"Ich bin überzeugt, dass wir in der gefährlichsten Zeit der Menschheitsgeschichte leben und unser Fortbestehen von einigen zentralen Entscheidungen abhängt, die wir treffen müssen. Wir müssen mit Hochdruck unsere Raumfahrtprogramme vorantreiben. Ich denke, die Menschheit hat keine Zukunft, wenn wir nicht das Weltall erforschen. Denkt daran, in die Sterne zu schauen, anstatt hinunter zu euren Füßen. Seid neugierig."
"Wir verbringen viel Zeit damit Geschichte zu studieren, was, wenn wir ehrlich sind, meist die Geschichte der Dummheit ist. Es wäre gut, stattdessen die Zukunft der Intelligenz zu studieren. (...)
Die Entwicklung einer machtvollen künstlichen Intelligenz wird entweder das Beste oder das Schlimmste sein, das der Menschheit jemals geschieht."
Stephen Hawking, 2016
Liebes Tagebuch,
du wirst nicht glauben, von welcher erstaunlichen, womöglich weltverändernden Entdeckung ich dir gleich berichten werde. Naja, glauben kannst du ja eigentlich auch gar nicht, liebes Tagebuch. Und eigentlich wissen wir ja beide, dass es im Grunde keinen Sinn macht, dich so zu nennen: "liebes Tagebuch". Denn du bist ja kein Mensch, den ich anspreche, sondern nur eine Zusammenreihung von Buchstaben, die meine eigene Gedankenwelt ausdrücken soll. Du bist auch weder lieb, noch besitzt du sonst irgend eine charakterliche Eigenschaft. Du bist genau genommen noch nicht mal ein richtiges Tagebuch im klassischen Sinne, sondern eher ein Tage-Textdokument-auf-meinem-Laptop, mein modern-digitaler Freund ; )
Der geneigte Leser könnte vorschlagen, dich "Blog" zu nennen (das ist die Kurzform der Kombination aus "Web" und "Logbuch" – zur Erklärung für die verbliebenen "Offliner" unserer Gesellschaft, welche die gängigen Begriffe der Internetwelt noch nicht beherrschen). Ein Blog bist du aber auch nicht wirklich, denn du bist ja nicht online. Bisher war ich, dein treuer Freund und Erschaffer, nämlich – sagen wir es ganz offen – schlicht zu feige deinen Inhalt, der meine eigene intime Gedanken- und Gefühlswelt umfasst und sie jedem Leser verraten würde, zu teilen, sie somit mehr Menschen offenzulegen als mir selbst – und dir, wobei du ja wie gesagt leider kein Mensch bist, liebes Tagebuch.
Trotz meiner vorherigen Aufzählung all der Dinge, die du nicht bist, hoffe ich, dass du dich wohlfühlst, liebes Tagebuch, denn ich mag dich sehr. Obwohl ich eigentlich rational weiß, dass du nicht mehr bist als ich selbst, fühlt es sich doch gut an, jemanden wie dich zu haben, dem ich all die Dinge anvertrauen kann, die ich keinem oder nur wenigen anderen anvertrauen kann oder will. Zum Beispiel, wie du ja schon im Laufe der ersten paar Jahre deiner Existenz, quasi deiner Kindheit, die mit meiner Jugend begann, erfahren hast:
Dass ich eigentlich ein intelligenter und amibitionierter junger Mann bin, der die Welt verbessern und Großes erreichen will, aber dass ich tatsächlich doch nur ein weiterer Irgendwer bin, der ein eher langweiliges Leben führt, in keiner Wissensdisziplin und keiner Sportart besonders herausragt und bisher wohl eher wenig zur Weltverbesserung beigetragen hat. Dass ich mich eigentlich für einen überdurchschnittlich attraktiven Typen mit gutem Charakter und für einen guten, verlässlichen Freund halte, aber dass ich lange Zeit keine passende junge Frau gefunden habe, die das auch so sieht und nur wenige echte Freunde habe, die diese Bezeichnung verdienen.
