Ich bin nicht immer ich
von Sophie Günther
Vorwort
Dieser Text ist ein autobiographischer Krankheitsbericht.
Ich leide seit meinem 24 Lebensjahr (heute bin ich 44 Jahre alt)
an einer sehr schweren Stoffwechselerkrankung.
Diese betrifft mein Gehirn. Als die Krankheit diagnostiziert wurde, nannte man sie Schizophrenie.
Ich habe diese Definition nie akzeptiert.
Ich hielt mich nicht nur für nicht schizophren, sondern für völlig gesund.
Nach einiger Zeit mit widerwillig eingenommener Medikation und dem Beschäftigen mit der Vergangenheit, wollte ich schließlich hypnotisiert werden.
Ich lasse diese Vorstellungen, die ich hier aufführen könnte, außer acht , da deren Wahrheitsgehalt zweifelhaft ist und sich als manische Phantasie erweisen könnte. Genau aus diesem Grund, mir hier Klarheit zu schaffen, entstand die Idee der Hypnose.
Ich wollte testen, ob diese Vermutungen meine Vergangenheit betreffend, die die Manie mehr oder weniger deutlich " behauptet ", wahr sind.
Wie mein Selbstvertrauen, verlor ich auch dieses Vorhaben aus den Augen und beurteilte es als irreal.
Man sagte mir, Hypnose sei zum dem derzeitigen Zeitpunkt nicht nötig. Später erfuhr ich, dass bei psychischen Erkrankungen kontraproduktiv sein könnte, eine solche Hypnose zur Diagnostik, durch zu führen.
Schließlich, nach ein paar Jahren fragte ich nach meiner Diagnose und man nannte mir die "schizoaffektive Psychose". Diese Bezeichnung übersetzten mir die Ärzte mit "Größenwahn",
was mir auf jeden Fall plausibel erschien.
Der vorliegende Text gibt Einblick in meine Krankhheitsgeschichte.Vom Ausbruch der Krankheit, die mein ganzes Leben veränderte, bis heute. Heute, als "kranke Gesunde", nie aber gefeit ist vor einem neuen Ausbruch der Krankheit.
Trotz meines Bewußtseins dessen, dass ich weiß, dass ich krank bin, ahne ich folgendes.
Ich hab eine Stoffwechselkrankheit des Gehirns, ok. Aber ich bin auch traumatisiert. Ich habe manchmal Angstzustände, die mich mittlerweile glauben lassen, dass das eine psychische Reaktion ist, die aus Traumata entstanden ist.
Götterdämmerung
Kapitel 1
Ich war 24 Jahre alt und der Überzeugung, man müsse dann verheiratet sein.
Alfred war mein Freund. Er fragte mich öfter, ob ich ihn heiraten wolle und ich war mir nicht sicher.
Eines Tages in der Straßenbahn holte ich tief Luft und fragte ihn selber.
Er antwortete mit "ja".
Wir waren wie Kinder. Wir freuten uns wie Kinder über unsere erste gemeinsame Wohnung und wir benahmen uns auch einander gegenüber wie Kinder.
Er sagte mal, er sei zu eifersüchtig ein Kind zu haben. Wir waren selber unsere Kinder.
Doch er reagierte nicht, als ich ihm sagte, dass ich Stimmen höre.
Ich bezog jedes Geräusch auf mich und dachte, es käme von Menschen, die mich beobachteten und meine Psyche beeinflussen wollten. Das Knacken der Heizung zum Beispiel. Ich dachte, es beziehe sich auf mich. Auch glaubte ich, dass die Stimmen, die ich hörte nicht aus einer Krankheit enstanden waren, sondern von Dritten her kämen.
Auch heute kann ich es nicht verhindern, die Gräusche auf mich zu beziehen.
Noch manchmal drifte ich ab und fühle mich beobachtet und manipuliert.
Das ist ganz schwer diesen Abstand zu halten.
In unserer gemeinsamen Wohnung war ich allein, während Alfred arbeitete.
Ich machte ihm abends das Essen, aus Dingen, die er eingekauft hatte.
Zu einem normalen Leben, mit Haushalt, einkaufen, kochen und arbeiten bin ich auch heute noch nicht fähig.
Immerhin hab ich heute ein Kind... Das größte Geschenk! Aber dazu später.
Einmal, geplagt von der kranken, noch nicht behandelten Psyche, ging ich nach draußen. Ich nahm eine Rasierklinge mit.
Ich hatte schon so oft Selbstmordgedanken gehabt, dass ich es nun durchziehen wollte.Während dieser Zeit habe ich eine Badewanne voll Wasser laufen lassen und Rosenblüten hinzugefügt.
Dort wollte ich mir die Pulsadern aufschneiden.
Das Blut hätte sich vermischt mit dem Rot der Blütenblätter und schlank und schön wie ich war, wär meinem weißen Körper langsam das Leben entfleucht...
Man kann nicht grade sagen, dass ich glücklich war.
