Wieder vereint
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Für Annika!
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Ich strich der schlanken Stute über die Stirn und schwelgte in Erinnerungen. Es war das Pferd meiner Mutter gewesen, nun gehörte sie mir. Wie lange war ich eigentlich schon nicht mehr geritten? Zehn Jahre bestimmt. Ich wusste es nicht mehr genau.
Vor einer Woche war meine Mutter gestorben, ein Autounfall. Sie war auf dem Heimweg gewesen als es passierte, ein Reh lief ihr vors Auto und als sie versuchte auszuweichen fuhr sie gegen einen Baum. Durch die schnelle Geschwindigkeit und den starken Aufprall explodierte der Motor, meine Mutter war sofort tot. Jetzt war ich allein, meinen Vater hatte ich nie kennengelernt und auch sonst hatte ich keine Verwandte.
Die Stute holte mich aus meinen Gedanken und ich fuhr fort sie zu streicheln. Mir fiel auf das ich weinte, doch ich ließ die Tränen einfach laufen, mir war es egal ob mich jemand weinen sah. Eigentlich war es ein Wunder das ich überhaupt noch Tränen hatte die ich vergießen konnte. Wie hieß die Stute eigentlich? Ich beschloss das der Name nebensächlich war, viel wichtiger war die Frage was ich mit ihr machen sollte.
Am besten würde es sein wenn ich einen Stall bei mir in der Nähe suchen würde und sie dort unterstellen würde, in dem Reitstall hier konnte sie nicht bleiben, ich musste zwei Stunden fahren um hier hinzukommen. Verkaufen wollte ich sie nicht, schließlich hatte sie meiner Mutter gehört. Außerdem hatte eine Freundin von mir ebenfalls ein Pferd und konnte mir sicher helfen wieder ins Reiten hineinzukommen. Bestimmt war ich total aus der Übung.
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Zwei Wochen später verlud ich die Stute, Diana hieß sie, in einen Anhänger und machte mich mit ihr auf den Weg nach Hause. Ich wollte sie in den Stall stellen in dem auch meine Freundin ihr Pferd hatte und das bedeutete jetzt eine Fahrt von zwei Stunden für mich und meine Stute.
Vom finanziellen würde die Stute für mich kein Problem sein, ich war Ärztin, genauer gesagt Pathologin und verdiente mehr als genug. Da ich auch geregelte Arbeitszeiten hatte würde ich auch jeden Tag in den Stall können. Eigentlich hatte ich schon seit längerem überlegt mir ein Pferd zu kaufen, warum ich es nicht gemacht hatte wusste ich nicht. Nun hatte ich Diana von meiner Mutter geerbt, sowie alles andere was meiner Mutter gehört hatte.
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„Nun zeig sie mir mal.“ meinte meine Freundin Clara aufgeregt. Belustigt grinste ich sie an und öffnete den Anhänger. Die Fuchsstute sah uns neugierig an und wartete geduldig bis ich sie losgebunden hatte. Dann führte ich sie aus dem Hänger und ließ sie neben Clara stehenbleiben.
„Sie ist wunderschön Liz.“ sagte Clara als sie um die Stute herumging. Diana hatte keine Abzeichen, weder an den Beinen noch am Kopf. Sie war komplett in einem wunderschönen fuchsfarbenem braun.
„Hallo, sie müssen Dr. Simons sein.“ ein älterer Herr trat auf mich zu und reichte mir seine Hand.
„Ja, die bin ich.“ antwortete ich und wartete darauf das sich mein Gegenüber nun ebenfalls vorstellte.
„Ich bin Lutz Müller, der Besitzer von Reitstall, Reitschule und Gestüt.“ stellte sich der Mann vor.
„Ihr Pferd wird morgens und abends gefüttert werden, für die Säuberung der Box sind sie selbst verantwortlich. Wenn sie wollen können wir uns aber darum kümmern das ihr Pferd morgens auf die Koppel kommt.“ fuhr er fort.
„Das wäre nett.“ erwiderte ich sofort.
„Die Reithalle ist dort drüben, dahinter liegen Reitplatz, Round-Pen und Springplatz, die Koppeln fangen dahinter an. Der Stall neben der Reithalle ist von den Schulpferden, der daneben von den Privatpferden, dort wird auch ihr Pferd unterkommen. Die drei Ställe dort hinten ...“ er drehte sich um. „sind vom Gestüt. Daneben liegt das Bürogebäude und mein Haus.“ fuhr Herr Müller mit der Beschreibung des Hofes fort.
„Nun zeige ich ihnen aber erst mal die Box ihrer Diana.“ sagte er nach einer kurzen Pause und ging vor zu den Stallungen. Ich folgte ihm und Diana lief am durchhängenden Strick neben mir her.
