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Die Verschwörung „

 

 

 

Es sollte eigentlich eine gewinnbringende und zukunftsträchtige Unternehmung werden. Unser gesamtes Kapital steckte in dieser Idee.

Meine Frau Janet, ich und zwei ebenfalls von dieser Idee begeisterte Freunde saßen viele monatelang und viele kalte Winternächte an meinem Küchentisch zusammen und knobelten und bastelten an einem Kinder-Freizeit-, Spiel- und Abenteuerland. Meine beiden Töchter, fünf und acht, stellten dabei eine schier unerschöpfliche Quelle an Anregungen dar. Dabei überstieg ihre Phantasie oft meine konstruktionstechnischen Fähigkeiten und die Möglichkeiten, diese Gehirngespinste in die Wirklichkeit umzusetzen. Und dennoch hatten wir auf dem Reißbrett bald ein Land geschaffen, das Kinderherzen höher schlagen ließ. Es sollten Sandplätze entstehen, Planschbecken, Kinderkarussells und Kettenkarussells, ein Märchenland mit Hexenhäuschen, Ritter, Burgen und allem was dazu gehörte, auch eine Silbermine, in der Kinder selbst mit kleinen Pickeln Glitzersteine aus Pappmachewänden herausklopfen konnten. Ein Indianerdorf sollte es geben, in welchem die Kinder mit dem Häuptling persönlich in Tippis sitzen konnten. Sie sollten in einem Salon an der Milchbar herumhängen können. Es gab Schaukellandschaften, Bastel- und Bolzbereiche, Streetballplätze, Hüpfburgen, Trampoline, Schlammgruben, jede Menge Fress- und Süßigkeitengelegenheiten und noch mehr was Kinderaugen zum Leuchten bringen könnte. Die Hauptattraktion sollte eine Minidampfeisenbahn darstellen, die sich wie ein stählerner Bandwurm durch das ganze Terrain schlängelte und die Kinder in kleinen Bahnhofsstationen von einem Bereich zum anderen brachte oder einfach nur zu einer Rundfahrt einlud.

Eine große leerstehende Maschinenhalle meines Vaters, der nach einer schweren Krankheit seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgab und die gut und gerne vier großzügig geschnittene Tennisplätze hätte einfassen können, wurde zu diesem Zweck umfunktioniert und umgebaut. Während sich meine Freunde, ein Maurer, ein Maler, ein Elektromeister und ein Gartenbauingenieur, überwiegend um die Einrichtung kümmerten, stellte die Dampfeisenbahn meine Aufgabe dar. Schließlich war ich Maschinenbauingenieur. Meine Frau und die Kinder kümmerten sich um die künstlerische Gestaltung der Wände, bemalten sie mit grotesken Phantasiefigur oder übten schon mal Probespielen in eine der Anlagen.

Wir saßen bei einer der vielen Testfahrten, die ich allein meines Sicherheitsbedürfnisses wegen abhielt in den kleinen Wägen. Meine Frau saß hochaufgerichtet im ersten Waggon. Ihre Wangen glühten vor Stolz und Begeisterung. Ihre Hände lagen brav im Schoß gefaltet. Ihre Augen strahlten wie die eines siebenjährigen Mädchens, das zum ersten Mal in ihrem Leben auf einen Jahrmarkt durfte. Sie betrachtete mich, die halbfertige Abenteuerlandschaft und das zuckelnde Vehikel mit stolzen und erregten Augen.

Ich lächelte unwillkürlich, als mir eine weitere Gelegenheit ihrer nahezu kindlichen Begeisterung ins Gedächtnis zurückkehrte. Erst heute morgen hatte sie sämtliche Sammelfiguren, die sie mit unseren Töchtern aus einer Überraschungs-Such-Aktion und vielen Tauschgeschäften mit Freundinnen zusammengetragen hatte auf dem Küchentisch nach Rassengruppen sortiert aufgestellt und zu einem langen dicken Zug aus in einer Tanzbewegung eingefrorenen Minimenschen zusammengestellt. Ein langer Wurm festgehalten im Standbild einer wogenden und wabernden Menge, die auf unserem Küchentisch einen Freudenzug veranstalteten. Janet tanzte in ebensolcher Ausgelassenheit herum und knipste ihr Arrangement aus allen Lagen. Beinahe über zwanzig Bilder verschoss sie für die Prozession der Plastikfiguren, die für andere nichts als billiger Kitsch darstellten. Ich lächelte dazu nur milde und betrachtete sie amüsiert. Ich liebte sie dafür, dass sie sich selbst über die harmlosesten Dinge derart freuen konnte.