Oft hatte ich es versucht, ich zog mir eine Plastiktüte über den Kopf und versuchte zu ersticken.
Ich versuchte im Badewasser einzuschlafen.
Ließ mir einen Weg einfallen in ein Hochhaus hinein zu kommen.
Aber irgendwas lies mich am Leben bleiben.
An diesem Abend nahm ich mir also eine Rasierklinge und ging nach draußen.
Die nächste Querstraße nahm ich, um zum Wasser zu gelangen. Meine Stimmen sagten die ganze Zeit: "Falsche Richtung, falsche Richtung"
Ich hätte auch in die andere Richtung zur Kneipe gehen können.
Hätte neue Leute kennen gelernt, einen getrunken und mich dann vielleicht aus dieser Lebenssituation hinaus bringen können.
Aber ich ging meinen Weg weiter. Ich ging zum Fluß. Laut und quälend von Stimmen geplagt ging ich und sah keinen anderen Ausweg.
Ich setzte mich auf eine Bank und nahm die Rasierklinge zur Hand, setzte an und schnitt..
Die Narbe ist heute noch zu sehen. Ein paar mal mit Laser behandelt gemildert. Und von seiner Präzision unübertroffen. Die Narbe befindet sich unterhalb der Handfläche, am Handgelenk, an der oberen der beiden Falten, die man dort hat.
Präzise an dieser Stelle und nicht so tief, dass eine Ader, oder Sehne verletzt war.
Zum Glück, Gott sei Dank.
Jedem der das vor hat, rate ich "hey" von Andreas Bourani zu hören.
Es war wie ein Aderlaß aus alten Zeiten. Ich schmiß die Rasierklinge mit Wucht in den Abfalleimer.
Doch zuvor, nachdem ich geschnitten hatte, legte ich mich auf die Bank um in Ruhe zu verbluten.
Ich flüsterte vor mich hin: " Jetzt ist es gut, jetzt ist es gut."
Als ich jedoch merkte, dass ich gar nicht so stark blutete, war ich entschlossen diesem Selbstmordscheiß ein Ende zu bereiten... Es sollte mich später wieder einholen.
Doch in dem Augenblick war´s vorbei. Ich kam tropfenden Blutes nach Hause, nachdem ich mit Erleichterung feststellte, dass ich noch Hand und Finger problemlos bewegen konnte.
Ich sprach zu mir selbst, dass ich zu blöd sei Hilfe zu holen. Mein ständiger Begleiter war ein stetiges Gefühl der Unzulänglichkeit. Ich kam mir dumm vor.
Statt einen Krankenwagen zu rufen, verband ich meine Wunde, legte mich ins Bett und liess mich vögeln.
Das war nicht sehr schön. Jedenfalls nicht für mich.
Am nächsten Tag ging ich zum Chirurgen.
Aber anstatt meine Wunde zu zeigen und gleich dran zu kommen, setzte ich mich ins Wartezimmer und wartete ein paar Stunden.
Ich schämte mich. Als der Arzt meine Wunde sah, sagte ich, was ich dann allen sagte, ich habe mich beim Abwaschen geschnitten.
Der Arzt öffnete mein andere Hand und sah auch hier kleinere Schnittstellen. Somit wußte er Bescheid.
Er sagte aber nichts uns nähte die Schnittwunde.
Ich muß mich an einen Selbstmordversuch erinnern, der diesem ein paar Jahre voraus ging.
In einer unglücklichen Beziehung (mal wieder), stellte ich den Gasherd an und steckte meinen Kopf in den Ofen. Es gab kein Gretelchen, dass mir einen Schubs gab, es gab aber auch niemanden, der mich in eine Psychiatrie einwies.
Meine Mutter rettete mich, indem ich, durch ihr nach Hause kommen, sofort die Fenster öffnete.
Es roch nach Gas, ich sagte ich habe mir grad etwas kochen wollen und der Herd funktioniere nicht.
Von meinem damaligen Freund bekam ich eine heftige Ohrfeige. Er wußte auch, dass ich mir in der Pulsgegend oft Verletzungen zufügte und begegnete dem auch mit Ärger.
Übrigens bin ich nie wegen eines Selbstmordversuches in der Klinik gewesen.
Verstehe das, wer wolle.
Als mit Mitte Zwanzig die Stimmen anfingen, war ich kurz davor mir die Trommelfelle durch zu stechen.
Gott sei Dank habe ich das nicht getan.
Im Moment bin ich oft lange Zeit ohne Stimmen. Wenn sie kommen mach ich Musik an
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9995-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
In diesem Buch erleben Sie unmittelbar das herannahen und ausbrechen eines psychotischen Anfalls: der Manie.
Bevor sie den Bezug zur Realität gänzlich verlor, schrieb sie diesen Text.
Erst in der Reflexion erfährt der Leser über den Höhepunkt dieses Anfalls.
Doch davor wird er Zeuge der Gedankenbahnen der ausbrechenden Krankheit.