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1.

 

Eine kleine Gruppe von Reitern kämpfte sich durch den dichten Wald. Sie kamen nur langsam voran, denn umgestürzte Bäume, dichtes Astgeflecht und weicher Waldboden machten ihnen schwer zu schaffen. Mehrmals schalten sie sich, nicht die Straße genommen zu haben. Doch ein Gedanke an ihre Aufgabe, überzeugte sie, das Richtige getan zu haben. Diese kleine Reitertruppe gehörte einer Widerstandsbewegung an. Hätten sie die Straße benutzt, wären sie zwar schneller vorangekommen, doch auch zwangsläufig schneller entdeckt worden.

Sie mussten vorsichtig sein.

Der weiche Moosboden verschluckte jedes Geräusch ihrer Schritte, doch dann und wann knackte ein unter dem Moos versteckter Zweig und ließ die Reiter zusammen zucken. Der Wald war so dicht und dunkel, dass die Reiter ihre Pferde nicht um jeden herumliegenden Ast oder hervorstehenden Zweig herumführen konnten. Die Angst entdeckt zu werden, stand jedem im Gesicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass die von allen gefürchtete Königin Imeta einen von ihnen auf grausamste Art hinrichten ließ.

Als das Dickicht beinahe undurchdringlich wurde und die Tiere vor der Enge scheuten, stiegen die Reiter ab und führten ihre Pferde. Erst jetzt erkannten sie, welche Arbeit die Tiere geleistet hatten. Der weiche Moosboden nahm jeden Schritt dankbar auf, sog bei jedem Auftritt die Füße an und gab sie nur äußerst widerwillig wieder frei. Schritt für Schritt kämpften sich die zehn Leute vorwärts. Knorrige Äste mit ihren spitzen, scharfen Nadeln schlugen ihnen ins Gesicht. Erschöpft knickte der Eine oder Andere um, rappelte sich mühselig wieder hoch, und stapfte weiter. Ein jeder wollte den vereinbarten Reiseplan einhalten. Sie wollten heute noch ein bestimmtes Tal erreichen und sich in fünf Tagen mit Gleichgesinnten treffen. Aber bis dahin mussten sie sich endlos lange Stunden durch Dickicht, tiefe Schluchten und weite Ebenen quälen und sich und die Tiere schinden.

Als ob sich der Wald gegen sie verschworen hätte, wurde er immer dichter und undurchdringlicher. Die feuchte Luft erschwerte das Atmen und drohte, die Lungen zu verkleben. Schweiß rann ihnen in Bächen über den Körper, tränkte die Kleidung und verklebte es mit der Haut. In ihrer Bewegungsfreiheit gehemmt, kämpften sie sich Schritt für Schritt weiter und fochten gegen mehrere Gegner gleichzeitig. Der weiche Moosboden, der dichte Wald mit seinen messerscharfen Nadeln, die erstickende Luftfeuchtigkeit, die unheimliche Dunkelheit, die vor Angst scheuenden Reittiere, Müdigkeit und Erschöpfung, der vage Gedanke, sich vielleicht verirrt zu haben und niemals mehr aus diesem Wald heraus zu finden und die allgegenwärtige Angst entdeckt zu werden. Doch etwas hielt sie aufrecht und ließ sie tapfer einen Fuß vor der anderen setzen und die Verzweiflung hinunter schlucken. Der Gedanke, dass Imetas Herrschaft dank ihnen irgendwann ein Ende haben würde. Sie wünschten sich, dass sie, die sich eben durch den Wald kämpfen, ihren Tod verschuldeten. Wenn sich dies jemals erfüllen sollte, durften sie nicht an einem Wald scheitern. Sie mussten weiter.

 

Nach einer schier unendlichen Zeit wurde es heller. Das Moos wich langsam Sand und Gestein. Des öfteren stolperten die müden Füße über Felsbrocken und sandige Stellen. In ihnen wurde Hoffnung wach. Sie hatten es geschafft. Die Hölle war überstanden. Erschöpft, schwer atmend machten sie in einer kleinen Lichtung Rast, ließen ihre Schweiß getränkte Kleidung in der heißen Sonne trocknen. Ein leichter, kühler Wind erschauderte die vor Anstrengung zitternden Körper. Zufrieden lächelten sie sich zu. Ohne ein Wort zu sprechen, waren sie sich einig. Ein Kampf gegen eine Überzahl Feinde war leichter zu bewältigen, als das eben erlebte.

Nachdem sich die Reisenden einigermaßen erholt hatten, versorgten sie die Pferde. Trockene Grasbüschel, die vereinzelt in der Lichtung standen, wurden zum Abreiben benutzt. Der Wasservorrat war knapp, dennoch teilten sie den kläglichen Rest mit ihren Tieren. Während der ganzen Rast wurde kein einziges Wort gesprochen. Sie waren auch zu müde dazu. An eine längere Rast war aber nicht zu denken. Das Tal musste noch an diesem Tag erreicht werden.

Erschöpft lagen sie zwischen den verstreuten Felsen oder saßen mit dem Rücken an vereinzelt stehenden Bäumen gelehnt und versuchten ihren Körpern die notwendige Erholung zu gönnen. Die zehn Reiter, aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und Regionen zusammengewürfelt, sahen sich müde an, oder waren schon beinahe eingeschlafen. Nur zwei von Ihnen besaßen richtige Reitkleidung. Der Rest trug die Kleidung von Bauern, Bergleuten und Soldaten, mehrmals geflickt und aus vielen verschiedenen Stoffen zusammengenäht, speckiges und abgewetztes Leder, alte ausrangierte Lederwamse. Kein richtiges Zaumzeug, nur einen dünnen Hanfstrick, keine Sättel, nur alte schon sehr zerschlissene Decken oder überhaupt nichts.

Nur zwei von ihnen konnte man für richtige Krieger und die Anführer der Truppe halten. Dane, ein kräftiger junger Mann, der genug Mut und Kraft besaß, seine Leute in den Sieg zu führen, wenn die Feinde nicht in einer solchen Überzahl wären und wenn ihm nicht ein solch gewaltiger Gegner, wie Imeta gegenüber stehen würde. Der andere war Elees, seine Schwester. Der Vater der Geschwister diente einst als bedeutender Offizier in Imetas Armee. Durch eine Intrige der Königin kam der Mann ums Leben und machte damit seine Kinder zu erbitterten Gegnern der schrecklichen Monarchin. Ihre Ausbildung half ihnen dabei. Beide hatten die gleiche Schule durchlaufen, der Junge, wie auch das Mädchen. Ihr Vater unterrichtete sie in allen Waffen und allen Kampftechniken. Dem jungen Mädchen musste eigentlich doppelte Bewunderung zuteil werden. Obwohl von weitaus zierlicherer Statur, wies sie außerordentliche Kräfte auf. Sie absolvierte die gleichen Übungen, wie ihr Bruder, nahm die selben Strapazen auf sich und meisterte sie mit Bravour. Man musste schon genauer hinsehen, um hinter dem eisenbeschlagenen Lederwams, den dicken, mit Leder verstärkten Leinenbeinkleidern, einen zierlichen Mädchenkörper zu entdecken. Zudem verhüllte ihr Gesicht ein, mit Leder ausgepolsteter und bespannter Eisenhelm, den sie nicht nur zum Schutz trug. Es war Absicht, dass ihr Gegner nicht gleich erkennen sollte, wen er vor sich hatte. Elees führte ihr Schwert meisterhaft und wollte sich durch diesen kleinen Trick faire Kämpfe verschaffen. Nur manchmal wünschte sie sich, wie ein Mädchen erzogen worden zu sein. Jetzt war einer dieser Augenblicke.

Erschöpft, müde, ausgepumpt, saß sie auf einem Felsbrocken. Ihre Beine waren schwer wie Blei und schmerzten. Sie spürte die Lederriemen um ihre Beine, die vor Anstrengung angeschwollen waren. Sie musste sich zwingen, ihre Wasserration nicht gierig auszutrinken. Am liebsten säße sie jetzt inmitten eines kühlen Sees. Gewaltsam hielt sie ihre Augen offen. Sie konnte jetzt nicht einfach einschlafen. Elees streckte ihre trägen Beine aus. Jede Bewegung schmerzte, doch tapfer schluckte sie Schmerz und Müdigkeit hinunter. Gequält lächelte sie Dane, ihrem Bruder, zu. Sie hoffte, sich etwas ausruhen zu können, wenn sie bald zu Josip stießen. Obwohl sie wusste, dass sie auch dann keine Ruhe bekommen würde, sehnte sie sich nach diesem Treffen. In fünf Tagen sollte es soweit sein. Sie durften nicht zu spät kommen, denn Josip war mit einer größeren Schar von Kriegern am Treffpunkt, und ein längerer Aufenthalt, etwa, wenn er auf sie warten musste, konnte sie in Gefahr bringen, entdeckt zu werden. Die zehn Reiter mussten sich also beeilen. Ohne dass auch nur ein Wort fiel, brachen die Reisenden auf. Schweigend, stets darauf bedacht, kein lautes Geräusch zu verursachen, schritten sie voran.

 

Der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu. Ihr Tagesziel war nicht mehr allzu weit entfernt. Ein jeder der zehn Reiter sehnt sich nach Ruhe, als plötzlich Schreie die Reiter aus dem Halbschlaf rissen. Schlagartig verflog ihre Müdigkeit und ihre Sinne schärften sich in Sekundenschnelle. Sie blieben stehen und lauschten. Die immer noch dicht beieinander stehenden Bäume, knapp vierzig Meter innerhalb des Waldrandes, schützten die Reiter vor unbedachten Blicken. Schreie, laute Stimmen, in unmittelbarer Nähe, krachende Äste und durch das Halbdunkel eines nahen Dickicht hetzende Leute, beunruhigten die Reiter. Vor Schreck und Anspannung hielten sie den Atem an. Waren sie nun entdeckt? Sie betrachteten sich fragend. Sollten sie fliehen, oder besser ausharren, bis es vorbei war. Das dämmrige Licht und die Schatten der Bäume hüllten sie ein in einen Mantel der Unsichtbarkeit. Sie blieben unentdeckt. Die Laute entfernten sich. Lieber wäre ihnen gewesen, sie wären mit ihnen konfrontiert worden und hätten in einem offenen Kampf für ein Ende der Störung sorgen können. Ihr Wunsch schien sich zu erfüllen, denn die Schreie kamen wieder näher. Kommandos wurden durch den Wald gebrüllt. Äste knackten und Metall klirrte aufeinander. Aus den Wortfetzen, die zu ihnen herüber drangen, entnahmen die Reiter, dass es sich um Strauchdiebe handelte. Scheinbar hatten sie einen Pechvogel in der Mangel. Sie mussten ihm dankbar sein, denn er hatte die Räuber von den geheimen Reisenden abgelenkt. Von betrunkenen Taugenichtsen entdeckt und aufgehalten zu werden, war das Letzte, was sie nun gebrauchen konnten. Bewegungslos und schweigend verharrten sie in ihrem Mantel der Unsichtbarkeit.

Eine Weile noch rissen Schreie, dumpfe Schläge, das Krachen von trockenem Gehölz und die schleifenden Schritte von Leuten, die über den trockenen Felsboden rannten, die Stille des Waldes entzwei. Doch bald war es Still. Noch immer wagten sich die Reiter nicht aus ihrem Versteck. Wenn die Diebe ihr Opfer tatsächlich erwischt hatten, so wie es schien, dann müssten sie bald wieder abziehen. Und darauf warteten die Reitertruppe. Der seichte Wind trug bald leise Stimmen zu ihnen herüber. Die Worte waren zu verstümmelt, um verstanden zu werden. Kurz darauf wurden sie lauter. Jemand rief Kommandos, ein Anderer weigerte sich, diese auszuführen. Äußerst geräuschvoll wurde geschimpft. Scheinbar konnten sich die Räuber nicht über die gerechte Teilung der Beute einigen. Es konnte aber auch sein, dass sie über die geringe Höhe des Erbeuteten ungehalten waren. Jeden falls entfernten sie sich laut schimpfend tiefer in den dunkler werdenden Wald.

 

Erst als es schon längst Nacht geworden und seit langem keine Stimme mehr zu hören gewesen war, trauten sich die Reiter, ihre Reise fortzusetzen. Sie hatten viel Zeit verloren. Ihre Angst entdeckt zu werden, hatte sie veranlasst, wertvolle Zeit zu vergeuden. Beängstigendes Flüstern umgab die Wanderer. Zu dem, immer noch in ihren Gliedern sitzende Schreck, kam nun auch noch das Unheimliche des nächtlichen Waldes. Nachtfalter flogen in ihre Gesichter und ließ sie erschrocken hochfahren. Wütende Käuze schrien die Störenfriede wütend an. Irgendwo heulte ein Wolf und kleine, flinke Füße huschten durch das trockene Gras.

Schaudernd setzte Elees ihren Helm wieder auf. Ihr graute vor den Nachtfaltern und Glühwürmchen, die wie winzige, drohende Augen vor ihr her flogen. Sie fühlte sich sicherer, wenn sie in den Schutz ihrer Helmes flüchtete und den Angst einflößenden Wald zumindest ein wenig abschirmen konnte. Nicht nur die Reiter zitterten, auch ihre Pferde fühlten sich in dieser Umgebung nicht wohl. Vorsichtig setzten sie einen Huf vor den anderen. Das gleichmäßige Getrappel wurde von der schwarzen Nacht zurückgeworfen. Keiner der Reiter traute sich, auch nur ein Wort von sich zu geben. Schweigend ritten sie hintereinander her. Sie wünschten sich Fackeln, für den Weg. Licht würde ihnen und den Pferden den Ritt erleichtern. Die Tiere stolperten über Wurzeln und Felsen. Doch gleichzeitig wussten sie auch, dass sie kein Licht entzünden durften. Sie mussten unentdeckt bleiben. So nahmen sie in Kauf, langsamer, aber sicherer vorwärts zu kommen.

Plötzlich scheute Elees Pferd vor einem seltsamen Geräusch unmittelbar neben ihm. Sofort brachten die anderen Reiter ihre Tiere zum Stehen und verhielten sich still. Gebannt horchten sie, ob sich dieses Geräusch wiederholte. Da, ganz in ihrer Nähe, ein leises Stöhnen. Die Herzen der Reiter pochten bis zu ihren Hälsen hinauf. So vieles hatten sie schon erlebt. Aber der nächtliche Wald, mit all seinen furchteinflößenden Geräuschen, machte selbst aus erfahrenen Kriegern Angsthasen.

Dane stieg von seinem Pferd, um der Ursache des Geräusches auf den Grund zu gehen. Er zog sein Schwert und stocherte vorsichtig in die Nacht. Nur ein paar Meter von ihnen entfernt, traf seine Klinge auf Hindernis. Der junge Mann zündete mit Hilfe seiner Feuersteine eiligst ein paar trockene Grasbüschel an und entdecke einen leblosen, an einen Baum gebundenen Körper. Ein Bauernjunge, kaum älter als er selbst, hing hilflos, blutend und vor Schmerzen stöhnend in seinen Fesseln. Dane vermutete ihm richtig das Opfer der Räuber. Als Elees den Verwundeten sah, verflüchtigte sich ihre Angst im Nu und sie sprang ebenfalls aus ihrem Sattel.

"Wie kann man nur so grausam sein“, schimpfte sie leise, zog einen Dolch aus ihrem Gürtel und befreite den jungen Mann. Dane fing ihn auf und bettete ihn vorsichtig auf die Erde. Im Schein des lodernden Büschels, betrachtete er das Gesicht des Bauern. Blut strömte aus zahlreichen Platz- und Schnittwunden.

"Sie haben ihn ja halb tot geschlagen“, bemerkte er entsetzt.

Seine Begleiter saßen noch immer auf ihren Rössern und machten keine Anstalten, abzusteigen und ihm zu helfen. Erst als ihnen Dane missgestimmte Blicke zuwarf, stiegen sie zögerlich ab. Wie selbstverständlich zog Elees Tücher aus den Gepäck ihrer Begleiter und begann den Verwundeten zu verarzten.

"Was soll das?“, fand endlich einer den Mut, dagegen zu rebellieren. "Wir sind ohnehin schon viel zu spät dran. Wir müssen weiter. Dem kann doch eh' keiner mehr helfen."

Elees fuhr herum. Ihre Augen funkelten wütend. "Er ist verwundet“, schimpfte sie. "Es ist unsere Pflicht, ihm zu helfen."

"Ja, schon“, versuchte er seinen Standpunkt zu halten. "Aber vielleicht ist er es zu Recht. Vielleicht ist er einer der Räuber und verlangte nur einen größeren Anteil, als die anderen? Wer weiß? Wir können uns doch nicht von einem dummen Bauern aufhalten lassen."

Elees erhob sich. Sie glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Diese dumme Bauern“, erwiderte sie leise vor Zorn. "Auf diese dumme Bauern sind wir angewiesen. Wer gibt uns Schutz und Deckung, wenn wir uns verstecken müssen? Wer gibt uns selbst sein letztes Korn, damit wir den Kampf gegen Imetas Tyrannei überhaupt führen können? Wer blutet für uns, wenn wir versagen? Es sind diese dummen Bauern. Und du verweigerst einen von ihnen einen solch winzigen Dienst, wie Menschlichkeit?" Elees hieb ihre Faust an die Brust des Mannes, von dem sie bislang dachte, er stand mit all seiner Kraft hinter ihr. Verlegen sah dieser zu Boden und ließ mit sich geschehen.

"Wie kannst du verlangen, ihn sterben zu lassen?“, ließ Elees nicht locker. "Wir kämpfen für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Unsere Ziele lassen sich nur mit der Hilfe des einfachen Volkes verwirklichen. Sind wir schon so vom Größenwahnsinn befallen, dass wir so über unsere Mitmenschen entscheiden. Was würdest du sagen, wenn er dich auf den Schlachtfeld finden würde, blutend, zu keiner Bewegung mehr fähig, dem Tode nahe und er dich überginge, weil du es nicht wert bist, gerettet zu werden." Sie wand sich abrupt um. Es war genug. Wenn sie weiter sprach, würde sie lauter und ausfallender werden. Das wollte sie allen und in erster Linie sich selbst ersparen. Dieser Kerl war es nicht wert, sich über ihn weiter als nötig aufzuregen. Er war ein guter Kämpfer. Aber wenn er nicht mit allem hinter ihr stand, würde er ihr wenig nützen können.

Betreten sahen sich die Männer an und ließen das Mädchen nun gewähren. Dane warf ihr einen stolzen Blick zu. Er wusste, dass er auf seine Schwester zählen konnte, in welcher Situation sie sich auch befanden. Er freute sich, dass die Lehren ihres Vaters, auch in ihr fruchteten. Elees zitterte vor Erregung. Um sich abzulenken, widmete sie ihre Konzentration gänzlich dem Verletzten. Sie nahm eine Decke aus ihrem Gepäck, befreite den geschundenen Körper von den zerrissenen Resten seines Hemdes und wickelte ihm sorgsam in die Decke. Dabei bemerkte sie seinen außerordentlich muskulösen Körperbau. An diesem jungen Mann saß kein Gramm Fett zu viel. Seine Rippen saßen wohl geschützt unter einer dicken Schicht stahlharter Muskeln. Selbst in diesem entspannten Zustand, spürte sie die enorme Kraft, die in ihm steckte. Die Arme, drahtig und muskelbepackt, mussten wohl so viele kräftezehrende Arbeit verrichten. Zu gerne hätte Elees diesem Bauern bei der Arbeit zugesehen. Es musste eine Wonne sein, ihn dabei zu beobachten. Für einen kurzen Moment schweiften ihre Gedanken ab. Doch als sie seine bloße Haut berührte, glaubte sie von einem winzigen Blitz getroffen worden zu sein und erschrak. Ihre Fingerspitzen kribbelten, als sie erneut über seine Brust strich. Schnell zog sie die Decke zwischen seiner Haut und ihren Fingern und nickte Dane zu.

Inzwischen hatten die Anderen ihre Sachen wieder zusammen gepackt und warteten nur noch darauf, dass sie aufsitzen konnten und es endlich weiterging. Dane schwang sich in den Sattel und ließ den Bewusstlosen zu sich hinauf heben. Trotz allem waren sie nicht bereit, hier ihr Nachtlager aufzuschlagen und ihr Tagesziel aufzugeben. Elees Gedanken schweiften nur noch um diesen jungen Bauern. Wie schade, sagte sie sich im Stillen. Sie könnten einen kräftigen jungen Mann in ihrer Gruppe gebrauchen.

 

Später, als sie endlich das Nachtlager aufschlugen, kümmerte sie sich eifrig um den Verletzten. Sie wusch ihm das geronnene Blut ab, flößte ihm vorsichtig etwas Wasser ein und wickelte ihn fester in die Decke. Lange harrte sie an einem kleinen Bach aus und wusch die blutigen Stofffetzen sauberer aus, als es nötig war. Sie stellte sich den Bauern, bei seiner täglichen Arbeit vor. Seine Frau musste stolz auf ihn sein …

Bei diesem Gedanken, keimte etwas Eifersucht in ihr auf und sie kehrte zurück zu ihren Begleitern. Ein Wolf sandte sein Geheul in den Nachthimmel. Elees kuschelte sich fröstelnd in ihre Decke. Das kleine Feuer warf flackernde Schatten über das Gesicht des Fremden. Eine Weile beobachtete sie das Spiel von Licht und Schatten, dann übermannte sie der Schlaf.

 

Lautes Zwitschern weckte Elees aus ihren Träumen. Ein Vogel, in ihrer Nähe kündigte lauthals den neuen Tag an. Müde streckte sie ihre Glieder. Jedes einzelne schmerzte ihr. Die Nacht hatte mit ihren frostigen Fühlen nach ihr gegriffen und ließ sie noch nicht los. Die Strahlen der Sonne waren noch zu schwach, um ihre ganze Kraft zu entwickeln, als das Mädchen aus ihrem Nachtlager kroch und als erstes nach ihrem Patienten sehen wollte. Doch erschrocken blieb sie stehen. Der Fremde war verschwunden. Dort wo er noch letzte Nacht gelegen hatte, lag sorgsam zusammengelegt, die Decke und obenauf eine eben erblühte Rose. Elees lächelte, als sie dies sah.

"Ein komischer Kauz. Nicht einmal verabschiedet hatte er sich“, dachte sie bei sich und versteckte die Blume in ihrem Gepäck, bevor sie jemand bemerkte. Einesteils war sie froh, dass er gegangen war, die Reisegruppe wurde nicht länger unnötig aufgehalten. Doch andererseits war sie es nicht. Wie gerne hätte sie sich mit ihm unterhalten, oder ihm beim arbeiten zugesehen. Sie seufzte tief.

 

Später am Tag, dachte sie nicht mehr an den jungen Bauern. Ihr Pferd machte ihr Sorgen. Es begann zu lahmen. Um das Pferd zu schonen, saß sie bei ihrem Bruder mit auf. Auch am nächsten Tag zeigte sich keine Besserung. Neue Pferde zu besorgen war jedoch zu riskant. Sie beiden mussten noch eine Weile durchhalten.

Die Sonne stand hoch am Himmel. Ihre Hitzestrahlen verdorrten alles auf der Erde. Da sich die Reisenden nicht mehr im Schutz des Waldes aufhielten, machte ihnen die heiße, trockene Luft schwer zu schaffen. Elees ging neben ihrem Pferd, als letzter durch die enge Serpentine in die Schlucht hinunter. Das Mädchen kam langsam voran, blieb deshalb immer weiter zurück.

Die Schlucht war von drei Seiten, mittels enge, steilen Serpentinen, verwinkelte, teils mit glitschigem Moos überwucherte, oder mit rutschigem Geröll und Sand bedeckte Wege, zugänglich. Es gab nur diese drei Möglichkeiten, auf die andere Seite zu kommen. An der Stelle, an der sich die Wege trafen, wuchsen auf einem schmalen Fleck fruchtbaren Bodens hohe, uralte Bäume. Sie bildeten mit ihren turmhohen Baumwipfeln das Zentrum der Schlucht, gleich dem Großmast eines untergehenden Schiffes. Als Dane und seine Begleiter diesen Platz erreichten, stand an der Kreuzung ein einzelner, seltsamer Reiter.

Langsam ritten die Männer weiter. Der Fremde machte keine Anstalten, dem Reisetrupp den Weg freizugeben. Er schien auf sie gewartet zu haben. Dane betrachtete den Reiter mit argwöhnischen Augen. Nicht nur, dass er und seine Leute auf dieser Reise ohnehin schon auf alles und jeden achten mussten. Dieser Reiter weckte in ihnen mehr als nur Misstrauen. Noch nie zuvor hatte Dane einen so seltsam gekleideten Krieger gesehen. War es ein Edelmann, oder ein wahrer Kämpfer, der auf seinem Schlachtross saß, als könnten ihn keine fünfzig Gegner aus dem Sattel holen. Das Gesicht des Fremden verdeckte ein, mit Fellen überzogener Tierschädel. Dies verlieh ihm ein gefährliches Aussehen. Dane bezweifelte nicht, dass dieser Mann seine Waffe zu führen verstand und seinem Gegenüber spielend den Geschmack des Stahls vermitteln konnte. Unter der Maske, die beinahe das ganze Gesicht verdeckte, blieb nur noch der Mund offen und dieser zuckte nicht einmal, als Dane und seine Männer näher ritten. Eine Art Krone, ein zackenförmiger Stahlhelm, mit schwarzem Leder überzogen, schmückte seinen Kopf. Zwei Streifen mit dem selben schwarzen Leder überzogen, schützten seine Wangen und das Kinn. Am Hinterkopf verlängerte sich die Krone, so dass auch der Nacken, vor Hieben geschützt war. Darunter kamen lange schwarze Haare zum Vorschein, die er auf dem Rücken offen und auf der Brust in zwei, mit eingeflochtenen Goldbändern verzierten Zöpfen trug. Sein Anzug bestand aus festem, fein gewebtem Leinen. Ein weiter Umhang, der ihm im Stand bis zum Knöchel reichen musste, fiel auf den Pferderücken herab. Lederstreifen, gold eingefärbt, verzierten Hemd und Hose. Seine Beine steckten in feste, schwarze, bis zum Knie reichende Stiefel. Goldstickereien schmückten den Anzug am ganzen Körper. Selbst die Pferdedecke trug dieselben goldenen Motive. Messingbeschläge glänzten an Helm, Stiefel, am Zaumzeug und Sattel. Seine Hände steckten bis zur Armbeuge in schwarzen, mit Goldbestickten und messingbeschlagenen Handschuhen. Lässig ruhte seine linke Hand auf einem Zweihänderschwert, das wie ein Fahnenmast, aus dem Bild des Kriegers herausragte. Edelsteine funkelten am Griff.

Der Reiter musste schon eine ganze Weile dort gestanden haben, denn sein Rappe hatte den Boden unter seinen Hufen aufgeschabt. Das Tier überstand mit seinen üppigen Muskeln und seinen stämmigen Beinen bestimmt so manche Schlacht. Auch ein längerer Marsch würde ihm mit Sicherheit nichts anhaben können. Dane ließ sich für einen kurzen Moment von diesem Bild beeindrucken. Schnell riss er sich los und lenkte sein Pferd direkt auf ihn zu.

Als der Trupp auf ihn zugeritten kam, setzte sich der Rappe, scheinbar ohne Kommando in Bewegung. Langsam, Schritt für Schritt, stolzierte er vorwärts. Bei jeden Schritt schwankte er majestätisch hin und her. Er hob seine Nase hoch in den Wind, als wollte er erst prüfen, was ihm dort entgegen kam. Sein langer schwarzer Schweif und seine ebensolche Mähne, wippten im Takt seiner Schritte. Er schien sich seiner beeindruckenden Wirkung durchaus bewusst zu sein.

Dane wusste nicht, was er von den beiden halten sollte. Der Krieger machte einen unbesiegbaren Eindruck, was mit Sicherheit auch beabsichtigt war, und in ihm kamen Zweifel auf, ob er diese Schlucht jemals wieder lebend würde verlassen können. Der Umhang bedeckte den größten Teil seines Körpers und Dane konnte daher keine weiteren Waffen, die sich eventuell in dem wallenden Stoff versteckt hielten, ausmachen. Nur noch wenige Schritte trennten die Reiter. Der Rappe blieb stehen, so hielt auch Dane sein Pferd an. Er war nervös und rechnete jederzeit mit einem Kampf. Er wusste nicht, was er tun sollte und fragte sich, ob er nun Freund oder Feind gegenüberstand.

Wenige Sekunden lang, blieben die Reiter schweigend und bewegungslos voreinander stehen. Als Dane eben Luft holte, um den Fremden nach seinem Anliegen zu fragen, ließ dieser seinen Kopf kurz zu einer symbolischen Verbeugung sinken.

"Seid gegrüßt“, kam eine tiefe Stimme unter der Maske hervor. "Friede sei mit euch."

Dane erwiderte den Gruß, doch er zweifelte, dass dieser Krieger tatsächlich den Frieden brachte.

"Wer seid ihr?“, wollte er vorsichtig wissen.

"Ich bin Shaar“, antwortete dieser. "Aus dem Lande der Chreoni."

Ein Raunen ging durch die Reihen von Danes Begleitern. Der Name Chreoni kam ihnen bekannt vor. Ängstlich sahen sie einander an. Die Chreoni-Krieger, so hieß es, sei die geheime Armee und letzte Waffe der Königin.

"Und was wollt ihr?“, fragte Dane und ließ seine Hand vorsichtig zu seinem Schwert gleiten.

Der Rappe warf den Kopf nach unten und zog die rechte Hand des Kriegers, die die Zügel gehalten hatten, unter dem Umhang hervor. Der Stoff rutschte dadurch zur Seite und entblößte ein weiteres, kleineres, aber nicht minder verziertes Schwert und einen breiten, goldbestickten Gürtel, im dem ein Dolch steckte. Für Dane stand nun fest, dass dieser Mann den Tod des kleinen Reitertrupps wollte.

"Ich biete euch meine Dienste an“, antwortete Shaar zu aller Überraschung. Der Rappe warf mehrmals den Kopf auf und ab, als wollte er die Aussage seines Herrn bestätigten. Er zerrte arg an den Zügeln, doch sein Reiter ließ ihn gewähren und zügelte das Temperament seines Tieres nicht. Dane blickte skeptisch auf. Zwar konnten sie einen guten Kämpfer immer gebrauchen und hätten jeden in ihren Reihen willkommen geheißen, doch nicht bei diesem. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies ein Hinterhalt war, stand so deutlich geschrieben, dass auch der Dümmste stutzig werden musste.

"Eure Dienste?“, fragte Dane argwöhnisch zurück. "Da ihr eure Dienste zweifellos nicht jedem beliebigen Reisenden anbietet, nehme ich an, dass ihr wisst, wer wir sind. Oder sollte ich mich darin täuschen?"

"Ihr täuscht euch nicht“, erwiderte der Chreoni gelassen. Er schien mit einer Absage gerechnet zu haben. "Ich bin mein eigener Herr“, sprach er weiter. "Und somit besitze ich die Freiheit, meine Entscheidungen selbst zu fällen."

"Schön und gut“, unterbrach ihn Dane. "Die Chreoni sind Freunde der Königin, aber Imeta ist nicht unsere Freundin. So könnt ihr euch unmöglich auf unserer Seite stellen. Das wäre Verrat an eurem eigenen Volk. Und ich bezweifle, dass ihr dies tatsächlich vorhattet." Danes Begleiter murmelten leisen Protest. Ihr Anführer hatte laut ausgesprochen, was stets strengstens gehütet worden war.

"Ich weiß, wer ihr seid, und was ihr vorhabt“, ließ sich Shaar nicht beirren. "Mein Entschluss, in eure Dienste zu treten, steht nach wie vor fest."

"Ihr gedenkt demnach wirklich Verrat zu begehen“, rief Dane es erneut in Erinnerung.

Diesmal schien sich der Chreoni erweichen zu lassen. Er senkte kurz den Kopf. Dann hob er ihr wieder, höher und stolzer als zuvor. "Verrat ist das, was am Volk dieses Landes begangen wird“, antwortete er. "Nicht die Tat eines einzelnen Mannes, der denkt das Richtige zu tun. Kämpft ihr nicht für die Freiheit des Volkes, für das Ende der Unterdrückung und der Ausbeutung? Setzt ihr euch nicht für Frieden und Gerechtigkeit ein?" Er machte eine kleine Pause und ließ die Männer kurz darüber nachdenken. "Es ist viel, was ihr euch vorgenommen habt“, fuhr er nach dieser schier endlosen Minute des Schweigens fort. "Ihr müsstet für jede Hilfe dankbar sein."

"Aufrechte Hilfe, nehmen wir jederzeit gerne an“, erwiderte Dane. "Doch über eure Beweggründe bin ich mir nicht im Klaren. Es steht das Leben von vielen Menschen auf dem Spiel, falls ihr Böses im Sinn haben solltet, und dies kann ich nicht verantworten."

"Meine Absichten richten sich weder gegen euch, noch gegen eure Gefolgsmänner."

"Wie kann ich euch glauben schenken?"

"Stellt mich auf die Probe“, erwiderte Shaar fest.

"Dass ihr es versteht eure Klinge zu benutzen, glaube ich euch, ohne es erst mit meinen eigenen Augen sehen zu müssen. Doch was eure Absichten angeht, hege ich noch immer Zweifel."

"Ich kann eure Bedenken verstehen“, gab der Chreoni leicht nickend von sich. "Doch ich kann euch versichern, dass ich niemals etwas gegen euch, oder eure Männer unternehmen werde. Das Wort eines Edelmannes sollte Sigel genug sein."

"Eines Edelmannes“, wiederholte Dane ungläubig, als hätte er es nicht schon längst bemerkt. "Auch Edelmänner spielen zuweilen falsch."

Der Chreoni schien die Geduld zu verlieren. Er setzte sich aufrechter. "Taten sind es doch, die euch zu überzeugen vermögen. Warum haltet ihr euch mit sinnlosen Fragen auf? Ich beabsichtige weder falsch zu spielen, noch meine Klinge gegen euch zu richten. Meine Ziele gleichen den euren. Wir sollten uns zusammentun und gemeinsam gegen das Unrecht kämpfen, ohne nach Vorurteilen zu fragen. Wenn ihr mich zurückweist, werdet ihr einen Fehler begehen. Jemand der Hilfe nicht in Anspruch nimmt, wenn sie ihm angeboten wird, steht eines Tages allein vor vielleicht unlösbaren Aufgaben. Zwei Köpfe können besser denken, als einer, zwei Schwerter mehr Feinde bekämpfen, als eines. Ihr braucht mich, und ich euch."

"Soll das heißen, dass ihr doch irgend etwas im Schilde führt“, hakte Dane sogleich nach und ließ sich von der barschen Rede des Chreoni keineswegs einschüchtern. "Ihr wollt uns also für eure eigenen Zwecke benutzen."

"Nein!“, widersprach Shaar hart. "Was ich anzubieten habe, gilt in erster Linie euch."

"Demnach müssen wir euch also irgendwann etwas schuldig sein, für die Dienste, die wir in Anspruch genommen haben“, warf Dane ein.

Erneut widersprach der Chreoni. "Nein!“, schüttelte er den Kopf. "Wie ich bereits erwähnte. Ihr braucht mich und ich euch."

"Seid ihr in Schwierigkeiten?“, versuchte es Dane zu erraten. "Müsst ihr euch vor irgend jemandem verstecken? Wisst ihr etwas, was ich wissen müsste?"

"Mein Wissen liegt weit unter dem euren“, antwortete Shaar ergeben und senkte kurz den Kopf für eine kleine untertänige Geste. "Lasst mich an eurer Seite kämpfen und ich werde euch meine Aufrichtigkeit beweisen."

Dane fand keine weiteren Argumente mehr, ihn abzuweisen. Einerseits hätte er ihn liebend gern, ohne weitere Fragen aufgenommen, doch andererseits ... Er war ein Chreoni, von denen man sagte, dass sie loyal zur Krone standen. Deswegen konnte Dane nicht so recht an der Ehrlichkeit des Fremden glauben. Rat suchend wand er sich nach seinen Kameraden um. Er hatte Angst einen Fehler zu begehen und am Tod von vielen unschuldigen Menschen zu sein, deren einziges Vergehen darin bestand, sich gegen Imetas erdrückende Herrschaft zu wehren. Entsetzt stellte Dane fest, dass seine Schwester fehlte. Ihr Zurückbleiben war unbemerkt geblieben. Er warf sich Unverantwortlichkeit vor. Er musste zurückreiten und sie suchen, doch dies konnte er nicht, solange der Krieger auf eine Antwort wartete.

"Also gut. Ihr könnt mit uns reiten“, entschied er schnell, um dieser Angelegenheit ein abruptes Ende zu bereiten. "Doch seid gewiss, dass wir euch erst Glauben schenken können, wenn ihr die Wahrheit eurer Worte eindeutig unter Beweis gestellt habt. Bis dahin müsst ihr unser Misstrauen akzeptieren."