Kurz darauf betraten wir den Stall. Er war hell mit großen Boxen. In jeder Box gab es ein Fenster das nach draußen zeigte und damit waren auch die Boxen sehr hell. Meine Stute hatte eine Box in der Mitte des Stalles. Ich führte sie hinein und halfterte sie ab. Das Halfter hing ich an einen Harken neben der Boxentür. Ich schob die Tür zu und ließ mir dann die Sattelkammer zeigen in der ich einen eigenen Spint hatte.
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Zwei Tage später wollte ich das erste Mal Diana reiten. Ich wusste das meine Mutter ihr Leben lang immer die selbe Art von Pferden geliebt hatte, die die absolut brav waren und sofort auf Hilfen reagierten, die die keinen eigenen Kopf hatten, die die immer taten was man wollte. Bei mir war es anders gewesen, ich hatte die sturen Pferde geliebt, die die diskutierten, aber auch die mit denen man einfach entspannt ausreiten konnte.
Nun stand ich mit Diana in der Stallgasse und zog ihr Sattel und Trense an. Brav wartete die Stute und ich hängte das Halfter wieder an die Box. Dann verließ ich mit der Stute im Schlepptau den Stall. Ich schaute kurz in die Reithalle, dort schien gerade eine Reitstunde stattzufinden, also ging ich weiter zum Platz. Hier war niemand, nur auf dem Springplatz arbeiteten zwei Reiter oder Reiterinnen mit ihren Pferden. Ich gurtete nach und stellte mir in Ruhe die Steigbügel ein. Dann schwang ich mich in den Sattel. Diana hatte die Ohren gespitzt und blieb ruhig stehen. Ich nahm die Zügel auf und gab ihr eine leichte Hilfe zum loslaufen. Sofort setzte sich die Stute in Bewegung, sie war wie all die Pferde die meine Mutter immer geliebt hatte, ruhig, brav und hörte auf die kleinsten Hilfen.
Nach einiger Zeit beschloss ich mit der Trabarbeit zu beginnen, ich war zwar etwas unsicher, konnte mich jedoch noch an alle Hilfen erinnern. Ich trabte Diana an und sie folgte der Hilfe sofort. Brav lief sie auf dem Hufschlag, Runde um Runde, immer im Trab. Sie machte keine Anstalten von allein durchzuparrieren. Ich trabte leicht und hatte schon bald den Rhythmus der Stute gefunden. In diesem Moment konnte ich mir nicht erklären warum ich so lange nicht geritten war. Mir wurde klar wie ich das alles vermisst hatte.
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Abends saß ich in meiner Wohnung vor dem Fernseher. Es kam nichts interessantes und ich zappte durch die Kanäle. Ich vermisste meine Mutter, obwohl ich sie meistens nur einmal im Monat gesehen hatte war sie die wichtigste Person in meinem Leben gewesen und ich konnte, und wollte, es einfach nicht glauben das sie tot war. Ich erinnerte mich daran wie wir in meiner Kindheit und Jugend jeden Tag im Stall gewesen waren, meine Mutter hatte schon vorher immer Pferde gehabt und als ich neun Jahre alt gewesen war hatte sie mir ein Pony gekauft. Vor zwölf Jahren, damals war ich zwanzig gewesen, hatte ich dieses Pony einschläfern lassen. Als ich fünfzehn gewesen war hatte ich ein weiteres Pferd bekommen, da mein Pony an Hufrehe erkrankt war. Doch dieses Pferd hatte ein Jahr nach meinem Pony, wegen einer schweren Kolik eingeschläfert werden müssen. Danach hatte ich nicht mehr Reiten wollen und hatte es erst heute, nach elf Jahren wieder gemacht. Ich hatte Diana schon in mein Herz geschlossen, und da ich aus ihren Papieren wusste das sie erst zehn Jahre alt war, würden wir sicher noch viele Jahre gemeinsam haben.
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Als ich am nächsten Nachmittag in den Stall kam waren alle Pferde draußen. Da ich nicht wusste auf welcher Koppel sie standen, gestern war Diana im Stall gewesen, begann ich jemanden zu suchen den ich fragen konnte.
Auf dem Springplatz wurde ich schließlich fündig, wie gestern waren hier zwei Reiter, oder Reiterinnen, mit ihren Pferden.
„Entschuldigen Sie.“ rief ich und beide drehten sich zu mir um. Es waren zwei Männer die so um die dreißig Jahre als sein mussten.
„Wie können wir Ihnen helfen?“ fragte einer der Männer und lenkte seinen Rappen an den Zaun.
