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Zu Gast im Literatur-Zirkel

 

Ich hatte eine kleine satirisch angehauchte Geschichte über den Heiland geschrieben. Ich bin zwar ein fürchterlicher Heide, aber kein böser Mensch, der gegen religiöses Brauchtum wettert. Die kleine Geschichte wurde darum wohlgefällig aufgenommen und wie es der Zufall will, hatte auch eine Frau aus meiner Heimatstadt die Arbeit, bzw. das Büchlein gelesen, indem diese Geschichte neben einigen anderen stand.
Sie war Leiterin eines Literaturzirkels und so freundlich mich zu einer Lesung einzuladen. Da ich nicht bei einer Werbeveranstaltung der "Zeugen Jehova" landen wollte, rief ich an, um der freundlichen Dame etwas auf den Zahn zu fühlen. Ich bekam sofort Anschluss und mir wurde versichert, dass es sich um einen durchaus weltlichen Zirkel handle, dessen Interessengebiete aber vielfältig seien. Das beruhigte mich und ich gab meine Zusage zum vereinbarten Termin zu erscheinen. Leicht irritiert war ich lediglich, dass die Dame eine Stimme hatte, die ein paar Töne tiefer als die meinige lag. (Ich gebe Frauenstimmen den Vorzug, der wie Silberglöckchen lieblich ins Ohr dringen.)
Ich bin keineswegs ein Pünktlichkeitsfanatiker, aber in meinem Leben war es schon zu blamablen Situationen gekommen, weil ich, infolge mangelnder Ortskenntnisse, mich zu wichtigen Treffen verspätete. Es war nicht immer meine Schuld gewesen; es gab Fälle, da hatte man mich versehentlich unrichtig informiert. Wie auch immer – um Komplikationen zu entgehen, bereite ich mich heute auf solche Treffen gründlich vor. Diesmal ließ ich mich am Vortag von einem Taxi zu der mir genannten Adresse fahren. Das Haus, eine zweistöckige Villa, der Vorgarten Rasen und Rhododendronbüsche. Eingerahmt war alles von einem schmiedeeisernen Zaun mit einem Eingangstor aus gleichem Material. Rustikal, aber solide; war mein Eindruck und ich hoffte, das würde auch auf die Mitglieder des Zirkels zutreffen.
Ansonsten passte alles; Bus- und Straßenbahnanschluss waren, wie mir versichert war, in der Nähe. Was mir weniger passte, waren die 21 Euro Taxigebühr, die ich zu löhnen hatte. Mit Bahn oder Bus hätten mich Hin- und Rückfahrt gerade mal fünf Euro gekostet.
Zwischen 14 und 15 Uhr war ich gebeten worden zu erscheinen. Sollte doch irgendetwas schiefgehen, Bahn und Busse können ausfallen, Strecken plötzlich gesperrt werden, konnte ich mir ja per Handy immer noch ein Taxi rufen.
Es ging aber alles glatt. Ich drückte genau 14.30 den Türknopf an der schmiedeeisernen Gittertür …