In den anderen vier Waggons lachten, kicherten und quietschten meine Freunde, die sich wie vorpubertäre Kinder benahmen und sich gegenseitig mit imaginären Pommes Frittes und Popcorn bewarfen und dabei die Grenzen der kleinen Abteile, welche in jedem bequem sechs Kinder Platz fanden, austesteten.

Ich ließ ihnen ihren Spaß. Es sollte schließlich eine Hochburg des Spaßes und der Ausgelassenheit werden. Wenn die Mitarbeiter schon keinen Spaß am Vorbereiten und Ausprobieren hatten, was sollten da erst die Kinder sagen, die damit spielen mussten.

Sorgsam betrachtete ich mir jeden Eisenbohlen, ob er dem Gewicht des Zuges aushielt. Das Rasseln der zu dieser Zeit noch offenen stählernen Konstruktion übertönte das Kreischen der vier ausgelassenen Männer und sogar das Zischen und Stampfen der kleinen Dampflok, bei der allerdings nur der Dampf echt war. Der Antriebsmotor bestand aus einem leistungsstarken Elektromotor. Der Dampf wurde mittels Tauchsiederprinzip erzeugt und die Geräusche mittels ausgefeilter Pfeifendeckeltechnik künstlich erzeugt. Die Illusion war beinahe perfekt und kleine Kinder würden den Unterschied sicherlich nicht merken.

Die Eisenbohlen hielten dem improvisierten Gewicht eines vollbeladenen Zuges stand. Die stählernen Räder ratterten und schepperten über die Schienen, als wollten sie mit ihrem Lärm die bösen Geister aus dieser Halle vertreiben. In zwei Tagen, wenn die Kipper Sand und Kiesel brachten und damit die offene Stahl- und Betonsockelkonstruktion abgedeckt wurde, würde zumindest das ohrenbetäubende Rattern verstummen. Dann würde nur noch das Zischen des Dampfes zu hören sein, und natürlich die Schreie der Kinder und der begeisterten Prüfer.

Plötzlich krachte es am Ende des Zuges und ich fuhr erschrocken herum. Im ersten Moment dachte ich, dass eines der Stahlbohlen doch nicht dem Druck standhalten konnte, doch dann entdeckte ich sechs ausgewachsene Hünen von schwarzen, muskelbepackten Ungetümen, die sich einige herumliegende Eisenstangen geschnappt hatten und kraftvoll und in wildem Eifer auf die kleinen Waggons herum hämmerten. Die dünnen Blechwände gaben dem Ansturm der kräftigen Hiebe nach. Plexiglas splitterte krachend und Janet stieß einen spitzen Schrei aus. Erst wollte ich zu einem Protest ansetzen, doch da wurde ich selbst von etwas getroffen und purzelte rücklings aus dem Führerstand der kleinen Lok, der als einziger eine erwachsene Person mühelos aufnehmen konnte, während Erwachsene in den anderen Waggons die Köpfe einziehen mussten oder sich nur in sitzender Position aufrecht halten konnten.

Noch ehe ich mich aufrappeln konnte, packte mich eine kräftige Hand am Kragen meines Arbeitsoveralls und zerrte mich wieder auf die Beine. Und noch ehe ich auch nur ein Wort der Entrüstung oder des Protestes äußern konnte, musste ich auch schon einen kräftigen Schwinger in den Magen einstecken.

Der Kerl, der mich als seinen persönlichen Spielball auserkoren hatte, wog mit Sicherheit drei Zentner, die aber alleinig aus Muskelmasse und Knochengerüst zu bestehen schien. Er war gut zwei Kopf größer als ich, ein mit Schmierfett eingeölter Schwarzer, der mich mit gelben, blutunterlaufenen Augen und einem schadhaften Gebiss angrinste. Und wenn ich Schwarzer sagte, dann meinte ich das auch so. Er war nicht Kaffeebraun, oder farbig, sondern tiefschwarz, was vermutlich die Schmiere nur noch unterstrich.

Er zog mich an meinem Haarschopf wieder hoch und verpasste mir einen kräftigen Kinnhaken, so dass ich mich um meine eigene Achse drehte und schließlich unsanft in einem Stapel Lattenholz landete, die eigentlich für den Bau von Blockhütten gedacht waren. Nun stellten sie nur noch Brennholz dar. Er zerrte mich wieder aus dem Chaos von zersplittertem Holz, verpasste mir einen weiteren Kinnhaken, so dass ich diesmal über eine herumliegende Schlauchrolle in die noch nicht aufgeblasene Hüpfburg stolperte.

