Prolog
"Chrissy, Chrissy pass auf! Chrissy pass auf!! Halt verdammt noch mal an! Christina!"
Ein heller Schrei durchschnitt die Still. Im nächsten Moment explodierte der LKW, und mit ihm der kleine Golf, der eben gegen ihn geprallt war.
Layla sank zu Boden und Schrie laut los.
Sie war tot. Ihr grösster Schatz war gerade gestorben. Nichts konnte sie zurückholen. Weg, einfach weg.
Tränen bahnten sich ihren Weg über das hübsche Gesicht, das vor Schmerz verzogen auf den Boden starrte. Hitze wallte über ihren Körper, Menschen fingen ebenfalls an aufzuschreien, jemand rief nach einem Krankenwagen. Alles umsonst. Sie war weg. Nichts und niemand konnte sie wieder holen.
Layla sank in sich zusammen und zitterte haltlos. Ihre Stimme versagte, nur noch ein hilfloses Krächzen entsprang ihrer Kehle. Dann hüllte sie die schützende Dunkelheit und nahm sie mit sich fort, weg von diesem grausamen Ort.
1. Kapitel
Chrissy versuchte sich verzweifelt von den Bildern zu lösen, die ihr jeden Tag im Kopf rumspukten. Auch wenn sie jetzt zu den engelsgleichen Wesen der Höhe gehörte, konnte sie ihr letztes Leben nicht vergessen.
"Ach, warum kann das nicht endlich aufhören! Ich will nicht mehr." Chrissy sank auf den weichen Untergrund und schloss die Augen. Ihr Körper sah noch immer so aus, wie damals, kurz vor ihrem Tod.
Chrissy versuchte verzweifelt, sich wieder aufzurichten, die Bilder zu vertreiben. Aber es gelang ihr nicht. Immer wieder sah sie Layla auf dem Boden liegen, weinend, hilflos. Alleine. Sie hatte sie zurückgelassen! In dieser grausamen Welt!
Wieder zog sich ihr Inneres schmerzhaft zusammen.
Als sie sich wieder etwas im Griff hatte, spürte sie plötzlich die Anwesenheit eines anderen Engels.
Langsam drehte sie sich um und starrte in das Gesicht ihres Mentors, Danny. Der alte Mann lächelte sie beruhigend an und sofort übergoss sie eine Welle von Liebe und Zärtlichkeit.
Er kam in fliessenden Bewegungen zu ihr und blieb dicht vor ihr stehen.
"Kind, der Vater ruft dich. Er möchte mit dir sprechen. Persönlich." Chrissy zuckte zusammen. Sie hatte schon oft mit IHM gesprochen, aber noch nie persönlich. Was war passiert? Hatte sie gegen eine Regel verstossen?
Langsam nickte sie und richtete sich wieder auf. Danny kam ihr zu Hilfe und stützte sie kurz. Als sie ihre Knie wieder vollständig unter Kontrolle hatte, nickte sie ihm dankbar zu und murmelte: "Danke, Danny, ich werde mich gleich auf den Weg machen."
Danny nickte und blieb stehen, als die junge Frau sich umdrehte und aus dem Raum lief. Er ahnte was der Vater von ihr wollte. Sie war bereit dazu.
Chrissys Schritte wurden langsamer, als sie in der Ferne den hohen Wolkenturm der Träume erblickte. Langsam lief sie auf das grosse Tor unten zu, immer langsamer wurde sie.
Schliesslich blieb sie ein paar Meter davor stehen und blickte an der Wand entlang, hoch, bis zur Spitze.
Sie wartete darauf dass sich das Tor für sie öffnete.
Kaum bewegte sich das grosse Tor, trat Chrissy auch schon neugierig näher.
Als es schliesslich ganz offen war, trat sie ehrfürchtig ein, in die grosse Halle.
Ein innerer Glanz schien den Raum zu erleuchten, machte ihn zu etwas ganz Besonderem.
