Drei Jahre später...
Sam
Seufzend lege ich den Stift ab. Endlich ist die Abschlussprüfung geschrieben. Wenn ich jetzt bestanden habe, bin ich Bürokaufmann.
Die Jahre waren scheiße. Fünf Monate voller Höhen und Tiefen hat das zwischen Niko und mir gehalten, dann hat er Schluss gemacht. Einfach so, ohne Erklärung.
Die ersten Wochen, Monate, ging es mir beschissen, er hingegen schien richtig aufzublühen. Er freundete sich mit so ziemlich jedem in der Klasse an. Mit mir wollte niemand mehr was zu tun haben. Keine Ahnung, was Niko erzählt hat, aber anscheinend hat er mich als Arschloch dargestellt, obwohl ich gar nichts gemacht hatte.
Ein Jahr später hatte er einen Neuen. Einen richtigen Kerl, wenn man das so sagen kann. Ich habe es nur durch Zufall mitbekommen, als dieses Muskelpaket ihn von der Schule abgeholt hat. Das hat verdammt wehgetan und mich erneut in einen Abgrund gestürzt. Scheiß Liebe. Nur meine beste Freundin war in der Lage mich da wieder rauszuholen und das auch nur mit viel Kraft, Eis und Shopping-Touren.
Seit Niko hatte ich keinen anderen Freund mehr. Leider Gottes habe ich nämlich immer noch Gefühle für ihn und ich weiß nicht, ob das jemals vorbeigehen wird.
Kurze Zeit später stehe ich vor der Schule und zünde mir eine Zigarette an. Mit dem Rauchen habe ich auch angefangen, als Niko mir mein Leben genommen hat.
Genüsslich nehme ich einen tiefen Zug und blinzle in die Sonne, als mich jemand antippt.
„Du bist Sam, oder?“, fragt eine tiefe Stimme.
Mein Kopf nickt von allein. Das nächste, was ich spüre ist, wie eine steinharte Faust meine Nase trifft. Und dann wird alles schwarz.
Okay. Das ist echt hell. Ich muss ein paar Mal blinzeln, bis ich wieder etwas ehe, die Sonne blendet sehr.
Und mein Gesicht tut weh.
Scheiße.
Stöhnend versuche ich, mich aufzusetzen, werde aber von jemanden zurückgehalten.
„Bleib liegen, Sam“, flüstert die Stimme, die ich jede Nacht in meinen Träumen höre.
Da schiebt sich auch schon Nikos Gesicht vor meines.
„Scheiße.“ Er drückt mir ein Taschentuch unter die Nase und schaut mich entsetzt an. „Das wollte ich nicht!“
„Du?“, flüstere ich und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Hast du mich denn nicht schon genug verletzt?“
„Ich nicht! Mein... Freund. Jetzt Ex. Scheiße, Sam! Es tut mir so leid.“
„Ich liebe dich“, antworte ich schlicht.
Er schluckt schwer. Dann weicht er zurück. Anstatt seiner beugt sich nun ein Lehrer über mich, der mich schnell untersucht, ehe er entschließt, dass alles halb so schlimm ist und mir dabei hilft, mich aufzusetzen.
Als ich mich umschaue, ist Niko verschwunden.
Niko
Ich liebe dich.
Ich liebe dich.
Ich liebe dich.
Sam.
Sam
Es ist Abend, als ich endlich zuhause ankomme. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mit Sandra, meiner besten Freundin, zu feiern, doch die Lust ist mir gründlich vergangen. Lieber lege ich mich ins Bett, kühle meine Nase und höre melancholische Musik.
Meine Gedanken kreisen bloß um Niko. Was habe ich ihm getan? Ich hatte immer versucht, ihm ein guter Freund zu sein. Immer. Bin ich echt so schrecklich, dass man sich mir gegenüber so verhalten muss?