Die Leiterin der Gruppe, Frau Norbit, hatte mich schon an der Haustür empfangen, sehr freundlich begrüßt, um mich dann in die Räumlichkeiten zu führen, wo fünf Gruppenmitglieder meiner schon harrten. Frau Norbit, war eine vielleicht 50- jährige gertenschlanke Frau, die ein wenig streng auf mich wirkte. Ich war froh, mit ihr schon am Telefon abgemacht zu haben, dass sie, eine meiner Minigeschichten auswählen und vortragen würde.
Die anderen Mitglieder seien im Urlaub, erklärte mir Frau Norbis und stellte mir dann die Anwesenden vor.
„Hier unser jüngstes Mitglied, Elke, sie verfasst herzallerliebste Geschichten für kleine und große Kinder.“ Die Benannte, ein Rotschopf, hatte die Dreißig bestimmt überschritten, machte in meine Richtung einen frommen Augenaufschlag und nickte mir zu.
Sie sieht ein bisschen Scheiße aus, dachte ich kurz und wandte dann meine Aufmerksamkeit der nächsten Person zu, die mir vorgestellt wurde. Franz, 53 jährig, trug die Haare, die ihm auf dem Kopf fehlten, als Rauschebart im Gesicht.
Sein Spezialfach sei eigentlich Lyrik aber momentan würde er gemeinsam mit Hedi an heutigen, realen, aber nicht alltäglichen Begebenheiten arbeiten. Neben ihm saß Hedi, nein kein Schreibfehler, die hieß nicht Heidi, sondern eben „Hedi“! Sie sah auch hedimäßig aus, war klapperdürr wie ein Star-Model, aber keineswegs so gestylt. Hedilein war 42, seit ein paar Jahren Witwe und veröffentlichte sowohl Prosa, als auch Lyrik. Rauschebart Franz zeigt den nach oben gestreckten Daumen und Hedi lächelte ihm dankbar zu. Gernot, so ihr Nachbar, wurde mir als Verfasser von Geschichten für Kinder vorgestellt. Er war Anfang 50, sah etwas verhärmt aus und erinnerte mich an Menschen, die, nachdem man sie getroffen hat, sofort wieder vergisst. Meine Freundin, Sylvia, die sich mit Esoterik beschäftigt, meint; es seien Menschen mit einer sehr schwachen Aura.
Wie auch immer, die mir danach vorgestellte Dame namens Gudrun hatte eine Aura oder war es ihre Körperfülle, die eine solche nur vortäuschte. Sie verfasse Prosa und arbeite zurzeit an einem Roman, einen historischen und der handle von Satanisten, die, das fand ich besonders interessant, sich Werwölfe als Schoßhündchen hielten. Sie würde uns heute, ein eben zu Ende geführtes Kapitel vorlesen, aber vorher würde uns Gernot eins seiner wunderschönen Fee-Märchen- vortragen. Elke hätte den Wunsch geäußert heute nur, als Zuhörerin zu fungieren, da sie ihre abgeschlossene Arbeit noch überarbeiten wolle.
Hedi und Franz, hätten sich ja wie bekannt zusammengetan um gemeinsam in kleinen Geschichten zeitnahe Problematiken darzubringen. Danach aber würde Sie, so Frau Norbit oder Margot, wie sie hier im trauten, Freundeskreis genannt wurde, auf Wunsch des verehrten Gastes – Lächeln in meine Richtung und Applaus vom Rest –eine seiner Arbeiten vortragen.
Ich nickte, bedankte mich für die freundliche Einladung und kam dann zwischen Margot und Mopsgesicht Gudrun zu sitzen, der Dinge harrend, die nun auf mich zukämen.
Alle schauten nun in Gernots Richtung, der sich räusperte, kurz an seiner Tasse Tee nippte… Ja, es gab Tee, Ingwer-Tee und Plätzchen gebacken von Hedimaus. Dann legte Gernot los und ich bekam unschwer mit, dass es kleine in sich geschlossene Minigeschichten waren, die er wahrscheinlich bis an sein Lebensende fortführen könne. Die, womit er uns beglückte, hatte den Titel; „Wieder kleine Waldschratt der Honigbiene Flugschnell das Leben rettete.“
Dann hob Gernot an und ich muss sagen er war mit Herz bei der Sache und zeigte vollsten Einsatz. Er konnte sogar seine Stimme verstellen, hatte drei verschiedene parat; die heisere vom Waldschratt, die leicht brumm-summige von Miss Flugschnell und eben eine neutrale, seine Vorlese-stimme. Manchmal kam er mit den Stimmen durcheinander, aber fand immer wieder schnell Bande, sodass es kaum auffiel.
Ja, ich hielt es für durchaus möglich, dass sich wehrlose Vorschulkinder sogar Gernots Geschichten anhören und sich wie wir mit Beifall bedenken würden.
Das erinnerte mich an die Zeit, allwo ich für Freund Erwin, der in einem Kindergarten als Hausmeister tätig war, hin und wieder als Vertreter Dienst tat. Einmal, ich betrachtete amüsiert, die auf eine große Tafel gehefteten Bilder, die die lieben Kinderlein gemalt hatten.
