Acht Stunden können echt langsam vergehen. Vor allem bei dieser Frau...
Hey, ich mag Frauen, okay? Also, ich hab nicht direkt was gegen sie, sagen wir es lieber mal so. Auf das Rumgezicke und so kann ich getrost verzichten, ebenso auf diese Männerfeindlichkeit, die sie uns schwachem Geschlecht entgegenbringen. Haha. Ich bin ja schon ruhig.
Gott, diese Frau macht mich fertig! Das sieht man ja an meinen Gedanken. Aber mal ehrlich! Wer aus der heutigen Generation kann nicht schnell tippen? Also auf dem Computer, nicht beim Lotto. Ich kann es jedenfalls und darum pisst mich dieses Fach verdammt an: Textverarbeitung.
Am Ersten des Monats hab ich eine Ausbildung als Bürokaufmann angefangen. Die Arbeit macht echt Spaß. Aber Schule ist ätzend!
Gerade haben wir die letzten beiden Stunden. Und was lernen wir? Tippen! Und dafür sitze ich hier? Jetzt könnte ich schon längst daheim sein und mich hinter meinem neuen Buch vergraben. Aber nein. Ich lerne Tippen.
Auch nicht über die ganze Tastatur, nein. Nur die mittlere Reihe lernen wir heute! Die Nächste kommt dann in einer Woche.
So ein Kack!
Das einzig Gute an dieser Stunde ist, dass er mir direkt gegenüber sitzt: Niko.
Niko ist mein Traummann. Okay, ich hab ihn erst zweimal gesehen und viel gesprochen habe ich da auch nicht mit ihm, aber das Aussehen stimmt! Und starren kann ich ja wohl?
Meine Augen schauen zunächst die Muttermale an seinem Hals an, bevor sie sich an seinen Lippen verankern. Schön geschwungen sind sie und sie sehen sehr weich aus. Darüber hat er eine schmale, gerade Nase und die grünsten Augen, die ich jemals gesehen habe. Seine dunkelbraunen Haare fallen ihm leicht ins Gesicht, als er sich zu seinem Sitznachbar herüberbeugt und ihm irgendetwas erzählt. Seine Stimme ist so wunderschön sanft und tief...
Ich will ihn heiraten! Bitte!
Erschrocken zucke ich zusammen, als mein Computer beginnt seltsame Töne von sich zu geben und weiche hastig zurück. Hab ich ihn kaputt gemacht? Dazu hab ich ein Talent! Oh Gott, bestimmt habe ich das!
Die Lehrerin kommt auch schon herbei und will das Problem ansehen, aber heldenhaft halte ich sie zurück.
„Der explodiert gleich!“, erkläre ich ihr mit lauter Stimme und ziehe die Blicke meiner Mitschüler auf mich.
Einige schauen skeptisch auf das Gerät, einige grinsen verhalten. Die Lehrerin schaut mich missbilligend an – und Niko steht auf.
Was hat er vor? Er kommt auf mich zu!
„Zeig mal“, sagt er trocken und hockt sich vor den PC.
„Pass auf! Nicht, dass dir was passiert!“
Himmel, ich klinge wie die größte Tucke überhaupt. Niko lacht.
„Keine Sorge. Ich bin Profi.“
Und dann tut er etwas Unfassbares. Er zwinkert mir zu! Mir! M I R! Ich bin im Hiiimmel!
Seltsamer Weise löst er tatsächlich das Problem: Habe bloß aus Versehen die Lautsprecher aktiviert. Hähä. Bin ja schon ein Depp. Wie auch immer. Irgendwann ist diese doofe Stunde um und damit auch die Schule vorbei.
Schnell verlasse ich das Gebäude und atmete draußen die frische Luft ein, während ich in meiner Umhängetasche nach meinem Autoschlüssel wühle. Als ich ihn endlich finde und triumphierend in die Luft. In dem Moment werde ich angetippt und als ich ausehe, schaue ich in diese wunderschönen grünen Augen, die mich seit ich sie das erste Mal gesehen habe, in meinen Träumen verfolgen.
„Du musst doch auch nach Ernsthausen oder?“
„Ja, das stimmt.“
„Kannst du mich vielleicht mitnehmen? Ich bin heute morgen mit dem Bus gefahren, mein Auto ist kaputt. Nur ist das extrem nervig, der nächste kommt erst in eineinhalb Stunden.“
„Klar! Kann ich natürlich tun! Nachdem du mir eben schon das Leben gerettet hast!“
Gemeinsam mit Niko gehe ich zu meinem Auto, schließe es auf, werfe die Tasche auf die Rückbank und rutsche hinter das Lenkrad. Er nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und lehnt sich erschöpft zurück.
„Die Frau ist doch auf Crack. Wie die drauf ist!“
„Ach, sie ist halt hyperaktiv“, grinse ich und fahre los.
Niko lacht.
