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1

Eins
Inmitten eines idyllischen Gartens, umringt von Tannen, deren Wipfeln leicht von einer warmen Brise hin und her bewegt die fernen Wolken zu kitzeln schienen, stand eine kleine Villa. Duftende Rosenbüsche wetteiferten mit üppigen Blumenrabatten um Blütenpracht. Weiße Kieselsteinwege, die im Licht der Sonne glitzerten wie Diamanten, wurden von perfekt geschnittenen Hagebuttenhecken gesäumt. Im Zentrum des Vorgartens kühlten sich einige Spatzen am Ufer eines kleinen, runden Teichs das Gefieder. Aus dessen Mitte ragte ein großer weißer Stein, aus dem klares Wasser quoll und leise plätschernd in den Teich floss. Hunderte von Insekten wimmelten um die Blumen herum und erfüllten die Luft mit einem flüsternden Sirren. Die Villa selbst war einfachen Stils und den Bauweisen der Umgebung angepasst. Die Wände kalkweiß gestrichen, die Fenster mit einem grün gemalten Rahmen betont. Ein Schindeldach hielt Nässe und Hitze fern. Eine dicke Efeuranke bahnte sich ihren Weg von einer Hausecke zur anderen und bedeckte bereits den Großteil der Hauswand mit ihren leuchtend grünen Blättern. Hinter dem Gebäude befanden sich die Stallungen und die Wohnungen der Bediensteten. Diese wurden jedoch von der Villa und ihrer Pracht vor den Blicken der Leute, die auf der Straße vorübergingen, verdeckt.
All die schönen Seiten des fortgeschrittenen Frühlings hatte das Häuschen um sich geschart, doch der Reiter, der durch den weitläufigen Garten herankam, erkannte diese Schönheit nicht. Streng vor sich hinblickend, sah er nicht die leuchtenden Blumen, die ihren betörenden Duft aussendeten und damit Bienen und Schmetterlinge anlockten. Er sah nicht den romantischen Park, in denen manche Liebespaare einsame, ungestörte Zeiten hätten verbringen können. Seine Augen waren starr auf das Ziel gerichtet. Die finstere Miene entstellte sein feingeschnittenes Gesicht. Die Augenbrauen zu zwei fest zusammengezogenen Strichen, über einem Augenpaar, das kalter und herzloser nicht hätte blicken können. Seine Kleidung ließ auf vornehmer Herkunft schließen. Sein Mantel war aus Samt, dessen Saum von kunstvoll bestickten Goldfäden in der Sonne blinkte. Die Füße steckten in kostbaren Stiefeln, die von einem Meister der Zunft hergestellt sein mussten. Selbst das Zaumzeug war mit Silber und glitzernden Steinen verziert. Mit weitausholenden Sprüngen trug der Hengst seinen Herrn über den weißen Kiesweg und wirbelte dabei mit den scharfen Hufen Steinchen und Dreck empor.
All der Stolz und der zur Schau gestellte Prunk konnten den Reiter nicht aufheitern. In dem Häuschen wohnte eine Person, die ihn entgegen seinem Willen zu sehen wünschte: seine Mutter.
Ohne einen Blick seitwärts zu werfen, ohne mit den Gedanken abzuschweifen, ritt er den gekiesten Weg entlang und konzentrierte sich vollends auf die Begegnung dieser ihm verhassten Frau. Eigentlich hatte er ihrem Ruf nicht folgen wollen, doch die Nachricht enthielt Worte, die ihn neugierig gemacht hatten. So entschloss er sich mehr oder weniger spontan, ihr einen Besuch abzustatten, sich anzuhören, was sie zu sagen hatte und dann wieder zu verschwinden. Er war sogar bereit sie wegen des kleinsten Impulses hin mit Schimpf und Schande zu überschütten.
Wortlos stieg er vom Pferd und ließ es einfach stehen. Es war eine Sache der Pferdediener, das Reittier wieder einzufangen. Dem Reiter war es völlig gleichgültig, was es anstellen würde, welche mühsam gezüchteten Blumen es anknabberte, oder welchen gepflegten Rasen es mit seinen Hufen zerstörte. Es hatte jedenfalls bereitzustehen, an derselben Stelle, wenn er beabsichtigte, die Residenz seiner Mutter wieder zu verlassen. Es war keine Sache, um die sich der Sohn des Landesfürsten zu kümmern hatte. Deshalb ließ er es sorglos zurück und blickte nicht hinter sich. Er bemerkte allerdings im Augenwinkel eine Gestalt, die auf das Pferd zulief. Ein Pferdeknecht, erkannte er sogleich und ärgerte sich darüber, dass ihm die Gelegenheit genommen wurde, seinen Groll zum Ausdruck bringen zu lassen.
Ein Diener erwartete ihn auch bereits am Eingang. Er verbeugte sich knapp und öffnete eiligst die Tür. Ohne ihn zu begrüßen oder sich zu bedanken, marschierte der junge Mann in das Haus, klopfte sich nicht einmal Staub und Schmutz von Kleidern und Schuhen, bevor er die dicken Teppiche des Foyers betrat. Er ließ dem Diener auch keine Gelegenheit, ihn anzukündigen, sondern durchquerte den Saal schnellen Schrittes und ging zielstrebig in die Wohnräume des Hauses, wo er seine Mutter finden würde.
Lady Claire saß nahe an einem großen Fenster in einem Lehnstuhl und stickte versonnen an einem Bild. Sie blickte nicht auf, als ein Diener rasch die Tür öffnete, kurz räusperte und sich schulterzuckend für die Ungezogenheit ihres Gastes entschuldigte. Der Diener verbeugte sich respektvoll, schloss die Tür und ließ die beiden allein.
Lady Claire nickte leicht. Sie schien ohne hochzusehen zu wissen, wer sie besuchen kam. Nur ein Einziger besaß die Frechheit, sich mit einer derartigen Überheblichkeit über alle Regeln der Etikette hinwegzusetzen. Ihr Sohn Bradley trat ungerührt ein. Für ihn war es selbstverständlich, dass ihm augenblicklich sämtliche Türen geöffnet wurden, wohin er auch immer zu gehen gedachte.
»Sie wollten mich sprechen«, kam Bradley gleich zur Sache. Seine Stimme klang so schroff und kalt wie sein Gesichtsausdruck, mit dem er die Hausherrin bedachte.
Lady Claire beendete ihren Stich in aller Ruhe, schob die Nadel sorgsam in den Stoff, ließ ihre Arbeit auf den Schoß sinken und hob langsam ihren Kopf. Ihr Gesicht zeigte die Folgen langer Sorge und Betrübnis. Trotz Falten und traurigem Ausdruck, war sie noch eine Frau, der sich jeder Kavalier zu Füßen legen würde. Ihr goldbraunes Haar war sorgfältig zurückgekämmt und zu einem ordentlichen Zopf im Nacken geflochten. Sie trug stets einfache Kleider, ohne Rüschen, kostbare Stickerei oder sonstigem Tand, dennoch war der Stoff ihrer Garderobe zarter und geschmeidiger als die der Frauen des nahe gelegenen Dorfes. Ihre Gesichtszüge ähnelten stark denen ihres Sohnes, besaß jedoch einen wesentlich weicheren und angenehmeren Ausdruck. Sie betrachtete ihren Sohn bedächtig und atmete tief ein. Sie hatte vor ihm keine Angst, genauso wenig wie vor ihrem Gatten, der sie vor vielen Jahren mit Schimpf und Schande und unter falschen Anschuldigungen, wie sie behauptete, aus seinem Haus gejagt hatte.
»Setz dich, bitte«, bot sie ihm freundlich einen Platz ihr gegenüber an.
»Ich stehe bequem«, gab Bradley geringschätzig von sich und rührte sich nicht von der Stelle.
»Vielleicht möchtest du dich lieber doch setzen«, ließ sie sich nicht von ihm provozieren. »Was ich dir zu sagen habe, ist von außerordentlicher Prägnanz.«
»So?«, machte er nur und hob abschätzend eine Augenbraue.
»Mich überrascht, dass du meiner Bitte tatsächlich gefolgt bist«, gab sie lächelnd von sich und legte ihre Stickarbeit endgültig beiseite. Auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Stuhl stand eine bereits geleerte Teetasse. Vorsichtig drapierte sie ihren Stoff darauf.