„Ja, ich bin neu hier und weiß nicht wo mein Pferd steht.“ sagte ich und lief rot an, die Situation war wirklich verdammt peinlich.
„Wie heißt Ihr Pferd denn?“ fragte der Mann weiter.
„Diana.“ antwortete ich und hoffte das der Mann wusste welches mein Pferd war.
„Ahh, die Fuchsstute. Warten Sie, ich bringe Sie hin.“ antwortete der Mann und sprang aus dem Sattel, dann drückte er dem anderen die Zügel des Rappen in die Hand und kletterte über den Zaun.
Als wir nebeneinander in Richtung Koppeln gingen zog er den Helm ab und ich konnte ihn zum ersten Mal richtig sehen. Er hatte blonde Haare und strahlend blaue Augen. Ich merkte das auch er mich musterte.
„Kann es sein das wir uns kennen?“ fragte er nach kurzer Zeit. Mir kam er nicht bekannt vor, doch trotzdem zuckte ich mit den Schultern.
„Wie heißen Sie denn?“ fragte der Mann weiter.
„Dr. Elizabeth Simons.“ stellte ich mich vor, wie immer mit meinem Doktortitel auf den ich so stolz war.
„Wir kennen uns doch, aus dem Medizinstudium.“ stellte der Mann lachend fest.
Ich sah ihn fragend an, ich hatte einfach keine Ahnung wer er war.
„Ich bin Dr. Tiberius Müller, meinem Vater gehört der Laden.“ meinte der Mann und grinste mich an. Nun fiel es mir wieder ein, wir hatten zusammen in München Medizin studiert, doch ich hatte keine Ahnung in welche Richtung er dann gegangen war. Tiberius, oder Tib wie ihn alle genannt hatten, war immer ein ziemlicher Besserwisser gewesen, doch wir hatten uns gut verstanden, allerdings war der Kontakt nach dem Studium abgebrochen.
„In was hast du deinen Facharzt gemacht, Liz?“ fragte er mich neugierig.
„Pathologie, und du?“ antwortete ich und sah ihn an.
„Chirugie, ich arbeite im Univeritätsklinikum, du auch?“ fragte er weiter.
„Ich auch.“ antwortete ich und war etwas verwundert das wir uns dort noch nie gesehen hatten, allerdings arbeitete er aber auch in einem ganz anderen Bereich.
Wir waren bei der Koppel angekommen und ich bemerkte das Diana schon in der Nähe des Zaunes stand. Ich schnappte mir ihr Halfter das an einem der Zaunpfähle hing und holte sie mir von der Koppel.
„Wie heißt eigentlich dein Pferd?“ fragte ich Tib als wir zurück zum Hof gingen.
„Der Rappe heißt Jake, aber es ist nicht mir, sondern einer der Hengste meines Vaters. Ich habe eine Stute die Lava heißt, sie ist erst zwei und ich reite sie noch nicht. Wenn du willst zeig ich sie dir später mal.“ erzählte er mir.
„Gerne.“ wir trennten uns beim Springplatz und ich ging mit Diana in den Stall um sie dort fertigzumachen. Es war toll Tib mal wiedergesehen zu haben, und da er sein Pferd auch hier hatte und seinem Vater alles gehörte war ich mir sicher ihn noch öfters zu sehen.
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An diesem Abend war ich mit meinen Gedanken nur bei Tiberius. Während dem Studium waren wir mal zwei Jahre lang ein Paar gewesen, doch ich wusste nicht mehr genau warum wir Schluss gemacht hatten. Tib war mein erster Freund gewesen, danach hatte ich noch ein paar gehabt, doch nie war es so toll wie mit Tib gewesen. Ob wieder etwas aus uns werden würde? Ich wusste es nicht, ich wusste nur das ich nichts dagegen haben würde.
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Ich stieg in Dianas Sattel und ritt los. Endlich war Wochenende und ich war schon am Morgen im Stall. Noch immer dachte ich fast die ganze Zeit an meine Begegnung mit Tib am Vortag. Heute hatte ich ihn noch nicht gesehen.
Wie immer reagierte Diana auf die kleinsten Hilfen und so konnte ich in Ruhe nachdenken. Ob Tib wohl eine Freundin hatte? Oder ob er sogar verheiratet war? Ich beschloss ihn bei Gelegenheit mal danach zu fragen, das hieß, wenn ich mich traute.
