Er wacht wie immer um fünf vor sechs auf.
Fünf Minuten bevor der Wecker klingeln sollte.
Die innere Dynamik, wie er stolz vermerkt.
Eine Tasse Kaffee in der Hand, sieht er vor sich die Kursbänder der Asiatischen Märkte und er weiß sofort, dass er einen Fehler begangen hatte.
Keine offenen Positionen overnight.
Das eherne Gesetz der Aktienhändler.
Er aber hatte sich gestern ausgeloggt, obwohl noch Call Optionen auf einen Korb mit asiatischen Hightech Aktien in seinem Traderaccount verbucht waren.
Trügerische Hoffnung.
Seine Markanalyse hatten stark steigende Kurse prophezeit.
Nun- freier Fall der östlichen Märkte, wegen irgendwelcher Aufstände in der Inneren Mongolei .
Er schätzt den maximalen Verlust auf 30 Prozent.
Diese Angst, diese ewige Angst.
Das Risk Managment wird mich steinigen.
Mit Magenschmerzen fährt er die drei Stationen mit der U Bahn zum Gebäude von N.-Trading.
Keiner da, außer der schläfrige Wachmann, der, wie immer, rauchend in seiner Bretterbude sitzt und Bild liest.
Er duckt sich am Fenster vorbei, schließt die Tür zum Gebäude auf und eilt die Treppen hinauf in den dritten Stock.
Ich muss die Verluste wieder reinholen, vielleicht haben Sie noch nichts bemerkt.
Der Raum ist fast so groß wie ein halbes Fußballfeld. Überall Händlerarbeitsplätze, ausgestattet mit zwei Monitoren und zwei Telefonen.
Er hastet zu seinem Platz in Reihe drei von der Tür aus gesehen.
Einige seiner Kollegen sind schon da, blasse, durchsichtige Gestalten, die ihre Finger fast lautlos über die Tastaturen gleiten lassen.
Und während er die ersten Positionen „traded“, füllt sich der Handelsraum fast unmerklich, bis nahezu jeder Platz besetzt ist.
Ob einige von denen auch schief liegen?
Als er sich umblickt, sieht er nur die weißen Gesichter, die konzentriert in ihre Bildschirme blicken. Nichts zu merken.
Es kämpft jeder für den nächsten Bonus oder für das Überleben im Job oder für beides.
Er erwartet jeden Augenblick den Anruf vom Riskmanager, aber nichts geschieht.
Er sieht die Kursanzeigen. Europa eröffnet fest. Hoffnung. Und tatsächlich, auch seine Optionen steigen wieder, denn, so meldet der Nachrichteticker: Die Unruhen in der in der Inneren Mongolei seien überbewerten worden. Die europäischen Börsen bleiben stabil. Die Märkte rechnen mit einer festen Wallstreet und einer kräftigen Erholung in Asien.
Ja! Er bleibt wachsam, stellt schließlich die Position mit einem kleinen Gewinn glatt.
So, jetzt können sie mir nur den Verstoß gegen die Handelsregeln vorwerfen. Aber wenigstens habe ich keine Verluste gemacht.
Er ist zufrieden.
Er loggt sich aus, schlendert gutgelaunt die Treppe hinunter und schleicht an der Wachbude vorbei. Ein guter Tag!
Er beschließt noch einen Drink zu nehmen und etwas zu essen.
Er stellt sich zu einer Gruppe Kollegen von einem anderen Brokerhaus. „Nun, das war ein Tag was? Sagt er, wie lief ´s denn bei euch so?“ „Gut, Gut, aber bei Dir wohl nicht, sagt einer grinsend, du bist ja völlig eingesaut“. Sie wenden sich ab. Tatsächlich, sein Anzug ist verdreckt. Büroschmutz. Er flucht und klopft sich den Staub ab.
Am Abend dann ein Blick in die aktuellen die Wirtschaftsnachrichten und Überlegungen zur morgigen Handelsstrategie.
Ich muss besser werden.
Um elf Uhr begibt er sich zur Ruhe.
Am Morgen sieht er die Bagger, die LKW und die vielen Arbeiter und hört den Lärm von Presslufthämmern.
Sie reißen das N.Trading Haus ab.
Er rennt zum Eingang.
Ein Dicker mit Helm und „Blaumann“ stellt sich ihm in den Weg: „He was willst Du denn hier?“
„Ich will da rein-ich muss handeln“
„Du spinnst wohl, der Kasten wird abgerissen, hast Dich wohl in der Adresse geirrt?“ Der Dicke lacht.
„Aber meine Kollegen sind da noch drin“ ruft er verzweifelt.
“Da ist niemand drin du Spinner und jetzt ab mit Dir!“
Er gibt nach und geht vom Gelände.
Vom Bürgersteig aus ruft er:
„Kommt raus, die reißen alles ab, kommt raus“.
Und, ein Wunder, seine Kollegen hören ihn, sie kommen aus den Fenstern, den Türen, den Wänden, schweben über Bagger und LKW über die Köpfe der Arbeiter, und sammeln sich um ihn.
"Ach ruft er, die haben uns betrogen, machen dicht, zerstören alles, ohne uns etwas zu sagen. Doch wir geben nicht auf, wir gründen eine neue Firma. Wir handeln weiter, wir bleiben im Geschäft, nur Mut jetzt. Kommt, wir ziehen los“.
Und er geht voran, die Mainzer Landstrasse entlang und sie folgen ihm.
Der Zug der bürolosen Händler.
Und in jedes Bankhaus welches sie auf ihrem Weg passieren, verschwinden einige aus seiner Truppe.
Auf Höhe des Opernplatzes ist er allein.
Die haben alle schon wieder neues Jobs denkt er.
Nur ich nicht.
Traurig geht er durch die Stadt.
Am Abend steht er auf dem “Eisernen Steg“.
Er schaut auf die leuchtenden Türme, voller Sehnsucht.
Ich gehöre nicht mehr dazu.
Big Game ohne mich.
Und wie er da so sinnend steht, breitet sich in seiner Seele eine große Heiterkeit aus.
Er weiß nicht warum.
Und so breitet er die Arme aus und singt:
Es leuchten die Lichter des Marktes
In den dunklen Wellen
Als spiegelndes Spiel
Am Morgen doch sind sie erloschen
Dann sind es die Strahlen vom Himmel
Die Tempel entzünden
Und Geister erwecken
zum ewigen Spiel
Nun aber Freiheit
Es ist meine Welt
ich handele
ohne Limit
ohne Regeln
Morgen schon fang ich an
Niemand kann mich stoppen
Oh Märkte passt auf!
Oh Welt pass auf!
Er geht von der Brücke
ein paar Schritte weiter
zwischen Ufer und Straße
zu Höhlen aus Pappe
sein Schlafsack er liegt
zwischen zwei Kameraden
kuschelt leis ´er sich ein
macht zu seine Augen
und erwartet den Schlaf
mit seligem Lächeln.
Tag der Veröffentlichung: 31.05.2011
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