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Dance with me

Mein Atmen ist ruhig, meine Haltung angespannt. Einatmen. Ausatmen.
Mein Partner zieht mich in seine Arme, nimmt meine rechte Hand und erhebt sie ein Stück, seine andere Hand kommt auf meinem Rücken zum Liegen. Ich lege meine linke Hand an seine Schulter und sehe ihm in die dunkelgrünen Augen. Er lächelt leicht und zieht mich mit einem Ruck näher an sich, als die Musik beginnt. Es ist ein langsamer Walzer. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei... Der Rhythmus geht direkt in mein Blut über. Ich vertraue meinem Partner, ich lasse mich vollkommen fallen, ich weiß, dass er mich führen wird und darauf achten wird, dass mir nichts geschieht.
Acht Jahre tanzen wir nun schon gemeinsam. Als wir vierzehn waren, haben wir unseren ersten Tanzkurs gehabt und danach nie wieder aufgehört. Dort haben wir uns auch erst kennengelernt. Nach unserem ersten gemeinsamen Tanz, haben wir keine anderen Partner mehr gehabt, außer wir wurden dazu gezwungen.
Es ist wunderschön mit ihm. Immer. Doch es gibt ein Problem – ich bin endlos in ihn verliebt. Seine Augen sind schuld daran. Ich liebe es, in ihnen zu versinken. Darum bin ich auch ziemlich froh, dass ich ihm, was die Führung anbelangt vertrauen kann, denn meistens kann ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren, wenn mich sein Blick einmal in seinen Bann gezogen hat...

Die Musik endet. Die Tanzstunde ist vorbei. Sanft löst er sich von mir und lächelt.
„Hast du Lust noch was trinken zu gehen?“
Ich nicke leicht.
„Nach einer Dusche, gerne.“
Wir verschwinden beide in den jeweiligen Umkleidekabinen und machen uns frisch. Zumindest ich mache das, was er tut, weiß ich nicht.
Er wartet bereits, als ich die Tanzschule verlasse.
„Gehen wir ins „Violett“?“
„Da waren wir schon lange nicht mehr.“
„Ich weiß.“
„Die Cocktails da sind so klasse...“
„Ich deute das mal als „ja““, lacht er und legt meine Hand in seine Armbeuge.
Vorsichtig schmiege ich mich an ihn und genieße die Nähe – auch, wenn sie nur freundschaftlich ist. Es ist nicht weit bis in die Bar, wir schweigen den Weg über. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er auf seiner Lippe kaut, das macht er nur, wenn er etwas zu sagen hat. Was es wohl sein wird? Hoffentlich hat er keine Freundin oder so... das würde mich fertig machen! Oder wenn er mit dem Tanzen aufhören will! Langsam aber sicher werde ich unruhig.

Wir wählen einen Tisch in einer Nische, in der man nicht sofort gesehen wird, aber den Eingang super beobachten kann. Das machen wir gerne. Wenn wir in dieser kleinen Stadt Leute sehen, die wir nicht kennen, überlegen wir immer gemeinsam, was wohl der Beruf dieser Person sein könnte, ob sie eine Freundin oder Freund hat oder gar verheiratet ist. Wir erstellen einen kompletten Lebenslauf.
Doch heute tun wir das nicht. Jeder bestellt seinen Drink, dann schweigen wir und wieder an. Erst, als die Cocktails kommen, räuspert er sich.
„Ich bin befördert worden.“
„Was? Das ist doch toll!“
„Schon... nur... scheiße.“
Er nimmt einen großen Schluck und schaut mir dann in die Augen.
„Ich muss nach Amerika. Für eine ganze Weile.“
Ich reiße die Augen auf. Schüttle ungläubig den Kopf. Lache. Bemerke, dass er nicht scherzt. Tränen steigen mir in die Augen.
„Erzähl keinen Scheiß.“
„Es tut mir so leid!“
„Bitte... bitte, Oliver, bitte bleib!“
„Ich werde das machen, Cara. Ich muss das machen.“
„Und was wird aus dem Tanzen?“
„Du findest einen neuen Partner.“
Stumm schüttle ich erneut den Kopf und versuche die Tränen, die über meine Wangen rollen, erst gar nicht zurückzuhalten.
„Cara“, flüstert er, rutscht zu mir und zieht mich vorsichtig in seine Arme.
Ich entwinde mich ihm, lege Geld auf den Tisch und verlasse die Bar eilig. Zunächst folgen mir nur seine Blicke, doch dann höre ich auch seine Schritte.
„Cara. Es tut mir so leid, dass ich dir nicht früher davon erzählt habe, aber ich wollte es nicht so wirklich wahr haben. Aber heute, nach der Abschiedsfeier...“
„Abschiedsfeier?“, flüstere ich, „Wann fliegst du denn bitte?“
„M-morgen.“
„Morgen.“
Unsere Augen treffen sich, ein Schluchzen entweicht meiner Kehle.
„Du bist so ein Arsch! Ich dachte, wir wären Freunde!“
„Ich wollte dich nicht verletzen!“
„Doch das tust du doch genau so! Was soll ich denn bitte ohne dich machen?“
„Mir fällt es doch auch nicht leicht. Süße...“
Ich stoße ihn weg und renne los. Diesmal folgt er mir nicht.

