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Die Reibefrauen


Die Aktivitäten der meisten Frauen meines Gesellschaftskreises bestehen im Reiben...

Sie reiben das Geschirr, das Waschbecken, die Fenster, die Gardinen, die Obergardinen, die Wäsche…, dann reiben Sie Ideen über das Reiben; wie man reibt, wielange man reibt, wann man reiben muss, womit man gründlicher, besser, leichter und billiger reiben kann.

Nur über ihre intimen und geistigen Reibun- gen wissen sie nichts zu berichten. Deswe- gen möchten sie sich emanzipieren. So ist es modern, chic und sexy, und sie werden „Bürokräfte“ - „Bürokräfte“ mit allen Erwar- tungen und Freuden: Frühstücks pause, Mittagspause, Feierabend, diverse Geburts- tage der Kollegen, Feiertage, Urlaubstage,

Krankschreibungen, Lohnerhöhungen…



Zwischendurch sortieren sie mit der Rech- ten die Akten, die Linke hält den Spiegel für den lilabraunen Lippenstift. Mit einer Hand tragen sie die Korrespondenz ein, die andere winkt den Kollegen. Mit einem Finger bestim- men und verordnen sie, mit den anderen blättern sie in neuen Jeans-Modeheften.

Das Spaziervergnügen auf den Gängen, um bewundert, bestaunt und gegrüßt zu wer- den, amüsiert sie sehr. Je weiter sich das gewisse Damenörtchen vom Arbeitsplatz entfernt befindet, umso erfolgreicher und fruchtbarer wird ihre Promenade.

Zuhause sind sie selbstbewusst, diktato- risch, entschlossen. Aber sie merken, dass sie nicht mehr imstande sind, mit dem gleichen Elan, mit derselben Intensität und Liebe wie früher täglich ihr trautes Heim zu reiben.

Und so fragen sich die meisten, ob ihre Reibeattribute nicht doch ihren Befähigun- gen, ihrer Seele näher sind als der Begriff der spirituellen Reibungen, der für sie nur ein Abstractum bleibt.


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Tag der Veröffentlichung: 09.08.2010

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