Chrissy achtete darauf, wohin sie trat, denn irgendwo in diesem Raum war immer eine unsichtbare Strömung, die einen zu dem Herrn führte. Kaum hatte sie sie erreicht, wurde sie auch schon von einer gewaltigen Kraft in eine Richtung gezogen.
Beim ersten Mal hatte sie sich ziemlich erschreckt, aber man gewöhnte sich schnell daran.
Schliesslich musste sie vor der weissen Wand halten und blickte sich suchend um. Etwa auf Kopfhöhe leuchtete kurz ein Stein auf und Chrissy berührte ihn zaghaft.
Ihre Finger streichelten den kalten Stein und drückten ihn leicht in seine Vertiefung hinein.
Kurz darauf vibrierte der Boden leicht und eine niedere Tür erschien vor Chrissy. Schnell schlüpfte sie durch sie hindurch und betrat den kleinen Raum dahinter. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte und in einem kleinen Kamin loderte munter ein Feuer, wobei Chrissy jedoch keine Wärme spüren konnte, die von diesem ausgehen sollte.
Chrissy blickte sich neugierig um, normalerweise kam sie nämlich immer in den Vorraum, wenn sie mit IHM sprechen musste.
Dann hörte sie einfach seine Stimme in ihrem Kopf. Aber Heute schien ja sowie alles anders zu sein.
Etwas verwirrt versuchte sich Chrissy an einen Fehler, den sie begangen haben könnte zu erinnern. Aber da war nichts, kein Verstoss gegen irgendeine Regel. Und selbst wenn. SIe musste dann nur im grossen Raum sprechen. Aber heute hatte Danny gesagt, ER wolle persönlich mit ihr sprechen. Eigenartig.
So in Gedanken versunken bemerkte sie nicht, wie die Luft vor ihr zu erzittern schien und eine kleine Gestalt erschien. Die Stimme eines kleinen Kindes hallte plötzlich durch die Kammer und liess Chrissy erschrocken zusammenfahren.
ER war dafür bekannt, sich gerne die Gestalten der Menschen zuzulegen. Aber Chrissy hatte IHN noch nie gesehen, und in Form eines Kindes hatte sie IHN auch nicht erwartet.
Hastig verbeugte sie sich etwas, eine Form reiner Höflichkeit. ER nickte ihr kurz zu und setzte sich dann auf einen Stuhl vor dem Feuer.
Sein Blick schien Chrissy zu durchbohren, er schien jeden Gedanken, jede Gefühlsregung zu sehen und zu spüren.
"Ihr wolltet ich sprechen, Herr?", überwand sich Chrissy schliesslich und unterdrückte das leichte Zittern ihrer Stimme.
ER nickte wieder und sah sie stumm an.
Schliesslich öffnete ER den kleinen Mund und winzige Zähnchen blitzten kurz auf. "Christina, ich habe dich hier her gerufen, weil ich etwas mit dir besprechen möchte. Seit mehreren Jahren beobachte ich dich genau, spüre tagtäglich deinen inneren Schmerz.
Deshalb habe ich mich dafür entscheiden, dich wieder zurück zu den Menschen zu schicken.
Du sollst in Gestalt eines Mädchens einen Mann beschützen. Allerdings solltest du dich vor ihm in Acht nehmen. Er hat gewisse Anzeichen dafür, dass er aus den Tiefen kommt. Beschütze ihn so gut es geht, zögere jedoch auch nicht unsere Hilfe zu verlangen.
Bis morgen hast du Zeit, um dich von allen hier zu verabschieden und dich auf deinen Auftrag vorzubereiten. Danny wird dir noch einiges sagen. Du hast somit den Rang eines Schutzengels erhalten und gehörst zu den Hohen meines Volkes. Hiermit verabschiede ich mich für längere Zeit wieder von dir." Chrissy schnappte überrascht nach Luft, auch wenn sie sie nicht brauchte. Schutzengel! Sie sollte ein Schutzengel werden! Sie! Und sie würde die anderen wieder sehen. Layla.