Nach einiger Zeit trabte ich Diana an. Am Rande des Platzes sah ich eine Bewegung und schaute genauer hin. Dort standen drei Menschen. Ich beachtete sie nicht weiter, sondern konzentrierte mich auf mein Pferd. Doch bei der nächsten Runde erkannte ich das dort Tib, sein Vater und ein weiterer Mann standen bei dem ich vermutete das es der drei Jahre ältere Bruder von Tib stand. Mein Herz begann sofort höher zu schlagen, Tib sah einfach verdammt gut aus. Ich hielt nicht an, sondern trabte einfach weiter. So das ich sie schon kurz darauf nicht mehr sehen konnte.
Als ich die Gruppe das nächste Mal sah, waren eine Frau und ein kleines Mädchen hinzugekommen. Das Mädchen hielt die Zügel eines Ponys in der Hand und Tib unterhielt sich mit den Beiden. Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und eine Welle des Hasses überflutete mich. Ich war mir sicher das das die Frau oder Freundin von Tib war. Ich parierte Diana durch und ließ sie am langen Zügel im Schritt laufen.
„Tür frei bitte.“ rief die Frau und ich antwortete „Ist frei.“ sofort kamen die Frau und das kleine Mädchen auf den Platz. Während die Frau nachgurtete sah das Mädchen neugierig mich und Diana an. Schließlich hob die Frau das Kind in den Sattel und begann das Pony zu führen. Ich ritt an den Zaun um die drei Männer zu begrüßen. „Das hier ist mein Bruder Luc.“ stellte Tib mir den dritten Mann vor und Luc gab mir die Hand.
„Das sind seine Frau Janine und seine Tochter Lisa.“ fuhr Tib mit dem Vorstellen fort und mir fiel ein Stein vom Herzen, das waren also nicht Frau und Tochter von Tib, sondern seine Schwägerin und seine Nichte. Sofort kam ich mir dämlich vor, doch ich sagte nichts.
Ich verabschiedete mich und lenkte Diana wieder auf den Hufschlag. Janine sah mich und führte das Pony auf den zweiten Hufschlag damit ich Platz hatte. Ich nickte ihr dankbar zu und trabte meine Stute dann an. Nach kurzer Zeit gab ich ihr die Hilfe zum angaloppieren und Diana fiel in einen angenehmen Galopp.
Ich spürte die Blicke der anderen auf mir, doch ich achtete nicht auf sie. In diesem Moment gab es nur Diana und mich. Ich fühlte mich frei, so frei wie lange nicht mehr.
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„Liz, warte mal.“ rief jemand hinter mir. Ich drehte mich um und erkannte Tiberius.
„Was gibt’s?“ fragte ich freundlich.
„Ich hatte doch gesagt das ich dir mal meine Stute zeigen würde, kommst du mit?“ schlug er mir vor und deutete in Richtung Koppeln.
Ich nickte: „Gerne.“
Wir gingen nebeneinander den Feldweg entlang und an einigen Koppeln vorbei auf denen Pferde standen. Andere Koppeln wiederum waren leer.
Wir liefen bestimmt zehn Minuten schweigend nebeneinander her, dann fragte Tib:
„Du hast auch letztes Jahr deinen Facharzt gemacht oder?“ Zustimmend nickte ich und meinte: „Ja, du auch oder?“ Auch Tib nickte und sah mich dann von der Seite her an.
„Wie kommt es das du dich für die Pathologie entschieden hast?“
„Wie du vielleicht weißt konnte ich nie sonderlich gut mit Menschen umgehen. Aber trotzdem hat mich Medizin und Forschung immer interessiert. In der Pathologie habe ich nichts mit Patienten zu tun.“
Ein Lächeln stahl sich auf Tibs Lippen, meine Antwort schien ihn zu amüsieren, doch er sagte nichts mehr.
Schweigend gingen wir weiter und ich betrachtete die Pferde die auf den Koppeln waren. Zu dem Hof gehörten wirklich viele Pferde und ich fragte mich wie es wohl gewesen wäre wenn Tib und ich uns damals nicht getrennt hätten. Wären wir immer noch zusammen? Würde ich dann auch hier auf dem Hof leben? Ich wusste das das alles Fragen waren auf die es keine Antwort gab, die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, und doch stellte ich mir diese Fragen.
„Da sind wir, das dort drüben ist Lava.“ meinte Tiberius und blieb stehen. Dann deutete er auf eine schlanke Fuchsstute die zu uns herüber sah. Die Farbe war um einiges intensiver und röter wie bei Diana und mir gefiel die Stute auf Anhieb. Sie kam elegant zu uns herüber getrabt und ließ sich von Tib und mir streicheln. Auf ihrer Stirn war ein Keilstern, ansonsten hatte sie keine Abzeichen.
„Hier auf der Koppel stehen die jungen Stuten, ich komme so oft wie möglich her um mit Lava zu arbeiten, aber ich habe natürlich nicht immer Zeit.“ erzählte Tib während er sein Pferd streichelte.