„Ja, das ist sie wohl. Sag mal, wollen wir nicht immer zusammen fahren? Dann können wir uns abwechseln und es ist für jeden nur halb so teuer. Bei den Spritpreisen...“
„Ehm... ja, wieso nicht? Immerhin kommen wir aus der gleichen Stadt.“
„Ist doch voll Kacke, dass die Schule hier ist und nicht bei uns. Nur weils zu wenig Azubis in der Gegend sind...“
„Allerdings.“
„Sag mal, Samuel, darf ich dich was fragen?“
„Sam. Und ja, okay. Hast du zwar grad, aber du kannst gerne noch eine stellen.“
„Aber sei nicht sauer!“
„Wieso sollte ich? Frag doch einfach.“
„Bist du schwul? Ein paar aus der Klasse diskutieren darüber.“
„Bin ich. Und eigentlich weiß das auch jeder. Wieso sollte ich ein Geheimnis daraus machen?“
„Na ja, weil es ja bei vielen noch verschrien ist und so...“
Amüsiert werfe ich ihm einen Blick zu.
„Bei dir auch? Willst du jetzt doch keine Fahrgemeinschaft mit mir machen?“
„Was? Quatsch! Mir ist das egal. Ist doch deine Sache."
„Genau. Meine Sache.“
Und ich wünschte so sehr, dass es auch deine wäre.
Die Woche vergeht quälend langsam. Zwar mag ich meine Arbeit, aber ich vermisse Sam irgendwie. Er ist irgendwie so... mir fällt kein passendes Wort ein, aber „süß“ würde schon mal in die Richtung gehen.
Dass er tatsächlich schwul ist, finde ich natürlich ganz große Klasse. Keiner von unseren Mitschülern wollte es eigentlich wissen, aber so habe ich es wenigstens erfahren. Gefällt, gefällt!
Als es dann endlich Mittwochabend ist, zücke ich mein Handy und schreibe Sam eine SMS. Zum Glück hat er mir seine Nummer noch gesagt, bevor ich sein Auto verlassen habe. Der Inhalt der Nachricht ist die Frage, ob er am nächsten Tag mit mir fahren möchte. Lange muss ich nicht auf die Antwort warten, mein Handy vibriert bereits eine Minute später wieder. Gespannt lese ich seine Antwort und kann dann ein dickes Grinsen nicht unterdrücken: Er will! Er wird mit mir fahren! Juhu!
Ich kann nicht einschlafen. Ständig muss ich an Sams wunderschönes Lächeln denken. Andauernd stelle ich mir vor, wie es wohl ist, mit den Händen durch die hellblonden Locken zu fahren, meinen Zinken an seiner Stupsnase zu reiben und zu spüren, wie sich sein Atem mit meinem vermischt.
Diese Gedanken machen mich schon ziemlich an. Ich wälze mich auf die andere Seite und versuche, an etwas anderes zu denken.
Es scheint geklappt zu haben, denn plötzlich klingelt mein Wecker los und ich fühle mich eigentlich relativ ausgeschlafen. Schnell bin ich geduscht und angezogen, kurze Zeit später sitze ich im Auto und fahre los.
Ich bin aufgeregt, als ich vor seiner Haustür halte und ein paar Mal hupe. Wieso weiß ich nicht. Vermutlich liegt es einfach daran, dass ich gleich vierzig Minuten mit ihm auf engsten Raum sitzen werde. Wie auch immer, ich kann nicht verhindern, dass mein Herz schneller klopft, als er aus der Haustür kommt.
Wie kann das sein? Ich kenne ihn doch eigentlich gar nicht!
Normalerweise dauert es Monate, bis ich mich in jemanden verliebe. Nicht, dass es bisher oft passiert ist. Bloß zweimal... und beide Male waren schmerzhaft.
Er wird nicht das Gleiche für mich empfinden. Ich weiß es. Unter Garantie bin ich nicht sein Typ. Wie bei jedem, der mir gefällt.
Als er sich neben mir nieder lässt, lächelt er fröhlich.
„Guten Morgen, Niko! Wie hast du geschlafen?“
„Gut“, lüge ich. „Und du?“
„Es ging so. Wenn ich nur daran denke, dass wir diese Frau heute wieder haben, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich hab keine Lust auf die! Und der größte Mist ist, dass wir nicht einmal schwänzen können, weil die dann sofort den Betrieb informieren und dann gibt es richtig Ärger!“
„Wow, du redest ganz schön viel, so früh am Morgen.“
„Oh, ich bin schon seit zwei Stunden wach. Bin Frühaufsteher. A propos, hältst du da vorne beim Bäcker?“
Ich nicke und halte an.
Mit einem 'Bin sofort wieder da, fahr bloß nicht ohne mich weiter!' springt Sam aus dem Auto und läuft in die Bäckerei, nur um fünf Minuten später mit zwei Bechern Kaffee und einer Tüte wiederzukommen. Einen der Becher drückt er mir in die Hand.
„Ich hoffe, du trinkst ihn schwarz. Wenn nicht, dann hab ich noch Zucker hier, aber Milch wollten die Spießer mir keine mitgeben. Ist es okay so? Oder soll ich nochmal schnell rein und dir welche reinmachen?“
Unwillkürlich muss ich schmunzeln.