"Ich...- ich danke euch, Herr! Mit wem habe ich es zutun?", fragte sie zögerlich. Ihre Stimme bebte leicht.
ER nickte kurz und in Chrissys Hand erschien eine Pergamentrolle. Chrissy verbeugte sich und drehte sich langsam um. WIe in einem Nebel gehüllt schloss sie die Tür wieder hinter sich und trat aus dem Turm. Das einzige, was sie voll und ganz wahrnahm, war die dünne Rolle in ihrer Hand.
Ohne auf ihre Umgebung zu achten lief sie schnell zurück, zu ihrem kleinen Haus.
Kaum war sie in ihrem Heim, als sie auch schon mit zitternden Fingern das Band löste und versuchte die Rolle aufzudrehen.
Schwarze, feindselige - ja schon fast tödliche Augen blickten mir entgegen.
Das war er also. Diesen Mann würde ich von nun an mit meinem "Leben" beschützen müssen. Ihn immer unter meiner Hand halten und auf ihn aufpassen müssen. Babysitter spielen.
Ein kleines Grinsen erschien auf ihren schönen Zügen als sie das hübsche Gesicht betrachtete.
Das Gesicht war ausnahmslos schön. Die Wangenknochen hoch und elegant, die Augenbrauen geschwungen und die Nase fein und gerade. Da das Bild nur den Kopf zeigte, konnte man nur seine breiten, kräftigen Schultern erkennen.
Automatisch wanderte Chrissy's Blick hinab, zu den Informationen über ihn.
Léon Lexteris hiess der.
Weiter unten stand, dass er eben vor einem Monat das 20 Lebensjahr erreicht hatte und folglich 19 war.
Er lebte in einer grossen Stadt in den Staaten und war wohl ziemlich beliebt. Jedenfalls wirkte sein Freundeskreis so. Sein letzter Schutzengel hatte es nicht mehr mit ihm ausgehalten, näheres stand da jedoch nicht. Neugierig suchte Chrissy nach dem Namen des Engels. Sie wollte schliesslich so viel wie möglich über ihren ersten Schützling wissen, wenn sie ihn für die nächsten Jahrzehnte beschützen sollte!
Hastig schrieb sie sich den ihr unbekannten Namen auf und las dann die Infos weiter durch.
Das meiste war jedoch nur belangloses Zeug, unwichtig.
Doch Chrissy's Blick blieb an den letzten zwei Spalten, über die Eltern, hängen. Ohne Zweifel war der Kerl ein Sohn des tiefsten Fürsten. Satan. Über die Mutter war nichts bekannt.
In Chrissy's Ohren begann es zu brummen und ihr Herz beschleunigte sich hastig und raste los. Ja, Engel haben ein Herz! Auch wenn sie nicht sterben können.
Immer wieder klang das Wort in ihren Gedanken wider.
Satans Sohn.
Chrissy hatte schon viel über diese Wesen gehört. Man konnte sie ein bisschen mit den Vampiren vergleichen. Jedenfalls ernährten sie sich vorzugsweise auch gerne von menschlichem Blut und waren nicht gerade nette Artgenossen. Sie waren bekannt für ihre Streiche, die oft weit unter die Gürtellinie gingen und schon fast an Bösartigkeit grenzten. Nicht wenig wandelten sie sich mit der Zeit zu blutrünstigen Monstern, die die Kraft ihrer Eltern beziehungsweise ihres Vaters ausnutzten.
Von den meisten Engel wurden sie Dämonen genannt. Satans Brut eben.
Chrissy's Magen schien sich zusammen zu ziehen und wollte sich schier umdrehen.
Einatmen. Ausatmen. Du schaffst das schon, versuchte sie sich zu beruhigen. Was hatte sie da bloss angenommen? Sie wollte doch nicht Babysitter für einen solchen Kerl spielen! Der Kleine war schliesslich bestimmt genug alt, um für sich selber aufzupassen!