»Ich würde mir eher einen Finger meiner Hand abhaken, als Ihnen eine Bitte zu erfüllen«, erwiderte der Sohn kalt. »Was mich in Ihr Haus treibt, ist reine Neugier.«
Für einen kurzen Moment huschte ein betrübter Ausdruck über ihr Gesicht. Es kränkte sie offenbar, dass ihr eigenes Kind derart reagierte. Doch was hatte sie erwartet? Für jemanden, der den eigenen Gemahl hinterging, konnte man nichts anderes als Hass empfinden. Es berührte Bradley nicht im Geringsten, dass sie sich von der Kälte und dem Abscheu in seiner Stimme verletzt fühlte.
Sie seufzte traurig, schien jedoch nicht auf die scharfen Worte eingehen zu wollen.
»Nun, was ist?«, forderte Bradley sie ungeduldig auf. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Lady Claire hatte sich bereits wieder gefasst, hob den Kopf an und begegnete seinem Blick mit beherrschter Miene. »Du bist trotz allem eine Frucht meines Leibes«, begann sie mit leicht zitternder Stimme. »Ob du mich nun verabscheust oder nicht, ich werde jedenfalls alles in meiner Macht Stehende tun, um dich vor Schaden zu bewahren.«
»Pah«, gab er geringschätzig von sich und zog seine Mundwinkel angewidert hoch. »Auf Ihren Schutz kann ich verzichten. Ich kann sehr gut auf mich selbst achten.«
»Du bist geblendet von den Worten deines Vaters und verkennst die Gefahr, die dich von seiner Seite aus bedroht«, hielt sie seinen verächtlichen Äußerungen stand. »Er hat dich schon beeinflusst, als du noch klein und formbar warst. Dein Vater beabsichtigt Böses mit dir.«
»Achten Sie auf Ihre Wortwahl, Lady Claire!«, fuhr er ihr ärgerlich ins Wort. »Genügt Ihnen die Schande nicht, die Sie Ihrem Gatten angetan haben? Müssen Sie ihn nun auch noch beleidigen?«
»Nichts was je über meine Lippen kommt, kann deinen Vater beleidigen«, gab sie ungerührt zurück. Böse funkelnde Augen drohten sie zu erdolchen, doch sie hielt seinem Blick stand. »Dein Vater trachtet stets nach neuem Ruhm, immer mehr Reichtum und immer mehr Macht, welches Leben es auch kosten mag.«
»Tun wir das nicht alle?«, erwiderte Bradley gelassen.
»Er würde sogar sein eigen Fleisch und Blut benutzen, um das zu bekommen.« Ihre Worte gerieten stetig zorniger. Ihre Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.
»Manchen bedeutet das eigene Blut weniger, als das von anderen.«
Lady Claire ließ sich nicht provozieren, obwohl die Worte ihres Sohnes sie tief treffen sollten. Sie atmete langsam ein und entschloss sich offenbar, ihm ihr Anliegen endlich vorzutragen, ob er bereit war ihr zuzuhören oder nicht. »Mir kamen höchst unlautere Absichten deines Vaters zu Ohren. Er schloss mit einem Herrscher aus dem Norden einen Vertrag über einen Landstrich, oben an der Grenze zwischen unseren beiden Reichen. Der Preis dafür bist du.« Sie blickte ihm unvermindert in die Augen.
»Sind Sie von Sinnen?«, rief Bradley entsetzt. »Wie können Sie so etwas behaupten?«
»Meine Informanten sind absolut zuverlässig und loyal. Dein von dir so verehrter Vater, verschacherte dich für ein Stückchen Land wie gemeines Vieh.«
»Ich werde Ihnen für diese Lüge die Zunge herausschneiden lassen«, rief er aufgebracht.
»Du brauchst ihn nur zu fragen.«
»Niemals würde er Derartiges tun. Ich bin sein Erbe.«
»Ob das in seinen Augen etwas zählt, bezweifle ich«, gab sie kühl von sich.
Nur für einen kurzen Augenblick gedachte Bradley über die Worte seiner Mutter nachzudenken. Doch mit einer verächtlichen Handbewegung wischte er die Gedanken weg. »Mein Besuch bei Ihnen ist vergeudete Zeit«, zischte er böse. »Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen wollen. Ich habe Besseres zu tun, als den neidischen Worten einer Hure zu lauschen.«
Diese Aussage traf schmerzhaft in ihr Herz, denn sie fuhr getroffen zusammen, hielt aber seinem Blick eisern stand. »Achte auf dich, Bradley, und halte deine Augen offen«, schickte sie ihm hinterher, als er ohne weitere Verabschiedung den Raum verlassen wollte. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
»Ich pfeife auf Ihren Schutz, Mutter«, zischte er höchst verächtlich. Das letzte Wort betonte er mit besonderer Geringschätzung. Böse funkelnde Augen bestraften sie ihrer vermeintlichen Lügen. Damit verschwand er endgültig.
Er konnte nicht wissen, dass er eine tief verletzte Frau zurückließ, die schwer mit ihren Tränen zu kämpfen hatte. Die eisern versuchte, den Schmerz zu ignorieren, und ihre Stickarbeit wieder aufnahm, um sich abzulenken, jedoch gegen die salzigen Tropfen, die bald den feinen Stoff durchnässten, keine Chance hatte. Bradley verschloss Augen und Ohren für alles, was sie betraf. Für ihn war sie eine Schande. Er wunderte sich ohnehin, dass sein Vater noch nicht dafür gesorgt hatte, dass diese doppelzüngige Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

2

 Zwei
Bradley ging mit festem Schritt den langen Korridor zum Arbeitszimmer seines Vaters entlang. Er ließ sich Zeit, denn er musste die ketzerischen Lügen seiner Mutter erst verdauen, bevor er ihm gegenübertreten konnte. Ob er ihn darauf ansprach, wusste er noch nicht. Vielleicht tat er es. Viel lieber aber vergaß er diesen Besuch einfach. Fürst Godric mochte es nicht, auf die verstoßene Gattin angesprochen zu werden. Zu schmerzlich war der Vertrauensbruch, den sie ihm angetan hatte. Sein ganzer Stolz und all seine Liebe und Fürsorge galten nun seinem Sohn und Erben.
Bradley von Bearesberg war sich seiner Schönheit und der Grazie, mit der er sich bewegte, durchaus bewusst. Von jahrelangem Training mit Schwert, Bogen und Fäusten, konnte er sich geschmeidiger bewegen als manche Tänzer, die auf den, in der fürstlichen Residenz regelmäßig stattfindenden, Bällen um die Gunst der jungen Damen buhlten. Bradley legte stets Wert darauf, in den kostbarsten Gewändern gekleidet zu sein. Reinste Seide und feinstes Linnen waren das Mindeste, das er an seinen Körper ließ. Er pflegte sich wie ein verwöhntes Muttersöhnchen, obwohl er sich keineswegs davor scheute, sich während eines Kampfes in Schmutz und Morast zu wälzen – den kostbaren Gewändern zum Trotz. Er liebte seine eigene Schönheit und er liebte es, deswegen bewundert zu werden.
Als er das Arbeitszimmer seines Vaters betrat, war das Erlebnis mit seiner Mutter längst weit in den Hintergrund gerückt. Ein hünenhafter Mann in einem kostbar bestickten Hausmantel fuhr hoch, als Bradley eintrat. Bradley hatte ihn schon immer wegen seiner imposanten Erscheinung bewundert und gehofft, dass er eines Tages dasselbe herausragende Erscheinungsbild erhalten würde. Er war auf dem besten Wege dahin. Mit seinem Vater war er inzwischen auf Augenhöhe. Dem Alter, dem Wohlstand des Fürsten und einem Mangel an Freizeit war zuzuschreiben, dass sich neben dem massiven Körperbau auch noch ein paar Pölsterchen angesammelt hatten. In dieser Beziehung hatte Bradley weit mehr von der feingliedrigen Statur seiner Mutter abbekommen, als ihm lieb war. Daher versuchte er verbissen, dem Makel im harten Training wie etwa in Zweikämpfen entgegenzuwirken.
»Bradley«, rief sein Vater aufgeregt. »Wo bist du gewesen? Ich habe dich überall suchen lassen. Komm setz dich! Ich habe etwas Dringendes mit dir zu bereden.« Hektisch wies er auf einen kunstfertig geschnitzten Armlehnstuhl aus Mahagoni neben dem Schreibtisch. Wie oft hatte Bradley dort gesessen und den Ausführungen seines Vaters gelauscht. Auch heute bettete er den Hintern auf das weiche Polster und wartete gelassen auf das, was der Fürst ihm zu berichten hatte.
»Ich ließ mich zu etwas hinreißen, was deine Zukunft beträchtlich verändern könnte«, begann er begeistert. »Es war so einzigartig und vortrefflich, sodass ich zusagte, ohne dies vorher mit dir zu besprechen. Bitte entschuldige, ich handelte vermutlich etwas zu impulsiv, denn das Angebot ist der Lohn für all die Mühe, die du dir bisher gemacht hast. König Torwik aus dem Nordland hörte von deinen hervorragenden Qualitäten als Heeresführer. Er bat mich, dich für eine Weile an ihn zu entleihen, damit du seine Männer auf Trapp bringst. Was hältst du davon?«
Bradley starrte ihn kurz an. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf und er lachte lauthals los. Sein Vater betrachtete ihn fragend und schien eine Absage zu befürchten.
»Was ist daran so erheiternd?«, erkundigte er sich perplex. Die Stirn bildete Furchen. Er blickte ihn maßregelnd an.
»Bitte verzeihen Sie, Vater. Wissen Sie, von woher ich eben komme?«, entgegnete Bradley kichernd.
Der Fürst lehnte sich zurück und wartete stumm die Antwort ab.
»Ich war in Pickleewall«, beantwortete er sich selbst die Frage, ließ sie im Raum stehen, als wäre die Erklärung ausreichend.
Erwartungsgemäß verfinsterte sich das Gesicht des Fürsten augenblicklich. Er wusste ganz genau, wer in Pickleewall wohnte.
»Was wollte sie von dir?«, fragte er unvermindert und mit scharfem Tonfall. Sein Atem beschleunigte sich. Er zog die Stirn in noch tiefere Falten, wartete mit verkniffenem Gesicht ab, was sein Sohn zu berichten hatte. Ihm war jedoch deutlich anzusehen, dass er vor Wut kochte.
Bradley beruhigte sich rasch, doch der amüsierte Ausdruck in seiner Mimik blieb. »Sie wollte mich davon überzeugen, dass Sie Ihren eigenen Sohn für ein Stück Land oben an der Grenze verkauft hätten.«
Die Augen des Mannes weiteten sich vor Entsetzen, schienen diesen Frevel nicht fassen zu können. Jedenfalls deutete Bradley den Gesichtsausdruck entsprechend, suhlte sich in seinen eigenen gehässigen Worten. Dass das Gesicht des Fürsten für einen Moment bleich geworden war, bemerkte er nicht, denn er lehnte sich bequem zurück und blickte zur Decke.
Der Stuhl kratzte kreischend über den Steinboden, als sich der Fürst ruckartig erhob und lospolterte. »Die Intrigen dieser Hure gehen ein für alle Mal zu weit«, rief er wütend und donnerte mit der Faust auf den Tisch. Bradley setzte sich wieder gerader.
»Wie kann sie es wagen solche lästerlichen Anschuldigungen von sich zu geben?«, tobte der Vater. »Das ist unerhört!«
»Sie behauptete, es aus zuverlässiger Quelle erfahren zu haben«, erwiderte Bradley. »Ihre Informanten bestehen scheinbar aus tauben Greisen oder sie sind nicht ganz so loyal, wie sie denkt.« Erneut kicherte er leise vor sich hin.
»Bradley, mein Junge«, wand sich der Fürst zu tiefst besorgt an seinen Sohn. Er kam um den Tisch herum und nahm die Hände des jungen Mannes in die seine, um sie besänftigend zu drücken. »Ich muss dir leider jeden weiteren Besuch bei dieser Frau untersagen, so schwer es für dich vielleicht sein mag. Ich kann es nicht erlauben, dass du dich erneut ihrem schlechten Einfluss aussetzt.«
»Keine Sorge, verehrter Vater«, entgegnete der Sohn leichthin. »Ich hätte ihrer Nachricht niemals Folge geleistet, wenn mich nicht einfach nur die Neugier veranlasste, sie zu besuchen. Ich wollte unbedingt wissen, was so präsent war, dass ich sie unverzüglich aufzusuchen hatte.«
»Sie sandte dir eine Nachricht?«, fragte der Fürst ungläubig.
Wie genau der Brief auf Bradleys Nachttisch gelandet war, konnte er selbst nicht sagen, da sämtliche Bediensteten angewiesen waren, Mitteilungen und Boten von Lady Claire abzuweisen. Das Schreiben hätte demnach sein Ziel niemals erreichen dürfen. Dennoch lag es eines Abends dort. Offenbar gab es unter den Dienern Kollaborateure oder solche, die für einen Obolus gegen strikte Vorschriften verstießen.
Bradley nickte, ging jedoch auf die Frage nicht weiter ein. »Grämen Sie sich nicht länger, verehrter Vater«, beruhigte er ihn. »Ich schenkte keiner ihrer Worte Glauben. Ich bezeichnete sie sogar als Lügnerin.«
Der Fürst lehnte sich an den Tisch, sichtlich erleichtert. »Ich wünschte, ich könnte sie hinrichten lassen, damit diese Intrigen ein für alle Mal aufhören.«
»Was hält Sie davon ab?«, wollte Bradley kaltblütig wissen.
Ein winziges Schmunzeln huschte um die Lippen des Fürsten. War er erfreut darüber, dass sein Sohn die eigene Mutter mit der verächtlichen Gleichgültigkeit behandelte, die er auch einem faulen Apfel zuwenden würde? Bradley wunderte sich jedenfalls bereits seit Jahren, dass er dieser intriganten Frau nicht schon längst das Handwerk legte.
»Der Mob da draußen liebt sie trotz allem«, erklärte der Fürst mit hängenden Schultern. »Sie hilft Armen und Notleidenden und begibt sich in deren erbärmliche Unterkünfte, um ihnen Essen und Kleidung höchstpersönlich zu überbringen. Sie spielt die Erlöserin und beschämte ihren eigenen Ehemann. Wie kann ein Volk sie nur trotzdem lieben? Ich würde meine Stellung verlieren, wenn ich sie öffentlich anklagen und hinrichten ließe.«
»Sie sind der Fürst dieses Landes und der Herr über das Volk. Ihr Wort gilt. Wie können Sie sich über die Meinung verwahrloster Bauern grämen?«
»Es ist nicht so einfach, wie du denkst«, erwiderte der Fürst und legte seinem Sohn die Hand mit einer gut gemeinten Geste auf die Schulter. »Du bist jung und heißspornig, aber in gewissen Dingen noch unerfahren. Ein ganzes Land zu regieren ist weitaus schwieriger, als einen Haufen Soldaten in eine Schlacht zu führen.« Beinahe liebevoll tätschelte er die Schulter. »Doch ich bezweifle nicht, dass du es eines Tages ebenfalls lernen wirst. Man muss die Meinung seines Volkes respektieren, um es zufrieden zu stellen und zu bekommen, was man von ihnen verlangt. Weißt du, die erbärmlichen Bauern sind der Grundsockel unseres Thrones. Ohne sie würde er im Schmutz stehen.« Damit entblößte er zwei Reihen weißer Zähne.
»Ich werde es mir merken, Vater«, gab Bradley lächelnd von sich.
»Wirst du nun nach Norden gehen?«, fragte der Fürst und zog seine Hand zurück.
»Für wie lange?«
»So lange wie du brauchst, um aus dem Haufen Wilde zivilisierte Krieger zu machen«, antwortete er mit einem listigen Grinsen.
»Ich werde es mir überlegen«, erwiderte Bradley und erhob sich.
»Ich wüsste nicht, was es zu überlegen gäbe«, entgegnete der Vater unschuldig. »Ich hielt dies für eine ausgezeichnete Gelegenheit, dein Können unter Beweis zu stellen. König Torwik ist unser Freund und so gab ich ihm bedenkenlos dein Einverständnis.«
Bradley starrte ihn wortlos an. Er hasste es, wenn über ihn entschieden wurde, ohne ihn zu fragen. »Ich werde es mir überlegen«, wiederholte er fest entschlossen, sich nicht drängen zu lassen. Damit verließ er den Arbeitsraum.
Groll wuchs in ihm empor. Er war es nicht gewohnt, sich Befehlen zu unterwerfen. Sein Vater ließ ihm weitgehend freie Hand, schrieb ihm nur selten etwas vor, wenn überhaupt, bestand er lediglich auf die Einhaltung von gesellschaftlich bedeutenden Vorgehensweisen. Dass er nun für ihn entschieden hatte, gefiel ihm gar nicht. Die Herausforderung lockte ihn mehr als er zuzugeben vermochte, hinterließ jedoch einen bitteren Nachgeschmack.
Er hörte noch die kleine Messingglocke bimmeln, die auf dem Tisch seines Vaters stand. Ein Diener, der im Korridor neben der Tür gewartet hatte, wandte sich um und schlüpfte hinter Bradley ins Arbeitszimmer.
Der junge Fürstensohn blieb stehen, lauschte ins Innere, doch die massiven Türen ließen keinerlei Laute nach außen dringen. Insgeheim wünschte er sich, sein Vater würde endlich mit Lady Claire kurzen Prozess machen. Oder König Torwik mitteilen, dass sein Sohn noch Bedenkzeit benötigte.
Nein. Er konnte seinen Vater nicht so bloßstellen.

3

 Drei
Es war für Bradley nicht möglich, sich anders zu entscheiden. Sein Stolz und sein Ehrgeiz billigten keine Absage. So zog er mit einigen Männern nach Norden, um den schwarzen Wilden zu zeigen, wozu ein Bearesberg fähig war. Obwohl ihm bei den Vorbereitungen und auf der fast 15-tägigen Reise immer wieder mal Zweifel kamen, stand er zu seinem Wort.
Auf einem Hügel vor der Stadt hielt er an und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Auf dem Weg hatte er viele verschiedenen Landschaften gesehen, hatte reißende Flüsse überquert, sich durch beinahe undurchdringliche Wälder gekämpft, war im strömenden Regen durch morastige Sümpfe gewatet und musste im Eisregen einen steilen Geröllhang hinaufklettern. Die Landstriche waren immer karger und freudloser geworden, je weiter er in den Norden kam. Aus üppigen Blumenwiesen wurden trostlose Steinwüsten. Dichte Wälder verwandelten sich in Steppen aus kümmerlichem Buschwerk. Die verschwenderische Blütenpracht des Südens schwand zusehends. Im Norden wuchsen lediglich winzige Flechtgewächse, deren stecknadelgroße Blütenkelche nicht weit aus dem Blattwerk herausragten. Die Luft war deutlich kälter und feuchter geworden. Der Sommer stand bevor, doch Bradley fror und musste den Kragen hochziehen, um sein Gesicht vor dem Wind zu schützen. Er schob all die finsteren Gedanken beiseite, die die Umgebung in ihm hervorrief, und konzentrierte sich auf seine strahlende Zukunft als Heerführer der Nordmannarmee.
Frohen Mutes trieb er sein Pferd an und ritt den Hügel hinunter, in die Ansiedlung, die dem Schloss König Torwiks zu Füßen lag.
Der Wohnsitz des Herrschers saß inmitten der Stadt wie ein verrußter Felsbrocken, drohend und unheimlich wie die Bewohner, die ihn umringten. Auf einigen Türmen wehten schwarze Fahnen. Der bevorzugte Schmuck des Königs schien allerdings die Gebeine seiner besiegten Feinde zu sein, die auf langen Stangen auf den Schlossmauern hingen und wie Mahnmale auf die Bewohner unter ihnen herunterblickten. Ein Beweis mehr für die Primitivität der Nordmänner. »Kein Wunder«, sagte sich Bradley leise murmelnd. »Bei diesem Anblick kann wahrlich keine Freude aufkommen.«
Vor den Stadttoren traf er auf weitere lange Stangen mit aufgespießten Skeletten, die die Zufahrtswege begrenzten wie gruselige Willkommensspaliere. Die leeren Augenhöhlen dunkel wie die Nacht und den Mund zum Todesschrei aufgerissen, schien diese absonderliche Begrüßung jeden Reisenden zu warnen und zu zeigen, was mit ihnen passieren würde, wenn sie gedachten, Ärger zu machen. Nur für einen Moment überwältigte Bradley kaltes Grauen, doch er schüttelte es rasch ab.
Finster aussehende Gestalten wichen zur Seite, säumten die Straße und entließen ihn nicht aus ihrem Blick, bis er um die nächste Ecke bog. Bradley konnte die Nordleute eigentlich nicht ausstehen. Er hielt sie für so wenig zivilisiert wie einen verwahrlosten Straßenköter. Er hatte sich jedoch bereit erklärt für einige Zeit ihr Lehrer zu sein, so musste er seine Meinung für sich behalten und Stärke zeigen.
Ein Trupp Reiter kam ihm entgegen, als er durch das Stadttor kam. Und bald wurde Bradleys Zug von finsteren, Schrecken verheißenden Gestalten eskortiert. Er sah seine Meinung bestätigt, als er die Soldaten betrachtete. Der König hielt es nicht einmal für wichtig, seine Leute gleich zu kleiden. Wie konnten sie in einer Schlacht nur zwischen Feind und Freund entscheiden?, fragte sich Bradley. Doch er würde diesen Pelz tragenden Hünen bald Zivilisation und Disziplin beibringen, dessen war er sich sicher. Die meisten der Reiter trugen eingeschwärzte Felle und Helme, die bei einem Kampf Mann gegen Mann hinderlich waren oder gar ins Gesicht rutschten und die Sicht verdeckten. Kopfschüttelnd überlegte sich Bradley, wie er den König von der Notwendigkeit einer zweckmäßigen Uniform überzeugen konnte.
In den Straßen der Stadt wurden ebenso verwahrloste und finstere Gestalten zur Seite gedrängt. Sie schimpften, fügten sich aber und blickten dem Trupp mit drohendem Blick hinterher. Bradley fragte sich, ob dies eine typische Mentalität der Nordmänner sei. Keiner begrüßte ihn freudig oder betrachtete ihn neugierig. Offenbar stellte eine Störung ihres normalen Tagesablaufs lediglich ein lästiges Übel dar. Vergnügungen schien es nicht zu geben, zumindest nicht in diesem Sinne.
Das Innere des Schlosses bot weitaus mehr Schmuck und Zierde. An den Wänden hingen dicke Teppiche und kostbare Gemälde – offenbar Beutestücke aus Raubzügen. Denn einige der Bilder besaßen Kratzer und Scharten, die offenkundig von unsachgemäßem Transport oder Lagerung herrührten. Zahlreiche Fackeln leuchteten beinahe jeden Fleck des Schlosses aus. Schwarzer Rauch ging von ihnen aus und färbte die Decken der Korridore und Gänge dunkel und unheimlich. Das Mobiliar schien aus mehreren Geschmacksrichtungen, Stilen und Epochen zusammengewürfelt oder vielmehr zusammengestohlen zu sein. Der junge Fürstensohn ging mit einem abschätzenden Lächeln an all den Reichtümern vorbei. Die Nordmänner schienen nicht nur Nachhilfe in Kampfkunst zu benötigen, sondern auch in der Art und Weise, wie sie sich einrichten mussten.
König Torwik war ein überragender und Furcht gebietender Mann, ebenso wie seine Gefolgsleute. So schmückte er sich mit Tierfellen und einem lächerlichen Helm, sodass sich Bradley die Angelegenheit mit der Uniform für später aufhob. Der junge Bearesberg mit seinen leuchtenden, blonden Haaren und seiner mit glitzernden Edelsteinen besetzter Kleidung, stach aus der Menge Gäste, die sich vor dem Thron des Königs versammelten, so gewaltig heraus wie eine Fackel in einer mondlosen Nacht. Bradley grinste und war sich seiner Wirkung bewusst. Stolz erhobenen Hauptes schritt er auf den Herrscher zu und beobachtete die Leute, an denen er vorbeischritt aus den Augenwinkeln heraus. Jeden einzelnen fragenden Augenaufschlag, jeden einzelnen verwunderten Blick, registrierte er. Auf der Reise hatte er mehrmals darüber nachgedacht, ob er das wirklich Richtige tat, doch nun, in Anbetracht der staunenden Gäste, hielt er seine Entscheidung für die einzige, die je hätte fallen dürfen. Der Glanz des bevorstehenden Ruhmes begann ihn zu blenden.
König Torwik unterbrach die Audienz, derer er im Moment beiwohnen musste, erhob sich und ging dem jungen Krieger entgegen. Er nahm ihn in die Arme wie einen alten Freund und tätschelte ihm freundschaftlich die Schulter. Bradley rümpfte die Nase in Anbetracht des ranzigen Geruches seines königlichen Felles. Doch er zwang sich dies nicht anmerken zu lassen.
»Der junge Bearesberg, nehme ich an«, rief Torwik beglückt. Er brachte jedoch wieder etwas Abstand zwischen sie und beäugte ihn eingehend. »Seid mir nicht böse, aber ich habe jemanden erwartet, der nicht mehr grün hinter den Ohren ist. Aufgrund dessen, was man von dir erzählte, hielt ich dich für einen gestandenen Mann. Du bist ja noch ein Kind.«
Bradley schluckte seinen verletzten Stolz hinunter und würgte den Groll ab, der sich beißend und ätzend wie Gärsaft die Kehle emporranken wollte und hob sein Kinn an. »Ich bin der Beweis dafür, dass es kein vollgefressenes Mannsbild braucht, um eine ruhmreiche Armee anzuführen.« Er kämpfte darum, der Stimme Gelassenheit zu geben. Innerlich brodelte seine angekratzte Ehre gewaltig. »Ich bin 23 Jahre alt und besitze genug Verstand und Können, dass die Kunde meiner ruhmesreichen Taten bis zu euch gelangen konnte. Ich mag grün aussehen, meine Schwerthand ist es nicht.«
Torwik musterte ihn noch einmal eingehend. Schließlich hoben sich seine Mundwinkel wieder an. »Fürwahr!«, gab er überzeugt von sich. »Ich bin hoch erfreut, dass du meinem Hilferuf gefolgt bist.«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun«, entgegnete ihm Bradley höflich und verbeugte sich steif.
»Es wird nicht leicht sein, meinen Männern die Kampfkunst des Südens beizubringen.« Der König grinste. »Aber wenn du nur annähernd so gut bist wie dein Ruf, wird es für dich wohl ein Leichtes sein.«
»Ihr könnt unbesorgt sein«, erwiderte Bradley selbstsicher lächelnd.
König Torwik drehte sich um und winkte einen seiner Gäste zu sich. »Das hier ist mein Neffe Klarik«, stellte er ihm den Mann in dickem schwarzen Pelz und kürbisgroßem Helm vor. »Ihm ist die Horde unterstellt, die ich bis dahin mein Heer nannte. Er wird dir zur Seite stehen und dir bei deiner Arbeit behilflich sein.« Klarik nickte Bradley kurz zu, ließ sich jedoch zu keiner weiteren Äußerung verleiten. Daraufhin erwiderte Bradley den Gruß ebenso wortlos.
»Wenn ihr mich nun entschuldigen wollt, ich muss mich um unaufschiebbare Angelegenheiten kümmern.« Damit tätschelte er Bradley noch einmal kurz auf die Schultern und wand sich dann wieder seiner Audienz zu.
Etwas enttäuscht, nicht gebührender empfangen und nun einfach stehen gelassen zu werden, blickte Bradley dem König hinterher, bis er ein Geräusch neben sich vernahm. Klarik räusperte sich kurz, um die Aufmerksamkeit des Südländers zu erlangen und ging dann ebenso wortkarg wie bisher an ihm vorbei. Er bahnte sich einen Weg durch die wartenden Gäste und schien kein Interesse mehr an seinem neuen Lehrmeister zu haben. An der Tür blieb er jedoch stehen und wartete, bis Bradley begriffen hatte, dass dies eine Aufforderung war, ihm zu folgen. Schulterzuckend und kopfschüttelnd spazierte Bradley wieder aus dem Saal und folgte dem Schwarzbepelzten. Klarik führte ihn eine Treppe empor, einige Korridore entlang und hielt schließlich vor einer Tür an.
»Das sind Eure Gemächer«, bellte er kurz, öffnete die Tür und drehte sich wieder um, um ihn dann einfach stehen zu lassen.
Unverschämter Kerl, schimpfte Bradley im Stillen, behielt seinen Groll jedoch für sich. Es hatte keinen Zweck sich wegen einer unverhältnismäßigen Behandlung aufzuregen. Er war müde von der langen Reise und sehnte sich nach einem Bad und einem Bett. Beides fand er in seinen neuen Räumen vor.
Er genoss es sichtlich, als er in einer Wanne mit duftendem, heißem Wasser lag und von blutjungen Mädchen eingeseift wurde. Sie kicherten und tuschelten miteinander und tauschten vielsagende Blicke aus. Doch Bradley ließ sich dadurch nicht weiter stören. Vermutlich erwarteten sie von ihm, dass er sich anschließend eine nach der anderen vornahm, da sie sich, je länger das Bad dauerte, immer mehr entblätterten. Bradley weigerte sich, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Er brauchte seinen Kopf für weitaus wichtigere Dinge und schickte die halbnackten Mädchen kurzerhand weg.
Es war einfach nicht sein Stil.
Er empfand keine Leidenschaft, kein Feuer, kein Verlangen danach, sein Vergnügen im Schoß einer Frau zu suchen. Natürlich hatte auch er es versucht, als die jugendlichen Triebe erwachten und sich die Dienerinnen darum stritten, vom Fürstensohn entjungfert zu werden. Allerdings bemerkte er rasch, dass es ihm nicht die Erfüllung brachte, die er sich dabei vorstellte. Es wollte sich in ihm nicht dieselbe Begeisterung entwickeln, die bei seinen Freunden oder bei Gleichaltrigen aufkam. Es ödete ihn sogar an, weswegen er noch vor dem achtzehnten Lebensjahr entschloss, auf jene Frau zu warten, die sein Herz wie auch seine Lenden zu entflammen vermochte.
Dabei hatte er noch keinerlei Vorstellungen, wie sie aussehen oder sein sollte. Sie durfte nur nicht so sein wie seine Mutter, auf keinen Fall so verlogen, verleumderisch und falsch.

4

 Vier
Ihm wurde ein Trupp von dreihundert bepelzten Männern unterstellt, die er persönlich zu unterrichten hatte. Klarik stellte sie als die Besten des nordischen Heeres vor. Ungläubig beäugte Bradley beinahe jeden Einzelnen. Dass sie zu kämpfen verstanden, bezweifelte er keinen Augenblick. Doch ihre ordinäre Art, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, entsprach wahrhaftig nicht der einer vernünftigen und erfolgreichen Kriegsstrategie. Es versprach, eine Menge Arbeit zu werden.
Als Erstes konnte Bradley tatsächlich eine Vereinheitlichung der Kleidung erwirken. Die Nordmänner trugen, neben dem schwarzen Fell als Weste oder Mantel und einem rockähnlichen Überwurf um die Hüften, eigentümliche Beinkleider. Dabei handelte es sich um eine Art lederne Strümpfe, die sich zur Innenseite der Oberschenkel öffneten und somit den unteren Torso freiließen. Schnallen, die an einem Gürtel befestigt waren, verhinderten, dass sie verrutschten. Diese Art von Hosen diente, wie sich Bradley sagen ließ, ausschließlich zum Schutz vor Kälte und dass sie sich beim Reiten nicht die Beine wund scheuerten. Bei sommerlichen Temperaturen verzichteten sie darauf und trugen lediglich den für Männer untypischen Rock – mit nichts darunter.
Er erreichte zudem, dass alle Kämpfer die gleiche Farbe für ihren Überwurf benutzen mussten. Da schwarz ihre Lieblingsfarbe zu sein schien, entschied sich Bradley hierfür.
Da er ihnen ihre großen Helme, die Dämonengesichter darstellen sollten, nicht gänzlich nehmen konnte, ließ er sich eine besondere Helmart einfallen. Diese war wesentlich kleiner und weniger hinderlich als die Übliche. Zu König Torwiks Entzücken hatte er die Helme mit dem Symbol eines alten nordischen Kampfgottes als Patron versehen. Er war begeistert und so wies er seine Schmiede an, das Heer mit der neuen Kopfbedeckung auszustatten.
Als Nächstes tauschte Bradley die Keulen, Äxte und Prügel gegen Schwerter und Speere. Er unterrichtete zunächst eine Handvoll ausgesuchter Kämpfer und seufzte müde, als er den Kämpen den Gebrauch einer Klinge erst erklären musste. Die nordischen Krieger standen ihm in Mut und Ausdauer keineswegs nach. Was ihnen fehlte, war Strategie und logisches Handeln. Sie waren es gewohnt, ihre Gegner mit wildem Gebrüll, grotesken Masken und bedrohlichen Waffen einzuschüchtern und sie bei plötzlichen Ausfällen buchstäblich zu überrennen. Gegen die taktische Kriegskunst der östlichen Länder besaßen sie jedoch nicht die geringste Chance. Für einen Moment fragte er sich überheblich, wie es den Nordmännern nur gelungen war, ihr gewaltiges Reich viele Generationen lang erfolgreich zu verteidigen.
Es lief jedoch immer besser. Die Krieger gaben ihr Wissen an andere weiter und so gelangte die südländische Kampfkunst bis hinunter zum schwächsten Mitglied der Truppe.
Als Bradley nach einigen Wochen und Monaten der Meinung war, sie seien bereit, um auf das Schlachtfeld geschickt zu werden, inszenierte er Auseinandersetzungen mit den östlichen Heeren. Die Ostleute und die Nordmänner lagen in ständigem Streit um ihre Grenzgebiete. Dies kam Bradley gerade recht, um die Qualifikation des ihm unterstellten Trupps zu testen.
Zufrieden blickte er von einem kleinen Hügel auf das Getümmel herab.
Klarik wich ihm während der ganzen Zeit nie von der Seite. Er beobachtete den Südländer ständig, als wolle er ihn kontrollieren. Bradley wurde das Gefühl nicht los, dass sich der Nordmann permanent unter Kontrolle halten musste. Anweisungen nahm er stets zähneknirschend entgegen und die schlechte Laune schien nie von ihm weichen zu wollen. Lächelnd hielt Bradley sein Verhalten für die Reaktion darauf, dass man ihm einen Mann vor die Nase gesetzt hat, der nicht einmal ein Stammesgenosse war. Aber der junge Bearesberg war es als Fürstensohn und Anführer gewohnt, das Murren von Untergebenen zu übergehen.
Er behandelte Klarik wie eine rechte Hand. Sämtliche Befehle gingen über ihn an den Rest des Heeres. Bradley war es wichtig, den Nordmännern das Gefühl zu geben, sie nicht vollständig umkrempeln zu wollen. Er war lediglich ihr Lehrer und irgendwann mussten sie alleine klar kommen. Klarik war zudem ein beeindruckender Bursche, abgesehen von der etwas nachlässigen Körperpflege. Sein scharfer Geruch ließ dem Südländer so manches Mal den Atem stocken. Im Norden zählte man das Baden offenbar nicht unbedingt zu den wichtigsten Tätigkeiten. Zudem besprühten sie sich mit stark riechenden Substanzen, die arg an Kuhpisse oder Schweinedung erinnerten. Es schien eine Eigenart der Nordleute zu sein, Fremde und Feinde sogleich mit ihrem Gestank zu verekeln.
An Klarik bewunderte Bradley, trotz seiner kühlen und distanzierten Art, dessen Kraft und Unbeugsamkeit, die er allein schon mit seiner Erscheinung ausstrahlte. Der Nordmann war ein heroischer Kämpfer, der mehr Wucht in den starken Armen hatte, als Bradley jemals mit harten Training würde aufbringen können. Der dichte Vollbart verbarg viel von dessen Gesicht und erschwerte es, das Alter einzuschätzen. Anhand des listigen Glitzerns in den Augen und den noch schwach ausgeprägten Falten an den Augenwinkeln schätzte Bradley ihn auf 30 Jahre. Klarik war jene Art furchtloser Krieger, den er als Kind bewundert hatte – nach seinem Vater natürlich. Dessen mürrischer Blick aus stets leicht zusammengezogenen, seeblauen Augen, der Bradley nicht einen Augenblick losließ, konnte ihm sogar prickelnde Schauer verursachen. So sehr er aber auch versuchte, den Nordmann zum Freund zu gewinnen, es gelang ihm nicht. Klarik blieb unbeeindruckt, distanziert, kühl und wortkarg, selbst wenn sie nach einer erfolgreichen Schlacht ausgiebig dem Wein zugesprochen hatten. Außerhalb des Schlachtfeldes gab es nichts, womit man ihm ein Lächeln entlocken konnte. Doch Bradley war gewillt, ihn zu knacken, von sich zu überzeugen. Daher entwickelte er immer ausgeklügeltere Praktiken, um die Heere des Westens zurückzuschlagen und neue Gebiete zu erobern.
Bradley liebte das Tosen einer Schlacht. Er genoss das Klirren der Schwerter und das Sirren der Bogensaiten. Genüsslich beobachtete er das Heer Nordmänner, wie es tiefe Schneisen in die Landkarte fraß. Gelegentlich beteiligte er sich selbst an Kämpfen, doch meist überwachte und lenkte er das Geschehen aus sicherer Entfernung und hatte ein Auge auf alle Handlungen seiner Schüler. Er entdeckte, dass zu den südländischen Strategien, die unerschrockene und todesmutige Kampfkraft der Nordmänner kam und sich dies zu einer gefährlichen Mischung entwickelte. Mit diesem winzigen Heer bewirkte er beinahe so viel, wie mit der dreifachen Anzahl von Südländern. Stolz auf sein Werk stürzte er sich vollends in seine Aufgabe. Die ihm unterstellten Kämpen hinterließen immer blutigere Spuren auf ihren Ausfällen.
Als sie einmal hinter einer flüchtenden Einheit herjagten, kamen sie durch bewohntes Gebiet. Die Nordmänner fielen grausam in die Bevölkerung ein, brandschatzten, vergewaltigten und metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte – selbst Kinder, allen voran die männlichen. Bei Geschwistern verschonten sie die Mädchen, zogen sie aber bald zu ihren Müttern in die Hütten, aus denen anschließend Schreie ertönten. Sie benahmen sich plötzlich wieder wie Barbaren. Entsetzt rief Bradley Klarik zu sich.
»Was soll das?«, schimpfte er. »Ruft die Männer zurück!«
Ein kaltes Lächeln erschien auf Klariks Gesicht. Er gab den Befehl jedoch nicht weiter.
»Ich habe ihnen nicht befohlen, sich an der Bevölkerung auszulassen«, wetterte Bradley. »Ruft sie zurück oder Ihr werdet dafür büßen!«
Auch diese Drohung setzte Klarik nicht in Bewegung. »Ihr könnt den Männern doch nicht vorenthalten, was Ihr euch selbst verwehrt«, entgegnete er frech grinsend und in einem Tonfall, der vor Verachtung und Hohn nur so triefte.
»Was soll das heißen?«, wollte Bradley zornig wissen.
Stumm wies Klarik mit dem Kopf auf einen der Nordmänner, der in ihrer unmittelbaren Nähe ein junges Mädchen vergewaltigte. Es war eine Anspielung auf Bradleys Enthaltsamkeit.
»Das ist noch lange kein Grund«, schrie Bradley. »Befehlt ihnen, endlich damit aufzuhören!«
»Ich werde keinen Mann von seinem Vergnügen wegholen«, erwiderte Klarik gelassen. »Gönnt den Männern diesen Spaß. Ihr werdet sehen, sie werden hinterher umso besser kämpfen.«
»Ich werde mich bei Eurem Herrn über Euren Ungehorsam beschweren«, drohte Bradley böse.
»Nur zu«, riet ihm der Nordmann lächelnd zu. »Ich wette, er wird Euch auslachen.«
»Euch wird das Lachen schon noch vergehen«, zischte Bradley und trieb sein Pferd an, um dem Mädchen zu Hilfe zu eilen.
Klarik gab seinem eigenen Tier die Fersen, worauf es einen Satz vorwärts machte und sich dem von Bradley in den Weg stellte. »Solltet Ihr es wagen einzugreifen, werdet Ihr nichts mehr zu lachen haben«, drohte er böse.
»Ach ja?«, schrie Bradley, stieß die Hacken in die Flanken seines Tieres und zog die Zügel hoch, sodass es hochstieg. Vor Schmerz schlug es mit den Vorderhufen aus. Klarik holte augenblicklich mit dem Schwert aus und erwischte den jungen Bearesberg nur knapp an der Schulter.
Entsetzt starrte Bradley auf die kleine Schnittwunde. »Wie könnt Ihr es wagen?«, zischte er wütend und zog ebenfalls seine eigene Waffe.
»Ich kann mit Sklaven walten, wie ich will«, erwiderte Klarik nicht minder gereizt. Zu lange schien er sich zurückgehalten zu haben. Nun brach etwas aus ihm heraus, das er nicht mehr so einfach kontrollieren konnte. Er brüllte wütend auf, schwang die Waffe herum, ließ sie jedoch kurz vor Bradley sinken, riss die Zügel zur Seite und trieb seinen Gaul an. Offenbar gedachte er, sich an den Vergnügungen zu beteiligen.
»Bleibt stehen!«, schrie ihm Bradley hinterher. »Wie war das eben?« Er packte die Zügel des anderen Tieres und bremste es ab. »Würdet Ihr das bitte wiederholen?«, forderte er barsch.
»Was wollt Ihr hören?«, gab Klarik, wieder vollkommen Herr seiner selbst, von sich.
»Ich bin keiner Eurer verlotterten Sklaven und ich verbiete Euch, jemals so über mich zu reden!«, herrschte Bradley und hob ihm zur Unterstreichung seiner Worte die Schwertspitze an den langen Bart.
»Das glaubt Ihr«, gab Klarik höhnisch von sich. Wieder einmal schien er kurz davor zu sein, zu explodieren. Sein bärtiges Kinn bebte vor Anspannung. Die Augen waren zu dünnen Schlitzen verengt. Abgrundtiefe Verachtung sprudelte aus ihnen hervor und traf Bradley schlimmer, als er sich eingestehen wollte. »Ihr seid ebenso ein jämmerlicher Sklave, wie die hier es bald sein werden.« Ein gefährliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Der Blick huschte kurz zu den panischen Bewohnern des Dorfes, um zu erkennen zu geben, wen er mit ›die hier‹ gemeint hatte. »Glaubt Ihr allen Ernstes, Ihr seid lediglich ausgeliehen worden, um uns zu unterrichten?« Klarik lachte auf. Die Schwertspitze unter seinem Kinn schien ihn nicht im Geringsten zu stören. »Der Preis für einen guten Feldherrn war ein Stück Land«, spie er Bradley verhasst ins Gesicht und verfiel in ein glucksendes Lachen, obwohl ihm der drohende Tod buchstäblich an der Gurgel saß.
Fassungslos starrte Bradley den Nordmann an. Wie naiv war er nur gewesen. Seine Mutter hatte also die Wahrheit gesagt. Grenzenlose Wut und rasender Zorn keimten plötzlich in ihm auf. Doch ehe er zustoßen konnte, schnellte Klariks Fuß hoch und trat Bradleys Reittier so heftig in die Schulter, dass es erschrak, stolperte und samt Reiter stürzte. Fluchend kroch Bradley unter dem Tier hervor und wollte sich sogleich wieder auf den Nordmann stürzen. Währenddessen hatte Klarik einigen Männern ein Zeichen gegeben. Sie warfen sich auf Bradley, entwaffneten ihn und nagelten ihn mit ihrem Körpergewicht auf dem Boden fest. Klarik stieg seelenruhig aus dem Sattel und spazierte zu dem gefangenen Südländer.
»Ihr seid nicht mehr wert als ein Stück Vieh«, zischte Klarik.
»Demnach seid Ihr wohl der Ziegenhirt«, konterte Bradley und versuchte sich zu befreien. Ein harter Tritt in die Seite ließ ihn innehalten.
»Benehmt Euch vor dem Ziegenhirten«, ermahnte Klarik. »Sonst könnte es sein, dass ich auf die Idee komme Euch zu melken.« Damit fielen seine Krieger in schallendes Gelächter. Bradley spuckte angewidert aus. Ein nächster Tritt folgte, worauf der junge Bearesberg mit einem Ächzen zusammenfuhr und jeden weiteren Kommentar hinunterschluckte.
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Vor der Tür des Saales mit der riesigen Holztafel, an der König Torwik außerhalb der Mahlzeiten die Regierungsgeschäfte abwickelte, entstand Aufruhr. Bradley hatte sich wie ein geprügelter Hund zurückführen lassen, doch an der Tür platzte ihm der Kragen. Er stieß seine Bewacher fort, wollte hoch erhobenen Hauptes in den Saal eintreten. Ein Gerangel brach los. Männer brüllten durcheinander, Gegenstände wurden umgeworfen. Die Nordmänner versuchten, ihren Gefangenen wieder in ihren Gewahrsam zu bringen. Bradley wehrte sich nach Leibeskräften, schaffte es tatsächlich, sich loszueisen und die Tür aufzuwerfen. Wutentbrannt stürmte er in den Saal. Der nachfolgende Klarik bemühte sich nicht sonderlich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Breit grinsend marschierte er hinterher und zupfte ihn nur hin und wieder zurück, um offenbar den Schein zu wahren, dass er ihn noch unter Kontrolle hatte.
»Ist das wahr?«, brüllte Bradley den König an. »Ihr habt mich gegen ein Stück Land eingetauscht?«
Torwik suchte den Blick seines Neffen. Dieser starrte unvermindert zurück. Er machte keinen Versuch, den Verrat abzustreiten.
»Ist das wahr?«, schrie Bradley hysterisch, als die Antwort ausblieb.
»Mein junger Bearesberg, so beruhige dich doch«, gab Torwik seelenruhig von sich. »Ich hatte eigentlich vor, dich vor dieser schrecklichen Wahrheit zu bewahren. Deine Arbeit sollte nicht durch trübe Gedanken leiden. Du hast Wichtigeres zu tun.«
Also doch! Bradley kochte innerlich vor Zorn. »Ich werde unverzüglich abreisen«, entschloss er kurzerhand. Keinen Deut länger wollte er bleiben. Nicht unter diesen Umständen.
»Mein Junge«, beruhigte ihn der König. »Ich bezweifle, dass dein Vater durch deine Rückkehr das Land zurückgeben wird. Es ist zu wichtig für ihn. Siehst du …« Er erhob sich aus seinem Stuhl und ging ein paar Schritte auf den vor Wut zitternden Bradley zu. »Diese Idee stammte nicht von mir. Ich weiß deine Fähigkeiten zu schätzen und werde sie nicht mehr missen wollen. Dein Vater wollte dieses Stückchen Grund und Boden schon immer haben und er wusste, wie sehr ich deine Leistungen auf dem Schlachtfeld bewundere. So bot er dich im Tausch gegen diesen Landstrich an. Es wäre deshalb falsch, deine Wut an mir auszulassen. Ich für meinen Teil machte bei diesem Handel das schlechtere Geschäft.«
Dies genügte, um Bradley vor Wut schier platzen zu lassen. Er ging auf den König los und hätte ihn auch getroffen, wenn Klarik nicht auf der Hut gewesen wäre. Blitzschnell sprang er herbei, fing den Südländer ein wie ein ungezogenes Balg. Gegen die starken Arme des Nordmannes hatte der wild zappelnde und strampelnde Kerl keine Chance. Klarik gab ihn auch nicht frei, als Bradleys Kräfte nachließen.
Geduldig wartete Torwik ab, bis wieder Ruhe im Saal eingekehrt war. Nach einem tiefen Atemzug sprach er weiter.
»Ich denke doch, dass du dich nach einer gewissen Zeit hier gut einleben wirst«, versicherte ihm Torwik mit väterlichem Tonfall. »Mein Neffe wird dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt und du ungehindert deine Arbeit verrichten kannst.«
»Einen Dreck werde ich tun«, brüllte Bradley.
»Na, na«, mahnte Torwik. »Du wirst doch nicht unartig werden. Ich müsste sonst veranlassen, dass dir der Hintern strammgezogen wird und dies möchte ich dir nicht unbedingt antun. Es ist äußerst demütigend für einen erwachsenen Mann, über eine Streckbank gespannt, den Allerwertesten vertrimmt zu bekommen.«
Bei diesen Worten kicherte Klarik leise. Er verstummte jedoch, als ihn der König mit einem strafenden Blick versah.
»Du bist immerhin mein Eigentum«, fuhr Torwik fort. Dies betonte er mit einer Genugtuung, die Übelkeit in Bradley aufkommen ließ. »Und mit meinem Eigentum kann ich verfahren wie mir der Sinn steht. Kostbares bewahre ich gut. Ich würde dir daher raten, dich in dein Schicksal zu fügen und zu tun, was man dir aufträgt.«
Bradley keuchte. Die Augen funkelten zornig. Er biss sich auf die Lippen, um sich die Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, zu verkneifen. Klariks Griff schmerzte, doch dies ließ er ungeachtet. Was ihn bis tief ins Mark verletzt hatte, war der Verrat des Fürsten an seinem eigenen Fleisch und Blut. Er schalt sich, die Warnung seiner Mutter nicht ernst genommen zu haben. Nun war es zu spät.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, ergriff der König erneut das Wort. Er nickte seinem Neffen zu, worauf dieser den Gefangenen augenblicklich freigab. Noch bevor er ihn gänzlich loszulassen vermochte, entriss sich Bradley ihm. Klarik machte keinen Versuch, sich den Südländer erneut zu unterjochen. Er erkannte, dass er nicht mehr tiefer gekränkt werden konnte. Bradley kannte nun seinen Rang und würde sich früher oder später seinem Schicksal ergeben.
»Ich denke doch, dass du nun wieder an deine Arbeit gehen kannst«, gab Torwik von sich. Er ging zurück zu seinem Sitzplatz. »Du kennst nun deine Stellung und wirst dich fügen.« Damit winkte er den Südländer fort und gedachte, die unterbrochene Tätigkeit wiederaufzunehmen.
Bradley blieb stehen und starrte ihn zornig an.
»Hast du noch einen Wunsch auf dem Herzen?«, fragte Torwik unschuldig. »Wie wäre es, wenn ich dir einen persönlichen Wunscherfüller zuweise, damit es dir wirklich an nichts mangelt?« Seine Frage glich mehr einem Befehl, den Aufpasser unbedingt anzunehmen, denn einem Vorschlag. »Ich bin sicher, Klarik ist bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Nicht wahr, mein Neffe?« Dieser nickte frech grinsend.
Bradley wandte sich kurz nach ihm um. Sein Blick war tödlich. Er bezweifelte, dass mit Wunscherfüllung wirklich das gemeint war, was es besagte, sondern eine sehr weit hergeholte Bezeichnung für einen Kerkermeister. Was er am wenigsten brauchen konnte, war ein Aufpasser. Das hatte er schon als Kind verabscheut und war seinen Zofen und Lehrern immer wieder entwischt. Am liebsten würde er jedem einzelnen im Saal die Augen herauskratzen oder ihnen mit dem Schwert die Kehlen durchtrennen. Er bezweifelte jedoch, dass es ihm auch nur bei einem gelingen könnte.
Krampfhaft beherrschte er sich und verbeugte sich steif vor dem König. »Ich bin Euch für Eure Großzügigkeit unendlich dankbar«, gab er emotionslos von sich. Dann drehte er sich wortlos um und wollte den Saal verlassen. Klarik stellte sich ihm in den Weg. Sein breites Grinsen verriet, dass er den Südländer fortan keinen Deut mehr aus den Augen lassen würde. Er würde jeden einzelnen Augenblick von Bradleys Leben mit Argusaugen überwachen und ihm gehörig auf die Finger klopfen, falls er es wagen sollte, einen Fehler zu begehen. Dann erst gab er den Weg frei.
Bradley begab sich auf sein Zimmer. Er warf die Tür hinter sich zu und hätte sie beinahe seinem, ab sofort ständig und überall hin folgenden Schatten, vor die Nase geknallt. Klarik schien dies bereits vorher gewusst zu haben und blieb rechtzeitig stehen. Leise öffnete er die Tür und sah Bradley in grenzenloser Wut alles von Tischen, Schränken und Regalen herunterfegen und auf dem Boden zertrampeln. Amüsiert beobachtete er ihn dabei und meldete sich erst zu Wort, als sich sein Schützling einigermaßen beruhigt hatte.
»Ihr werdet den Schaden bezahlen müssen«, meinte er, die Summe oberflächlich abschätzend.
»Verschwindet!«, zischte Bradley böse und hätte ihn mit Blicken erdolcht, wenn er dazu im Stande gewesen wäre. Dann entschied er sich, ihn einfach zu ignorieren. Er ließ sich in einen Stuhl fallen, jedoch nur um gleich wieder aufzuspringen und unruhig im Zimmer hin und her zu wandern. Sein aufgewühltes Blut gewährte ihm keinen einzigen Moment der Ruhe. Die Euphorie für seinen besonderen Auftrag war schlagartig verflogen. Er spürte nur noch Wut, Enttäuschung, Hass und ein klein wenig Scham, weil er so blind gewesen war.
»So gerne ich es täte«, gab Klarik leichtfertig von sich. »Ich kann dir diesen Wunsch leider nicht erfüllen.«
Sein breites Grinsen brachte Bradleys Blut erneut zum Kochen. Doch er zwang sich Ruhe zu bewahren. Er brauchte nun einen klaren Kopf. Er musste nachdenken und einen Fluchtplan aushecken. Je angestrengter er darüber nachdachte, desto stärker keimte der Hass auf seinen Vater auf.
Er hatte ihn verkauft, verschachert, stinkenden Horden in den Rachen geworfen. Die Gedanken rasten ihm wie im Sturm durch den Kopf. Wenn ihn sein Vater in dieser Sache angelogen hatte, wie viel von seinen Worten waren ebenfalls falsch gewesen? War nicht seine Mutter die doppelzüngige Schlange, sondern Fürst Godric von Bearesberg höchstpersönlich? Hatte er sich all die Jahre benutzen und manipulieren lassen?
»Verdammt«, fluchte Bradley leise vor sich hin. »Wie Vieh verkauft. Das lasse ich mir nicht bieten.« Wütend warf er den Stuhl um, auf den er sich vorhin kurz gesetzt hatte. »Verdammt noch mal«, stieß er erneut aus. »Ein einziges Mal sagte sie die Wahrheit und ich Trottel habe ihr nicht geglaubt.« Diesmal trat er nach dem Stuhl. »Aber das werde ich ihm heimzahlen. Ich werde mich dafür rächen«, zischte er leise vor sich hin. Doch dann brüllte er den Zorn aus sich heraus. Er ging zum Fenster, riss es auf und schrie erneut. »Hörst du? Verdammt noch mal, ich werde mich dafür rächen – bis aufs Blut.« Seine geballten Fäuste drohten der Wolkendecke entgegen.
Klarik beobachtete ihn stumm und mit höchst amüsiertem Blick. Er hätte sich vermutlich eher die Zunge abgebissen, als den Südländer davor zu bewahren, sich lächerlich zu machen.
»Wenn er es so haben will, bitte«, rief Bradley, nach wie vor mit sich selbst redend. »Ich spiele mit. Ich spiele sein verdammtes Spiel mit. Aber er wird sich wundern. Er wird sich noch wundern.« Dann funkelte er seinen Beschützer tatenfreudig an. »Wir haben viel zu tun«, rief er und verließ das Zimmer, ohne darauf zu achten, ob ihm sein Schatten folgte. Vermutlich hätte er sich um nichts in der Welt abhängen lassen.

Impressum

Texte: Ashan Delon
Bildmaterialien: Ashan Delon/M.C Coverdesign/Pixabay
Cover: M.C Coverdesign
Lektorat: Ingrid Kunantz, Sarah Barbara
Satz: Ingrid Kunantz
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2019

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