Einige Zeit später klingelt es an der Tür. Schwerfällig stehe ich auf, gehe in den Flur und drücke den Türöffner. Dann schlurfe ich zurück in mein Zimmer. Es ist bestimmt Sandra, die hört ja eh nie, wenn ich sage, dass sie nicht kommen braucht.
Müde ziehe ich mir die Decke übers Gesicht und schließe die Augen. Zwei Sekunden später reiße ich sie jedoch wieder auf, denn es ist nicht Sandras Stimme, die den Satz sagt, den eigentlich kein Mensch der Welt hören möchte.
„Wir müssen reden.“
Niko
Vorsichtig lasse ich mich auf seiner Bettkante nieder und lasse meinen Blick durch das Zimmer streifen. Es hat sich nicht wirklich viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war, außer, dass das Bücherregal inzwischen mehr als überquillt und die Fotos von uns verschwunden sind. Und all der Kram, den ich in den fünf Monaten hier vergessen hatte.
„Hast du alles verbrannt?“
Er schlägt die Bettdecke weg und nickt. Sein Gesicht hat inzwischen eine ungesunde blaugrüne Farbe angenommen und mein schlechtes Gewissen meldet sich erneut.
„Das habe ich wohl nicht anders verdient“, sage ich schlicht, ehe ich meine Hände vor mein Gesicht lege und schwer seufze.
„Es tut mir so leid, Sam. Ich war ein richtiger Arsch. Darf ich dir erklären weshalb?“
„Auf einmal?“, zischt er bissig, „Kommt früh. Aber hey, waren ja nur zweieinhalb Jahre, die ich wegen dir verloren habe!“
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es dich so sehr mitnimmt!“
„Weil ich ja nie etwas für dich empfunden habe oder wie?“
„Du hast es zumindest nie gesagt.“
„Ich hab es dir gezeigt, oder etwa nicht? Gleich am Anfang habe ich dir gesagt, dass ich nicht gut über Gefühle reden kann.“
„Es hat mir gefehlt!“
„Warum hast du das nicht einfach gesagt? Ich hätte mein Verhalten ändern können!“
„Weil es mir unangenehm war.“
„Und deshalb hast du Schluss gemacht?“
„Auch.“
„Auch?“
„Okay. Lass mich einfach mal kurz ausreden, ja?“
Sam nickt und ich schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln.
„Ein paar Monate, bevor die Ausbildung begonnen hat, habe ich eine Freundin gehabt. Ich hatte dir ja erzählt, dass ich es auch mal mit Frauen versucht habe.“
Stumm nickt er und schaut mich misstrauisch an. Gerne wüsste ich, was er gerade denkt. Aber lieber spreche ich weiter, damit ich es endlich hinter mir habe.
„Ein paar Tage, bevor ich dich verlassen habe, war dieses Mädchen bei mir. Sie... sie hatte ein Kind dabei und hat behauptet, es wäre von mir! Erst habe ich es ihr nicht geglaubt, aber das Kind hatte meine Augen. Doch ich konnte nicht zu dir gehen und es dir sagen. Immer wieder hast du mir erzählt, dass du Kinder hasst und nie welche haben willst. Jetzt war ich aber Vater. Wir waren aber erst fünf Monate zusammen! Ich hatte Angst, dass ich dich vergraule, wenn ich es dir sage. Ein, zwei Wochen konnte ich es vor dir verbergen, aber dann hat mich mein schlechtes Gewissen so unglaublich gequält, dass ich Schluss gemacht habe. Neben der Ausbildung habe ich dann viel Zeit mit dem Kind verbracht, nachdem der Vaterschaftstest bestätigt hat, dass es meins ist. Vor eineinhalb Jahren hab ich dann Paul kennengelernt, er hat mich ziemlich umgarnt und irgendwann habe ich ihm dann für einen Kaffee zugesagt und wir waren irgendwie zusammen. Aber so tiefe Gefühle für ihn, wie ich sie für dich empfand, hatte ich nie.“
Meine Stimme versagt und ich lecke mir über die Lippen.
