elin und vor allem Foxy werden mir helfen, wo sie nur können.

Foxy geht es mittlerweile wieder ein wenig besser, sie hat die Dinge endlich mit Danny geklärt und ich glaube, so langsam freunden sie sich mit dem Gedanken an, später ein adoptiertes Kind zu haben.

Bei Elin und Lex sehe ich jedoch noch immer schwarz. Die zwei umschleichen sich wie Raubtiere, aber keiner macht den ersten Schritt. Es ist zum verzweifeln.

Von PJ habe ich nur wenig gehört, aber das war mir von Anfang an klar. Irgendwie mag ich den Kleinen. Und Franky scheint auch ziemlich vernarrt in ihn zu sein. Und drei Tage nach meiner Ankunft hier, kommt er zu mir und klärt mich freiwillig auf.

 

„Alex? Hast du einen Moment Zeit?“

Ich komme gerade vom Sport und war noch schnell unter der Dusche. Mit einem Handtuch in der Hand, um meine Haare zu trocknen, folge ich ihm. „Klar, was gibt's?“, frage ich betont locker, da ich merke, dass er sehr angespannt ist. „Ich... kann ich ehrlich sein?“, fragt er leise und lässt mich damit nur noch mehr aufhorchen. Ich runzle die Stirn, nicke aber sofort. „Natürlich.“

„Gut, ich muss dir nämlich etwas gestehen. Oder dich eher um Hilfe bitten“, rasselt er herunter und verknotet nervös seine Hände. Okay, jetzt bin ich echt gespannt. „Ich... bin bi.“, krächzt er. Das ist mir zwar neu, aber nicht besonders schlimm. Schliesslich gehöre ich ja zu den Frauen, die Schwule äusserst sexy und süss finden. Und dass Franky nicht nur auf Brüste steht, macht ihn in meinen Augen nur noch liebenswerter. „Du bist nicht geschockt?“, hakt er verdutzt nach und ich hebe die Augenbrauen. „Sollte ich? Hast du dir wirklich Sorgen gemacht, ich hätte etwas dagegen, wenn du auf knackige Männerärsche abfährst?“ Ehrlich gesagt bin ich sogar ein wenig enttäuscht von seiner Reaktion. Ich meine, sehe ich etwa so homophob aus? Dann würde ich jawohl PJ auch aus dem Weg gehen, oder?

Auch Franky scheint sich jetzt dessen bewusst zu werden und senkt peinlich berührt den Kopf. „Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen. Wie konnte ich auch nur auf den Gedanken kommen, dass du mich dann abstossend finden würdest?“ Er grinst schief und ein wenig unbeholfen, was ihm fast ein wenig das Aussehen eines grossen Teddys gibt – wären da nicht die unzähligen Piercings in seinem Gesicht. „Okay, du bist also bi. Und wobei genau soll ich dir jetzt helfen?“ Noch ehe er antworten kann, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. „PJ, stimmt's?“, hake ich grinsend nach. Er muss nicht antworten, die peinlich berührte Röte auf seinen Wangen – ein sehr seltener Anblick, nebenbei gesagt – verrät ihn sofort. Er nickt und zieht hilflos die Schultern hoch. „Ich weiss nicht mehr, was ich machen soll“, flüstert er und zu meinem Schreck hört er sich an, als würde er gleich losheulen. Ich überbrücke den Abstand zwischen uns und schlinge die Arme fest um ihn. „Hey, das wird schon, Grosser“, murmle ich tröstend und höre, wie er verstohlen schnieft. „Wein dich ruhig aus, manchmal tut es echt gut. Ich muss es ja wissen“, ich lächle schief und jetzt brechen bei ihm alle Dämme. Die Tränen fliessen in regelrechten Sturzbächen über seine Wangen und ich erschrecke mich im ersten Moment ziemlich. Aber dann greife ich bloss nach einem Taschentuch, reiche es ihm und umarme ihn wieder fest. Irgendwie ist es tröstlich zu sehen, dass es nicht nur mir beschissen geht.

„Danke, Alex“, murmelt er nach einer Weile und ich zucke die Achseln. „Das macht man doch unter Freunden“, murmle ich ein wenig verlegen. Franky lacht schallend und zieht mich nochmal in seine Arme. Ich versinke fast darin und fühle mich ganz klein, aber beschützt. „Tut mir leid, dass ich dich mit meinen Problemen überschütte, aber ich weiss nicht mehr weiter. Er verdreht mir ständig den Kopf, mit seinen Ticks. Und dieser schmächtige Körper...“ Ich grinse. „Achtung, es tropft“,erwidere ich frech und schliesse seinen Mund, der sich bei der Vorstellung an den jungen Mann unwillkürlich geöffnet hat. „Er ist unglaublich sexy“, flüstert Franky in Gedanken. „Aber er lässt mich einfach nicht näher an sich heran“, seufzt er tief und traurig, und ich schlucke. „Lass ihm noch etwas Zeit. Es ist bestimmt nicht so einfach für ihn, sich plötzlich zu öffnen. Zeige ihm deine Gefühle, aber mach ihm klar, dass du nichts überstürzen willst“, rate ich ihm.

 

Nach dem Mittagessen, Franky ist endlich wieder ein bisschen besser gelaunt, läutet es plötzlich an der Tür. Wir sehen uns verwirrt an, aber Meg trippelt schon an uns vorbei und öffnet die Tür. „Alex? Besüch für disch“, ruft sie und ich runzle noch verwirrter die Stirn. Wer kann das sein? Die Mädels melden sich normalerweise immer zuerst an, ehe sie hier aufkreuzen wolle.

Ich erhebe mich und laufe zur geöffneten Tür.

Direkt vor mir steht Britney.

Im ersten Moment denke ich, es wäre Sarah, aber dann fallen mir die winzigen Unterschiede auf; sie ist besser gekleidet und geschminkt, ihre Haare sind heller, das Ergebnis ihrer Aufhellung, und ausserdem sieht sie sehr zerknirscht aus.

Mein Herz beruhigt sich ein wenig, aber das Misstrauen bleibt. Erstens ist sie Sarahs Schwester und zweitens ein Miststück.

„Britney“, sage ich einfach, weil mir nichts besseres einfällt.

„Hallo, Alex“, erwidert sie... schüchtern? Ich hebe die Augenbrauen. Was ist denn mit der los? „Ich... kann ich kurz reinkommen?“, bittet sie. „Es dauert auch nicht lange“, setzt sie hastig hinter her und ich öffne achselzuckend die Tür, um sie einzulassen. „Möchtest du etwas trinken?“, frage ich höflichkeitshalber, obwohl ich vor Neugier fast sterbe. Was tut sie hier?

„Ja, ein Wasser wäre lieb“, murmelt sie und sieht sich staunend um. Meg verschwindet sofort und ich biete ihr einen Stuhl an. „Also?“, will ich wissen und setze mich ihr gegenüber, neben Franky. Sicher ist sicher.

„Ich...“, wieder zögert sie einen Moment lang, ehe sie tief Luft holt und sich zu fassen scheint. „Ich wollte mich entschuldigen.“ Ich runzle die Stirn. „Und wofür genau?“ Dass sie eine Schlampe ist, die was von Damien will, dafür kann sie sich jedenfalls nicht entschuldigen wollen.

„Vor allem für das Verhalten meiner Schwester. Seitdem wir sie wieder zu uns nachhause geholt haben, habe ich sozusagen die Verantwortung für sie übernommen. Ich... ich hätte an diesem Abend, als sie ausgebrochen ist, besser aufpassen müssen. Oh Gott.“ Ihre Stimme bricht und ich beobachte verdutzt, wie eine einzelne Träne über ihre gepuderte Wange läuft. „Wenn dir etwas passiert wäre... ich hätte es mir nie verzeihen können“, flüstert sie. Ich verkneife es mir, ihr an den Kopf zu werfen, dass durchaus ein paar Dinge passiert sind – man bedenke die Narben, die ich mittlerweile habe. Aber irgendwie finde ich es süss von ihr, dass sie sich dafür entschuldigt. Und so wie es aussieht tut es ihr auch ehrlich leid.

„Ich weiss, dass ich ein Miststück bin, die Sache mit Elin und Lex war auch nicht besonders in Ordnung. Ich habe mich auch schon bei den beiden entschuldigt, auch wenn Elin nichts davon hören will. Und Lex hält mich so oder so für eine Schlampe.“ Sie schnieft leise und greift dankbar nach dem Glas Wasser, das Meg ihr hingestellt hat. Ich hebe den Hintern ein wenig an und ziehe ein Päckchen Tempo aus der Hintertasche, etwas, das ich momentan immer bei mir trage, wegen meiner ständigen Heulanfälle. Etwas unbeholfen reiche ich es ihr und beobachte, wie sie rein gar nicht damenhaft ein Taschentuch heraus zieht und laut hinein schnäuzt. „Danke“, murmelt sie leise und nimmt noch einen Schluck Wasser.

„Eigentlich bin ich gar nicht so“, flüstert sie plötzlich und ich verstehe nicht sofort, was sie meint. „Diese Schlampe, meine ich. Dieses aufgedonnerte Flittchen mit den falschen Nägeln und Wimpern, das bin eigentlich gar nicht ich. Und von Lex oder Damien will ich auch gar nichts“, fügt sie hinzu und ich beisse mir nachdenklich auf die Lippen. „Und warum lässt du es dann so aussehen, als wärst du genau so?“, hake ich ein wenig verwirrt nach. „Meine Eltern haben mir immer beigebracht, 'nimm dir, was andere haben wollen'. Das war sozusagen das Motto meiner Familie. Aber in letzter Zeit merke ich immer mehr, wie falsch das eigentlich ist. Ich will gar nicht mehr so sein“, haucht sie. An ihrem Blick erkenne ich, dass sie sich das erst jetzt so richtig eingestanden hat. „Meine Eltern wollten immer, dass ich perfekt aussehe und irgendwann einen reichen Mann heirate, am besten mit unzähligen Titeln und Auszeichnungen. Deswegen hab ich mich auch immer so an Damien rangemacht.“ „Und was hat deinen Sinneswandel bewogen?“, fragt Franky und richtet zum ersten Mal, seitdem sie hier ist, das Wort an sie. „Na ja“, druckst sie und wird zu meiner grenzenlosen Überraschung rot. „Da ist dieser Mann... James.“ Sie haucht den Namen nur so und man sieht fast die Herzchen in ihren Augen. „Er...“, sie stockt, „er ist Tischler. Und damit alles andere als Doktor und reich. Aber ich kann nicht mehr aufhören an ihn zu denken und...“, sie verstummt und wird noch röter. Ein leises Lächeln huscht über mein Gesicht. Sieh an, das Miststück ist verliebt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass auch Franky sich nur mit Mühe ein Schmunzeln verkneifen kann. „James, also? Per Zufall ist er ein guter Freund von mir. Wenn du möchtest, lade ich ihn am nächsten Montag ein.“ Montag ist immer der Tag, an dem Franky mit Elin, Foxy, Danny, Lex und dem Rest unterwegs ist. Britney scheint sich über den Vorschlag u freuen, ihre Augen leuchten wie zwei Glühbirnen. „Das wäre wirklich super“, haucht sie entzückt und jetzt kann ich mir das Kichern nicht mehr verkneifen. „Es ist fast schon peinlich, nicht wahr?“, murmelt Britney verlegen und senkt den Blick. „Nein, eher süss. Und ziemlich schräg“, grinst Franky und schlägt ihr kumpelhaft auf die Schulter. Sie schnappt nach Luft und verzieht das Gesicht. Ich grinse sie breit an und bin irgendwie froh darüber, dass sie vorbeigekommen ist.

 

Nachdem Britney wieder losgefahren ist, sie hat mir hoch und heilig versprochen, sich auch bei den anderen noch anständig zu entschuldigen, fährt auch Franky los, um Damien zu besuchen. Ich weigere mich noch immer, ihn zu begleiten, was aber vor allem daran liegt, dass ich mich innerlich darauf vorbereiten muss, ihn wieder tagtäglich um mich herum zu haben. Er wird in den nächsten Tagen wieder Nachhause kommen und ich habe die Befürchtung, dass es schon Morgen so weit sein wird. Mein ganzer Körper schreit nach seiner Nähe und will endlich wieder von ihm berührt werden, aber da ist noch immer mein Verstand, der sich standhaft gegen diese Gefühle wehrt und mich immer wieder daran erinnert, wie sehr er mich verletzt und im Stich gelassen hat. Auch die Tatsache, dass er mich wieder hier eingesperrt hat, spricht gegen ihn. Obwohl eingesperrt ja ein wenig übertrieben ist. Er hat nie gesagt, ich dürfe das Haus nicht verlassen, weshalb ich mich umso mehr auf Freitag freue, an dem ich ja Lilly wieder sehe. Ihre fröhliche Art wird mir gut tun.

Ich ziehe mich in meine Zimmer zurück und mache es mir in meinem privaten Wohnzimmer gemütlich, während im Fernseher irgend eine dämliche Sendung über Ausserirdische läuft.Während der Moderator etwas von UFOs erzählt, schlafe ich langsam ein und erwache erst am frühen Morgen wieder.

 

Meine Befürchtung hat sich bewahrheitet. Soeben habe ich erfahren, dass Damien um 14 Uhr entlassen wird. Verdammter Mist. Ich bin noch nicht bereit!

Das kleine, trotzige und verletzte Mädchen in mir, will sich in meiner „Wohnung“ einschliessen und die nächsten zwei Wochen nicht mehr herauskommen. Aber das erscheint mir als ein wenig übertrieben und kindisch. Obwohl... so schlecht ist die Idee gar nicht.

Als Franky jedoch von diesem Vorhaben erfährt, droht er mir, dass er mich in der Eingangshalle irgendwo dran fesseln würde, bis ich mich mit Damien ausgesprochen habe.

Ob ich es darauf ankommen lassen sollte? Lieber nicht.

Doch als Franky am Mittag losfährt überkommen mich wieder die Zweifel und schliesslich finde ich mich eingeschlossen in meinem Zimmer, den Blick starr auf meinen Wecker gerichtet, wieder. Den Schlüssel habe ich vorsorglich im Schloss stecken lassen, schliesslich hat Franky mit grosser Sicherheit einen Ersatzschlüssel.

Der Zeiger des Weckers bewegt sich langsam, aber unaufhaltsam auf die grosse Zwei zu und ich spanne mich mit jeder Minute mehr an. Als es 13:56 Uhr ist, halte ich es nicht mehr aus und springe ans Fenster. Von meinem Schlafzimmer habe ich direkten Blick auf den Hof und die Einfahrt, die ich jetzt angespannt und nervös beobachte.

Um 14:02 Uhr fährt der schwarze Jeep von Franky den Weg hoch und hält auf dessen Parkplatz. Mit angehaltenem Atem beobachte ich, wie sich zuerst die Fahrertür und dann die andere Tür öffnet. Frankys massige Gestalt schiebt sich aus dem Wagen und gleich darauf Damien. Er hat abgenommen, fällt mir als erstes auf. Und dennoch sieht er unglaublich sexy aus, mit seinen zerzausten Haaren und dem Dreitagebart. Zielsicher hebt er den Kopf und schaut mich an. Erschrocken zucke ich zurück und drücke mich mit klopfendem Herz an die Wand. Er hat mich gesehen!, rast es durch meinen Kopf. Ich fühle mich, als hätte ich etwas Illegales gemacht.

Herrgott nochmal, reiss dich zusammen, Alex!, herrscht mich mein Verstand an und erinnert mich daran, dass ich nachher mit ihm sprechen muss. Aber zuerst muss ich etwas Kraft sammeln. Und wie sammelt man am besten seine Kräfte? Man schläft, genau. Ich ziehe mich entschlossen aus, lege mich auf mein Bett und schliesse die Augen. Erstaunlich schnell versinke ich in einen unruhigen Schlaf.

 

„Alexandria! Mach sofort diese beschissene Tür auf!“, brüllt jemand laut, gefolgt von heftigem Gerüttel an der Türklinge. Verschlafen drehe ich mich auf die andere Seite und versuche mich zu orientieren. Ich bin in meinem Schlafzimmer und das da draussen ist... scheisse! Damien!

Innerhalb von wenigen Sekunden stehe ich auf den Beinen, ziehe mir zuerst die Jeans vom Vortag, dann ein frisches T-Shirt über und haste zu Tür. Mittlerweile ballert er laut mit der Hand gegen das Türblatt, das unter der Gewalt fast ein wenig ächzt. „Beruhige dich, verdammt nochmal!“, brülle ich wütend durch die Tür und schliesse erst auf, als er aufhört. Mit einem Ruck wird die Tür aufgestossen und ich springe erschrocken zur Seite. Ein reichlich wütender Damien betritt mein Wohnzimmer, das Gesicht rot vor Zorn. Oh, oh. „Du fährst Morgen ganz bestimmt nicht weg! Ich lasse nicht zu, dass du dieses Haus verlässt!“ Zu meiner Überraschung klingt er nicht halb so wütend, wie gedacht, sondern eher... panisch?

Der Inhalt seiner Worte macht mich allerdings stinksauer. „Oh doch, und wie ich das werde! Ich habe dich weder geheiratet, noch bin ich deine Sklavin! Ich werde hier drin ganz bestimmt nicht versauern, nur weil es dir gerade in den Kram passt!“, knalle ich ihm entgegen und gehe sicherheitshalber ein wenig auf Abstand.

„Nein! Du wirst diese Haus nicht verlassen! Ich will nicht, dass du nochmal gefangen genommen wirst oder dergleichen!“ Was für eine Ironie. „Wenn ich mich recht erinnere, warst du es, der mich als erstes entführen liess“, zische ich ihm entgegen. „Und ich werde sehr wohl gehen. Ich bin eine erwachsene Frau mit Rechten und kein kleines Kind, das du an der Leine halten kannst und einsperren lässt, wenn du irgendwo Gefahr siehst! Sarah läuft nicht mehr frei herum, falls du das noch nicht mitbekommen hast!“ Britney hat mich da endlich aufgeklärt, nachdem weder Franky noch dieser Kommissar auch nur einen Kommentar dazu abgegeben haben. Sie wurde in eine geschlossene Klinik gebracht und wird dort für mindestens fünf Jahre bleiben. Also bin ich ja wohl absolut sicher, abgesehen von diesem mehr als wütenden Mann vor mir.

„Das mag ja sein, aber du bist jetzt nicht mehr allein!“, knurrt er gereizt und ich zucke zusammen. „Meinst du etwa mein Baby? Wagst du es wirklich, dir auch nur einen Gedanken über dieses Kind zu machen? Dieses unschuldige Wesen, das du von Anfang an nicht wolltest?“ Ich bin ernsthaft entrüstet.

Mit einem Schlag fällt alle Wut von ihm ab und stattdessen tritt ein Ausdruck von tiefer Trauer in seine Augen. „Ich war ein Idiot“, flüstert er und starrt auf meinen leicht gerundeten Bauch. „Es ist nicht so, dass ich dieses Kind nicht wollte-“ „Ach ja?“, unterbreche ich ihn unwirsch, „dafür warst du aber ziemlich deutlich! Du bist einfach abgehauen, Herrgott nochmal! Weisst du eigentlich, wie beschissen es mir in den letzten Monaten ging? Du wirfst mich raus, lässt mich aber immer überwachen, dann erfahre ich, dass ich schwanger bin und du dich ständig besäufst. Und kaum erfährst du etwas von diesem Baby, kehrst du mir den Rücken zu, rennst davon wie ein kleiner Feigling, während ich hier von einer Verrückten gestalkt und terrorisiert werde! Dann baust du diesen Unfall und kurz darauf werde ich zum zweiten Mal in meinem Leben entführt. Und weisst du wo ich wieder erwache? In einem beschissenen Krankenhaus! Und kaum bin ich da wieder raus, kommst du und sperrst mich hier wieder ein! Und jetzt wagst du es auch noch, dir Sorgen um mich und dieses Kind zu machen!“, brülle ich wütend.

„Und genau deswegen wirst du morgen nicht rausgehen! Ich lasse nicht zu, dass du nochmal in Lebensgefahr schwebst! Basta.“ In seinen Augen steht pure Entschlossenheit, als er herumwirbelt und das Zimmer verlässt, nicht ohne die Tür laut krachend hinter sich zu zuziehen.

„Scheisse“, fluche ich leise und plötzlich kommen mir die Tränen. Schluchzend sinke ich auf dem Sofa zusammen und vergrabe mich in Selbstmitleid.

 

„Hey, Süsse. Ich rede nochmal mit ihm, okay?“, flüstert die besorgte Stimme von Franky dicht an meinem Ohr, während seine Hände beruhigend über meinen Rücken streicheln. Ich seufze leise und murmle etwas Unverständliches. „Versprochen. Und wenn er nicht mit sich reden lässt, dann kriegen wir das auch so hin.“ Ich hebe den Kopf und schniefe herzhaft. „Das würdest du tun?“ Franky grinst. „Aber klar doch! Für dich immer!“ Ich schenke ihm ein dankbares Lächeln.

„Und jetzt iss endlich etwas“, brummt er leise und schiebt den Teller mit Ravioli, die Meg vorhin vorbei gebracht hat, näher zu mir. Ich rapple mich auf und lehne mich während des Essens an seinen grossen, behaglichen Körper. Als ich den Teller leer gemacht habe, nimmt er ihn sich und steht auf. „So, ich komme später nochmal vorbei. Schlaf ein wenig, das tut dir gut.“ Er schenkt mir ein letztes Lächeln, ehe er das Zimmer verlässt und mich mit meinen Gedanken alleine lässt. Ich habe fast den gesamten Tag mit Weinen verbracht und fühle mich jetzt total ausgelaugt. Entschlossen erhebe ich mich und schlurfe ins Bad, um Wasser in die Wanne zu lassen. Dann gebe ich einen teuren Badezusatz hinein, der nach Schokolade riecht, und lasse mich nackt in das heisse, dampfende Wasser sinken. Herrlich!

Nach dem Bad wickle ich mich lediglich in meinen Bademantel und rolle mich auf der Couch im Wohnzimmer zusammen, während eine diffuse Kinderserie läuft.

Zwei Stunden später klopft es leise an der Tür und Franky kommt herein. „Und?“, will ich sofort wissen und schalte den Ton aus, während ich mich aufsetze.

„Du darfst gehen, unter der Bedingung, dass ich euch begleite.“ Vor lauter Freude springe ich auf und umarme ihn. „Danke, danke, danke“, murmle ich an seine breite Brust und bin mehr als dankbar, dass ich einen so guten Freund in diesem Irrenhaus habe. „Lilly hat bestimmt nichts dagegen, sie mag dich ja auch.“ Er brummt leise etwas und ich grinse in sein Hemd.

„Würdest du mir einen Gefallen machen, und Foxy oder Elin anrufen? Ich brauch dringend ein wenig Gesellschaft“, murmle ich bittend. Franky nickt. „Klar. Ich ruf sie an.“

 

Allerdings können weder Foxy noch Elin vorbei kommen. Elin muss arbeiten und Foxy ist gar nicht Zuhause.

Enttäuscht danke ich Franky für die Mühe und lasse mich schliesslich einfach wieder in mein Bett fallen.

Obwohl ich mich schon wieder müde fühle, liege ich noch stundenlang wach. Meine Gedanken rasen und in meinem Kopf herrscht Chaos. Immer wieder denke ich an den Streit mit Damien. Es tat ihm leid, dass er mich abgewiesen hat. Damit habe ich nicht gerechnet. Und ausserdem schien er gar nicht mehr so gegen dieses Baby zu sein.

„Ach Würmchen.“ Ich lege eine Hand auf meinen sanft gewölbten Bauch und lausche meinem eigenen Herzschlag. Manchmal habe ich das Gefühl, etwas zu spüren. Es ist nur ein leises Kribbeln, so hauchzart, dass es fast schon Einbildung gleich kommt. Und dennoch weiss ich, dass das mein Kind ist. Montag habe ich wieder einen Termin bei meinem Frauenarzt.

Ich werfe einen Blick auf das Ultraschallfoto, das neben meinem Bett liegt, und nehme es in meine Hand. Man erkennt mittlerweile deutlich, dass da etwas wächst. Es ist eine kleine Blase geworden, die in mir tiefe Gefühle von Wärme und Liebe herbei rufen, wann immer ich daran denke.

Ich freue mich schon jetzt total auf dieses kleine Wunder. Wie es wohl aussieht? Wenn es ein Junge wird, wird er Damien ähnlich sehen? Ich hoffe es. Er wäre ein wirklich hübscher Junge. Manchmal denke ich darüber nach, ob ich nicht schon einen Namen für mein Baby suchen sollte, aber irgendwie will ich es noch gar nicht anders nennen, als Würmchen. Ausserdem habe ich noch immer nicht die Hoffnung verloren, dass ich diesen Namen eines Tages mit Damien zusammen aussuchen werde.

Seufzend drehe ich mich auf die Seite, lösche das Licht und schliesse meine Augen.

 

Am nächsten Morgen sehe ich weder etwas von Franky, noch von Damien. Meg verrät mir, dass ersterer in die Stadt musste und Damien in seinem Büro ist um zu arbeiten.

Ich muss wohl ziemlich sehnsüchtig geschaut haben, denn Meg legt sanft eine Hand auf meine Schulter und murmelt: „das wird schon noch, mit eusch beiden. Ihr seid das perfekte Paar.“

Aber reicht das?

Ich verbringe den Nachmittag, wie so oft, unten im Sportareal und schwimme eine Länge nach der anderen. Danach lasse ich mich in den Whirlpool gleiten und geniesse die Wärme des Wassers.

Erst um 17 Uhr raffe ich mich auf, um mich auf die Suche nach Franky zu machen.

Ich finde ihn in der Küche, wo er Dana gerade ein paar Anweisungen gibt. Und neben ihm steht Damien, der ihm schweigend zuhört. Er streift mich mit einem kühlen Blick, ansonsten ignoriert er mich vollkommen, ebenso wie ich ihn.

„Truck? Um halb acht müssen wir los, in Ordnung?“ Franky hebt überrascht den Kopf, als er meine Stimme hinter sich hört und wirft seinem besten Freund einen kurzen Blick zu. „Klar! Möchtest du noch etwas Essen? Dana macht gerade Spaghetti mit Lachsauce.“ Kein Wunder duftet es hier so lecker! Ich nicke und schenke Dana ein erfreutes Lächeln. Sie weiss genau, wie sehr ich diese Mischung liebe.

„Ich bringe dir etwas hoch, meine Liebe“, flötet sie.

Ich verlasse die Küche wieder, denn Damiens Anwesenheit behagt mir überhaupt nicht.

In meinem Zimmer, ich finde es mittlerweile ganz ohne Hilfe von Franky oder Meg, worauf ich auch sehr stolz bin, betrete ich erst mal den begehbaren Kleiderschrank, um meine Abendgarderobe herauszusuchen. Obwohl mein Bauch noch nicht so besonders gross ist, muss ich aufpassen, in welche Hosen ich passe. Die Hälfte meiner Jeans geht mir mittlerweile nämlich nicht mehr.

Ich entscheide mich schliesslich für eine Jeggings, die sich meinem Körper gut anpasst, einen Kaschmierpullover und meine Lederjacke. Draussen ist es empfindlich kalt, man spürt, dass der Winter noch nicht vorbei ist. Ich hoffe sehr, dass es bald wieder ein wenig wärmer wird.

In meinem Bad mache ich mir schnell meine Haare und schminke mich dezent, etwas das normalerweise nicht zu meinem Tagesplan gehört, jetzt aber nötig ist, weil meine Augen vom vielen Weinen in letzter Zeit rot sind und sich Ringe gebildet haben. Zufrieden betrachte ich mich noch einen Moment lang und zupfe ein wenig an meinen Haaren herum. Ich habe mich verändert. Ich bin hitziger und sturer geworden, nicht mehr so unterkühlt wie früher. Meine Augen wirken ein wenig traurig, weshalb ich mich zu einem fröhlichen Lächeln zwinge, das aber nicht wirklich hilft.

Ich seufze leise und verlasse das Bad, um mich auf den Weg zur Bibliothek zu machen. Es ist gerade mal halb sechs, also habe ich noch zwei Stunden, die ich mit Lesen verbringen möchte.

Der riesige Raum mit den unzähligen Büchern ist leer und dunkel. Ich schalte das Licht ein und mache mich auf die Suche nach einem guten Buch.

Schliesslich betrete ich mein Zimmer mit drei Stück und lasse sie erst mal auf mein Bett fallen, um zu überlegen, mit welchem ich anfange.

 

Lilly hat ihre blonden Locken hochgesteckt und steckt in einem hübschen Kleidchen, bei dem ich eine Gänsehaut bekomme. „Ist dir nicht kalt?“, frage ich verwundert, aber sie schüttelt fröhlich den Kopf. „Ich habe eine ziemlich dicke Haut, auch wenn man es mir nicht ansieht. Ich bekomme eher selten kalt.“ Sie grinst breit und hakt sich bei mir unter. Franky folgt uns stumm und ich muss lächeln, als ich die verwirrten Blicke sehe. Er hat sich in ein Sakko gezwängt und sieht mit seinem etwas grimmigen Ausdruck und seiner bulligen Gestalt ein wenig aus, als wäre er unser Bodyguard. Aber das ist er doch auch, zischt mein Verstand gehässig und ich seufze. Da hat er nicht unrecht. „Komm schon, Truck! Sonst holst du uns nicht mehr ein!“, rufe ich über meine Schulter und halte ihm meine Hand hin. Er zuckt die Achseln und macht zwei grosse Schritte, bis er uns eingeholt hat. „Wo wollt ihr hin?“, fragt er und Lilly deutet auf ein kleines Restaurant direkt vor uns. „Ins Lucky!Die Kellner dort sind echt süss“, fügt sie hinzu und seufzt schwärmerisch. Na hoppla, ist da etwa noch jemand verknallt?

„Wie sieht er aus?“, will ich natürlich sofort wissen und Lilly schenkt mir ein breites Grinsen. „Gross, dunkle Haare, Italiener, unglaublich charmant und... sein Lächeln ist das schönste auf der ganzen Welt“, haucht sie und ich verkneife mir ein Kichern. „Hört sich ja zum dahinschmelzen an. Und, hast du ihn schon angesprochen?“ Lillys Blick spricht Bände. „Spinnst du? Ich spreche doch nicht einfach irgend einen Kerl an!“ Jetzt kann ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen. „Du hast Angst!“ Sie verzieht das Gesicht. „Ja“, gibt sie schliesslich zu. „Letzte Woche hat er hier mit einer unglaublich schönen Frau gegessen; dunkle, lange Haare, ellenlange Beine und eine Figur wie ein Topmodel. Sie schienen ziemlich vertraut zu sein, da habe ich doch keine Chance!“ Ich drücke sie tröstlich an mich. „Wir werden ja sehen.“

Ich erkenne ihn sofort und muss zugeben: ein echtes Sahneschnittchen. Sie hat nicht untertrieben.

Er strahlt uns an und fragt mit italienischem Akzent, der ihn noch sympathischer macht, ob er uns einen Tisch zeigen darf. Lilly ist natürlich hin und weg und hat dieses typische, dümmliche ich-schwebe-auf-Wolke-Sieben-Lächeln aufgesetzt. Franky und ich können uns das Lachen kaum mehr verkneifen.

Allerdings fällt mir auch der Blick dieses Italieners auf und so abgeneigt scheint er gar nicht zu sein.

„Und wenn schon“, erwidert Lilly, als ich sie darauf anspreche, „Männer, die eine Freundin haben, sind für mich vollkommen tabu.“

Sie seufzt unglücklich und wir lassen das Thema fallen.

Das Essen schmeckt unglaublich gut und schlussendlich sind wir alle mehr als satt und Franky und Lilly teilen sich eine Flasche Wein, während ich mich mit einem Wasser begnüge.

Leicht beschwipst, mit Ausnahme von mir natürlich, verlassen wir um kurz nach Mitternacht das Restaurant. Lilly wäre gerne noch ein wenig in einen Club gegangen, aber ich bin müde und Franky würde wohl auch ganz gerne langsam schlafen. Also verabschieden wir uns beim Jeep von Franky und kurz darauf sind wir auch schon wieder auf dem Heimweg.

„Danke.“ Wofür?“, hakt Franky nach.

„Dafür, dass du mitgekommen bist.“ Er erwidert nichts mehr, aber ich kann sein Lächeln sehen. Erschöpft schliesse ich meine Augen und lehne meinen Kopf an den Sitz. Wenig später bin ich auch schon eingeschlafen.

 

Ich bekomme langsam eine Krise! Er ignoriert mich, und wenn er mal etwas will, dann bleibt er unglaublich kühl und distanziert dabei! Das ist so was von unfair!

Ich starre Damien hinterher, als er den Esssaal verlässt und schnaube wütend. Er will, dass ich meinen Frauenarzt wechsle, weil Dr. Klyros nach Lorenzon umsiedelt. Als er dort war, um mich zu untersuchen, hat ihn das Krankenhaus abgeworben und jetzt will er dort seine Praxis wiedereröffnen. Allerdings scheint Damien überhaupt nicht damit einverstanden zu sein, mich jedes Mal nach Lorenzon fahren zu lassen, wenn ich einen Termin habe – im Gegensatz zu mir. Ich freue mich eigentlich sogar darüber, denn dadurch werde ich mehr Gelegenheit haben, Lilly zu sehen.

Aber Damiens Verhalten macht mich unglaublich wütend! Er tut so, als wäre ich ihm scheissegal, aber zugleich sorgt er dafür, dass ich nichts tun kann, was ihm nicht in den Kram passt. Ich darf das Haus nur in Begleitung von Franky verlassen, und wenn der nicht da ist, hat er einen Bodyguard organisiert. Steve ist ganz okay, aber es nervt mich, wenn ich im Supermarkt Schritt für Tritt verfolgt werde. Ausserdem sind mir die Blicke der Leute langsam echt unangenehm.

Aber Damien will nichts davon hören, mir mehr Freiraum zu geben. Ich kann gar nicht mehr mit ihm reden, weil er immer gleich abblockt und verschwindet. Zudem schmerzt mich seine abweisende Haltung, denn sie zeigt mir Tag für Tag, wie wenig ich ihm bedeute.

Und nach drei ganzen Wochen läuft das Fass schliesslich über.

„Du wirst ganz bestimmt nicht ins „Justice“ fahren! Letzte Woche war noch in Ordnung, weil Truck dabei war, aber diesmal bist du allein und das lasse ich nicht durchgehen! Steve ist ebenfalls nicht da, also vergiss es.“ Er verbietet mir doch tatsächlich das letzte Quäntchen Spass. Der Monatgabend ist für mich ein wenig der Fels in der Brandung geworden, weil ich da immer mit Franky und den anderen in einen Club gehe. Es tut mir jedes Mal unglaublich gut, meine Freunde zu sehen, ein wenig zu reden, zu tanzen und einfach Spass zu haben. Es ist mein Aufladegerät, das meinen Akku, der unter der Woche so schnell ermüdet, wieder auflädt und mir wieder Kraft gibt zum Weitermachen. Wenn er mir das jetzt auch noch verbietet, dann...

Tiefe Verzweiflung überkommt mich, als ich die kalte Entschlossenheit in seinen Augen erkenne. Er meint es todernst. Er lässt mich nicht gehen und sollte ich gegen seinen Willen verschwinden, wird er mich einsperren.

„Willst du mir denn alles nehmen? Willst du mir das etwa auch noch kaputt machen?“, frage ich leise und spüre die Tränen in meinen Augen. Mühsam unterdrücke ich sie, auf eine Antwort wartend. „Ja.“ Die Kälte, die mir entgegen kommt lässt mich einen Schritt zurück taumeln.

„Liebst du mich denn gar nicht?“ Es ist pure Verzweiflung die aus mir spricht und diese Worte formt. Und dennoch will ich sie um keinen Preis zurücknehmen. Ich muss endlich wissen, ob er mich noch liebt.

Er muss es eigentlich gar nicht mehr aussprechen. Seine Augen sprechen für sich. Nichts als Ablehnung kommt mir entgegen.

„Gut, wenn das so ist, habe ich hier nichts mehr zu suchen.“ Es erstaunt mich, wie sicher meine Stimme bei diesen Worten klingt, wie endgültig. „Dann gehe ich jetzt.“

Damiens Blick wird noch eisiger, aber es berührt mich kaum noch. Ich fühle mich taub und abgestorben.

„Schön, dass wir das geklärt haben.“ Ich drehe mich um und gehe, so wie ich es gesagt habe. Ein Teil von mir, wünscht sich sehnlichst, er würde mich aufhalten, aber das tut er nicht. Natürlich nicht. Schliesslich liebt er mich noch nicht einmal.

Ich verlasse sein Büro und gehe auf direktem Weg in mein Zimmer, um meine Sachen zu packen.

Ich nehme nur meine persönlichen Sachen mit, nichts, das von hier kommt landet in meinem Koffer. Dann rufe ich Elin an und frage, ob ich wieder bei ihr einziehen kann. Sie weiss sofort, was passiert ist und sagt zu.

Über den Rufknopf, der auch in meinem Zimmer zu finden ist, rufe ich Meg, die wiederum ein Taxi für mich ordert. Franky ist nicht da, weil er seine Mutter besuchen ist. Er wird schnell wissen, was passiert ist und sich hoffentlich dann auch schnell melden. Ich brauche ihn jetzt mehr, als alles andere, sonst gehe ich total kaputt an dieser Scheisse.

 

Zwanzig Minuten später befinde ich mich in einem Taxi, das mich auf direktem Weg zu Elin fährt. Stumm übergebe ich dem Fahrer sein Geld, steige aus und klingle bei ihr. Sofort wird die Tür aufgerissen und sie zieht mich rein.

Innen begrüssen mich Foxy, Danny, Josh, Lex und... zu meiner Überraschung Britney. Sie ist in den letzten Wochen wieder mehr und mehr unsere Freundin geworden und hat sich verändert. Nebst ihrem Stil, der jetzt viel schlichter und bequemer ist, schminkt sie sich auch nicht mehr so derb und hat sich ausserdem ihre Haare wieder dunkler färben lassen, was ihr tausend Mal besser steht.

Alle umarmen mich und trösten, wo sie nur können. Ich muss nicht viel sagen, es ist schnell klar, was passiert ist, ausserdem habe ich die Vermutung, dass Meg angerufen hat und Elin alles erzählt hat.

„Gott, wie kann er bloss so dämlich sein? Und so scheissblind!“, regt sich Foxy empört über Damiens Verhalten auf und ich muss unter Tränen lächeln. „Er liebt mich eben nicht“, erwidere ich leise und schniefe in ein Taschentuch. „Ach was! Der Kerl ist so was von verknall in dich! Nur weiss er es selbst noch nicht. Manche Kerle sind echt so was von dämlich! Wie hat es Damien bloss geschafft, eine riesige Firma aufzubauen, mit seinem Erbsenhirn?“ Ich muss kichern. „Danke“, murmle ich leise und sehe jeden an. „Es bedeutet mir sehr viel, dass ihr hier seid.“ „Wofür sind Freunde da?“, erwidert Danny und grinst. „Ja, das stimmt wohl.“

„Was wirst du jetzt tun?“, will Elin wissen. Ich zucke die Achseln. „Keine Ahnung. Mir einen Job suchen. Im Alice nachfragen, ob sie mich noch wollen. Irgendwie diesen ganzen Scheiss hinter mir lassen.“ „Also, das mit dem Café ist gebongt. Ich habe vorhin Anna angerufen und die wiederum hat Mr. Kraft gefragt, ob du wieder bei ihnen anfangen kannst. Auch wenn er nicht mehr möchte, dass du einfach aufhörst zu arbeiten, will er dich gerne wieder aufnehmen“, erzählt Foxy zu meiner Überraschung. Ich habe ganz vergessen, dass sie und Anna sich von früher kennen und guten Kontakt pflegen.

„Danke Foxy, das ist lieb von dir.“ Sie grinst und zieht mich in ihre Arme. „Du warst auch da, als es mir beschissen ging. Jetzt mache ich das wieder gut. Ich mag dich echt, Alex. Und ich wünsche mir von Herzen, dass du und Damien irgendwann mal mit diesem Baby eine Familie werdet, so wie es sich gehört.“ Ich seufze. „Danke.“

Elin springt auf. „Wer hat Hunger? Ich habe gerade total Lust auf eine grosse Portion Spaghetti!“

Alle sind begeistert und auch ich bin dankbar, dass Elin uns mal wieder gekonnt ablenkt. Ausserdem ist Elin eine echt gute Köchin und ihre Spaghetti sind zum dahinschmelzen. Nicht gelogen!

Kurz darauf sitzen wir in einer gemütlichen Runde zusammen und reden wild durcheinander. Britney wirkt zwar noch ein wenig schüchtern, aber die anderen nehmen sie erstaunlich gut auf. Irgendwann will Foxy, neugierig wie immer, natürlich auch wissen, was zwischen ihr und diesem James läuft. Letzten Montag war er bei unserem Abend dabei, weil Franky ihn tatsächlich eingeladen hat. Britney war natürlich hin und weg und ich muss gestehen, schlecht sieht er nicht aus, in seinen Boots und dem Holzfällerhemd.

Britney erzählt errötend, wie er sie Nachhause gefahren hatte und sie vor ihrer Haustür küsste.

„Wie süss“, flüstert Foxy und ergreift Dannys Hand, während sie ihm ein verliebtes Lächeln zuwirft. Da fällt mir plötzlich etwas ein. „Sagt mal, wann wollt ihr eigentlich heiraten? Ich meine, ihr seid jetzt schon eine ganze Weile verlobt, aber ihr habt meines Wissens nach noch immer keinen Termin bekannt gegeben.“ Die anderen stimmen dem zu und sehen alle das süsse Pärchen an. „Na ja...“, druckst Foxy herum. „Wir wollen im Juli heiraten“, fügt Danny schliesslich hinzu. „unser Bruder kommt dann wieder aus dem Knast.“ Er wirft Josh einen vorsichtigen Blick zu, der die Lippen aufeinander presst. „Ihr habt noch einen Bruder?“, hake ich verwundert nach. Das wusste ich gar nicht! „Ja, er war fünf Jahre lang im Gefängnis, weil er mit harten Drogen gedealt hat.“ „Oh.“ Die Stimmung ist schlagartig gesunken und ich suche verzweifelt nach einem anderen Thema. „Verlegen wir unseren Clubbesuch auf hier her?“, will ich schliesslich in meiner Not wissen. Ausserdem interessiert es mich wirklich. Danny zuckt die Achseln, Josh schweigt und Lex kaut auf seinen Nägeln. Tolle Antwort.