Vielleicht – wahrscheinlich – liegt das daran, dass ich fast nie auf Partys gehe und eine Abneigung gegenüber Small-Talk und allen 08/15-Konventionen in Bezug auf Dating oder Freundschaftspflege habe. Oder daran, dass ich wohl zu hohe Ansprüche an eine Partnerin und an einen Freund habe, um große Chancen zu haben, solche Menschen in dieser Gesellschaft zu finden. Naja, ich will hier nicht weiter "rumheulen", denn im Grunde kann ich mich doch glücklich schätzen: Ich bin Mitte zwanzig, habe also noch den Großteil meines Lebens vor mir, meine Kindheit und Jugend hätte schlimmer sein können, ich habe Eltern, die mich lieben, ein Leben in der deutschen Mittelschicht, bin also materiell weit besser gestellt als die meisten Menschen auf diesem Planeten und habe nach einem recht ordentlichen Abitur mein Studium der Geografie begonnen, das ich noch immer recht interessant finde – aber ich bin ja auch erst im zweiten Semester.
Richtige Freunde hier im Studentenwohnheim habe ich noch nicht gefunden, aber das ist OK, denn ich habe ja, wie ich dir vor kurzem erzählt habe, zwei Menschen kennengelernt, die einerseits als Partnerin und andererseits als Freund am ehesten in Frage kommen von all den eher flüchtigen Bekanntschaften der vergangenen Jahre. Du hast es wohl schon erraten: Es handelt sich zum einen um Susanne, die potenzielle Partnerin, und zum anderen Rajesh, meinen Kumpel aus Übersee. Vielleicht findest du es komisch, dass die beiden mir schon so viel bedeuten, obwohl ich Susanne erst seit zwei Wochen kenne und Rajesh seit einem halben Jahr – und vor allem, obwohl ich beide bisher noch nicht im "real life" kennengelernt habe, sondern nur übers Internet mit ihnen kommuniziere. Aber ich empfinde trotzdem so. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich mit beiden auch gut verstehen würde, wenn wir uns gegenüber säßen oder einen Spaziergang oder was auch immer zusammen unternehmen würden.
Dass sich das bisher noch nicht ergeben hat, liegt daran, dass ich Susanne auf dieser Online-Dating-Website kennengelernt und wir erst vier längere Nachrichten miteinander ausgetauscht haben. Trotzdem hat sie es bereits geschafft mein Lichtblick auf dieser Website zu werden, auf der ich schon begonnen hatte gehörig genervt zu sein. Genervt, wegen der vielen Mädels, die mir trotz meiner eigentlich kreativen, höflichen, humorvollen Ansprachen entweder gar nicht geantwortet haben oder die sich nach zwei, drei Mails – warum auch immer - plötzlich nicht mehr gemeldet haben. Oder die so lange mit mir kommuniziert haben, bis ich früher oder später gemerkt habe, dass sie doch nur weitere Small-Talk-Menschen für langweilige 0-8-15-Konversationen und -Konventionen sind. Es kann aber auch an den vielen nervigen Typen auf solchen Websites liegen, welche die Damenwelt so sehr mit plumpen Sprüchen bombardieren, dass die von mir angeschriebenen Frauen meinen Mails keine Beachtung mehr schenken, weil sie denken, ich sei bestimmt auch nur ein weiterer dieser Idioten – klare Fehleinschätzung!
Jedenfalls ist Susanne da ganz anders. Das habe ich sofort gemerkt. Ich kann noch nicht mal sagen, was genau es war auf ihrem Profil und in ihrer ersten Antwort, das mir direkt den Eindruck vermittelt hat, dass sie anders ist – sehr positiv anders! Es ist wohl die Art wie sie Dinge formuliert, die genau richtige Menge und Position der Smileys, die sie in ihren Texten verwendet: nicht so wenige, dass ich sie für humorlos und bieder halte, aber auch nicht so viele, dass ich sie für so stupide halte über fast alle noch so unintelligenten Witze zu lachen. Die Länge ihrer Nachrichten ist lang genug, um tatsächlich interessiert an mir zu wirken, aber doch nicht so lange, dass ich denken würde, sie ergötze sich eitel an ihren eigenen Schreibmonologen. Ich habe beschlossen, sie in meiner nächsten Nachricht auf ein Heißgetränk einzuladen, sie wohnt ja auch nur 20 Kilometer entfernt : )
Viel weiter entfernt – die genaue Kilometerzahl kenne gerade ich nicht – wohnt mein Übersee-Kumpel Rajesh. Nämlich in Indien, genauer gesagt in der Millionenstadt Bangalore, wohin er vor einem Jahr gezogen ist, um eine Anstellung am dortigen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zu ergattern. Bisher hat es für ihn in Bangalore allerdings erst für einen unspannenden Job in einem Callcenter gereicht. Von ihm habe ich dir ja schon im Laufe der vergangenen Monate erzählt. Davon, wie wir uns über meine Geografie-Recherche zum indischen IT-Sektor kennengelernt haben, als ich vor einem halben Jahr einfach mal in einen Chatroom für bangalorische IT-Beschäftigte "reingeschnuppert" hatte und Rajesh und ich uns dann Stück für Stück angefreundet haben.