Jetzt ist alles außer einer Sache gesagt – dass ich ihn noch immer liebe.
Sam
Okay. Das war viel.
Ich glaube, ich habe ihn noch nie so lange am Stück sprechen hören.
„Wie heißt es?“, frage ich, unfähig, etwas anderes zu sagen.
Ich bin irgendwie sprachlos. Gerade ich! Dass ich das nochmal erleben darf...
„Sie heißt Mia“, flüstert Niko und schaut mich unsicher an. „Magst du ein Foto sehen?“
Auf ein Nicken meinerseits zieht er sein Handy hervor und zeigt mir eins – und ich muss zugeben, dass sie echt eine süße Maus ist. Und das, obwohl ich Kinder hasse. Man sieht, dass Niko der Vater ist.
Ich verspüre einen heftigen Stich der Eifersucht. Wegen ihr hat er mich verlassen. Auch wenn sie noch so süß ist, leiden kann ich sie nicht.
Wir schweigen eine Weile. Irgendwann wird es mir zu doof und ich breche die Ruhe.
„Warum hast du in der Klasse dafür gesorgt, dass keiner mehr mit mir spricht?“
„Du warst so beliebt! Sie haben mich total fertig gemacht, weil ich dich verlassen habe. Da habe ich das Ganze umgedreht... es tut mir so leid, Sam, das war der größte Fehler überhaupt! Ich hab auch mehrmals versucht, es wieder klarzustellen, aber niemand hat mir zugehört.“
„Eine Begründung wäre toll gewesen. Außerdem... hättest du doch eh nichts daran ändern können!“
„Und du hättest es akzeptiert?“
„Ich würde alles akzeptieren, solange du mich liebst.“
„Denkst du, dass du mir irgendwann wieder vertrauen kannst? Dass es mit uns noch einmal klappen könnte?“
„Und dann tust du mir wieder weh?“
Wütend springe ich auf.
„Vergiss es! Ich bin froh, dass ich dich nie wiedersehen muss! Und jetzt verschwinde!“
Er steht auf und schaut mich sehnsüchtig an. Einen Moment lang glaube ich, dass er mich gleich küsst, doch dann dreht er sich weg und verlässt erst mein Zimmer und schließlich die Wohnung. Ob er jetzt endgültig aus meinem Leben verschwindet?
Niko
Ich will ihn wiedersehen.
Mich von ihm fernhalten?
Unmöglich.
Ich werde ihn wieder zurückgewinnen und dann mach ich alles wieder gut.
Wie weiß ich noch nicht, aber das schaffe ich!
Auf dem Heimweg denke ich viel nach. Sams Duft haftet noch an mir. Ich liebe seinen Geruch. Gerne wäre ich noch bei ihm geblieben, hätte ihm eine heiße Schokolade gemacht und mich zu ihm unter die Decke gekuschelt. Aber nein. Er will mich nicht. Er will mich nie wiedersehen.
Ich parke mein Auto und gehe in meine Wohnung. Als ich den Schlüssel ablege, schaue ich zufällig in den Spiegel und bemerke, dass meine Wangen nass sind. Habe ich geweint? Ich habe geweint. Wegen Sam. Immer wegen Sam.
Einige Tage später ist ein Plan in mir herangereift. Es ist Sonntagmorgen, als ich vor seiner Haustüre stehe und klingel. Es dauert einen Moment, bis er mir öffnet. Seine Augen sind rot verquollen, genau wie meine auch. Er scheint zu zittern, als er mich sieht.
„Hatte ich nicht gesagt, dass ich dich nie wiedersehen will?“
„Hast du, aber denkst du, das hält mich davon ab, um dich zu kämpfen?“
„Du hast dich doch selbst zum Verlierer gemacht.“
„Ich weiß. Und das war der bisher größte Fehler in meinem Leben.“
„Du kannst jetzt nichts mehr machen.“
„Oh doch.“
Ich dränge mich an ihm vorbei in die Wohnung, gehe zielstrebig in die Küche und lege erst einmal die Brötchentüte auf den Tisch. Dann öffne ich den Kühlschrank und beginne, Sam ein Frühstück zu bereiten.
