»Hello Baby, come with me!«, trällerte es lautstark durch das Großraumbüro.
Ich zog den Kopf ein und verbarg mich hinter der Pressspanwand, die meine kleine Parzelle umgab wie ein schützender Kokon.
»I love your smile. I like your laugh.«
Ich hielt mir die Ohren zu und tauchte noch tiefer hinter die Holzwand. Verdammt nochmal! Konnte er nicht endlich die Klappe halten? Der Gesang kam näher, denn er wusste ganz genau, wo ich zu finden war.
»It’s great to feel your body. It’s great to hear your voice.«
Den Song hatte er letzte Nacht spontan selbst gedichtet und mir vorgetragen. Mit einer scheußlichen, schwulstigen Melodie und einer noch scheußlicheren Singstimme.
»Hello Baby, it’s time for us.«
Ich knurrte ungehalten. Es reimte sich noch immer nicht.
»Let us sing. Let us f…«
Ich schnellte hoch. »Wage es nicht, es laut auszusprechen!«, schrie ich quer durch den Raum. Aus anderen Parzellen kamen Köpfe hoch. Er verstummte tatsächlich und blickte mich zunächst überrascht, im nächsten Augenblick jedoch mit einem breiten Grinsen an. Warum musste ich auch unbedingt mit ihm letzte Nacht in meiner Parzelle einem Vergnügen frönen, von dem eigentlich niemand etwas wissen sollte?
Er – Micha Grönmeier – der wohl begehrenswerteste Junggeselle in der Agentur, schlenderte kichernd heran und blieb am Eingang zu meiner Parzelle stehen.
»Warum?«, wollte er ohne Reue wissen.
Ich stöhnte laut. Spätestens nach diesem Auftritt würden die Gerüchte um Micha verstummen. Sämtliche Frauen der Agentur würden sich vor Liebeskummer im nächstbesten Fluss ertränken und die schwulen Männer unter den männlichen Kollegen, sich gegenseitig mit einem Schluck Bier Trost spenden. Micha war eine Augenweide, nach der sich die halbe Belegschaft die Finger ableckte. Dass er ausgerechnet mich als Favoriten auserkoren hatte, lag wohl daran, dass ich ihn am gestrigen Abend aus einer misslichen Situation gerettet hatte. Micha war erst seit drei Monaten als Sales-Manager hier und hatte vom ersten Tag an alle verrückt gemacht. Die Frohnatur in par excellence hatte ordentlich frischen Wind in die Agentur gebracht und sämtliche seit Jahren festgelegten Strukturen auf den Kopf gestellt. Dass er umwerfend aussah, über einen Body wie von Adonis entliehen und über ein so entwaffnendes Lächeln verfügte, hatte ihm die Sache extrem leicht gemacht. Binnen weniger Tage hatte er sogar die Firmenführung um den Finger gewickelt und sich so quasi Narrenfreiheit geschaffen, die es ihm womöglich ungestraft erlaubte, laut singend durch das Großraumbüro zu tänzeln und dem Kerl ein Ständchen zu trällern, den er in der Nacht zuvor auf dessen eigenen Schreibtisch gevögelt hatte. Nicht, dass ich auch nur eine Sekunde davon bereute. Micha konnte ficken, dass ich noch Jahre danach davon träumen würde. Mein Arsch zwickte noch immer und erinnerte mich schon den ganzen Tag lang daran, dass ich die Nacht meines Lebens hatte.
Doch leider war Micha sowas wie mein Vorgesetzter und trotz familiärer Atmosphäre in der Agentur tabu.
»Weil es einfach lächerlich und peinlich ist«, gab ich zurück, packte ihn am Arm und zog ihn in die Parzelle. Es gab nur einen Stuhl und auch keine Privatsphäre. Selbst wenn man flüsterte, würden es die Nachbarn noch genau verstehen. Dennoch zerrte ich ihn herein und schubste ihn zum Schreibtisch. Dort hatte er mich in der Nacht festgenagelt, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich spürte die einzelnen Tasten meiner Tastatur immer noch an meinen Arschbacken. »Du kannst nicht singen«, schob ich hinterher. »Außerdem störst du damit den Arbeitsbetrieb.«
In den Nachbarparzellen wurde wieder gequasselt. Telefone klingelten. Tastaturen klapperten. Computer piepsten und einige Drucker summten und ratterten, als sei nichts vorgefallen. Ich bezweifelte dennoch nicht, dass sämtliche Ohren gespitzt waren.