Ein Mädchen trat hinzu und zeigte auf eines der Bilder und erklärte mir stolz, dass sie das Bild gemalt habe. Nun ja, Kinder haben eine eigene Fantasie, aber es war erkennbar, dass etwas Grünes im Wasser schwamm. Ich sagte freundlich der Kleinen, dass sie da einen wunderschönen Frosch gemalt hätte. Sie stemmte ihre Ärmchen in die Seite, sah mich vorwurfsvoll an und sagte: „Das sei kein Frosch nicht, sondern ihr kleiner Bruder Ralf, im Schwimmbad."
Ohne Brille hätte ich das nicht erkennen können, entschuldigte ich mich und bot der Kleinen einen Kaugummi sozusagen als Wiedergutmachung meines Fauxpas an. Sie lehnte mit der Begründung ab: „Kaugummi essen sei sehr dumm, denn der Magen würde denken, er bekäme nun gleich etwas zu essen. Das wäre aber nicht und dadurch würde man krank werden.“ Weitere Belehrungen empfing ich nicht, denn das Mädchen wurde zu ihrer Gruppe gerufen und enteilte dorthin.
Noch während mir das durch den Kopf ging, setzte sich Mopsgesicht Gudrun in Positur und las, ein – wie sie mitteilte, am Vortag erst fertiggestelltes Kapitel aus ihrem neusten Buch vor. Von Werwölfen war aber, wenigstens in dem Kapitel, keine Rede. Statt dessen war eine Gruppe von Satanisten gerade dabei, einen … einen Ritualmord an einer 16-jährigen Jungfrau zu begehen, die da splitterfasernackt in Fesseln auf dem Opferstein lag. Während Gudrun augenrollend mit Flüsterstimme mehr deklamierte, als vorlas, dachte ich einen Moment daran, dass es heutigen Satanisten schwer fiele, eine 16-jährige Jungfrau zu finden.
Nun gut, die in Gudruns Geschichte hatten eine. Gerade als der Oberste Satanist, den gezackten Dolch der Jungfrau in den Leib senkte um ihr das Herz herauszuschneiden, endete das Kapitel. Ich war wohl der Einzige, der aufatmete, denn die irgendeinen sehr, sehr miesen Horrorfilm abgekupferte Story war mir richtig auf den Geist gegangen. Gudrun bekam ihren Applaus und Rauschebart Franz, Sie erinnern sich, lobte überschwänglich, wie die Autorin es immer wieder verstehe den Spannungsbogen so hoch zu halten. Die lächelte beglückt und Hedi las dann eine Mini vor, die sie gemeinsam mit Franz erarbeitet hatte. Dann las Franz eine, die er mit Hedilein … und so drei oder viermal fort.
Dann wurden sie von Frau Norbit aus Gründen der fortgeschrittenen Zeit gebeten, beim nächsten Treffen die weiteren Geschichten auszustreuen. Nun zeigte alle, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie anstelle des Ingwer-Tees Essig getrunken, wie sehr sie bedauerten, dass sie heute auf weitere Hedi/Rauschebart Geschichten verzichten müssten.
Ich war froh, dass es ein Ende hatte, denn die angeblich aus dem frischen Leben gegriffenen Geschichten waren Köpfen entsprungen, die ich nicht als helle, sondern eher als giftig grün empfunden hatte.
Eine ist mir noch im Gedächtnis. Sie ging so; ein Angehöriger des Volkes der „Sinti und Roma“ (kein anständiger Mensch sagt heute noch das Wort Zigeuner!) fand unter einer Parkbank (nahe am Hauptbahnhof) eine prall-gefüllte Brieftasche. Der schwarz gelockte Held, der Gute, marschierte stracks zum Bahnhof und gab in der Wachstube der dortigen Schutzpolizei die Brieftasche ab. Eine, wie ich meine, wahrhaft aus dem Leben gegriffene Geschichte. Die anderen uns zu Gehör gebrachten Geschichten waren ähnlich dämlicher Natur.
Ja, dann war ich an der Reihe oder besser ausgedrückt die gute Frau Norbit las aus meinen Büchlein eine von ihr vorher ausgewählte Kurzgeschichte oder Mini, wie ich sie nenne, vor.
Sie handelte von einem Mann, der erwachend feststellt, dass sein ganzes Leben nur ein Traum war und er selbst nur eine Person in den Träumen anderer ist.
Ich bekam von Franz ein paar lobende Worte, die darauf schließen ließen, dass er nicht das Mindeste wovon die Rede gewesen war, verstanden hatte. Ein bisschen Applaus und dann hob die Chefin, die muntere Runde auf.
Franz und Hedilein luden ein, sie in den „Goldenen Apfel“ (einer historischen Schänke) zu begleiten, um da noch ein Stündchen beisammen zu plauschen.
Mir war vom Ingwer-Tee ein bisschen übel und ich meinte ein paar Schlucke „Radeberger Pilsner“ würden Magen und Seele gut tun – also sagte ich, wie übrigens alle, zu.
Wie der Abend dann ausging, wäre Stoff für eine neue Geschichte, aber wem interessiert es, dass ich am nächsten Morgen in einer mir völlig unbekannten Wohnung erwachte und neben mir … Nein, Schluss, das ist privat und soll privat bleiben. Sorry!

 

Text und Cover © Willy Rencin (d. i. Sweder, W. van Rencin)

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.10.2018

Alle Rechte vorbehalten

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