„Willst du die Fohlen sehen?“ fragte mich Tib und ich musste Lächeln, wenn ich früher mit ihm hierhergekommen war, hatten wir immer die Fohlen besucht. Ich fragte mich warum mir der Hof bei meiner Ankunft nicht bekannt vorgekommen war, doch wahrscheinlich lag das daran das er sich so vergrößert hatte. Früher hatte es nur das Wohnhaus, die Scheune und den Stall der Privatpferde gegeben. Dazu dann noch die Koppeln.
Ich nickte und wieder ging Tib voraus über die Feldwege.
Schließlich hielt Tib wieder an. Er schaltete an einem Zaun den Strom aus und wir kletterten auf die Koppel. Ich sah einige Stuten mit ihren Fohlen.
„Die meisten Fohlen werden eigentlich verkauft. Das Gestüt hat inzwischen ein großes Ansehen und es gibt viele Interessenten.“ erzählte mir Tib und ging auf eine dunkelbraune Stute in der Nähe zu.
„Das ist ist Litina, sie ist die Mutter von Lava. Die Kleine hier neben ihr Loreena.“ stellte Tib mir die Stute und das Rappfohlen vor. Ich ging vorsichtig auf das Fohlen zu und es schien keine Angst vor mir zu haben. Neugierig sah es mich an und ließ sich streicheln.
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Ich stieg aus meinem Auto und schloss es ab. Dann schulterte ich meinen Rucksack und ging ins Gebäude. Nun standen mir einige Stunden Arbeit bevor, doch wie immer freute ich mich schon sehr darauf. Im Eingangsbereich blieb ich kurz stehen und sah mich nach bekannten Gesichtern um. Meine Kollegin Olivia kam auf mich zu und ich umarmte sie zur Begrüßung. Dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg in die Pathologie.
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„Kommst du mit in die Cafeteria?“ fragte ich Olivia als wir Mittagspause hatten.
„Ich komm gleich nach, ich mach das hier noch schnell fertig.“ antwortete sie und deutete auf das Mikroskop unter dem sie gerade die Probe von einem Tumor hatte. Ich nickte und zog meinen Kittel aus, dann machte ich mich auf den Weg zur Cafeteria, die in einem der anderen Gebäude war.
„Hey Liz.“ hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir und drehte mich um. Ich sah Tib der grinsend auf mich zukam. Er schloss mich zur Begrüßung in eine Umarmung und mein Herz begann zu rasen. Ich lächelte ihn an und meinte:
„Hey.“
„Kann ich die Dame auf einen Kaffee einladen?“ fragte er frech grinsend und ich nahm die Einladung sofort an.
Wir setzten uns an einen der Tische am Fenster und Tib holte uns etwas zu trinken.
„Woher hast du eigentlich Diana, hast du nicht immer gesagt du wolltest keine Pferde mehr?“ fragte mich Tib nach kurzer Zeit.
„Ich habe sie von meiner Mutter geerbt.“ antwortete ich und schaute traurig aus dem Fenster. Ich vermisste meine Mutter und konnte es einfach nicht glauben das sie tot war.
„Geerbt? Was ist passiert“ fragte Tib, teils mit einem neugierigen Unterton in der Stimme, teils mit einem mitfühlenden.
„Sie hatte einen Unfall.“ sagte ich einfach nur und war froh das er nicht weiter nachfragte. Aus den Augenwinkeln sah ich das Tib aufstand und auf mich zukam, dann nahm er mich in seine Arme und ich lehnte meinen Kopf gegen seine Brust. Es tat gut die Wärme eines anderen Menschen zu spüren und augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag wieder, Tib war einfach das Beste was mir nach dem Tod meiner Mutter hatte passieren können und ich war froh ihn zu haben. Ich liebte diesen Mann!
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„Wer war denn das vorhin in der Cafeteria?“ fragte Olivia neugierig als ich nach der Mittagspause wieder ins Labor kam.
„Niemand.“
„Dafür saht ihr aber ziemlich vertraut aus.“ harkte Olivia nach und ich merkte wie ich rot wurde.
„Dr. Tiberius Müller, wir kennen uns vom Studium.“ erzählte ich also.
„Achso. Und? Läuft da was?“
„OLIVIA!!“
„Was denn?“
„Da läuft nichts!“
„Sah aber anders aus, du stehst doch total auf den.“
Ich verdrehte genervt die Augen und wendete mich ohne eine Erwiderung wieder meiner Arbeit zu.