Sie war schon drauf und dran wieder umzukehren und zu IHM zu gehen. Aber schliesslich entschloss sie sich dagegen. ER hatte ihr schliesslich diesen Auftrag gegeben. Und ER wusste bestimmt was sie erwartete. ER würde schon seinen Grund haben!
Verzweifelt kniff Chrissy ihre Augen zusammen und starrte aus dem kleinen Fenster in ihrer Küche.
Gut, sie würde es machen. ER hatte ja gesagt, dass sie Hilfe rufen konnte.
Sie würde sich jedoch gut vorbereiten müssen. Schnell rannte sie aus ihrer Küche, denn sie wollte so schnell wie möglich den ersten Schutzengel von diesem Léon befragen.
Nach ein paar Minuten fand sie dessen kleines Haus. Sie klopfte energisch gegen die Tür und wartete ungeduldig auf den Mann.
Knarrend wurde diese endlich geöffnet und ein alter Mann, mit einem schwachen Leuchten umgeben, blickte sie mit gerunzelter Stirn an.
"Was willst du?", fragte er in neutralem Ton und starrte sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen an.
Sein Blick schien sie zu durchforsten, jeden Winkel ihrer Gedanken zu lesen.
Chrissy senkte kurz den Blick, hob ihn jedoch gleich wieder. "Ich möchte mit Ihnen sprechen. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen zu Léon. Er ist mein neuster Auftrag." Und mein Erster, fügte sie in Gedanken hinzu.
Der Mann riss überrascht die Augen auf. "So so... da wird dich noch einiges erwarten, Kleine. Komm rein! Das wird etwas dauern." Er winkte sie hinein und verschwand im Haus. Chrissy folgte ihm dicht, aufgeregt hüpfte ihr Herz.
Er bleib stehen und wie sie an, sich auf einem der bequem aussehenden Sesseln zu setzten. Schnell leistete sie ihm Folge und setzte sich. Angespannt beobachtete sie ihn, als er sich deutlich langsamer, als sie selber, setzte und kurz schwieg, als würde er sich sammeln.
Ungeduldig wippte Chrissy mit ihren Füssen auf dem Boden herum und starrte ihn fordernd an.
"Gut, ich werde dir ein paar Dinge über Léon erzählen. Sie werden dich nicht gerade Erfreuen. Er ist so gesagt ein kleines Arschloch. So sagt ihr das doch, heutzutage?" Ein Grinsen erschien auf seinen alten Zügen und er begann zu erzählen.
Léon ist ein eigenartiger Junge. Er kommt sehr nach seiner Mutter, trotzdem hat er erstaunlicherweise auch viele Dinge seiner Mutter mitgenommen.
Du weisst wer sein Vater ist, nehme ich an?" Chrissy's Kopfschütteln brachte ihn zum Seufzen. "Nicht genau... ich hab gehört, er sei ein Sohn des... Teufels."
"Léon ist tatsächlich ein Sohn des Teufels. Allerdings war seine Mutter eine von uns." Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.
Chrissy zuckte zusammen. Eine von den Ihren? Ein Engel? Das konnte doch nicht sein! Unmöglich! Niemals würde sich ein Engel auf dieses Niveau begeben!
Anscheinend doch. Es sei denn, der Alte würde lügen.
"Wer war sie?"
Chrissy's Stimme zitterte etwas, sie konnte es kaum glauben.
"Nun, seine Mutter ist die ehrenwerte Natalia, auch bekannt als die Gütige. Du hast bestimmt schon von ihr gehört. Vermutlich ist es unser Glück, dass sie seine Mutter ist. Nur dadurch, dass sie so stark ist, hat Léon so viel von ihr übernommen. Allerdings weiss er diese Seite gut zu verstecken. Er hasst sie."