„Ich denke schon“, erwidert Foxy irgendwann und Elin ruft aus der Küche: „klar, warum nicht? Alkohol hab ich hier genauso und gute Musik auch.“

Das mit der Musik allerdings wird nichts. Die Anlage gibt nur ein schräges Scheppern von sich, dann einen hohen Ton und im nächsten Augenblick verstummt sie wieder. „Äh... Elin? Deine Stereoanlage funktioniert nicht mehr.“

Josh, der sich mit solchen Dingen auskennt, macht eine kurze Diagnose: das Ding ist futsch. „Quatsch, ohne Musik ist es langweilig“, nörgelt Foxy. „Dann gehen wir eben nach dem Essen noch weg. Wir müssen ja nicht gleich zum Justice fahren, sondern können auch in diesen anderen Club, wie hiess der nochmal?“ „Meinst du das „Bella“? Die haben erst eröffnet, da war ich noch nie!“ Foxy ist hellauf begeistert. „Gut, dann ist es abgemacht. In zehn Minuten gibt es Essen.“ Elin verschwindet wieder und ich und Britney decken den Tisch.

„Ich rufe noch schnell Truck an, vielleicht bringt er gleich noch James mit“, rufe ich in die Runde, mit einem Seitenblick auf Britney, die errötet.

Franky findet die Idee super und verspricht, noch vor zehn Uhr dort zu sein. Danach ist auch schon das Essen fertig und wir setzen uns an den Tisch. Satt und zufrieden ziehe ich mich noch schnell um und kurz darauf machen wir uns alle zusammen auf den Weg in die Stadt. Zeitgleich mit uns trifft auch der Jeep von Franky auf dem Parkplatz ein und wir begrüssen den bulligen Riesen alle erfreut.

„Hey, Kleine. Ich hab's schon gehört“, murmelt er, als er mich in den Arm nimmt. „Ich werd's überleben“, erwidere ich erstickt und beisse mir auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. „Ich habe ihm eine ziemliche Standpauke gehalten und ich denke, du wirst bald von ihm hören.“ Er lächelt mich auf seltsame Weise an, als wüsste er etwas wichtiges, doch als ich nachfragen will, legt er mir bloss einen Finger auf die Lippen. „Psst. Du wirst es bald erfahren, Süsse. Nur Geduld.“ Dann läuft er selbstbewusst davon und stellt sich zu den anderen, die schon vor dem Eingang warten, um hereingelassen zu werden. Der Eintrittspreis ist kaum nennenswert und zu unserem Glück gibt es auch keine Garderobenvorschriften.

Innen sind wir alle ein wenig überrascht, denn es ist eigentlich gar kein Club, sondern eher eine grosse Bar mit Tanzfläche. Ganz hinten gibt es ein Podium, auf dem eine kleine Band spielt und daneben, einsam und verlassen, steht ein DJ-Pult.

„Kommt, da vorne ist noch ein Tisch frei!“ Ganz in der Nähe des Podiums gibt es tatsächlich noch eine freie Sitznische, in die wir alle passen. Franky fragt nach unseren Wünschen und macht sich kurz darauf auf den Weg zur Bar, um unsere Getränke zu holen. Als er wieder zurückkommt hat er wieder dieses seltsame Lächeln auf den Lippen.

„Ach übrigens, heute ist hier Karaoke-Abend. Um halb elf fängt es an.“ Ein allgemeines Stöhnen geht durch die Runde, nur Foxy ist von dem Gedanken begeistert. Kein Wunder, meines Wissens nach kann sie auch ganz gut singen. Im Gegensatz zu mir. Ich mag singen, zugegeben, aber nur, wenn ich allein bin. Zum Beispiel im Auto, oder beim Kochen, und unter der Dusche. Aber wie gesagt, nur allein. Deshalb drücke ich mich automatisch noch ein wenig mehr in meine Ecke und höre den anderen nur noch zu, um zu verhindern, dass einer von ihnen plötzlich auf die Idee kommt, mich nach vorne zu schicken.

Um fünf nach halb geht es los. Eine junge Frau, mit flammend rotem Haar, traut sich als Erste. Sie ist eindeutig beschwipst und scheint eine helle Freude ab 90er Songs zu haben, welche sie lautstark zum Besten gibt. Sie hat eine ganz passable Stimme, trifft allerdings nicht jeden Ton, was wohl ihrem Alkoholpensum zu verschreiben ist.

Danach stellt sich ein älterer Mann auf die Bühne und singt einen schnulzigen Liebessong, der eigentlich ganz süss wäre, wenn er ihn nicht so schräg singen würde.

Irgendwann blende ich das Gejaule aus und konzentriere mich nur noch auf die Gespräche der anderen.

Bis eine tiefe, raue Stimme durch das Mikrofon erklingt, die mir einen Schauer über den Rücken jagt.

Damien.

Ich erstarre und drehe mich dann ganz langsam um.

Tatsächlich. In Jeans, festen Boots und einem schwarzen Hemd steht er auf der kleinen Bühne.

„Hallo Leute“, schallt es durch den Raum. „Ich bin kein besonders guter Sänger, um ehrlich zu sein, habe ich das letzte Mal gesungen, als ich sieben Jahre alt war.“ Leises Gelächter dringt durch den Raum. „Aber heute möchte ich nicht einfach nur singen, um eure Ohren zu beleidigen, sondern, um die Frau zurückzugewinnen, die ich liebe.“ Er schweigt einen Augenblick lang, genau so lange, wie es dauert, bis mein Herz einen Sprung gemacht hat und dann los stolpert. Wie gebannt hänge ich an seinen Lippen und versuche zu verstehen, was da vor sich geht.

„Ich habe einen grossen Fehler gemacht, in dem ich mich selbst belogen habe und damit mehreren Menschen wehgetan habe. Alex, ich liebe dich. Ich habe dich seit dem ersten Augenblick geliebt und auch mein Baby will ich nicht verlieren. Nur war ich zu dumm, um das einzusehen. Du kannst dich bei Truck bedanken, er hat mir die Augen geöffnet. Es tut mir ausgesprochen leid, dass ich mich wie ein egoistisches Arschloch verhalten habe und ich möchte das gerne wieder gutmachen.“ Ein kollektives Seufzen macht die Runde. Verstohlen betrachte ich die Gesichter um mich herum. Foxy lächelt verträumt, fast schon als würden ihr diese Worte gelten, Danny und die restlichen Männer grinsen breit und Elin starrt Lex an. Nur Franky schaut zu mir, lächelt sanft und nickt dann wieder zu Damien.

Dieser hat aufgehört zu reden und sucht offenbar nach etwas. Im nächsten Moment finden seine Augen mich und bleiben an mir hängen. „Alex, dieser Song ist für dich.“

Im Gegensatz zu seiner Behauptung kann er hervorragend singen, was nicht zuletzt an seiner rauen, tiefen und melodischen Stimme liegt. Er hat eine alte Rockballade gewählt, deren Text er aber so verändert hat, dass er auf unsere Geschichte zutrifft. Und während der Minuten, in denen er singt, lässt er mich kein einziges Mal aus den Augen und plötzlich fällt mir auf, dass er den Vorhang, den er sonst immer so behutsam zuzog, fallen gelassen hat. Plötzlich kann ich die tiefe Liebe in seinen Augen sehen, die er für mich empfindet und mein Herz quillt über vor lauter Freude.

Ich bin nicht der romantische Typ, und dennoch laufen mir gerade Tränen über die Wangen.

Das ist definitiv das schönste, was man je zu mir gesagt hat.

Ausserdem bin ich verrückt nach diesem Macho-Arsch. Mein Psychopath.

Kaum sind die letzten Klaviertöne verklungen, springe ich auf, quetsche mich an den anderen vorbei und werfe mich in Damiens Arme.

In seinen Augen schimmern ebenfalls Tränen und ich muss grinsen. Da ist wohl jemand weich geworden.

„Verzeihst du mir?“, flüstert er und ich sehe seine Angst vor Zurückweisung und tiefe Reue.

„Nach was sieht es denn aus?“, necke ich ihn und streichle über seine muskulöse Brust, eine Geste die ich mehr als vermisst habe. Plötzlich werden die Stimmen um uns herum lauter und jemand ruft laut: „jetzt küss sie schon!“ Begeistert beginnt das gesamte Publikum zu brüllen: „küssen, küssen, küssen!“ Damien grinst jungenhaft und legt unter lautem Gejohle seine Lippen auf meine.

Ich blende die Stimmen um mich herum aus, lasse mich nur noch auf Damien und seinen warmen Mund ein. „Ich habe dich vermisst“, haucht er an meinen Lippen und streichelt sanft über meine Wangen. „Auch wenn du ein echtes Arschloch warst, ich dich auch.“ Er lächelt zaghaft und ich fühle pures Glück durch meine Adern rauschen.

„Verlass mich nie wieder“, bittet er. Ich seufze gespielt nachdenklich. „Nun ja, solltest du dich wieder wie ein Arschloch benehmen, werde ich dich augenblicklich verlassen. Aber wenn du dann mit einer solchen Tour, wie das eben, kommst, dann werde ich dich auch immer wieder zurück nehmen.“

Sein Blick wird streng. „Oh nein, du kleine Hexe. Du wirst mich nie wieder verlassen. Und deshalb...“ Er kramt in seiner Tasche und hält plötzlich ein kleines Kästchen in der Hand.

Behutsam klappt er den Deckel auf und zeigt mir den Inhalt, der mir den Atem raubt.

Es ist ein wunderschöner Ring aus Weissgold, mit einem winzigen Rubin. Er ist sehr schlicht und einfach perfekt. „Alexandria Diver, willst du meine Frau werden? Ich bitte dich, heirate mich und mach mich zum glücklichsten Mann der Welt!“ Er geht vor mir auf die Knie und ich halte den Atem an.

„Nun sag schon ja!“, ruft Foxy begeistert und ich blinzle entgeistert. Passiert das gerade echt?

Damien scheint mein Schweigen falsch zu interpretieren und wieder erscheint dieser zaghafte, unsichere Ausdruck in seinen Augen. Und plötzlich begreife ich, dass das hier wirklich geschieht. Er liebt mich. Und er will mich heiraten!

„Ja“, hauche ich. Damiens Augen beginnen zu strahlen und als er mich küsst, ist es, als würde die Sonne aufgehen. „Ich liebe dich, Alex.“ „Sag das nochmal“, bitte ich. „Ich liebe dich. Mein Herz gehört dir. Und unserem Baby.“ Er legt eine Hand auf meinen Bauch und ein wehmütiger Ausdruck legt sich über sein Gesicht. „Es tut mir so leid. Ich habe dich schrecklich verletzt.“ „Ja, aber du hast es wieder gut gemacht“, erwidere ich leise.