»Komm runter, Tris!«, erwiderte Micha kichernd, schob die Tastatur zur Seite und platzierte seinen knackigen Hintern auf der Schreibtischplatte. Er hockte mir nun genau gegenüber, spreizte die Beine auf eine machohaften Art und Weise und warf mir einen kecken Blick zu. »Ein bisschen Auflockerung ist immer gut.«
»Das ist ein Call-Center«, erinnerte ich ihn entnervt. »Wenn du die Leute mit deinem peinlichen Geträller ablenkst, können sie sich nicht auf die Kundengespräche konzentrieren. Außerdem heiße ich Tristan.« Ich murrte miesgelaunt, schubste seinen Hintern von meinem Schreibtisch und zerrte mir den Schreibtischstuhl zurecht, um mich zu setzen. Dies schien Micha direkt als Aufforderung zu sehen, sich auf meinem Schoß niederzulassen. Rittlings hockte er sich auf meine Schenkel, schlang die Arme um meinen Hals und wollte mir einen Kuss aufzwingen. Doch ich wich ihm aus.
»Schluss!«, presste ich zwischen den Zähnen hervor und schob ihn mit sanfter Gewalt von mir. »Ich bin im Dienst.«
Micha lachte unbeeindruckt, stellte sich aber neben mich und ließ seine Hand in meinen Nacken gleiten, um sanft mit dem Haaransatz zu spielen. »Warum auf einmal so zickig?«
»Hör auf damit!«, bat ich ihn. Mittlerweile musste jeder mitbekommen haben, dass zwischen uns was läuft. Dennoch wollte ich verhindern, was noch zu verhindern war. »Nicht während der Arbeitszeit.«
»So pflichtbewusst?«
Ich seufzte tief. »Du magst nicht auf deinen Job angewiesen sein, ich aber schon«, fauchte ich ihn an. Als telefonischer Berater für die Rubrik Krankenversicherungen verdiente man keine Managergehälter. Ich kam trotzdem gut damit aus. Mein Zubrot und für hin und wieder ein Extra verdiente ich mir am Wochenende mit einem Aushilfsjob in einem Indoor-Sports-Center, wo ich solche Sahneschnitten wie Micha mit aller Ruhe begutachten konnte. Obwohl das Telefonieren nicht gerade ein anspruchsvoller Job war, macht es Spaß. Noch viel mehr, den Muckiathleten beim Stemmen und Trainieren zuzusehen. In beiden Anstellungen kam man mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt.
»Ich sorge schon dafür, dass du nicht gefeuert wirst.«
»Genau darüber haben wir heute Nacht gesprochen«, murrte ich. »Ich will keine Vergünstigungen und keine Sonderbehandlung.«
»Echt?« Micha grinste breit. »Da hatte ich heute Nacht einen anderen Eindruck.«
»Micha!« Meine Stimme klang flehend. »Können wir das später weiterdiskutieren? Ich hab zu tun.« Ich deutete auf meinen Bildschirm, wo mehrere Punkte aufblinkten, Kundenanrufe, die auf einen freien Mitarbeiter warteten.
»Ich auch«, gab er unbeeindruckt von sich. »Aber … Hey Babe, let us …«
»Hör auf!«, fuhr ich ihn an. »Jetzt nicht!« Ich setzte ein ziemlich wütendes Gesicht auf. Auf keinen Fall würde ich mich von ihm um den Finger wickeln lassen. Ich hatte keine Ahnung, was genau er von mir wollte, aber vögeln am hellen Tag, im Großraumbüro und mit fast hundert Arbeitskollegen als Zuschauer und Mithörer, wäre sicher die Krönung für ihn.
»Nun komm schon …!«
»Nein.« Ich packte ihn am Arm und zog ihn einfach mit mir in die Teeküche. Micha wehrte sich nicht dagegen. Vermutlich dachte er, er könnte dort eher zu dem kommen, wovon er eben singen wollte. Kaum in der Küche angekommen, warf ich die Tür hinter uns zu und drückte ihn gegen die Wand daneben.