"Wie kam es dazu, dass Satan mit Natalia....?" Chrissy's Stimme verklang, sie wagte es gar nicht, den Satz auszusprechen.
"Frag sie selber. Ich kenne diese Geschichte nur halb. Es steht mir nicht zu, sie dir zu erzählen", brummte der alte Engel.
"Ich kann dir nur eines sagen: Sei immer auf der Hut in seiner Gegenwart. Er schnappt alles auf und verwendet es immer gegen dich. Dass ist seine Art, sich selber zu schützen und dem Namen seines Vater alle Ehre zu machen.
Léon ist den Menschen gegenüber ziemlich unfair. Er hasst sie ebenso sehr, wie seine leibliche Mutter. Und wenn er herausfinden sollte, dass du bei ihm bist, hast du ein ernsthaftes Problem. Durch die Gene seiner Mutter, kann er uns sehen. Das ist das Unangenehme daran, seinen Schutzengel zu spielen. Er kann dich sehen... Damit kommen die Wenigsten unserer Art klar. Ich dachte am Anfang auch, das wäre kein Problem, na ja, bis zu dem Moment, als ich ihn kennenlernen durfte. Ich war gerade mal eine Woche bei ihm und ganz ehrlich, es war die längste und schlimmste Woche meines "Lebens", hier als Engel."
Der Engel verstummte und schien in Gedanken weit weg zu sein. Chrissy runzelte die Stirn. Na toll, dachte sie, da wird ja noch einiges auf mich zukomme, mit diesem Kerl. Ich hab jetzt schon keine Lust auf ihn aufzupassen.
Der Engel fuhr fort mit seiner Erzählung über Léon und Chrissy hörte ihm so gut wie möglich zu, um sich auch jedes kleinste Detail zu merken.
Grübelnd packte Chrissy ihre Dinge zusammen, die sie dort Unten brauchen würde. Ihre Gedanken waren stets bei Léon. Der alte Engel, er hiess Richard, wie Chrissy im Laufe ihres Gespräches noch herausfand, hatte ihr noch viele anderer Dinge über ihn erzählt. Das Wenigste war gut. Immer wieder fragte sich Chrissy, warum ausgerechnet sie das schaffen konnte, mit diesem ungehobelten Kerl zurecht zu kommen, wenn es vor ihr schon Tausende nicht geschafft hatten.
Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Danny stand in der Tür und betrachtete sie abwartend.
"Du musst gehen, stimmts?", fragte er leise.
Chrissy's Nicken bestätigte seine Gedanken. "Wer ist es?", fragte er neugierig.
"Léon, ein Sohn des untersten Lords", murmelte Chrissy.
"Des Lordes? Des Unteren? Meinst du das Ernst?" Seine Stimme schwankte kurz, er war total verwirrt. Wie konnte ER einen so unerfahrenen Engel schicken, um einen Sohn des untersten Fürsten zu beschützten! Wie kam der nur auf diese Idee? Aber schliesslich war ER ja für eigenartige Ideen bekannt.
"Na dann, Kleine... wünsche ich dir viel Glück mit ihm!"
Mit diesen Worten verliess er das Haus seines Schützlings.
Chrissy sah ihm nur etwas verwundert nach und machte sich dann weiter an die Arbeit. Bald würde es so weit sein.
2. Kapitel
Heiss schien die Sonne vom Himmel auf Chrissy hinunter. Ihre Augen schmerzten vom Licht, immer wieder musste sie blinzeln und eine Träne schlich sich in ihren Augenwinkel.
Sie hob eine Hand und schirmte die Sonne damit etwas ab. Schliesslich konnte sie endlich ihre Umgebung betrachten. Sie lag auf einem weichen grünen Untergrund. Gras, fiel es ihr wieder ein. Mit den Fingern strich sie über die saftigen Halme und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Oh, wie sehr hatte sie diesen Planeten vermisst.
Ihr Blick wanderte hoch und sog alles in sich auf. Blauer Himmel, grüne Bäume, Vögel, die zwitscherten, Wind, der leise die Blätter zum Rascheln brachte.