Immer wieder bequemte er sich zu mir, zerrte mich an meinem Haarschopf hoch und krallte die Finger in den Stoff meines Overalls, um mich gleich darauf wieder zu schlagen und irgendwo in die Einrichtung fallen ließ. Bei einem dieser Male, stolperte ich rücklings auf die untersten Stufen zum Hochstand, das wie ein Bienenkorb aus Stahlgerippe knapp unterhalb der Decke klebte. Ich keuchte und hustete, denn ich hatte keinen einzigen der Treffer richtig verdaut, und kämpfte mich in Panik und Verzweiflung beinahe blindlings die Stufen hinauf. Die harten Schläge und die Schmerzen trieben mir Tränen in die Augen. Er kam lachend hinterher. Er wusste genau wie ich, dass mein Fluchtweg in einer Sackgasse endete.

Vom Hochstand aus, wurden alle elektrisch angetriebenen Anlagen geschaltet. Die Karussells, sämtliche Beleuchtungen wie der Silbermine oder der Mini-Golden-Gate-Brigde, die Entlüftungen und die Heizungsanlagen. Ein weiterer Schlag schmetterte mich mitten auf das Kontrollpult und die Hebel und Schalter bohrten sich schmerzhaft in meinen Rücken. Ich fuhr herum, als ich durch den Lärm der führerlosen Eisenbahn, die noch immer eisern ihre Runden drehte, Janets Schrei hörte, doch da wurde ich auch schon wieder gepackt und erhielt diesmal einen heftigen Schwinger in die Nieren, so dass ich für einen Moment nicht wusste, ob ich kotzen oder lieber in die Hose pinkeln sollte.

Aus dem Augenwinkel hatte ich erhascht, dass jemand Janet so in eines der Fenster geklemmt hatte, dass ihr Kopf über einen halben Meter weit hinausragte und somit von einem vorbeirasenden Gegenstand getroffen werden musste, ehe ich wieder zurückgerissen und diesmal mit dem Kopf auf das Schaltpult geschmettert wurde.

An Gegenwehr war gar nicht zu denken. Die wohlweislich eingeölten Schlägertypen verteilten so harte Hiebe, dass man mehr Zeit brauchte, um sich davon zu erholen, als man dafür übrig hatte. Noch ehe ich über irgendeine Maßnahme nachdenken konnte, musste ich auch schon den nächsten Streich einstecken, und allmählich hatte ich wirklich genug.

Trotz aller Schmerzen und Pein, war mir Janets Schrei so in Mark und Bein gefahren, dass ich all meine Kräfte aufbrachte und mich mit einem heftigen Tritt in die Weichteile revanchierte. Dem schwarzen Hünen machte dieser Schlag nicht sonderlich viel aus. Er zuckte nur leicht zurück, grinste mich überlegen an und begann zu lachen. Diesen winzigen Moment nutzte ich, rollte mich zur Seite und sprang auf die Schaltkonsole, um von oben auf den zufällig unten vorbei ratternden Zug aufzuspringen.

Ich wusste, dass der Zug als einziger nicht von der Schaltkonsole aus aufzuhalten war. Er musste manuell bedient werden, da mein Freund, der Elektriker, die Stromanschlüsse für die Eisenbahn noch nicht bis zur Kanzel zwischen angeschlossen hatte, um sie von dort aus lahmlegen zu können. Ich sprang auf das Dach des Führerstandes, das entgegen der Bauart aller anderer Waggons aus Sperrholz bestand und hoffte, dabei den Hebel zu treffen, der die Stromzufuhr des Gefährtes regelte.

Ich verfehlte ihn. Das hieß. Ich krachte in das Dach, verstauchte mir den Fuß, schnitt mir einige Splitter des geborstenen Holzes in das Bein und brach den Hebel ab. Somit war mir eine sofortige Handlung untersagt. Ich musste nun auf den Kessel klettern, die sorgsam vernietete Verkleidung herunterreißen und sämtliche Stromzuführungskabel herausziehen, bevor die Eisenbahn die Golden-Gate-Brigde erreichen konnte und Janets Kopf fein säuberlich an den stabilen Stahlkabeln abgetrennt wurde. Was auch immer ich tat, es stand nur eines fest. Ich musste Janet retten.

In diesem Moment dachte ich nicht an die anderen Vier, erst als ein Pfosten an mir vorbei raste, immerhin mit der Höchstgeschwindigkeit von knapp vierzig Stundenkilometer, auf dem der Kopf meines besten Freundes steckte, wußte ich, dass ich mich um die Anderen keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Die Begleitung meines Gefechtspartners hatten schon damit begonnen, die Einrichtung zu zertrümmern. Das Krachen und Tosen der zusammenstürzenden Anlagen war durch den ohrenbetäubenden Rattern des Zuges kaum zu hören.

