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Tipsi auf ihrem ersten Ausflug



Die junge Brieftaube war gerade erst frisch ausgelernt und befand sich inmitten ihres ersten Alleinflugs. Voller Stolz drehte sie Extrarunden und bemerkte bald, dass sie sich dabei total übernommen hatte. Erschöpft landete sie in einem kleinen Garten. Nicht erholt und noch völlig aus der Puste, erspähte sie eine dicke rotgestreifte Katze im Gebüsch.
"Hab keine Angst", sagte die Katze und näherte sich der jungen Taube.
"Ich werde dich nicht essen. Viele meiner Zähne haben mich schon vor langer Zeit verlassen, ich bin schon sehr alt."
Beruhigt, aber mit einem riesigen Schrecken, blieb die kleine Taube auf dem kühlen Steinboden, der einen Weg zeichnete, sitzen.
"Ich heiße Tipsi und bin eine Brieftaube."
"Mein Name ist Balduin vom Vogtland. Ich bin eine Rassekatze und habe schon viele Medaillen und Pokale gewonnen. Doch nun bin ich alt und gehe nur noch im Garten meiner Besitzerin, einer älteren Dame, spazieren. Früher hätte ich dich als Leckerbissen betrachtet, heute bin ich froh, wenn ich meinen Brei herunterbekomme."
Mittlerweile hatte Tipsi sich beruhigt und war nicht mehr außer Atem. Entspannt tapste sie zu der Vogeltränke, die mitten in dem Gärtchen stand.
"Was machst du denn so,Tipsi?"
"Na ja, ich fliege von meinem Heimatschlag - so nennen die Menschen die Behausung, in der wir Brieftauben wohnen - und fliege mit einer Nachricht an meinem Bein zu einem bestimmten Zielort, der mir zuvor gezeigt wurde. Manchmal bekomme ich auch einen kleinen Rucksack aufgesetzt."
"Ist das die Nachricht hier?", fragte Balduin und zeigte auf Tipsis Bein.
"Genau das ist sie. Meine Mama sagte mir, wir waren früher sehr wichtig in den Kriegszeiten, denn wir waren am Himmel schneller im Nachrichtenüberbringen als die Reiter zu Boden."
"Und wie orientiert ihr euch am Himmel?"
"So genau weiß ich das gar nicht. Ich glaube, am Stand der Sonne, beziehungsweise den Sternen. Oder am Magnetfeld der Erde." Tipsi zuckte unwissend mit den Schultern.
"Gibt es Brieftauben schon fertig oder werdet ihr wie wir Rassekatzen aus anderen Rassen herausgezüchtet?"
"Ursprünglich stammen wir von den Felsentauben ab. Die meisten Brieftauben gibt es in Belgien, erzählte mir meine Mama. Dort haben wir auch viele Verwandte. Das ist wohl das Mutterland der Brieftauben", erklärte Tipsi stolz.
"Heutzutage gibt es ja diese riesigen Brummer am Himmel, die so Streifen hinter sich lassen", sagte Balduin. "Wofür braucht man dann Brieftauben?"
"In der heutigen Zeit machen wir das nur noch als Sport und für Flugwettbewerbe. Aber die Taubenpost war der Beginn der Flugpost. Bei uns Brieftauben ist es nicht anders als bei euch Rassekatzen. Auch wir können Pokale gewinnen", erklärte Tipsi und glättete ihr Federkleid.
"Könnt ihr auch schon so früh mit eurer Kariere beginnen?", fragte Balduin und setzte sich unter die Vogeltränke in den Schatten.
"Also, wir beginnen schon mit ein paar Wochen mit den ersten Flugversuchen und steigern das dann immer weiter, bis wir mit vier bis fünf Monaten soweit sind, um die ersten kleinen Wettbewerbe mitmachen zu können. Doch leider habe ich mich total übernommen", gab Tipsi verlegen zu.
"Jetzt habe ich aber sehr viel erfahren über euch Brieftauben. Mittlerweile tut es mir sogar leid, dass ich euch früher gejagt habe. Zu meiner Verteidigung; für mich sehen Vögel alle gleich aus."
Tipsi musste darüber so sehr lachen, dass sie fast von der Tränke gefallen und auf Balduin geplumpst wäre.
"Und für mich sehen alle Katzen gleich aus", kicherte Tipsi.
"Jetzt muss ich aber wieder los, sonst schaffe ich den Weg nicht zurück."
"Es war wirklich sehr interessant dir zuzuhören, Tipsi. Vielen Dank für deine Erklärungen. Schade, dass ich sie nicht an die Menschen, die euch immer mit diesen Stadttauben verwechseln, weitergeben kann."
Beide verabschiedeten sich und Tipsi versprach Balduin zum Abschied öfter mal vorbeizuschauen.

Ende

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Tag der Veröffentlichung: 18.10.2009

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