Als ich am nächsten Morgen erwache, bin ich vollkommen dehydriert. Ich habe die ganze Nacht geweint.
Auf meinem Handy sind Unmengen von entgangenen Anrufen, unzählige SMS. Alle von ihm. Ich seufze, stehe auf und ziehe mich an. Gestern Nacht habe ich beschlossen, mich doch noch von ihm zu verabschieden. Wenn ihm etwas zustoßen würde, nachdem wir im Streit auseinander gegangen sind, würde ich nie darüber hinweg kommen. So dusche ich schnell und ziehe mir was über, renne dann zu seiner Wohnung und klingle Sturm. Doch niemand öffnet. Ich nehme mein Handy und rufe ihn an.
„Oliver hier?“
„Wo bist du?“
„Cara? Auf dem Weg zum Flughafen! Oh Gott, Cara, es tut mir so leid!“
„Ich... ich wollte noch Tschüss sagen.“
„Du bist nicht an dein Handy gegangen“, flüstert er heiser.
„Scheiße.“
Ich beginne wieder zu weinen und lasse mich auf die Treppenstufe vor der Haustür sinken.
„Du kannst doch nicht einfach so gehen!“
„Cara, hey, nicht weinen! Ich komme wieder! Wir skypen!“
„Und wie sollen wir bitte tanzen?“
Einen Moment herrscht Schweigen. Ich denke schon, dass er aufgelegt hat, aber dann spricht er leise weiter.„Ist das das Einzige, was dir an unserer Freundschaft wichtig ist?“
Jetzt schweige ich einen kurzen Moment, beschließe dann aber, einfach mal ehrlich zu sein.
„Nein. Es ist nur die einzige Ausrede, die mir einfällt, um dir nahe zu sein, ohne, dass es seltsam auf dich wirkt.“
„Wie meinst du das?“
„Ich bin in dich verliebt, Oliver. Scheiße. Solltest du eigentlich nicht wissen. Aber ist ja jetzt auch egal. Du bist eh weg. Ich muss damit jetzt abschließen.“
Entschieden drücke ich auf die rote Taste, bis mein Handy komplett aus ist und werfe es dann in den Fluss, der durch die Stadt fließt. War eh nur ein altes Siemens-Billig-Handy mit einer Prepaid-Karte. Kann ich mir jetzt ja auch ein Smartphone mit Vertrag holen. Brauche ja jetzt kein Geld mehr in die Tanzschule zu stecken. Oder in Cocktails, die ich mit meinem Oliver genieße...

 

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

 

Es vergeht ein Jahr voller Einsamkeit und viel Arbeit. Da ich kein Hobby mehr habe, stecke ich all meine Energie in meinen Job und werde schon bald zur Abteilungsleiterin befördert. Es ist ein gutes Gefühl, etwas geschafft zu haben, und so werde ich ziemlich ehrgeizig.
Ich hab kein Leben mehr. Es tut immer noch weh, an Oliver zu denken.
Es tut immer noch weh, daran zu denken, dass er nicht einmal versucht hat, meine neue Nummer ausfindig zu machen. Wir haben doch gemeinsame Freunde! Eine Mail oder so habe ich auch nicht bekommen. Skype habe ich nie angeschaltet.
Ich vermisse ihn. Ich vermisse ihn so unglaublich sehr, dass ich manchmal denke, dass ich bald vor Sehnsucht sterbe. Am schlimmsten ist es abends, wenn ich in meinem Bett liege. Nein, wenn ich an der Tanzschule vorbeilaufe. Sofort wandern meine Gedanken zu ihm.
Manchmal zwingen meine Freunde mich, mit ihnen auszugehen, wie auch heute Abend. Dass sie mich noch nicht abgesägt haben, ist mir manchmal unbegreiflich. Doch ich bin auch froh darüber. Auch, wenn ich auf das Ausgehen keine Lust habe.

Susanne, eine meiner engsten Freundinnen, steht mit mir vor meinem Schrank und versucht ein passendes Outfit zusammenzustellen. Ich war schon ewig nicht mehr shoppen, daher besaß ich nicht wirklich modische Kleidung, aber ich bin sicher, dass sie es hinbekommt. Tatsächlich zwingt sie mich nach knapp einer Stunde in ein kleines Schwarzes und wirft mir dann noch schwarze Pumps hin.
„So, jetzt machen wir deine Haare, Schatz.“
Sang- und klanglos lasse ich es über mich ergehen. Muss ich ja. Gezwungenermaßen.

Schließlich stehe ich tatsächlich fix und fertig vor einer Diskothek, von der ich noch nie gehört habe. Aber wie ich den Gesprächen der anderen entnehmen kann, hat sie auch erst vor Kurzem aufgemacht. Es dauert einen Moment, bis der Türsteher uns durchlässt. Drinnen geben wir unsere Jacken ab und gehen an die Bar. Ich gönne mir einen „Sex on the Beach“ und sehe mich dann um. Die Tanzfläche ist ziemlich überladen, aber das wird an der Musik liegen. Sie ist perfekt, man kann wirklich gut darauf tanzen. Und damit meine ich nicht Standard! Sondern halt so, wie man in der Disco tanzt. Ansonsten ist es hier, wie in anderen Clubs auch. Nichts Besonderes.
Mein Cocktail ist noch nicht ganz leer, als Susanne mich am Handgelenk packt und mich in die tanzende Menge zieht. Sie ruft mir irgendetwas zu, doch ich verstehe sie nicht, es ist zu laut. Also ignoriere ich sie und beginne, mich zu der Musik zu wiegen.
Schnell bin ich in dem Beat gefangen, bewege mich im Takt, meine Augen sind geschlossen und meine Hüfte wiegen hin und her.
Da spüre ich, wie jemand seine Hände um meine Taille schlingt und mich enger an sich zieht. Ich weiß sofort, dass er es ist. Er, dessen Hände ich immer und überall erkennen würde. Seine Arme drücken mich fest an ihn, seine Lippen halten kurz auf meiner Wange still, bevor er mir etwas ins Ohr flüstert.
„Cara.“

Mein Gehirn hat sich längst verabschiedet. Was tue ich jetzt? Ein Zittern durchläuft meinen Körper, als ich seine Stimme höre. Aber ich will das nicht! Nicht schon wieder...
Ich schaffe es, mich loszumachen und versuche in der Menge zu verschwinden. Mein Ziel ist die Toilette, dahin kann er mir nicht folgen. Beinahe habe ich es auch geschafft, als sich Susanne in meinen Weg stellt.
„Hast du ihn gesehen?“
Sie lacht erfreut.
„Er ist wieder da! Benny wusste es schon länger und hat ihm gesagt, dass wir heute Abend hier sind! Das ist doch unglaublich, oder?“
Unsere Blicke treffen sich und sie bemerkt, dass mir das eigentlich nicht sonderlich gefällt. Ich strecke die Hand aus, um meine Garderoben-Marke zu fordern, die sie mir tatsächlich auch gibt. Auf dem Weg nach draußen begegne ich noch ein paar anderen Leuten, die ich aber gekonnt ignoriere. Die Jacke ist schnell geholt, momentan will keiner gehen, es ist ja auch noch früh.
Draußen atme ich erst einmal tief durch und strecke meinen Rücken, dann mache ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Sie liegt ziemlich in der Nähe, darum muss ich mir kein Taxi besorgen. Während ich den Feldweg entlang gehe, schweifen meine Gedanken wieder und wieder zu Oliver. Ist er jetzt wirklich wieder hier? Wie lange wird er wohl bleiben?
Ich bemerke, dass meine Gefühle für ihn immer noch ziemlich tief sind, tiefer, als ich dachte. Meine Hände verschwinden in meinen Jackentaschen, mein Blick richtet sich auf den Boden. Wieso tut es so weh, zu wissen, dass er mich wieder verlassen wird. Bestimmt hat er in den USA eine Freundin gefunden. Und er ist hier, um es uns zu erzählen. Vielleicht lädt er uns zu seiner Hochzeit ein!
Wütend unterbreche ich meine Gedanken mit einem Schnauben. Ich sollte aufhören, an ihn zu denken.

Als ich Schritte hinter mir höre, bekomme ich doch irgendwie Angst. Hier gibt es immerhin keine Laternen und dunkel ist es auch schon.
„Cara!“, ruft die Person und ich erkenne Oliver.
Nur mit Mühe unterdrücke ich meine Tränen.
„Was willst du?“
„Wieso bist du nicht an dein Handy gegangen? Warum hast du deine Mailadresse geändert? Die Briefe sind anscheinend auch nicht angekommen...“
Doch. Waren sie. Direkt in Ablage sieben sind sie gelandet.
„Lass mich einfach, Oli. Geh zurück in die USA und...“
„Und was? Bleibe noch länger ohne dich? Nein, Cara, ich bleibe! Und wir holen das ganze Jahr nach. Wir tanzen, bis uns die Füße bluten, wir haben Dates, ziehen zusammen in eine Wohnung und haben Sex. Vielleicht auch in einer anderen Reihenfolge.“
Er umfasst meine Schultern und schaut mich ernst an.
„Natürlich nur, wenn du immer noch Gefühle für mich hast.“
„Die habe ich“, flüstere ich und versinke in seinen Augen.
„Das ist gut, Cara. Sehr gut. Weil ich dich nämlich auch liebe. Und wenn ich vorher gewusst hätte, dass du mich auch magst, wäre ich nie weggegangen.“
Sanft berühren seine Lippen meine und die Welt um uns versinkt in einem Feuerwerk.

Impressum

Texte: liegt bei mir
Tag der Veröffentlichung: 23.04.2013

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