Cover

Caleb, der Dieb von Bagdad



Es war vor langer, langer Zeit, da lebte ein Dieb namens Caleb im alten Bagdad. Der junge Caleb beklaute Obsthändler auf dem Markt und erleichterte reiche Männer um deren Geldbeutel, die sie locker am Hosenbund trugen, um den Damen zu imponieren. Wenn der Hunger zu groß wurde, nahm er auch schon mal ein Huhn an sich, welches er sich vor seiner selbstgezimmerten Hütte nahe dem Sporenwald über der Feuerstelle zubereitete. Er liebte sein aufregendes Leben auf den Straßen Bagdads, dessen Minaretten und Türme in der Mittagssonne golden glänzten.
Doch eines Tages änderte ein bedeutendes Ereignis sein Leben und seine Einstellung zu diesem.

Caleb flog mit seinem fliegenden Teppich, den er einmal gefunden

und zugeritten hatte, an den vielen Fenstern des Palastes des Sultans vorbei. Da erblickte er sie; die Liebe in Gestalt einer zierlichen Dame, die mehr Schönheit ausstrahlte, als alle goldenen Dächer Bagdads.
Sie entdeckte Caleb am Fenster, als sie gerade die Kleider ihrer Herrin anprobierte, um für ein einziges Mal zu fühlen, wie es war, Prinzessin zu sein. Caleb hörte nicht mehr, wie sie ihm hinterher rief, dass sie nicht die Prinzessin war, sondern nur die Zofe. Schnell musste er vor dem Sultan flüchten, der ihr Zimmer betrat.
Doch fortan war ihm klar, er musste die Prinzessin haben. Aber eines war ihm ebenfalls bewusst; er würde sie nicht bekommen, solange er arm war. So beschloss er, den Sultan zu bestehlen, der Gold und Juwelen ungeschützt in einem Raum verwahrte. Noch nie wagte es jemand, ihn zu bestehlen.

Eines sonnigen Morgen belauschte Caleb zufällig ein Gespräch zwischen dem mittellosen Prinzen Naibur und dem Sultan
»Meine Tochter, Etiennette, ist entführt worden«, sagte der Sultan aufgebracht.
»Wisst Ihr von wem, Sultan?«
Der Sultan übergab dem Prinzen Naibur einen Zettel, den er auf seinem Schreibtisch gefunden hatte.
»Es ist also Agilolf gewesen; der garstige Zauberer, der hoch droben auf dem Berg lebt.«
Der Sultan nickt wortlos.
Caleb hatte genug gehört. Für ihn war klar, er musste seine Angebetete retten. Leider hatte er einen Mitstreiter; den raffgierigen Prinzen Naibur, der die Prinzessin nur des Ruhmes wegen retten und heiraten wollte.