Shaar nickte kurz. "Seid unbesorgt."

Pferdegetrappel näherte sich von hinten. Elees hatte ihre Begleiter eingeholt. Atemlos ging sie neben ihrem Pferd her. Das Pferd lahmte so stark, wie nie zuvor. Verärgert, ungeduldig, aber auch erleichtert, wieder zu ihrer Gruppe gestoßen zu sein, zog und zerrte sie das Tier vorwärts. Ihre blonden Haare klebten ihr zu Strähnen auf der Stirn. Sie wischte sie hastig aus den Augen und zog gleich wieder an den Zügeln. Noch hatte sie Shaar nicht entdeckt. Die Gefolgsmänner ihres Bruders verdeckten ihn. Leise schimpfte sich vor sich hin, als sie zwischen die Tiere an die Spitze des Trupps ging.

"Ich brauche ein anderes Pferd“, murmelte sie, aber dennoch laut genug, dass es alle hören konnten. "Dieses hier kann mich keinen Schritt mehr tragen. Wir müssen ..." Nun stand sie vor dem Rappen. Ein leiser Schrei ließ ihren Schrecken laut werden. Sprachlos und mit weit geöffneten Augen und Mund starrte sie auf den fremden Reiter. "Wer ist denn das?“, rief sie entsetzt aus, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

"Das ist Shaar“, antwortete Dane.

"Aus dem Lande der Chreoni“, fügte Shaar hinzu.

Elees verzog ihr Gesicht. Der Aufzug des Fremden tat seine Wirkung.

"Und was willst du?“, wollte sie wissen.

"Ich möchte mich euch anschließen“, erwiderte Shaar. Seine Stimme klang wesentlich sanfter, als vorhin, als er mit ihrem Bruder geredet hatte. Dass ein weibliches Wesen zwischen den harten Männern anzutreffen war, schien ihn keineswegs zu verwundern.

"Und wer bist du?“, fragte er das Mädchen.

Dane antwortete für sie. "Das ist Elees, meine Schwester. Ich bin Dane."

Shaar machte erneut seine kurze Verbeugung, aber diesmal mehr für das Mädchen.

"Was bist du eigentlich?“, fragte Elees. Sie machte sich in ihrem noch andauernden Schreck keine Gedanken über die Anrede. "Bist du eine Art Krieger, oder so etwas?"

"Ich bin ein Krieger“, erwiderte er. "Wie die meisten meines Volkes."

"So?“, machte Elees skeptisch. Der Name Chreoni schien ihr nicht dasselbe zu sagen, wie den Männern. Die seltsame Aufmachung des Mannes beeindruckte sie und ließ sie keinen weiteren Gedanken an etwas anderes verschwenden. Sie betrachtete ihn, wie ein kleines Kind, die tanzenden Funken eines Lagerfeuers.

"Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, unterbrach Dane seine Schwester. "Wenn ihr uns wirklich anschließen wollt, dann müsst ihr erst einen langen Weg in Kauf nehmen."

"Ich werde mit keinem Schritt zurückbleiben." Der Rappe setzte sich scheinbar ohne Führung in Bewegung und hielt an, als er neben Danes Pferd stand. Shaar reichte dem jungen Mann seine Hand als Zeichen der Freundschaft. Zögernd schlug Dane ein. "Außerdem ...“, fügte Shaar hinzu und hielt Danes Hand fest, als er sie zurückziehen wollte. "Nehmt euch ein Beispiel an eurer Schwester und vergesst die förmliche Anrede. Ich stelle mich unter eurem Kommando und verdiene daher eine derartige Bezeichnung nicht. Erklärt ihr euch einverstanden?"

"Ich bin es, wenn ihr es seid. Wir betrachten uns als große Familie, in der es auch keine Standesunterschiede und förmliche Anreden gibt. Vergesst bitte ebenfalls die hohe Anrede."

Shaar nickte kurz und drückte erneut Danes Hand. Er war einverstanden.

Elees war rot angelaufen, als Shaar sie der Anrede wegen erwähnte. Ihr Vater hatte ihnen stets gepredigt, auf alle Fälle die Höflichkeit zu bewahren. Damit, sagte er ihnen des öfteren, hatte er mehrmals so manchen Streit vermieden und neue Freunde gewonnen. Und er fügte stets hinzu, dass Freunde sehr wichtig waren. Gegen dieses Gebot hatte das Mädchen nun verstoßen. Sie war froh, dass alles so gut gelaufen war und ihr Fehler nicht weiter geahndet wurde. Der Fremde war ihr mehr als unheimlich, doch zweifellos war er in die Gruppe aufgenommen worden und sie war sich sicher, dass Dane wusste was er tat.

Shaar lenkte sein Pferd herum, so dass es nun in Marschrichtung stand.

"Was ist mit deinem Pferd, Elees?“, fragte Shaar das Mädchen. Aus ihrer Verlegenheit heraus schreckend fuhr ihr Kopf hoch. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie antworten konnte.

"Es lahmt." Shaar hielt ihr seine Hand hin.

"Sitz bei mir auf. Das meine ist noch frisch und kräftig genug, uns beide zu tragen."

Nur zögerlich reichte sie ihm ihre Hand. Fragend sah sie zu ihrem Bruder. Dane nickte ihr zu. Mit einem festen Griff packte Shaar den Arm des Mädchens und zog sie hoch zu sich, auf den breiten Rücken des Rappen. Mit dem anderen Arm umklammerte er ihren Brustkorb und hob sie vor sich in den Sattel. Dann nahm er die Zügel wieder auf und trieb sein Pferd an.

"Der Weg dort...“ Er zeigte auf einen Pfad, die steile Schlucht hinauf. "führt in ein Dorf. Dort könnt ihr neue Pferde besorgen." Als sie bereits eine Weile ritten, meinte Shaar zu Elees. "Du brauchst keine Angst vor Norsha zu haben." Er hatte ihr ängstliches Zittern bemerkt. "Er beißt nicht. Norsha ist sehr friedlich." Damit meinte er sein Pferd und tätschelte es leicht auf den Hals. Dass Elees eigentlich mehr Angst vor ihm besaß, als vor seinem Pferd, schien er nicht zu bemerkten. "Und ich auch nicht“, fügte er leise hinzu.

 

2.

 

 

Die Gruppe war nun auf elf angewachsen. Shaar setzte sich, um weiteres Misstrauen zu verhindern, zu Dane an die Spitze. So konnte ihn jeder jederzeit beobachten, wovon ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Keine Sekunde ließ der Druck ihrer prüfenden Blicke nach. Besonders Elees betrachtete ihn, beinahe ununterbrochen, seit sie nicht mehr vor ihm im Sattel saß. In dem von Shaar empfohlenen Dorf hatte sie ihr Pferd wechseln können und wich den beiden Männern nun nicht mehr von der Seite. Das Mädchen war fasziniert von diesem Fremden. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, wenn sie glaubte, der Chreoni würde sie ansehen. Ob er es tatsächlich tat, konnte sie nicht erkennen. Die Maske verdeckte jede Bewegung seiner Augen. Tausende von wilden Hummeln rasten durch ihren Körper, wenn sich ihre Knie zufällig berührten, als sie durch einen engen Weg ritten. Ihr wurde heiß und kalt, wenn sie das knistern seines Leders hörte. Ihre Ohren klingelten, wenn sie das Rasseln seines Pferdegeschirrs hörte. Ihre Muskeln verkrampften sich, wenn sie sich näher kamen. Ihr wurde schwindelig, wenn sie versuchte, sein wahres Gesicht zu erraten. Die Maske verhinderte, dass Elees sein Alter richtig einschätzen konnte. Seine seltsame und prunkvolle Aufmachung ließ ihn größer und stärker wirken, als er vermutlich war. Seine stolze und aufrechte Haltung ließ auf Herkunft höheren Standes vermuten. In Elees brannte nicht nur die Neugierde auf die wahre Identität des Kriegers. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. War es Angst vor diesem furchterregenden Mann, oder loderte ihre Ungeduld so heiß, dass sie nahe an Schweißausbrüchen stand?

Dane führte die Gruppe an einer seichten Stelle über den Fluss. Als er auf der anderen Seite anhielt, um die Überquerung seiner Männer zu überwachen, ließ er seinen Blick kurz über die Umgebung schweifen. Die höchsten Gipfel der Berge tauchten bereits hinter den letzten Tannen auf. Sie schienen beinahe in greifbarer Nähe zu sein. Doch als sie noch Stunden danach noch nicht erreicht waren, erkannte Dane die Täuschung. Er war resigniert und erschöpft. Den ganzen Tag, außer wenige kurze Unterbrechungen im Sattel zu sitzen, schaffte Mann und Tier. Er musste aufpassen. Ein Fehler, und der Trupp wurde erneut aufgehalten, oder vielleicht sogar vernichtet. Er musste trotz Erschöpfung die Augen und Ohren offen halten. In zwei Tagen würde er Josip treffen. Ein Mann, der bereits ein Freund seines Vaters gewesen war. Dane sehnte sich nach diesem Treffen. Nicht nur weil er den Freund nach langer Zeit wieder traf, sondern auch weil er sich einige Tage Ruhe und Erholung erhoffte, obwohl er wusste, dass Josip nicht warten konnte. Um ihn herum hatten sich zu viele Männer versammelt, um in einem Tal, das so groß, wie ein ganzes Land war, für längere Zeit zu verstecken. Einen Tag, vielleicht zwei, dann müssten er und seine Männer weiterziehen, bevor sie entdeckt werden konnten. Dane hoffte, dass sie sich noch kurz ausruhen durften.

 

Dem Chreoni schienen die Strapazen dieses langen Ritts nichts auszumachen. Nach wie vor, saß er kerzengerade im Sattel und zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Selbst sein Rappe trabte leichtfüßig mit hocherhobenen Hufen vorweg, als sei es für ihn nicht mehr als ein Sonntagsspaziergang. Spielerisch tänzelte er hin und her, warf seinen Schweif durch die Luft und schien den Stuten unter den anderen Reitern, gefallen zu wollen. Weder brennende Sonnenstrahlen, noch rutschiger Sand oder Geröllboden brachten ihn aus seinem sicheren Tritt und seiner guten Laune heraus. Als er seinen Reiter in einen Wald trug, in dem Dornenbüschen den Boden bedeckten, hüpfte er lustig von freie Fläche zu freie Fläche. Die wilden Himbeeren wucherten ungebändigt über den Waldboden - mal in dichten Hecken, in schier endlosen weiten Flächen, in dem beinahe kein Platz blieb, um den Huf hineinzusetzen, ohne zerstochen zu werden - mal in spärlichem Wuchs, der viel Platz zum Herumspringen und Verschnaufen ließ. Norsha schien dies alles nichts auszumachen. Munter trug er seinen Herren über die stacheligen Büsche und schien sich an nichts zu stören.

Doch plötzlich schreckte er auf. Aber nicht, weil sich ein besonders frecher Dorn in seinem Fell verhakte, sondern weil er etwas vernommen hatte, dass nur sein feines Gehör vernehmen konnten. Er drehte seine Ohren in alle Richtungen und horchte auf die beunruhigenden Geräusche. Ein Zuschauer mochte vielleicht annehmen, der Rappe spielte mit den Fliegen, die um seine Ohren surrten, doch der Chreoni wusste es besser. Reiter und Schlachtross bildeten ein eingespieltes Paar, das sich gegenseitig warnte. Shaar blickte vorsichtig nach allen Seiten um, konnte jedoch nichts verdächtiges entdecken. Norsha beruhigte sich jedoch auch nach einigen Minuten nicht. Dane beobachtete den Chreoni und blickte ihn fragend an. Durch Handzeichen gab ihm Shaar zu verstehen, dass er weiter reiten und die Ruhe bewahren sollte, während er selbst zurückblieb. Vermutlich hielten sich Räuber in der Nähe auf. Der Chreoni bot sich als Opfer dar. Ein einzelner Mann bildete eine leichtere Beute, als zehn Männer. Er hoffte, dass die Diebe auf diesen Trick hereinfielen. Doch es kam nicht so.

Entweder waren die Räuber tatsächlich auf fettere Beute aus, und nahmen daher auch den Kampf gegen mehr auf sich, oder sie befanden sich in so zahlreicher Übermacht, dass sie sich gekränkt fühlen mussten, einen einzelnen Mann anzugreifen. Vielleicht aber auch, hatten sie das Zurückbleiben des Kriegers nicht bemerkt. Als er längst keinen Sichtkontakt mehr zu seinen neuen Kameraden hatte, vernahm er aus deren Richtung Schreie, Pferdegewieher und bald darauf das helle Klingen von Metall auf Metall. Nur kurz überlegte er, ob er sich leise und unbemerkt anschleichen sollte, um die Diebe von hinten zu überfallen, oder er sich wild ins Getümmel werfen. Nur wenige Sekunden blieben ihm Zeit zum Überlegen, dann hatte er den Schlachtplatz erreicht. Die Angreifer waren in der Überzahl. Drei bis vier Mann mussten auf einen der Rebellen kommen. Shaar erkannte in den grauen Uniformen die Tracht der Schergen der Königin. Gegen diese speziell ausgebildeten Männer hatte kaum Einer eine Chance und schon gar nicht gegen eine Übermacht von ihnen. Nur die Krieger der Chreoni übertrafen sie in ihrer Kampfkunst.

Im Galopp ritt Shaar dem Kampfgeschehen entgegen. Noch auf halbem Wege öffnete er seinen Umhang, zog sein Schwert und schwang sich halb aus dem Sattel. Norsha stoppte am Rand des Geschehens. Shaar sprang ab und warf sich ins entschlossen Schlachtgetümmel. Wie jeder chreonische Krieger, war auch er bereit, bis aufs Äußerste zu kämpfen. Einem Chreoni sagte man nach, er habe Angst vor Nichts und Niemandem. Dass sich die Königin die Kampfkraft dieses Volk für die schlimmsten Zeiten aufsparte, verhalf ihnen nur noch unwesentlich zu dem Ruf eines barbarischen Stammes. Dieses Kampf stellte für Shaar keine größere Aufgabe dar, als ein Übungskampf. Er war es gewohnt, sich mit Schwert und Faust durch eine Front zu kämpfen.

Ein Anderer hatte wesentlich mehr Probleme sich seiner Gegner zu erwehren, Elees. Die Schergen kämpften gekonnt und waren um einiges stärker als sie. Da sie ihren Helm trug und ihren Gegner das Geschlecht seines Gegenübers verheimlichte, kämpfte dieser auch, als stünde ein Mann vor ihm. Sie besaß nur eine Chance im geschickten Ausweichen und im schnellen Zuschlagen. Doch als sie Shaar kämpfen sah, ließ ihre Aufmerksamkeit für einen Moment nach.

Der Krieger drehte und wendete sich geschickt, stieß vor, wehrte ab, schwang sein Schwert in einem Bogen über dem Kopf, um einen Gegner zurückzutreiben, stieß einen anderen mit dem Fuß um, drehte sich wieder, tötete einen Dritten mit einem gekonnten Hieb, duckte sich, um einen Schlag auszuweichen, ließ bald sein Schwert von unten nach oben sausen, traf dabei einen weiteren Gegner, wehrte einen Schlag ab, den gleichen Schwung nutzte er aus, drehte sich und erschlug den nächsten. Dann sprang er aus dem Kreis der Gegner, rollte sich ab, um von hinten anzugreifen, stieß zu, schlug dem Einen seine Faust ins Gesicht und dem Anderen den Griff seines Schwertes in die Magengrube. In der selben Sekunde erwischte die messerscharfe Klinge einen weiteren Mann. Keiner der Angreifer traf ihn richtig. Keiner konnte ihn ernsthaft verletzen. Niemand kam so richtig an ihn heran. Konnte er einem Hieb nicht mehr rechtzeitig ausweichen, versuchte er in abzuwehren, oder parallel mit dem Schwung des herannahenden Schwertes zurückzuweichen, damit der Schlag nicht mehr so hart traf und seine Wirkung verfehlte. Noch nie zuvor hatte Elees einen Mann so kämpfen sehen. Er stand so sicher auf seinen Beinen, kämpfte als wäre es gewohnter Alltag für ihn. So schnell, geschickt und gewandt, wie Shaar das Schwert führte, hatte es nicht einmal ihr Vater gekonnt.

Die Unaufmerksamkeit wäre dem Mädchen beinahe zum Verhängnis geworden. Zu sehr beschäftigte sie sich mit dem chreonischen Krieger, dass sie ihren Gegner beinahe vergaß. Dieser merkte ihre geistige Abwesenheit und nutze dies für sich aus. Es war ein leichtes Spiel für ihn, dem Mädchen die Waffe aus der Hand zu schlagen, sie mit einem kräftigen Kinnhaken an den nächsten Baum zu befördern und grinsend zum Todesschlag auszuholen. Elees sah die Klinge auf sich zu rasen und glaubte sich bald im Reich der Ewigkeit. In ihr verkrampfte sich alles. Alle Lehren ihres Vaters, im Kampf stets die Nerven zu behalten, um auch in schier ausweglosen Situationen klar zu denken und sich eventuell retten zu können, waren vergessen. Sie hielt entsetzt die Luft an. Plötzlich stellte sich klirrend eine gleißende Klinge dagegen. Elees sah nur zwei Schwerter in einem der wenigen Sonnenstrahlen, die durch das dichte Dach des Waldes dringen konnten, aufblitzen. Im nächsten Moment sank ihr Gegner tödlich getroffen auf sie hernieder. Schnell schob sie ihn beiseite. Da wurde sie bereits von zwei kräftigen Händen gepackt und auf ihre Beine gestellt. Shaar. Er hatte ihr das Leben gerettet.

Doch die erhebliche Überzahl der Feinde, ließ den Rebellen keine einzige Minute zum Verschnaufen. Noch ehe Elees ganz auf ihren Füßen stand, flog Shaar, durch die Wucht eines Hiebes getroffen auf sie zu und riss sie mit zu Boden. Einer der Schergen schlug mit einem Holzprügel auf Shaar ein. Schützend warf sich der Krieger über das Mädchen und drückte sie mit seinen kräftigen Armen unter sich. Das Gewicht des Kriegers und die Kraft die er anwandte, sie unter sich zu halten, raubten ihr die Atemluft. Sie hätte in diesem Moment ohnehin nicht atmen können, denn der Chreoni war ihr so nah, wie nie zuvor. Sie spürte seine angespannten Muskeln zittern, seinen heißen Atem über ihren Nacken streichen und das Zusammenzucken, bei jedem Schlag, der ihn traf. Sie musste sich zurückhalten, um ihn nicht zu umarmen und sein vor Schweiß nasses Kinn zu küssen; und hielt sich auch zurück, als sie bemerkte, dass er sich nach seiner Waffe streckte. Sie war ihm aus der Hand geglitten und lag nun zu weit entfernt, um sie zu erreichen. Er hätte Elees aus seiner schützenden Deckung geben müssen, wenn er die Waffe holen wollte. An die zwei Klingen in seinem Gürtel kam er ebenfalls nicht heran, ohne Elees aus seinem Schutz zu entlassen. Hastig blickte er um sich und suchte nach einer Möglichkeit den lästigen Prügler los zu werden. Dann grub er seine Hand tief in den Waldboden, nahm eine Handvoll auf und schleuderte es dem Mann ins Gesicht. Augenblicklich ließ dieser den Prügel fallen und versuchte sich den Schmutz aus den Augen zu reiben. Blitzschnell sprang Shaar auf und versetzte dem Soldaten einen Kinnhaken.

Doch so schnell konnte der Krieger sein Schwert nicht finden, wie sich ein weiterer der Schergen auf ihn stürzte. Gerade noch konnte Shaar seinen Kopf einziehen. Die Klinge sirrte knapp an seinem Ziel vorbei. Geistesgegenwärtig griff Shaar nach dem kleinen Schwert in seinem prächtig geschmückten Bauchgurt, doch sein Gegner schien die Gedanken erraten zu haben. Mit einem schnellen Hieb zerschnitt der den Gurt und Schwert und Dolch flogen im hohen Bogen davon.

Während dessen hatte der erste den Dreck aus seinen Augen gewischt. Ohne Waffe stand der Krieger nun zwei Gegnern gegenüber. Er beobachtete die zwei scharf und hielt in seinen Augenwinkeln Ausschau nach seinem Schwert, das nur wenige Schritte von ihm entfernt liegen musste. Zwischen ihm und seiner Waffe stand einer seiner beiden Gegnern. Versuchte er zu seiner Waffe zu gelangen, musste er erst Einen angreifen, griff er den Einen an, hatte der Andere Gelegenheit ihn zu töten. Die Schergen nahmen ihm die Entscheidung ab, sie griffen gleichzeitig an. Shaar packte den Ersten am Arm, nutzte dessen Schwung aus und hebelte ihn über sich, geradewegs in die Arme des Zweiten. Der Soldat war aber ebenso gewandt und klammerte sich an Shaar fest, so kam auch dieser zu Fall. In inniger Umarmung rollten sie sich auf dem Boden hin und her, hielten sich gegenseitig fest, prügelten aufeinander ein und versuchten sich umzubringen.

Indessen hatte sich Elees wieder gefasst und fand in der Eile nur Shaars Schwert. Zu ihrer Verwunderung besaß seine Waffe ein ungewohntes großes Gewicht für das Mädchen. Ihr eigenes Schwert war leichter, als übliche Klingen, aber dieses schien an Gewicht alles übertreffen zu wollen. Sie hatte alle Mühe es richtig zu führen. Noch ehe sich der, durch seinen Kameraden umgeworfene, Soldat vollends erheben konnte, streckte sie ihn nieder. Sie sah den Chreoni mit dem Anderen um sein Leben kämpfen und wollte ihm helfen. Ihre Finger verkrampften sich um den Knauf. Sie musste die schwere Waffe in beiden Händen halten. Gerade noch rechtzeitig wich sie einem Hieb aus. Sie duckte sich schnell, drehte sich und schlug dem Mann das Schwert aus der Hand. Dieser zögerte nicht lange. Noch bevor sie den Schwung vollends abbremsen konnte, warf er sich auf sie. Sie wich geistesgegenwärtig einige Schritte zurück und prallte gegen einen Baum. Es war zu spät um seitlich davon zu huschen. Der Soldat drückte sie gegen den Stamm. Verzweifelt suchte sie nach Shaar, doch der war selbst sehr beschäftigt. Ein Ellenbogen drückte sich in ihre Rippen. Ihr blieb die Luft weg. Der Soldat rang mit ihr um die Waffe. Dabei war ihr sein siegesgewiss grinsendes Gesicht so nahe, dass sie jedes Äderchen in seinen Augen erkennen konnte. Gegen die Kräfte dieses Mannes besaß sie keine Chance. Die ihren waren bald erschöpft.

Beinahe wäre es dem Soldaten gelungen, die Waffe in seinen Besitz zu bekommen, wenn dem Mädchen nicht ein Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Einer der Beiden musste an einen Auslösemechanismus gekommen sein. Jedenfalls schnellte aus dem Griffende eine lange, spitze Klinge heraus und bohrte sich in den Brustkorb des Mannes. Augenblicklich gab Elees dem Ringen nach und drückte den Knauf fester von sich. Ein Schmerzensschrei ging ihr durch Mark und Bein. Langsam sackte er in sich zusammen. Erleichtert atmete sie auf.

Sie brauchte einige Sekunden, um sich von Anstrengung und Schrecken zu erholen. Ihre Muskeln zitterten. Ihre Finger umklammerten noch immer krampfhaft den Griff. Tief atmete sie ein und fand sich dann bereit, erneut im Schlachtgeschehen mitzumischen. Sie half einem ihrer Begleiter, der sein Leben gegen drei Feinde gleichzeitig bestreiten musste. Dann entdeckte sie Shaar wieder, der sich noch immer mit den Fäusten verteidigen musste. Langsam schlug sie sich zu den beiden Männern durch. Eigentlich wollte sie Shaar von seinem Gegner befreien. Doch schneller, als sie dachte kamen die beiden Kämpfenden auf sie zu und rissen sie mit. Dabei ließ sie das Schwert fallen. Shaar bekam es zu fassen und beendete in wenigen Sekunden den Kampf.

Atemlos stand er da und betrachtete den tödlich getroffenen Gegner und schließlich seine Waffe mit der kleinen ausgefahrenen und mit blutbefleckten Klinge. Langsam hob er den Kopf und blickte Elees an. Aus der Maske heraus traf sein Blick unvermindert auf das Mädchen. Sie spürte die brennend heißen Strahlen seiner Augen auf ihrer Haut und fühlte sich, als ob sie einen niemals mehr gutzumachenden Fehler begangen hätte, indem sie die Waffe eines Chreoni benutzt und sein Geheimnis entdeckt hatte. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie war nicht fähig auch nur ein Wort der Entschuldigung auszusprechen.

 

"Was zum Teufel macht ein Chreoni inmitten dieser Verräter?“, rief plötzlich ein Mann und riss die zwei aus ihren Gedanken. Beide Köpfe fuhren herum. Einer der Soldaten, scheinbar der Anführer dieser Schergentruppe, baute sich vor ihnen auf. Auf der grauen Uniform des Soldaten glänzten einige Auszeichnungen. Die Spitze seiner blutverschmierten Klinge richtete er auf den schwarzen Krieger.

"Was macht einen Freund der Königin zum Verräter?“, fragte er weiter.

Shaar antwortete nicht. Der beleidigende Ton dieses Mannes konnte ihn nicht provozieren. Seine Waffe zeigte zu Boden. Zudem weigerte er sich in Angriffsstellung zu gehen.

"Stellt sich die geheime Armee gegen ihre Herrin?“, bohrte der Soldat weiter. Langsam und vorsichtig näherte er sich dem Krieger.

"Ein einzelner Mann ist noch lange keine Armee“, erwiderte Shaar endlich.

"Du bist also allein“, spuckte der Graue. "Verräter sind meistens allein. Die Königin wird das nicht zu schätzen wissen. Sie mag es nicht, hintergangen zu werden."

"Sie wird es niemals erfahren“, gab Shaar selbstsicher zurück.

"Und wie willst du das verhindern?“, wollte der Soldat wissen.

"Eine meiner leichtesten Übungen", rief Shaar enthusiastisch und stürmte auf seinen Gegner ein. Fast gleichzeitig sprang dieser ihm entgegen. Schwerter klirrten aufeinander.

Der Chreoni war mit diesem auf einen gewandteren Gegner getroffen. Beide waren Meister und für keinen war es leicht. Beide mussten ihr ganzes Können und ihre letzten Reserven an den Tag legen. Erneut beobachtete Elees den Krieger beim Kampf. Sie konnte die enorme Kraftanstrengung förmlich spüren. Der Waldboden wurde aufgewühlt. Die abgeschälte Rinde von irrtümlich getroffenen Bäumen flog durch die Luft. Schwirrend trennten blitzende Klingen dünne Sonnenstrahlen für Bruchteile von Sekunden. Ungleichmäßiges Getrampel erbebte den Boden. Kraftvolles Geschrei erzitterte Blut und Nerven. Als würde sie nur noch für das Beobachten zweier kämpfenden Männern leben, als ginge sie das ganze Treiben, Kämpfen und Morden um sie herum nichts mehr an, stand sie inmitten der Schlacht und hatte nur noch Augen für die zwei. Der ganze Trubel, in dem sie sich nach wie vor befand, rückte in unerreichbarer Weite.

 

Nur schwer drang der Ruf nach ihr zu ihrem Ohr. Jemand hatte ihren Namen gerufen. Als wenn jemand mit dem Finger geschnippt und sie aus tiefer Hypnose geholt hätte, befand sie sich wieder in der Wirklichkeit. Sie brauchte einige Sekunden, um vollends zu sich zu finden, ehe sie sich die Waffe eines Toten griff und ihren Freunden zu Hilfe eilte.

Shaar schien in diesem Gegner seinen Meister gefunden zu haben, denn er ließ sich von ihm durch Gestrüpp, dichtes Unterholz und wucherndes Wildbeerengesträuch treiben. Funken stoben von ihren Klingen, wenn sie mit dem Klang des Todes aufeinander trafen. Ihr Keuchen vermischte sich mit ihrem Kampfgeschrei. Obwohl sich der Chreoni scheinbar willenlos weit fernab des Kampfgeschehnisses locken ließ, gelang es dem Soldaten nicht, auch nur einen einzigen Hieb zu landen. Immer wieder begegnete ihm entschlossen die Klinge des Kriegers oder zerschnitt sinnlos die Luft. Seine Muskeln wurden müde. In seine Finger machte sich allmählich Taubheit breit. Er hatte Mühe weiterhin kraftvolle Schläge auszuteilen. Die scheinbare Resignation des Chreoni spornte ihn jedoch immer wieder an, neue Angriffe zu starten, seinen Gegner immer weiter weg vom Kampfgeschehen zu treiben.

Der Chreoni stolperte über eine Wurzel, rollte sich jedoch geschickt ab, so dass die messerscharfe Klinge nicht seine Beine, sondern einen alten, abgestorbenen Baumstumpf in Stücke hackte. Keuchend sprang er sogleich wieder auf die Beine und stellte sich seinem Gegner erneut.

„Du dreckiger Verräter“, spuckte ihm der Soldat verächtlich entgegen. „Ich werde der Königin von dir berichten und sie wird Schlächter von deinem eigenen Blut nach dir aussenden."

„Das wird nicht nötig sein“, gab Shaar unbeirrt zurück. „Mein eigen Fleisch und Blut sorgt bereits seit Jahren dafür, dass Morden und Schlachten zum Schrecken des Landes wurde.“

Der Soldat stutzte kurz, ließ sich jedoch nicht gänzlich aus dem Konzept bringen und startete sogleich einen neuen Angriff, den der Chreoni geschickt zu kontern wusste.

„Wer bist du, du schwarzes Ungeheuer?“, wollte der Soldat wissen. Mit einem schnellen Hieb gelang es ihm, die Maske vom Gesicht des chreonischen Kriegers zu schlagen.

„Ich werde es dir verraten, denn du wirst gleich zu deinen Ahnen reisen“, antwortete Shaar unbeeindruckt der Demaskierung. „Ich bin der wahre Herrscher des Landes.“ Damit stieß er einen Kampfschrei aus, der selbst dem unerschrockenen Soldaten unter die Haut ging und zermalmte die Taktik seines Gegners mit gekonnten Schlägen, Hieben und Stichen. Es dauerte nicht lange, da lag der Soldat keuchend, aus zahlreichen Schnitt- und Stichverletzungen blutend und geschlagen zu Füßen des Chreoni.

Die Schwertspitze an der Kehle seines Gegners, stieß der Chreoni einen triumphierenden Laut aus. „Ich bin der wahre Herrscher des Landes“, wiederholte er. „Und ich werde über die Frevler Tod und Verderben bringen.“

„Wer bist du?“, konnte der Soldat nur noch krächzend fragend.

„Die Prophezeiung“, entgegnete Shaar und lockerte den Druck auf die Kehle seines geschlagenen Gegners. Dieser nahm diese Gelegenheit sofort wahr und wollte einen letzten Versuch wagen, sich aus dieser aussichtslosen Situation zu befreien. Doch ein kurzes Zucken mit der Schwerthand, ließ die Spitze tief in den Hals eindringen und durchtrennte Kehle und Halswirbel. Mit weit aufgerissenen Augen und einem letzten Röcheln blieb der Soldat liegen.

 

Es schien, als ob für jeden gefallenen Soldaten, zwei weitere geboren wurden. Doch nach zu vielen, endlos langen Minuten konnten die Rebellen einen Sieg für sich erringen, obwohl sie gegen eine Übermacht gekämpft hatten und obwohl sie von der langen Reise ermüdet waren. Der Preis dafür war hoch. Ob auf der Gegenseite, oder auf ihrer Seite, ein Menschenleben war mehr wert, als alles andere auf der Welt. Wäre es nur eine Schlacht um ein gewisses Gebiet gewesen, hätten die Rebellen die Schergen am Leben gelassen. Doch, da es um Freiheit und Frieden ging, und selbst die Soldaten kämpften, bis der letzte sein Blut in die Erde ergoss, mussten auch sie ihr Leben bis aufs Äußerste verteidigen. Jeder Überlebende hätte sofort der Königin Bericht erstattet und dies bedeutete nicht nur den Tod von Danes und Elees Begleitern.

Nachdem die Toten begraben und die Verwundeten versorgt wurden, ruhten sich die nun zusammengeschrumpfte Gruppe an einem nahegelegenen Fluss aus. Der Kampf hatte drei ihrer Genossen das Leben gekostet. Gegenseitig wuschen die Überlebenden ihre Wunden aus und verbanden sich. Das leise Plätschern des Wassern und das fröhliche Zwitschern der Vögel übertönte das schmerzvolle Stöhnen der Krieger. Obwohl sie einen Sieg errungen hatten, konnten sie sich nicht darüber freuen. Zum Einen, trauerten sie über den Tod ihrer Kameraden, zum Anderen ließ die eigene Verwundung und Erschöpfung keine Freudentänze zu. Aber auch die Erkenntnis, zwar eine Schlacht gewonnen, jedoch eine Menge Menschen getötet zu haben. Kein Krieg war schön, oder fröhlich, denn stets ließ der bittere Geschmack von Tod und – vielleicht unschuldig vergossenem – Blut die Betroffenen schaudern.

Die Natur schien die Helden aufmuntern zu wollen. Wie eine dicke Wolldecke hüllte die Sonne die Menschen auf der Erde ein. Die gleißenden Strahlen brachten jede Blume, jeden Grashalm, jeden Wassertropfen zum Strahlen. Die Vögel zogen ihre Kreise am Himmel, zwitscherten lustig durcheinander und jubilierten zur Sonne. Trügerisch schön boten sich Blumen dar, reckten ihre farbenfrohe Köpfe den Vorbeigehenden entgegen, versprühten üppig ihren betörenden Duft um Spaziergänger zu berauschen. Leuchtendes Grün bestimmte die Farbe des Waldes. Jeder einzelne Baum schien sich durch Wuchs, Üppigkeit, Farbe und Duft in den Vordergrund stellen zu wollen. Jedes Gewächs versuchte durch ihre besondere Schönheit jeden Moment des Tages zum schönsten aller Momente zu machen. Das leise Plätschern des Baches versprach Sättigung jedes Durstes. Ununterbrochen flüsterte das Wasser, erzählte Geschichten aus fernen Welten.

Trübe Gedanken sollten verschwinden und vergessen werden, doch das eben Erlebte, saß noch zu tief in den Knochen. Müde, mit vor Anstrengung zitternden Gliedern und angespannten Nerven, lagen die, nun auf acht Kämpfer geschrumpfte Gruppe an der Uferböschung. Tief in sich versunken, als wären sie mit einem Schild von der Außenwelt abgeschirmt, nach der inneren Ruhe suchend starrten sie vor sich ins Leere. Ab und zu unterbrach ein leises Stöhnen und Keuchen der Verwundeten die Ruhe des Platzes. Aber ansonsten kam kein einziges Wort über die Lippen der Männer. Eigentlich mussten sie weiterziehen, doch keiner war bereit aufzubrechen. Sie wussten, bereits übermorgen mussten sie sich mit Josip treffen, doch in diesem Augenblick, war ihnen auch dies völlig gleichgültig. Ob sie Josip nun verfehlten, oder nicht, sie brauchten hier und sofort ihre Ruhe. Vielleicht musste sie bis tief in die Nacht reiten, um ihre Verspätung aufzuholen, doch auch dies nahmen sie in Kauf, wenn sie dafür noch ein Stündchen hier am Bach sitzen konnten. Sie streckten ihre müden Beine in das wohltuende kühle Wasser und genossen diese erholsamen Minuten, die sie eigentlich nicht genießen durften.

Shaar war der Erste, der sich zu rühren wagte. Aus ihrer Ruhe geschreckt, starrten die anderen den Störenfried böse an. Langsam, noch die Erschöpfung in seinen Gliedern ahnend, rappelte er sich vom Boden hoch. Mühselig stellte er sich auf seine Beine. Einige Minuten lang, die aber für die anderen ewig anzudauern schien, stand er bewegungslos in ihrer Mitte und blickte über ihre Köpfe hinweg zu den Bergen. Er musterte die weit entfernten Felsriesen. als wolle er die Entfernung abschätzen. Elees nahm nun die Gelegenheit, ihn in seiner ganzen Größe zu betrachten. Von unten herauf betrachtet, wirkte er wie ein gewaltiger Riese, der bedrohlich in den Himmel ragte und über sie wachte.

Plötzlich erweckte etwas an ihm ihre Aufmerksamkeit. Im Sonnenlicht schimmerte matt eine rote Spur, die unter dem Helm hervortrat, über den Hals rann und sich im Kragen seines Hemdes verfing – Blut. Shaar war verletzt. Bis jetzt dachte Elees, schien er der Einzige gewesen zu sein, der keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte. Als das Mädchen aufsprang, fuhr der Chreoni erschrocken herum.

"Du bist verletzt, Shaar“, rief sie besorgt und trat näher an ihn heran. "Unter deinem Helm... ." Elees sah endlich eine Gelegenheit Shaars Gesicht zu sehen. "Nimm ihn ab!“, forderte sie. "Ich werde deine Wunde versorgen."

Doch Shaar wich ihr aus. Wortlos kletterte er die Uferböschung empor und stieg auf sein Pferd. "Wir treffen uns bald wieder“, kam es unter der Maske hervor. Dann ritt er davon. Verwundert blickten sich die Zurückgebliebenen an. Elees glaubte, erneut einen Fehler begangen zu haben und setzte sich schuldbewusst wieder auf ihren Stein. Sie befürchtete, ihn für immer vertrieben zu haben. Ihretwegen hatte vielleicht ein hervorragender Kämpfer die Gruppe verlassen. Doch keiner sagte ein missgestimmtes Wort, oder schalt sie wegen ihres Fehlers.

Dane erhob sich. "Aufstehen, Leute!“, forderte er. "Wir müssen weiter." Er packte seine Sachen und ließ sich auch vom Murren und Maulen seiner Gefolgsmänner nicht abhalten, weiter zu reiten. Mühsam und äußerst widerstrebend, gehorchten die Männer dem Befehl. Elees war die Letzte, die sich von ihrem Platz erhob. Sie hatte den immer leiser werdenden Hufschlägen Shaars Rappen gelauscht. Ihr Herzschlag versuchte Schritt zu halten. Als nichts mehr zu hören war, glaubte sie, ihr Herz wäre stehen geblieben. Der Aufbruchbefehl ihres Bruders entriss sie in die Wirklichkeit. Was war nur los mit ihr, fragte sie sich. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Noch nie so oft, wie in den letzten Tagen, seit der Chreoni mit ihnen ritt, versank sie in Tagträume. Sie schalt sich, nicht bei Verstand zu sein. Sie konnte ihre Gefühle und ihre plötzlichen Träume nicht erklären. Die Phantasie ging allzu oft mit ihr durch. In Zukunft müsse sie besser auf sich aufpassen, nahm sich das verwirrte Mädchen vor. Auf der Weiterreise kam es ihr vor, als fehlte ihr etwas. Elees hatte das Gefühl, als hätte sie etwas vergessen. Mehrmals sah sie ihr Gepäck durch, kontrollierte ihre Utensilien und stellte jedes Mal fest, dass nichts fehlte. Irgend etwas wichtiges ging ihr aber ab. Elees spürte es deutlich.

 

Die nun sieben Reiter, beeilten sich vorwärts zu kommen. Der dämmrige Schein der Abendsonne erschwerte die Sicht und immer öfter stolperten die Beine der Pferde über vom trügerischen Licht vertuschten Wurzeln, Felsbrocken und Erdhügel. Es war nicht einfach für die Reiter, im Halbdunkel einen Weg zu finden. Alles wäre leichter gewesen, wenn sie die Straße hätten benutzen können. Doch sie mussten unentdeckt bleiben. Die gewählte Route querfeldein, erwies sich als schwieriger, als die Reisenden gedacht hatten. Zudem wurde es immer dunkler. Den Weg, den die Rebellen noch vor sich hatten, war noch lang. Vor Sonnenaufgang würden sie auf keinen Fall zur Ruhe kommen, wenn sie ihr verabredetes Pensum erfüllen wollten. Es hieß, die ganze Nacht reiten.

Die Dunkelheit war gefährlich. Die Schwärze der Nacht versteckte nicht nur Fallen, die vielleicht auf dem Weg lagen, sondern auch Feinde, die ihnen auflauern könnten. Jedes Geräusch, Knistern im Unterholz, huschen in den Blätterdächern, Knarren in den Baumstämmen, ließ die Reiter aufhorchen. Nachtvögel, die fast lautlos am Himmel flogen und nur durch das Surren des Flugwindes in den Gefiedern, ihrer Position verraten wurden, jagten den Reitern Angst ein. Jedes Knacken eines verdorrten Astes, ließ einen Fehltritt eines lauernden Feindes vermuten. Das leise Säuseln des Windes über Gras und trockenes Gesträuch vermischte sich mit dem Schwirren der Nachtinsekten. Die wild umherfliegenden Glühwürmchen erschienen den Reitern, als sprühende Funken eines Lagerfeuers.

 

3.

 

 

 

Müde stolperten die Hufe der Pferde einen mit moosbewachsenen Bergpfad empor. Zwei Tage durchreiten, hielten selbst die rüstigsten Gäule nicht ohne Schaden aus. Dane war sich mit seinen Leuten jedoch einig. Sie würden es nie schaffen, wenn sie nicht durchritten. Die treuen Pferde scheuten vor jedem Stein oder Moosbrocken, die von scharfen Hufeisen aus dem Boden gerissen wurden. Die Reiter hatten sich und den Pferden nur kurze Pausen gegönnt. Die Dunkelheit der Nacht kostete mehr Zeit als sie dachten. Ihre einzige Hoffnung war, dass Josip wartete. Sie trieben ihre Pferde an, obwohl es sinnlos war. Die Tiere konnten nicht mehr schneller, denn ebenso wie ihre Reiter waren sie völlig ausgepumpt.

Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie den Treffpunkt erreichten, eine Stunde, höchstens zwei. Der Tag ging bald zur Neige. Gedanklich beteten alle sieben, dass Josip auf sie wartete. Shaar war auch noch nicht zu ihnen zurückgekehrt. Elees fragte sich mehrmals, ob er wohl überhaupt noch kam. Sie wünschte es sich jedenfalls. Doch je näher sie ihrem Ziel kamen, desto kleiner wurde die Hoffnung in dem Mädchen, den stolzen Krieger je wieder zu sehen. Sie machte sich Sorgen um ihn. Er war verletzt gewesen. Elees sah ihn in ihrer Phantasie hilflos blutend am Boden liegen, dem Tode nahe, um Gnade flehend. Doch dann kam ihr wieder das beeindruckende Bildnis des Chreoni in Erinnerung, und sie war sich plötzlich sicher, dass ihm nichts passieren konnte.

Die Reiter passierten eben den Pass zu einem kleinen Talkessel, das Tal, in dem sie sich mit Josip treffen wollten, als sie hinter sich das Geklapper von Hufen hörten. Dane hielt die Truppe an. Er wollte eben den Befehl erteilen, sich zum Kampf zu rüsten, als er den schwarzen Reiter mit dem wehenden Umhang entdeckte – Shaar. Allgemeine Erleichterung flammte auf. Das anfängliche Misstrauen hatte sich, dank der nicht minderen Hilfe des Chreoni beim letzten Kampf, gewandelt. Nun waren die Männer froh, einen solchen guten Kämpfer in ihren Reihen zu wissen, völlig gleichgültig wer er war. Sie fühlten sich in seiner Nähe sicherer. Der schwarze Krieger und sein Rappe sahen aus, als wären sie eben erst aufgebrochen. Das Pferd hob stolz und vor Kraft strotzend, Schweif und Kopf in die Höhe. Shaar dirigierte Norsha mit kerzengerader Haltung den engen Weg hinauf. Als der Chreoni nahe genug war, musterte Elees sofort seinen Hals. Die Blutspur war verschwunden.

Der Rappe hielt vor dem Letzten der Truppe an. Übermütig warf das schöne, stolze Tier seinen Kopf nach unten. Die lange glänzende Mähne flog umher. Shaar grüßte seine Begleiter mit einer eigenartigen Handbewegung. Zuerst berührte er mit den Fingerspitzen seiner flachen Hand sein Herz, dann sein Kinn, tippte sie kurz an die Stirn und, als ob er die Berührung weiter geben wollte, führte er die flache Hand, als trüge er ein Tablett, in Richtung seiner neuen Freunde. Dabei senkte er kurz den Kopf.

"Seid gegrüßt“, kam es unter der Maske hervor. "Friede meinen Freunden."

Dane und seine Begleiter sahen sich verwundert an. Sie wussten zwar, Shaar war ein eigenartiger Krieger, doch hatten sie noch nie zuvor einen Menschen derart grüßen sehen. Dennoch waren sie alle so froh, ihn wieder in ihrer Mitte zu haben, dass sie selbst seine Eigenheiten in Kauf nahmen. Der Anführer senkte kurz den Kopf und erwiderte Shaars Gruß.

"Sei gegrüßt. Ist alles in Ordnung“, fügte er sogleich besorgt an.

Shaar nickte und zuckte kurz mit den Schenkeln, worauf sich Norsha wieder in Bewegung setzte.

Die Sonne war fast hinter einem Berggipfel verschwunden und tauchte das Land in ein seltsames trübes Licht. Die langen Schatten, die jede Erhebung doppelt so hoch und jedes Loch nur halb so tief erschienen ließ, machten es den Reitern nicht gerade leicht. Schon von weitem konnten die Reiter die Lagerfeuer sehen und beeilten sich, zu Josip zu treffen. Plötzlich war alle Müdigkeit, alle Erschöpfung verschwunden. Sie brauchten keine Hoffnung mehr. Josip war noch da. Es dauerte aber noch über eine Stunde, ehe sie die ersten Außenposten erreicht hatten. Mittlerweile war es Nacht geworden, aber die Lagerfeuer wiesen ihnen den Weg. Trotz aller Freude boten sie ein Bild des Jammers, zwischen all den ausgeruhten Männern. So siegesgewiss und triumphierend sie ihre Reise begonnen hatten, so kläglich und jämmerlich trotteten sie zwischen ihren Gesinnungsgenossen hindurch. Müde blickten sie in die strahlenden Gesichtern. Als ob die Pferde ahnten, dass sie bald, wenigstens für eine Nacht, ihre wohlverdiente Ruhe bekamen, setzten sie tapfer Huf vor Huf. Nichts konnte sie mehr erschrecken. Durch Erschöpfung apathisch geworden, brachte sie selbst der Lärm der über zweihundert Männer nicht aus der Ruhe.

Vor einem großen Lagerfeuer hielten die Tiere an und die Reiter stiegen ab. Ein Mann löste sich aus einer Menge, die dicht zusammengedrängt ein Thema eifrig auszudiskutieren schienen. Nur Umrisse waren von dem Mann erkennbar, doch zeigten sie schon einen wahren Koloss. Beim Nähertreten erkannten die Reiter einen bärtigen, stämmigen Kerl, der es wohl mit Jedem aufzunehmen schien. Haar und Bart standen wirr vom Kopf ab. Sein Wams bestand aus speckigen Tierfellen, der bestimmt schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Beine steckten in ebensolchen speckigen und abgewetzten Beinkleidern aus Leder. Die Füße in dicken, klobigen Stiefeln. Ein bulliger Kerl, der vor Nichts und Niemandem Angst zu haben schien – Josip. Er klopfte Dane lachend auf die Schulter, drückte Elees beinahe liebevoll an seinen dicken Bauch und reichte Jedem des kläglichen Restes von Danes Leuten die Hand und hieß sie willkommen. Shaar hielt sich im Hintergrund. Die Dunkelheit verschluckte ihn beinahe gänzlich.

"Ich dachte, ihr kommt nicht mehr“, lachte Josip und drückte erneut die vor Erschöpfung zitternde Elees. "Aber so kommt erst mal ans Feuer. Esst und trinkt etwas." Er nahm die Kinder seines Freundes in die Arme und zog sie mit sich fort. An Shaar, der sich diskret im Schatten eines großen Busches hielt, dachte Keiner mehr.

"Wo ist deine Armee?“, wollte Josip, zwischen zwei Schlücken aus einem klobigen Weinbecher, wissen. "Du versprachst eine Armee, Dane."

Der junge Mann holte tief Luft. Die Strapazen der vergangenen Tage saßen ihm tief in den Knochen und er sehnte sich danach, sich endlich schlafen legen zu können.

"Es war ein langer Weg von Notorha, bis hierher“, antwortete Dane und warf dabei seiner Schwester einen Blick zu. "Ein langer, anstrengender Weg, voller Hindernisse, Fallen, Tücken und Gefahren."

"Soll das heißen“, lachte Josip ein bisschen schadenfroh. "Die Reise von Notorha hierher, hat euch Zwei kleingekriegt?"

"So etwas ähnliches“, antwortete Dane etwas müde. "Wir wurden ein paarmal von Schergen überrascht. Das hat uns aufgehalten und unsere Truppe zusammenschrumpfen lassen."

"Diese verdammten Teufelshunde sind überall. Man muss sehr aufpassen. Ehe du dich umdrehst, stehen sie vor dir." Josip stieß wütend mit dem Fuß Sand ins Feuer, als wolle er mit diesem Tritt die Schergen der Königin vernichten. Zischend protestierten die Flammen.

"Aber wir hatten Glück“, meldete sich nun auch Elees zu Wort. "Zu uns traf jemand, der uns das Leben gerettet hat. Wäre er nicht gewesen, säßen wir jetzt nicht hier."

"Ach, ja“, erinnerte sich Dane seines neuen Freundes. "Wo ist Shaar?" Er sah sich um.

"Du solltest ihn mal kämpfen sehen, Josip“, bemerkte Elees stolz.

"Ja“, gab ihr Dane recht und stand auf, um nach dem Chreoni zu sehen. "Er ist ein Meister mit dem Schwert. Shaar, wo bist du?“, rief er in die Nacht. "Komm her. Ich will dich jemandem vorstellen." Aus dem Schatten des Busches trat eine dunkle Gestalt und kam langsam auf das Lagerfeuer zu. Dane ging ihm entgegen.

"Ein Chreoni!“, rief Josip erschrocken aus und stand auch schon auf seinen Beinen, mit dem Schwert in der Hand und stürmte auf den Krieger los. Dane hatte alle Mühe, den bulligen Mann von seinem Vorhaben abzubringen. Noch bevor Josip die schwarze Gestalt erreichen konnte, stand dieser mit erhobener Waffe bereit. Bereit den ersten Hieb abzuwehren. Dane warf sich zwischen die beiden.

"Er ist ein Freund“, versuchte er Josip zu beruhigen.

"Ein Chreoni kann kein Freund sein“, zischte Josip voller Hass und schob den Jungen beiseite. Elees sprang sofort auf, als sie erkannte, dass die Versuche ihres Bruders nicht fruchteten und stellte sich Josip in den Weg.

"Er ist wirklich ein Freund“, versuchte sie ihr Glück. Ihre Müdigkeit war plötzlich wie ausgewischt. Sie dachte nur noch daran, dass Josips Hass ihn veranlassen konnte, den Chreoni zu töten. Ihr Bruder kam ihn zu Hilfe, als Josip auch sie aus dem Weg stieß. Er schob den schnaubenden Mann zurück.

"Hör auf, Josip“, brüllte er ihn an. "Er ist auf unserer Seite."

"Niemals. Das kann nicht sein“, schrie Josip wütend zurück. "Das sind blutrünstige Kreaturen, die es nur auf den Tod Unschuldiger abgesehen haben. Das sind keine Menschen, das sind Ausgeburten der Hölle, die sich vom Fleisch und dem Blut ihrer Opfer ernähren." Damit schob der kräftige Mann den Jungen zur Seite, als wäre es nur eine lästige Gardine und stürmte auf Shaar los. Dieser wich zur Seite und ließ Josip ins Leere laufen. Vom blinden Hass geblendet, machte Josip gleich darauf kehrt und rannte erneut auf ihn los.

Elees versperrte ihm erneut den Weg. "Nein, Josip, nicht!" flehte sie voller Sorge.

"Geh aus dem Weg, Mädchen!“, befahl dieser barsch. "Ich werde euch von dieser Schmeißfliege befreien. Er wird euch irgendwann töten, vielleicht wenn ihr gerade friedlich schlaft. Er wird uns alle töten. Aber das werde ich verhindern, mit oder ohne eurer Hilfe." Damit schubste er sie unsanft zur Seite und stürmte ein zweites Mal auf Shaar los. Erneut wich der Chreoni aus. Er erhob nicht einmal seine Klinge.

"Ich will nicht mit dir kämpfen“, weigerte er sich.

"Hast du Angst, du schwarzer Höllenhund“, spuckte ihm Josip spöttisch entgegen.

"Wer vor dir Angst hat, fürchtet sich auch vor einem Esel“, konterte der Chreoni. "Weder dir, noch meinen Freunden werde ich etwas antun."

"Du wagst es, uns deine Freunde zu nennen“, schrie Josip außer sich. Er schüttelte Elees, die sich an ihn klammerte, ab, wie Wassertropfen und stürmte ein drittes Mal los. Der Chreoni brauchte nur einen Schritt zur Seite zu tun, um Josip das dritte Mal ins Leere laufen zu lassen.

"Gib endlich Ruhe!“, schrie Dane und schlug dem wütenden Freund die Waffe aus der Hand, bevor er es ein viertes Mal versuchen konnte. Dann warf er Shaar einen Blick zu, worauf dieser sein Schwert sinken ließ. "Hier bringt keiner den Anderen um. Jetzt ist Schluss damit. Shaar stellte sich in meine Dienste und ich vertraue ihm." Er warf dem Chreoni einen warnenden Blick zu. Misstrauen bestand nach wie vor. Auch durch die Taten des Kriegers, bei der Schlacht im Wald, waren nicht alle Zweifel beiseite geräumt worden. Josips Reaktion ließ das geschrumpfte Misstrauen allerdings wieder etwas auflodern. "Sollte er mich belogen haben, wird er durch meine Klinge bestraft und durch niemand anderen, hast du gehört“, rief Dane wütend. Er stieß Josip in die Rippen. "Durch mich."

"Vorher wird diese Bestie dich töten“, zischte er.

"Das werden wir sehen, wenn die Zeit gekommen ist. Aber bis dahin lässt du ihn in Ruhe. Wer weiß, vielleicht benötigst du irgendwann seine Hilfe."

"Pah“, machte Josip angewidert und spuckte aus. "Eher lass ich mir von seiner Herrin, diesem größenwahnsinnigen Weibsbild, einen Krug Bier einschenken."

"Es gehört mehr Mut dazu, ihn dann auch noch auszutrinken“, gab Shaar etwas belustigt hinzu.

Josip beachtete ihn nicht und redete weiter auf Dane ein. "Begreift du denn nicht, dass er sich bei euch nur einschmeichelt, um euch irgendwann an Imeta zu verraten." Diesmal stieß Josip Dane in die Rippen.

"Hast du schon jemals einen Krieger der Chreoni sich bei irgend jemandem einschmeicheln sehen“, kam es, immer noch amüsiert, hinter der Maske hervor. Shaar schob sein Schwert in die Scheide zurück. Für ihn schien diese Auseinandersetzung ein gerade noch glimpfliches Ende genommen zu haben. "Freunden muss man nicht schmeicheln“, fügte er hinzu.

"Er sagt Freund und meint ein gefundenes Fressen für seine Blutdurst“, reagierte Josip endlich auf die Worte des Chreoni.

"Der Einzige, der hier nach Blut dürstet, lässt seinen Kopf von Hass, Argwohn und Unbedarftheit regieren“, gab Shaar teilnahmslos von sich. Ob bewaffnet, oder nicht, diese Beleidigung konnte Josip nicht auf sich beruhen lassen. Er stieß Dane zur Seite und stürzte sich brüllend auf den Chreoni. Doch bevor er ihn erreichen konnte, wurde er umgeworfen. Gleichzeitig warfen sich Dane und Elees auf den bulligen Kerl und drückten ihn zu Boden.

"Hör endlich auf!“, brüllte Dane gereizt. "Er wird niemanden umbringen und du auch nicht. Lass uns morgen darüber reden, wenn wir alle wieder bei klarem Verstand sind."

"Damit uns dieser Höllenhund im Schlaf töten kann? Nein!“, schrie Josip und schüttelte die beiden ab.

"Das wird er nicht tun. Dafür bürge ich“, schrie ihm Dane entgegen.

"Du verschenkst dein Vertrauen an den Falschen."

"Ich weiß was ich tu."

"Im Augenblick scheinen mir deine Sinne ein wenig verwirrt zu sein, mein Junge. Wenn du gesehen hättest, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, würdest du nicht so verschwenderisch mit deinem Leben umgehen. Diese schwarzen Teufel... ." Er zeigte auf Shaar. " ...bringen es sogar fertig, hilflose Frauen und Kinder abzuschlachten und sich über ihre Schreie auch noch köstlich zu amüsieren. So etwas vergisst man nicht."

"Shaar war sicher nicht dabei“, verteidigte Dane den Chreoni.

"Du bist zu naiv, mein Junge. Es ist schade, dass du von deinem Vater nichts gelernt hast."

"Lass gut sein“, schaltete sich Shaar dazwischen. "Bevor meine Anwesenheit noch für weitere Missstimmung führt, ist es besser, wenn wir uns trennen." Damit wand er sich seinem Rappen zu.

"Ja, verschwinde von hier“, schrie Josip.

"Halt, nein, bleib hier!“, hielt ihn Dane zurück. "Es gibt keinen Grund zu verschwinden."

"Wenn er hier bleibt, dann gehe ich." Jetzt wollte Josip das Lager verlassen.

"Verdammt noch mal!“, schrie Dane, kurz davor die Geduld zu verlieren. "Es geht keiner. Wir brauchen euch Beide. Wegen einer solchen Angelegenheit, werden wir doch nicht mit Füßen treten, was wir in vielen Jahren mühsam aufgebaut haben. Wir brauchen deine Führungsqualitäten, ebenso wie Shaars Klinge. Niemand verlässt das Lager. Das wird doch noch zu regeln gehen."

"Da gibt es nichts zu regeln“, fuhr ihm Josip ins Wort. "Dieser Bestie muss der Garaus gemacht werden. Erst dann werden wir vernünftig weiter reden können."

"Der Einzige der unvernünftig redet, bist du, Josip“, warf Elees leise ein.

Der Streit hatte viele Schaulustige angelockt. Immer enger schloss sich der Kreis um die lautstarke Unterhaltung und immer mehr wurde der Grund des Streites auch außerhalb der eigentlich Streitenden diskutiert. Es bildeten sich Parteien für die eine und die andere Seite, die mehr oder weniger lautstark dem einen oder anderen beipflichteten. Dane wurde die ganze Aufregung zu viel. Müde und erschöpft von der langen Reise hatte er absolut keine Lust, die ganze Nacht über dieses Problem zu diskutieren.

"Jetzt reicht es!“, schrie er in den Sternenhimmel. "Ruhe!" Er stellte sich breitbeinig und fest entschlossen, dem Ganzen ein für alle mal ein Ende zu bereiten, zwischen Josip und Shaar. "Ich werde mit Shaar außerhalb des Lagers übernachten. Und ich möchte keine Widerrede hören." Damit meinte er beide. Er winkte dem Chreoni zu, schwang sich ohne ein weiteres Wort wieder auf sein Pferd und ritt in die Dunkelheit. Shaar folgte ihm.

Josip und Elees blieben mit gemischten Gefühlen zurück. Der alte Freund war sich sicher, dass der junge Heißsporn den nächsten Tag nicht mehr überleben würde, aber zurückhalten konnte er ihn auch nicht. Dafür kannte er ihn zu gut, um zu wissen, dass Dane ihn für diese Bevormundung nur hassen würde. Traurig sah er ihm hinterher und schimpfte über dessen Gutgläubigkeit. Leise fluchend kehrte er zum Lagerfeuer zurück. Elees blieb noch stehen und sah ihnen hinterher, als die Beiden schon längst in der Dunkelheit verschwunden waren. Ihr Herz wurde immer schwerer. Nicht die Sorge um ihren Bruder, ließ sie traurig werden, sondern die Trennung von Shaar. Sie hatte gehofft ihn endlich besser kennenzulernen. Der Streit mit Josip zerschlug ihre Hoffnungen. Er würde den Chreoni niemals in seiner Nähe dulden. Niedergeschlagen kehrte auch sie zum Feuer zurück.

Lautes Scheppern riss sie aus ihren Gedanken. Voller Wut hatte Josip einen Krug ins Feuer geschmettert.

"Verdammt noch mal!“, fluchte er. "Dieser schwarze Teufelshund wird noch mal unser aller Tod sein." Zornig stieß er mit dem Fuß nach dem zerbrochenen Krug.

Elees verspürte keine Lust mit irgendwelchen Leuten zu reden, und schon erst recht nicht, mit einem vor Wut außer sich Stehenden, wie Josip. Deshalb zog sie sich bald in ihr Nachtlager zurück. Aber schlafen konnte sie noch lange nicht. Am Liebsten hätte sie ihre Sachen gepackt und wäre ihrem Bruder gefolgt, doch ihre körperliche Erschöpfung ließ keine Regung mehr zu. Es dauerte lange, bis es endlich ruhig im Lager wurde. Ab und zu, trug der seichte Nachtwind Fetzen von Gesprächen zu ihr herüber, die sich alle um Shaar drehten. Ihre Gedanken kreisten daher bald um Josips Anschuldigungen. Sie hoffte für den Krieger und für sich, dass sie nicht zutrafen. Und dennoch. Der Chreoni erweckte nicht den Eindruck, als würde er einen von ihnen ein Härchen krümmen wollen.

 

Laute Stimmen, Gerassel von Pferdegeschirren, Trampeln vieler Füße und Hufe, weckten Elees aus ihrem nicht sehr tiefen, traumlosen Schlaf. Um sie herum herrschte helle Aufregung. Es sah aus, als wollten die Männer aufbrechen. Die Sonne spitzelte ein wenig über die Berggipfel und tauchte das Tal in ein gleißendes Licht. Doch in dieser Aufregung erkannte niemand die Schönheit eines Morgens. Auch Elees nicht. Noch den Schlaf in den Gliedern sitzend, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Fröstelnd saß sie inmitten der Aufbruchstimmung und ließ die Geschehnisse der letzten Nacht noch einmal in ihrem Kopf ablaufen. Irgendwann rüttelte eine kräftige Hand an ihrer Schulter.

"Komm, Mädchen!“, rief eine bekannte tiefe Stimme. "Wir müssen Dane suchen." Er ließ ihr keine Zeit, für eine Antwort und wand sich gleich wieder ab um Kommandos an seine Männer zu verteilen und mit dem Fuß Sand in das noch glimmende Feuer zu schieben. Binnen kurzer Zeit fand sich Elees auf dem Rücken ihres Pferdes wieder. "Warum hat dieser Grünschnabel nicht auf mich gehört? Verdammt, warum habe ich ihn nicht aufgehalten?“, murmelte Josip ständig vor sich hin.

Elees konnte sich keinen Reim aus Josips Worten machen, doch bald wurde ihr das Geschehene unverblümt vor Augen geführt. Einige von Josip, im Morgengrauen ausgesandten, Männer, die Dane und Shaar suchen sollten, kamen mit keiner guten Kunde zurück. Sie stieß einen Schrei aus, als sie das entsetzliche erblickte. Der Lagerplatz der Beiden war verwüstet. Das Feuer durch Kämpfe ausgetreten. Der Chreoni lag reglos, scheinbar erschlagen, am Boden. Ein Schwert ragte unter ihm hervor. Von Dane gab es keine Spur. Josip konnte das Mädchen gerade noch zurückhalten, zu ihm zu laufen. Er traute dem Krieger selbst dann nicht, wenn er tot war. Niemand traute sich an ihn heran. Niemand war mutig genug, sich um Shaar zu kümmern. Niemand wollte sich vergewissern, ob er noch lebte.

"Verdammte Schweinerei!“, schimpfte Josip und hielt die zappelnde Elees weiterhin fest. "Ich hatte Recht, mit diesem Monster." Plötzlich erheiterte ihn etwas. "Da war jemand schneller als er“, lachte er auf.

Es schien, als wären die Zwei im Schlaf überrascht worden. Shaar befand sich noch halb in seinem Nachtlager. Danes Lager war zerwühlt und über den ganzen Platz verteilt. Josip schickte die dritte Patrouille aus, um nach Dane zu suchen. Doch auch diese kam nach Stunden erfolglos zurück. Irgend jemand überreichte Josip ein Medaillon. Achtlos steckte er es in seine Tasche. Wenn der Chreoni nicht bereits schon ermordet worden wäre, hätte er es spätestens jetzt getan. Höchst verächtlich blickte er auf die reglose Gestalt zu seinen Füßen und dachte nicht daran, ihn zu begraben, oder ihn würdevoller zu betten und er gestattete auch Elees nicht, sich um ihn zu kümmern. Niemand wagte es, sich Josips Befehl zu widersetzen, auch nicht, als er zum Abmarsch befahl. Sollen ihn die Aasgeier fressen, samt seiner schwarzen Seele, schimpfte er ihm Stillen.

Doch plötzlich stutzte er. Er glaubte, aus dem regloses schwarzen Körper ein leises Stöhnen vernommen zu haben. Schnell drückte er Elees in die Arme eines Anderen und drehte den leblosen Körper auf den Rücken. Das Schwert, das ihn scheinbar durchbohrt hatte, fiel aus dem Gewand. Josip suchte nach der vermeintlich tödlichen Wunde und fand etwas, was ihn in schallendes Gelächter verfallen ließ.

"Diese Teufelskerle“, lachte er. "Es hätte mich gewundert, wenn es anders wäre. Er trägt ein Kettenhemd." Nun war Elees nicht mehr zu halten. Mit einem kräftigen Rempler in die Magengrube verschaffte sie sich die ersehnte Freiheit. Josip stieß sie allerdings wieder zurück, als sie sich zu ihnen beiden hinunter kniete. Höchst unsanft rüttelte er Shaar aus seiner Ohnmacht. Nur langsam kam dieser zur Besinnung. Noch ehe er seine Gedanken in die richtige Bahnen leiten konnte, redete Josip auf ihn ein. "Was ist geschehen? Wo ist Dane?" Bei jeder Frage rüttelte Josip hart an den Schultern des Chreoni und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Der kräftige Schlag auf den Kopf, den Shaar abbekommen hatte, sorgte allerdings dafür, dass es nur zögerlich voran ging. Josip ließ nicht locker. Er schüttelte ihn derb hin und her und wiederholte ständig seine Fragen. Erst als sich Shaar gegen diese Misshandlung wehrte, wusste Josip, dass er wieder unter ihnen weilte.

"Wo ist Dane?“, fragte Josip barsch.

Shaar schüttelte den Kopf. Eher, um den letzten Rest seiner Verwirrung los zu werden und nicht als Verweigerung der Antwort.

"Du verfluchter Hund“, zischte Josip böse und rüttelte erneut an den Schultern des Chreoni. "Wo ist er?"

"Ich weiß es nicht“, schrie ihm Shaar viel zu laut ins Gesicht. Sein Kopf schmerzte.

"Was ist hier passiert?“, wollte Josip wissen. Er hielt Shaar fest, als sich dieser aus Josips Griff winden wollte.

"Sie fielen über uns her, als wir schliefen“, antwortete Shaar.

"Sie?“, wiederholte Josip ungläubig. "Hast du das nicht vielleicht selbst inszeniert, um den Verdacht von dir abzulenken?"

"So dumm sehe ich wahrlich nicht aus“, maulte Shaar. Er betastete seinen Brustkorb. Er schmerzte. Das Kettenhemd hatte ihm das Leben gerettet.

"Ich glaube eher, deine eigenen Leute haben dich angeschmiert. Entweder waren das die reinsten Stümper, dass sie es nicht schafften, einen schlafenden Mann zu töten, oder sie sind tatsächlich so dumm gewesen, dich am Leben zu lassen. Vielleicht hast du gar nicht geschlafen“, stocherte Josip weiter. "Vielleicht bist du gar nicht so gut, wie du behauptest? Wer waren sie?" Josip packte ihn so fest am Hemd, dass der Stoff knirschte.

"Keine Ahnung“, rief Shaar verärgert.

"Das nehme ich dir nicht ab, du Hund“, zischte Josip, griff nach dem Schwert, das den Chreoni töten sollte und hielt es ihm unter das Kinn. "Du weißt es, und ich will es sofort von dir hören." Erst wollte Shaar dagegen protestieren, doch dann entdeckte er am Knauf des Schwertes, das ihm Josip unter die Nase hielt, etwas. Er zeigte auf das Knaufende.

"Sagt dir das nichts?“, wies er ihn darauf hin und zeigte auf das Medaillon am Griffende. Josip folgte dem Zeig und begutachtete den Griff argwöhnisch. Doch er konnte außer diesem Metallstück, auf dem eine fünfzackige Sonne inmitten seltsamer Schriften zu sehen war, nichts entdecken.

"Was soll es mir sagen?“, fragte Josip, dem gewisse Verdächtigungen aufkeimten.

"Das ist Imetas Zeichen“, klärte Shaar ihn auf.

"Ich wusste es!“, schrie Josip und wollte ihm augenblicklich die Klinge in die Kehle stoßen, doch Shaar war schneller. Mit einer hastigen Handbewegung schlug er ihm die Waffe aus der Hand und stieß ihn von sich. Wild geworden schrie Josip und schlug um sich.

"Tötet diesen Hund!“, befahl er seinen Männern. Shaar war aufgesprungen und hatte sich das Schwert des Schergen gegriffen. Da der Chreoni nun wieder bewaffnet war, traute sich keiner der Männer, ihn anzugreifen. Selbst die Erkenntnis, dass über zweihundert Mann einem Einzigen gegenüberstanden, verschaffte ihnen nicht den ausreichenden Mut für diese Tat.

"Sollte dem Jungen auch nur ein Haar gekrümmt werden, stirbst du“, drohte Josip böse und erhob sich.

"Sollte Dane etwas zugestoßen sein, wird der Schuldige durch meine Hand bestraft“, widersprach Shaar. "Und das verspreche ich dir, wird passieren."

"Pah“, machte Josip und spuckte angewidert aus. "Die Worte eines chreonischen Teufels sind soviel wert, wie Fliegendreck."

"Auch Fliegendreck kann verheerende Auswirkungen haben“, konterte Shaar.

Elees erhob sich und stellte sich zwischen ihm und Josip.

"Wo ist Dane?“, wollte sie besorgt wissen. Der Chreoni betrachtete sie kurz. Er schien sich erst wieder fassen zu müssen, um sich mit Elees, die keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit hegte, vernünftig reden zu können.

"Ich nehme an, sie brachten ihn zu Imeta in die Festung bei Serphauce“, antwortete er weitaus weniger erregt.

"Du hast ihn also doch verkauft“, brüllte Josip und stürzte sich, ob bewaffnet, oder nicht auf den Chreoni. Elees war dabei nur ein geringes Hindernis. Shaar hob ihm augenblicklich die Klinge entgegen, worauf Josip wie angewurzelt, nur wenige Zentimeter vor der gefährlichen Spitze, stehen blieb.

"Wenn es so wäre, dann stünde ich nicht mehr hier“, kam es scharf hinter der Maske hervor. "Ist in diesem riesigen Körper kein bisschen Verstand“, fragte er und stak die Spitze leicht in den Bauch des wutschnaubenden Bullen, ohne ihn jedoch zu verletzen. Josip wich erschrocken einen Schritt zurück, war aber bereit sich sofort wieder auf ihn zu stürzen, sobald er einen Fehler beging. "Die Ergreifung eines Rebellen bedeutet eine Belohnung“, fuhr Shaar fort. "Die sich die Schergen durch diesen unredlichen Überfall verschafften wollten. Vermutlich schlichen sie schon die ganze Zeit um euch herum, ohne dass du, oder deine Männer etwas bemerkten. Sie warteten auf eine günstige Gelegenheit und schlugen zu. Ich, als Chreoni, in Begleitung des Rebellen, war der Einzige, der ihnen diese Belohnung streitig machen konnte, also töteten sie mich, wozu sie sogar noch zu dumm waren. Aber da ich nicht tot bin, werde ich zur Festung reiten und die Übeltäter aus ihren Löchern scheuchen. Die Dummheit dieser Männer, wird ihnen noch teuer zu stehen kommen. Wenn ich es tatsächlich vorgehabt hätte, euch zu verraten, hätte mir Dane allein genügt, um euch alle dem Tod auszuliefern. Wenn es so wäre, würde ich nicht hier stehen und mich mit dir herumstreiten. Begreifst du endlich, du Koloss, ohne Verstand?" Damit senkte er die Waffe und überließ es Josip, über das Weitere zu entscheiden.

Dieser schien zum ersten Mal ernsthaft darüber nachzudenken. Es hörte sich glaubhaft an, was der Chreoni ihm entgegen geschleudert hatte. Grübelnd kratzte er sich am Kopf. Elees starrte Shaar mit weit aufgerissenen Augen an. Noch nie hatte sie ihn soviel auf einmal reden hören. Bisher war er als Einer aufgetreten, der nur das Nötigste von sich gab. Ohne auf eine Reaktion zu warten, packte Shaar seine Sachen zusammen, ging zu seinem Pferd und verstaute alles, inklusive dem Soldatenschwert, in seinem Gepäck. Elees lief ihm hinterher.

"Was hast du nun vor, Shaar?“, wollte sie wissen.

"Ich werde versuchen, Dane aus den Klauen der Königin zu befreien“, antwortete er, während er die Schnallen der Satteltaschen festzurrte.

"Und wie willst du das machen?"

Shaar hielt inne und betrachtete sie. "Ich bin vom Volke der Chreoni“, antwortete er, mit einem Anflug von Unbeschwertheit. "Somit wird mir keiner den Einlass in Serphauce verwehren können."

"Ich begleite dich“, entschied sie schnell und war auch schon dabei, in ihren Sattel zu steigen.

"Nein!“, hielt Shaar sie zurück. "Das würde auffallen." Er senkte kurz den Kopf. "Wir haben niemals Frauen in unserer Begleitung. Außerdem ist es zu gefährlich für dich." Dass er sich um sie Sorgen machte, gefiel ihr. Sie hatte aber gelernt, für sich selbst zu stehen.

"Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen“, widersprach sie trotzig. "Es braucht doch niemand zu wissen, dass ich kein Mann bin. Ich könnte mich unter meinem Helm verstecken, so wie ich es immer mache."

"Das Risiko, deine wahre Identität zu entdecken, ist zu groß“, schüttelte Shaar leicht den Kopf. "Du kannst noch so auf der Hut sein, es kommt mit Sicherheit eine Situation, in der du entlarvt wirst. Serphauce ist eine gefährliche Stadt. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich muss allein dorthin." Seine Stimme war weich und spiegelte wahre Besorgnis wieder. Elees Gefühle ließen sich davon beeindrucken.

"Ich werde aufpassen“, gab sie heiser von sich und schluckte einen Kloß hinunter. Erneut schüttelte er den Kopf.

"Nein, Elees!“, widersprach er. Ihren Namen, von ihm ausgesprochen, ließ sie beinahe dahin schmelzen. "Du kannst zwar gut mit dem Schwert umgehen, doch gegen die Königin hast du keine Chance."

"Aber ich kann doch nicht einfach so herumsitzen und darauf warten, dass du zurückkommst und dann vielleicht erfahren, dass mein Bruder umgebracht wurde“, rief sie verzweifelt. "Ich muss etwas tun. Dane ist in Gefahr und ich muss zumindest versuchen ihn zu retten."

"Es hilft Dane in keinster Weise, wenn du ebenfalls verhaftet wirst“, ließ Shaar nicht locker. "Aber es würde keiner wagen mich zu verhaften."

Dies klang plausibel und überzeugte auch Josip. "Er hat Recht“, schaltete er sich ein. "Er kann bei Imeta ein und aus spazieren, ohne dass auch nur Einer Fragen stellt."

Shaar warf ihm einen kurzen Blick zu. Er schien sich über dessen plötzliche Wandlung zu wundern. "Aber sie hat ebenfalls Recht“, kam es unter der Maske hervor. "Sie kann hier auf keinen Fall auf meine Rückkehr warten." Elees Hoffnungen keimten auf, wie ein Samenkorn nach dem ersten Regen am Ende einer langen Trockenperiode. "Ich werde dich an einen sicheren Ort bringen." Ein gewaltiger Prügel schlug ihre Hoffnungen schroff nieder. Heftig schüttelte sie den Kopf.

"Niemals!“, weigerte sie sich. "Du kannst mich nicht davon abhalten, etwas für die Rettung meines Bruders tun." Sie war fest entschlossen ihm zu folgen, ob er es nun erlaubte, oder nicht.

"Das will ich keineswegs“, erwiderte Shaar. "Aber dies ist eine Sache, die ich allein tun muss. Meinetwegen verließ Dane das schützende Lager. Und ich war nicht fähig, ihn vor einer Handvoll Soldaten zu schützen, deren Mut allenfalls ausreichte, zwei schlafende Männer zu überfallen."

Elees erkannte, dass sie sich fügen musste. Shaar war ein Krieger, der zu Stolz war, sich von Jemandem, gleichgültig welchem, helfen zu lassen. Wenn seine Ehre gekränkt worden war, stellte er sie allein wieder her.

"Und wohin willst du mich bringen?, fragte sie leise. "Es gibt für dich keinen sicheren Ort, als das Dorf, in dem ich lebe."

Zwei Köpfe flogen herum. Elees starrte ihn erstaunt und Josip völlig entsetzt an.

"Niemals!“, rief er. "Das kann ich nicht zulassen."

"Es liegt nicht weit von hier“, erklärte der Chreoni. "Unser Land ist selbst für die Königin und ihre Schergen tabu."

"Was nicht heißen soll, dass Elees bald in ihren Kerkern schmachtet. Nein!“, weigerte sich Josip beharrlich. "Ich werde das Mädchen nicht den Klauen eines wilden Tieres ausliefern." Dies genügte, um Shaars Geduldsfaden reißen zu lassen. Er schob Elees zur Seite, packte Josip am Kragen und zerrte ihn hart an sich heran.

"Mich kannst du beleidigen, sooft und solange du willst“, zischte er böse. "Aber hüte dich davor, die Ehre meines Volkes zu beschmutzen."

"Hört auf!“, schrie Elees dazwischen und schob sich zwischen die Beiden. "Gebt endlich Ruhe." Sie drückte die Streithähne auseinander. "Du Alter Brummbär, halte deine Zunge im Zaum“, schimpfte sie mit Josip und wand sich dann an Shaar. "Und du... ." Sie schluckte, denn Shaar blickte ihr direkt in die Augen. Sie konnte seine Erregung spüren. Alles würde er über sich ergehen lassen, nur nicht einen tätlichen Angriff auf sein Volk. "Du musst ihn auch verstehen“, versuchte sie ihn zu beruhigen. "Josip hat nur Angst um mich"

"Ich verstehe ihn“, gab Shaar zu. "Wenn er lernt, Anderen eine Chance zu geben."

Damit wand sich Elees wieder an Josip. "Bitte“, flehte sie. "Shaar weiß was er tut und ich bin mir ziemlich sicher, dass er nichts unternehmen wird, was mir schaden könnte. Ich werde mit ihm in sein Dorf reiten." Sie tippte mit dem Zeigefinger auf seine Brust. "Und nun möchte ich keine Widerrede mehr hören." Elees dachte dabei in erster Linie an die Zeit, die sie bald mit dem Chreoni allein verbringen würde. Sie hoffte, näheres von ihm zu erfahren, und das Dorf, indem er aufwuchs und bislang lebte, würde ihrer Neugierde nur mehr als gerecht werden. Josip verzog sein Gesicht. Sein struppiger Vollbart stellte sich dabei in alle Richtungen und ließ es komischer aussehen, als die Situation erlaubte.

"Na gut“, nickte er nach kurzem Überlegen. "Aber nur unter einer Bedingung. Ich und zwei meiner Männer begleiten dich." Elees hätte ihm am Liebsten das Nein ins Gesicht geschrien, aber Shaar erklärte sich augenblicklich einverstanden. Auch wenn sich Elees auf den Boden geworfen und wild mit den Beinen gestrampelt hätte, Josip wäre von seiner Entscheidung nicht mehr abzubringen gewesen.

"Also gehen wir endlich“, befahl sie und drehte sich schnell um. Niemand sollte ihre Verzweiflungstränen sehen.

 

Josip wählte zwei seiner Leute aus und schickte den Rest der Truppe weg. Da Shaar nicht wissen wollte, wohin, um sich bei der Königin nicht durch eine unbedarfte Bemerkung zu verraten, kümmerte er sich um die Pferde.

Nachdem Josips Männer längst außer Sicht waren, brachen die Übriggebliebenen Richtung Chreonidorf auf. Schweigsam trotteten sie hintereinander her. Jeder versank in seine eigenen Gedanken. Shaar schien über irgend etwas zu grübeln und überließ Norsha, seinem Rappen, die Führung der Truppe. Josip war vollauf damit beschäftigt den Chreoni zu beobachten und die Richtigkeit der Route zu kontrollieren. Elees beobachtete Josip und Shaar und hoffte auf eine Zeit, in der sie der stolze Krieger endlich näher an sich heran ließ und ihr sein wahres Gesicht zeigte. Und die beiden übrigen?!

Ihnen war dies nicht ganz geheuer. Unruhig rutschten sie in ihren Sätteln hin und her. Sie hofften auch noch nach Stunden, dass Josip seine Meinung änderte und zurückritt. Ihnen gefiel der Gedanke nicht, direkt in die Pranken eines Tigers zu reiten. Erzählte man sich doch manch schauerliche Geschichten über die Chreonis.

 

4.

 

 

 

 

Das prächtige Schloss der Königin stand hoch oben auf der Spitze eines Hügels. Die Zinnen der Türme ragten weit in den Himmel hinein, als wären sie dafür gebaut, die Wolken zu berühren. Wer an diesen Zinnen stand und in die Ferne blickte, konnte selbst die weitesten Ausleger von Serphauce und das ganze weite Tal überblicken, das dem Schloss und seiner mächtigen Königin zu Füßen lag. Ferne Berge, hinter denen Tag für Tag die Sonne aufstieg und dem ganzen Tal eine leuchtende Krone verlieh. Saftige grüne Wiesen mit duftenden Blüten, in denen fleißige Bienen eifrig Nektar sammelten. Wogende tiefe Wälder, in denen das Rauschen von geheimnisvollen Stimmen wohnte. Die einzigartige Schönheit eines weiten Tales, in dem Menschen leben sollten, die glücklich und zufrieden ihre Arbeit verrichteten und denen das Leben unterhalb der riesigen Festung, wie ein Leben im Paradies vorkommen sollte.

Doch... – Was die Herrin dieses Landes noch mehr liebte, als grausame Morde zu verrichten, war der Glanz von Schönheit, Prunk und Anmut. Wenn sie aus dem Fenster sah, wollte sie das sehen, was sie sehen wollte. Wenn sie durch ihr Heim ging, wollte sie an Dingen vorbei gehen, an denen nur sie sich selbst gestattete vorbei zu gehen. Ein jedes Zimmer ihrer mächtigen Behausung war bis obenhin angefüllt von Kostbarkeiten. Gold, glänzende Geschmeide, zart fließende Seidenstoffe, goldbestickte Kleider, aus edelstem Material gewebte Teppiche, glitzernde Leuchter, Edelsteine und seltene Hölzer aus exotischen Ländern. Während sie in diesem Prunk ihre Macht ausübte, hungerte das Volk, wurde es von Schergen ausgenommen, ausgepresst, und gefoltert. Das Schloss stand als Ebenbild von Reichtum und Macht unterdrückend über Allem.

Die Grausamkeit und Unbarmherzigkeit von Königin Imeta war bis im letzten Winkel des Reiches bekannt und jeder ihrer Untertanen zitterte um seinen Kopf. Die Herrscherin duldete keine Widerrede und jeder, der es wagte, sich in irgendeiner Weise und völlig gleichgültig wogegen er sich ihr widersetzte, war im selben Atemzug, indem er seine Weigerung aussprach, zum Tode verurteilt. Für jeden Todeskandidaten dachte sie sich eine besondere Art zum Sterben aus und genoss es förmlich, wenn der Ärmste vor Angst winselte, oder vor Schmerzen schrie. Dass es dennoch Aufrührer gab, die es wagten, trotz ihrer exotischen Exekutionen, den Mut aufbrachten, sich gegen diese Frau zu stellen, ärgerte sie. Es ärgerte sie maßlos, dass sich einige ihres Volkes zusammenrotteten und sich weigerten das ihr zustehende Honorar für ihre Herrschaft zu zahlen. Es ärgerte sie von Tag zu Tag mehr, so dass sie immer unbarmherziger, grausiger und verbitterter wurde und sich immer bestialischere Todesarten ausdachte. Aber nicht diese Tatsache allein, ließ die Leute vor ihr erzittern. In den Straßen erzählte man sich, dass sie mit dem Teufel im Bunde sei. Man erzählte sich, dass sie im Besitze der schwarzen Magie sei.

 

Unruhig wanderte Imeta im Thronsaal umher. Ihre Schritte wurden von den dicken Steinmauern zurückgeworfen. Der Hall ließ die Kronleuchter und den Silberschmuck an den Wänden erzittern. Ihr weites, rotes, mit Gold und Edelsteinen besticktes Gewand wog bei jedem Schritt hin und her und flatterte, wie eine Fahne hinter der Frau her. Irgend etwas schien sie zu bedrücken und ihr mächtige Sorgen zu bereiten. Samo Tores, der einzige Minister im Reich, zugleich der Königin persönlicher Sekretär und Berater, Richter, Oberbefehlshaber der Schergen und der Schatzmeister in einer Person, beobachtete dieses unruhige Hin und Her seiner Herrin mit einigem Missfallen. Obwohl er glaubte, den Grund für diese Unruhe zu kennen, wagte er es nicht, sie anzusprechen.

"Sieh mich nicht so an, Samo Tores!“, wetterte Imeta, während sie wieder an ihrem Handlanger vorbei spazierte.

"Was bedrückt eure Hoheit?“, fragte dieser vorsichtig.

Die Königin blieb stehen. "Du weißt es genau!“, donnerte sie. Ihre laute Stimme ließ Samo Tores zusammenschrecken und den Kopf einziehen. Energisch ließ sich die Frau auf einen Stuhl fallen.

"Ich kann tun, was ich will, ich kriege sie nicht klein!“, schimpfte sie. "Sie hoffen alle auf Talinas Prophezeiung."

"Ihr müsst dem Volk eben zeigen, dass ihr die Zukunft beherrscht“, schlug der Berater vor.

"Ich bin die Zukunft!“, donnerte sie und schlug ihre Faust auf die Armlehne.

"Natürlich, eure Hoheit“, gab er schnell von sich, um die wütende Herrscherin zu beruhigen. "Auch euer Volk weiß das."

"Ach, tatsächlich?" schrie sie explodierend. "Wieso gibt es dann immer noch Aufstände? Wieso müssen meine Schergen immer noch durch mein Reich ziehen und Widerstände brechen und wieso sind die Kerker voll von Leuten, die sich mir widersetzen?" Ihre Augen blitzten mit ihrem Diadem um die Wette. Bei jedem Wieso warf sie ihre Arme in die Luft, so dass die weiten Ärmel ihres Gewandes auf und ab flatterten, als wüssten sie nicht, in welche Richtung sie davonfliegen sollten. Für einen ganz kurzen Augenblick schien sie auf Antwort zu warten, doch dann sank sie scheinbar schmollend in sich zusammen.

Samo Tores erbebte beim Klang ihrer hysterischen Stimme, aber die plötzlich eintretende Stille ließ ihn noch mehr erzittern. Seine Augen starrten vor sich ins Leere. Mit zittrigen Fingern strich er sich über seinen dichten schwarzen Schnauzbart. Plötzlich, als ob ihn ein Blitz getroffen hätte, zuckte er zusammen. Seine Augen erstrahlten in einem seltsamen Glanz.

"Eure Hoheit“, zerstörte er die trügerische Stille.

Langsam, scheinbar ohne Interesse an den Ideen ihres Ministern, hob sie den Kopf.

"Eure Schergen konnten einen Rebell festnehmen“, begann er erneut und schwellte seine Brust vor Stolz über seinen Geistesblitz. "Es wäre doch ein unvergessliches Erlebnis, wenn ihr an ihm ein Exempel statuieren würdet. Eurem Volk würde wieder in Erinnerung gerufen, dass ... ." Samo Tores war von seiner Idee so begeistert, dass er nicht bemerkte, wie er seine Herrin damit langweilte.

"Ach, Tores“, gab sie verärgert von sich. "So viele Exempel wurden bereits statuiert. Es flossen schon so viele Liter Blut, Tausende von Bauern und Soldaten wurden gerichtet und das Volk bäumt sich noch immer auf. Mit Blut kann man sie nicht in die Knie zwingen. Sie haben bereits so viele Jahre gekämpft und Blut getrunken, dass es ihnen nichts mehr ausmacht. Erst wenn der Letzte meines Volkes stirbt, werde ich vollends siegen. Aber wen soll ich dann regieren?“, stellte sie die Frage in den Raum, jedoch ohne eine Antwort darauf zu erwarten. "Wer wird die Steuern bezahlen? Es ist keiner mehr da, den ich beherrschen kann." Bei diesem Satz ballte sie die Faust und hielt sie vor sich hin, als wolle sie eine reife Frucht ausquetschen.

"Nein, Herrin“, ließ sich der Mann nicht von seiner Idee abbringen. "Wenn ihr an ihm eure ungeheure Macht demonstrieren könntet ... ."

"Still!“, unterbrach sie ihn erneut. "Wie oft habe ich das denn schon getan?" Mit einem Ruck erhob sie sich und ging ein paar Schritte durch den Thronsaal. Dabei wehte ihr rotes Gewand hinter ihr her, wie eine Flamme. Die goldenen Stickereien bildeten das siedende Herz der Glut. "Nein!“, gab sie nach einer Weile von sich, ohne ihren Spaziergang zu beenden. "Ich brauche etwas wirkungsvolleres. Etwas worauf sie alle bereits seit langen Jahren warten." Sie war nun stehen geblieben und drückte ihre geballte Faust so fest an die Brust, das ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihr Augen glänzten in einem gefährlichen Schimmer. Ihr Mund war zu einem schmalen verschmitztem Lächeln verzerrt.

Samo Tores wusste, was sie meinte. "Meine besten Agenten suchen nach ihm“, gab er leise von sich.

Imeta fuhr herum. "Fünfundzwanzig Jahre suchen sie bereits“, donnerte sie wütend. "Fünfundzwanzig Jahre lang. Deine Agenten sind Stümper, wenn sie es nicht in fünfundzwanzig Jahren schaffen, mein Reich nach einem einzigen Menschen zu durchsuchen."

"Aber eure Hoheit“, versuchte er sie zu beruhigen. "Auf euren Befehl hin, wurde alle in dieser Zeit geborenen Kinder getötet. Es könnte doch sein, dass er unter ihnen war. Da können die besten Agenten niemanden mehr finden."

"Nein, ist er nicht“, wusste sie es besser. "Talina hätte ihre Prophezeiung nicht ausgesprochen, wenn sie es nicht genau vorher gewusst hätte." Ihre Augen funkelten wütend und sandten giftige Blicke in Richtung ihres Oberbefehlshabers. "Wenn er mich findet, bevor ich ihn finde, wirst du der nächste sein, an dem ich ein Exempel statuiere“, drohte sie böse. Ihr Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Fratze, als wolle sie den ohnehin schon eingeschüchterten Mann mit ihrem furchterregenden Anblick umbringen.

"Sollte euer Sohn noch am Leben sein, werden meine Agenten ihn finden“, versicherte Samo Tores und versuchte ihrem Blick standzuhalten. Die Angst vor seiner Herrin stand ihm ins Gesicht geschrieben und viel lieber, als sich ihrem Zorn aussetzen zu müssen, wäre er in den Ohnmacht gefallen.

Ein leises Räuspern an der Türe erlöste ihn kurzfristig von seinen Qualen.

"Was ist?“, rief die Herrscherin ärgerlich. Die Wache erschrak ebenso, wie Samo Tores, räusperte sich kurz und trug dann sein Anliegen vor.

"Eure Majestät. Ein Chreonikrieger bittet um Audienz."

"Ein Chreoni?“, fragte sie nach, obwohl die Wache sehr deutlich gesprochen hatte. "Was will er?"

"Er behauptet, euch in einer sehr dringlichen Angelegenheit sprechen zu müssen." Der Wache sah man an, dass er sich zwischen der Angst vor seiner Herrin und der vor dem Besucher entscheiden musste, aber nicht so recht wusste, wofür er sich nun letztendlich entscheiden sollte.

"Ein Chreoni“, wiederholte sie, als wüsste sie endlich, um was es ging. "Diese eigensinnigen Schwertschwinger“, maulte sie, wie ein verwöhntes Kind. "Sie sollen die Wölfe in der Bergen jagen. Was wollen sie hier?." Sie winkte der Wache, doch Samo Tores sprang schnell auf. "Eure Hoheit, vergebt mir“, sagte er schnell und winkte die Wache wieder zurück. "Diese eigensinnigen Schwertschwinger haben immerhin euren seligen Vater zum Sieg um Ckriquett verholfen. Ihr solltet es euch mit den Chreoni nicht verscherzen. Vielleicht benötigt ihr irgendwann ihre Hilfe. Denkt an den Pakt, den euer Vater noch mit den Chreoni geschlossen hatte."

Sie schien sich wieder daran zu erinnern. "Warum weigern sie sich jetzt, wo ich sie so dringend brauche?“, maulte sie gereizt.

Samo Tores wollte es ihr erklären und holte auch schon Luft dafür, doch die Königin winkte ihm ab. Sie wusste, was er ihr zu sagen hatte.

"Dann wollen wir mal unsere Freunde aus den Bergen nicht weiter warten lassen“, gab sie plötzlich, ihre Meinung wechselnd, lächelnd von sich. Dieses Lächeln verlieh ihrem Gesicht einen seltsamen hinterlistigen Ausdruck. "Er kann eintreten“, sagte sie zu der Wache und stolzierte in der würdevollsten Haltung auf den Thron zu.

Die Wache verschwand augenblicklich, als hätte er die ganze Zeit nur auf diesen Befehl gewartet. Kurze Zeit darauf schwangen die riesigen Flügeltüren auf und ein gänzlich in schwarz gekleideter und Unheil verheißender Mann trat in den Türbogen. Ein mit Fell überzogener Tierschädel bedeckte den größten Teil seines Gesichtes. Der schwarze, wallende Umhang verlieh ihm ein hünenhaftes Aussehen. Jeder Schritt von ihm, hallte in dem riesigen, fast menschenleeren Raum und ließ Gläser, Kronleuchter und Silberschmuck an den Wänden erzittern.

Jeder Schritt, den der Schwarze machte, ließ den Sekretär schaudern. Oh, wie er diese Chreonis, für ihr Art und Weise aufzutreten, hasste, sagte sich Samo Tores im Stillen, als er sich halb ängstlich, halb angewidert hinter den Thronsessel zurückzog.

In der Mitte des Saales blieb der Chreoni stehen und vollzog die gleiche Begrüßung, über die sich zuvor Dane und Elees wunderten. Selbst die Königin konnte sich ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen und erwiderte nur nickend den Gruß.

"Sei gegrüßt Chreoni, mein Freund“, empfing sie ihn, mit einer zuckersüßen Stimme, die alles andere als Böses versprach. Sie lächelte und jetzt verließ dieses Strahlen ihrem Gesicht einen wunderbaren Glanz. Er ließ sie so schön, wie noch nie erscheinen. "Die Freunde aus den Bergen sind immer willkommen in meinem bescheidenen Haus." Diese Lüge ließ selbst Samo Tores leise räuspern.

"Seid gegrüßt, meine Königin“, antwortete der Schwarze.

"Was kann ich für einen guten Freund tun?" Sie benutzte das Wort Freund zu oft, was schon verdächtig werden sollte.

"Ich bin Shaar, aus dem Lande der Chreoni“, stellte er sich kurz vor.

"Trage deine Bitte vor!“, forderte sie ihn mit einer liebenswerten Stimme auf.

"Ich bitte euch, mir einen Gefangenen auszuhändigen“, kam es unter der Maske hervor. Der Oberbefehlshaber der Schergen wollte schon aufbrausen, als ihn eine winzige Geste seiner Herrin, sofort alles weitere verschlucken ließ.

"So?“, machte sie. "Einen Gefangenen forderst du." Sie schien zu überlegen. "Welchen Grund hast du dafür vorzutragen?"

"Der Mann, der sich nun in euren Verliesen befindet“, begann Shaar. "Ist ein Mitglied der Rebellen, die sich gegen eure Herrschaft auflehnen. Durch Zufall traf ich auf ihn und es gelang mir, sein Vertrauen zu erringen. Doch bevor er mich zu seinen Anführern bringen konnte, wurden wir von euren Schergen überfallen."

"Aha“, machte sie nur und schien über das eben gehörte ernsthaft nachzudenken. Nach einer Weile löste sie sich aus ihrem Grübeln. "Was ist dir denn so wichtig an diesem Mann?"

"Er erzählte mir, dass sie sich an einem geheimen Ort sammeln wollten, um sich für eine Schlacht zu rüsten, die euch eures Thrones entheben und euer Tod sein sollte." Die beiden wurden hellhörig.

"Und?“, hakte Imeta nach, als das ersehnte nicht kam. "Wo ist dieser Ort?"

"Eure Schergen kamen, bevor er es mir erzählen konnte."

Sie donnerte ihre Faust mit einem gekünstelten Wutausbruch auf ihre Armlehne. "Was habe ich nur für unfähige Leute!“, schimpfte sie, doch der Unterton verriet, dass sie es nicht ganz ernst meinen konnte.

"Ich bitte euch, mir diesen Mann zu überlassen, damit ich die Information erhalte."

"Tja“, machte die Frau und erhob sich graziös aus ihrem Thron. Langsam stolzierte sie auf den Bittsteller zu. "Shaar, mein Freund." Da war es wieder, dieses Wort. "So gerne ich es täte. Aber es gibt da ein kleines Problem." Sie setzte ein sorgenvolles Gesicht auf. "In meinen Kerkern sind viele Leute eingesperrt und wenn ich nicht jedes mal umgehende Exekution bewillige, platzen die Verliese bald aus allen Nähten. Ich fürchte, dein Mann ist bereits in einem Erlass erwähnt, wenn nicht schon hingerichtet." Sie seufzte enttäuscht. "Sollte er tatsächlich noch am Leben sein und ich bereit wäre ihn dir auszuhändigen, so müsste ich alle anderen Verbrecher ebenfalls freilassen. Das bedeutet, dass bald wieder Unfrieden im Land herrscht." Sie blickte ihn einen kurzen Moment Verständnis erheischend an. Es war beinahe perfekt. "Verstehst du dieses Problem?" Fast hilfesuchend, stellte sie diese Frage an Shaar, obwohl sie bei weitem keine Hilfe benötigte. Shaar nickte stumm.

Die Königin stand nun ganz nahe vor dem Krieger. Mit ihren Fingerspitzen fuhr sie über seinen Brustkorb. Shaar hielt still und ließ sich von nichts beeindrucken. Stolz, kerzengerade und unbeweglich blieb er stehen.

Als Imetas Finger seinen Körper berührten, war es ihr, als hätte sie ein kleiner Blitz getroffen. Fast unmerklich zuckte sie zusammen, doch nur den Bruchteil eines Augenschlages. Dann setzte sie erneut an.

In Shaar bewirkte diese Berührung ein Schaudern, das sich in rasender Geschwindigkeit durch seine Blutbahnen fraß. Schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle und als wäre nichts geschehen, hielt er geduldig still, als sie ihn erneut berührte. Ihre langen, spitzen Nägel glitten nun über seine Schultern, während sie ihn langsam um ihn herum schritt.

"Aber du sollst nicht umsonst den weiten Weg auf dich genommen haben, mein lieber Freund“, flötete sie. Wieder einmal fiel dieses trügerische Wort. "Ich gestatte dir, in den Verliesen nach ihm zu suchen und ihn zu sprechen, falls er noch am Leben sein sollte. Hilft dir das weiter?" Sie war wieder an seiner Vorderseite angekommen. Ihre Stimme verursachte beinahe Zahnschmerzen.

Shaar nickte. "Ich danke meiner Königin für ihre Großzügigkeit."

"Aber nicht doch“, wehrte sie freundlich ab. "Solltest du ihm diese Information entlocken können, ist auch mir geholfen. Mein Thron bleibt gesichert, ich am Leben und unser Land vor den unlauteren Absichten dieser Streit suchenden Möchtegernaufrührern verschont." Sie lächelte, als blickte sie in das Antlitz ihres Geliebten. "Eine Bitte habe ich noch an dich, Shaar." Sie warf ihrem Sekretär einen kurzen Blick zu. Der Krieger erwartete ergeben die Bitte der Königin, die für ihn eher einen Befehl darstellte, den er gehorsam auszuführen hatte. "Ich möchte, dass du mir persönlich von deinem Ergebnis unterrichtest." Ihr Liebreiz brachte sogar Samo Tores in ihren Bann. Sein Gesichtsausdruck verriet unendliche Verzückung. Nur Shaar schien immun dagegen zu sein. Er nickte erneut und antwortete mit einer festen Stimme.

"Ich werde euch selbstverständlich umgehend Bericht erstatten."

"Lass dir nur Zeit, mein Lieber“, lächelte sie und berührte ihn erneut. Leicht zuckte er zusammen. Ein gefährliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Aber so schnell, wie es gekommen war, so schnell verschwand es auch wieder. Einen kurzen Augenblick lang blieben alle schweigend und reglos stehen, bis die Herrscherin diese Stille unterbrach. "Wolltest du nicht jemanden suchen?“, wies sie ihn, so nett sie konnte, darauf hin, dass er endlich zu verschwinden hatte.

"Meine Königin“, begann Shaar erneut, anstatt zu gehorchen. "Ich bitte euch um ein weiteres." Seine Stimme ließ ihr Lächeln kurz versiegen.

"Noch eine Bitte?“, gab sie skeptisch von sich. Diesmal konnte man deutlich hören, dass sie sich zwingen musste, freundlich zu bleiben. Doch bald darauf war ihre zuckersüße Stimme wieder zu hören. "Was bedrückt dich denn noch?“, wollte sie wissen.

"Bei diesem Überfall versuchten eure Schergen mich zu töten. Ich kann dies nicht ungesühnt lassen. Daher bitte ich euch, mir den Mann auszuhändigen, der Hand an mich legte."

Imeta warf einen kurzen Blick zu ihrem Sekretär, bevor sie sich wieder dem Krieger widmete. "Meinen Schergen ist es strikt verboten, Chreonikrieger anzugreifen. Du musst daher deine Anschuldigung beweisen“, wies sie ihn sanft darauf hin. Wortlos schob Shaar seinen Umhang beiseite und brachte ein Schwert zum Vorschein. Es war das Schwert, mit dem aufgesetzten Medaillon. Er rammte es mit einer solchen Wucht vor sich in den Boden, dass es surrend in der Fuge zwischen zwei Steinplatten stecken blieb. Die Königin und auch ihr Handlanger erschraken und ein Ausdruck der Überraschung huschte über ihre Gesichter. Ob es nun die Bewunderung für die enorme Kraft, die der Chreoni aufbringen musste, um die Klinge in den Boden zu rammen, oder die Erkenntnis, dass er die Wahrheit gesprochen hatte, bewirkte, war nicht zu erkennen.

"Das Schwert eines Soldaten ist nicht Beweis genug. Du könntest es einem abgenommen haben“, platzte Samo Tores heraus und fing sich gleich darauf einen bösen Blick seiner Herrin ein. Dieser Blick ließ ihn um einige Zentimeter schrumpfen. Kaum hatte sie sich wieder zu Shaar umgedreht, stand auch bereits wieder der lieblichste Anblick in ihrem Gesicht.

"Mein Sekretär hat ausnahmsweise Recht“, musste sie notgedrungen darauf eingehen. "Das Schwert ist nicht Beweis genug." Ungeduldig nestelte sie an ihrem Fingerschmuck herum. Sie würde Samo Tores auf der Stelle umbringen, wenn sich der Krieger nun geschlagen gab. Ihr kam es Einzig auf die Information an und hätte dem Chreoni alles versprochen, wenn er ihr nur diesen Ort preisgab. Sie hatte Glück, Shaar gab nicht auf. Aus seinem Handschuh brachte er eine Halskette hervor, an der ein Medaillon hing. Die Gravur den Anhängers stimmte mit der des Schwertes überein. Josip hatte ihm diese Kette gegeben, bevor Shaar das Dorf verließ. Still jubilierte Imeta. Doch nach außen, setzte sie ein skeptisches Gesicht auf. Mit spitzen Fingern nahm sie das Erkennungs- und Identifizierungszeichen ihrer Schergen entgegen und studierte es nachdenklich. Leicht drehte sie sich einem Kerzenleuchter zu und tat so, als wolle sie es näher betrachten, ihre Augen suchten aber Samo Tores. Ihr Blick verriet ihm, wenn er nun den Mund öffnete, war er des Todes. Daher schwieg er. Schließlich kam sie scheinbar zu einer Entscheidung.

"Nun, mein Freund." Schon wieder, dieses Freund. "Um deiner Ehre willen, muss ich dir wohl gestatten, diesen Mann der gerechten Strafe zu zuführen. Er gehört dir." Sie lächelte, wie ein kleines Kind, das ihrer Mutter eben eine Freude bereitet hatte. Vorsichtig ließ sie die Kette wieder in seine behandschuhte Hand fallen.

"Ich danke euch“, erwiderte Shaar und nickte kurz.

"Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?“, fragte sie so süß, dass selbst Bienen betört worden wären.

"Meine Königin“, erwiderte er. "Meine Bitten sind erhört und gebilligt." Damit machte er einen Schritt rückwärts und verbeugte sich tiefer, als sonst, aber noch lange nicht so tief, wie es die Regel war.

"Gut“, lächelte sie. "Du kannst gehen." Damit drehte sich Shaar um und marschierte zur Türe.

"Shaar!“, rief sie ihm zurück, bevor er durch die großen Flügel verschwinden konnte. "Vergiss nicht mir Bericht zu erstatten." Seine ganze Antwort bestand aus einem kurzen Nicken, dann verließ er endgültig den Saal. Als sich die Flügeltüren schlossen, erscholl lautes Lachen aus dem Thronsaal. – das laute, hämische Lachen der Herrscherin, der wieder ein Sieg gelungen war.

Shaar indessen, der über die Königin ebenso gleichgültig dachte, wie sie über ihn, schritt mit schnellen Schritten in Richtung Kerker. Obwohl er schon einiges miterlebt hatte, ließen ihn die dunklen, feuchten, nach Moder, Aas, Verwesung und ungewaschenen Körpern stinkenden Verliese, in denen sich selbst Ratten und Aasfresser unwohl fühlten, Ekelschauer über den ganzen Körper rennen. Als er durch die dunklen Gänge marschierte, achtete er stets darauf nichts zu berühren. Die Wände in den Gängen zu den Verliesen ließen einiges auf den Zustand der Gefängnisse schließen. Die Fackeln standen zu weit auseinander, so dass er immer wieder einige Meter durch stockdunkle Flure gehen musste. Er hoffte, dass dort nichts im Weg lag, über das er Stolpern und fallen könnte und war jedes mal froh, wenn das flackernde Licht der nächsten Fackel aus dem Dunkel auftauchte und den Boden beleuchtete. Ein heller Schein, heller als eine halb abgebrannte Fackel, deutete auf einen großen Raum hin. Stimmen drangen ihm entgegen. Sie unterhielten sich, scherzten und lachten. Als der Krieger in den hell beleuchteten Raum, tief unter der Erde eintrat, war es plötzlich still. Sein Anblick ließ selbst den unerschrockenen, hartgesottenen Kerkermeister den Atem stocken. Die einzige Laute, die nun den Raum erfüllten, waren die Schritte des Schwarzen, die plötzlich überlaut von den Wänden widerhallten, das leise Scharren und Getrappel winziger Füßchen und das leise Stöhnen und Wimmern gepeinigter Menschen. Die bulligen, fleischigen, dreckverkrusteten und vor Schweiß und Öl glänzenden Männer starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen und Mündern an. Mit barscher Stimme befahl Shaar das Öffnen der Kerkertüre zu der Zelle des kürzlich verhafteten Rebellen. Er benötigte keinen Berechtigungsschein. Jeder wusste, wen er darstellte. Erst auf Shaars Befehl hin kam Bewegung in die Fleischberge. Ein dicker, scheinbar sehr kräftiger Mann griff, missmutig über die Störung ihres kleinen, privaten Festes, nach einem Schlüsselbund und bewegte sich mit der Grazie einer hochschwangeren Muttersau zu einem dunklen Schlund in der Wand hin. Der übermäßige Genuss von Wein ließ ihn auf seinen elefantenmäßigen Beinen hin und her wanken. Shaar folgte ihm und hielt sich seinen Umhang vor die Nase. Der Geruch, den die Männer ausströmten, war weitaus atemberaubender, als die ohnehin schon stark angereicherte Luft in diesem Verlies. Er fragte sich, wie man hier unten lange überleben konnte. Doch dann erinnerte er sich an das was ihm Imeta erzählt hatte. Niemand würde hier unten, in dieser Hölle, lange ausharren müssen. Dass Dane noch am Leben war, hatte er wohl nur der Überfüllung der Gefängnisse zu verdanken. Die Henker kamen nicht mehr so schnell nach, die Verurteilten hinzurichten, wie sie eingeliefert wurden.

Der Kerkermeister schaffte es trotz seiner glasigen Augen und seines trüben Blickes, in der Mitte des schmalen Ganges zu gehen und nicht die Wände zu berühren. Unzählige kleine Türen säumten den Weg, der ebenfalls nur von sehr schwachen Fackeln, sehr nachlässig ausgeleuchtet wurde. Das Licht erreichte nicht einmal den Boden, so dass ihre Füße im unendlichen Schwarz wateten. Vor einer dieser kleinen Türen, durch die wohl nur ein fünfjähriges Kind halbwegs aufrecht hindurch zu gehen vermochte, hielt der Fleischklops an. Eigenartig zielsicher steckte er einen seiner zahlreichen Schlüssel in das Schloss. Als er sie langsam aufstieß, glaubte Shaar, statt dem Kreischen der Türangeln, das Schreien eines Kindes zu vernehmen. Er nahm eine Fackel von der Wand, nahm dem Wärter den Schlüsselbund ab, um nicht selbst eingeschlossen zu werden, und kroch angewidert durch das Loch ins Innere der Zelle. Die dünne Fackel erleuchtete die winzige Zelle heller, als alle Fackel in diesem Gefängnis zusammen, den schmalen Flur draußen. Wieder ertönte der Schrei eines Kindes, als Shaar die Türe mit dem Fuß zustieß. Dann blickte er sich in diesem kleinen Raum um. Dane saß in einer Ecke zusammengekauert, auf den Tod wartend und schien den Besucher noch gar nicht bemerkt zu haben. Nur langsam kam es ihm, als er erkannte, dass es plötzlich viel heller war. Geblendet und erschöpft blinzelte er dem Licht entgegen. Doch als er seinen Freund erkannte, lebte er in Sekundenschnelle auf. Freudig sprang er auf die Beine und sackte gleich darauf wieder zusammen. Dieser Raum bot nicht viel Möglichkeiten seinen Körper bei Kräften zu halten. Außerdem hatten Folter, Prügel, Hunger und Durst an seinen Kräften gezehrt. Seine Kleidung hing in Fetzen und Striemen, Platz- und Schürfwunden bedeckten seine Haut von oben bis unten. Hand und Fußgelenke zeigten Scheuerwunden von zu engen Fesseln und das vergossene Blut der letzten Tage klebte noch in dicken Krusten an ihm. Shaar zog den Jungen wieder hoch und setzte ihn vor sich hin.

"Shaar“, kam es heiser aus Danes Kehle. "Mann, bin ich froh dich zu sehen."

"Scht“, machte der Chreoni und leerte einen Beutel aus, den der unter seinem Umhang versteckt gehalten hatte. Brot, getrocknetes Fleisch und einen kleinen Wasserschlauch drückte er Dane in die Hand, worüber sich dieser augenblicklich hermachte. Leinenverbände und ein kleines Medizinfläschchen behielt er selbst. Wortlos desinfizierte und verband er die gröbsten Wunden und ließ Dane dadurch Zeit, das Mitgebrachte zu verzehren. Als der letzte Verband saß und Dane den letzten Bissen hinunterwürgte, stopfte Shaar den Beutel unter seinen Umhang zurück. Trotz frisch gestärkt und verbunden sah Dane aus, wie ein Häufchen Elend.

"Hör zu“, kam es flüsternd hinter der Maske hervor. "Deine Freilassung konnte ich leider nicht erwirken." Er zog den Dolch aus seinem Gürtel und hielt ihn Dane hin. Dieser war zu entsetzt über das, was er eben gehört hatte, dass er den Dolch übersah. "Ich komme heute Nacht zurück und befreie dich“, versprach Shaar. "Du musst dich noch etwas gedulden."

"Warum kann ich nicht jetzt mitkommen?“, rief Dane verzweifelt und wollte durch die aufgeschlossene Kerkertür entfliehen.

"Scht“, machte Shaar und drückte ihn auf den Boden zurück. "Eine Flucht bei Tage ist zu gefährlich. Außerdem muss ich noch einiges erledigen."

"Ich will hier raus!“, flehte Dane und klammerte sich an Shaar fest.

"Du kommst hier raus“, versicherte der Chreoni. "Aber nicht jetzt." Er hielt ihm erneut den Dolch hin. "Für den Fall, dass die Henker früher kommen." Zögerlich nahm Dane die Waffe. Dies war zwar kein Trost, doch fühlte er sich bewaffnet, wesentlich wohler. Seine Finger zitterten, als er die schmale Klinge in die Hand nahm. Sie würde ihm, zumindest in seinen letzten Sekunden, die Sache erleichtern. Der Chreoni machte sich augenblicklich am Schlüsselbund zu schaffen. Es bereitete ihm einige Mühe den dicken Eisenring aufzubiegen, den Schlüssel zu Danes Zelle zu entnehmen und ihn danach wieder zu zu biegen.

"Ich brauche von dir den Namen eines Ort, an dem ihr euch immer versammelt“, presste er zwischen den Zähnen hervor, während er den Ring wieder zurück bog.

Dane starrte ihn entsetzt an. Er schien nun den wahren Chreoni in ihm zu erkennen. "Was willst du?“, rief er.

"Damit ich überhaupt zu dir durfte, musste ich versprechen, diese Information zu besorgen“, erklärte Shaar.

"Das meinst du doch nicht wirklich?“, wollte Dane wissen. "Ein Fluchtversprechen gegen den Tod von vielen tausend Menschen?" Dane musste sich zusammennehmen, dem Chreoni nicht den eigenen Dolch in die Brust zu stoßen.

"Nein!“, schüttelte Shaar schnell den Kopf. Er schien endlich begriffen zu haben, dass ihn Dane falsch verstanden hatte. "Ich erzählte Imeta, dass ich mir dein Vertrauen erschleichen konnte ... ."

"Hast du es tatsächlich?“, unterbrach ihn Dane skeptisch.

"Es gibt zwei Menschen, die mir ohne zu zögern, sofort den Kopf abhaken würden, sollte ich es wagen, ohne dich zurück zu kommen“, gab Shaar leicht schmunzelnd von sich.

"Das beantwortet nicht meine Frage“, blieb er beharrlich.

"Worte können nicht bezeugen, was Taten beweisen“, wich Shaar aus.

"Ich verlange das Wort eines Edelmannes“, ließ Dane nicht locker. Der Chreoni schwieg für einen kurzen Moment. Dane sah sich in seiner Befürchtung bestätigt und drehte den Dolch in seinen Händen, bereit zuzustoßen, falls die fürchterliche Antwort käme.

"Die schwere Bürde einer Aufgabe lastet auf mir“, kam der Chreoni endlich mit der Wahrheit zu Tage. "Ich kann dir darüber nichts erzählen, nur soviel, Dane, mein Freund. Unsere Ziele gleichen sich, nur handeln wir aufgrund verschiedenen Anlässen. Deine Zweifel sind unbegründet. Imeta ist keineswegs eine Freundin von mir, ganz im Gegenteil." Er legte seine Hand auf die bewaffnete des jungen Rebellen. "Das Wort eines Edelmannes versprach dir Treue und wird es halten, solange es verlangt wird." Damit gab er die Hand wieder frei.

"Und warum verrätst du uns trotzdem an Imeta?“, fragte Dane etwas verwirrt.

"Alles was ich von dir verlange, ist ein Name, der sie vollends zufrieden stellen muss“, erklärte Shaar. "Ich erzählte ihr, dass ihr euch für eine große Schlacht gegen sie sammelt. Doch bevor du mir diesen Ort verraten konntest, überfielen uns die Schergen. Wenn ich wieder vor sie trete, muss ich ihr Bericht erstatten. Ich kenne keinen eurer Sammelpunkte und damit sie keinen Verdacht schöpft, musst du mir einen nennen, an dem ihr euch vielleicht tatsächlich einmal aufgehalten habt. Ich verspüre keine große Lust, als Verräter oder Lügner entlarvt zu werden."

Dane erkannte nun, dass er ihn zu Unrecht verdächtigt hatte. Sein Schweigen verriet dem Chreoni, dass er ihn noch nicht vollends überzeugen konnte.

"Es liegt doch auch in deinem Interesse. Ich will nicht wissen, wo sich deine Freunde zur Zeit aufhalten. Nenne mir irgendeinen anderen Namen, aber er muss unbedingt glaubwürdig sein."

"Ja, ja“, nickte Dane und schien nachzudenken. "Sankt Karpastin“, kam er endlich damit heraus. "Die Mönche haben uns früher immer geholfen, bis Imeta dahinter kam und das Kloster schließen ließ. Das Kloster ist inzwischen verlassen. Hin und wieder trafen wir uns in den leeren Gemäuern.“

"Gut“, nickte Shaar und klopfte Dane freundschaftlich auf die Schultern. Dann erhob er sich, nahm die Fackel wieder auf und ging zur Türe. Bevor das Kindergeschrei erneut ertönte, drehte sich der Chreoni noch einmal zu Dane um. "Hab Geduld. Wir sehen uns bald wieder." Damit schlüpfte er durch das schmale Loch und zog die Türe zu. Das entsetzliche Kreischen zehrte an den Nerven. Er drehte den herausgenommenen Schlüssel um Schloss herum und klapperte dabei mit dem Schlüsselbund. Danes Zellenschlüssel verstaute er sicher in seinem Handschuh. So weit es die stickige Luft erlaubte, atmete er tief ein und schritt dem hellen Licht der großen Halle entgegen. Dort warf er dem nächstbesten Gefängniswärter den Schlüsselbund zu.

"Wer hat ihn festgenommen?“, fragte er in den Raum. Keiner der Kolosse wagte es den Mund zu öffnen. Entweder wollten sie den Mann schützen, oder den Anblick des Chreonis machte sie stumm. "Wer war es?“, wiederholte Shaar eindringlicher. "Ich brauche eine Unterschrift“, fügte er hinzu. Auch dies konnte sie nicht zum Reden bringen. Sie betrachteten sich stumm und schienen sich mit Blicken abzusprechen. "Na gut“, gab Shaar geschlagen von sich. "Die Königin wird eure Hilfsbereitschaft zu schätzen wissen." Damit wand er sich zum Gehen. Das Zauberwort war ausgesprochen. Schnell kam Bewegung in die Männer.

"Botamis“, hörte er es aus mehreren Kehlen.

"Danke“, nickte der Chreoni, machte auf dem Absatz kehrt und beeilte sich, hinauf an die frische Luft zu kommen.

 

Mit langen, schnellen Schritten marschierte der Chreoni durch den Flügel, in dem die Soldaten ihre Quartiere besaßen. Er kam an Versammlungsräumen, Schlafsälen, Waffen- und Übungszimmern vorbei, ohne jedoch auch nur eines näher zu inspizieren, oder auch nur einen der vorbei strömenden Soldaten nach dem Gesuchten zu fragen. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Die Sonne war bereits am Untergehen und er hatte noch viel zu erledigen. Er amüsierte sich über die überraschten Gesichter der Schergen, die bestimmt nicht alle Tage einen Chreoni zu Gesicht bekamen, ließ sich von ihnen aber nicht weiter ablenken.

Plötzlich ...

" ... mein Schwert diesem schwarzen Hund mitten ins Herz gestoßen."

Shaar blieb wie angewurzelt stehen und lauschte.

"Das ist gefährlich“, rief eine andere Stimme.

"Dieser Teufelssohn kann nicht mehr gefährlich werden“, lachte die Stimme von vorhin so dreckig, dass sich mit Sicherheit alle Mäuse vor Angst in ihren Löchern verkrochen.

"Und was sagen deine Männer?“, fragte eine andere Stimme.

"Wenn die es wagen, auch nur ein Wort auszuplaudern, sind sie tot“, drohte der Erste und lachte gleich darauf wieder. Ein Krug wurde hart auf den Tisch gesetzt. Flüssigkeit plätscherte über.

"Und die Herrin?“, warf der Nächste ein.

Ein tiefes langes Rülpsen war zu hören. "Sie weiß es und lachte herzhaft über die Dummheit dieser, angeblich so stattlichen Krieger“, kicherte er. "So stattlich ... lässt sich im Schlaf umbringen."

Shaar trat vom düsteren Korridor in den Türrahmen.

"Mach keine Scherze“, lachte Einer mit seinem Kameraden.

Noch war Shaar nicht entdeckt worden. Bis auf einen, saßen alle mit dem Rücken zur Türe. Diesem Einen glitt augenblicklich der Krug aus der Hand. Scheppernd traf er auf den Boden auf. Der Inhalt schoss, wie ein Fontäne empor und bespritzte die anderen. Dem Soldaten gefror das Gesicht. Er brachte nur unartikulierte Laute hervor, die die anderen eher zum Lachen brachte, als sie zu warnen.

"He!“, riefen sie lachend durcheinander. "Was soll das? Spinnst du? Du bist wohl besoffen?" Sie machten sich über den jungen Soldaten lustig, der scheinbar nichts vertragen konnte. Tatsächlich konnte er vor Angst, weder Atmen, noch Sprechen oder in den Ohnmacht fallen. Seine Kameraden wussten nicht, dass die Gefahr leibhaftig hinter ihnen stand. Erst als Shaars Stimme hinter ihnen erscholl flogen ihre Köpfe erschrocken herum.

"Guten Abend!“, rief Shaar in den Raum und bemühte sich, seiner Stimme einen tiefen und schauerlichen Ton zu verleihen.

Botamis – es musste Botamis sein, denn er machte vor Schreck einen Satz zur Seite – erstarrte augenblicklich zur Salzsäule. Seine Augen waren von plötzlicher Angst erfüllt. Das hämische Grinsen gefror in seinem kreidebleichen Gesicht. Vor Schreck rutschte er von der Bank und fiel mit einem Poltern zur Erde. Die Bank kippte dabei um und ein lauter Knall ließ die Männer ein zweites Mal zusammenfahren. Shaar musste sich ein Grinsen krampfhaft verkneifen, damit es die Situation nicht entschärfte. Botamis erkannte den schwarzen Krieger und schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Der Alkoholpegel in seinem Blut hemmte sein Reaktions- und Denkvermögen. Doch plötzlich schien er sich gefasst zu haben. Er sprang auf seine Beine und griff nach seinem Schwert. Der erste Versuch ging daneben, der zweite klappte. Mit einem gellenden Urschrei stürmte er auf Shaar los. Dieser stand wie ein Ölgötze im Türrahmen, als ginge ihn dies alles nichts an. Er zog nicht einmal sein Schwert. Mit diesem betrunkenen Mann würde er auch ohne Waffe leichtes Spiel haben.

Es ging sogar noch einfacher – Botamis war so versessen darauf, sein Schwert in Shaar Körper zu rammen, dass er blindlings vor stürmte, ohne dabei auf seinen Weg zu achten. Wie ein Pferd mit Scheuklappen, trampelte er vorwärts, rempelte die andere Bank um, dass sie umfiel und stieg in die Querverstrebung. Eine Stiefelschnalle verhedderte sich in der Verstrebung und hielt seinen Stiefel beharrlich fest. Er stolperte und schlug hart auf den Boden auf. Zähne knirschten und der Urschrei verstummte, gewaltsam abgewürgt. Jetzt konnte sich Shaar das Grinsen nicht mehr verbeißen. Er packte das benommene Bündel am Kragen und zerrte es hoch. Klirrend fiel das gezogene Schwert zu Boden. Blut tropfte aus der Wunde und aus den Mundwinkeln auf die graue Uniform. Botamis hatte sich sein Kinn böse aufgeschlagen und sich beim Aufprall auf die Zunge gebissen. Einige Zähne hingen ihm schief im Mund. Doch darauf achtete der Chreoni nicht. Ohne Probleme entledigte er den Wehrlosen seiner Waffen und warf sie achtlos von sich. Botamis Kollegen standen so bewegungsunfähig, wie Statuen herum und betrachteten, halb schadenfroh, halb ängstlich die Szene. Doch keiner kam ihm zu Hilfe.

Der Chreoni stieß Botamis vor sich her in den Korridor, worauf dieser laut schreiend an der gegenüberliegenden Wand landete. Er wusste nicht so recht wie ihm geschah, da ihm Alkohol und Aufprall noch immer die Sinne raubten. Im Moment schien er es für das Beste zu halten, lauthals zu schreien und Aufsehen zu erregen. Tatsächlich war der Korridor binnen kurzer Zeit voller Menschen, aber niemand fand den Mut, den Kameraden aus den Klauen des schwarzen Kriegers zu befreien. Sie traten bereitwillig zur Seite, als er an ihnen vorbei gestoßen wurde.

Shaar schleppte den schreienden, unkontrolliert um sich schlagenden Soldaten hinaus an den Pranger. Auch dort versammelten sich schnell neugierige Leute. Mit flinken Fingern band der Chreoni den brüllenden Botamis am Pranger fest. Er brüllte noch immer wie am Spieß, als Shaar bereits längst mit seiner Arbeit fertig war, vor ihm stand und ihn amüsiert betrachtete. Um diesem nervenden Geschrei ein Ende zu bereiten, schüttete er ihm einen Eimer Wasser ins Gesicht. Augenblicklich herrschte Ruhe. Prustend und hustend schimpfte Botamis vor sich hin. Die Menge kicherte, raunte und gaffte neugierig. Gespannt wartete sie auf das blutige Schauspiel.

"Wo ist nur dein Mut geblieben?“, neckte ihn Shaar, voller Verachtung. "Oder reicht er nur für arglistige Überfälle und ängstliches Geschrei?"

Botamis knurrte verärgert.

"Du bist wahrlich kein ebenbürtiger Gegner für mich“, gab der Chreoni hochnäsig von sich.

"Du lässt mir ja keine andere Wahl“, rief Botamis und spuckte Blut. Seine Sinne schienen wieder zu ihm zurück gekehrt zu sein.

"Hast du mir denn eine Wahl gelassen?“, fragte Shaar zurück. "Du musst doch zugeben, dass ein Überfall auf einen Schlafenden, mehr als niederträchtig ist und daher eher wohl einem heruntergekommenen Strauchdieb, denn einem königlichen Schergen zusteht."

"Es gibt überall Diebe und Räuber“, rief Botamis. "Du kannst mir nichts beweisen."

Shaar lächelte müde. Dann holte er das Schwert mit dem Medaillon hervor und rammte es vor dem Soldaten in den Boden. Ein Raunen ging durch die Menge.

"Dieses Ding kennst du doch wohl“, erwiderte der Chreoni. Botamis schwieg. Doch seine Augen funkelten böse. Wenn er es vermocht hätte, mit Blicken töten zu können, es hätte seine Gabe ohne mit der Wimper zu zucken angewandt. "Dein Fehler bestand nicht nur aus deiner Unfähigkeit, einen schlafenden Mann zu töten“, fuhr Shaar fort. "Sondern auch noch aus deiner Nachlässigkeit Beweisstücke zu hinterlassen. So ist es nur mehr als Gerecht, wenn ich nun mein Glück bei dir versuche." Der Chreoni zog langsam sein Schwert aus der Scheide. Mit jedem Zentimeter blanken Stahls, der mehr aus der schützenden Umhüllung zum Vorschein kam, gingen Botamis Augen immer weiter auf. "Du sollt nun eine Lektion erhalten, die dich hoffentlich lehrt, das nächste Mal besser zu treffen“, kam es gefährlich unter der Maske hervor. Shaar schwang seine Waffe herum und holte, mit aller Ruhe der Welt, zum Schlag aus. Die Menge unterhalb dem Prangerpodest, hielt vor Spannung und blutrünstiger Erwartung den Atem an. Dann ließ der Chreoni den Stahl auf Botamis nieder sausen. Der zum Tode geweihte zuckte zusammen. Im letzten Moment jedoch, drehte der Chreoni seine Klinge und klatschte die Breitseite auf die Rippen, anstatt ihn aufzuschlitzen. Knochen knackten, Botamis schrie auf.

"Das tut weh“, zischte Shaar wissend und steckte sein Schwert zurück. "Ich würde dir gerne noch mehr Lektionen erteilen, wenn ich die Zeit dafür hätte. Du hast Glück und kannst dich etwas erholen, bis ich zurück komme und den Unterricht fortführe."

Botamis stöhnte und kochte vor Wut. Er spuckte Blut, hustete, stöhnte wieder, da ihm die gebrochenen Rippen in den Brustkopf stachen und spuckte wieder Blut.

Enttäuscht begann die Menge immer lauter zu murmeln. Sie hatten ein Gemetzel erwartet, doch der Krieger tat ihnen diesen Gefallen nicht. Shaar entdeckte einen der Gefängniswärter in der Menge und winkte ihn zu sich herauf. Keuchend kletterte dieser die Stufen hinauf und stand nun erwartungsvoll neben ihm. Seine, für sein Gesicht, unnatürlich großen Augen, fraßen den Chreoni beinahe vor Neugierde auf. In seiner Blutgier vergaß er die Angst vor dem Krieger und freute sich, das Schauspiel aus nächster Nähe betrachten, oder gar selbst mitwirken zu dürfen. Doch er wurde jäh enttäuscht.

"Du bist mit deinem Kopf dafür verantwortlich, dass der Kerl noch an diesem Platz steht, wenn ich zurückkomme“, herrschte der Chreoni. "Hast du verstanden?" Nur zögerlich nickte der dicke Mann. Seine Angst vor Botamis schien ebenso groß zu sein, wie die vor dem schwarzen Krieger. Zwei große, dunkle Löcher blickten erschrocken von einem zum anderen. "Ich will nicht enttäuscht werden“, fügte Shaar drohend hinzu. Nun nickte der Wärter heftiger. Damit ließ der Chreonikrieger den verunsicherten Wärter, die enttäuschte Menge und den lauthals protestierenden Botamis stehen und ging davon. Es war ihm vollkommen gleichgültig, was die Leute nun von ihm hielten. Es war ihm ebenfalls gleichgültig, ob Botamis vom Pranger geschnitten wurde, oder dort versauerte. Er wäre dem armen Wächter nicht böse, wenn er ihn bald befreite. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte – Botamis einzuschüchtern und ihm eine Lektion zu erteilen. So ohne weiteres, würde er sich an keinen Chreoni mehr heran trauen. Shaar musste seinen Kopf für weitaus wichtigere Dinge freihalten. Außerdem war er sich sicher, dass er den Morgengrauen in dieser Stadt nicht mehr würde sehen müssen.

 

Die Sonne war längst hinter dem Horizont untergetaucht. Ein munteres Farbenspiel von verschiedenen Nuancen von orange, das in glutrot hinein floss, in dunkelviolett überging und schließlich streifenförmig im Schwarz des Nachthimmels verlief, kündigte das nahe Ende des Tages an. Ein hauchdünner Faden der Mondsichel und zahlreiche glitzernde Sterne zierten den Nachthimmel, wie ein gigantischer Kronleuchter. Dagegen glich der farbenfreudige Abschied des Tages einem Gemälde am nächtlichen Himmel.

Zahlreiche winzige Flämmchen an Wänden, Tischchen und an der Decke erhellten das Foyer des Thronsaales und spiegelten sich im Glas- und Spiegelschmuck des Zimmers wieder. Tausende von winzigen Blitzen wohnten in den geschliffenen Gläsern und blinkten, flackerten und blitzten, als versuchten sie aus ihren gläsernem Gefängnis auszubrechen. Als die schweren Flügeltüren zum Empfangssaal aufgestoßen wurden, erzitterten die kleinen Lichter im Luftzug, ebenso die Blitze in den Kristallen. Sie kämpften verbissen gegen das Erlöschen. Rußfähnchen schwebten verloren durch den Raum. Einige der Lichter konnten dem Windhauch nicht trotzen und starben. Zurück blieben hauchdünne Rauchfäden, die davon getrieben wurden und sich bald in Nichts auflösten. Der Geruch von heißem Wachs und erloschenen Kerzen erfüllte den Raum. Selbst als die Türen längst wieder verschlossen waren, zitterten die Flämmchen. Sie schauderten vor dem Klang der schweren Stiefel, die wie Hammerschläge unerbittlich auf einen Amboss einschlugen. Der dumpfe Klang der Absätze hallte von den Wänden wieder und erschütterten die Lichter nun auch von der anderen Seite. Knisternde Angstschreie huschten von Wand zu Wand. Die Flämmchen versuchten davon zu laufen und sich von ihrem Docht zu lösen, doch als sie es schafften, erloschen sie und lösten sich in dünne Rauchfahnen auf. Nur langsam erholten sich die übriggeblieben Lichter, als die Bedrohung am Ende des Saales angekommen war und darauf wartete, dass die Türen geöffnet wurden. Als wäre nichts geschehen, tanzten sie heiter und lustig in ihrem Wachsbettchen und sandten ihren Glanz hinaus in die große Welt des Empfangssaales.

Hinter den großen Türen spazierte Imeta nachdenklich um einen lange Tafel herum. Ihre Finger spielten mit einer silbernen Kette. "Er hat Botamis an den Pranger gefesselt“, störte Samo Tores seine Herrin bei ihren Überlegungen.

"Ich weiß“, kam die etwas abwesende Antwort.

"Botamis fordert Genugtuung“, wagte er es ein zweites Mal.

"Ich weiß“, murmelte sie erneut.

Der Minister strich sich über seinen Schnauzbart. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Er befürchtete Schlimmes. "Botamis ist euer bester Mann und treuester Soldat“, versuchte er sie abzulenken. "Es wäre besser, wenn ihr ihm diese Genugtuung verschaffen würdet. Ihr braucht ... ."

"Ach lass mich damit zufrieden“, fuhr sie ihm plötzlich erregt ins Wort und warf die Kette auf den Tisch. Das klirrende Geräusch ließ ihn zusammenzucken. "Ich brauche niemanden, der meine Befehle missachtet, leere Reden führt und sich in einer Niederlage, schreiend wie ein kleines Kind, bis auf höchste blamiert." Ihre Augen funkelten vor Zorn.

"Aber ... „, begann Samo Tores vorsichtig. "Er war euch gegenüber stets loyal und... ."

"Das tun zehntausend andere auch."

"Er ist euer bester Kämpfer."

"Was ist an diesem Großmaul Botamis so wichtig, dass du ihn derart in Schutz nimmst?“, wollte sie wissen. "Wie viel hat er dir gezahlt, dass du für ihn bei mir ein gutes Wort einlegst?" Sie trat hinter ihren Sekretär und legte ihre Hand auf seine Schulter. Dieser zuckte bei dieser Berührung leicht zusammen.

"Ihr braucht gute Männer im Kampf gegen die Rebellen“, wich er aus. Seine Stimme klang heiser, als ob er unter Druck stand.

"Ach was!“, rief sie und trennte sich mit einem Ruck von der Schulter. "Auf solche Jammerlappen kann ich verzichten. Ich kann jederzeit einen neuen Heeresführer bekommen." Einen Moment überlegte sie. "Wie wäre es mit diesem Chreoni?" Mit einem begeisterten Lächeln ließ sie sich auf den Stuhl gegenüber des Ministers fallen. Ihr wallendes Gewand plusterte sich auf, wie ein balzender Auerhahn, fiel aber alsbald wieder zusammen und schmiegte sich sanft um die Beine, als wolle sich der Stoff liebevoll an sie kuscheln.

"Mit Sicherheit wäre er ungeeignet“, versuchte Samo Tores das Unheil von sich abzuwenden.

"Mein Volk hat Respekt vor den Chreonis“, gab sie überzeugt von sich. Ihr gefiel diese Idee, doch ihre Gedanken kreisten bald um etwas, was ihr, seit der letzten Begegnung mit Shaar, keine Ruhe lassen wollte.

"Es hat keinen Respekt“, widersprach Samo Tores. "Es hat Angst." Seine Emotionen gingen mit ihm durch. "Da ist keine gute Idee“, rief er. "Diese Krieger sind eigensinnig und ihr hättet nur Probleme mit dem Gehorsam dieser Leute. Sie würden euch niemals bedingungslos gehorchen."

Imeta hob eine Hand und Samo Tores verstummte augenblicklich. Jedes weitere Wort hätte großen Ärger bedeutet. "An diesem ist irgend etwas besonderes“, bemerkte sie beiläufig und erinnerte sich an die erste Berührung. Ihr war, als hätte sie etwas vertrautes berührt. Längst vergessene Gedanken, Empfindungen und Träume kamen wieder zum Vorschein. Sie sah sich in einer Welt, in der sie vor vielen Jahren gelebt hatte. Dieses Gefühl verschwand ebenso, wie es aufgequollen war und hinterließ ein schreckliches, leeres Loch, in dem sie zu versinken drohte. Wer war dieser Mann, der sie derartiges empfinden ließ? Imeta fühlte sich gewarnt, doch gleichzeitig wurde sie neugierig. Sie brannte darauf, hinter das Geheimnis dieses Kriegers zu kommen.

Die Tür zum Foyer wurde leise geöffnet. Die eintretende Wache bemühte sich die Tür ebenso leise wieder zu schließen, doch ein plötzlicher Windstoß riss sie ihm aus der Hand und schloss sie lauter als dem Mann lieb war. Die Herrscherin fuhr herum. Der Wachposten zog entschuldigend die Schultern hoch und räusperte sich.

"Eure Majestät“, verbeugte er sich leicht. "Der Chreoni ist wieder da."

Samo Tores sah seine Herrin fragend an. Imeta schien aus dem eben gehörten neue Kräfte zu ziehen. Langsam straffte sie ihren Körper. Gierig sog sie die Luft durch die Nase ein. Ein gefährliches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. Ihre Finger streckten sich auf der Armlehne in alle Richtungen, wie die Fühler einer Schnecke.

"Gut“, antwortete sie gedehnt. Ein Funkeln in ihren Augen ließ sie listig und äußerst gefährlich aussehen. Samo Tores glaubte, dass es nicht nur die Kerzen waren, die sich in ihrem Augen widerspiegelten.

"Hoffentlich hat er etwas aus diesem Rebell herausbekommen“, versuchte er sich abzulenken.

Imeta schien ihn nicht gehört zu haben. Sie lächelte in die Luft. Ruckartig erhob sie sich. Der dabei weggeschobene Stuhl verursachte ein grässlich, kratzendes Geräusch, das von allen Wänden doppelt zurückgeworfen wurde und dem Minister durch Mark und Bein ging. An der Königin ging es vorbei, als würde es ausnahmslos Samo Tores gelten. Sie stolzierte in die Mitte des Saales, genau gegenüber der Türen.

"Lass ihn ein!“, befahl sie in ihrer freundlichen Stimme. Dem Wachposten war diese seltsame Freundlichkeit nicht geheuer und beeilte sich den Befehl auszuführen. Schnell riss er die Türen auf. Der plötzliche Windstoß ließ sämtliche Kerzen im Raum erzittern und flackernd um ihr Leben kämpfen. Tanzendes Licht wanderte durch den Raum. Der unheimliche Gesichtsausdruck der Königin erschien dadurch noch bedrohlicher.

Genagelte Stiefel schrammten über den Steinboden. Etwa zwanzig Schritt vor der Frau blieb Shaar stehen und ließ seinen typischen Chreonigruß sehen. Imeta nickte.

"So schnell hatte ich dich nicht zurück erwartet“, flötete sie honigsüß. "Was ist geschehen?"

"Die Information befindet sich in meinem Besitz“, antwortete Shaar kühl.

"So“, gab sich Imeta scheinbar überrascht. "Demnach war dein Freund noch am Leben. Aber mich überrascht die kurze Zeit, in der du es geschafft hast, die Information aus ihm herauszulocken." Sie schritt langsam auf den Krieger zu. "Ich hörte, die Rebellen sollen hartnäckige Menschen sein." Samo Tores grinste. "Sag mir, Chreoni... ." Sie verstummte, als wäre ihr eben etwas wichtiges entfallen. " ... Shaar war doch dein Name, richtig?"

Dieser nickte.

"Sag mir Shaar“, fuhr sie fort. "Welcher Methoden bedienst du dich? Meine Folterknechte könnten vielleicht neue Ideen gebrauchen." Sie wusste ihren Körper einzusetzen und tat es auch. Wie eine heißblütige Jungfer, die zum ersten Mal einen Mann sah, ließ sie ihren Körper erstrahlen.

"Versprechungen“, erwiderte Shaar trocken und unbeeindruckt von der Schönheit seiner Herrin.

"Versprechungen“, wiederholte Imeta und gab sich überrascht.

Der Krieger nickte. "Ich versorgte seine Wunden, gab ihm zu essen und zu trinken, nahm die Kerkerschlüssel vor seinen Augen vom Schlüsselbund und versprach ihm, ihn sobald wie möglich zu befreien."

"Wie wunderbar“, rief Imeta amüsiert. "Und das wirkte tatsächlich?"

Erneut nickte der Chreoni. "Sein Vertrauen besaß ich bereits“, erklärte er. "Da war es ein leichtes für mich, ihn auch von meinen Absichten zu überzeugen."

"Und?“, fragte Samo Tores ungeduldig. "Wo sind sie?"

Imeta erschrak bei der Stimme ihres Ministers. Der derzeitige Aufenthaltsort der Rebellen interessierte sie im Moment herzlich wenig. Aus ihrem Konzept gebracht, schickte sie einen warnenden Blick zu Samo Tores. Doch dieser sah es nicht, denn seine Augen waren wie magnetisch an diesen Krieger geheftet.

"Sankt Karpastin“, antwortete Shaar.

"Ist diese Information verlässlich?“, wollte der Oberbefehlshaber der Schergen wissen.

"Ich versprach, unverzüglich dorthin zu reiten und seine Freunde zu Hilfe zu rufen“, erwiderte der Chreoni. Er musste sich arg zusammen nehmen, um seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.

"Aha“, machte der Minister und schien über die Glaubhaftigkeit dieses Ortes nachzugrübeln.

"Ich werde mich tatsächlich dorthin begeben“, fuhr Shaar fort. "Aber nicht, um die Rebellen von der misslichen Lage eines ihrer Leute zu unterrichten."

"Eine gute Idee“, schaltete sich Imeta wieder ein. "Das Schicksal meines Reiches liegt nun in deinen Händen, mein Freund." Sie erwähnte dieses trügerische Wort erneut. "Zum Zeichen meiner Dankbarkeit möchte ich dir ein Geschenk überreichen“, sagte sie, ganz nahe vor ihm. Dann nahm sie den in Gold gefassten Rubin, den sie an einer goldenen Kette um den Hals trug, würdevoll ab. Samo Tores glaubte seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. Bislang hatte er geglaubt, dieser Edelstein wäre ihr Ein und Alles. Er wäre ihr Talisman, ihr Glücksbringer, oder auch das Herz ihrer unheimlichen Macht. Nun verschenkte sie dieses Schmuckstück an einen Mann, den sie vielleicht nie wieder sah.

Als Imeta die Kette um den Hals der Kriegers legen wollte, ging dieser ergeben in die Knie. Es war ihm äußerst unangenehm. Ein Geschenk von dieser Frau anzunehmen, hieß, sich ihr zu unterwerfen. Er konnte es aber unmöglich ausschlagen. So ließ er mit sich geschehen und sich die Kette umhängen. Imeta lächelte triumphierend. Sie wusste, dass er es nicht ablehnen konnte, ohne sie zu erzürnen und sie wusste, dass er es nicht ablehnen würde.

"Du weist dies hoffentlich zu schätzen“, flüsterte sie und kniete sich zu Shaar nieder. "Ich werde einen neuen Heeresführer brauchen, nachdem Botamis sich als unfähig erwies." Ihre Lippen bewegten sich nahe vor seinem Gesicht. Die langen Finger berührten sanft seine Schultern.

Samo Tores musste sich weit vornüber beugen, um etwas zu verstehen und wäre dadurch beinahe vom Stuhl gefallen.

"Es freut mich, endlich einen Mann kennen zu lernen, der sich die Aufgabe, dieses Reich vor dem Grauen zu retten, selbst stellte." Dabei näherte sich ihr Gesicht gefährlich dem seinen. Lange, spitze Fingernägel hakten sich in seinen Schultern fest, als er zurück weichen wollte. Obwohl der lederne Harnisch fest genug war, spürte er zahllose kleine Nadeln, sich langsam in sein Fleisch bohren. Mehr über die unmenschlichen Kräfte dieser Frau staunend, als über den Schmerz nachdenkend, ließ er mit sich geschehen. Ihre glänzenden Lippen bewegten sich nahe vor seinen Augen, als sie weiter sprach. "Ich möchte, dass du bald wieder zurückkehrst und mir dein wahres Gesicht zeigst. Ich bin begierig, das Geheimnis dieses stattlichen Kriegers zu erfahren und leider konnte ich mich noch nie in Geduld üben."

Noch bevor Shaar antworten konnte, legte sie sanft und genießerisch ihre Lippen auf die seinen. Ein langer, verzehrender Kuss, der Shaar beinahe die Sinne raubte. Er glaubte in einem undurchdringlichen Nebel zu stehen, der ihn betäubte und ihn unfähig machte, sich zu wehren. Er konnte sich weder bewegen, noch seine Lippen verschließen, als hätte ein anderer die Gewalt über ihn genommen. Noch nie in seinem ganzen Leben, kam sich Shaar derart hilflos vor. Er verwünschte in diesem Moment die Person, die ihn zu diesem Auftrag überredete und flehte sie gleichzeitig um Hilfe an.

Samo Tores schmetterte dieser Anblick glatt von der Stuhllehne. Mit weit aufgerissenen Augen und Mund starrte er die beiden an und konnte es nicht fassen. Er fragte sich, was dies zu bedeuten hatte. Noch nie hatte sich die Königin zu derartigem hinreißen lassen.

Nach unendlich langen Minuten löste sie sich von dem Chreoni, jedoch ganz langsam, als wolle sie jede der verstrichenen Sekunden genüsslich in sich hinein saugen. Genießerisch glitten ihre Fingerspitzen über die Schallen, die den Umhang am Wams festhielt. Ihre Nägel versuchten zwischen Stoff und Schmuck zu kommen und spielten mit dem Zwischenraum. Langsam erhob sie sich. Je mehr sie sich erhob, desto höher gingen auch ihre Finger. Sie berührte sanft Hals und Kinn. Als sie zu der Tiermaske kam, ging sie ganz zaghaft vor, als hätte sie Angst es zu zerstören.

Shaars Brustkorb ging heftig. Er hatte die Luft angehalten und musste nun das Versäumte nachholen. Verzweifelt rang er nach Fassung. Alles hatte man ihm in seiner Jugend beigebracht, nur nicht, mit so etwas fertig zu werden. Er merkte, wie er zu zittern begann und zwang sich zur Ruhe. Plötzlich musste er an Elees denken. Ihr Lächeln erschien vor seinen Augen. Irgendwie beruhigte es ihn und ließ ihn schneller wieder klar denken. Imetas Finger hakten sich erneut in seinem ledernen Wams fest. Mit sanfter Gewalt zog sie ihn zu sich hoch. Shaar hatte alle Mühe sich gerade zu halten.

"Vergiss mich nicht, mein Held“, flüsterte sie und küsste ihn erneut auf dem Mund. Diesmal beließ sie es bei einem kurzen Kuss. Es dauerte dennoch einige Sekunden, bis Shaar antworten konnte.

"Meine Königin“, kam es heiser hinter der Maske hervor. Er räusperte sich kurz, bevor er weiter sprach. "Ihr werdet nicht enttäuscht sein."

Das liebliche Lächeln in ihrem Gesicht, ließ ihm beinahe erneut nach Luft ringen. Als sich ihre Finger von der Schnalle lösten, nutzte Shaar die Gelegenheit und machte einen Schritt zurück. Viel hatte er schon erlebt. Aber diese Frau war ihm unheimlich.

 

Das metallische Klopfen der Stiefel auf dem Steinboden weckte Samo Tores aus seiner Umnachtung. Als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen, zuckte er zusammen. Shaar verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken und wollte schleunigst verschwinden. Doch bevor er durch die Flügeltüren gehen konnte, vernahm er Samo Tores Stimme.

"Chreoni“, rief ihn dieser zurück. "Was ist mit dem Schlüssel?" Fragend betrachtete er den Sekretär der Königin. Diese musste sich augenblicklich umdrehen, um ihren Handlanger nicht auf der Stelle zu ermorden und alles zu zerstören, was sie sich in den vorangegangenen Minuten erschaffen hatte. Schon längst hätte sie diesen Trottel hinaus geworfen, wenn er nicht so ein genialer Feldherr und Schatzverwalter wäre. Von Kriegsstrategien und Berechnungen verstand er etwas, obwohl er noch nie persönlich auf einem Schlachtfeld gestanden hatte. Ein hervorragender Mathematiker und Theoretiker, aber Psychologie und natürliche Waffen überstiegen sein Fassungsvermögen.

"Der Kerkerschlüssel“, erinnerte Samo Toren. "Ihr habt ihm vom Bund genommen."

Nun dämmerte es Shaar. Doch waren seine Sinne wieder so klar und sein Verstand wieder so geschärft, dass er nicht darauf hereinfiel. "Der Kerkermeister bekam ihn selbstverständlich zurück, nachdem ich die Zelle verließ“, erwiderte Shaar fest. "Selbstverständlich“, nickte der Sekretär.

Diesmal ließ sich Shaar nicht mehr aufhalten. Schnell schlüpfte er durch die Flügel. Sobald sich die Türen geschlossen hatten, griff Imeta nach dem nächstbestem Gegenstand und warf es Samo Tores an den Kopf.

 

Wieder im Foyer, musste er sich erst einmal an die Türen lehnen und tief einatmen. Er musste das eben erlebte erst einmal verdauen. Erst als sich die Wachposten über den Chreoni zu wundern begannen, verließ er den Empfangssaal. Mit schnellen, langen Schritten, begleitet vom metallischen Klang der Nägel, marschierte er hinaus. Er fühlte sich, als wäre er auf der Flucht.

Es war eine Flucht. Doch vor was hatte er Angst. Irgendwie fühlte er einen gewaltigen Sturm aufziehen, der hochschwangere Gewitterwolken vor sich her trieb. Dieser Gedanke schnürte ihm die Kehle zu.

 

5.

 

 

 

 

Als die Sonne endlich gänzlich hinter dem Horizont verschwunden war, breitete sich eine seltsame Stille im Schloss und der zugehörigen Stadt, Serphauce aus. Es dauerte jedoch noch lange nach Mitternacht, bis auch der letzte Betrunkene sein heimisches Bett, oder irgend eine Ecke zum Schlafen gefunden hatte, endlich auch die letzte Wache eingenickt war und die letzte Fackel ihren Brennstoff verbraucht hatte. Eine unheimliche Ruhe strich durch die Gasse. Hier und da war das Tippeln winziger Füßchen zu hören. Irgendwo winselte leise ein Hund. Ein Kater betete miauend seine Liebste an. Sonst war kein menschliches Lebewesen zu hören oder zu sehen. Die Marktfrauen, die sonst keifend ihre Waren feilboten. Die Gaukler und Komödianten, die singend und rezitierend durch die Gassen zogen. Die Kinder, die sich mit Holzstangen und Holzschwertern im Kampf übten, oder singend und lachend miteinander spielten. Die Kaufleute oder ehrbare Bürger, die lauthals über die Preise feilschten, oder sich stritten. Die Soldaten, die mit ihren Waffen klirrten und in Truppen von zwanzig Männern oder mehr donnernd durch die Straßen marschierten. Sie alle schliefen den Schlaf der Gerechten. Serphauce, die Stadt zu Füßen des Palastes, war wie ausgestorben. Nur wer über einen außerordentlich großen Mut verfügte, würde es wagen, um diese Nachtzeit durch die Straßen zu spazieren.

Ganz dumpf war es zu hören. Es klang nach Pferdegetrappel. Hufe, die mit dicken Lederschuhen, zum Flüstern gebracht wurden. Um die nächste Ecke gebogen, war es bereits nicht mehr zu hören. Vor einer längst geschlossenen Schenke gegenüber den Pferdeställen der Soldaten, hielt der Reiter mit den zwei Pferden an. Er band die Tiere an einen Pfosten und ging hinüber – Leise und stets darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Von den Stallungen aus, führte ein Gang direkt in die Quartiere der Soldaten, ein anderer in den Kerker. Er diente dazu, schneller die Gefangenen hinein zu transportieren und die Leichen wieder hinaus. Für gewöhnlich wurde er nur von Kerkermeistern, Folterknechten oder Soldaten benutzt. Die Wache an der Tür zum Kerker war längst eingenickt und träumte mit Sicherheit von dem Krug Wein zu viel, den er vorher in der Schenke in sich hinein geschüttet hatte. Der Reiter stieg vorsichtig über die Füße der Wache, öffnete lautlos die Gittertüre und tastete sich langsam durch den stockdunklen Gang. Ab und zu rutschte er auf einer bemoosten Fläche aus und konnte sich gerade noch fangen.

Als er die Halle betrat, in dem sich am Nachmittag die Wärter aufhielten, wagte er sich vorsichtiger weiter. Nur noch eine einzige Fackel warf ihr spärliches Licht in den Raum. Die anderen waren an Brennstoffmangel zugrunde gegangen. Das leise Knistern wurde nur von hin und wieder lauter werdenden Schnarchern der Wärter gestört. Ein besonders lauter Schnarcher ließ den ungewöhnlichen Besucher wie angewurzelt stehen bleiben und einige Sekunden lang verharren. Erst als er sicher sein konnte, dass keiner der Männer plötzlich aufgewacht war, ging er vorsichtig weiter.

Ohne auch nur ein einziges Geräusch zu verursachen, erreichte er den dunklen Tunnel, in dem sich die Zellen befanden. Die Fackeln brannten längst nicht mehr und er musste sich durch eine schwarze Welt hindurch tasten. Er fand, was er suchte, doch ehe er den Schlüssel aus dem Handschuh zog, fiel ihm etwas ein. Die Angeln. Sie quietschten so laut, dass das ganze Schloss davon erwachen musste, hätte er die Türe bewegt. Leise schlich er sich wieder zurück zur Halle und blickte sich suchend um. In einer Schüssel fand er brauchbares. Vom letzten Abendessen übriggebliebenes Schweinefett, musste die kreischenden Angeln zum Schweigen bringen. Der nächtliche Besucher hielt die Schüssel solange über die zuckende Flamme der langsam sterbenden Fackel, bis das Fett zu einer öligen Brühe zerschmolz. Dann schlich er sich zur Zelle zurück und träufelte das Öl in die verrosteten Angeln. Flink holte er den Schlüssel hervor, steckte ihn in das Schloss und drehte ihn langsam herum. Ein leises, knackendes Geräusch gab den Riegel frei. Jetzt kam es darauf an, sagte er sich im Stillen und hoffte, dass das Öl seine Wirkung tat. Vorsichtig öffnete er die kleine Tür. Statt dem lauten Quietschen, ertönte nun ein kaum hörbares schmatzendes Geräusch. Das Öl hatte sich schmierend zwischen die Eisenteile gefügt und war nun wieder erkaltet.

Noch bevor die Türe ganz geöffnet werden konnte, kam eine Hand zum Vorschein. Dane war hellwach und schob sich nun eiligst, in froher Erwartung seiner Freiheit, aus dem Loch.

"Shaar“, erkannte er seinen Retter, doch ein leises "Scht“, ließ ihn alles weitere verschlucken. Die beiden Männer schlichen in die Halle.

Gerade als sie sich in der Mitte des Raumes befanden, begann ein Wärter im Schlaf um sich zu schlagen. Er schien im Traum auf jemanden einzuprügeln. Er holte aus und fegte dabei einen Krug vom Tisch, der laut scheppernd auf dem Boden aufkam. Die beiden Flüchtlinge schraken zusammen. Ein anderer Wächter wachte vom Krach des zerspringenden Kruges auf. Verträumt blickte sich dieser um und spürte alsbald eine eiskalte chreonische Klinge in seinem Rücken. Dane war am nächsten gestanden und hatte den Mann zum Schweigen gebracht, bevor er Alarm schlagen konnte. Dennoch entfloh dem Sterbenden ein erstickter Schrei. Ein weiterer wachte auf und sah verwirrt hoch. Ein harter Schlag von Shaars Handkante ließ seinen Kopf dumpf auf den Tisch zurückfallen. Damit kehrte wieder Ruhe ein. Beinahe gleichzeitig atmeten die Beiden auf.

Shaar winkte Dane, er solle zu ihm kommen und eilte den dunklen Gang voran. Fast lautlos eilten sie der Freiheit entgegen. Kurz vor der Gittertür verlangsamte der Chreoni seine Schritte. Vorsichtig öffnete er das Gitter, stieg wieder über die Beine der schlafenden Wache und deutete seinem Freund, es ihm gleichzutun. Doch ehe Dane seinen Fuß aus den Beinen des Mannes heben konnte, drehte sich dieser um. Irgendwie verhakten sich für einen kurzen Augenblick zwei Riemen ineinander und Dane, der nicht darauf gefasst war, fiel der Länge nach hin. Shaars Dolch glitt ihm dabei aus der Hand und schlitterte klirrend über den Boden. Dies erschreckte ein Pferd. Nervös schlug es mit den Hufen an die Holzwand und zerrte an der Kette, dass sie rasselte. Davon erwachte der Wächter.

"He“, rief er. "Was macht ihr ... ." Shaar war mit schnellen Schritten zurückgekommen, warf sich auf den Wachmann, hielt ihm mit einer Hand den Mund zu und drehte ihn in seinen Armen. Noch vom Schlaf halb betäubt, ließ dieser mit sich geschehen. Shaar schlang seinen Arm um den Hals seines Opfers und versuchte gleichzeitig, mit seinen Beinen, die ausschlagenden Beine des Wächters festzuhalten. Es dauerte für den Chreoni einen unendlichen Augenblick, bis sich Dane endlich gefasst hatte und seinem Freund zu Hilfe eilte. Immer fester zurrte sich der Arm, bis endlich der Körper leblos in sich zusammensackte. Shaar wollte nicht töten. Dieser arme Kerl konnte schließlich nichts dafür. Doch Dane hatte zu lange gebraucht und der Chreoni musste entscheiden, zwischen dem Tod dieses einen Mannes und ihrem eigenen. Und dies würden sie zweifelsohne sein, wenn die Flucht entdeckt worden wäre.

Damit es so aussah, als wäre nichts geschehen, als wäre die Wache im Dienst eingeschlafen, setzte der Chreoni die Leiche wieder an den Türstock. Dane versuchte indessen das aufgeschreckte Pferd zu beruhigen. Sanft redete er auf das Tier ein. Als Shaar seine Arbeit beendet hatte, deutete er Dane, dies sein zu lassen und ihm zu folgen. Auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei Pferde, Norsha, der in aller Seelenruhe auf seinen Herren wartete und eine Stute, die nervös hin und her tänzelte. Dane verließ den Stall und beobachtete den Chreoni, als er über die Straße schlich. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass dieser gänzlich unbewaffnet war. Selbst seinen Umhang trug er nicht. Es leuchtete ihm ein. Lange Schwerter und wallende Gewänder konnte bei einem Befreiungsversuch hinderlich sein.

Noch bevor Shaar die Tiere erreichen konnte, wurde Danes Aufmerksamkeit abgelenkt. Ein beinahe unmerkliches Aufblitzen, nur für einen Bruchteil einer Sekunde, und doch in dieser stockdunklen Nacht, so hell wie eine gleißende Lichtquelle. Es kam aus einer vom Mondlicht beschatteten Nische. Der metallische Bolzen einer Armbrust, oder eine kleine silberne Spange. Was auch immer es war, es musste ein Mensch dahinterstecken. Ein leises klickendes Geräusch, aus derselben Richtung, bestätigte Danes Vermutung. Die Armbrust war entsichert worden. Shaar konnte dies weder sehen, noch hören, denn die Pferde standen zwischen ihm und diesem Jemand. Dane ging weiter, ohne sich etwas anmerken zu lassen, drehte den Dolch aber wurfgerecht in seinen Händen. Und im selben Moment, als der Chreoni aus der Deckung der Tiere ging, blitzte es erneut auf. Nicht einmal ein Augenzucken später stieß Dane eine Warnung aus: "Runter!"

Sofort ließ sich Shaar fallen. Beinahe gleichzeitig wie aus der dunklen Nische ein Pfeil angeschossen kam und Shaars Kopf nur um Haaresbreite verfehlte, sirrte Danes Dolch durch die Luft und traf den hinterhältigen Schützen. Shaar rollte sich zur Seite und geriet dabei fast unter die Hufe der nervösen Stute.

"Ging gerade noch einmal gut“, flüsterte Dane, als er mit dem Dolch wieder zurück kam. Der Chreoni schnaufte nur und schüttelte sich Staub und Schmutz von den Kleidern. "Offensichtlich wusste jemand von unserem Vorhaben“, fügte Dane hinzu und wischte die Klinge an einem Stück Stoff ab, das er dem Toten abgenommen hatte. Achtlos warf er es von sich, steckte die kleine Waffe in seinen Gürtel und hievte sich hinauf in den Sattel.

Er hatte alle Mühe auf den Rücken der Stute zu kommen, denn es drehte sich ängstlich und Dane musste sich mit all seiner, durch Folter, Entbehrungen und langer Haft, verbliebenen Kraft am Sattel festklammern und hinauf ziehen. Shaar kramte indessen ebenso seelenruhig, wie sein Pferd, in seiner Satteltasche.

"Komm schon“, zischte Dane. Das Pferd nervte ihn. "Lass uns hier verschwinden."

Er zog an den Zügeln. Nur zögernd bekam er den Gaul in den Griff. Obwohl das Tier vor Angst zitterte, spürte Dane eine gewaltige Kraft von diesem Reittier ausgehen. Er fragte sich, warum Shaar ausgerechnet diesen Angsthasen für die Flucht ausgesucht hatte, doch dann verwarf er seine Gedanken, denn der Chreoni wusste bestimmt, was er tat. Solange Shaar in seiner Tasche kramte, hatte Dane Gelegenheit das Tier zu beobachten. Es sprang leichtfüßig und federnd hin und her. Dane schloss darauf, dass diese Stute es gewohnt war zu laufen und zu springen. Kopfschüttelnd versuchte er die nervöse Dame in seine Kontrolle zu bringen.

Shaar drehte sich wieder um, hielt die Stute am Zaumzeug fest und drückte Dane ein Bündel schwarzen Stoffes in die Hand.

"Nicht so hastig“, kam es leise unter der Maske hervor und Dane wusste nicht, ob er ihn damit meinte, oder die Stute. Ratlos drehte und wendete er das Bündel in seiner Hand, bis er erkannte, dass es Shaars Umhang war. Verwundert blickte er erst den Chreoni an, dann an sich selbst hinunter. Trotz Schmutz, Blut und großen Rissen leuchtete sein Hemd, wie die helle Sonne an einem schönen Sommertag. Schnell wickelte er sich in den dunklen Umhang und war bald so schwarz wie die Nacht. Nun schwang sich auch Shaar in den Sattel. Für den etwas kleineren und schmächtigeren Dane war dieser Umhang viel zu groß und zu lang. Er verlor sich beinahe darin und fühlte sich ein wenig unbehaglich. Doch langsam keimte in ihm Stolz auf. Der Chreoni war sein Freund und die Befreiung und dieser Umhang bedeuteten einen Beweis dieser Freundschaft.

Dumpf klangen Norshas Hufe auf dem Pflaster. Während er gemächlich einen Lederschuh vor den anderen setzte, machte Danes Stute doppelt soviel Schritte. Es fühlte sich durch das Leder in seiner Freiheit behindert und trat unsicher auf, als hätte es geschwollene Hufe. Beruhigend tätschelte Dane den Hals seines Tieres und schaffte es sogar es ein wenig zur Ruhe zu bringen. Langsam, als hätten sie alle Zeit der Welt, spazierten sie durch die Stadt. Dane vergaß sogar zeitweise, weswegen sie unterwegs waren.

Plötzlich verlangsamte Norsha seine Schritte, bis er endlich stehen blieb und seine Artgenossin damit erneut erregte. Ängstlich warf sie den Kopf hoch und blähte die Nüstern auf. Shaar rutschte aus dem Sattel und machte sich daran die Lederschuhe zu entfernen. Dane tat es ihm gleich. Doch während Norsha geduldig Huf für Huf zu heben schien, riss die Stute Dane die Schnüre immer wieder aus den Fingern. Er fing nun selbst an, sich zu erregen. Nachdem ihm zum wievielten Male die Schnüre aus den Fingern gerissen wurden, fluchte er leise vor sich hin. Nach langem Mühen und einigen Flüchen gelang es ihm endlich.

"Wir müssen durch das Stadttor“, flüsterte Shaar geduldig wartend. "An den Wachen kommen wir nur vorbei, wenn wir sie überrumpeln."

"Wie hast du dir das vorgestellt?“, wollte Dane wissen.

"Immer hinter mir her“, antwortete Shaar selbstsicher und schwang sich wieder in den Sattel. "Und das so schnell du kannst." Er beugte sich vor und klopfte auf den Hals der Stute. "So“, machte er und zog leicht an der Mähne. "Jetzt zeig mal, was du kannst." Dann winkte er Dane zu, ihm zu folgen und schlug seine Hacken in Norshas Flanken, worauf dieser los sprintete.

Die Stute war auffällig ruhig geworden, als ihr die Lederschuhe abgenommen worden waren. Schnell kletterte auch Dane in den Sattel und trat ihr in die Flanken, worauf sie plötzlich lossprang. Dane wäre beinahe aus dem Sattel gekippt und staunte nicht schlecht. Die Stute war wie ausgewechselt. Noch eben die Panik in Person, war sie nun drauf und dran Norsha einzuholen, als wolle sie dem Schlachtross zeigen, wer von ihnen beiden schneller laufen konnte. Das Klappern der Hufe dröhnte in den Ohren der Reiter. Dane presste den Mantel eng an sich und klammerte sich an den Zügeln fest. Es Shaar gleichtuend, legte er sich flach auf den Hals des Pferdes, um den Gegenwind die geringst mögliche Widerstandsfläche zu bieten.

Als sie sich dem Tor näherten, sprangen die Wachposten, wie von der Tarantel gestochen auf und liefen schreiend durcheinander. Einige griffen nach ihren Lanzen und schleuderten sie auf die heran preschenden Reiter. Andere versuchten in Windeseile Armbrüste zu laden und zu spannen, während der Rest schutzsuchend in irgendwelche Nischen oder Türen sprangen. Eine willkürlich geschleuderte Lanze hätte beinahe ein Ziel getroffen, wenn Shaar nicht seitlich an seinem Pferd abgeglitten wäre und sich an den Steigbügel hängte. Durch das Stadttor rasend, zog er sich wieder in den Sattel.

Mit langen, kräftigen Sprüngen, durchaus bewusst was es tat, hetzte die Stute hinter Norsha her. Dane kam ein Verdacht auf. Dieses Tier war es gewohnt zu rennen. Also gab er die Zügel frei und überließ das weitere der Stute. Mit neuen Freiheiten bedacht, bereitete es dem Tier noch mehr Spaß. Sie schien schneller zu rennen, als zuvor, holte kräftiger Schwung und setzte zu weiteren Sprüngen an. Dane versuchte sich so leicht, wie möglich zu machen, damit er keinen allzu großen Ballast darstellte. Er spürte die enorme Kraft unter ihm, das gewaltige Spiel der Muskeln. Er spürte, wie sich das Tier anstrengte, sich für jeden Sprung streckte und dehnte. In diesem Moment, sah er seinen Verdacht bestätigt. Es war ein Rennpferd. So ein Schelm, dachte Dane lächeln. Es konnte auch nur Shaar einfallen, ihn auf ein Rennpferd zu setzen. Aber im gleichen Augenblick, wusste er auch, dass der Chreoni dies nicht nur aus Sympathie tat. Es gab sonst kein anderes Pferd, das mit Norsha einigermaßen Schritt halten konnte.

 

 

Die beiden Reiter rasten über die Straße, die von Serphauce fort, in den Wald führte. Die entgegenströmende Luft wurde kälter. Dane fröstelte. Er hoffte, dass die überrumpelten Wachposten so verwirrt waren, dass sie ihre Pferde nicht fanden. Auch hoffte er, keiner nächtlichen Patrouille zu begegnen. Er begrüßte es, dass Nachts fast alle ehrbaren, oder auch nicht ehrbaren Bürger schliefen.

Was jedoch keiner von beiden ahnte. Sie waren die ganze Zeit beobachtet worden. Von Jemandem, der sich nicht einmal in ihrer Nähe aufhielt. Von Königin Imeta höchstpersönlich. Der rote Edelstein an der goldenen Kette, das Geschenk der Herrscherin, das nun Shaar ahnungslos um den Hals trug, war ihr Auge, ihr Ohr, ihre Macht des Bösen. Der Chreoni trug, ohne es zu wissen, einen unscheinbaren Spion mit sich herum.

 

 

Immer weiter jagten sie in den tiefschwarzen Wald hinein. Beide Pferde schienen keineswegs ermüden zu wollen. Immer wieder streckten sie ihre Vorderläufe nach weiteren drei Metern Straße aus. Dane spürte, wie sein Gesicht langsam einfror. Er steckte seinen Kopf tiefer zwischen die Schultern. Auch seine Finger waren klamm. So gut es ging, umwickelte er seine Hände mit dem festen Mantelstoff. Scheinbar wollte Shaar bis ans Ende der Welt rasen. Doch im selben Moment, als Dane dies dachte, bog der Chreoni vom Weg ab und lenkte sein Tier in den dichten Wald hinein. Er ist wahnsinnig, dachte Dane entsetzt. Bei diesem Tempo würden sie in kürzester Zeit an einem Baumstamm landen. Doch was Shaar konnte, konnte auch Dane, glaubte dieser jedenfalls und stürmte hinterher. Sie befanden sich nun auf einem kleinen Seitenweg. Shaar ritt langsamer, zwar immer noch im gestreckten Galopp, doch wesentlich langsamer. Dane griff nach den Zügeln und bremste sein Pferd etwas. In der Dunkelheit tauchte eine kleine Hütte auf. Schwach leuchtete das Licht, durch die beschmutzten Fenster. Sie rasten an der Hütte vorbei und beinahe wäre Dane aus dem Sattel geschleudert worden, als sie Stute abrupt abbremste. Sie scheute davor, im vollen Lauf einen Abgrund hinunterzuspringen. Erst als sie beinahe stand, wagte sie es, die knapp eineinhalb Meter in das Flussbett hinunter zu springen. Die Stute war ein Rennpferd und kein Springer. Dane fluchte und trieb sie erneut an, als auch sie beide endlich in fast ausgetrocknetem Fluss gelandet waren. Doch Shaar stand unweit von ihnen entfernt, nahe am Ufer und schien auf etwas zu warten. So zügelte auch Dane sein Pferd. Keuchend blieb er neben dem Chreoni stehen. Der scharfe, kalte Nachtwind sauste ihm noch in den Ohren.

"Was ist“, wollte er wissen. Sein Gesicht war vor Kälte starr. Eine kurze Handbewegung ließ ihn weiteres verschlucken und gebannt in die Nacht horchen. Er spürte den schnellen Herzschlag der Stute zwischen seinen Beinen. Ihre Muskeln zitterten vor Anstrengung. Ihr Körper strahlte eine dampfende Hitze aus. Dane wusste, wenn er nicht weiter ritt und sie in Bewegung hielt, würde sie sich erkälten. Trotzdem blieb er bewegungslos stehen, wie der Chreoni, und horchte. Seine Lunge schrie nach Sauerstoff. Er musste sich zwingen, in langen, tiefen Zügen zu atmen. Und plötzlich hörte er es. Ein Donnern und Grollen, von vielen Hufen, die über den Boden rasten. Sie kamen immer näher. Rufe von vielen Männern. Klatschen der Satteltaschen, Rasseln der Pferdegeschirre. Sie kamen schnell näher und entfernten sie ebenso schnell. Die Abzweigung, die Dane und Shaar in den Wald genommen hatten, blieb unentdeckt. Dane hatte den Atem angehalten und musste nun das versäumte nachholen. Erst als der letzte Reiter längst die Straße hinunter gejagt war und mit Sicherheit das andere Ende des Waldes erreicht hatte, lenkte Shaar seinen Rappen herum und führte es mitten durch den schlammigen Fluss auf die andere Seite. Dane folgte ihm.

 

 

 

Von jetzt an konnten sie ihre weitere Flucht gemütlicher gestalten. Ihre Verfolger waren abgeschüttelt. Wäre es nicht ein Risiko, entdeckt zu werden, gewesen, Dane hätte lauthals vor Glück schreien können. So biss er sich auf die Lippen und freute sich im Stillen über seine wiedergewonnene Freiheit. Nach einer Weile fror er. Sein Hemd bot, in diesem jämmerlichen Zustand nicht mehr ausreichenden Schutz gegen die Kälte und der Mantel wurde von gelegentlichen Luftstößen aufgeplustert und füllte sich mit kalter Luft. Die Stute zitterte ebenfalls, aber nicht mehr vor Anstrengung. Kalter Nachtwind trocknete auch ihren Schweiß. Dane beobachtete den Chreoni und fragte sich, wie es ihm wohl erginge. Mit Sicherheit hatte er genügend Gelegenheit sich auszuruhen und sich vorzubereiten. Die Bedingungen unter denen Dane die letzten Tage verbringen musste, ließen keinerlei Atempausen oder Erholungen zu. Den ganzen Weg vom Lager zu Imetas Festung musste er hinter einem Soldaten herlaufen, der hoch zu Ross saß und ihn wie einen lästigen Köter behandelte. Im Kerker wurde er geschlagen und gefoltert, ohne Essen und Trinken in ein kaltes Loch geworfen und dort vergessen. Doch Dane wollte nicht jammern und erst Recht nicht in Gegenwart eines stolzen chreonischen Kriegers. Shaar sollte nicht denken, dass er einem Kind das Leben gerettet hätte. Dane war ein Mann, und dies wollte er Shaar und allen anderen beweisen. Also biss er die Zähne zusammen und hielt durch.

 

 

Endlich, nach einem schier endlosen, stundenlangen Ritt durch die eiskalte Nacht, zügelte Shaar sein Pferd, stieg ab und bahnte sich, Norsha am Zügel führend, einen Weg durch ein kleines dichtes Wäldchen. Dane wollte ebenfalls absteigen und fand sich plötzlicher auf den Boden wieder, als ihm lieb war. Als er sich auf ein Bein gestützt hatte, um absteigen zu können, versagte ihm dieses den Dienst und er stürzte zu Boden. Vor Schreck machte die Stute einen Satz zur Seite. Fluchend griff Dane nach dem Steigbügel um sich wieder hochzuziehen, doch die Stute war außer Reichweite gesprungen. Erneut fluchend, benutzte er nun einen Baumstamm. Ein paar starke Hände griffen ihm unter die Arme und stellten ihn wieder auf die Beine. Shaar schlug Danes Arm über seine Schulter und schleppte ihn in das Dickicht. Es war Dane peinlich. Doch seine eigenen Beine weigerten sich beharrlich das Gewicht zu tragen. Er musste sich von Shaar tragen lassen.

 

 

In diesem Dickicht versteckte sich eine kleine Hütte. Dane verkniff sich ein Lachen. Hütte war noch zu großzügig beschrieben. Es war ein einfacher Bretterverschlag mit Dach und kurzem Kamin, bot aber seinen Insassen einen ausreichenden Schutz gegen die Unannehmlichkeiten der Natur. Ob das Dach tatsächlich Regen und Feuchtigkeit draußen hielt, vermochte Dane nicht zu sagen. Im Moment war es ihm völlig gleichgültig. Seine Erschöpfung ließ ihn noch in Shaars Armen halb in den Schlaf sinken. Das Innere der Hütte bestand nur aus einem einzigen Zimmer, in dem Gelegenheiten für Mensch und Tier gleichermaßen eingerichtet waren. Trockenes Stroh und Moos bedeckten in dicken Schichten den kahlen Boden, bot für die Einen einen reich gedeckten Tisch, für die anderen ein gut gepolstertes Nachtlager. Ein Kamin mit provisorischer, aber durchaus zweckmäßiger Kochstelle erlaubte auch dem Menschen, für sein leibliches Wohl zu sorgen. Norsha hatte es sich bereits in einer Ecke gemütlich gemacht und kaute genüsslich an einem Maul voll trockenem Moos. Die Stute hatte sich scheinbar gefürchtet, allein im Wald stehen zu bleiben und war ihren Herren gefolgt. Vorsichtig steckte sie ihren Kopf zur Türe herein und trat alsbald ein, als sie den Duft von Stroh und Moos roch. Selbstständig schlenderte sie zu Norsha und leistete ihm beim Abendbrot Gesellschaft. Shaar ließ Dane auf einen besonders dicken Haufen Stroh niedersinken, wickelte ihn fester in den Umhang und widmete sich gleich darauf den Pferden. Beide waren noch gesattelt. Wie Shaar die Tiere absattelte und abrieb, bekam Dane bereits nicht mehr mit. Der Schlaf überrumpelte ihn.

 

 

 

Ein dünner Sonnenstrahl spitzelte durch ein Loch in der Wand und kitzelte Dane solange an der Nase bis er niesen musste und davon erwachte. Verschlafen blickte er um sich und wusste lange nicht, wo er war. Durch zahlreiche Löcher und Risse in den Wänden und im Dach, drang die heiße Sonne herein und erhitzte das Innere des Raumes. In den dünnen Strahlen wetteiferten winzige Staubkörnchen und Fliegen um den besten Platz und tanzten und flogen hin und her. Es war stickig hier drin und es roch nach Moder. Dane wollte sich erheben, doch mehr als den Kopf zur Seite zu drehen, gelang ihm nicht. Jemand schien ihn am Boden festgeklebt zu haben. Er entdeckte Norsha, der spielerisch Löcher in den Boden schrammte. Dahinter lag auf dem Rücken, alle Viere in die Luft gestreckt, wie eine tote Fliege, die Stute und suhlte sich genießerisch im Stroh. Am Kamin, an einer Bretterwand gelehnt, saß Shaar und schien zu schlafen. Dane betrachtete ihn wieder. Der Chreoni erweckte in dieser friedlichen Stellung nicht den Eindruck eines wildes Tieres, oder eines blutdürstigen Ungeheuers, trotz der Schädelmaske. Dane beobachtete den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte. Shaar atmete ruhig und schien tatsächlich zu schlafen. Plötzlich entdeckte Dane etwas an dem Chreoni, was er zuvor nicht an ihm gesehen hatte, den in Gold gefassten Rubin. Er versuchte sich daran zu erinnern, woher er ihn haben könnte, oder ob er ihn bereits schon vorher getragen hatte. Dieses Schmuckstück kam ihm bekannt vor, jedoch nicht im Zusammenhang mit der schwarzen Brust des Chreoni. Doch bald verwarf er diesen Gedanken. Es war Shaars Angelegenheit und würde daher nur ihn etwas angehen. Außerdem gab es Dutzende von Goldschmieden die Edelsteine in Gold fassten

 

 

Norsha schnaubte übermütig, worauf die Stute mit leisem Wiehern antwortete. Stolz schritt der Rappe zu seinem Herrn und stupste ihn mit seiner breiten Nase an die Schulter. Erst nach dem dritten Stupser kam Bewegung in den Chreoni. Müde hob er seine Hand und schob den Pferdekopf beiseite. Norsha schnappte liebevoll nach der Hand und knabberte vorsichtig am Handschuh.

"Lass das“, kam es müde hinter der Maske hervor. Die Hand fuhr herum, um dem frechen Tier einen Klaps zu versetzen, aber da Shaar nicht sah wonach er schlug und Norsha seine Nase rechtzeitig in Sicherheit brachte, verfehlte er sein Ziel. Der Rappe ließ sich davon nicht entmutigen. Erneut schnappte er nach der Hand. Shaar entzog den Pferdelippen seine Hand und wischte ihn erneut weg. Norsha wieherte leise und schwang seinen mächtigen Schweif hin und her, dass Stroh, Moos und eine Menge Staub wild aufwirbelten. Immer wieder stupste er seinen Herren an.

"Spiel mit Sly“, murmelte Shaar müde. "Oder grab' weiter Löcher, aber lass mich in Ruhe." Norsha schüttelte seinen Kopf, wollte sich nicht abwimmeln lassen und blieb beharrlich. Sein Zaumzeug rasselte, als er den Kopf hin und her warf, und die Mähne wirbelte herum, als wisse sie nicht, in welche Richtung sie davonfliegen solle. Laut wiehernd verkündigte er, dass er sich nicht so schnell geschlagen gab. Dane musste unwillkürlich lächeln, als er die beiden beobachtete. Er wollte auf keinen Fall stören. Außerdem interessierte es ihn, ob Norsha es schaffte, seinen Herrn aufzurütteln. Der Rappe schritt zum Frontalangriff über. Ungeduldig und trotzig, wie ein kleines Kind, stampfte er mit den Hufen auf den Boden, dass er bebte und der Staub nur so wirbelte. Als auch dies nichts bewirkte, benutzte er seinen Nasenrücken. Fest drückte er ihn an Shaars Brust, bis dieser aufstöhnte, sich zur Seite fallen ließ und sich damit dem tätlichen Angriff entzog. Vorsichtig stieg der Rappe über seinen Herrn und zog und zupfte solange an ihm herum, bis dieser endlich aufgab.

"Also gut“, gab er genervt von sich und schob Norsha von sich. "Ich geh ja schon." Mühselig rappelte er sich hoch, dehnte und streckte sich und klopfte den Staub aus seinen Kleidern. Triumphierend warf Norsha den Kopf hoch und ließ seine Zähne blitzen.

"Ärger mich nicht“, ermahnte Shaar das Tier, meinte es aber nicht böse. "Wenn du Wasser haben willst, dann benimm dich gefälligst anständig." Als ob Norsha seinen Herrn verstand, drückte er die breite Nase ergeben zu Boden. Der Schalk saß ihm dennoch im Nacken und überwältigte ihn. Er schnaubte kräftig aus. Eine große Staubwolke wirbelte auf.

"Lass den Unsinn“, lachte der Chreoni. "Es ist eine edle Dame im Raum." Als hätte es die erwähnte Dame verstanden, warf sie sich erneut ins Stroh und wälzte sich darin herum, wie ein gewöhnlicher Ackergaul in einer Schlammgrube.

"Siehst du“, schimpfte Shaar lachend. "Ein schönes Vorbild bist du." Er strich seinem treuen tierischen Freund über den Nasenrücken. "Aber jetzt werde ich euch beide Wasser holen, damit ich wieder meine Ruhe habe." Er ging zur Türe, drehte sich aber noch einmal um, bevor er die Hütte endgültig verließ. "Stellt keinen Unsinn an“, ermahnte er die beiden. Norsha schnaubte zur Antwort. Die Stute hatte sich wieder auf die Beine gestellt und schabte ihr Fell an der Bretterwand, dass diese krachte und knisterte. Norsha schüttelte wild seine Mähne hin und her, als wolle er der Dame zu verstehen geben, dass sie dies sein lassen solle, bevor die Hütte über ihnen einstürzte. Doch sie ließ sich nicht stören und schabte genüsslich weiter. Nach einer Weile hatte sie genug und die Hütte dem Ansturm stand gehalten. Sie nahm ein Maul voll Moos, kaute darauf herum und tat so, als ob sie dies alles nichts anginge.

 

 

 

Mühsam versuchte Dane sich aufzurichten. Er fühlte sich, wie nach einer mächtigen Rauferei. Sein ganzer Körper schmerzte. Leise stöhnte er.

Als Shaar mit zwei Eimern zurückkam, saß er halb aufgerichtet in seinem Haufen Stroh. Der Chreoni schien es sich plötzlich anders zu überlegen und verließ die Hütte wieder, bevor er Dane bemerken konnte. Norsha folgte seinem Herrn gefällig nach draußen Die Stute trottete hinterher, da sie scheinbar etwas Gutes gerochen hatte. Nach einigen Minuten kam Shaar ohne Pferde und ohne Eimer zurück und wollte wieder seinen Platz am Kamin einnehmen.

"Guten Morgen“, machte Dane sich bemerkbar.

Der Chreoni fuhr herum und betrachtete ihn einen kurzen Augenblick stumm.

"Guten Morgen ist gut gesagt“, gab er schließlich amüsiert von sich und machte es sich am Kamin bequem. "Die Sonne ist bereits wieder am Untergehen."

"Was“, rief Dane und war nun selbst überrascht.

"Ja“, nickte Shaar. "Ich wollte eigentlich bereits heute morgen weiter, aber du warst einfach nicht wach zu kriegen." "Entschuldige“, murmelte Dane, dem dies plötzlich fürchterlich peinlich war.

"Nicht der Rede wert“, erwiderte der Chreoni und machte er sich bequemer. "Dieser weitere Tag hat auch seine guten Seiten. Ein weiterer Tag, um sich von den nächtlichen Strapazen und den vorangegangenen zu erholen und die Schergen weiter in die falsche Richtung laufen zu lassen."

"Was ist mit Elees und den anderen“, fragte Dane.

"Wenn du nicht geschlafen hättest, wie ein Bär im Winterschlaf, hättest du deine Schwester und diesen bärbeißigen Kerl, schon heute Abend in die Arme schließen können." Shaar seufzte. "So musst du bis morgen auf dieses freudige Ereignis warten." Der Chreoni grinste frech. Dane erwiderte es.

"Wo sind sie“, wollte er noch wissen. Er hievte sich auf seinen Hintern und schlug die Beine über Kreuz. Jeder Knochen in seinem Körper schien seine Anwesenheit schmerzhaft zu bestätigen.

"In Sicherheit“, antwortete Shaar lächelnd.

Dies genügte Dane. "Aha“, machte er. Wenn es Shaar sagte, musste es wohl so sein. Seine Aufmerksamkeit wurde wieder auf den Rubin gelenkt, als ein kleiner Sonnenstrahl auf ihn traf und ihn kurz aufblitzen ließ. "Darf ich dich etwas fragen, Shaar“, begann er vorsichtig. Seine Neugierde ließ sich nicht mehr zügeln.

"Nur zu“, erlaubte Shaar und lehnte seinen Kopf an die Wand.

"Ich möchte nicht unbedingt in ein Fettnäpfchen treten“, wagte sich Dane behutsam vor. "Wenn ich etwas zu indiskret werde, sag es mir und ich werde nicht weiter fragen. Aber es interessiert mich und ich brenne darauf, es zu erfahren." Dane wartete ab. Er wollte die Frage auf keinen Fall ohne das endgültige 'In Ordnung' des Kriegers zu erhalten.

"Was willst du wissen“, forderte der Chreoni ihn endlich auf.

Dane räusperte sich. "Bevor wir uns so plötzlich trennen mussten, trugst du diese Kette nicht. Ich meine den Rubin. Woher hast du ihn?" Shaars Lächeln verschwand augenblicklich. Eine kleine Nadel bohrte sich in Danes Hals. Sein Puls stieg rasend schnell an. Mit Sicherheit hatte Shaar diesen Stein als Geschenk von einer edlen Dame erhalten, die besser nicht erwähnt wäre. Dane tippte auf eine heimliche und unerfüllte Liebe. Das würde auch sein geheimnisumwittertes Auftreten erklären. "Ich sollte wohl besser den Mund halten“, gab er heiser von sich. "Es geht mich schließlich überhaupt nichts an."

Shaar hob den Kopf von der Wand. "Nein“, rief er, als wolle er einen lästigen Bittsteller abweisen.

"Ist schon gut“, beruhigte Dane und lächelte vorsichtig. "Ich werde nicht mehr danach fragen."

"Du hast ein Recht auf eine Antwort“, erwiderte Shaar, ließ sich aber Zeit, die Frage zu beantworten, als müsse er sie sich erst noch einmal überlegen. Tatsächlich grübelte er darüber nach, ob er lügen, oder die Wahrheit sagen sollte. Dane war sein Freund, und für ihn hatte er viel riskiert. "Von meiner Mutter“, kam endlich die ersehnte Antwort. Der Chreoni war froh, dass Dane nicht weiter nachhakte. Shaar hatte weder gelogen, noch die volle Wahrheit gesagt. Doch das konnte Dane nicht wissen. Befriedigt senkte er den Kopf.

 

Ein Anderer konnte aus dieser Auskunft weitaus mehr erfahren. Ein gellender, wutentbrannter Schrei, erschütterte das Schloss und ließ seine Bewohner ängstlich zusammenschrecken.

 

 

Die Antwort reichte Dane bei weitem nicht aus. Er hätte gerne mehr über diesen seltsamen Krieger erfahren. Doch er merkte, dass es Shaar unangenehm war, darüber zu reden, so hielt er es für das Beste, nicht weiter zu fragen.

"Hast du etwas zu Essen“, versuchte er abzulenken. "Ich sterbe vor Hunger." Shaar, der ebenso froh war, das Thema wechseln zu können, erhob sich augenblicklich und marschierte zu seinen Satteltaschen. Er öffnete eine davon und brachte einen Beutel zum Vorschein. Damit ließ er sich neben Dane nieder, packte den Inhalt aus und breitete Brot, getrocknetes und frisches Obst und Dörrfleisch auf dem Boden aus. Dann kauten sie eine Weile schweigend.

 

"Was bedeutet dieses Ding eigentlich“, wollte Dane plötzlich wissen und deutete auf Shaars Maske. "Warum nimmst du es nie ab." Im selben Moment, jedoch hätte er sich auf die Zunge beißen können. Seine Neugierde hatte es erneut zugelassen, dass er allzu indiskrete Fragen stellte. Peinlich berührt blickte er auf sein Stück Brot. Doch Shaar grinste. Gegen diese Frage schien er nichts zu haben.

"Ich habe es geschworen“, erwiderte er belustigt. Erleichtert lächelte Dane und schob das Brot in seinen Mund. "Du sprichst das 'Ding' so verächtlich aus. Was missfällt dir daran“, wollte Shaar wissen.

Dane schluckte schnell das zerkaute Stück Brot hinunter. "Es sieht gruslig aus. Wenn ich nicht wüsste, dass du ein Meister mit dem Schwert bist und dich vor rein gar nichts fürchtest, würde ich behaupten, du trägst diese scheußliche Maske nur, um deine Gegner schon im Vornherein einzuschüchtern."

"Genau diesem Zweck soll es auch dienen“, pflichtete der Chreoni bei.

"Aber wieso“, rief Dane ungläubig. "So etwas hast du doch nicht nötig. Du brauchst doch vor deinem Gegner keine Angst zu haben?"

"Aber er vor mir. Es ist eine Warnung."

"Wieso das? Versuchst du einem Kampf aus dem Weg zu gehen?" "Richtig“, nickte Shaar und steckte sich ein Stück Dörrfleisch in den Mund.

"Ich hätte dich nicht für so ... ." Weiter zusprechen, ließ Danes Anstand nicht zu.

"... feige gehalten“, vollendete Shaar den Satz kauend. "Das hat nichts mit Feigheit zu tun."

"Ich verstehe trotzdem nicht, wie sich ein perfekter Schwertkämpfer, wie du, davor drückt."

"Es liegt nicht in meiner Absicht, mich davor zu drücken“, widersprach Shaar. "Ich biete meinem Gegner noch eine letzte Gelegenheit, ungeschoren davon zukommen. Wenn es nicht unbedingt sein muss, versuche ich zu vermeiden, so gut es geht."

"Aha“, machte Dane, noch immer ungläubig. Er konnte nicht begreifen, dass Einer zum Kampf geboren war und nun versuchte, Umwege zu finden. Vielleicht machte dies erst einen richtigen Kämpfer aus, schlussfolgerte Dane und widmete sich wieder vollends seiner Mahlzeit. "Aber“, begann er erneut. "Ich bin kein Gegner. Mich brauchst du nicht mehr einschüchtern."

"Ich werde es nicht abnehmen, wenn du das meinst“, erwiderte Shaar fest entschlossen.

"Hast du etwas zu verbergen“, wollte Dane wissen.

"Das ist nicht das Einzige“, antwortete der Chreoni und schob sich ein großes Stück Dörrfleisch in den Mund, damit er längere Zeit nicht mehr reden und Danes Fragen beantworten konnte. Dane erkannte die Absicht und hakte nicht nach.

Eine Weile saßen sie wieder schweigend, Shaars Vorrat verzehrend, ehe Dane erneut das Wort ergriff.

"Wann hast du eigentlich vor, weiterzuziehen“, wollte er wissen.

"Ich denke, wenn du ohne fremde Hilfe in den Sattel steigen kannst“, grinste Shaar.

"Dann kann es glaube ich losgehen."

"Steh auf und beweise es“, forderte der Chreoni. Dies genügte, um Dane auf die Beine zu stellen. Er wankte noch gefährlich unsicher hin und her, blieb aber stehen. "Der Sattel ist dort hinten“, deutete Shaar in eine Ecke und räumte augenblicklich den Rest des Vorrates in den Beutel zurück. Kurz darauf folgte er Dane, mit dem Sattel auf dem Rücken nach draußen

Norsha wusste, was die seltsamen Flügel auf dem Rücken seines Herrn zu bedeuten hatten, brach seine Mahlzeit ab und trottete gefällig näher. Dane musste sich richtig abmühen. Seine Kräfte waren noch nicht gänzlich zurückkehrt. Während er den Sattelgurt festschnallte, spürte er erneut die kräftig ausgebildeten Laufmuskeln der Stute.

"Was sollte das mit dem Rennpferd“, fragte er.

"Hast du das nicht bereits selbst herausgefunden“, erwiderte der Chreoni grinsend und stopfte seinen Umhang in eine Satteltasche. Als Dane an die nächtliche Verfolgungsjagd dachte, musste er lachen. Die Männer am Tor konnten gar nicht so schnell ausströmen, wie sie beide an ihren vorbei rasten. Ein schnelles Pferd unter sich und einen stattlichen Krieger an seiner Seite, da konnte eigentlich nichts mehr passieren. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto drohender baute sich eine unheimliche Wolke über ihm auf. Die Welt konnte doch nicht so einfach zu handhaben sein. Tief in seinem Inneren spürte er, dass noch etwas kommen musste. Wenn er den Chreoni betrachtete, keimten ihm ungewöhnliche Ängste auf. Irgendetwas stimmte nicht.

Mit einer kurzen Handbewegung wischte Dane die düsteren Gedanken beiseite. Die Erschöpfung ließ ihn in trüben Befürchtungen versinken. Um sich abzulenken, beschäftigte er sich mit der Stute. Ihm gefiel ihr kraftvoller und ausdauernder Lauf.

"Dich sollte ich behalten“, murmelte er etwas lauter vor sich hin und streichelte über den Hals der Stute. "Mit dir entkomme ich jedem Schergen." Das rotbraune Fell des Tieres glänzte in der Sonne. Von den Strapazen der letzten Nacht, war nichts mehr zu sehen. Ihr Fell war sauber und gepflegt. Die Stute wieherte leise, als hätte sie Danes Kompliment verstanden und wolle sich nun dafür bedanken.

"Sly gehört dir“, sagte eine Stimme hinter Dane.

Etwas erschrocken fuhr Dane herum. "Sly“, wiederholte er. "Ist das ihr Name?"

Der Chreoni nickte zustimmend.

"Gut, Sly“, rief Dane begeistert und klopfte ihr auf die Schulter. "Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen." Erst jetzt begriff Dane den wahren Sinn dessen, was Shaar eben gesagt hatte. "Sie gehört mir“, rief er entgeistert. "Das kann ich unmöglich annehmen, Shaar."

"Tu es einfach“, kam es kühl unter der Maske hervor. Der Chreoni führte seinen Rappen um den erstaunten Dane herum und ließ ihn einfach stehen.

"Aber ... „, stotterte Dane und blickte abwechselnd auf das Pferd und dem Chreoni hinterher. "Sie muss doch ein Vermögen gekostet haben."

Shaar schüttelte ihm Vorbeigehen den Kopf.

"Wo hast du sie her“, konnte es Dane immer noch nicht fassen. "So ein Tier läuft einem nicht so einfach zu. Du hast sie doch nicht etwa gestohlen?"

Erneut schüttelte Shaar den Kopf. Er war stehen geblieben und wand sich nach Dane um. "Ich kaufte sie jemandem ab, der nicht wusste, was er besaß“, erklärte er.

"Für wie viel?"

"Ein Fass Bier“, schmunzelte Shaar.

Unwillkürlich musste Dane lachen. "Oh, Mann“, kicherte er und tätschelte Stolz seinen neuen Besitz. "Ich kann das gar nicht fassen." Er wand sich wieder zu Shaar. "Wie kann ich dir dafür danken?"

Der Chreoni machte eine ausladende Bewegung, die einer knappen Verbeugung glich und verschwand bald darauf wortlos im Dickicht. Danes Freude über dieses Tier war ihm Bezahlung genug.

"Vielen Dank“, rief ihm Dane hinterher. "Das gibt es doch nicht“, murmelte er noch immer fassungslos vor Glück, vor sich hin und folgte dem Chreoni, mit Sly am Zügel, hinter sich herziehend.

 

 

 

Dane fragte auf der ganzen Weiterreise nicht ein einziges Mal, wohin ihn der Chreoni führte. Er vertraute ihm und folgte ihm, wohin er sein Pferd auch lenkte. Mal ritten sie bedächtig nebeneinander, über staubige Schotterwege und hohe Graslandschaften. Mal durchquerten sie vorsichtig hohe Wälder, auf Löcher, fallenstellendes Gestrüpp und ungebetenen Wegelagerern achtgebend, mit der Hand an der Waffe. Dann wieder jagten sie in atemberaubendem Tempo übermütig über weite Felder und Wiesen. Dane war überglücklich und er hatte das Gefühl, dem Chreoni erging es ebenso. Der alte, erfahrene Kriegsveteran verwandelte sich. Zum ersten Mal, seit er zu ihnen getroffen war, benahm er sich wie ein ganz normaler Mensch, wie ein übermütiger Junge, der stets zu Späßen und Streichen aufgelegt war. Er raste mit Norsha vorweg, oder jagte Sly hinterher. Dane erkannte ihn beinahe nicht wieder. Er wusste nicht mehr, wie er ihn einschätzen sollte. Seine Maskerade verbarg sein wahres Alter. War er steif und verhielt sich wie ein stolzer, unerschütterlicher Krieger, schätzte Dane ihn auf dreißig oder vierzig Jahren, oder älter, doch nun als er mit ihm lustig herum tobte, hielt er den Chreoni für nicht viel älter, als sich selbst. Er fragte sich, ob alle Chreonis so waren, wie er. Vielleicht würde er es irgendwann erfahren? Vielleicht lüftete Shaar irgendwann sein Geheimnis? Dane hatte Zeit und er würde warten, bis Shaar die Zeit für reif hielt, sein Gesicht zu zeigen und seine Geheimnisse zu offenbaren. Dane würde warten.

 

 

 

Die beiden ritten beinahe ohne Unterbrechung. Nur kurz könnten sie sich und den Tieren eine Pause, als sie an einem Gasthaus vorbeikamen. Sie aßen anständig und schliefen ein paar Stunden. Was Dane bei dem Besuch dieses Gasthauses sofort auffiel, Shaars seltsame Aufmachung erregte keinerlei Aufsehen. Keiner der Gäste starrte ihn verwundert an, oder tuschelte hinter vorgehaltener Hand. Es schien ganz alltäglich für sie zu sein. Dane konnte nicht wissen, dass sie sich bereits nahe dem Lande der Chreoni befanden, der Heimat von Shaar. Die Leute waren an die ungewöhnlichen Nachbarn gewöhnt.

 

 

Als die ersten Sonnenstrahlen zaghaft hinter dem Horizont auftauchten, folgten die zwei Reiter einem Pfad, der sie über eine Hügelkette führte, geradewegs in das Land der Chreoni hinein. Diese Kette von kleinen, manchmal spitzen und unwegsamen Hügeln und grasüberwuchernden Hochebenen bildete die Grenze. In dem Tal, das sich dahinter befand, ragten die Spitzen niederer Berge aus dem dunklen See der Nacht. Orangegelb beleuchtet von der Morgensonne, wirkten sie wie Oasen im düsteren Unheilsdampf. Dunkelgraue Nebelschwaden kräuselten sich um die Bergspitzen, als wollten sie schon zu dieser Stunde etwas vom bevorstehenden Tag naschen. Obwohl keiner der Männer allzu romantisch veranlagt war, mussten sie stehenbleiben und dieses Naturschauspiel begutachten. Jeder schwelgte in seinen eigenen Gedanken. Dane war beeindruckt und fragte sich, was dies wohl für ein Land sei und welche Menschen hier wohnten. Shaar dagegen befand sich bald wieder zu Hause. Er kannte dieses Ringen nach Tageslicht. Ihm wurde wohler ums Herz, als er diesen Landstrich wiedersah.

 

Bald machten sie sich auf zum Abstieg und tauchten in den Schatten der Hügelkette. Doch ehe sie die Füße der Berge erreichten, hatten die Sonnenstrahlen sie eingeholt. Der gleißende Ball thronte hoch über ihren Köpfen, als die zwei Reiter zwischen den Bergen hindurch ritten, von denen vorher nur die Spitzen zu sehen gewesen waren. Aber erst als sich der Tag dem Ende zuneigte, erreichten sie eine kleine Ansiedlung, die sich an einem Fluss entlang schlängelte. Mit einer teils freudigen, teils bedrückenden Vorahnung ließ sich Dane ins Dorf führen. Aus den Häusern kamen staunende Menschen herausgelaufen. Einige trugen normale Arbeitskleidung, andere präsentierten sich in einem Kampfanzug, der Shaars ähnelte. Viele grüßten winkend oder riefen einige Begrüßungen zu, die Shaar bereitwillig erwiderte. Es war sein Heimatdorf.

Dane fühlte sich geehrt, etwas weiteres aus dem Privatleben seines neuen Freundes zu erfahren. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Erzählte man sich doch so einiges von diesem Volk. Und wenn nur ein Bruchteil davon stimmte, so würde Dane mitten im Land des Teufels sitzen und um sein Leben bangen müssen. Müde versuchte er ein Lächeln zustande zu bringen. Es war jedoch nicht mehr, als ein krampfhaftes Verzerren der Mundwinkel.

Vor ihnen, mitten auf der Straße, baute sich breitbeinig ein Krieger auf und versperrte ihnen den Weg. Als die Reiter nahe genug herangekommen waren, ließ er den typischen Chreonigruß sehen, worauf Shaar sofort antwortete. Dane brachte nur ein kurzes Kopfnicken fertig. Das Erscheinen dieses Mannes machte ihn nervös. Mit einem Auge beobachtete er den Krieger auf der Straße, mit dem anderen Shaar. Der Mann vor ihnen sah bedrohlich genug aus, Dane auch ohne Maske einzuschüchtern. Tatsächlich trug dieser weder Maske, noch Helm. Die Abendsonne im Rücken, ließen seine Augen zu zwei dunklen Schatten werden. Sein schwarzer Schnurrbart reichte ihm beinahe bis zum Kinn. Ein dunkles Lederband hielt die Mähne aus dem Gesicht. Zwei Zöpfe, die von der Schläfe herabhingen, fielen ihm auf die Brust. Sein Anzug ähnelte dem von Shaar, war jedoch mit anderen Symbolen bestickt.

 

 

Norsha war stehengeblieben. Nur für wenige Sekunden standen sich die drei schweigend gegenüber.

"Nach alldem was du geleistet hast, bringst du noch den Mut auf, hier zu erscheinen“, rief der Mann vor ihnen mit fester Stimme. "Bei Nacht und Nebel Fremde ins Dorf zu bringen und noch vor dem ersten Hahnenschrei wieder zu verschwinden, finde ich gegenüber deinen Freunden nicht nett."

Dane erschrak. Die Stimme des Mannes ließ ihn erschaudern. Nervös beobachtete er Shaar. Dieser schwieg.

"Bist du nun endlich bereit, von deinem Ross zu steigen, oder soll ich dich runter holen“, wurde der Chreoni vor ihnen ungeduldig. Shaar schwang sich aus dem Sattel und ging auf den Landsmann zu. Er streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen, doch anstatt sie freundschaftlich zu schütteln, packten sich die beiden und zogen sich gegenseitig in die Arme. Lachend klopften sie sich auf die Schultern.

"Zurück aus der Höhle des Löwen“, lachte der Chreoni ohne Maske. "Ich hörte, von dem, was du vorhattest. Hätte nicht gedacht, dass du das tatsächlich schaffst."

"Du unterschätzt mich immer wieder“, erwiderte Shaar."

"Ist er das“, wollte sein Freund wissen und deutete mit dem Kopf auf Dane. Shaar nickte und winkte Dane zu sich. Nur zögerlich stieg dieser von seinem Pferd und kam näher.

"Sie gab ihn einfach so frei“, konnte es der bärtige Chreoni nicht glauben.

"Nein“, schüttelte Shaar den Kopf. "Die Türe musste ich schon selbst aufschließen."

"Du hast Recht. Aller Mut nützt nichts, ohne einen Funken von Frechheit“, entgegnete sein chreonischer Freund.

"Das ist Dane“, stellte Shaar vor, als dieser nahe genug gekommen war.

"Der Bruder des blonden Mädchens“, erriet der Andere. "Ich bin Connor." Er hielt Dane die Hand hin. "Ich hoffe, du weißt zu würdigen, dass Shaar für dich seinen Kopf riskierte“, rief Connor, als Dane ihm die Hand gab. Der Griff des Chreoni war fest. Dane glaubte, er wolle ihm die Finger brechen. Vor Schreck brachte er kein Wort heraus. Connors Gesicht besaß strenge Züge, als er Dane auf den Wert von Shaars Tat hinwies. Doch alsbald verflüchtigte sich diese böse Miene. Seine Wiedersehensfreude ließ sich nicht mehr länger verdrängen. Ein breites Grinsen entblößte seine Zähne.

"Mein Kopf sitzt noch am rechten Platz“, gab Shaar dazu. Connor lachte laut auf und packte Dane unter seine starken Arme.

Diesem war dies nicht gerade angenehm. Er überlegte krampfhaft, wie er sich aus dessen Griff wenden könnte, ohne ihn zu erzürnen. Hilfesuchend wand er sich nach Shaar um, doch dieser war mit den Pferden beschäftigt. Eine ihm wohl bekannte Stimme riss ihn wieder herum.

 

"Dane!" Eine junge Frau mit wehenden blonden Haaren kam auf ihn zugeflogen. Dane löste sich aus Connors Armen, ohne Rücksicht auf dessen Gefühle, doch dieser gab ihn schon vorher frei. Sekunden später lagen sich die Geschwister in den Armen. "Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, schluchzte sie und küsste ihren Bruder überglücklich.

"Beinahe hättest du auch allen Grund dazu gehabt“, erwiderte Dane und musste seine Tränen gewaltsam zurückhalten.

 

 

Als auch noch Josip und seine beiden Männer zu ihnen stießen, sah Connor eine Gelegenheit mit Shaar unter vier Augen zu reden.

"Der Rat will dich sprechen“, teilte er ihm mit. "Hör zu, Shaar. Du musst aufhören, bevor es zu spät ist. Du arbeitest gegen die Königin und das kann der Rat nicht gutheißen." Connor ließ ihm keine Zeit zu antworten. "Trenn dich von dieser Hexe Talina, bevor sie dich vollends verdirbt. Du weißt, dass sie alles unternimmt, um der Königin zu schaden. Und jetzt hat sie auch noch dich in ihrem Bann. Befreie dich von ihr, bevor du noch gegen dein eigenes Volk und deine Freunde kämpfen musst."

Shaar schüttelte nur stumm den Kopf. Er konnte darüber nicht reden und am allerwenigsten Connors Bitte nachgehen. Irgendwann, wenn die Zeit gekommen war, würde er sich damit auseinandersetzen müssen, doch nun schien es ihm die falsche Zeit zu sein. Bei dem Gedanken, eines Tages tatsächlich seinem eigenen Volk und seinen Freunden gegenüberzustehen und seine eigene Familie in Schande zu bringen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Doch er musste beenden, war es begonnen hatte. Talina, eine alte Frau aus dem Chreonibergen, von allen als Hexe verschrien, schickte ihn in diese Mission. Shaar hatte eingewilligt und deswegen musste er es bis zum Schluss durchstehen, mit allen Schwierigkeiten und Konsequenzen.

 

 

Er war so in Gedanken vertieft, dass er nichts mehr, von dem, was um ihn herum gesprochen oder getan wurde, wahrnahm. Connors bestrebtes Einreden ging ebenso an ihm vorbei, wie das aufkeimende Streitgespräch zwischen Dane und Josip.

Wie in Trance, in jahrelanger Gewohnheit, öffnete er die Sattelgurte, zog die Halfter ab, als ihn ein kräftiger Stoß von hinten gegen die Stute katapultierte. Panisch vor Schreck sprang sie zur Seite, rempelte dabei Norsha an und erschreckte auch ihn damit. Der Hengst wieherte laut, warf den Kopf hoch und blähte die Nüstern auf. Die beiden Tiere waren müde und daher sehr leicht zu erschrecken. Pratzenartige Hände packten Shaar, der das Gleichgewicht verloren hatte und nun auf der Straße lag.

"Du verdammter Hund, du schwarzer Teufel“, spuckte ihm ein dicker Bart ins Gesicht. "Ich hätte dich schon längst töten sollen." Shaar wurde wild hin und her geschleudert. Er war so verblüfft, dass er sich im ersten Moment nicht erwehren konnte. Erst als er das Blitzen einer Stahlklinge vernahm, reagierten seine Reflexe. Mit Drehungen und Wendungen wand er sich aus dem Griff dem wahnsinnig gewordenen Josips. Die Schreie der Anderen, drangen nur leise durch das Gebrüll des Bären. Eine fünfte Hand schlug nach dem Messer und schleuderte es davon. Connor krallte sich in Josips Lederwams und zerrte ihn von Shaar herunter. Nur einige Meter daneben, drückte er ihn mit seinem Körpergewicht zu Boden und zwang ihn dort liegenzubleiben. Keine leichte Aufgabe für ihn. Beide waren ungefähr gleich stark und konnten nur darauf warten, dass dem Anderen die Puste zuerst ausging. Josip brüllte, gleich einem vor Wut rasenden Bär, wand sich und schlug um sich. Elees und Dane versuchten ihr Bestes Josip zu beruhigen. Von den beiden Männern aus Josips Gefolge, erhielten sie keine Hilfe. Diese wichen ängstlich zurück. In Connors Händen wähnte Dane seinen wütenden Freund in Sicherheit und wagte sich deshalb näher an ihn heran. Er beschwor ihn, sich zu beruhigen.

 

 

Shaar erschrak, als er plötzlich Elees neben sich spürte. Er war verwirrt liegengeblieben und fragte sich, welchen Fehler er wohl begangen haben könnte, oder was diesen Bullen zur rasenden Wut verleitet haben könnte.

"Was ist geschehen“, fragte er und erhob sich endlich aus dem Staub. Elees half ihm den Schmutz aus seinen Kleidern zu klopfen. Sie hätte sich in diesem Moment von nichts abhalten lassen, selbst nicht von Josips Wut, den Chreoni zu berühren. All die Tage hatte sie sich danach gesehnt. Sie bewunderte ihn.

"Es geht um Sankt Karpastin“, erwiderte sie und versuchten ihm, durch die schmalen Schlitze der Maske hindurch, in die Augen zu sehen. Doch sie konnte nichts entdecken, als zwei schwarze Löcher. "In den Klöstern von Sankt Karpastin versammeln sich unsere Leute. Josip schickte seine Männer dorthin voraus." Plötzlich wendete sie den Blick ab. "Nun ist alles vorbei“, sagte sie traurig.

Hinter der Maske kam ein leises "Nein!" hervor.

"Alles wofür wir gekämpft haben, alles Blut was gegossen wurde, wird nun umsonst sein“, flüsterte Elees den Tränen nahe.

"Verzeih mir, das wusste ich nicht“, entschuldigte sich Shaar schulterzuckend.

Elees fuhr herum. In ihrem Gesicht lang keinerlei Wut, eher Mitgefühl. Seine Stimme hatte ihr seine Betroffenheit verraten. "Woher solltest du es auch wissen“, erwiderte sie schulterzuckend. "Selbst Dane konnte nicht wissen, dass Josip seine Pläne kurzfristig änderte." Sie senkte den Kopf. "Was sollen wir jetzt nur tun“, sagte sie mehr zu sich selbst.

 

 

Josip wurde langsam leiser. Ihn verließen allmählich die Kräfte. Auch auf Connors Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Sein Gesicht war rot angelaufen. Eine unheimliche Ruhe kehrte plötzlich ein. Elees Gedanken galten mehr und mehr dem Chreoni, denn ihren Freunden in Sankt Karpastin. Sie sehnte sich danach, in seinen starken Armen zu liegen, sich an seiner Brust auszuruhen und sich von allen Strapazen, die ihr je widerfahren waren, erholen zu können. Sie spürte förmlich den sanften Druck seiner Arme. Sie konnte fühlen, wie seine Finger über ihre Haut glitten. Doch als sie ihn in ihren Träumen küssen wollte, sah sie nur eine hässliche, abstoßende Maske vor sich und erschrak. Da erst bemerkte sie, dass der Mann ihrer Träume sie beobachtete. Augenblicklich schoss ihr das Blut in den Kopf. Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren.

Als sich ihre Blicke trafen, drehte sich Shaar abrupt um und wäre beinahe mit Norsha zusammengestoßen. Dass auch der Chreoni mit sich rang, konnte Elees nicht sehen - sollte sie auch nicht sehen.

 

 

"Wir sollten uns etwas überlegen“, schlug Elees, heiser und viel zu schrill, vor. Es war ihr völlig gleichgültig. Sie wollte diesen peinlichen Moment zerstören.

"Da gibt er nichts zu überlegen“, brüllte Josip und drohte erneut zu explodieren. Elees erschrak. Connor, der Josip wieder freigegeben hatte, wollte ihn erneut packen und vor einer Dummheit bewahren, doch dieser winkte ab. Josip hatte erkannte, dass dies der falsche Ort war, einen Chreoni umzubringen.

"Wieso willst du dir deinen Kopf für etwas zerbrechen, was längst nicht mehr existiert“, zischte Josip böse. Elees wollte sich schon, aufgrund Josips erneuten Ausbruch, für ihre laut ausgesprochenen Gedanken entschuldigen, als ihr dieser erneut etwas entgegen schleuderte. "Diese Hexe hat doch schon längst ihre riesige Armee hingeschickt und alle erschlagen."

"Unmöglich“, fuhr ihm Shaar barsch ins Wort.

"Warum unmöglich“, fauchte Josip und setzte auf Shaar an, wie eine Raubkatze zum Sprung auf ihr Opfer.

"Die Königin wird nicht so dumm sein, aufgrund der Aussage eines gefolterten Gefangenen, ihre ganze Armee nach Sankt Karpastin zu schicken und sich und ihre Festung schutzlos zurücklassen“, erklärte Shaar. "Ich denke, sie wird erst Kundschafter dorthin schicken und erst nach deren Rückkehr etwas unternehmen." Er drehte sich um, denn die Lust verging ihm plötzlich sich mit Josip zu streiten. Es gab wichtigeres zu tun, als diesen, zu groß geratenem Waschbär eines Besseren zu belehren.

Josip war seltsam still geworden. Am Spiel seiner faltigen Stirn war zu erkennen, dass er überlegte.

"Richtig“, rief Dane und gab seinem Freund Recht. "Sie könnte eine Falschinformation vermuten. Während ihre Schergen nach Sankt Karpastin reiten, wäre ihre Festung ohne Schutz und könnte angegriffen und kinderleicht erobert werden."

"Aber was bringt uns das“, zweifelte Elees an.

"Dass wir Zeit haben“, rief Dane begeistert und umarmte glücklich seine Schwester. "Die Kundschafter brauchen drei - wenn sie sich sehr beeilen, vielleicht nur zwei Tage nach Sankt Karpastin und zurück. Das Heer aber wesentlich länger. Die Versorgungswägen, die Katapulte und die Fußsoldaten halten den Zug auf. Bis nach Sankt Karpastin bräuchten sie, wenn sie sich beeilen ... ." Er überlegte. "Fünf bis sechs Tage. Richtig“, wollte er von Shaar bestätigt haben. Dieser nickte nur stumm. Er wollte sich heraushalten. "Was meinst du Josip“, wand sich Dane wieder an seinen alten Freund. "Könnten wir es noch schaffen, unsere Leute zu warnen?"

Josip wusste, dass Dane und Shaar Recht hatten. Die Königin war nicht so dumm. Wichtiger, als die Zerschlagung des Widerstandes, war ihr ihre eigene Sicherheit und der Prunk, den sie um sich herum geschaffen hatte. Aber in Josips Kopf arbeitete es weiter. Vergessen war der Streit mit dem Chreoni.

"Sogar noch mehr“, erwiderte er.

Dane legte fragend den Kopf schief. "Was meinst du?"

"Wir tun genau das, was die Hexe von uns erwartet. Sollten tatsächlich zuerst Kundschafter nach Sankt Karpastin geritten sein, so haben wir genügend Zeit unsere Leute zu warnen und sie abzuziehen. Während die Schergen zu den Klöstern unterwegs sind, werden wir uns aufmachen, Imeta einen kleinen Besuch abzustatten. Ein kleiner Umweg, ein scharfer Ritt und wir sind noch vor den Soldaten zurück. Dann werden wir die Männer von ihrer eigenen Burg aus, in Empfang nehmen. Das wird ein Fest." Josips Kampfgeist lebte auf.

"Das ist gut“, ließ sich Dane begeistern. "Worauf warten wir noch? Lass uns losreiten."

"Halt, warte“, hielt ihn Josip zurück. "Du hast einen langen Ritt hinter dir. Bist du nicht müde?"

Dane schüttelte energisch den Kopf. Aber wenn er darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass er es war.

"Uns bleibt noch genügend Zeit“, ersparte Josip ihm die Antwort. "Du kannst dich ausruhen. Wenn wir morgen, mit der Sonne losziehen, ist das immer noch ausreichend. Also hau dich aufs Ohr." Er legte den Arm um Danes Schultern und lächelte siegesgewiss. Dieses Lächeln erschien nur auf Josips Gesicht, wenn er sich seiner Sache ganz sicher war, wusste Dane und die anderen.

 

Armer Josip. Er wusste nicht, dass sein Plan zum Scheitern verurteilt war, bevor er überhaupt ausgeführt werden konnte. Im selben Moment, wie er sein Vorhaben mitteilte, wusste es auch schon Imeta, ohne dafür leibhaftig neben ihm stehen zu müssen - durch Shaar. Er war ihre Augen und ihre Ohren.

 

 

 

Josip spazierte mit Dane in das Haus zurück. Seine beiden Gefolgsleute folgten ihm schnell. Scheinbar fühlten sie sich im Haus sicherer, als auf der Straße.