Ich kam nur bis zum Kessel. Als ich meine Haken in das Blech donnerte, um die Nieten zum Nachgeben zu zwingen, traf mich ein Gegenstand im Rücken und ich flog im hohen Bogen in die Stahlkabel-Eisenträger-Konstruktion der Golden-Gate-Bridge, worauf einer der Träger aus seinem Sockel knickte und einen halben Meter tiefer sackte, soweit zumindest, wie es die Kabel zuließen. Bei dieser Aktion schnitten die Stahlkabel schmerzhaft in meine Schulter und ich kam keuchend und stöhnend auf dem Boden auf. Der eingeknickte Träger brachte den Vorteil, dass er am Dach des ersten Waggons, das wie ein Fanghaken fungierte, hängen blieb und sämtliche weiteren Träger und Kabel aus ihren Verankerungen herausriss und Janet das schreckliche Schicksal einer Geköpften ersparte.

Ich hörte ihr Schreien, als Funken an ihr vorbei stieben, doch ich konnte ihr nicht helfen. Ich wurde erneut hochgezerrt, ehe ich mir ein sicheres Versteck suchen konnte. Mit einem hämischen Grinsen hob er mich an meinem Overall hoch und warf mich wie einen Punchingball in das Tor zur Silbermine. Es war nicht sonderlich stabil und klappte nach innen, mit ihm ein Teil der Seitenwand, in der die Angeln gesteckt hatten. Pappmachebrocken und Gips rieselte auf mich nieder. Ich atmete im falschen Moment ein und musste husten. Und doch behielt ich in diesem Moment die Nerven, rappelte mich schnell wieder auf die Beine und rannte ins Innere der Silbermine. Die Beleuchtung war angeschaltet, obwohl ich mir sicher war, sie nicht angeschaltet zu haben. Vermutlich hatte mein Sturz auf das Schaltpult einige Dinge aktiviert. Ein fernes Bimmeln, wie das von dem Kinderkarussell, bestätigte meine Vermutung.

Ich rannte so schnell ich konnte, ans andere Ende der Mine. Vermutlich dachte mein Gegner, dass ich davonlief und geradewegs erneut in eine Sackgasse lief, doch er wußte nicht, dass das Ende der Mine lediglich aus locker zusammen gebackenem, knapp vierzig Zentimeter dickem Gestein aus Pappmaché, Gips und Glitzersteinen bestand, während die übrige Konstruktion noch mit Maschendraht verstärkt war. Ich nahm Anlauf und sprang mit beiden Beinen gegen die Rückwand, die wie erwartet nachgab und in einem Stück aus den Höhlenwänden heraus brach, aber auf dem Boden in zwei oder drei Stücke zerbrach und mich knöcheltief einsinken ließ. Ich stolperte nach vorn, fing meinen Schwung gerade noch ab, bevor ich mit dem Kopf gegen die Stahlträgerkonstruktion der Schienen prallte. Über mir ratterte der Zug hinweg. Ich kletterte in Windeseile nach oben, bekam gerade noch den letzten Waggon zu fassen und hangelte mich in Zugräubermarnier in das Abteil. Das Dach war gänzlich eingedrückt und mit schweren Schlägen bearbeitet worden. Ich konnte noch einige Fetzen von Franks buntem Hemd erkennen. Falls er sich selbst noch im Abteil befand, musste er kleiner als eine Schnecke sein, um es überlebt zu haben. Im vorletzten Waggon fehlte das Dach gänzlich. Auch von Bert fehlte jede Spur. Im drittletzten Waggon musste ich über die Leiche von Robbie klettern und im zweiten Waggon fehlten die Plexiglasscheiben, sowie der Kopf, die Arme und die Beine von Hans. Im Augenwinkel sah ich, wie die Gliedmaßen an Pfosten aufgespießt an mir vorbeirasten und ich gestattete mir einen Moment der Trauer.

Dann riß mich Janets Schrei wieder in die schreckliche Wirklichkeit zurück und ich kletterte in den ersten Wagen. Jemand hatte meine Frau halb aus dem Fenster gebeugt, sie mittels quer eingeklemmten Eisenstangen in dieser Stellung verharren lassen und sich dann aus dem Staub gemacht. Ich trat die Stangen weg, zog meine Frau herein und drückte sie kurz an mich. Über ihr Gesicht lief Blut. Ihre Lippe war geschwollen und ihr Kleid war zerrissen. Ich weigerte mich im Moment, weiter als bis zu jenem Moment nachzudenken und das von mir zu schieben, was ihr die Unholde womöglich angetan haben könnten.