»Hör auf damit!«, fauchte ich ihn an.
Statt endlich auf mich zu hören, packte er mich am Kragen, wirbelte uns beide herum und drückte nun seinerseits meinen Körper gegen die Tür. Dabei presste er seinen Schritt gegen meinen, rieb sich verführerisch an mir und versuchte, meinen Mund zu einem Kuss einzufangen. Ich wich jedoch geschickt aus und schob ihn energisch von mir.
»Hör auf, Micha!«, fuhr ich ihn ein weiteres Mal an und brachte Abstand zwischen uns. »Ich komm in Teufelsküche, wenn das bekannt wird. Nach Feierabend kannst du mit mir machen, was du willst, aber nicht in der Agentur. Bitte!«, schob ich flehend hinterher.
»Wir haben doch schon gestern hier in der Agentur«, versuchte er, sich zu rechtfertigen.
»Nicht während der Arbeitszeit«, differenziert ich noch einmal betont und schnaufte laut aus. »Bitte!«, flehte ich abermals. »Der Fick war geil und ich bin fast jederzeit für eine Wiederholung bereit. Aber nicht hier.«
»Okay!«, schien es Micha endlich einzusehen. »Heut Abend um Acht. Bei mir oder bei dir?«
Plötzlich interessiert es mich, wie er lebte und was er in seiner Freizeit machte. »Bei dir«, erwiderte ich schließlich. Aufrichtige Freude durchzuckte mich. Micha konnte vögeln, dass einem Hören und Sagen verging. Den sollte ich so schnell nicht von dannen ziehen lassen. Nicht, dass ich auch nur eine Sekunde des gestrigen Erlebnisses ungeschehen machen wollte. Es war der geilste Fick, den ich hatte. Mit jedem harten Stoß konnte ich die Engel deutlicher singen hören. Wenn ich nicht meine verdammte Brille vergessen hätte, die ich allerdings nur für den Computer brauchte, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, wieder ins Büro zu fahren. Aber da ich mir vorgenommen hatte, den Highscore zu knacken, musste es einfach sein. Irgendjemand schien Micha auf dessen Büroetage versehentlich eingesperrt zu haben. Ich entdeckte das Licht nur zufällig und sah nach. Danach gingen wir zu meiner Parzelle, um die Brille zu holen. Als ich mich umdrehte, um die Parzelle zu verlassen, prallte ich direkt auf ihn. Dann ergab irgendwie das Eine das Andere und schon landete ich mit dem nackten Arsch auf meiner Tastatur, die Knie über Michas Schultern gelegt.
Nichts davon würde ich missen wollen. Ich hatte mich lediglich gewundert, dass der Kerl im Büro Gleitgel und Kondome in der Jacketttasche durch die Gegend schleppte. Aber während er es mir so richtig besorgte, war ich froh um die Sachen. Allzeit bereit, hatte er gescherzt. Micha eben.
Und jetzt standen wir uns in der Teeküche gegenüber und schmachteten uns gegenseitig an. Am liebsten würde ich dem Blick nachgeben, bereitwillig auf der Arbeitsfläche die Beine breitmachen und mich von ihm durchvögeln lassen. Allerdings hatten wir noch lange keinen Feierabend. Die sechs Stunden bis dorthin musste ich noch unbedingt durchstehen, ohne mit einem erwartungsvollen Ständer am Schreibtisch zu sitzen.
Micha rückte heran, legte eine Hand in meinen Nacken. Diesmal ließ ich es zu. Auch dass er mich an sich zog und mich küsste. Dies schürte die Vorfreude noch mehr an. Mein Schwanz pochte bereits heiß und lodernd und in meinem Hintern stoben tausende von Hummeln auf. Oh Mann! Das würde echt geil werden.
»Ich freu mich auf dich!«, raunte Micha an meinen Mundwinkeln, rieb noch einmal seinen Ständer an meinem und ließ mich endlich los. Mit einem letzten Lächeln wandte er sich um und verließ die Teeküche.