War es wirklich so offensichtlich das ich in Tib verliebt war? Und ob er auch in mich verliebt war? Beides waren Fragen die ich nicht beantworten konnte, doch besonders auf die zweite wünschte ich mir um alles in der Welt eine Antwort.
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„Achso, meine Jenna steht seit heute morgen bei Diana.“ erzählte mir Clara aufgeregt als ich am späten Nachmittag in den Stall kam.
„Wie verstehen sich die beiden?“ sofort war ich neugierig.
„Sehr gut, sie scheinen sofort Freundschaft geschlossen zu haben, Diana ist wirklich sehr freundlich und aufgeschlossen.“ meinte Clara und ich freute mich Lob über meine Stute zu hören. Doch sofort vermisste ich meine Mutter wieder, sie hatte dieses Pferd ausgesucht und erst ihr Tod hatte mich und Diana zusammengeführt.
Zusammen machten Clara und ich uns auf den Weg zur Koppel um unsere Pferde zu holen. Heute standen die beiden sehr nah am Hof und so war der Weg nicht weit.
Wir kamen gerade am Zaun an als mir sofort die Schimmelstute meiner Freundin auffiel, neben mir pfiff Clara und Jenna kam sofort zu uns. Ich nahm das Halfter von Diana, schaltete den Strom aus und betrat die Koppel um mein Pferd zu holen.
Wenig später machten Clara und ich uns mit unseren Pferden wieder auf den Rückweg zum Hof.
„Wollen wir heute mal in die Halle gehen, soviel ich weiß ist gerade nur eine Reitstunde und Kristin, die Reitlehrerin, hat gemeint das sie ausreiten will.“ schlug Clara vor und mit einem Nicken stimmte ich dem Vorschlag zu.
Also gingen wir in den Stall und begannen in Ruhe unsere Pferde fertigzumachen.
„Bist du soweit?“ fragte Clara etwa eine halbe Stunde später, die Box ihres Pferdes war ganz in der Nähe von Dianas und so konnten wir uns ohne Probleme unterhalten.
„Ja.“ meinte ich und schloss die Trense. Dann nahm ich die Zügel in die Hand und verließ mit Diana im Schlepptau den Stall. Genau in dem Moment fragte mich ob auch die Stute meine Mutter vermisste. Bestimmt, schließlich hatten die beiden einige Jahre zusammen verbracht, soviel ich wusste.
Ich steuerte auf die Reithalle zu und an dem Getrappel der Hufen auf dem Teer konnte ich hören das Clara mit Jenna dicht hinter mir war.
Die Türen der Reithalle öffneten sich quietschend und ich führte Diana auf den weichen Sandboden. In der Mitte stellte ich die Stute auf und begann nachzugurten und mir die Steigbügel einzustellen. Etwa drei Meter links von mir machte Clara das selbe.
Ich schwang mich in den Sattel und ließ Diana am langen Zügel antreten. In einem entspannten Schritt lief sie über den Hufschlag und ich beobachtete Clara, die nun ebenfalls aufstieg und losritt. Jenna war um einiges stürmischer und tänzelte auf der Stelle, anscheinend konnte sie es kaum erwarten endlich loslaufen zu dürfen.
„Was ist das hier eigentlich für ein Gestüt?“ fragte ich meine Freundin, Tiberius hatte es mir zwar vor Jahren mal gesagt, doch inzwischen hatte ich es wieder vergessen.
„Holsteiner, Jenna ist auch von hier.“ war die Antwort von Clara. Schweigend konzentrierten wir uns beide auf unsere Pferde und ich musste mal wieder an meine Mutter denken. Ich hatte seit ihrem Tod mit niemandem über sie gesprochen, jedoch hatte sie von meinen Freunden auch nur Tib gekannt und ihn wollte ich nicht mit meinen Sorgen belasten. Ich war niemand der gerne mit anderen sprach und hatte ziemliche Probleme meine Gefühle offen zu zeigen. Doch so war ich nun mal. Meiner Meinung nach sollte man mich so akzeptieren, oder eben nicht, ich würde niemanden dazu zwingen mich zu mögen. Das konnte ich auch garnicht, niemand konnte das.
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Heute würden Olivia und ich auf der Arbeit Praktikanten zugeteilt bekommen die gerade im Studium waren und sich die Pathologie anschauen wollten. Gerade als ich ins Labor kam, erschien auch der Klinikleiter mit drei jungen Männern. Olivia und ich begrüßten die drei Studenten und begannen dann wie immer mit unserer Arbeit.
Gerade hatten wir einen Tumor bekommen den wir untersuchen sollten.
„So einen schönen Tumor hatten wir auch schon lange nicht mehr, der ist richtig groß.“ meinte Olivia und betrachtete den Tumor der in einer Schale lag.