Der Zug musste angehalten werden. Um jeden Preis. Auch wenn ich ihn dafür entgleisen lassen musste. Ein kleiner Jesse James wäre im Moment genau das Richtige, doch ich war auf mich allein gestellt. Allein mit sechs zu allem entschlossenen Schlägertypen und einer vor Angst zitternden Frau, die auf mich zählte.

Durch den Lärm der Zuges, der alle Geräusche unterdrückte, würden nach draußen keine weiteren verdächtigen Laute dringen. Auch wenn jemand direkt an der Wellblechwand stand, würde er nur glauben, dass ich wieder zu einer Testfahrt gestartet war und das Weite suchen, denn das ohrenbetäubende Dröhnen drang bis weit hin.

Ich gebot Janet, im Abteil sitzen zu bleiben und sich gut festzuhalten, hangelte mich über das Gewirr von schnalzenden Stahlkabeln, scheppernden Eisenträgern wieder nach vorn zum Führerstand, um mich erneut um das Blech und die Nieten zu kümmern. Diesmal katapultierte mich eine schwarze Riesenfaust vom Dampfkessel herunter. Ich verfing mich in einem der Kabel und wurde einige Meter mitgeschleift, bis es schließlich schnalzend von mir ließ und mich abrupt in einem der Sandbecken zum Anhalten brachte. Ich schluckte Staub und Sand, hustete und keuchte und wurde sogleich wieder vom Boden hoch gerissen, um sogleich die nächste mehr als harte Ohrfeige einzufangen. Ich landete in eine der Kleinkinder-Gondelschaukeln und rempelte mir den Kopf an – als ob ich nicht schon genug lädiert gewesen wäre. Zu allem Überfluss setzte der schwarze Schläger die Gondel ein weiteres Mal in Bewegung und verpasste mir damit einen heftigen Rempler in den Rücken, noch ehe ich mich wieder auf meine Beine stellen, oder gar davon kriechen konnte. Ich hörte sein Lachen, als er die pendelnde Gondel umrundete und sein bevorzugtes Spielzeug von Boden hochhob. Ich musste einen weiteren harten, atemraubenden Schwinger in die Magengegend einstecken und taumelte über den Rand des Sandbeckens, um in einer Werkzeugkiste einen ungeschickten Landeplatz zu finden.

Wie durch eine Fügung Gottes bekam ich einen Schraubenzieher in die Finger, den längsten, den Hans` Werkzeugkiste zu bieten gehabt hatte, brachte ihn blitzschnell in die richtige Position und wirbelte herum, als ich die massive Gestalt auf mich zuspringen sah. Vermutlich hatte der Schläger nicht bemerkt, wie ich mich des knapp unterarmlangen Schraubenziehers bemächtigt hatte. Jedenfalls war sein Gesichtsausdruck ziemlich überrascht, als sich der harte Stahl durch Muskeln und Fleisch bohrte. Er stutzte kurz, sah an sich herunter und bestaunte das Missgeschick. Ich nutzte die Gelegenheit, rempelte ihn rückwärts, wieder über den Rand des Sandbeckens und benutzte den Schraubenzieher als Messer, das ich ihm tief in den Brustkorb jagte. Ich musste dafür all meine verbliebenen Kräfte aufbürgen, denn seine Muskeln waren gestählt und seine Rippen hart wie Stahl. Ein Gurgeln drang über seine Lippen, gefolgt von einem Schwall Blut. Dann starrten seine Augen wild und blutunterlaufen an die Decke.

Ein Schrei von Janet ließ mich herum wirbeln und den Schraubenzieher, den ich wohlweislich wieder an mich genommen hatte, in die Rippen eines weiteren Angreifers jagen, der sich mit einem Hechtsprung über einen Stapel Altreifen für eine geplante Go-Cart-Bahn auf mich werfen wollte. Ich prallte hart auf die Kante des Sandbeckens auf, glitt jedoch rechtzeitig in die schmale Lücke zwischen Kante und Boden, um nicht von dem sterbenden Leib begraben zu werden. Sein Körper zuckte noch einige Male. Blut sickerte in den goldenen Sand, dann verstarb auch er.

Keuchend und am ganzen Leib zitternd betrachtete ich die beiden Leichen und blickte mich dann suchend um. Der Rest der Schlägertruppe hatte sich verkrümelt. Ich steckte den Schraubenzieher in die tiefen Schenkeltaschen, wartete bis die Eisenbahn wieder an meiner derzeitigen Position vorbeikam und sprang abermals auf die Lokomotive auf. Diesmal benutzte ich den bluttriefenden Schraubenzieher, um die Nieten aus ihren Stanzlöchern zu reißen, bog das scharfkantige Blech nach hinten und schnaufte tief durch. Über dem Elektromotor und den großen Batterien befand sich der Wasserkessel mit dem siedenden Wasser, das als Dampf durch Düsen und Ventile entwich und den typischen zischenden Klang einer Dampflok simulierte. Ich würde mir gehörig die Oberarme verbrühen, wenn ich an dem heißen Wasserkessel vorbei langte und die Kabel herausriß. Doch ich musste es tun.

Bei der Konstruktion der Lok hatte ich die Notwendigkeit eines Notausschalters nicht bedacht. Dies würde meine Strafe dafür bedeuten. Also atmete ich tief ein, fasste hinein und riß an Kabel heraus, was ich zu fassen bekam. Abgesehen, von dem kochenden Blech des Wasserkessels, bekam ich einen kleinen Stromstoß und ich zuckte zurück, doch ich hatte die Hauptstromzufuhr erwischt, die Dampflok machte ihre letzten simulierten Rattergeräusche und rollte gemächlich aus. Die Ventile öffneten sich und der erzeugte Dampf entwich mit einem lauten Pfeifen.

Als ich zurückzuckte, hatte ich den Halt verloren und plumpste so träge wie Fallobst von der Lok herunter und geradewegs in einen der Tümpel, wo Plastikenten quakend davon flatterten, als ich eine kleine Flutwelle erzeugte. Mit letzter Kraft arbeitete ich mich ans Ufer, ließ mich kurz niedersinken und rappelte mich sogleich wieder hoch. Mir war plötzlich derart nach frischer Luft, dass all die Erschöpfung, die Schmerzen und die Angst von mir abfielen und ich nur noch nach draußen eilte. Wie ein Volltrunkener torkelte ich in Richtung Tor, wankte und stolperte auf dem Weg in die Freiheit und fiel keine zwei Schritte von der Halle entfernt in den Schmutz.

Regen prasselte auf mich nieder. Bemerkenswerterweise spürte ich zuerst die Nasskälte von unten, als von oben. Ich lag in einer Pfütze und kümmerte mich einen Dreck darum, ob ich nun erstickte oder nicht. Zu meinem Glück kam Janet angerannt und rettete mich, bevor ich ertrank und bettete meinen Kopf auf ihren Schoß.

Noch während ich aus der Maschinenhalle heraus gestolpert kam, entdeckte ich meinen Nachbarn, wie er in Badehose und hüfthohen Fischerstiefeln Bretter in seinen heißgeliebten Fischteich legte. Warum er dies tat, vermochte ich in diesem Moment beim besten Willen nicht zu sagen. Vielleicht hatte er Angst, dass seine Forellen, die die besten im Umkreis von fünfzig Kilometer sein sollen, bei diesem schlüpfrigen Wetter ausrutschten – oder was auch immer. Es war auch vollkommen egal.

Vielleicht hatte ich mir das ganze auch nur eingebildet.

Ich ließ mich in den Schoß meiner Frau sinken, schloss die Augen und versuchte zu vergessen, was wir die letzten paar Minuten erlebt hatten. Mein ganzer Leib war eine Quelle von Schmerz. Die untere Hälfte meines Gesichtes brannte lichterloh, als hätte ich mich drei Monate lang mit einer stumpfen Klinge rasiert und jedes mal vergessen, mich mit heilendem Balsam einzureiben. Mein Brustkorb erzeugte bei jedem Atemzug stechende Schmerzen. Vermutlich bestanden meine Rippen nur noch aus Knochenspan. Mein Magen zuckte, mein Unterleib pochte und meine Arme und Beine waren schwer wie Blei. Mein Magen verkrampfte sich plötzlich und wenn ich mich nicht augenblicklich zur Seite gedreht hätte, hätte ich Janet sogar noch in den Schoß gekotzt.

Ich vernahm ihre Stimme, während sie über meinen Kopf streichelte. Sie sprach mit meiner Schwägerin. Sie solle nicht in die Maschinenhalle gehen, sondern die Polizei rufen. Meine kluge Janet. Ich liebte sie dafür und hätte sie geküsst, wenn ich nicht so zerschlagen gewesen wäre.

Ich war kein Schlägertyp. Schon in meiner frühesten Jugendzeit hatte ich stets das Weite gesucht, wenn es irgendwo zu handfesten Streitigkeiten kam. Als Kind wurde ich dafür als Feigling verhöhnt. Doch mit dem Älterwerden erkannte ich, dass ich nicht feige war, sondern kluge Voraussicht gezeigt hatte.

Ich lächelte in die Trübnis aus aufgequollenen Augen und niedergehenden Nieselregen und erhob mich schwerfällig. Ich wollte nur noch nach Hause, ein heißes Bad nehmen und dann für die nächsten zweiundvierzig Stunden schlafen. Janet begleitete mich nach drinnen, musste jedoch ans Telefon gehen, als Petra, meine Schwägerin sie zu sich rief, da die Polizei nähere Angaben verlangte. So schleppte ich mich allein die Treppen hoch, schlurfte mit schweren Schritten über den Flur und öffnete die Küchentür. Im Raum hinter der Küche befand sich das Badezimmer.

Ich hatte keine zwei Schritte ins Innere der Küche gemacht, da wurde mir die Klinke aus der Hand gerissen, jemand zerrte mich an meinem Overall ins Innere und drückte mich an den Leib eines Anderen, der mich sofort mit starken Armen an sich fesselte. Er hatte seine Arme unter die meinen gehakt und drückte nun mein Kreuz durch und meine Arme nach hinten. Ein Schrei blieb mir im Halse stecken, als mir mit einer harten Faust buchstäblich die Fresse gestopft wurde. Meine Zähne waren sicherlich im Eimer.

Ein weiterer Schlag traf meine ohnehin schon lädierten Rippen. Der nächste traf ins Zwerchfell, der übernächste in die Leistengegend. Ich jaulte und wünschte mir, ich könnte zusammenklappen wie ein Klappmesser, doch meine menschliche Fessel hielt mich aufgerichtet wie eine Statue. Er hob mich etwas hoch, so dass meine Beine in der Luft baumelten. Ich strampelte und versuchte nach hinten auszutreten, um seine Kniescheiben oder andere empfindliche Weichteile zu treffen. Ich traf etwas hartes, doch als ich das Kreischen des Küchentisches vernahm, erkannte ich, dass ich mir meine Verse an dem massiven Holztisch zerschmettert hatte.

Die Küchenlampe baumelte knapp an uns vorbei. Meine menschliche Fessel rückte seinen Kopf etwas zur Seite, hielt aber meinen geradewegs in den Weg. Das Gußeisen der Pendellampe rammte sich schmerzhaft in meinen Hinterkopf. Mein Gegenüber grinste breit, gab der Lampe einen Stoß, worauf sie mit noch größerem Schwung zurückkam und geradewegs auf mich zuhielt. Ich hatte meine Chance auszuweichen, denn eben im selben Moment, als ich mich mit aller Kraft zur Seite werfen wollte, wurde mein Kopf an beiden Seiten gepackt und wieder in Position gedrückt. Die Energiesparlampe, die ich erst gestern eingeschraubt hatte, zerplatzte an meinem Schädel und hinterließ tiefe Schnittwunden. Siedend heißes Blut rann über mein Gesicht. Hatte ich nun Fünfhundertzwanzig Mark gespart, oder wie war das?

Ich bekam nicht genug Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn der nächste Rempler presste die ohnehin schon auf engstem Raum zusammengedrückte Luft in meiner Lunge heraus, als eine Faust hart auf meine Rippen traf. Wenn es mir nicht schon vorher klar geworden wäre, dann hätte ich spätestens in diesem Moment Bescheid wissen müssen. Die Schläger wollten uns nicht einfach nur das Lebenslicht auspusten, sie wollten es regelrecht aus uns heraus prügeln, genauso wie unsere fixe Idee von dem Abenteuerland.

Ich wüsste nicht, welchen meiner Nachbarn ich derartig erzürnt haben könnte. Nach dem Okay des Bürgermeisters hatte ich keinerlei Probleme mehr gesehen. Zwar hatten sich einige direkte Nachbarn über den Lärm beschwert und eine Flut von Falschparkern und Vorgartenzertramplern vorausgesehen, doch keiner von ihnen hatte massive Drohungen ausgestoßen oder mit Nachdruck verlangt, ich solle mein Vorhaben aufgeben.

Die Küchentüre schwang krachend auf und die Glasfüllung flog in tausend Scherben über die Anrichte. Beinahe acht Jahre lang hatte ich meine Töchter davor bewahren können, die Glastüre allzu schwungvoll aufzuwerfen. Nun war es endlich geschehen.