Sindbad, den wohl jeder von uns kennt, streckte seine weißen Füße in den warmen, weichen Sand des Strandes von Bagdad. Er rühmte mit seinen Geschichten, die ihm viel Mut abverlangten und genoss die offenen Münder seiner Zuhörer, die staunend seinen Worten lauschten. Da stießen Prinz Naibur und Caleb hinzu.
»Sindbad, mein alter Freund«, begann Caleb seine Bitte. »Du bist so mutig und voll Tatendrang. Würde es dir gefallen, uns beide, den Prinzen und mich, über den Fluss zu schippern?«
»Nur ein saftiges Stück Schinken würde mich davon abhalten«, antwortete Sindbad lachend. »Da ich jedoch keinen Schinken entdecken kann, wäre ich erfreut, euch hinüberfahren zu dürfen. Wo genau wollt ihr denn hin?«
»Zum Berg des Zauberers Agilolf.«
Sindbad machte erschreckt einen Schritt zurück und winkte verängstigt ab.
»Mir ist bewusst, was ich verlange, Sindbad. Aber es geht um viel; eigentlich um alles. Um mein Leben, meine Zukunft.«
Sindbad jedoch schlotterte am ganzen Leib. Da fiel Caleb ein, was alles beim letzten Ausflug über den Markt in seine Hosentaschen gefallen war. Als sich dann die glitzernde Goldmünze in Sindbads Augen spiegelte, die Caleb ihm davor hielt, ermutigte diese sein Herz.
Die ganze Fahrt über beäugte Sindbad die Goldmünze und lächelte zufrieden. Plötzlich rissen Schreie und das Flattern übergroßer Flügel ihn aus seinen Tagträumen. Tatenlos musste er mit ansehen, wie Caleb und Prinz Naibur von einem riesigen Falibvogel entführt wurden. Falibs krächzten so angsteinflössend laut, dass man sich nicht mehr bewegen konnte. Ihre Fänge waren so stark wie die eines mächtigen Adlers und die Schnäbel so spitz wie Spitzhacken. Wie Öl gläntzte das schwarze Gefieder in der Sonne, das von roten Flecken unterbrochen wurde.
Caleb wehrte sich heftig und strampelte kopfüber, aber der Falib war einfach zu riesig und kräftig.
»Bitte, rette uns, Caleb.« Die Verzweiflung war Prinz Naiburs Stimme anzuhören. »Ich gebe dir, was immer du begehrst.«
Da wurde Caleb hellhörig. »Was immer ich begehre?«
»Noch bin ich arm, Caleb. Doch wenn ich die Prinzessin heirate, werde ich dich mit Gold und Geschmeide belohnen.«
»Pah! Ich denke nicht an Reichtum. Mein Herz ist reich an Liebe und die will ich befreien und heiraten. Überlasst mir Prinzessin Etiennette.«
»Niemals!«, schrie Prinz Naibur. »Sie ist ein halbes Königreich wert. Dies macht mir niemand streitig.«
»Ein habgieriger Lump seid Ihr, Prinz.«
Die beiden stritten sich dermaßen, dass die Knöpfe ihrer Jäckchen den Falibvogel an den Fängen kitzelten. Lachend ließ dieser seine Beute fallen. Als der Falib sich beruhigt hatte, las er die beiden im Sand wieder auf. Abermals wehrten sie sich und so gab es einen Kampf ums Überleben. Erst vor Agilolfs Berg ließ der Falib seine Beute in den Sand plumpsen. Dann setzte er sich vor die Höhle, um diese zu bewachen, wie Agilolf ihm aufgetragen hatte. Immer wieder piekte er auf die beiden ein, um mit ihnen zu spielen. Auch ein Falib, ein Wächter des Berges, musste sich die Zeit vertreiben.
»Gegen den werden wir nicht ankommen«, sagte Caleb, der erschöpft auf dem sandigen Boden nach Luft rang.
»Ausnahmsweise teile ich deine Meinung«, entgegnete Prinz Naibur und beäugte den Berg, der einen riesigen Schatten über unsere Helden warf.
Caleb legte sich auf den Rücken und breitete seine Arme aus, um zu verschnaufen. Da ertastete er etwas Warmes im Sand.
»Es ist eine Flasche«, sagte er und drehte sie hin und her. »Sie wurde wohl angespült. Aber sie ist leer, schade.« Er entnahm den Korken, als aus der Flasche plötzlich ein grünlich schimmernder Dunst entwich. Dieser nahm - je weiter er sich herausarbeitete - die Gestalt eines dicklichen, menschenähnlichen Wesens an.
»Ein Flaschengeist?«, fragte Caleb erstaunt.
»Ich bin wahrlich ein Flaschengeist, Herr.« Seine Stimme war so dumpf, dass Calebs Rippen bebten.
»Du hast drei Wünsche frei, Herr.«
»Darf ich mir auch was wünschen?«, mischte sich Prinz Naibur ein.
»Wenn mein Herr, der mich erlöst hat, dir einen Wunsch überlässt, dann schon.«
»Ich habe nur zwei Wünsche«, sagte Caleb. »Ich wünschte, meine Liebste wäre reich und frei.«
»So soll es geschehen.« Der Flaschengeist erleuchtete in grellem Grün und schickte seinen Zauber Richtung Bagdad. Caleb wunderte sich, denn er glaubte Prinzessin Etiennette in der Höhle neben sich. Da äußerte Prinz Naibur seinen Wunsch: »Ich will reich sein, werter Flaschengeist.«
»Dieser Wunsch wird dir erfüllt, sobald du Prinzessin Etiennette befreist.«
Ein dumpfes Plopp folgte und der Geist verschwand in der Flasche.
»Du hast gehört, was wir zu tun haben«, sagte Prinz Naibur mit frischem Ehrgeiz.
»Genau. Prinzessin Etiennette soll frei und reich sein.