„Der Patient hat sicher anders reagiert.“ meinte ich und schaute mir den Tumor ebenfalls an.
„Vielleicht sollten wir ihm sagen das er einen wirklich schönen Tumor hat, obwohl ich nicht denke das das ihn aufmuntern wird.“ meinte Olivia grinsend und stellte den Tumor auf den Tisch. Ich musste Lachen, Olivia hatte manchmal echt verrückte Einfälle. Natürlich redeten wir nicht mit Patienten, doch manchmal war die Vorstellung recht lustig. Ich war mir sicher das man als Pathologe oder Pathologin recht locker mit dem Thema tot umgehen musste, sonst deprimierte einen die ganze Umgebung schließlich schnell. In der Pathologie hatte man schließlich tagein tagaus mit den Themen Tumoren, Leichen und Tod zu tun. Hier in der Klinik waren jedoch das meiste Tumoren, schließlich starb ja nicht jeden Tag jemand. Tumoren wurden viel häufiger raus operiert und dann zur genauen Untersuchung zu uns gebracht. Wenn Olivia und ich dann doch mal eine Leiche zur Obduktion bekamen, war es eine willkommene Abwechslung.
Interessiert schauten die drei Studenten zu wie Olivia begann den Tumor zu untersuchen. Währenddessen ging ich ans Telefon das gerade geklingelt hatte.
Ich hörte zu und drehte mich dann zu Olivia um.
„Wir bekommen eine Leiche zur Obduktion, wir sollen schauen ob der Mann durch einen Kunstfehler des Arztes, oder an seiner Krankheit gestorben ist.“ erklärte ich kurz. Obduktionen kamen in Deutschland inzwischen sehr selten vor, nur etwa ein bis zwei Prozent der Toten wurden obduziert. Allgemein hatten wir es also mit sehr, sehr wenigen Leichen zu tun.
Zwei Krankenschwestern brachten wenig später die Leiche. Olivia machte die äußere Besichtigung und ich ging mit den drei Studenten in ein Nebenzimmer um ihnen kurz den Ablauf einer Obduktion zu erklären. Ich war mir nicht sicher ob sie das schon im Studium gehabt hatten, doch selbst wenn sie es schon in der Uni besprochen hatten konnte eine kurze Auffrischung nicht schaden.
Schon wenig später war Olivia fertig und ich ging mit den Studenten zurück ins Labor. Nun begannen wir die Leiche zu öffnen und die Organe genauer zu untersuchen. Angeblich war der Mann an Krebs gestorben, doch da dieser noch in einem sehr geringen Stadium gewesen war behaupteten die Angehörigen einen Kunstfehler und hatten auf die Obduktion bestanden.
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„Und wie war die Arbeit heute?“ fragte Tib als wir uns abends auf dem Hof sahen. Ich hatte gerade Diana von der Koppel geholt und war Tiberius auf dem Rückweg zum Hof begegnet.
„Gut, wir haben mal eine Leiche.“ erwiederte ich und sah an Tibs Blick das er das als alles andere als gut einstufte. Ich konnte mich daran erinnern das es ihm im Studium am schwersten gefallen war an den Leichen zu arbeiten. Er wollte einfach lieber mit lebenden Menschen zu tun haben und bei ihm war es etwas völlig anderes ob er an einem Menschen operierte der in Narkose lag, oder an einem der tot war. Im Gegensatz zu ihm hatte ich nie wirklich mit Menschen arbeiten wollen und mich daher für die Pathologie entschieden, ich wollte lieber bei der Erforschung von Tumoren helfen. Vielleicht würde es ja irgendwann möglich sein Krebs und andere Tumoren zu heilen und ich wollte sehr gern an der Forschung danach beteiligt sein.
Tib verabschiede sich von mir und wir setzten beide unsere Wege fort.
Schon wenig später band ich meine Stute in der Stallgasse an und begann sie zu putzen. Wie immer schweiften meine Gedanken dabei zu meiner Mutter. War es Schicksal gewesen das sie gestorben war? Hatte das Schicksal mich und Diana zusammenführen wollen? Hatte das Schicksal mich wieder zu Tib gebracht? Ich wusste es nicht, doch ich glaubte an das Schicksal. Ich wollte das beste aus meiner jetzigen Situation machen, den Tod meiner Mutter konnte ich schließlich nicht mehr rückgängig machen und es würde niemanden etwas bringen wenn ich ewig trauern würde. Manchen Menschen erschien diese Einstellung vielleicht als kalt, doch ich war so. Ich konnte einfach nicht immer traurig sein, ich war ein lebensfroher Mensch. Aus jeder Situation versuchte ich das beste zu machen und mich durch nichts und niemanden unterkriegen zu lassen. Ich war schon immer so gewesen und nur dadurch hatte ich ein gutes Abitur geschafft und mein langes Studium bewältigt. Meine lebensfrohe Einstellung hatte mir die Energie und Ausdauer gegeben die ich für all das gebraucht hatte.