Mein Herz polterte wild. Ich blieb noch ein paar Minuten stehen, weil ich unbedingt runterkommen musste. Der Kerl verstand es wirklich, einen auf Touren zu bringen. Selbst wenn er sich mit diesem absolut unpassenden Ständchen am späten Vormittag vor versammelter Belegschaft nicht gerade Pluspunkte bei mir verdient hatte, so hatte mir das Lied am gestrigen Abend doch ziemlich geschmeichelt.
Mir wurde heiß und kalt. Ich konnte es kaum noch erwarten.
Ich wirbelte herum und bereitete mir eine Tasse Kaffee zu, um nicht mit leeren Händen zurückzukehren. Kaum hockte ich an meinem Tisch, tauchte auch schon Karstens Kopf über dem Rand der Spanwand auf.
»Echt jetzt? Micha und du? Wie ist das passiert?«
Ich knurrte verhalten. Soviel zu der fadenscheinigen Wunschvorstellung, dass niemand etwas davon mitbekommen haben könnte. Noch bevor ich imstande war, eine Antwort auf die Fragen zu formulieren, verschwand Karsten und kam mitsamt seinem Stuhl um die Ecke gerollt.
»Erzähl!« Karsten war nicht schwul und hatte zu keiner Zeit irgendwelche Ansprüche auf den neuen Sales-Manager gestellt – ganz im Gegensatz zu manch anderen, wie Sabine von ganz hinten in der Ecke hinter dem Fikus, oder Timo, der nun drei Parzellen weiter sicher still und heimlich vor sich hinheulte. Aber er war extrem neugierig und amüsierte sich köstlich über die reichlich brodelnde Gerüchteküche.
»Nein!«, gab ich zurück.«Ein Gentleman schweigt und genießt.«
»Ihr habt echt …?« Karsten ersparte mir das F-Wort. »Wann?«
Ich grinste nur und deutete mit einem Blick auf den Bildschirm.
Karsten gab endlich nach, nicht jedoch ohne mir einen bedeutungsvollen Blick und den gestreckten Daumen hinzuhalten. Mir taten all die anderen Leute leid, denen nun das Herz gebrochen worden war. Aber nun wussten sie Bescheid. Micha war vergeben – an mich.
Acht Uhr. Hibbelig stand ich vor der angegebenen Adresse, die mir Micha in einer internen Mail hatte zukommen lassen. Ich parkte in der Einfahrt, direkt vor der Garage, weil ich annahm, dass Micha für heute nicht mehr irgendwo hinfahren wollte. Wenn doch könnten wir meinen Wagen nehmen. Das Haus war ein ziemlich futuristischer Bau, wirkte wie ein Klotz mit enorm viel Fenstern und hatte sicher einen Architekturpreis gewonnen. Jedenfalls war er sehr beeindruckend. Als Sales-Manager musste man ein Schweinegeld verdienen. Aber das war nicht das, was mich an Micha interessierte, sondern nur er selbst, und dass er mich wieder so fickte, wie in der vorherigen Nacht.
Auch wenn ich davon überzeugt war, dass Micha selbst über einen Vorrat zuhause verfügte, hatte ich mir ausreichend in die Taschen gesteckt. Wenn wir wirklich alles verbrauchen wollten, wäre mein Loch ausgefranzt. Aber das wäre es mir wert.
Ich klingelte. Meine Hand zitterte nervös. Nur einen Augenblick später wurde die Tür aufgerissen und ein in Schale geworfener Micha öffnete mir mit einem umwerfenden, breiten Grinsen. Er musste direkt hinter der Haustür auf mein Kommen gewartet oder bereits vorher mein Auto gehört haben. Im nächsten Moment lag auch schon eine Hand in meinem Nacken und er zog mich ins Haus. Dann folgte sofort ein Kuss, der mir schon auf der Schwelle das Gehirn aushebelte und mich ganz wuschig machte. Nur zehn Minuten später lag ich auf einer schwarzen Ledercouch, mit weit gespreizten Beinen und ließ es mir von ihm besorgen.
Woah! Der Kerl war wie eine Dampframme in mein Leben gestolpert, obwohl er schon drei Monate vorher um mich herumgewuselt war. Okay, ich hatte ihn wie alle anderen angeschmachtet und so manches Mal nervte seine Art. Er war knapp dreißig, benahm sich aber gerade an diesem Vormittag wie ein pubertärer, frisch verliebter Teenager. Aber irgendwie gefiel es mir.
Micha verwöhnte mich, küsste, streichelte und leckte mich. Seine Hände waren überall an mir, fanden zielstrebig empfindliche Stellen und liebkosten mich so, dass er bald nur noch in die Nähe davon zu kommen brauchte, und ich wand mich schon vor Lust. Er wusste genau, wie er mich nehmen musste, um mir mit jedem Stoß einen lustvollen Laut zu entlocken. Ich war wie Wachs unter seinen Händen, hätte mich sicher auch bettelnd zu seinen Füßen geworfen, wenn er es verlangt hätte. Aber Micha war da anders gestrickt.
Er hatte sogar für uns gekocht. Mit brennendem Arsch war es nicht gerade ein Vergnügen, auf dem harten Stuhl zu sitzen und das köstliche Mahl zu genießen. Dennoch fand ich es einfach klasse. Ich begann, mich mit jeder Minute mehr in ihn zu verlieben. Wie ein Sturm kam es über mich.
Wir verbrachten die ganze Nacht miteinander. Am frühen Morgen fuhr ich noch schnell bei meiner Wohnung vorbei, um mich umzuziehen, zu duschen und zur Arbeit zu fahren. Abends verabredeten wir uns wieder bei ihm. So ging es jeden Abend. Sogar das Wochenende blieben wir zusammen, hingen wie Kletten aneinander. Ich nahm ihn mit zur Indoor-Halle, wo wir beide die Kletterwand eroberten. Wobei Micha mit theatralisch, süß, inszenierter Panik wie eine unbeholfene Spinne in den Seilen hing und ich dreimal die Wand hochklettern musste, um ihn zu retten. Es war einfach wundervoll. Als ich ihn Sonntagabend verließ, um mal in meinem eigenen Bett zu schlafen und die dunklen Ringe unter den Augen loszuwerden, war ich davon überzeugt, mich Hals über Kopf in ihn verknallt zu haben. Die Nacht wurde aber ziemlich unruhig, denn er fehlte mir. Ich vermisste seine Nähe, die Wärme seines Körpers, den Atem, die Hände, die spielerisch über mich glitten und seinen geilen Schwanz, der mich in den letzten Tagen mehrmals in den siebten Himmel gevögelt hatte. Dabei will ich betonen, dass ich mich nicht nur auf das Sexuelle reduziere. Es war schön, mit ihm zusammen zu sein. Wir hatten Megaspaß, fütterten uns gegenseitig, schauten eng umschlungen Action-DVDs, zockten Mario-Kart oder joggten sogar gemeinsam nach der Arbeit. Wir waren wie ein Ehepaar. Es gefiel mir und ich hätte nichts dagegen, wenn das noch eine ganze Weile so weiterging.
Am Montagmorgen war jedoch etwas anders. Sein Wagen parkte nicht auf seinem Firmenparkplatz. Es herrschte eine seltsame Stimmung, als ich zu Schichtbeginn kurz vor neun zu meiner Parzelle marschierte. Karsten schob sein Gesicht über die Holzwand.
»Sie haben ihn gefeuert«, wisperte er mir zu. »Fristlos!«
Ich sprang wieder von meinem Stuhl hoch. »Was?« Rasch schnappte ich mir mein Handy und rannte förmlich in die Teeküche. Die Tür flog hinter mir zu. Ich schloss sie ab und wählte bereits Michas Nummer.
Es nahm erst beim dritten Versuch ab.
»Hey«, kam es etwas müde.
»Du bist gefeuert worden?«, bellte ich sogleich. »Wegen uns?«
»Wegen der Sache mit uns, ja«, gab er zu. Seine Stimme klang angespannt.
»Warum ich nicht?« Wenn sie mir auch kündigen wollten, hätten sie mich neben der Festnetznummer sicher auch mobil versucht zu erreichen. Die Firmenleitung hatte meine Handynummer. Aber es war nichts auf der Mailbox.
»Ich habe alles auf mich genommen«, erklärte er. »Mach dir keine Sorgen.«
»Mach ich aber. Wir waren beide daran beteiligt.«
»Du brauchst deinen Job.«
»Hast du denen etwa gesagt, dass du mich dazu gezwungen hast?«
»Nein, dass ich deine Gefühle mir gegenüber ausgenutzt habe.«
»Das ist nicht wahr.« Ich schnaubte entrüstet. »Das hättest du nicht tun müssen.«
»Du brauchst deinen Job eher als ich den meinen. Ich sehe es Möglichkeit an, mich zu verändern. Außerdem habe ich bereits ein Angebot. Also mach dir keinen Kopf.«
»Sehen wir uns heute Abend?«
»Ähm …«, kam es verlegen. »Geht schlecht. Da bin ich schon auf dem Weg nach Bonn … zum Vorstellungsgespräch.«
»Okay.« Ich atmete tief ein. »Wann bist du wieder da?«
»Am Wochenende«, erklärte er.
»Okay«, wiederholte ich, obwohl mir das ganz und gar nicht schmeckte. »Pass auf dich auf.«
»Mach ich, Babe.« Ich hörte das Schmunzeln durch das Telefon und musste selbst lächeln. Dennoch machte ich eine besorgte Note in seiner Stimme aus. Er war nicht so fröhlich wie sonst. Kein Wunder. Er hatte wegen des Stelldicheins mit einem der Operatoren seinen Job verloren.
»Du auf dich auch«, kam es. »Sie haben ein Auge auf dich. Also lass dich nicht bei einem Fick auf deinem Schreibtisch erwischen.«
»Mich fickt nur einer und der arbeitet nicht mehr hier«, gab ich entschlossen zurück.
»Okay!«, kam es diesmal von Micha. Seine Stimme klang trotz allem traurig. »Wir sehen uns am Wochenende.«
»Ich freu mich schon drauf.«
Es klickte in der Leitung, ohne Tschüss oder sonst einer Verabschiedung. Ein komisches Gefühl befiel mich. Sie haben ein Auge auf mich.
Verdammt! Das hätte Micha nicht zu tun brauchen. Es war nichts passiert, das ich nicht selbst gewollt hatte. An so einem Fick waren immerhin zwei beteiligt. Mich traf eine Mitschuld. Dennoch wurde ich nicht belangt. Oder kam Thors Hammer noch über mich?
Die Woche verging, ohne dass mich auch nur einer von der Firmenleitung, dem Personalbüro oder dem Betriebsrat angesprochen hätte. Offenbar genügte es ihnen, wenn sie einen der Unholde entfernten. Da Micha erst drei Monate arbeitete, war er entbehrlicher als ich.
Am Wochenende wartete ich sehnsüchtig auf seinen Anruf. Aber er kam nicht. Ich fuhr Sonntagnachmittag zu seinem Haus. Es war alles dunkel. Niemand ging an die Tür und Micha nahm weder am Festnetz noch am Handy ab. Eine weitere Woche verging, ohne dass ich eine Kündigung oder einen Anruf von Micha erhielt. Ein weiteres Wochenende kam und ging. Ich machte mich schon darauf gefasst, dass es das war, dass er die Schnauze von mir voll hatte oder in Bonn einem Kerl begegnet war, der ihm besser gefiel. Mein Herz blutete, aber ich versuchte, mich damit abzufinden – so schwer es mir auch fiel.
Die dritte Woche brach an. Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag … Die Tage flogen trostlos dahin. Die Nächte waren kalt, leer und einsam. Mehrmals fuhr ich an seinem Haus vorbei. Ihn anzurufen gab ich nach Ende der zweite Woche auf. Er rief eh nicht zurück. Ich hatte sicher seine ganze Mailbox vollgequatscht. Am Freitag gab ich schließlich auf. Es hatte keinen Sinn. Wenn Micha mich wirklich wollte, würde er Wege und Mittel finden, um zu mir zurückzukehren oder wenigstens eine Nachricht zu hinterlassen. Ich war davon überzeugt, dass ich ihn nie wieder sehen würde.
Mit einer Chipspackung neben mir und der Fernbedienung in der Hand, zappte ich mich lustlos am Abend durchs Programm. Ich hatte mir nach Feierabend in einem zwanzig Kilometer-Lauf so die Lunge und den Herzschmerz aus dem Leib gejoggt, dass ich zu fertig war, um durch die Clubs zu tigern. Außerdem brauchte ich für morgen einen klaren Kopf, da in der Sporthalle ein Kinderfest geplant war.
Kurz vor zehn klingelte es. Ich erhob mich schwerfällig. Vermutlich ein Pizzabote, dessen Kunde das Läuten nicht hörte.
»Ja?«, blaffte ich etwas missmutig in die Sprechanlage. Meine Laune hatte auch der anstrengende Lauf nicht bessern können.
»Micha«, ertönte eine bekannte Stimme aus dem Lautsprecher. Sofort hämmerte ich auf den Türöffner und riss die Wohnungstür auf. Der ehemalige Sales-Manager trottete wie ein geprügelter Hund näher, die Hände in den Hosentaschen und hielt den Kopf gesengt.
»Mann, Micha!«, rief ich. Mein Herz klopfte wild. »Wo bist du gewesen? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht? Ich konnte dich nicht mehr erreichen? Wie geht es dir?«
Er blieb vor der Wohnungstür stehen, hob den Kopf an und blickte mir mit ausdrucksloser Miene entgegen. »Ich weiß!«, gab er knapp von sich.
Ich packte ihn am Kragen und zog ihn in die Wohnung. Er sah scheiße aus. Dunkle Ringe unter den Augen, das Gesicht bleich, die Schultern leicht nach vorn gezogen. Ich schälte ihn aus der Jacke. Zeitgleich schlüpfte er aus seinen Schuhen.
»Nun sag schon!«, forderte ich. »Wo bist du gewesen? Hast du den Job? Warum hast du dich nicht gemeldet?« Mir lagen noch tausend weitere Fragen auf der Zunge, doch ich merkte, dass Micha nicht nach reden war.
»Ist jemand gestorben?«
Er schüttelte leicht den Kopf. Seine Mundwinkel zuckten, als amüsierte ihn die Frage, konnte sich jedoch nicht zu einem Lächeln durchringen.
»Nun red schon! Ich kann nicht Gedanken lesen.« Fast schon genervt, nahm ich seinen Arm und zog ihn ins Wohnzimmer, wo ich ihn aufs Sofa schubste und mich ihm gegenüber auf den Tisch setzte. »Rede!« Unsere Knie berührten sich. Mein Herz pochte noch immer wild und brachte damit meinen ganzen Körper zum Beben.
Micha seufzte leise.
»Ich …«, begann er zögerlich und kniff die Lippen zusammen. Seine Hände lagen auf dem Schoß, verfingen sich ineinander, kneteten sich nervös.
»Hast du eine Bank ausgeraubt?« Es sollte eine flapsige Frage sein, die ihn etwas auflockern sollte. Doch Micha knurrte nur verhalten.
»Was auch immer es ist, sags mir. Dann geht es dir bestimmt leichter.«
Er seufzte erneut. »Sie wollten uns beide feuern«, erzählte er. »Zum Glück kam ich viel früher als du ins Büro.« Er knurrte erneut, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und ließ die Hände einen Moment im Nacken liegen. »Es ist immer dasselbe. Sobald ich mich verknalle, drehe ich irgendwie durch. Ich weiß nicht, was dann mit den Synapsen in meinem Kopf passiert, aber ständig bringe ich andere Leute in Schwierigkeiten. Ich konnte den Personalleiter und den Betriebsrat davon überzeugen, dir nicht zu kündigen, und habe alle Schuld auf mich genommen. Ich weiß, dass du deinen Job brauchst. Also hab ich mir den Mund fusselig geredet, um sie davon zu überzeugen, dass ich an dieser Scheiße schuld bin. Sie haben eingewilligt, wenn ich sofort gehe. Ich habe sogar freiwillig auf ein Gehalt verzichtet. Das war eine Scheißidee, das mit dem Lied am Morgen. Aber ich war so happy, bin den Rest der Nacht wie auf Drogen durch die Stadt gelaufen. Ich bin schon seit unserer ersten Begegnung, als man uns einander vorgestellt hat, scharf auf dich, wusste aber nicht, wie ich das anstellen sollte. Dann tauchst du eines spät abends im Büro auf und ich …« Er zischte leise. »Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich wusste ja, dass es nicht gut war, aber ich konnte nichts dran ändern. Es ist immer so … Wenn ich verliebt bin, passieren mir dauernd solche Sachen.« Er kniff noch einmal die Lippen zusammen und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
