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"Hey du fette Gans, mach mal Platz. Dein riesiger Arsch ist mir im Weg!"
Grobe Hände schubsten die total verstörte Eli zur Seite. Mit grossen Augen starrte sie dem Kerl nach, der sie eben vor der versammelten Menge erst zu Boden geschubst und dann, kaum war sie wieder auf den Beinen, gegen den Spind geschleudert hatte.
Eigentlich war sie es ja gewohnt, so behandelt zu werden. Trotzdem tat es jedes Mal aufs Neue weh, wenn Menschen, die sie noch nicht einmal kannte, sie wie Abschaum behandelten.
Kurz schaute sie die herumstehenden Leute an, die sie blöde angafften, als wäre sie ein Affe im Zoo.
Ein anderes Mädchen hätte jetzt vielleicht etwas gesagt, sich versucht zu wehren. Eli nicht. Sie schwieg, blieb stumm wie ein Fisch.
Provozieren war nie gut, das hatte sie schon früh erkennen müssen. Und sie hatte dazu gelernt.
Mit zu Boden gesenktem Kopf, schlich sie durch die Schulflure, die nur von trübem Neonlicht beleuchtet wurden und suchte ihren Unterrichtsraum.
Endlich fand sie den Raum 3012 und blieb kurz vor der geschlossenen Tür stehen. In wenigen Sekunden würde es wieder losgehen. Sie würde ihre persönliche Hölle betreten müssen.
Mi einem tiefen Atemzug drückte sie die Tür auf und huschte möglichst unauffällig zu ihrem Platz.
Allerdings bot sich da ein klitzekleines Problem: der war besetzt.
Mike, Quaterback der Schule, arrogantes Arschloch und noch dazu reicher Schnösel, hatte es sich auf ihrem Stuhl gemütlich gemacht und ignorierte sie einfach. "Mike, da sitze ich. Könntest du vielleicht aufstehen?", fragte Eli mit leiser Stimme und beobachtete den jungen Mann genauestens. Der allerdings beachtete sie gar nicht, sondern drehte ihr nur noch etwas mehr seinen Rücken zu. Tracy, seine momentane Freundin - er wechselte sie so oft, wie seine Boxer - kicherte verhalten und flirtete weiterhin mit ihm. Eli schwieg und beschloss einfach zu warten, bis der Lehrer kam. Mike würde dann schon aufstehen und sich verziehen. Hoffte sie.
Würde er nämlich nicht gehen, würde sie gezwungenermassen auf seinen Platz gehen, und da sass direkt daneben John, Mike's bester Freund. Und damit auch einer ihrer grössten Feinde hier.
Endlich klingelte es und Mike erhob sich, zu Eli's Glück, doch noch und schlenderte zu seinem Stuhl, nicht ohne sie allerdings noch zur Seite zu schubsen.
Ohne jeglichen Widerspruch setzte sie sich stumm und holte ihre Sachen raus. Mister Fagalan, ein untersetzter, kleiner Mann, mit kleinen Schweinsaugen, betrat den Raum und schlug mit einem Heft auf seinen Tisch. Augenblicklich verstummten alle Gespräche.
"Meine Damen und Herren, guten Morgen." Brav erwiderten die Schüler den Gruss und betrachteten ihn mehr oder weniger neugierig.
"Ich habe etwas bekannt zu geben. Morgen, in drei Wochen, findet die grosse Aufführung statt. Euer Auftritt. Ihr werdet mit mir ein kleines Theaterstück erproben und es der Schule vorführen." Allgemeines Gestöhne und Gegrummel. "Ruhe! Dort links hängt ein Zettel, auf dem ihr eure Partner finden werdet." Unruhe machte sich in der Klasse breit. Jeder wollte wissen, mit wem er zusammen sein würde. Mister Fagalan unterbrach die Unruhe mit einem lauten "Ruhe!" und sprach weiter.
"In dem Stück geht es um eine Frau, die sich unglücklich verliebt. Der Mann erwidert die Liebe nicht, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Frau erhängen will. Er bemerkt seine Sehnsucht, als sie verschwindet und seine eigene Liebe für die Frau. Das war's auch schon! Allerdings wird es für acht Leute eine Kussszene geben." Tracy quietschte erschrocken auf und blickte zu ihrem Mike hinüber. Der blickte nur kurz zu ihr und sah dann zu Mandy, der Klassenschlampe. Anzüglich betrachtete er die Blondine.
Eli verzog das Gesicht. Was, wenn es sie treffen würde? Bloss nicht! Sie war schliesslich in einer Klasse mit 34 Leuten! So viel Zufall und Pech gab es gar nicht!
Allerdings gab es soviel Pech doch. Das musste Eli schmerzlich einsehen, als sie nach der Stunde den Zettel betrachten konnte. Ein Albtraum würde das werden! John war ihr Partner, Kussszene inklusive. Eli verspürte einen Schmerz, tief in ihrem Magen. Er würde sie verspotten, nieder trampeln wie eine Ameise, zerquetschen würde er sie. Und er würde sich ziemlich sicher weigern.
Vorsichtig blickte Eli sich nach ihm um. Erschrocken wich sie zurück, so finster starrte er sie gerade an.
"Mister Fagalan! Das können Sie vergessen! Ich küss doch ganz bestimmt nicht dieses eklige, fette Ding da!" Sein Finger zeigte anklagend auf Eli.
"Tja John, tut mir leid, aber ich hab die Paare über den PC wählen lassen... und ich werde auch keine Ausnahme machen!" Damit wandte er sich an zwei andere, sehr aufgeregte Schüler. Eli senkte den Kopf. Das würde noch schlimmer werde, als sowieso schon!
Eine kleine Träne schlich sich über ihre Wange davon, aber Eli bemerkte es gar nicht. Ihre Gedanken hingen in einer grausamen Szene fest.
Sie, John und das ganze Publikum. Und dann würde er sie vor versammelter Menge so richtig nieder machen. "Seht her, die fette Gans will geküsst werden!", schrie John ins Publikum. Mit bösem Blick wandte er sich ihr zu. "Da! Ich geb' dir deinen Kuss!" Mit voller Wucht presste er eine ekelerregende Kröte in ihr Gesicht.
Vor lauter Angst zitterte Eli.
Oh Gott! Was wenn er noch viel Schlimmeres machen würde, als mit einer Kröte...?
"Geh zur Seite, hässliche Kuh! Steh nicht im Weg rum!"
Mike schubste sie wieder zur Seite und lief hoch erhobenen Hauptes zu Mandy, die ihn schon freudig erwartete. Klar, die zwei würden natürlich auch eine Kuss-Szene bekommen.
Langsam lief Eli wieder zurück zu ihrem Tisch.
"Ich werd' dich fertig machen, du ekliges Ding. Ich werd dir das Leben so was von zur Hölle machen!"
Erschrocken keuchte Eli und wirbelte herum. John stand direkt hinter ihr und betrachtete sie hasserfüllt.
Ein Beben durchzog Elis Körper, unbeherrscht zitterte sie, verlor die Kontrolle über sich selbst.
Eine Träne floss über ihre Wange.
Johns Augen weiteten sich plötzlich und er starrte ihr direkt in die Augen.
"Oh mein Gott! Was zum...?"
Seine Miene wechselte innerhalb von ein paar Sekunden von Überraschung zu eigenartiger Erkenntnis und ganz kurz blitzte so etwas wie pure Angst in seinen Augen auf.
Verdutzt blickte Eli ihn an und versuchte seine Gedanken zu erraten.
Im selben Moment schien sich John wieder zu fassen, denn er drehte sich abrupt von ihr ab und stampfte davon.
Mit feuchten Wangen und totale aufgewühlt, starrte ihm Eli hinterher.
Erst das Läuten zur nächsten Stunde riss sie wieder aus ihren Gedanken.

Nach Schulschluss flüchtete Eli wie jeden Tag als Erste aus der Schule.
Die Panik, von den anderen entdeckt und aufgehalten zu werden, saß ihr jedes Mal hartnäckig im Nacken und brachte sie zum Laufen.
Ein schmerzerfülltes Keuchen verließ Elis Lungen. Ihr Körper war Sport, trotz der ganzen Fluchtaktionen, noch immer nicht gewohnt und wehrte sich jedes Mal heftig dagegen.
Seitenstechen zwang sie zu einer kurzen Pause.
Kaum ging es wieder, lief sie auch schon wieder los, bloß weiter, schnell weg hier!
Sie konnte schon die ersten Jungs hinter sich hören, die sich gerade lautstark über etwas unterhielten.
Eli ignorierte sie und lief weiter.
Von weitem sah sie schon ihre Strasse, ihr Herz flatterte in kurzer Frohlockung, trieb sie noch mehr an.
Endlich erreichte sie ihr Haus, ein kleines, schmutzig wirkendes Einfamilienhaus.
Plötzlich verschwand die Freude wieder und Kälte breitete sich in ihrem Herz aus.
Hier würde es ihr doch auch nicht besser gehen! Ihre Eltern behandelten sie schliesslich genauso beschissen, wie ihre Mitschüler!
Eli nannte ihre Eltern nicht einmal so. In ihren Augen waren sie bloß ihre Zeuger.
Und das schien den Beiden auch recht zu sein. Sie beide bereuten es jeden verdammten Tag, Eli auf die Welt gesetzt zu haben. Ihre Mutter besonders, schliesslich hatte sie ihretwegen stundenlang in den Wehen liegen müssen.
Und diesen Hass zeigten sie ihr Tagtäglich. Manchmal hatte Eli Glück und die Beiden ignorierten sie einfach. Aber meist wurde sie zu Magd verordnet oder wie ein Hund behandelt. Ihre Mutter bevorzugte Schmerzen durch Worte, beschimpfte sie als Missgeburt, Schlampe, Taugenichts, hässlichen Fettschwabbel.... Eli kannte eine ganze Palette an Beleidigungen.
Ihr Vater allerdings mochte lieber Taten, als Worte. Er liess lieber seine Hände sprechen. Und zwar nicht sanft und nett, sondern gewaltsam und hart.
Nur das Gesicht ließ er aus, denn schliesslich sollte niemand seine Taten bemerken.
So leise wie nur möglich, öffnete Eli das Gartentor, konnte das Quietschen, das sogleich erklang, jedoch nicht verhindern. Wenn sie Glück hatte, hatten die Zwei es nicht gehört.
Allerdings schien dieses Wort, "Glück", momentan nicht vorhanden zu sein. Kaum stand Eli im Garten, als sich auch schon die Tür öffnete und das hässliche Gesicht ihrer Mutter zum Vorschein kam.
"Freddy, die Missgeburt ist daa!", lallte sie zu ihrem Mann. Sie war wohl wieder einmal angetrunken. Das war ihr neustes Hobby, sich voll saufen, bis das Spital in Sichtweite steht!
Eli kannte das schon.
Und hasste es noch mehr, als alles andere.
Freddy, Elis Vater, schob sich an seiner Frau vorbei und betrachtete Eli, die noch immer im Garten stand und wartete, bis sie rein durfte.
"So soo.... Sag ma' Törtchen", das war sein Spitzname für seine Frau, " warum lassen wir sie eigentlich rein? Ich mein, die arbeitet ja nicht mal für das tägliche Brot! Also, warum sollten wir ihr die Fresse stopfen? Lassen wir sie doch draussen, da soll sie sehen, wie sie klarkommt!"
Die Frau neben ihm nickte und schloss die Tür. Entgeistert starrte Eli auf das Holz. War das gerade tatsächlich passiert? Hatten die Zwei sie gerade echt rausgeworfen?!
Okay, der heutige Tag wurde offiziell zum Schlimmsten ihres Lebens erklärt!
Eine Träne schlich sich über Eli's Wange und benetzte ihre Haut.
Ihr folgte ein Sturzbach, salzigen Wassers, der erst nach gefühlten Stunden wieder versiegte.
Ein raues Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle, begleitete den Bach noch. Eli sank weinend zu Boden und zog die Beine an. Völlig aufgelöst klammerte sie sich an ihnen fest und vergrub den Kopf zwischen ihren Knien.
Ihre Hose wurde nass, aber es war ihr so was von egal.
Irgendwann versiegten die Tränen, Eli konnte nur noch schluchzen.
Ihr Leben war am tiefsten Punkt angelangt. Ein Optimist würde jetzt sagen, dass es jetzt nur noch aufwärts gehen könne, aber Eli glaubte nicht daran.
Eine Frage drängte sich an ihr Bewusstsein. Wie sollte sie überleben? Sie arbeitete nicht, hatte nichts Essbares dabei. Und was war mit Schule? Wie sollte sie das schaffen?
Ein bedrohlicher Entschluss schwebte über ihren Gedanken. Selbstmord.
Tatsächlich überlegte sie dies kurz, beschloss dann jedoch, es doch zu versuchen. Langsam raffte sie sich hoch und stützte sich wankend an den Mauern ihres ehemaligen Zuhauses ab.
Okay Eli, wohin kannst du gehen? Nirgendwohin. Sie hatte niemand. Keine Freunde, keine Verwandten, niemand.
Plötzlich kam ihr der Gedanke an das alte Gartenhäuschen, das ihren Eltern mal gehört hatte, sie aber nie benutzten.
Ein wenig Licht erschien in ihren Gedanken aufzublitzen.
Wenn sie Glück hatte, war das Haus nicht abgeschlossen.
Sofort machte sie sich auf den langen Weg. Sie achtete kaum auf ihre Umgebung, es gab nur noch diesen einen Gedanken. Sie musste es erreichen, musste das Häuschen erreichen.
Nach einer halben Ewigkeit wurden die Häuser weniger, die Strasse unebener. Die ersten Felder und Äcker kamen in Sicht.
Eli bemerkte es kaum.
Ihre Füssen taten ihr weh, sie hatte Hunger.
Sie ignorierte die Bedürfnisse ihres Körpers und lief weiter.
Die Kälte nahm zu. Der Herbst war da und abends wurde es empfindlich kalt.
Zitternd zog Eli die dünne Jacke enger um sich und hob den Kopf. In weiter Ferne konnte sie die Gartenlaube sehen, die kurz vor dem Grundstück stand. Erleichterung machte sich in ihr breit, ihre Beine trugen sie noch eine Spur schneller, obwohl sie längst am Ende ihrer Kräfte war.
Die Laube sah eher aus wie eine kleine Waldhütte, ein bisschen zerfallen, aber durchaus wohntauglich.
Das Schloss war vollkommen verrostet, und als Eli verzweifelt daran rüttelte, zerbrach es bald.
Die Tür ging automatisch einen Spalt breit auf und Eli linste vorsichtig hinein. Dunkelheit verschluckte alles.
Durch das Fesnster kam nur ganz wenig Licht, da es total verschmutzt war und ausserdem bereits die Dämmerung eingesetzt hatte.
Im Dunkeln erkannte sie die Silhouette des alten Sessels, den ihr Vater mal vor Jahren hier hinauf verschleppt hatte.
Mit letzter Kraft schleppte sie sich zu dem Sessel, stolperte unterwegs noch zwei Mal über irgendwelche Sachen am Boden, ignorierte es allerdings einfach und liess sich vollkommen kaputt in das Leder sinken.
Wenige Minuten später war sie weg, in einem tiefen, traumlosen Schlaf gefangen.

Ihre drückende Blase und ein unerträgliches Hungergefühl weckte sie am nöchsten Morgen auf.
Durch das Fenster drang ein kleiner Schimmer an Sonnenlicht. Erschrocken sorang Eli auf. Sonnenlicht! Wieviel Uhr war es?!
Sofort hastete sie zu ihrer Schultasche un wühlte nach der alten Taschenuhr, die sie ihrer Mutter mal geklaut hatte.
10.50 Uhr!
Mein Gott! Sie kam viel zu spät in die Schule!
Erst da fiel ihr Blick auf den alten Kalender und sie begann nachzurechnen, welchen Tag sie überhaupt hatte.
Ein riesiger Felsbrocken fiel von ihrem Herzen, als sie registrierte, dass es gerade Mal Samstag war.
Ihre Blase drückte immer schmerzhafter und langsam hatte sie das Gefühl, bald würde ein Unglück geschehen.
Mit erleichterung erinnerte sie sich daran, dass es in der Nähe eine öffentliche Toilette gab, und sofort hastete sie in die Richtung.
Die Toilette war vollkommen dreckig, aber sie reichte für den Zweck. Ausserdem lief warmes Wasser im Waschbecken. Jetzt konnte sie sich wenigstens notdürftig waschen.
Ihr grummelnder Magen drängte sie wieder zurück ins Haus, wo sie erstmal die Schränke auf den Kopf stellte.
Ganz hinten fand sie eine Ansammlung Trockenkost, die ihre Eltern vor langer Zeit mal, als der Vermieter ihnen gedroht hatte, sie hinauszuwerfen, hier angelegt hatten.
Mit erleichterung zog sie eine Packung Nudeln und Tomatensauce heraus. Sie wusste, dass es hier irgendwo noch einen alten Gasbrenner gab, und Pfannen fand sie auch noch in einem anderen Schrank.
Die Nudeln schmeckten scheusslich, da Eli kein Salz oder sonstiges Gewürz gefunden hatte und nur mit den Tomaten ein bisschen schmackhafter machen konnte. Doch es war ihr in diesem Moment total egal. Ihre Gedanken drehten sich mitterlweile nur noch um ihre Zukunft.
Die Schule war in zwei Monaten fertig, danach hatte sie entweder arbeiten wollen oder sonst etwas. Aber sie hatte noch nie wirklich ernsthaft darüber nachgedacht.
In zwei Tagen würde sie ausserdem volljährig werden.
Das Essen reichte, wenn sie sparsam war, für etwa knappe drei Wochen. Sie musste arbeiten gehen! Und zwar so bald wie möglich!

John

"Hey, Kumpel!"
Fragend hob John den Blick und schaute Mike entgegen. Mein Gott, wie konnte der bloss immer so verdammt glücklich und gut gelaunt durch die Weltgeschichte laufen?
Seine Laune übertrug sich keineswegs auf John, im Gegenteil. Wo er vorhin nur ein bisschen angepisst war, wurde er jetzt zunhemend aggressiv. Er schob das leise Stechen in seiner Brust zur Seite und setzte ein künstliches Lächeln auf.
"Hey", murmelte er Mike zu, als der ihn erreicht hatte und mit ihm einschlug.
"Bock auf ein Game?" John nickte nur und starrte zu Boden.
Sein Kopf war vollkommen verwirrt. Immer wieder sah er sie in Gedanken. Etwas stimmte nicht mit ihr. Die kleine Fette, wie sie sie oft nannten, war eigenartig. Und nicht menschlich, soviel hatte er jetzt kapiert.
Eigentlich bemerkte er es immer, wenn übernatürliche Wesen in seiner Nähe waren, er hatte eine ziemlich sensible Nase, was das anging. Aber bei ihr hatte er nie etas bemerkt.
Was ihn am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass er sie fast jeden Tag sah! In den ganzen letzt sieben Jahren hatte er nie etwas bemerkt! Das konnte doch gar nicht sein!
Vielleicht war sie irgendein Mischling? Mit überwiegend menschlichen Genen? Nein, das kam sehr selten vor, meist überwogen eher die anderen Genteile das Menschliche.
Es gab nur wenige Wesen, bei denen der Geruch ihrer Art erst ab einem gewissen Zeitpunkt ausbrach. Sie musste zu einem dieser Wesen gehören.
In Gedanken zählte er alle Wesen auf, die erst mit 18 gewandelt wurden.
Rachate, ein Wasserwesen, das aussah wie eine Nixe, allerdings viel tödlicher war. Nein, das war ausgeschlossen, Eli hatte keine blauen Haare.
Ein Memakel konnte sie auch nicht sein, die hassten Menschen und verspeisten sie viel lieber.
Ein Threatel? Nein, eher nicht. Dazu war sie zu hässlich.
Kiefern konnte er auch gleich streichen, die waren ebenfalls von sehr schöner Natur und viel zu schüchtern, als das sie sich einem Menschen zeigen würden.
Es gab nur noch zwei Wesen, die in Frage kamen:
Entweder sie war eine Legara oder ein Engel.
Legaras waren Wesen, die den Menschen sehr ähnlich waren und der Legende der Elfen glichen. Ihre Gestalt war unterschiedlich, es gab unglaublich hässliche, aber auch unglaublich schöne.
Und Engel? Das waren Wesen, die ab ihrem 19. Lebensjahr ihre wahre Gestalt zeigten.
Diese Geschöpfe kamen nicht aus dem Himmel, Gottes Anwesenheit war fraglich, aber sie hatten dennoch übernatürliche Aufträge.
John wog ab, welches Geschöpf mehr zu Eli passte, kam allerdings zu keinem Ergebniss.
"Alter! Du siehst aus, als wär deine Mutter gerade verreckt!" Mike lachte dämlich und hieb ihm schmerzhaft auf die Schulter. John musste sich zusammenreissen, um ihm nicht eine zu klatschen. Seine Mutter war tot! Er hasste es, wenn Mike darüber Witze riss.
"Halt deine scheiss Fresse!", zischte er ihm zu und schlug seine Haustür dem vollkommen verdutzten Mike vor der Nase zu. Sollte der doch selbst sehen, wie er sich beschäftigen konnte! John hatte jedenfalls keinen Bock auf seine Gesellschaft.
Fluchend verzog er sich in seinem Zimmer. Unten konnte er seine kleine Schwester Mia schräg singen hören. Wütend tigerte er in seinem Zimmer hin und her, rief sich jedes Detail von Eli in Erinnerung.
Sie war hässlich, unförmig und tollpatschig. Ausserdem war sie verdammt unsicher, oft nervös und schüchtern. Ihre Stimme war leise, man überhörte sie oft.
Das Äussere passte demnach zu beiden Arten, den Legaras und den Engeln. Ihre gutmütige Ader liess ihn eher auf Engel tippen, aber ihre Liebe für Nahrung liess ihn wiederum Richtung Legara schwanken. Die stopften sich für ihr Leben gern voll.
Mias Stimme wurde immer durchdringend, schriller und nerviger, bis John vollkommen ausrastete und die Tür wütend aufriss. Mit grossen Schritten lief er polternd nach unten und riss ihre Tür auf.
Irgendein Musiksender, vermutlich MTV oder VIVA, lief, wobei die Kleine munter davor hin und her hüpfte und schrill in ihr "Mikrophon" sang, das aus einer Bürste bestand.
"Mia, verdammt! Könntest du bitte mit dem Scheiss aufhören? Ich kann mich kaum konzentrieren!" Mia wirbelte herum und schenkte ihrem Bruder einen wütenden Blick.
John wusste, dass er aufpassen musste. Seine Schwester war durch und durch ein Grafler, und zwar mit ziemlicher Sicherheit eine Feuergräfin. Bei diesen Wesen musste man verdammt aufpassen, vorallem durfte man sie nicht wütend machen. Das wusste er am besten, weil er selbst dazu gehörte. Trotzdem ignorierte er es einfach, auf das Risiko hinaus, dass er schlussendlich mit Brandblasen davon kam.
Doch da Wunden bei ihm rasch heilten, war ihm das relativ egal.
Seine Schwester schien allerdings heute gut gelaunt zu sein und schaltete den Sender grummelnd um.
Zufrieden verzog sich John wieder, wurde allerdings sofort wieder von Eli abgelenkt.
Immer wieder sah er ihr schwabbliges Gesicht, als plötzlich eine Träne über ihre Wangen gerollt war, und plötzlich eine Schönheit von seltener Natur preisgegeben hatte.
Damit wäre sie eigentlich mit ziemlicher Sicherheit ein Engel, aber dieser Gedanke machte ihm Angst. Engel waren sensible und sehr starke Wesen. Ihre Macht war übergross und unermesslich. Ausserdem durfte man sich niemals dazu anmassen, einen Engel zu nerven oder gar fertig zu machen oder bloss zu stellen.
Er hoffte inständig, dass er sich irrte und sie ein Legara war.


Fortsetzung folgt...

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei dem Autor
Tag der Veröffentlichung: 18.05.2012

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