Es ist schon ein spannender Zufall, dass genau derjenige Inder in diesem Chat, welcher der sympathischste Kerl dort und überhaupt weit und breit ist, auch noch der einzige Chatteilnehmer war, der Deutsch spricht – weil seine Mutter eine Deutsche ist, die vor Jahrzehnten nach Indien ausgewandert und er entsprechend mehrsprachig aufgewachsen ist.
Noch spannender ist aber das, was mir Rajesh im Verlauf der vergangenen Wochen bei unseren regelmäßigen Chats "unter vier Augen" erzählt hat. Es klingt zwar eigentlich ziemlich unglaublich, aber doch gerade möglich genug, dass ich es Rajesh glaube, dem ich nicht unterstelle mich anzulügen. Ob du es glaubst, liebes Tagebuch, das kannst du selbst entscheiden – oder du könntest es, wenn du zu so etwas wie Glauben und Entscheiden fähig wärst ; P
Im Folgenden werde ich einfach mal den Verlauf der Chat-Gespräche zwischen Rajesh und mir integrieren und vielleicht zwischendurch ein paar eigene Überlegungen und Kommentare dazwischen setzen, welche ich nicht im Chat an Rajesh geschickt habe, sondern einfach nur mit dir, liebes Tagebuch, teilen mag.
Na dann mal los:
Adam: Hi Rajesh, bist du da?
Rajesh: Hey Adam, ja das bin ich. Und ich hab dir diesmal was wiiiiirklich Spannendes zu erzählen!
Adam: Aha, okay. Und was? o.O
Rajesh: Du weißt ja, dass dieser Callcenter-Job, den ich mache, nur ein temporärer Plan B ist bis ich es zu meinem Plan A schaffe, also eine Stelle bei der ISRO bekomme (der Indian Space Research Organisation – falls du vergessen hast, was das heißt ;-)
Adam: Jep, daran erinnere ich mich. Hat sich da etwa was getan, also jobtechnisch?
Rajesh: Noooope -.- Jobtechnisch leider nicht. AAAAber technisch auf andere Art bin ich da vielleicht auf was ganz Großes gestoßen!
Adam: Wirklich? Bei deinem privaten Wannabe-SETI-Projekt etwa?
Rajesh: :-D Gaaanz genau! Ohne Witz, ich hab da echt was entdeckt! Um dir das schnell zu erläutern: Ich hab dir ja schon mal erzählt, dass ich seit ein paar Jahren beim SETI@home-Projekt mitmache. Ich bin somit einer von mehreren hunderttausend Menschen weltweit, die auf ihren eigenen PCs die eingehenden Signale eines Radioteleskops, das in Puerto Rico steht, durchrechnen lassen. Weil mir das allein aber nicht genug ist, habe ich eine zweite, sagen wir mal, semi-legale Art und Weise gefunden, noch mehr Daten und zwar von einer größeren und stärkenen Teleskopanlage in Kalifornien zu bekommen, welche das SETI selbst erst seit kurzem betreibt. Ich hab ja über das Netzwerken rund um die Raumfahrtbehörde hier in Bangalore einige Bekannte gewonnen und einer von ihnen, der beim ISRO arbeitet, versorgt mich seit ein paar Monaten mit Jung-Archiv-Daten vom SETI.
Adam: Mmhm, und was waren nochmal gleich "Jung-Archiv-Daten vom SETI"?
Rajesh: Also Adam, die wirklich wichtigen Sachen, die ich dir erzähle, merkst du dir anscheinend nicht. Aber damit, dass ich dir einmal erzählt hab, wie ich über den Hund meiner Eltern gestolpert und dann mit meinem Gesicht in seinem Napf gelandet bin, damit ziehst du mich seit Monaten bei allen Gelegenheiten auf, die nur im Entferntesten mit Hunden, Haustieren im Allgemeinen, eleganter Körperbeherrschung oder aber Kulinarischem aller Art zu tun haben. Sowas merkst du dir!