Dann drehe ich mich zu den anderen und rufe strahlend: „ich werde heiraten!“ Wieder erklingt lautes Gejohle und unsere Freunde springen auf. Foxy schliesst mich als erstes in eine Umarmung und schnieft ergriffen. „Das war so lieb von ihm“, flüstert sie. „Ja, unheimlich kitschig, aber wunderschön.“ „Zeig ihn mir!“ Sie greift nach meiner Hand und betrachtet den schönen Ring verträumt. „Traumhaft.“

Elin umarmt mich ebenfalls und auch Britney schliesst mich in ihre Arme. „Ihr seid ein wunderschönes Paar, Alex. Ich wünsche euch alles Glück der Erde.“ Ich drücke sie an mich. „Danke.“

 

Der Barkeeper hat uns zur Feier des Tages eine Runde spendiert und so sitzen wir kurze Zeit später gut gelaunt bei einander. „Woher wusstest du überhaupt, dass wir hier sind?“, frage ich Damien leise. Er grinst jungenhaft. „Nachdem du gegangen bist stand plötzlich Truck in meinem Büro und hat mir eine deftige Standpauke gehalten. Er hat mir die Augen geöffnet und als ich eingesehen habe, dass ich einen Fehler gemacht habe, hat er mir geholfen das hier einzurichten. Dein Anruf kam gerade perfekt, denn so wussten wir, wo wir dich finden würden und per Zufall wusste Truck auch, dass hier heute Abend ein Karaoke-Abend stattfindet. Den Ring hatte ich schon lange und ich wusste, wenn du mir verzeihen würdest, würde ich dich nicht mehr gehen lassen. Und das werde ich auch nicht mehr“, fügt er ernst hinzu und küsst meinen Ringfinger. „Niemals.“ Sein Blick wird dunkel und in mir ziehen sich alle Muskeln zusammen. Mein Gott, ich habe solche Sehnsucht nach diesem Mann! „Bitte, lass uns gehen“, flüstere ich heiser. „Liebend gerne.“

Die anderen finden es schade, dass wir schon wieder verschwinden wollen, aber sie verstehen uns auch. Zehn Minuten später haben wir uns von allen verabschiedet und machen uns auf den Heimweg.

Kaum betreten wir das Haus, als wir uns auch schon stürmisch küssen, unsere Körper aneinander pressen und reiben, und versuchen, so viel wie möglich zu bekommen, und am besten noch mehr.

„Ich habe dich so vermisst“, keucht Damien und hebt mich auf seine Hüften. Ich presse meine Lippen auf seine und schlinge die Beine um ihn. Schwankend machen wir uns auf den Weg in sein Schlafzimmer. Mir fällt auf, dass wir noch nie hier drin miteinander geschlafen haben.

Damien legt mich auf das breite Bett und betrachtet mich einen Moment lang versonnen, bis ich ungeduldig werde und ihn auf mich ziehe. Unsere Lippen finden sich zu einem weiteren leidenschaftlichen Kuss und meine Hände machen sich auf die Suche nach Haut. Mit einem Ruck streife ich sein Hemd über seinen Kopf, viel zu ungeduldig, um die Knöpfe einzeln aufzumachen.

Obwohl ich diesen muskulösen Körper nur allzu gerne länger betrachten würde, mache ich mich sofort an seiner Jeans zu schaffen und öffne mit zitternden Händen den obersten Knopf. Die Aufregung nimmt überhand und meine Finger zittern so sehr, dass ich es nicht schaffe, den Reissverschluss aufzuziehen. Frustriert stöhne ich auf. „Langsam, meine Süsse“, flüstert Damien und drückt einen Kuss auf mein Haar. Er erhebt sich und schlüpft aus der Jeans, den Schuhen und seinen Socken. In engen Boxershorts bleibt er stehen und ich lasse meine Augen über diesen Astralkörper gleiten.

„Zieh dich aus.“ Es ist kein richtiger Befehl, aber auch keine Bitte. Und obwohl ich ihm diese Aufgabe liebend gerne überlassen hätte, mache ich mich sofort an die Arbeit.

Mit bebenden Fingern gleite ich unter den dünnen Pullover und zerre ihn hoch. „Nein, langsam!“ Jetzt ist es ein Befehl und ich komme ihm umgehend nach. „Wir haben alle Zeit der Welt“, fügt er leise hinzu und es klingt fast ein wenig erstaunt. Ich muss kichern. „Oh, wie ich dieses Geräusch vermisst habe“, haucht er fasziniert und ich grinse ihn breit an. „Und das hier?“, frage ich und bin selbst ein wenig erstaunt über meinen verruchten Ton, während meine Finger über meinen Körper gleiten, bis zu meiner Hose. Ich will mich gerade daran zu schaffen machen, als er über mir ist, meine Hände beiseite schiebt und den Verschluss einfach aufzerrt. Ein reissendes Geräusch erklingt, der Knopf fliegt weg und der Reissverschluss ist entzwei. „Egal. Du kriegst eine neue“, raunt Damien und ich muss erneuert kichern. „Reich genug bist du ja“, kann ich mir nicht verkneifen. „Ja, und der glücklichste Mann auf der ganzen Welt noch dazu.“ Er strahlt, während er meine Hose von meinen Beinen streift. An meinen Füssen bleibt sie hängen, weil ich noch immer meine Stiefel trage. „Die sind echt sexy. Irgendwann werde ich dich nur mit diesen Dingern bekleidet nehmen“, raunt er und mir stockt der Atem. „Aber jetzt müssen sie erst mal weg.“ Er öffnet sie und zieht sie behutsam von meinen Füssen. Kurz darauf liegen wir nur noch in Unterwäsche da, beide versunken im Anblick des anderen. „Du bist so wunderschön“, haucht Damien und lässt zarte Küsse auf meinen Hals regnen. Ich seufze leise unter seinen Liebkosungen und lasse meine Hände auf Wanderschaft gehen. Durch den Unfall hat er abgenommen und ich entdecke ein paar Narben. Ich küsse jede einzelne und zupfe am Bund seiner Shorts. „Warte, ich will dich zuerst anschauen“,hält er mich auf und löst sich wieder ein wenig von mir. Mit verhangenem Blick betrachtet er mich und fährt die lange Narbe, die mir Sarah zugefügt hat, nach. Dann lässt er seine Lippen folgen. Innerhalb von wenigen Sekunden schafft er es, auf meinem gesamten Körper eine Gänsehaut zu verursachen und mir ein wohliges Stöhnen zu entlocken.

Seine Finger gleiten unter mich und tasten nach meinem BH-Verschluss. „Darin bist du Profi, was?“, necke ich ihn, als er es beim ersten Versuch schafft und mir den BH auszieht. „Ich hatte ja auch genug Zeit an meiner Technik zu feilen“, erwidert er leise. Allein der Gedanke, ihn mit einer anderen Frau in einem Bett zu sehen, fügt mir Schmerzen zu. „Warum trägst du überhaupt einen BH?“, will er wissen und löst sich ein wenig von mir, um mich neugierig anzuschauen. Ich zucke die Achseln. „Sie sind ein wenig gewachsen, durch die Schwangerschaft. Es ist angenehmer.“ Sein Blick wandert zu meinen Brüsten. „Das sehe ich“, raunt er schwer atmend und schliesst eine Hand um die linke. „So wundervoll schwer“, murmelt er eher zu sich selbst. Ich beobachte ihn lächelnd, doch das Lächeln vergeht mir schnell, als er sanft über die Knospe pustet und sie dann mit seinen Lippen umschliesst. Die Berührung schiesst wie ein Stromstoss direkt in meine Mitte und ich spüre, wie ich schlagartig nass werde.

„Deine Haut riecht köstlich. Nach Schokolade und Pfefferminz.“ Ich beobachte, wie er seine Lippen über meinen linken Rippenbogen gleiten lässt. „Das ist mein Duschgel.“ „Ja, aber nur an dir riecht es so gut“, flüstert er und züngelt in meinen Bauchnabel.

Dann löst er sich für einen Moment lang und betrachtet meinen Bauch. „Es tut mir so unglaublich leid, dass ich dich von Anfang an abgewiesen habe, mein Kleines. Verzeihst du deinem dämlichen Papa?“ Ich starre Damien überrascht an. Er spricht mit meinem Würmchen!

„Bitte, verzeih mir“, haucht er und es klingt so unglaublich sehnsüchtig und traurig, dass es mir schwer ums Herz wird. Ich ziehe ihn zu mir hoch und küsse sanft seine geröteten Lippen. „Natürlich verzeiht es dir. Und jetzt lass den Trübsal beiseite, ich will dich. Hier“, ich deute auf meine pochende Mitte und beobachte verzückt, wie sich seine Lippen zu einem gemächlichen, lüsternen Grinsen verziehen. „Hast du mich vermisst?“, raunt er und gleitet wieder an meinem Körper hinab, bis er zwischen meinen Schenkeln thront. „Ja, jeden Tag. Du hast mich zu einem sexbesessenen Monster gemacht. Und dann hast du mich einfach hängen gelassen“, schmolle ich. „Wir haben viel aufzuholen.“ Er drückt einen Kuss auf mein Seidenhöschen. Ich wölbe ihm meine Hüften entgegen und er nutzt es aus, um mir den Stofffetzen vom Leib zu ziehen. Vollkommen nackt liefere ich mich seinen Blicken aus, die mich streicheln und liebkosen.

Dann senkt er seinen Mund auf meine Vulva und lässt mich alles um mich herum vergessen. „Du schmeckst himmlisch.“ er löst sich wieder ein wenig und grinst mich mit glänzenden Lippen an. Dann beginnt er von vorne und entlockt mir ein lautes, sehnsüchtiges Stöhnen.

Die Lust schiesst so plötzlich und heftig in meine Mitte, dass es mir den Atem raubt und mich nach Luft schnappen lässt. Mein Rücken biegt sich durch und ich werfe den Kopf in den Nacken, während sich meine Hände in sein Haar krallen und ihn noch näher an mich pressen.

„Halt still“, flüstert er und ich spüre die Vibrationen seiner Stimme durch meine Vulva beben. Seine Hände schlingen sich um meine Hüften und zerren mein Becken runter, das sich ihm entgegen gehoben hat. Er löst eine Hand und schiebt einen Finger in mich.

Mein Inneres schliesst sich fest um ihn und ich bettle um Gnade.

Ein zweiter Finger kommt hinzu und er beginnt sie sanft und viel zu langsam vor und zurück zu bewegen. „Bitte, lass mich kommen“, krächze ich und versuche ihm entgegen zu kommen. „Nein. Du wirst erst kommen, wenn ich in dir bin.“ Verzweiflung überkommt mich.

„Dann nimm mich endlich!“ Er lacht leise und befreit sich von seinen Shorts. „Sicher?“, knurrt er in mein Ohr und küsst die Haut direkt darunter. „Ja“, stöhne ich verzweifelt und kralle meine Fingernägel in die festen Muskeln seiner Schulter. Gleichzeitig schlinge ich beide Beine um seinen Unterkörper und ziehe ihn näher an mich ran.

Im nächsten Augenblick positioniert er sich und dringt langsam in mich ein.

O Gott, was habe ich dieses Gefühl der Dehnung und des Ausgefülltseins vermisst! Tief in mir verharrt und stützt sich neben meinem Kopf auf die Ellbogen, um mein Gesicht sanft zu streicheln. „Sag mir, dass du mich liebst, Alex.“ Ich blinzle und fühle mich wie in Trance. „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich“, flüstere ich immer wieder und er beginnt sich in einem trägen Rhythmus zu bewegen.

„Bitte“, jammere ich leise, denn es ist viel zu wenig. Zu wenig Reibung, zu wenig Tempo, zu wenig Damien. Wieder hält er inne und küsst mich flüchtig. „Willst du mehr?“ „Ja, bitte. Gib mir alles“, krächze ich und schnappe entrückt nach Luft, als er sich ganz langsam aus mir zurückzieht und dann mit voller Wucht zustösst. „So? Gefällt dir das?“ Er grinst, als er meine Verzweiflung sieht. „Bettle, kleine Hexe. Bettle mich an.“ Mein Verstand wehrt sich gegen die Forderung, aber mein Gehirn ist viel zu benebelt, um darauf zu hören.

„Bitte, fick mich. Nimm mich. Lass mich kommen, bitte“, seufze ich und wölbe ihm meine Hüften entgegen.

Und endlich, endlich erhört er mich. Mit steten, festen und tiefen Stössen beginnt er sich zu bewegen und schaukelt mich immer weiter hoch.

Meine Hände gleiten gierig über seine Schulter und mein Becken bewegt sich ihm sehnsüchtig entgegen. In meiner Erregung schliesse ich meine Augen, um das Gefühl, ihn tief in mir zu spüren, intensiver wahrzunehmen.

„Sieh mich an“, weist Damien mich mit heiserer Stimme an, während er sich noch eine Spur schneller bewegt. Flatternd öffnen sich meine Lider und ich betrachte sein vor Lust verzerrtes Gesicht. „Komm, meine Süsse. Lass los“, flüstert er stockend und berührt mit einer Hand meine Perle.

In mir drin zieht sich alles zusammen, nur um sich in einer gewaltigen Explosion aufzulösen. Der Höhepunkt ist überwältigend, schickt mich in höhere Sphären, und mir wird für einen Moment lang schwarz vor Augen.

Keuchend schweben wir beide wieder langsam zurück zum Planet Erde.

Weiche Lippen wandern über mein Gesicht und treffen behutsam auf meine eigenen.

„Ich liebe dich, Alexandria, zukünftige Mrs. Dragenos.“ Er kichert reichlich unmännlich. „Wie sich das anhört. Himmlisch.“

Ich seufze entzückt. „Ja, himmlisch.“

Wir liegen nebeneinander, die Gesichter uns zugewandt und betrachten uns gegenseitig.

„Warum bist du gegangen?“, frage ich leise. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen.

Damien blinzelt leise. „Ich wusste, dass ich mich verliebt habe und allein das machte mir unglaubliche Angst. Ich wollte nicht verletzlich werden. Ich dachte, wenn du mich irgendwann mal nicht mehr willst und mich verlässt, was wird dann aus mir? Ich würde daran kaputt gehen. Also dachte ich, lieber jetzt, als später. Deshalb habe ich dich auch wegbringen lassen. Die Trennung von dir war der grösste Fehler meines Lebens. Es tat echt weh, also habe ich versucht meinen Kummer im Alkohol zu ertränken. Du hast ja gesehen, wie das endete.“ Er seufzt und ich nehme seine Hand um sie an meine Wange zu drücken. „Und plötzlich warst du wieder da. Ich dachte, ich würde träumen. Und dann sagt Franky, du wärst schwanger. Das war wie ein Schlag ins Gesicht.“ Er stockt. „Na ja, irgendwie hatte ich plötzlich die totale Panik. Ich...“ Er verstummt abrupt und legt einen Arm über seine Augen, um sein Gesicht zu verdecken. „Ich hatte einen nicht besonders tollen Start ins Leben, Alex. Mein Vater ist lange vor meiner Geburt abgehauen, ich weiss nur, dass er Chalie hiess. Als ich sieben Jahre alt war, ist meine Mutter an Krebs gestorben. Trucks Mutter war meine Patentante und sie hat mich zu sich genommen. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Und ich hatte das Gefühl, nur wenn ich die Kontrolle über alles und jeden habe, kann ich überleben. Also habe ich begonnen, mein Umfeld zu terrorisieren. Marie, ich glaube du kennst sie bereits, sie ist die Mutter von Truck, hat es irgendwann nicht mehr ausgehalten. Ich wollte irgendetwas, aber sie kaufte es mir nicht. Also habe ich ihr gedroht, die Katze anzuzünden. Und als sie noch immer nicht nachgegeben hat, habe ich es getan.“ Meine Augen werden gross. „Ehrlich?“ Er zuckt die Achseln. „Ich war nicht gerade ein Unschuldslamm, Alex. Die Katze hat zwar überlebt, aber Marie wollte mich nicht mehr. Ich weiss, dass sie mich geliebt hat, aber ich war ihr zu anstrengend. Also landete ich im Heim und von dort aus bei einer Pflegefamilie nach der anderen. Ich fühlte mich nirgends wohl, hatte das Gefühl jedes Mal in eine intakte, heile Welt zu dringen, in die ich nicht gehörte. In der Schule war ich ein richtiges Arschloch, habe die anderen Kinder gequält und tyrannisiert. Truck war zu der Zeit mein einziger Freund, aber nicht einmal er konnte mir geben, was ich wollte. Als ich 18 wurde, bin ich sofort weggegangen. Ich habe das Erbe meiner Mutter bekommen und konnte mir damit eine Reise nach Europa leisten. Dort habe ich eine Zeit lang studiert, das aber abgebrochen,weil es nicht mein Ding war. Und dann lernte ich einen älteren Mann kennen, der mich in die IT-Branche einführte. Er hat mir gezeigt, wie man eine Firma leitet, fünf Monate später starb er. Tja, und dann habe ich erfahren, dass er mir seine gesamte Firma vermacht hat. Er hatte keine Familie, nichts. Also wurde das Erbe anerkannt und plötzlich war ich Chef einer riesigen Firma. Ich habe mich regelrecht in die Arbeit gestürzt und das Unternehmen wuchs und wuchs. Aber irgendwie hatte ich nicht das Gefühl Zuhause zu sein, also habe ich die Leitung meinem besten Mann dort übergeben und bin wieder hier her gekommen. Hier habe ich weiter gemacht und mehrere Firmen aufgekauft und vergrössert.“ Er seufzt wieder und nimmt seinen Arm von seinem Gesicht. „Verstehst du, was ich dir damit sagen will? Ich habe mein ganzes Leben lang immer nur gearbeitet, hatte nie eine richtige Familie. Wie soll ich da ein anständiger Vater werden? Davor hatte ich unglaubliche Angst. Ich wollte nicht versagen, also bin ich abgehauen. Erst Truck hat mir klar gemacht, dass ich nicht wie mein Vater bin. Dass ich eine Familie habe und dass ich dich liebe. Genauso wie mein Baby. Ich bin ihm unheimlich dankbar, dass er mir nie den Rücken zugekehrt hat, obwohl ich so oft ein Arschloch war.“

Puuh. Das ist eine echt... komplizierte Geschichte. Die Hälfte kannte ich zwar schon von Franky, aber alles zu wissen und vor allem von ihm, ist viel besser. Jetzt kann ich ihn auch viel besser verstehen. „Danke“, murmle ich und drücke einen Kuss auf seine Brust. „Wofür?“, fragte er verwundert und streicht mit eine Strähne zurück. „Dass du dich mir anvertraut hast.“ Er runzelt die Stirn. „Du bist die Frau, die ich liebe. Du hast alles Recht der Welt, meine Geschichte zu kennen.“ Sein Blick verdunkelt sich. „Apropos Liebe: ich finde, wir sollte noch eine zweite Runde einlegen.“ Ich setze mich auf und schlage gespielt empört auf seine Brust. „Sie sind unersättlich, mein Lieber!“ „Ja, und verrückt nach dir“, flüstert er und zieht mich auf sich. Zwischen meinen Schenkeln fühle ich seine Härte und reibe mich aufreizend daran. „Küss mich, du unersättlicher Kerl!“

 

 

Epilog

 

Aufgeregt grinse ich Damien an, der mir gegenüber steht und in seinem Smoking unwiderstehlich aussieht. „Bald sind wir dran“, formt er lautlos mit seinen Lippen und ich strahle. Ja, in zwei Monaten sind wir dran. Dann gehört dieser wunderbare Mann endlich mir. Aber heute sind erst mal Foxy und Danny an der Reihe.

Letzterer steht ganz vorne beim Altar und tritt nervös von einem Fuss auf den anderen.

Der Hochzeitsmarsch erklingt und sofort verstummen alle Leute in der kleinen Kathedrale, und wenden ihre Köpfe nach hinten, um der Braut entgegen zu schauen.

Foxy sieht wunderschön aus in ihrem grünen Hochzeitskleid, das wunderbar mit ihrer roten Mähne harmoniert. Sie wollte kein weisses Kleid tragen, hat sich sogar geweigert. Aber ich finde, das grüne Kleid steht ihr auch tausendmal besser, als ein weisses. Sie strahlt und sieht mehr als glücklich aus. Wenige Schritte vor ihr läuft ein kleines, afroamerikanisches Mädchen, das letzte Woche fünf Jahre alt geworden ist und auf den hübschen Namen Eliza hört. Sie ist seit zwei Monaten Foxys und Dannys Adoptivtochter und die zwei vergöttern die Kleine absolut. Wie so ziemlich jede andere auch. In ihrem weissen Kleidchen sieht sie aber auch absolut hinreissend aus. Als sie an mir vorbei läuft strahlt sie und zeigt ihre blitzend weissen Zähnchen.

Endlich hat Foxy ihren zukünftigen Ehemann erreicht und stellt sich neben ihn. Beiden sieht man die Aufregung und Nervosität an, aber sie sind ein wundervolles Paar.

Der Pfarrer beginnt mit seiner Rede und schliesslich sprechen beide ihre Ehegelübde und küssen sich unter lautem Jubel. Ich werfe Damien einen sehnsüchtigen Blick zu, denn nur zu gerne würde ich das jetzt bei ihm machen. „Später“, flüstert er und lächelt verführerisch sexy.

Ich ächze leise, denn langsam schmerzt mein Rücken; ich trage ja mittlerweile auch ein ganz schönes Gewicht mit mir herum. Mein Bauch ist in den letzten Monaten riesig geworden und ich habe das Gefühl, zu einem Elefanten mutiert zu sein. Damien findet es ziemlich sexy und er behauptet, er hätte dann mehr zum lieb haben. Paah! Der nutzt es nur aus, weil ich durch die Schwangerschaft dauergeil geworden bin. Na ja, ob das wirklich nur mit der Schwangerschaft zu tun hat, ist so eine Frage. Aber ich schiebe es nur zu gerne darauf.