Währenddessen in Bagdad, in des Sultans Palast. Gerade ist der Sultan dabei, die frisch eingetroffenen Steuern seines Volkes zu zählen, als ihn ein mächtiger Blitz traf. Er verdrehte die Augen, sackte in sich zusammen und stand wie in Trance wieder auf. Die Zofe, Faye, wurde aus ihren Träumen an ihren Liebsten, Caleb, gerissen und bestaunte das Geschehen. Wie hypnotisiert setzte der Sultan sich an seinen Eichenschreibtisch und verfasste zwei Schreiben. Dann erhob er sich und reichte diese an die Faye weiter.
»Von nun an bist du nicht mehr meine Dienerin. Du bist frei.« Er hob ihr das zweite Schreiben hin. »Und hierin steht, dass du einen erheblichen Schadensersatz zugesprochen bekommst in Form von Gold und Geschmeide.«
Faye konnte ihr Glück kaum begreifen, schnappte sich jedoch geistesgegenwärtig die Schreiben und verließ den Palast, bevor der Sultan es sich anders überlegen konnte.

Der Geist hatte sich in seine Flasche zurückgezogen und hinterließ zwei ermutigte Männer; wenngleich sie aus unterschiedlichen Motivationen heraus handelten.
»Ich glaube, ich weiß, wie der Flaschengeist uns geholfen hat«, sagte Caleb.
»Und wie? Der Falib ist noch da.«
»Ja, aber er schläft. Und die Wachen sind außer Sicht. Stürmen wir die Höhle!«
So stürmten unsere beiden Helden den Berg Agilolfs und tasteten sich durchs Halbdunkel. Der Gang wurde nur spärlich von Fackeln beleuchtet. Nach einigen Minuten erreichten sie die Schatzkammer des Zauberers, gefüllt von ergaunerten Diamanten, Goldstatuen, Geldsäcken und Geschmeiden. Während Prinz Naibur der Gier verfallen war und sich in dem Haufen glitzerndes Reichtums badete, machte Caleb seine Prinzessin ausfindig, die sich in einem unverschlossenen Raum, aber gefesselt auf einem Stuhl befand. Er nahm ihr den Schleier ab, um seiner Angebeteten noch einmal in ihr liebliches Antlitz blicken zu dürfen. Da traf es ihn, wie ein Keulenschlag. Ein Gesicht so hässlich wie ein vergammeltes Wurstbrot offenbarte sich ihm. Er erschrak so fürchterlich, dass er davonrannte, ohne die wahre Prinzessin Etiennette zu befreien. In Agilolfs Schatzkammer angekommen, sah er diesen in fremdem Gold wühlen.
»Schau mal, Caleb. Wenn wir was davon mitnähmen, würden wir reich.«
»Ähm... da freue ich mich. Sagt mal, Prinz, Ihr wolltet doch die Prinzessin?«
»Ja, warum?«
»Also, wisst Ihr ...« Caleb hüstelte. »Wir haben uns eben zerstritten. Ihr könnt sie gerne haben. Ich werde mich mit dem Finderlohn des Sultans zufrieden geben.«
Prinz Naibur schlug erfreut ein, dann befreite er Prinzessin Etiennette, deren Schleier den überstehenden Unterkiefer mit den langen, gelben Zähnen sowie die breiten Lippen eines Barsches bedeckte.
Zufrieden kehrten unsere vier Freunde zurück nach Bagdad.
Prinzessin Etiennette hatte endlich einen Gatten, solange sie sich nicht entschleierte. Prinz Naibur wurde reich und berühmt. Caleb vereinte sich mit seiner wahren Liebe, der Zofe Faye, die nun frei und reich war. Das Einzige das Caleb noch stahl, war die Liebe und Zuneigung seiner Faye, der er nicht mehr von der Seite wich. Gut, ab und zu dürstete ihn noch nach dem alten Nervenkitzel und er tätigte kleinere Diebstähle auf dem Markt, aber ansonsten wurde er recht anständig. Und der Sultan erholte sich schnell von dem Blitzschlag und ging seinen gewohnten Geschäften nach.

Ende


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /