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Genunea Musculus erzählt von den absurden Hindernissen und Fallstricken "sozialistischer" Bürokratie bei einem an sich so einfachen Vorhanden wie dem einer Heirat...






Ad absurdum




Heinz wiederholte mir seinen Heiratsantrag. „Ich liebe Dich, aber nicht die Formalitäten. Die müssen wir auf dem schnellsten Wege hinter uns bringen“, sagte Heinz und gab mir den ersten Kuss. Über seine Art war ich verblüfft – aber wie könnte ich ihm klar- machen, dass wir noch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben würden? „Es ist leider nicht so einfach, wie Du Dir das vorstellst“, erwiderte ich ihm etwas beschämt, „ich brauche vom rumänischen Staatsrat eine Heiratsgenehmigung, und die erteilt man meist erst nach vielen bürokratischen Schikanen.“ „Eine Heiratsgenehmigung, und noch dazu vom rumäni- schen Staatsrat, das kann doch nicht möglich sein! Wie kann sich dieser Staatsrat in unsere privaten Angelegenheiten mischen? Falls man wirklich so eine Absurdität von Dir verlangt, dann bleibst Du eben bei mir und wir sind auch ohne diesen Trauschein, von dem ich sowieso nichts halte, glücklich – das ver- spreche ich Dir!“ „Bestimmt“, antwortete ich, „jedoch, bei Dir zu bleiben, ist von den Behörden in Rumä- nien und hier auch verboten. Mein Pass ist nur für einen Monat ausgestellt worden. Danach muss ich Dich und Berlin wieder verlassen.“ Heinz verzog seine buschigen Augenbrauen, und sein wütende Stimmt wurde wohl etwas laut für dieses Speiserestaurant – „verboten, verlassen, mit solchen Wörtern habe ich nicht viel im Sinn! Morgen gehen wir beide zu Deinem Botschafter, und ich werde ihm meinen Standpunkt klarmachen.“ „…aber bitte nicht in Sandalen und in diesem großkarierten Hemd ohne Krawatte. Die rumänischen Behörden halten viel von Konventionen.“ „Diese Penner möchten mir, dem Heinz Musculus, etwas vorschreiben?! Mit mir werden die noch ihr blaues Wunder erleben!“
Der Botschafter – weißes Hemd, Schlips und dunkler Anzug – musterte uns misstrauisch. Kritisch und herabwürdigend wandte er seinen Blick Heinz zu, der ein auffallendes Hemd ohne Krawatte trug, und fragte uns: „Sie wünschen?“ „Wir wünschen nichts. Ich bin hierhergekommen, um Sie zu interviewen, Herr Botschafter. Mein Name ist Heinz Musculus, Gra- phiker und Kunstmaler. Sind Sie verheiratet?“ „Ja.“ „Lieben Sie Ihre Frau?“ „Ja.“ „Könnten Sie ohne Ihre Frau leben?“ „Nein“, antwortete der Botschafter. „Das genügt mir“, nickte Heinz zufrieden, „mir geht’s nämlich genau wie Ihnen, Herr Botschafter. Ich liebe Frau Nunica Dimitrovici, kann ohne sie nicht mehr leben, und sie meint, sie müsse nach Bukarest zurückfahren, um dort auf eine Heiratsgenehmigung zu warten… ich war überzeugt, dass ihr sozialistischer Staat nicht auf solche hirnverbrannten Ideen kommen könnte.“ Der Botschafter erblasste und begann etwas zu stottern. „Herr Musculus, wie ich verstehe, ist Frau Musculus als Touristin hier in Berlin. Sie muss leider wieder zurück. Ich bin aber so großzügig und werde ihren Pass um zwei Monate verlängern. Dann wird sie nach Bukarest zurückfahren und dort die Papiere für ihre Ehe mit Ihnen einreichen. Das ist alles, was ich für Sie tun kann und darf.“

Traurig brachte mich Heinz nach zweieinhalb Mona- ten zum Flughafen Schönefeld.

Die vielen Papiere – Geburtsurkunde, Taufschein und Scheidungsnachweis – die er mir für die Heirats- genehmigung nach Bukarest schicken musste, bereiteten ihm Komplikationen. Der „Papierkram, den der Amtsschimmel braucht, um seine Existenz- berechtigung zu beweisen“, war ihm unverständlich und ein Greuel. Als er aber erfuhr, dass wir auf die Heiratsgenehmigung etwa zwei bis drei Jahre warten müssten, drehte er vollständig durch. Jede Nacht, zwischen zwei und vier Uhr, rief er mich an. Er begann mit unzähligen Liebeserklärungen, um dann mit den offensten Beschimpfungen gegen die rumäni- schen Machthaber fortzusetzen – „…diese Halunken, wollen mich so lange auf Dich warten lassen; man versucht heute, auf dem Mond zu landen, und hier auf der Erde sind wir solchen Missständen ausgeliefert. Sie betrachten sich als feurige Südländer, die viel von Liebe verstehen…! Schicke Deinem Oberindianer Ceauşescu einen schönen Gruß von mir und sage ihm von mir, er ist der größte Trottel, den ich mir vorstellen kann!“ „Aber Liebling, äußere Dich nicht so drastisch. Die lange Wartezeit wird auch vergehen, und dann sind wir fürs ganze Leben zusammen“, flüsterte ich eingeschüchtert in die Telefonmuschel. „Bitte, Nuni, komm’ mir nicht mit solchen Argumenten. Ich glaube, meine Telefongespräche setzen Dich in Panik, da wir ja beide wissen, dass sie abgehört werden. Außerdem kosten sie en Vermögen, denn drei Jahre lang Dich jede Nacht anzurufen, um Dein liebes Stimmchen zu hören, ruiniert meine Nerven und mein Einkommen!“ Ich war natürlich überzeugt, dass ich unsere langersehnte Heiratsgenehmigung nie erhalten würde. Die nächtlichen Gespräche zermürbten auch meine Nerven; sie dauert oft eine Stunde, und am nächsten Tag musste ich um halb sieben ins Büro.

Die Bukarester Telefonistin, die mich jede Nacht mit Berlin verband, fragte mich im Vertrauen, warum mein zukünftiger Mann mich nur in der Nacht anruft. Auch berichtete sie mir, dass Heinz meine Telefonnummer vergessen hatte und die Berliner Telefonistin ihn nur mit dem Hinweis „Er möchte mit seiner Braut Nuni aus Bukarest sprechen“ verband. Solche merkwürdigen Anrufe hatten bisher weder die Damen vom Berliner Fernsprechdienst noch die Bukarester Telefonistinnen bekommen. „Ich werde Ihnen diese Kuriosität erklären“, antwortete ich, „Heinz ist Künstler; er ist eben ganz anders als wir. Am Tage schreibt er mir lange Liebesbriefe, und vor dem Schlafengehen muss er meine Stimme hören. Ich kann nichts dafür, dass er so spät zu Bett geht. Seinen künstlerischen Biorhythmus kann ich nicht um- werfen.“

Ob mich die Telefonistin auch als eine nicht ganz normale Person ansah, nachdem ich ihr diese Erklä- rung gegeben hatte, ist mir bis heute nicht bekannt.

Das Wunder geschah völlig unerwartet – aber schon nach zwei Monaten, als ich eines Tages am Nach- mittag aus dem Büro kam, traf ich den Postboten, der mir einen ungewöhnlich großen Briefumschlag überreichte. Sie war es, die Heiratsgenehmigung!

Sofort rief ich überglücklich Heinz an. „Das können wir meinen Anrufen verdanken. Die Wahrheit zu hören, kann niemand vertragen – zumindest nicht lange. Ich kaufe mir ein Flugticket und bin spätestens über- morgen bei Dir, um Dich zu holen, mein Engel.“
Heinz ging sogleich zur „Interflug“-Gesellschaft. „Wann fliegt übermorgen eine Maschine nach Bukarest?“, fragte er voller Freude die junge Dame am Schalter, „Ich muss dringend hin.“ „Haben Sie schon einen Pass und ein Visum für Ihre Dienstreise?“ „Wieso denn ‚Dienstreise’, es ist eine Liebesreise, ich hole meine Braut ab.“ „Leider kann ich Ihnen nicht dienen. Private Reisen sind nicht erlaubt.“ „Das verstehe ich nicht, Könnten Sie konkreter werden?“ „Es gibt drei Möglichkeiten, Rumänien zu besuchen: 1. eine Dienstreise, 2. einen Besuch bei Verwandten ersten oder zweiten Grades, die Ihnen dafür aber vorher eine Einladung schicken müssen, und 3. dürfen Sie auch Freunde in Rumänien besuchen, sofern Sie beweisen können, dass Sie mit ihnen gegen den Faschismus gekämpft haben.“ Heinz spürte, dass ihm diese Erläuterungen Schwindel provozierten. Schnell wandte er sich zu einem Stuhl, um zu sich zu kommen. „Fräulein, könnten Sie bitte so freundlich sein und das alles aufschreiben – ich bin ein wenig schwer von Begriff.“

Auch Polizei, Passstelle und andere Behörden bestätig- ten das Gesagte. „Donnerwetter, ich will zu meiner zukünftigen Frau, ich will sie heiraten; die Genehmi- gung dazu haben wir von dem rumänischen Boss da unten schon erhalten!“, schrie er alle an. „Leider ist Ihre zukünftige Frau noch nicht Ihre Verwandte. Sie dürfen nicht zu ihr.“ Die gleichen Informationen erhielt auch ich in Bukarest. Persönlich durfte ich nicht schon wieder nach Berlin zu meinem fiktiven Cousin, da ein „Verwandtenbesuch“ nur alle zwei Jahre erlaubt war.

Ob es wohl Ferntrauungen gäbe wie im letzten Krieg, fragten wir uns - und die Behörden. Sie konnten oder wollten diese Fragen nicht beantworten – es habe solche Fälle bis heute nicht gegeben, sie hätten nur das Verbotene bearbeitet.

Die Telefonate zwischen Berlin und Bukarest wurden immer vehementer, und die Flüche von Heinz, die zuerst nur Rumänien gegolten hatten, bezogen sich jetzt auch auf seine „DDR“.#

Eine Freundin von mir aus Bukarest, die einen deutschen Namen trug, schickte Heinz, ihrem eigens hierfür erkorenen Vetter, eine Einladung, und – welche Wunder – es funktionierte! Strahlend kam Heinz in Bukarest an… ohne Schlips, dafür mit Sandalen!
Wir beschlossen, die Trauung in Berlin hinter uns zu bringen. Unsere gepackten Koffer wurden zu den rumänischen Zöllnern am Flughafen befördert und von ihnen durchstöbert. „Meine Dame, sie haben hier Wertpapiere, diese dürfen Sie nicht ausführen“, teilte mir ein Zollbeamter mit. „Wertpapiere??“, entgegnete ich skeptisch, „das sind meine Schulzeugnisse, mein Geburtsschein, Nachweise über meine Arbeitszeiten und meine Heiratsgenehmigung.“ „Diese Papiere müssen hierbleiben. Natürlich werden Sie sie erhalten, nichts geht Ihnen verloren, wir werden sie der rumänischen Botschaft nach Berlin schicken. So will es das Gesetz“.

Von den Papieren trennten wir uns leicht – Haupt- sache, wir waren zusammen!

Viele Monate vergingen, und die Botschaft hatte die Papiere noch immer nicht aus Bukarest erhalten. So mussten wir unser Leben in „wilder Ehe“ genießen, auch wenn es vielleicht manchen "anständigen" Nachbarn störte…

Im Februar 1967 endlich, nach sieben Monaten, übergab mir die rumänische Botschaft meine Papiere. „Nach Bukarest fliegt man genau 145 Minuten, mit der Bahn fährt man 32 Stunden, aber dass die Post von dem einen Ort zum andern sieben Monate braucht, ist schon sehr eigenartig“, meinte Heinz lachend.

Mit der Heiratsgenehmigung begab ich mich zum Standesamt, um einen Termin für unsere Trauung zu vereinbaren. Prüfend betrachtete sich der Standesbeamte die große, imposant gedruckte Urkunde. „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Genehmigung schon seit vier Wochen verfallen ist. Sie wurde nur für sechs Monate ausgestellt, und so dürfen wir Sie jetzt nicht trauen. Heinz amüsierte sich darüber köstlich; ihm lag nur daran, an meiner Seite zu sein, „aber wenn Du unbedingt meine legitime Frau werden musst, so fliege persönlich nach Bukarest und hole Dir diese komische Bewilligung, denn wie Du siehst, kannst Du Dich bei der sozialistischen Post vollkommen auf halbjährige Verspätungen verlassen.

Seelenruhig legte mir der Staatsratsbeamte in Bukarest einen Bogen Papier vor für ein erneutes Gesuch um eine weitere Heiratsgenehmigung, die mir wie gehabt durch die rumänische Botschaft in Berlin ausgehändigt würde. Diesmal aber verlor ich meine Geduld, protestierte energisch und drohte mit einer Beschwerde über diese Zumutungen. Der Beamte ließ mich einige Minuten warten, kam dann mit meiner alten Hei- ratsgenehmigung zurück, drückte lediglich einen Stempel auf sie – und schon waren die Probleme gelöst. Die Hei- ratsgenehmigung war um weitere sechs Monate verlängert und ich durfte sie selbst wieder nach Berlin mitnehmen.

Ohne Komplikationen wurden Heinz und ich am 6. Juli 1967 in Berlin getraut.






Heinz Musculus: „Der fliegende Teppich


(Ölgemälde „á la Chagall“, 1966/67, gemalt zur Umsiedlung
von Genunea zu Heinz Musculus von Bukarest nach Ost-Berlin)


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.03.2010

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