„Schwarz ist super. Wie viel bekommst du?“ „Quatsch nicht. Nächstes Mal bist du dran.“
Er nimmt einen Schluck und lehnt sich dann zurück.
„Dann mal auf in den Kampf, was?“
Die Fahrt über kaut er mir ein Ohr ab. Aber es ist okay, ich mag seine Stimme. Sie hat einen angenehmen Ton und das gleichmäßige Geplauder (und natürlich der Kaffee) hilft mir dabei, nicht einzuschlafen. Als wir halten, zieht Sam einen Schmollmund.
„Willst du wirklich nicht schwänzen?“
„Keine Chance, Süßer!“, lache ich und steige aus.
Den Schlüssel in der Hand warte ich darauf, dass Sam es mit gleich tut, damit ich abschließen kann. Doch er starrt mich nur an. Und starrt. Und hört gar nicht mehr damit auf. Unsicher schaue ich ihn an.
„Was ist los? Hab ich was im Gesicht?“
„Du hast mich Süßer genannt.“
„Hab ich das? Oh...“
„Aber du bist hetero.“
„Wer sagt das? Hm?“
„Ich dachte... weil du meintest...“
„Frauen sind immer so zickig und anspruchsvoll.“
„Das bin ich auch.“
„Und Frauen haben an einer Stelle zu wenig und an einer anderen zu viel.“
„Das akzeptiere ich als Argument.“
„Gut. Kommst du jetzt?“
„Klar.“
Endlich steigt er aus und wir können in die Klasse gehen.
Der Unterricht ist lahm. Das einzig Spannende ist, dass ich Sam die ganze Zeit anstarren kann. Ständig treffen sich unsere Blicke und er verdreht jedes Mal die Augen, was ich immer mit einem Grinsen hinnehme.
In der Mittagspause fängt er mich ab und fragt, ob ich mit ihm zum Metzger gehe. Natürlich sage ich ja, so habe ich ein wenig mehr Zeit mit ihm.
Wir brauchen bloß zwei Minuten dorthin, weitere drei, bis er sein Essen hat und dann stehen wir mitten in der Fußgängerzone.
Mit einem Gähnen strecke ich mich, was er mit einem leisen Lachen quittiert.
„Müde? Doch nicht so gut geschlafen, was?“
Ich beschließe alles auf eine Karte zu setzen und schüttele den Kopf.
„Ich habe viel nachgedacht.“
„Worüber? Falls ich fragen darf.“
„Warst du schon mal verliebt?“
Er nickt leicht und lässt sich auf einer Bank nieder.
„Mag er dich auch?“
„Ich weiß es nicht“, flüstere ich und setze mich neben ihn. „Magst du mich?“
Verwirrt schaut er mich an.
„Ja. Sehr. Wir können bestimmt gute Freunde werden.“ Dann scheint er zu verstehen. „Oh, du meinst...“
Niedergeschlagen nicke ich. Sein Blick wird nachdenklich.
„Eigentlich dauert das bei mir ewig, Niko. Das Verlieben. Aber... ach scheiße, ich bin echt nicht gut in so was! Ich kann super gut Scheiße labern, ich kann gut dafür Sorgen, allen auf die Nerven zu gehen, aber Gefühle sind echt Mist!“
„Schon okay. Ich geh mal zurück zur Schule.“
Als ich mich erhebe, hält er mich am Handgelenk fest.
„Ohne mich?“
„Sam, du hast mir nicht die Antwort gegeben, die ich hören wollte. Ich brauch einen Moment für mich, okay?“
„Nein.“
„Wie nein? Sam, bitte!“
Anstatt mir erneut eine Antwort zu geben, zieht er so an meinem Arm, dass ich das Gleichgewicht verliere und halb auf ihm lande.
„Ich komme mit. Wir haben noch zwanzig Minuten. Das reicht doch, um sich eine Stelle Ecke zu suchen, oder?“
Stille Ecke? Was will er in einer stillen Ecke? Doch statt dessen ich ihn frage, nicke ich nur leicht und stehe wieder auf. Auch er verlässt die Bank und geht dann mit schnelen Schritten los. Meine Füße folgen ihm wie von selbst.
An der Schule angekommen, findet er tatsächlich eine Ecke, in der wir ganz allein sind. Er dreht sich zu mir und schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an.
„Ich verliebe mich nicht schnell. Aber bei dir ist das anders, Niko.“
„W-was?“, hauche ich.
„Niko!“
Er zieht wieder an meinem Arm, sodass ich auf ihn zu stolpere. Seine Hände kommen in meinem Nacken zum Liegen und ziehen mein Gesicht zu ihm hinunter.
„Wieso küsst du mich nicht einfach? Müssen wir so viel reden?“
„Das sagst gerade du“, flüstere ich, während mein Blick auf seinen Lippen ruht.
„Gerade ich? Was soll das –“
Doch er kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn ich gebe dem Drang nach unsere Lippen endlich zu vereinen.
Texte: liegt bei mir
Tag der Veröffentlichung: 05.05.2013
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