Chrissy hob fasziniert ihre Hand und betrachtete die schlanken, langen Finger, die in einem hellen Hautton zu leuchten schienen.
Sie wusste, dass die Seele eines Engels in seiner menschlichen Gestalt widerspiegelt wurde.
Gespannt auf ihren Körper richtete sie sich auf und betrachtete ihre langen, perfekt geformten Beine. Schwarze Haare wurden ihr ins Gesicht geweht, als ein Wind sich um ihren Körper schlängelte.
Mit grossen Augen betrachtete sie die langen gelockten schwarzen Haare. Suchend glitten ihre Augen über den Boden, nach Wasser, in dem sie sich selber betrachten könnte.
Schliesslich entdeckte sie den kleinen Teich, der unweit von ihr versteckt im hohen Gras lag. Mit grossen Schritten lief sie zu ihm und beugte sich über die glitzernde Oberfläche.
Graue Augen blitzten ihr neugierig entgegen. Die Lange Haarmähne umspielte ihr feines Gesicht. Hohe Wangen liess sie elegant wirken, die grauen Augen schienen neugierig zu blitzen, die lange, gerade Nase passte perfekt in ihr Gesicht. "Wow." Chrissy kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.
Sie hatte erwartet, dass sie schön werden würde, aber nicht SO schön!
Ein lautes Rufen riss sie aus ihren Gedanken.
"Léon! Wo zum Teufel versteckst du dich wieder? Dein Vater wartet auf dich! Jetzt komm endlich, es gibt Essen!"
Eine dicke, alte Dame lief aus dem riesigen Haus, hinter Chrissy.
Ihr Blick glitt suchend über das Gras, natürlich konnte sie Chrissy nicht sehen. Niemand konnte das.
"Komme ja schon!"
Eine dunkle männliche Stimme liess Chrissy herum wirbeln und den jungen Mann entgeistert anstarren der auf die Alte zulief.
"Du alte Hexe!", murmelte er nicht gerade nett, wobei die Alte ihn jedoch nicht zu hören schien.
Sie verschwanden zusammen in der Villa.
Apropos Villa.
Das Haus, vor dem Chrissy gerade stand, war schon fast ein Schloss.
Das Gebäude bestand aus einem Haupthaus, einem riesigen Gebäude aus weissem Stein, grossen Fenstern, einer hübschen Veranda und noch vielen anderen Dingen. Zwei grosse Löwen standen neben der Eingangstür.
Das Haus nebenan war moderner und auch kleiner.
Ein roter Ferrari stand davor und schrie geradezu nach Aufmerksamkeit.
Das Haus war schlichter, trotzdem immer noch ziemlich protzig. Die eine Wand bestand gänzlich nur aus einem Fenster.
Dadurch konnte man bequem in das kleine Wohnzimmer mit grosser Couch und einem riesigen Flachbildschirmfernseher schauen.
Gespannt auf das Innere des Hauses, folgte Chrissy den Zwei und trat in die grosse Halle, die wohl so etwas wie ein Entré darstellen sollte.
Dazu war sie jedoch wirklich zu gross.
Chrissy sah sich staunend um. Die Wände waren mit altgriechischen Verzierungen geschmückt, eine kleine Couch stand etwa in der Mitte, davor ein kleiner Tisch, der aus Gold zu bestehen schien und neben diesem drei hübsche Stühle mit Samtbezug.
Am Ende der Halle war ein grosses Tor zu betrachten, ebenfalls mit abertausenden Verzierungen geschmückt.
Chrissy lief durch das Tor und trat in einen breiten Flur. Riesige Gemälde schmückten die Wände, alte Herren in altertümlicher Kleidung posierten herrschaftlich darin, die Damen schauten hochnäsig.
Das unheimliche an den Bildern war, dass sie einen mit ihren Blicken zu folgen schienen.