Adam: Jaaa, die Vorstellung, wie du graziös über einen jaulenden Hund hinweg gleitest, um dann zielgenau mit deinem Gesicht in seinem Napf abzubremsen und sein Mittagessen vorzukosten – das ist einfach so genial unwahrscheinlich, dass es sich irgendwie unauslöschlich in meine Erinnerung eingebrannt hat. Aber na gut, wir schweifen ab. Was ist denn nun mit diesen Jung-Archiv-Daten vom SETI?
Rajesh: Naja, das will ich dir dann mal nicht verübeln. Ich hoffe aber, dass du dem genial Unwahrscheinlichen, das ich dir gleich berichten werde, ähnlich große Aufmerksamkeit schenkst. Also, Attention please! Das SETI, das ist die Abkürzung für Search for Extraterrastrial Intelligence, falls dir auch diese Abkürzung nicht mehr geläufig sein sollte ;-P Das SETI-Projekt also, mit dem die Amerikaner schon seit den 1960ern nach Signalen von Außerirdischen suchen, gibt ja seit einiger Zeit seine Daten, also die Aufzeichnung der Radiowellen, die ihre Teleskope von außerhalb der Erde empfangen, an Kooperationspartner, also Weltraumforschungsinstitute wie unser ISRO hier in Bangalore weiter. Die allerneusten Daten geben sie natürlich nicht direkt weiter, damit sie die Chance erhöhen, dass sie selbst es sind, die als Erste eine tatsächliche Botschaft einer außerirdischen Zivilisation entdenken. Aber um die Chancen zu erhöhen, dass überhaupt irgendwer, stolzer US-Amerikaner oder Mitglied der Rest-Menschheit, die Existenz Außerirdischer beweisen kann und kein Signal irgendwie übersehen oder nicht richtig erkannt wird, geben sie zumindest die Jung-Archiv-Daten, also die Daten, bei denen sie selbst nach ein paar Wochen nichts finden konnten, an u.a. uns, also das ISRO weiter. So weit, so klar?
Adam: So weit, so klar! Und nun erzähl mir endlich, was du Tolles zu berichten hast! Etwa etwas entdeckt in diesen Jung-Archiven?
Rajesh: Das ist ein BingooOOoo! :-D
Adam: Wiiiiirklich? o.O
Rajesh: Ja Mann, WIRKLICH :D Okay, wenn ich du wäre, würde ich mir das auch erst mal nicht glauben. Ich hab ja selbst ein paar Minuten und ein festes Pitschen in meinen Unterarm UND in meine Wange und dann einen erneuten Blick auf meine Entdeckung gebraucht, um zu realisieren, dass ich wirklich nicht träume, sondern dass ich tatsächlich eine verdammt nochmal echte Botschaft aus dem Weltraum vor mir habe!
Adam: Okaaaay, nehmen wir mal an, du erzählst mir gerade keinen Quatsch. In dem Fall würde ich dich fragen: Was steht denn in der Botschaft?
Rajesh: Danke für dein unbändiges Vertrauen in meine Ehrlichkeit. Also da du als astronomischer Laie ja nichts mit dem Signal an sich anfangen kannst, einer generierten Kombination aus Ziffern und Buchstaben, welche die Zu- und Abnahme der Intensität extraterrastrischer Radiowellen ausdrücken, verdammt, wenn die Nerds beim SETI das nicht mal erkannt haben, was sollst du dann damit.. anyway.. ich habe diese Ziffern und Buchstaben, die beim SETI vor genau drei Wochen und zwei Tagen empfangen wurden und zwar zwischen 12:43 Uhr und 12:46 Uhr mittags – die habe ich mit meinem selbst entworfenen Decodierungssystem umgewandelt und siehe da: Es ist nicht wie sonst irgendeine zusammenhanglose Aneinanderreihung von Buchstaben entstanden, sondern diesmal vier englische Wörter, die sogar einen sinnvollen Satz ergeben!
Adam: Puh, ich weiß gerade nicht, ob ich hoffen soll, dass du mich nicht verarschst oder ob ich auf das Gegenteil hoffen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 25.12.2017
ISBN: 978-3-7438-4757-6
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