Trotzdem hätte ich momentan gerne einen Stuhl zum sitzen.

 

Elin erkennt meine Lage und nutzt es aus, als die anderen Gäste nach vorne stürmen, um das frischgebackene Ehepaar zu beglückwünschen. Sie nimmt meinen Arm und bringt mich zu einer Bank. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragt sie besorgt und ich winke belustigt ab. „Klar, ich hab nur leichte Rückenschmerzen. Es geht schon. Eigentlich würde ich lieber zu den zwei Süssen da vorne gehen und sie auch beglückwünschen“, murmle ich. „Soll ich sie zu dir bringen?“ Elin ist eine richtige Glucke geworden und umsorgt mich fast so sehr, wie Damien selbst und Meg. Nur Foxy versteht, dass ich trotz meiner Schwangerschaft so viel wie möglich selbst machen möchte. Seit einem Monat habe ich Schwangerschaftsurlaub und hocke dementsprechend sowieso nur noch Zuhause herum.

„Na, Süsse? Alles klar bei dir und meinem Sohn?“ Damien stellt sich hinter mich und krault mir den Nacken, während er einen Kuss auf meinen Scheitel drückt. „Natürlich. Dem Kleinen geht es super, er tritt mich ständig.“ Ich greife nach seiner Hand und ziehe sie auf meinen Bauch. „Da. Spürst du das?“ Wie aufs Stichwort drückt mein Sohn seine kleinen Füsschen gegen meine Bauchdecke. Damien grinst schelmisch. „Ist eben genauso temperamentvoll wie du.“ Ja,ja. Klar.

Übrigens, wir wissen erst seit einer Woche, dass es ein Junge wird. Eigentlich wollte ich mich überraschen lassen, aber auf Dr. Klyros neustem Ultraschallbild ist es ziemlich deutlich erkennbar. Damien freut sich jedenfalls unfassbar darüber, einen Sohn zu bekommen und ist kaum noch zu halten, wenn es um die Einrichtung des Kinderzimmers geht. Er hat jetzt schon tausende Spielzeugautos gekauft und das Zimmer ist vollkommen in Blau gehalten. Wer sagt denn, dass der Kleine überhaupt Blau mag? Damien will davon allerdings nichts hören, denn er ist davon überzeugt: „alle Jungs mögen Blau.“

Nächste Woche, am 30. August, ist es endlich soweit. Dann kommt er auf die Welt. Ich freue mich tierisch darauf, meine Sohn endlich in den Händen zu halten, und bin auch ein wenig froh, die Schwangerschaft endlich hinter mir zu haben. Na ja, der anstrengendste Teil kommt ja noch. Vor der Geburt habe ich ein wenig Bammel, aber es wird schon alles gut gehen.

Doch, gerade als Foxy und Danny sich endlich zu uns drängeln können und ich aufstehen will, um die beiden zu umarmen, fühle ich, wie es plötzlich zwischen meinen Beinen nass wird. Geschockt starre ich auf die Pfütze, die sich zwischen meinen Beinen gebildet hat. „Damien? Ich glaub, die Fruchtblase ist gerade geplatzt“, flüstere ich entsetzt und kralle meine Hand in seinen Arm. Oh Gott! Aber dann denke ich wieder daran, was mir Dr. Klyros gesagt hat, als ich ihn wegen einer vorzeitigen Geburt abgesprochen habe. Er hat mir geraten einfach ruhig zu bleiben, wenn es soweit ist. Ausserdem dauert es, nachdem die Fruchtblase geplatzt ist, noch Stunden, bis das Kind kommt.

Also, ruhig Blut! Allerdings scheint Damien gerade einen Schock zu erleiden. „O mein Gott! Wir müssen sofort ins Krankenhaus!“ Er greift mir unter die Achseln und hilft mir auf die Beine. Er will mich schon mit sich ziehen, als ich mich losreisse und ihm einen belustigten Blick zuwerfe. „Warte doch noch schnell, ich muss dem Brautpaar zuerst noch gratulieren!“ Ohne auf seine Einwände zu hören umarme ich die kichernde Braut. „Du siehst wunderschön aus, Süsse“, flüstere ich in ihr Ohr. Ich freu mich so für euch!“ Sie grinst und knutscht meine Wangen.

Dann umarme ich noch schnell Danny. „Pass gut auf deine Ehefrau auf! Ach, und deine Tochter knabbert gerade an einem Stein“, füge ich nach einem Blick über seine Schulter hinzu. Er wirbelt herum und rennt zu Eliza, die tatsächlich selbstvergessen an einem Stein nagt. Foxy lacht und betrachtet die beiden glücklich.

„Nun aber los, dein Freund bekommt gleich einen Herzinfarkt, wenn du ihn noch weiter warten lässt!“ Tatsächlich sieht Damien aus, als wäre er einer Ohnmacht nahe. „Kannst du vielleicht schnell nach Truck rufen? Ich glaube, es ist keine so gute Idee, wenn Damien jetzt fährt.“ Sie nickt und ich watschle zu meinem zukünftigen Ehemann. „Beruhige dich, Süsser. Es dauert noch ein wenig, bis unser Sohn da ist.“ Er nickt verwirrt. „Wie kannst du bloss so entspannt bleiben?“, murmelt er eher zu sich selbst. Draussen verabschieden wir uns von den anderen und ich betrachte lächelnd James und Britney, die sich gerade sanft küssen. Die zwei sind total verrückt nacheinander, aber sie lassen es sehr langsam angehen. Zu meiner riesigen Freude hat sich noch ein Paar in unserem Kreis gebildet: Franky und PJ sind endlich zusammen. Franky ist unglaublich geduldig und hilft ihm mit seinen Ticks. Ausserdem verteidigt er seinen Freund bis aufs Blut, was diesen manchmal zur Verzweiflung bringt. PJ kommt jetzt auch viel öfter bei unseren Abenden mit und ist viel selbstbewusster geworden.

Franky wartet mit geduldiger Miene bei seinem Jeep und hilft mir einzusteigen. „Aufgeregt?“, fragt er leise und seine Augen blitzen amüsiert. „Damien ist viel aufgeregter, glaub mir“, erwidere ich verschwörerisch und beobachte, wie dieser an seinem Gurt zerrt. Franky grinst wissend und steigt vorne ein.

Eine halbe Stunde später treffe wir im Krankenhaus von Lorenzon ein und melden uns an. Wir haben uns entschieden, hier her zu kommen, wenn es soweit ist, weil mein Arzt ja mittlerweile hier her umgesiedelt ist. Ausserdem wäre ich froh, ein wenig weibliche Unterstürzung in Form von Lilly zu bekommen. Sie ist mittlerweile ebenfalls sehr gut mit den Mädels befreundet, konnte jedoch nicht zur Hochzeit kommen, weil sie Schicht hat. Was vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenn sie jetzt dafür hier bei mir ist.

 

Kurze Zeit später liege ich in einem sterilen Krankenhausbett, neben mir ein aufgeregter Damien, der es kaum mehr abwarten kann.

Dann beginnen die Wehen und ich habe das Gefühl, in meiner ganz persönlichen Hölle gelandet zu sein. Verdammt, warum muss eine Geburt so scheiss anstrengend sein?

Es vergehen noch ganze 12 Stunden, die ich hauptsächlich mit Schreien, Hecheln und schmerzerfülltem Stöhnen verbringe. Damien ist zwei mal in Ohnmacht gefallen und hat den Arzt angebettelt, einen Kaiserschnitt zu machen. Aber das wollte ich nicht und deshalb weigerte er sich auch.

Tja, und plötzlich ist es vorbei und ein lauter Schrei schallt durch den Raum.

Erschöpft lasse ich mich in die durchgeschwitzten Lacken fallen und schliesse für einen Moment die Augen. „Ma'am? Ihr Sohn ist vollkommen gesund. Er ist 52cm gross und wiegt 3476g. Wollen Sie Ihn mal halten?“ Ich nicke, obwohl ich hundemüde bin und am liebsten sofort einschlafen würde. Andererseits will ich endlich meinen Sohn in den Armen halten. Der Arzt nickt Damien zu, der mit einem Bündel in der Hand zu mir tritt. „Hallo, Liebling. Sieh mal, wer da ist?“ Er beugt sich zu mir und legt mir dann meinen Sohn auf die Brust. Ich betrachte ihn entzückt und verliebe mich augenblicklich in dieses Geschöpf. Er hat jetzt schon einen kleinen, dunklen Flaum auf dem Kopf, der ganz weich ist. Seine Haut ist gerötet, aber er sieht wunderschön aus. „Hallo, Kleiner“, flüstere ich und wiege ihn leicht. Seine Augen sind geschlossen und er nuckelt an seinem Daumen. Ich hebe den Blick und sehe in Damiens Augen, in denen sich Tränen gesammelt haben. „Er ist perfekt. Das hast du gut gemacht, meine kleine Hexe“, haucht er und küsst mich sanft. „Wie geht es dir?“ Ich seufze leise und denke kurz über seine Frage nach. „Ich fühle mich, als wäre ich von einem ICE überrollt worden. Aber ich bin glücklich. Unglaublich glücklich sogar.“ Der Kleine gähnt und mein Herz macht einen Hüpfer. „Ich liebe dich, Alex.“

Meine Augen werden immer schwerer und ich kann mir ein Gähnen nicht verkneifen. „Du bist müde, stimmt's? Komm, gib mir unseren Sohn, dann kannst du schlafen. Du hast es dir mehr als verdient“, flüstert er an meinem Ohr. Ich drücke meinem Kleinen einen Kuss auf die Stirn, dann gebe ich ihn Damien und versinke wenig später in einem erholsamen Schlaf.

 

„Wie wollt ihr ihn nennen?“

Dr. Klyros sieht von einem zum anderen. Ich und Damien schauen uns an, nicken leicht und er sagt mit fester Stimme: „ Raymond Jason Dragenos.“

Ray, der auf meinen Armen liegt, gluckst leise und blinzelt mich aus tiefblauen Augen an.

Damien tritt neben mich und schlingt einen Arm um meine Schulter, den anderen legt er um Ray. Und ich kann ohne schlechtes Gewissen zugeben: ich habe mich nie glücklicher und vollständiger gefühlt, als in diesem Augenblick.

 

 

Es folgt noch ein 3. Band, in dem es allerdings nicht mehr nur um Damien und Alex gehen wird, sondern um Ray, der in der Zwischenzeit erwachsen geworden ist und mit seinem Charakter zu kämpfen hat.

Zugleich arbeite ich momentan an der Überarbeitung von Band 1. Sobald eines von beidem fertig ist, melde ich mich per Rundmail.

Ich hoffe, Band 1 und 2 haben euch gefallen!

GlG

Anaïs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: Pixabay.com
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all meinen tollen Lesern, die mich immer unterstützt haben! ♥

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