Chrissy lief schnell weiter.
Am Ende des Ganges befanden sich fünf Türen, je zwei links und rechts und eine in der Mitte. Chrissy hörte Stimmen aus der zweiten Tür, rechts und trat durch sie hindurch.
Sie stand in einem grossen Raum, in dessen Mitte ein riesiger Tisch stand, und rundherum über zwei dutzend Stühle.
Drei Stühle waren besetzt.
Ein älterer Herr sass am Ende der Tafel und schenkte nur noch seinem Essen Beachtung.
Die Frau neben ihm ass etwas langsamer, als der Mann, beobachtete jedoch immer wieder seine Hände und verzog missbilligend den Mund.
Léon sass auf der anderen Seite, gegenüber seiner Mutter und stocherte lustlos in seinem Essen herum.
Kaum betrat Chrissy den Raum, als sein Kopf auch schon hochzuckte und Chrissy mit seinem Blick zu durchbohren schien.
Chrissy starrte ihn überrascht an.
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Léon schien sie regelrecht zu sehen! Aber das konnte nicht sein. Kein Mensch und auch kein Sohn des Teufels konnte Engel sehen.
Das war schon seit Jahrtausenden Regel des Himmels.
Über diesen Umstand erfreut musste Chrissy leicht lächeln. Sie betrachtete den jungen Mann neugierig, der mittlerweile wieder den Blick auf sein Essen gerichtet hatte. Schwarze Locken fielen ihm zerzaust in die Augen, volle Lippen waren zusammengepresst und zuckten wütend.
Immer wieder zuckte sein Kopf leicht in Chrissys Richtung, als würde er sie trotz allem sehen.
Seine Mutter schnalzte missbilligend in seine Richtung und schaute ihn wütend an.
"Léon, reiss dich mal zusammen! Kannst du dich nicht mal beim Essen normal benehmen?"
Die Stimme der Frau hörte sich unwirklich schrill und unangenehm an. Chrissy zuckte bei ihrem Klang etwas zusammen und trat automatisch einen Schritt zurück. Wieder zuckte Léons Blick zu ihr hinüber. Langsam wurde das Chrissy etwas unheimlich.
Endlich stand Léon auf und nickte seinen Eltern zu. "Ich bin dann mal weg."
Ohne jegliche Reaktion abzuwarten, verschwand er durch eine schlichte Tür, die in der Wand eingelassen war und fast nicht sichtbar war.
Chrissy folgte ihm neugierig. Er rannte einen düsteren Gang entlang, lief eine steile Wendeltreppe hinauf und trat durch eine weiter Tür auf einen Gang. Chrissy schaute sich neugierig um. Der Gang war leer, nur vier Türen waren zu sehen. Léon steuerte auf die letzte zu und öffnete sie schwungvoll. Chrissy trat hinter ihm in den Raum ein und machte grosse Augen. Wow, so ein grosses Schlafzimmer hatte sie noch nie gesehen.
"Du bist also die Neue?"
Überrascht wirbelte Chrissy zu Léon herum und starrte ihn an. Hatte er mit ihr gesprochen? Nein, unmöglich! Andererseits... ausser ihnen war niemand hier drin!
"Äh... kannst du mich sehen?"
Léon schnaubte. "Sehen, hören,riechen!" Letzters betonte er besonders. Riechen? Okay...?!
"Und äh... warum genau kannst du mich sehen?" Léon zog eine Augenbraue hoch. "Ist das verboten?"
"Nein, ich meine doch! Nein, es ist... es ist nicht verboten, aber es dürfte nicht möglich sein. Du dürftest mich niemals sehen. Genauso wenig, wie alle anderen Menschen!" Léon schnaubte verächtlich. "Ich bin aber kein widerlicher Mensch!" Chrissy lachte wütend auf. "Nein, bist du definitiv nicht, Teufelsbrut!"
Fortsetzung folgt....
Tag der Veröffentlichung: 17.12.2011
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