Tausend Kerzen erhellten den Raum mit ihrem warmen Licht. Eine verhüllte Frau stand mitten im Raum und wartete, bis alle Zuschauer hineingekommen waren. Sie hatte eine glitzernde Hose mit einer Tunika darüber an und ein langer Hut saß auf ihrem Kopf. An der Krempe waren Schleiern befestigt, die ihr Gesicht verhüllten. Sie wartete die kurze Unruhe ab, bis auch der letzte Mensch zur Ruhe gekommen war. Dann erst bewegte sie sich, drehte sich und schritt den Raum ab. Man konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber es schien, als ob sie jeden Besucher musterte. Jedem einmal in die Augen schaute, aber bei niemandem länger verharrte als im Vorbeigehen möglich war.
Ark wollte erst gar nicht in diese Vorstellung gehen, doch seine Freunde hatten ihn mitgeschleppt. Eigentlich hatte er eher gedacht wieder das Wochenende alleine zu Hause zu verbringen, seinen PC zum x-ten mal zu durchforsten, um letztendlich mit einer asiatischen Tütensuppe vor dem Fernseher den Abend zu verbringen. Er hatte keine Lust auf seine Freunde, mit Pärchen unterwegs zu sein. Wenn man alleine war, war das schmerzhaft. Der Gedanke an die Einsamkeit zerriss ihm das Herz und immer wieder diesen „Missstand“ vor Augen geführt zu bekommen, machte dieses Gefühl nicht besser. Aber er hatte sich letztendlich doch belabern lassen zu diesem Festival mitzugehen.
Die Anderen wollten eigentlich lieber eine Kneipentour machen und die Bands hören, die dort auftraten, aber als die Gruppe an diesem Zelt vorbeikam, zog es Ark wie auf wundersame Weise hinein. Eine Theateraufführung war nicht das, was seine Freunde sich für diesen Abend vorgestellt hatten, aber diese eine Stunde würde etwas Kultur nicht schaden und so konnte sich Ark durchsetzen.
Als die verhüllte Frau wieder in der Mitte des Raumes stand, erklangen leise und helle Glöckchen. Die Zeltwände wurden geschlossen und schnell wurde es stickig. Ark hörte Sabrina, die Freundin seines besten Freundes, wie sie Benno etwas zuflüsterte. „….stickig…. hoffentlich dauert das nicht so lange…“ Ja, die Luft wurde schlechter hier im Zelt. Es waren mindestens 30 Mann hier plus die ganzen Kerzen und Lampen. Und doch war in der Mitte viel Platz für die Akteurin gelassen worden. Ark konzentrierte sich wieder auf die Frau in der Mitte. Ein dumpfer Trommelschlag hatte eingesetzt und ihre tanzartigen Bewegungen waren darauf abgestimmt. Ark fragte sich, ob die Musik aus einer Anlage kam oder draußen die Musikanten neben dem Zelt saßen. Aber es schien eher, das die Musik direkt hier im Zelt zu hören war als dass sie von draußen herein klang. Mit einem letzten, dumpfen Schlag blieb die Tänzerin in ihrer Position stehen und rührte sich nicht. Ark sah ihre anmutige Art und war beeindruckt von der Art wie sie sich bewegen konnte. Neben ihm putzte sich ein Zuschauer gerade die Nase. Ein Anderer hustete. Und wieder ein anderer zog sich die Jacke aus.
Dann begann die Frau zu sprechen. Ihre Stimme war hell und angenehm und ihre Geschichte handelte von einer Königin. Der Königin Terahamani, welche so schön war wie der Mond und die Sterne und in einem fernen Land wohnte, welches schwer zu erreichen war. Und das die Königin viele ihres Volkes ausgesandt hatte, um die zu suchen, die vor langer Zeit durch einen bösen Zauber aus ihrem Königreich gerissen worden waren. Die Erzählerin sprach von der Einsamkeit der Königin und der großen Leere, die seit dieser Zeit in ihrem Herzen gähnte und auch über das Land kam.
Ark hing an den Lippen der Erzählerin. Alles um ihn herum verschwamm und alles was übrig war, war die Erzählerin in der Mitte des Raumes. Jedes Wort wurde vor ihm real. Er wurde traurig, wenn die Frau erzählte wie unglücklich die Königin war und empfand Glück, als die Erzählerin davon sprach, wie viele schon zurückgekehrt seien, in das Land der schönen Königin. In das Land der Freude, wie die Erzählerin es nannte. Er fühlte nichts von der stickigen Luft, er hörte kein Räuspern, kein Naseputzen, Hüsteln oder Flüstern der anderen Zuschauer und war gebannt von der Geschichte, die die verhüllte Erzählerin zu berichten hatte.
Die Frau verkündete von einem großen Ball, den die Königin gab, aus Anlass der Wiederkehr vieler ihrer Untertanen und Freunde. Und das Land erblühte erneut und niemand darin konnte unglücklich sein.
Musik spielte auf und die Erzählerin wurde zur Tänzerin. Sie tanzte leichtfüßig durch das Zelt. Ark spürte die Freude der Menschen in dieser Geschichte und die Freude der Tänzerin. Sie tanzte auf ihn zu und als sie fast an ihm vorbei war, ergriff sie seine Hand und zog ihn mit sich. Sie duftete nach einer ganzen Blumenwiese und war weich und geschmeidig. Ihre Hände waren weich und warm, nicht verschwitzt und hatten einen festen aber freundlichen Griff. Ihr Gesicht war verschleiert aber Ark wusste, das sie ihm direkt in die Augen schaute. Ark war wie verzaubert und nahm den Walzer, zu der sich die Musik geändert hatte nur als leisen Hintergrund wahr. So tanzten sie.
Für ihn gab es in diesen Sekunden, die langsam wie in Zeitlupe vergingen, nur ihn und die geheimnisvolle Tänzerin, die gleichzeitig die Erzählerin dieser wunderbaren Geschichte war. Als sie sich nach vorne beugte, raschelten ihre Schleier. Der Duft nach Blumen und einem hauch Vanille zog noch deutlicher in seine Nase. Dann flüsterte sie ihm mit ihrer reizenden Stimme ins Ohr: „Du hast wunderschöne Augen. Viel zu schade, um traurig zu sein. Komm Hheim und erinnere dich an unser Land.“ Dann löste sie sich von ihm und lies ihn dort am Rand der runden Bühne stehen. Sie ging in die Mitte. Die Musik hatte gerade aufgehört zu spielen. Sie verbeugte sich. Die Leute applaudierten. Für sie war es eine Geschichte gewesen. Vorgetragen in einem stickigen Zelt mit Kerzen als Beleuchtung.
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Dirk, der hier meine Muse war. Danke!