„Was tust du da?“
Er ist mir gefolgt und steht jetzt mit vor der Brust verschränkten Armen in der Tür.
„Frühstück“, antworte ich schlicht. „Kannst ruhig duschen oder so.“
Entschieden schiebe ich ihn aus der Küche und verschließe dann die Tür vor seinem misstrauischem Blick.
Eine Viertelstunde später bin ich fertig. Just in diesem Moment geht die Tür auf und Sam kommt, die Haare noch so nass, dass einzelne Tropfen auf seine Schulter fallen, hinein.
„Wow, du hast ja wirklich Frühstück gemacht!“
„Sag ich doch!“
Ich nehme seine Hand, ziehe ihn an den Tisch, drücke ihn auf einen Stuhl und setze mich ihm gegenüber.
„Guten Appetit.“
„Dir auch“, murmelt er und beginnt zu essen.
Ich tue es ihm gleich.
Sam
Wir essen und schweigen uns an.
Super.
Hey, okay, es ist voll nett von ihm, dass er mir Frühstück gemacht hat. Und es ist schön, ihn bei mir zu haben. Auch wenn ich es eigentlich nicht will.
Sobald ich zu ihm schaue, klopft mein Herz doppelt so schnell wie sonst und in meinem Magen wird mir ganz flau. Das darf nicht mehr sein! Warum bin ich immer noch nicht über ihn hinweg? Es ist doch so lange her... er hat mich doch... verletzt...
Erneut sehe ich zu ihm und begegne seinem Blick. Sofort versinke ich in diesem sattem Grün und kann nichts anderes tun, als zu starren. Er fängt mich ein, spinnt sein Netz um mich und ich bin ihm hoffnungslos verfallen.
Er steht auf und geht um den Tisch herum, ohne den Blickkontakt zu lösen.
Sein Gesicht kommt mir näher und kurz darauf küssen wir uns. Ich stöhne in den Kuss, meine Hände vergraben sich in seinem Hemd und ziehen ihn näher an mich.
Unsere Körper passen perfekt zusammen.
Der Kuss wird wilder, unsere Zähne stoßen aneinander, als ich seiner Zunge Einlass gewähre. Er hebt mich hoch, umfasst mit seinen Händen meinen Hintern. Meine Beine schlingen sich um seine Hüfte und ich stöhne erneut, als ich bemerke, dass er bereits erregt ist.
Während er mich in mein Schlafzimmer trägt, unterbrechen wir den Kuss nicht. Als wir schließlich auf dem Bett zum Liegen kommen, fallen wir zwei ausgehungerte Teenager übereinander her.
Später liegt mein Kopf auf seiner Brust und ich male Muster auf seinen Bauch, während er mir sanft über den Rücken streicht.
„Das habe ich vermisst“, flüstert Niko leise.
„Ich auch, Niko.“
Träge küssen wir uns.
Ich bin so schwach. Er muss mir nur einmal in die Augen schauen und ich verfalle ihm sofort wieder. Das ist verdammt scheiße, aber ich habe keine Lust, etwas dagegen zu tun. Zu sehr genieße ich seine Nähe. Zu sehr habe ich ihn vermisst. Zu sehr...
„Ich liebe dich“, unterbricht er meine Gedanken plötzlich. „Ich liebe dich so sehr. Noch immer. Ich habe nie damit aufgehört, Sam, das musst du mir glauben.“
Ruhig sehe ich ihn an und bemerke, dass seine Augen feucht sind. Sanft streiche ich ihm eine Träne weg.
„Ich dich auch. Aber wenn du mich noch einmal verletzt, dann muss ich dich leider umbringen.“
Texte: liegt bei mir
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2013
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