Diana schnaubte und holte mich damit in die Realität zurück.
„Ist ja gut Süße. Wir gehen jetzt ausreiten.“ sagte ich leise zu meinem Pferd und packte das Putzzeug wieder in den Kasten in den es reingehörte. Dann brachte ich diesen Kasten wieder in meinen Spint und holte Dianas Sattelzeug.
Kurz darauf stand ich mit Diana vorm Stall und gurtete noch einmal nach, bevor ich in den Sattel stieg und meine Stute antreten ließ. Dann machten wir uns auf den Weg ins Feld. Ich wusste das ich auf allen Wegen in der Umgebung reiten durfte, da sie noch alle zum Hof gehörten, auch ein Stück des nahen Waldes gehörte zum Hof, doch ich hatte etwas Angst mich zu verirren und wollte daher lieber ins Feld. Diana schritt zügig vorwärts und schon bald hatten wir den Hof hinter uns gelassen. Der Stute gefiel der Ausritt sichtlich besser als die Arbeit auf dem Platz und in der Halle.
Wir waren vielleicht eine viertel Stunde geritten als ich meiner Stute die Hilfe zum antraben gab. Wir waren auf einem leicht ansteigenden Grasweg, der einen kleinen Hügel hinaufführte.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich das Geräusch eines Düsenjets hinter mir und Diana auf. Die Ohren der Stuten legten sich flach nach hinten an den Kopf und die Stute preschte voller Panik los. So hätte ich sie eigentlich nicht eingeschätzt, doch jedes Pferd hatte vor etwas Angst und hatte seine Macken. Bei Diana war es also das Geräusch eines Düsenjets. Ich versuchte sie in eine Kurve zu lenken, doch sie machte vollkommen dicht und reagierte nicht mehr auf meine Zügelhilfen. Schon bald waren wir den Hügel hinauf und ohne ihr Tempo zu verringern schlitterte meine Stute an der anderen Seite wieder nach unten. Plötzlich fühlte ich wie ich aus dem Sattel geschleudert wurde und ich sah das Diana anscheinend hingefallen war. Sie überschlug sich einmal und blieb dann liegen, während ich drei Meter weiter auf den Boden fiel. Der Aufprall presste alle Luft aus meinen Lungen und keuchend versuchte ich zu atmen. Ich sah mich nach meinem Pferd um, doch es war nicht mehr da. Anscheinend hatte sie ihre Flucht fortgesetzt.
Als ich versuchte aufzustehen merkte ich das ich mein rechtes Bein nicht mehr bewegen konnte, schnell griff ich in meine Jackentasche um mein Handy rauszuholen, doch es war nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte ich es bei dem Sturz verloren.
Vorsichtig setzte ich mich auf und betrachtete mein Bein, von außen war nichts zu sehen, doch ich vermutete das es verstaucht oder sogar gebrochen war. Auf jeden Fall musste ich irgendwie zum Hof zurückkommen, ich hatte ja keine Ahnung wann ich hier gefunden werden würde. In der Nähe stand ein Baum und ich ließ meinen Blick über den Boden schweifen um vielleicht einen Ast zu finden den ich als Krücke nutzen konnte. Ich versuchte aufzustehen und belastete dabei fast nur das linke Bein, trotzdem hatte ich große Schmerzen und musste mich stark zusammenreißen um nicht zu schreien.
Irgendwie kam ich dann doch auf die Beine und hüpfte regelrecht zu dem Baum, wo ich mich abstützte.
Dann brach ich einen Ast vom Baum ab auf den ich mich stützen konnte. Als ich dann schließlich loslief tat mein Bein zwar immer noch weh, doch ich konnte einigermaßen gut laufen. Hoffentlich traf ich auf dem Hof jemanden der mich ins Krankenhaus bringen konnte, das Bein musste sich dringend ein Arzt ansehen. Ich war zwar Ärztin, aber hier aus dem Stand konnte ich auch nichts machen und auch sonst kannte ich mich nicht sonderlich mit Knochenbrüchen aus.
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Ich werde möglichst bald eine Fortsetzung hochladen.
Bitte warten …
LG Éowyn ;)
P.S.: Über Rückmeldungen in Form eines Kommentars, oder auch über Herzen würde ich mich SEHR freuen!
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2014
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