Mein Peiniger fuhr herum und handelte sich sofort eine Ladung Schrot im Bauch, Brust und Gesicht ein. Er taumelte erschrocken rückwärts, stolperte über einen Stuhl, fiel rücklings über ihn hinweg und kam mit dem Kopf hart auf dem Parkettboden auf, wo er leblos liegenblieb. Seine massige Gestalt hatte mich davor bewahrt, auch nur eine einzige Schrotkugel abzubekommen. Meine menschliche Fessel knurrte nur kurz, als ihn einige Schrotkugeln streiften.

Im Türrahmen stand mein Vater. Das Schrotgewehr im Anschlag. Er wußte ebenso wie ich oder meine menschliche Fessel, dass er nicht schießen konnte, ohne mich in ebensolche Mitleidenschaft zu ziehen, wie sein Ziel.

Der schwarze Hüne nahm einen Arm von meinen zurück gebogenen Schultern und legte ihn mir um den Hals. Er drückte fest zu, aber nicht so fest, dass ich baldigst den Erstickungstod erleiden musste. Er wich vorsichtig zurück, vermutlich um über denselben Weg zu entkommen, über den er gekommen war. Der Balkon und das danebenliegende Rosenrankgitter. Mein Vater verlangte meine Freigabe. Ich hörte nur kehliges Lachen hinter mir und er verstärkte den Druck auf meinen Kehlkopf. Stählerne Sehnen legten sich um meinen Hals. Muskeln aus härtestem Stahl zerquetschten meinen empfindlichen Kehlkopf. Ich begann zu zappeln, als die Luft allmählich knapp wurde. Sternchen bildeten sich vor meinem geistigen Auge. Noch in Anbetracht der ungünstigen Lage, versuchte er seinen Auftrag auszuführen und mich noch schnell zu erwürgen, bevor er blitzschnell zum Fenster hinaus springen und entkommen wollte.

Durch einen Nebel aus Tränen und Blut erkannte ich eine zweite Gestalt neben meinem Vater. Es war mein älterer Bruder Ralf, ebenfalls ein Gewehr im Anschlag, das allerdings nicht mit Schrot geladen war, sondern mit richtigen Bleikugeln. Er war Jäger und jahrelanger, unangefochtener Meister im hiesigen Schützenverein. Es krachte erneut und die harte Fessel um meinen Hals gab mich mit einem Mal frei. Ich dankte meinem Bruder für den Meisterschuss und schwor mir, ihn niemals mehr wegen seiner Leidenschaft aufzuziehen.

Ich stürzte wie ein nasser Sack vornüber und fiel mit dem Gesicht auf den Boden. Ich war nicht fähig, mich abzufangen, oder mir ein anderes Plätzchen für meinen Sturz auszusuchen. Ich war fertig mit mir und der Welt und ergab mich unterwürfig meinem Schicksal. Halb im Delirium versunken, halb ohnmächtig und halb die hektische Wirklichkeit um mich herum mitbekommend, ließ ich mit mir geschehen. Ich spürte, wie ich umgedreht wurde und wie die Stimme meines Vaters meinen Namen rief. Ich war jedoch nicht fähig zu reagieren. Ich versuchte, die Lippen zu öffnen, doch außer unverständlichem Gurgeln brachte ich nichts hervor. Ich hörte, wie Janet besorgt meinen Namen ausrief. Sie nannte mich Rudolf. Das tat sie nur, wenn etwas Ernstes vorlag. Ansonsten nannte sie mich liebevoll Rudi. Ich lächelte innerlich. Dann umgab mich Schwärze.

Die nächsten drei Wochen verbrachte ich im Krankenhaus, wo ich endlich ausschlafen konnte und Zeit fand, über alles nachzudenken.

Wir erfuhren nie, wer die Auftraggeber der schwarzen Schlägertypen waren. Sämtliche Dorfbewohner blickten schweigend, zutiefst betroffen und schuldbewusst auf die acht Leichen nieder, die dieses Geschehnis hervorgebracht hatte. Vielleicht hätte niemals jemand zu Schaden kommen sollen, doch den Tod von vier Dorfmitgliedern beklagen zu müssen, schien endlich die Gemeinschaft aufzurütteln, denn plötzlich brannte beinahe jeder im Dorf darauf, als ehrenamtlicher Helfer mitwirken zu dürfen.

Die Eröffnungsfeier hatte übrigens um drei Monate verschoben werden müssen.

 

 

Impressum

Texte: Ashan Delon
Bildmaterialien: pixabay LyraBelacqua-Sally / carousel
Lektorat: myself
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2016

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