»Mein letzter Freund«, begann er betrübt. »Ich habe ihn vor seiner Familie geoutet. Er machte immer so ein Geheimnis um seine Familie. Ich dachte, er schämt sich für sie und will sie mir deswegen vorenthalten. Ich wollte ihm beweisen, dass ich keine Vorbehalte habe. Er war bei einer Familienfeier. Ich bin da einfach so reingeplatzt und küsste ihn …« Er atmete tief ein. »Sein Vater prügelte uns postwendend aus dem Haus. Später habe ich erfahren, dass er seinen Sohn krankenhausreif geschlagen und dann irgendwann in seine Heimat zurückgeschickt hat, damit er dort eine Cousine heiratet.« Micha hob den Kopf an. »Und dann ficke ich dich auf deinem Schreibtisch.«
»Der Fehler war nicht der Fick, sondern dein Ständchen am nächsten Tag«, erläuterte ich, rutschte vom Tisch auf seinen Schoß und legte die Arme um ihn. »Wenn dein Gesang wenigstens annähernd gut gewesen wäre, dann hätte es vielleicht was gebracht. Aber der schräge Auftritt war einfach mies.«
Ein Lächeln huschte um seine Lippen. Die Augen glänzten.
»Ich war zuhause«, gestand er verlegen. »Aber ich habe mich nicht getraut, dir aufzumachen oder ans Telefon zu gehen. Ich habe Mist gebaut. Du hast in der Agentur versucht, mich abzuhalten, doch ich überging es einfach.«
»War das mit Bonn eine Lüge?«, wollte ich scharf wissen, einer Ahnung folgend.
Micha nickte lahm. »Sorry, aber ich hatte echt Panik wegen der Sache. Fast hätte dir mein Fehlverhalten den Job gekostet.«
»Hat es aber nicht, weil du es zurechtgebogen hast. Außerdem …« Ich schmiegte mich enger an ihn, rutschte so nahe an ihn heran, dass er meinen Ständer spüren konnte. »Der Job ist nicht die Nummer Eins in meinem Leben, sondern du.«
Sein Blick wurde hoffnungsvoller.
»Warum genau bist du nun gekommen?«
»Ich liebe dich!«, presste er hervor. »Ich wollte dich um Verzeihung bitten und hoffte, dass du mich zurücknimmst.«
»Hast du die ganzen Anrufe auf deiner Mailbox nicht abgehört? Ich bin fast vergangen vor Angst um dich. Ich habe zwei Wochen lang, fast jeden Tag an deiner Tür geklingelt. Ist das nicht Beweis genug, dass ich dich ebenfalls mag?«
»Ich habe mich nicht getraut, die Mailbox abzuhören.«
»Erweckt irgendwas an dem, was wir zuletzt gesprochen haben, den Eindruck, dass ich dir wegen der Sache sauer sein könnte?«
Micha schüttelte den Kopf und ließ ihn dann sinken. Ich nahm das stoppelige Kinn auf meine Finger und hob ihn wieder an.
»Hello, Babe«, sang ich leise und küsste ihn sanft auf den Mund. »Come with me. I love your smile. I like your laugh. Let us f...« Weiter kam ich nicht, weil ein Mund den meinen verschloss, sich Hände auf meinen Rücken legten und mich ruckartig an sich zogen. Ein harter Ständer leistete Widerstand und drückte sich gegen meinen. Im Kopf sang ich weiter, ließ mir den wenig geistreichen Text wieder und immer wieder durch den Kopf gehen. Und als ich nackt unter ihm lag, die Beine auf seinen Schultern, trällerten wir es sogar gemeinsam.
Texte: Ashan Delon
Bildmaterialien: Pexels/pixabay
Lektorat: myself
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2017
Alle Rechte vorbehalten