Elees zögerte. Sie suchte fieberhaft nach einer Gelegenheit mit Shaar zu reden. Die Zeit, die der Chreoni für das Versorgen der Pferde brauchte, schien ihr schier unendlich vorzukommen. So langsam, wie möglich spazierte sie ins Haus zurück. Stets bereit, durch Shaars Auftauchen, rein zufällig aufgehalten zu werden. Doch es kam nicht dazu. Ein älteres Ehepaar trat aus dem Haus. Elees wusste, wer die beiden waren und sah die Gelegenheit als verloren. Im selben Moment kam auch Shaar aus dem Stall. Er ging an ihr vorüber, als hätte er sie nicht gesehen. Noch immer war Elees fest entschlossen ihn aufzuhalten, doch ein dicker Kloß in ihrem Hals vereitelte ihren Entschluss. Sie folgte ihm, wie ein schuldbewusster Schildknappe seinem Herrn. Shaar begrüßte seine Eltern.

"Spielst du jetzt Kinderschreck“, fragte seine Mutter, nachdem sie ihn wieder aus ihren Armen entließ. Shaar schüttelte den Kopf. "Was soll dann dieses Ding?" Sie war im Begriff ihren Sohn von der Maske zu befreien, doch dieser wich aus. Er ließ ihre Frage unbeantwortet und hielt sie von einem weiteren Versuch ab. Die vorher stämmig wirkende Frau, sah an der Seite ihres Sohnes klein und zierlich aus. Shaar nahm sie in den Arm und ging ebenfalls ins Haus hinein. Shaars Vater war ein kräftig gebauter Mann, der es absolut mit Josip aufzunehmen vermochte. Selbst noch in seinem hohen Alter, war zu erkennen, dass er früher zu den geachteten Kämpfern gehörte. Von ihm musste Shaar seine Kampfkünste gelernt heben. Elees betrachtete ihn ebenso bewundernd, wie sie zuvor Shaar betrachtet hatte, jedoch mit anderen Augen. Der alte Chreoni winkte das Mädchen zu sich. Erst widerwillig, aber dann doch gehorchte sie.

 

 

Hamsrich und Wulfen, Josips Männer, fühlten sich in der nach Honigwein, Kräutertee und frisch gebackenem Hausbrot duftenden Stube sichtlich wohl. Sie lümmelten in einer Ecke, mit je einem Krug in der Hand und erzählten einander Geschichten. Josip selbst kippte gierig einen Becher Wein in sich hinein. Schließlich besaß er einen Grund zu feiern. Dane saß ihm am Tisch gegenüber und kaute. Obwohl die Augenlider schwer waren, befriedigte er erst seinen Hunger. Man sah ihm deutlich an, er gehörte ins Bett. Aber was ein richtiger Mann war, der hielt durch. Also schob sich Dane, um sich wachzuhalten, einen Bissen nach dem Anderen in den Mund. Auf keinen Fall wollte er früher als Shaar zu Bett gehen.

 

In der Wohn- und Küchenstube des Hauses hielten sich auch Shaars Geschwister auf. Die älteren bemühten sich, ihren Gästen an nichts fehlen zu lassen. Die kleineren saßen, mit sich selbst beschäftigt, auf einer Bank nahe am großen Kachelofen. Als jedoch der große Bruder ins Zimmer kam, gab es für sie kein Halten mehr. Sie stürmten schreiend auf ihn ein. Die Begrüßung schien ewig zu dauern.

Nachdem er jedes einzelne seiner Geschwister umarmt hatte, stellte er sie, nicht ohne Stolz, Dane vor. Auch seine Eltern wollte er ihm bekannt machen.

"Dane, das ist meine Mu ... ." Weiter kam er nicht.Irgendetwas verschnürte plötzlich seine Kehle. Er griff sich an die Brust. Die Luft war ihm weggeblieben. Doch so schnell, wie dieser Anfall gekommen war, verschwand er auch wieder. Keuchend japste er nach Luft. Was war nur geschehen?

"Bist du krank, mein Sohn“, fragte seine Mutter besorgt.

"Ist alles in Ordnung“, wollte auch Dane wissen.

Shaar erholte sich schnell. Tief atmete er ein, um das Versäumte nachzuholen. "Es geht schon wieder“, versicherte er. Er klang bereits völlig normal.

Während sich Shaar vollends erholte, stellten sich seine Eltern selbst vor. Die Kinder sorgten für Trubel und das Geschehene war schnell vergessen.

Nur Elees konnte es nicht. Sie beobachtete ihn sorgsam. Irgendetwas war passiert und sie machte sich Sorgen. Zu Recht. Imeta hatte ihn Dank des Rubins in der Gewalt. Sie ließ es nicht zu, dass er eine Frau als seine Mutter vorstellte, die es nicht war. Sie behielt sich diesen lang vorenthaltenen Stolz für sich ein. Ein lautes, schadenfrohes Lachen scholl durch den Palast. Nichts konnte ihr mehr passieren. Talina hatte versagt.

 

 

 

Im Tal der Chreoni war es schon lange dunkel geworden, als eine kleine Gruppe von älteren Männern durch das Dorf ging. Die fünf Ältesten bildeten den Rat der Weisen, denn es in jedem Chreoni-Dorf gab. Ohne diesen Rat zu befragen, wurde kein Problem gelöst, keine Ehen geschlossen, kein einziger junger Mann zum Krieger ernannt. Sie achteten auf Einhaltung der Sitten und Gebräuche, überwachten Bündnisse und regelten alle außergewöhnlichen Abläufe. Der Rat der Weisen bildete den Mittelpunkt eines jeden Dorfes.

Die späte Stunde konnte die Männer nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Zielstrebig gingen sie auf ein Haus zu, das Zuhause von Shaar. Als sie ins Zimmer traten, verstummten augenblicklich alle Stimmen. Shaar, der mit dem Rücken zur Türe sah, drehte sich nicht um. Er wusste, wer hereingekommen war.

"Da du auf unseren Ruf nicht gehorchst, müssen wir zu dir kommen“, sagte einer der Alten streng. Obwohl niemand namentlich genannt wurde, wusste jeder, wer gemeint war.

"Es kränkt uns und unser Volk, dass du den Frieden gefährdest“, begann er erneut, als Shaar nicht antwortete.

"Wir können deine Handlungen nicht dulden“, meinte ein Anderer. Immer noch kein Wort von Shaar. Seine Maske versteckte jegliche Regung in seinem Gesicht. Selbst die, die ihm gegenüber saßen, konnten nicht erkennen, ob Shaar schlief, oder wach war. Es herrschte eine unangenehme Stille im Raum. Nur das leise Prasseln des Feuers war zu hören.

Wieder beobachtete Elees den Chreoni mit gemischten Gefühlen. Das Geheimnis, das er verbarg, drohte zu platzen. Doch Shaar war nicht bereit es preis zu geben. Obwohl der Raum überhitzt war, fröstelte Elees. Kalte Schauer stellten ihre feinen Härchen im Nacken auf - ein höchst unangenehmes Gefühl.

"Du bist nicht einmal bereit Stellung zu nehmen“, gab er Erste scharf an. "Glaubst du denn, wir sehen tatenlos zu, wie du dein Volk und deine Familie ins Verderben treibst?"

Die Königin in ihren Thronsaal erhob sich von ihrem Stuhl. Im selben Moment stand auch Shaar auf und drehte sich um. Die Alten entdeckten sofort den Rubin an seiner Brust und erkannten ihn. Sie vermuteten sofort, dass Shaar im Auftrag der Königin arbeitete und als Zeichen, ihre Kette trug. Sofort entschuldigten sie sich, wünschten eine gute Nacht und verschwanden. Die Belange der Königin standen über denen des Rates, so musste Shaar nicht erst die Erlaubnis einholen, wenn er einen Auftrag von Imeta ausführen wollte.

Verwundert sahen sich die Verbliebenen an. Sie konnten sich das seltsame Verhalten des Rates nicht erklären. Sie fragten sich, was sie wohl bewogen hatte, so schnell aufzugeben. Ratlos blickten sie ihnen nach.

Außer Shaar. Ohne sich zu verabschieden entschwand er durch die hintere Türe, weiter ins Innere des Hauses. Schulterzuckend sahen sich Dane und Josip an.

"Ich sag's ja“, war Josips Kommentar und kippte den Rest seines Weines in sich hinein. "Wir sollten schlafen gehen. Morgen liegt noch ein langer Weg vor uns. Und wer weiß, wie lange wir auf ein anständiges, weiches Bett verzichten müssen." Er knallte den Krug auf den Tisch, erhob sich und stupste Dane an. "Nun komm schon“, befahl er ungeduldig. Dane war zu müde. Seine Reaktionen brauchten lange. Er nickte und folgte ihm, leicht wankend, aber nicht aus Trunkenheit.

 

6.

 

 

 

 

Der nächste Morgen war kühl. Nur die höchsten Spitzen der Berge bekamen etwas von der noch blassen Sonne ab. Bis ins tiefe Tal der Chreoni konnte kein einziger Strahl vordringen. Der Himmel zeigte sich in graublauen Tönen und brachte nicht die rechte Morgenstimmung in das Tal. In einem Halbdunkel, arbeiteten einige Männer eifrig an Vorbereitungen. Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen das Chreonidorf erreichten konnten, wollten sie schon unterwegs sein. Elees fröstelte. Sie arbeitete schneller, um warm zu werden. Obwohl sie ihren Körper in einen dicken, wollenen Mantel gehüllt hatte, war ihr kalt. Der Tag sah nicht aus, als wolle er die wärmenden Strahlen der Sonne auf die Welt hinunter lassen. Über die Bergkette zogen langsam einzelne dunkle Wolken herein. Sie sahen verloren und einsam aus und vermittelten eher den Eindruck, sie hätten sich verlaufen. Und doch kündigten sie einen kühlen, feuchten Tag an. Ein Grund mehr sich zu beeilen. Josip trieb seine Leute an. Es war zwar nicht nötig, denn sie arbeiteten ohnehin schon so schnell sie konnten, sie wollten ebenfalls schnellstens unterwegs sein, doch Josip musste seine Vorfreude über den bevorstehenden Sieg irgendwie zum Ausdruck bringen. Er konnte es gar nicht mehr erwarten.

Mancher Bauer war bestimmt froh, über einen regnerischen Tag. Schon viel zu lange trocknete die Sonne die Felder aus und ließ das Vieh an ausgetrockneten Seen und Bächen dursten. In Gedanken an dies musste Elees an den Bauernjungen denken, den sie im Wald, an den Baumstamm gefesselt gefunden hatten. Wie durch Zauberei hatte sie plötzlich seine Rose in den Händen. Gedankenverloren betrachtete sie die Blume. Wie mag es ihm wohl gehen, fragte sie sich im Stillen. Sie wünschte sich zu ihm. Dann säße sie jetzt in einem warmen Zimmer, an einem prasselnden Feuer und würde heißen Früchtetee trinken. Sie spürte förmlich, wie die heiße Flüssigkeit durch ihre Kehle in den Magen lief. Bei diesem Gedanken quoll wohlige Wärme empor. Ihre Finger wurden warm und ließen sich leichter bewegen. Sie konnte das Knistern des Feuers hören, spürte die Hitze auf ihrer Haut und neben ihr saß der junge Bauer und lächelte sie an. Einige Schweißperlen glitzerten im Schein des Feuers auf seiner Stirn. Doch irgendetwas störte sie an ihm - seine Augen. Es waren leere, dunkle Höhlen. Plötzlich verwandelte sich sein Gesicht in eine grässliche Fratze, einem abgezogenem Tierschädel gleich. Und als Elees die Augen öffnete, stand Shaar vor ihr.

"Bist du eingeschlafen“, riss er sie aus ihren Träumen.

Die junge Frau konnte nicht antworten, ihre Stimme war eingefroren. Deshalb schüttelte sie stumm den Kopf. Sie sah sich schnell um, die anderen waren bereits fast fertig. Sie beeilte sich, den Vorsprung aufzuholen.

Kurze Zeit später war die Gruppe unterwegs.

 

Zur selben Zeit machte sich hoch oben in den Chreonibergen eine alte Frau zur Abreise fertig - Talina. Sie wollte nach Serphauce. Lange genug hatte sie auf diesen Augenblick warten müssen, dass sie jetzt hastig ihre Habseligkeiten für die Reise zusammenpackte und auf ihren Rücken lud. Sie wollte rechtzeitig ankommen und da sie zu Fuß gehen musste, musste sie sich beeilen.

 

 

 

Der Tag begann grau und daran änderte sich im Laufe des Tages nichts. Düster und trübe versank die Welt im Nieselregen. Der Boden dampfte und verwandelte alles in eine überdimensionale Waschküche. Die Hufe der Pferde rutschten auf dem matschig gewordenen Weg mehrmals aus. Eine weitere Voraussicht war durch den Dunst unmöglich. Deshalb waren die Reiter auf ihre Ohren angewiesen. Sie lauschten angestrengt den Geräuschen. Auf keinen Fall wollten sie einer Patrouille über den Weg laufen. Doch außer dem Schmatzen unter den Hufen, dem Klatschen einiger fetter Wassertropfen und das gelegentliche Ziepen einiger Vögel war nichts zu hören. Das trügerische, durch den Nebel spärlich gewordene Tageslicht, ließ keinerlei Erkennen der Tageszeit zu. Jegliches Zeitgefühl verlor sich in diesem Dampf und keiner der Reiter wusste, welchen Weg sie bereits zurückgelegt hatten, oder ob sie überhaupt vorwärts kamen. Wie in Trance, trottete einer blindlings hinter dem Anderen her. Keiner bewegte sich aus der Entenreihe. Keiner ließ ein Wort verlauten. Jeder war in seine Gedanken versunken und versuchte dem diesigen Tag dadurch zu entfliehen, indem er sich tief in sich zurückzog.

 

 

So auch Elees. Sie ließ ihrem Reittier freiem Lauf, das sowieso keinen anderen Wunsch hegte, als ihrem Vordermann hinterher zu laufen. Ihre Gedanken wirbelten, wie von einem Herbstwind aufgestoben durcheinander. Sie verstand ihre Tagträume nicht und war sich selbst ein Rätsel. So viele junge Männer hatte sie schon gesehen und ein jeder besaß Qualitäten, die eine junge Frau dahin schmelzen ließ. Viele haben um ihre Hand angehalten und sie hatte alle höflich abgewiesen. Vor langer Zeit hatte sie sich geschworen, erst dann zu heiraten, wenn das Martyrium der Königin beendet war. Jetzt begann sie ihren eigenen Schwur zu brechen. Sie wusste, dass sie in Shaar verliebt war, obwohl sie von ihm nichts kannte, nicht einmal sein Gesicht. Sie wünschte sich aber trotzdem nichts sehnlicher, als bei ihm zu bleiben, an seiner Seite zu kämpfen und ihn auf all seinen Wegen zu begleiten. Womöglich ein Leben lag. Sie wusste aber auch, dass sie das nicht konnte. Elees und Shaar. Das waren zwei verschiedene Welten. Zwei Wege, durch eine tiefe Schlucht voneinander getrennt und es gab keine Brücke, die sie verband.

Sie wusste es. Deshalb kämpfte sie. Sie kämpfte mit sich selbst einen Kampf, bei dem niemand wusste, wie er endete. Ein unendlicher Kampf, ohne Seiten; Gegner und Verteidiger in einer Person. Da sie sich nicht selbst schlagen konnte, verlor und gewann keiner. Jetzt darüber nachzudenken, war für sie wie ein schweres Kreuz, das auf ihren Schultern lastete und sie in die Knie zwang. Aber vor wem sollte sie nieder knien? Vor ihren Gefühlen, vor ihrer Liebe? Sollte sie sich unterwerfen? Oder sollte sie lieber ihre Knie durchdrücken, aufrecht und Stolz stehen, gegen die erdrückende Last ankämpfen?

Je mehr sie darüber nachdachte, desto weiter sank sie in die Knie. Die Last auf ihren Schulter drückte sie erbarmungslos zu Boden.

Elees Reittier rutschte ein wenig auf dem schlüpfrigen Boden weg. Um das Gleichgewicht zu halten, musste es einen festeren Schritt ansetzen. Diese ungewöhnlich plötzliche harte Gangart riss Elees aus ihren Träumen. Der Regen war stärker geworden. Faden an Faden prasselte er vom Himmel. Das Mädchen war bis auf die Haut durchnässt. Ihr Wollmantel hatte sich vollgesogen und hing nun schwer über ihre Schultern. Längst hatten sich die anderen ihre Wachsmäntel übergezogen. Nur Elees nicht. Sie hatte geträumt. Nun schalt sie sich, so der Wirklichkeit entglitten zu sein. Wenn sie jetzt ihren Regenmantel überwarf, nützte es auch nichts mehr. Außerdem konnte sie keinen ihrer durchgefrorenen Gliedmaßen bewegen. Also ließ sie es bleiben.

 

 

Sie sah sich kurz um. Vor ihr ritten Josip und die beiden Männer aus seinem Gefolge, hinter ihr Dane und Shaar. Jeder kauerte sich in den Kragen seines Mantel und folgte stumm dem Anführer. Links und rechts von ihnen erstreckten sich Wiesen, deren weiterer Verlauf, aber bereits nach fünf Meter im dichten Regen verschwanden. Kein Vogel pfiff sein munteres Lied, nur hier und da hörte sie das Quaken der Frösche, die sich über die Feuchtigkeit besonders freuten. Das monotone Rauschen der Regens, verschluckte aber auch bald diese Geräusche. Unter ihr schmatzten die Hufe im Schlamm des aufgeweichten Wege und ab und zu schnaubte ein Pferd müde. Elees wand sich wieder um. Weiter trabte sie ihrem Vordermann hinterher und versank wieder in ihrer Traumwelt.

 

 

Langsam würde es düsterer. Sie waren geritten, ohne Pause, stets einen Schritt vor dem anderen gesetzt. Elees sehnte sich nach einem wärmenden Lagerfeuer und einer heißen Suppe. Diesmal jedoch erwärmte sie der Gedanke daran nicht. Im Gegenteil, sie zitterte vor Kälte. Das Zittern übertrug sich auf ihr Pferd. Es strauchelte ein paar mal vor Müdigkeit. Wie gerufen, tauchte vor ihnen plötzlich der schwache Schein einer Laterne auf. Zielstrebig, ohne auf etwaige Gefahren, durch Schergen oder Spione zu achten, steuerte Josip darauf zu. Er sehnte sich, wie alle anderen, nach Wärme. Trotz allem vergaß er seine Vorsicht nicht und begutachtete das Innere der Schänke erst, bevor er seinen Männern gestattete, von den Pferden zu steigen und hineinzugehen. Sicher war es allen völlig gleichgültig, wer in dieser Schänke saß, und wenn es die größte Räuberhöhle gewesen wäre, sie wären hineingegangen. Geduldig warteten die Anderen auf Josips Rückkehr. Als die Türe wieder aufging und mit ihm lautes Stimmengewirr herauskam, waren bereits die ersten abgestiegen. Es war alles in Ordnung und nun ließen sie die beiden Männer aus seinem Gefolge nicht mehr länger aufhalten. Auch Dane und Shaar stiegen ab, führten die Pferde in die Scheune und verschwanden im Gasthaus. Nur Elees nicht.

 

 

So sehr sie es sich wünschte, sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Körper war steif gefroren. Sie war nicht fähig abzusteigen. Ihr Pferd war den anderen bis zur Stalltüre nachgelaufen, da es sich selbst nach Wärme und einem Haufen Heu sehnte, konnte aber nicht hinein, da es noch einen Ballast auf dem Rücken trug. Shaar war der letzte, der aus dem Stall kam. Er blieb vor Elees stehen und betrachtete sie stumm. Tränen vermischten sich auf ihrem Gesicht mit den Regentropfen. Er schien begriffen zu haben, denn er ergriff Elees Arm, zog sie zu sich herunter und trug sie hinein. Indessen war Josip zurückgekehrt, da er Shaar und Elees Ausbleiben bemerkt hatte. Als er den Chreoni mit der Tochter seines alten Freundes auf dem Arm sah, eilte er ihnen entgegen und wollte ihm das zitternde Bündel abnehmen. Shaar wich jedoch aus.

"Das Pferd“, zischte er kurz und ging an Josip vorbei ins Innere des Hauses.

 

 

 

Elees hätte sich ewig von ihm tragen lassen können. Wohin er auch nur wollte. Sie schalt sich dennoch, nicht ihren Regenmantel angezogen zu haben. Liebend gern hätte sie ihre Arme um den Hals des Chreoni gelegt. Und wiederum war sie froh, es nicht getan zu haben. Shaar hätte sonst keine Gelegenheit erhalten, sie zu tragen.

Dane sprang den beiden aus Sorge um seine Schwester entgegen.

"Was ist los mit ihr“, wollte er wissen.

"Nichts weiter“, antwortete Shaar und ging an ihm vorüber. Er setzte das Mädchen nahe an den offenen Kamin, zog ihr den vor Nässe triefenden Mantel aus und wickelte sie in eine Decke, die ihm die Frau des Wirtes eiligst gebracht hatte. Dane rubbelte ihr mit den Enden der Decke die Haare trocken. Elees selbst war nicht fähig, auch nur einen Finger zu rühren. Ihre Lippen schimmerten violett, ihr Gesicht weiß wie eine Kalkwand. Unter ihren glasigen Augen hatten sich tiefe dunkle Ränder gebildet. Die Haare fielen ihr, nicht nur dank Danes Trockenaktion, zottelig ins Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper.

 

 

Als Shaar mit Elees herein gestürmt kam, verstummte für einen Moment jegliches Gespräch. Neugierig betrachteten die anderen Gäste, den seltsamen Krieger und das was er mit dem Mädchen tat. Doch bald verlor sich ihr Interesse, da Shaar nichts anderes tat, als sie warmzureiben. Der Rubin schwankte nahe vor Elees Händen hin und her, als er über ihre Arme und Beine strich. Diesen herrlichen Moment, indem er sie berührte und über ihren Körper strich, genoss Elees, doch ihre Gedanken schweiften bald zu diesem Edelstein ab, der verführerisch, zum Greifen nahe, vor ihren Fingern baumelte.

 

Irgendwann griff sie danach. Doch als sie ihn berührte, erschien vor ihren Augen plötzlich das Bild einer Frau. Ihre Augen blitzten auf, ihr Mund hatte sich zu einer grässlichen Grimasse verzogen. Sie stieß einen wütenden Zischlaut aus und meinte eindeutig Elees, die es wagte, den Rubin anzufassen. Erschrocken ließ sie den Stein wieder los, und sofort verschwand die Erscheinung. Mit großen Augen starrte sie Shaar an. Dieser hatte aufgehört sie warmzurubbeln und betrachtete sie nun stumm. Was war nur passiert? Elees Herz klopfte wild in ihrer Brust, was aber nicht nur seine Nähe ausmachte. Die Berührung des roten Steines, hatte sie verwirrt. Etwas Böses und unheilvolles war in sie eingedrungen und hinterließ nun ein Loch, das sich ebenso anfühlte, wie ein riesiger verdunkelter Saal, in dem man vollkommen allein stand und die Anwesenheit der Wände nur ahnen konnte.

 

Shaar erhob sich wortlos und setzte sich zu den Anderen an den Tisch, ohne jedoch etwas zu essen oder zu trinken. Er starrte stumm vor sich hin und schien nur darauf zu warten, dass Elees etwas sagte und ihn verriet. Sie starrte ihm verwirrt nach und wurde erst abgelenkt, als etwas heißes ihre Lippen verbrannte. Dane hatte versucht ihr eine heiße Brühe einzuflößen. Sie schrie auf.

"Schon gut“, beruhigte er sie und drückte ihr den Becher in die Hand, damit sie allein trank. Es war ihm scheinbar peinlich. "Ich bin eben keine gute Amme“, entschuldigte er sich.

"Ich brauche keine Amme“, wetterte Elees mit heiserer Stimme.

Einige der Gäste, die ihnen am nächsten saßen, und mitangehört hatten, lachten plötzlich auf. Elees kannte dieses Lachen und die Sorte von Männer. Immer wenn sie sich selbst zu behaupten versuchte, lachte sie ihr hämisch ins Gesicht. Solche Männer hielten sich Frauen nur fürs Bett und für den Herd. Und dafür war sich Elees zu schade. Sie warf ihnen einen wütenden Blick zu und streckte ihnen trotzig die Zunge heraus. Dann widmete sie sich dem Becher mit dem dampfenden Inhalt. Kurz nachdem sie ausgetrunken hatte, schlief sie ein.

 

 

Am nächsten Morgen, wachte sie auf, als ihr die Sonne ins Gesicht schien. Jemand rüttelte sie. Dicht vor dem ihren erkannte sie das Antlitz ihres Bruders.

"Los, raus“, befahl er sanft, aber bestimmt.

Elees erhob sich. Ihre Glieder schmerzten. Noch müde suchte sie ihre Sachen und fragte sich, wie sie wohl ins Bett gekommen sei. Auf einem Tisch stand eine Schüssel mit Wasser, daneben über der Tischkante, hing ein mehrmals geflicktes Handtuch und über der Stuhllehne, ordentlich zusammengelegt, ihre Kleidung. Verwirrt sah sie an sich herunter. Sie trug nur ihr Unterhemd.

"Mach dass du fertig wirst“, befahl Dane. "Wir wollen bald los." Lässig warf er sich seinen bereits gepackten Beutel über die Schultern und nahm die Klinke in die Hand. Doch ehe er das Zimmer verließ, bedachte er seine Schwester noch mit einem kleinen Lächeln.

"Ich beeile mich“, rief sie hinterher und hievte sich aus dem Bett. Sie sollte besser nicht darüber nachdenken, wer sie ausgezogen und ins Bett gebracht hatte. Sie hoffte, dass es der Chreoni war. Aber mit Sicherheit, hatte dies Dane erledigt. Enttäuscht goss sie sich einen Schwall Wasser ins Gesicht. Danach konnte sie wesentlich klarer denken. Die Strapazen des gestrigen Tages, die Kälte und die Steifheit waren mit diesem Schwall, wie weggespült. Schnell kleidete sie sich an und eilte aus dem Zimmer. Von unten drangen Geklapper von Geschirr und müdes Stimmengewirr der anderen Gäste herauf. Vorsichtig tastete sie sich die steilen Stufen hinunter. Sie setzte sich zu ihren Freunden und verzehrte heißhungrig ihr Frühstück. Alle außer Shaar, saßen am Tisch.

"Wo ist Shaar“, fragte sie, bevor sie von einem Stück Brot herunterbiss. Sie versuchte in ihre Stimme soviel Gleichgültigkeit, wie möglich hineinzulegen. Die anderen sollten ihr großes Interesse an dem Chreoni nicht bemerken.

"Draußen bei den Pferden“, erwiderte Dane kauend. Er warf ihr einen gutgelaunten Blick zu. Das Siegesgefühl hatte von ihm Besitz ergriffen. Der Tag war sonnig und versprach so heiß zu werden, wie der vorgestrige Tag. Welche andere Empfindung hätte er sonst haben sollen.

"Ist mit dir alles in Ordnung“, wollte er besorgt wissen, obwohl sein Gesichtsausdruck etwas anderes verriet.

Elees musste bei dieser Frage an den vergangenen Tag denken. Der Rubin vor ihren Fingern, die unheimliche Erscheinung. Hatte sie das nur geträumt? Sie konnte dieses Zischen jetzt noch hören. Unmöglich war dies nur Einbildung. Es war so wirklich gewesen, dass die bloße Erinnerung an dieses Erlebnis sie frösteln ließ, als säße sie im Sommerhemd auf einer tiefverschneiten Wiese, über der ein Gewitter heranzubrechen drohte. Ihr Herz klopfte wilder. In ihrer Brust quoll ein Kloß an. Sie bekam Angst und erschauderte. Ihre Finger wurden eiskalt, während das Blut in ihren Adern kochte. Das war Angst. Aber wovor hatte sie Angst? Das letzte Mal, als sie derartige Empfindungen hatte, wurde ihr Vater getötet. Sie schüttelte sich mit einem Kälteschauer.

"Was ist los“, fragte Dane, nun wirklich besorgt.

"Noch müde“, krächzte Elees und versuchte ein Lächeln. Der Kloß in ihren Brust, hinderte sie am durchatmen.

"Vielleicht wäre es besser, wenn du hierbleibst“, schlug Dane vor und fühlte Elees Stirn.

"Nein, nein“, wehrte Elees ab und entzog ihm ihre Stirn. "Es geht schon wieder. Ein kräftiges Frühstück und ich bin wieder völlig in Ordnung." Das letzte was sie wollte, war, hier untätig herumsitzen zu müssen.

Ihre Antwort stellte ihren Bruder zufrieden und er schaufelte, Brot und Eintopf in sich hinein, als wüsste er, dass er die nächsten Wochen nichts mehr zu Essen bekäme. Elees verspürte plötzlich keinen Hunger mehr. Trotzdem würgte sie einen Bissen nach dem Anderen hinunter. Nach einiger Zeit fiel ihr das Schlucken immer leichter.

"Dane“, rief sie ihren Bruder an und versuchte wieder Gleichgültigkeit in ihrer Stimme vorherrschen zu lassen. "Als Shaar wieder zurückkam, trug er den roten Stein um den Hals. Woher hat er den?"

Dane schluckte sein zerkautes hinunter, bevor er antwortete.

"Er sagt, von seiner Mutter." Dabei griff er nach einen Laib Brot, zerriss ihn und tunkte ein kleines Stückchen, das Elees nicht auf zweimal in ihrem Mund hätte verstauen können, in die Soße der Suppe. Dabei murmelte er vor sich hin, aber noch laut genug, dass es Elees und die anderen hören konnten. "Erst glaubte ich, ich hätte dieses Ding schon mal irgendwo gesehen. Aber ich habe mich wohl getäuscht." Das ganze Stück verschwand in seinem Mund. Er kaute mit vollen Backen. Das musste er auch, um dieses sperrige Ding zu zerkleinern.

"So zu beeilen brauchst du dich auch wieder nicht“, gab endlich Josip ein. Er grinste. Elees betrachtete ihren Bruder und musste unwillkürlich lachen. Mit so aufgeblähten Backen, stellte sie sich früher immer den Sturmmann vor. Ihre Mutter hatte ihnen, als sie noch Kinder waren, von einem Mann erzählt, der den Sturm machte. Er besaß dicke aufgeblähte Backen und wenn er pustete, fegte er alles um. Um der Geschichte Nachdruck zu verleihen, blähte ihre Mutter stets ebenso die Backen auf. Und an dieses Bild erinnerte sie nun ihr Bruder. Dane schien das gleich zu denken und hatte plötzlich enorm damit zu tun, sein gigantisches Frühstück im Mund zu behalten. Er lief knallrot an. Mit den Händen hielt er sich den Mund zu, um das Gröbste zu verhindern. Nachdem auch noch Josip und seine Männer mit einfielen, verlor Dane seinen Kampf mit dem Lachkrampf. Zwischen den Fingern lief ihm die halb zerkaute Brühe heraus. Schnell beugte er sich über seinen Teller und spuckte den Inhalt seines Gaumens aus. Er hustete und würgte, während sich die anderen vor Lachen auf die Bäuche schlugen. Die Tränen rannen ihm aus den Augen.

"Das kommt davon“, bellte Josip. "Wenn man so gierig ist."

"Ja, lacht nur“, hustete Dane. "Spottet nur über mich." Er wischte sich mit einem schmierigen Handtuch, das die Wirtin gebracht hatte, Mund und Hände ab. Dann fuhr er sich mit den Hemdsärmeln über die Augen, um den glasigen Blick wegzuwischen. "Das hat euch jetzt gefallen, hä“, maulte Dane.

Elees kicherte. In letzter Zeit hatte sie ihren Bruder selten so gut gelaunt gesehen. Doch ihr Lachen verstarb. Nur ein paar Schritte hinter Dane, stand Shaar. Sie hatte ihn nicht hereinkommen sehen. Geduldig wartete er, bis sich alle beruhigt hatten. Elees glaubte, er sähe traurig aus, obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Irgendwie spürte sie seine Traurigkeit. Er war ein Außenseiter, trotz dass er unter ihnen ritt. Niemand traute ihm, niemand vertraute sich ihm an. Er musste ständig auf der Hut sein, nicht selbst verraten zu werden. Es musste ihn schmerzen, nicht mit am Tisch zu sitzen und über Dane lachen zu können. Mitleid keimte in ihr auf.

 

 

Beschämt schob sie ihren Teller von sich. Der Hunger war ihr nun endgültig vergangen. Jeder weitere Bissen, hätte nur den Mageninhalt in Aufruhr gebracht. Sie betrachtete Josip, der noch immer amüsiert kicherte und Witze über Danes Essmethoden riss. Dane war immer noch damit beschäftigt seinen gierigen Scherz von sich zu wischen und die beiden anderen schaufelten bereits wieder tüchtig in sich hinein.

 

Nachdem wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt war, kam Shaar näher. Er griff nach dem Fetzen Brot, dass Dane übrig gelassen hatte und setzte sich auf einen Stuhl abseits von ihnen, obwohl an ihrem Tisch noch genügend Platz gewesen wäre. Vielleicht wollte er allein sein, vielleicht aber auch wollte er hinzu gebeten werden. Es fiel niemandem auf, dass der Chreoni sich nicht zu ihnen gesellte. Niemand sagte ein Wort. Elees wollte nicht die Erste sein, die etwas sagte. Es sollte keiner ihr anhaltendes Interesse an dem Krieger bemerken. Insgeheim wünschte sie sich jedoch, dass endlich jemand den Mund aufmachte und den Chreoni an ihren Tisch bitten würden. Doch sie schwiegen alle.

 

 

 

Nicht lange danach saßen sie wieder in ihren Sätteln und beeilten sich die verlorene Zeit einzuholen. Danes gute Laune übertrug sich auch auf die anderen. Er unterhielt sich lautstark mit Josip und seinen Gefolgsmännern. Sie ließen sich sogar dazu hinreißen, derbe Witze zu erzählen und herzhaft darüber zu lachen. Elees beteiligte sich nicht an dem, doch stark männlichen Gesprächen. Sie lächelte freundlich, wenn sich ihre Blicke trafen und hielt sich ansonsten heraus. Shaar trottete stumm, wie ein folgsames Kind hinter ihnen her.

 

 

 

Der gestrige regnerische Tag, hatte diesem eine gewisse Frische gegeben. Obwohl die Sonne von keiner einzigen Wolke behindert wurde, war die Luft, erfrischend kühl, klar und sauber. Die Natur glänzte in neuem Saft. Es glitzerte überall von den Bäumen und Büschen. Spinnennetze waren mit Diamanten besetzt. Hier und da hatte sich noch eine Pfütze erhalten. Frösche freuten sich quakend über diese langersehnte Erfrischung.

Elees atmete tief ein und sog ihre Lungen voll, mit dieser guten, gereinigten Luft. Sie fühlte sich danach, wie nach einem Bad in einem kühlen Gebirgssee. Der Wald durch den sie ritten, knisterte. Vereinzelte Wassertropfen klatschten zu Boden. Die Insekten jubilierten surrend im Sonnenlicht. Vögel flatterten zwitschernd umher. Es war einfach schön. Alles freute sich, alles tanzte.

 

 

 

Sie hatten sie zu spät bemerkt.

Wie aus dem Nichts, standen ihnen plötzlich Reiter gegenüber. Sie trugen die graue Uniform der Schergen. Die Symbole der Königin stachen den Betrachtern sofort ins Auge. Für einen kurzen Moment standen sie sich schweigend gegenüber. Die Soldaten waren ebenso überrascht, wie die Rebellen.

Danes Grinsen verlor sich langsam. Vorsichtig glitt seine Hand zu seinem Schwert.

"Nennt euer Ziel“, rief der Anführer der Schergentruppe.

Die Rebellen sahen sich ratlos an. Hätten die Soldaten gewusst, wer vor ihnen stand, hätten sie sofort angegriffen.

Shaar schnalzte mit der Zunge und drückte seine Haken in Norshas Flanken. Er trabte gemächlich los.

Eine gute Idee, dachte Elees, warum sollte er bei diesen Soldaten nicht den selben Trick anwenden, wie bei der Königin. Was ein Chreoni war, schienen sie zu wissen, denn sie blickten sich ratlos an, als der Krieger auf sie zugeritten kam. Shaar ließ sich Zeit. Er sah keinen Grund zur Eile. Hast hätte die Soldaten nur stutzig gemacht. Außerdem befanden sich die Schergen in der Überzahl. Ein Kampf wäre deshalb für die Freunde verheerend ausgefallen.

"Verscheuch' sie irgendwie“, zischte Josip, als der Chreoni an ihm vorüber ritt, gerade so laut, dass es Shaar eben noch verstehen konnte. Josip hatte nach wie vor kein Zutrauen zu ihm, doch auch er erkannte die brenzlige Lage und klammerte sich selbst an die Überredungskünste eines Chreoni. Shaar nickte stumm, ohne seinen Kopf zu wenden und ohne die Schergen aus den Augen zu lassen. Doch kaum hatte der Rappe zwei weitere Schritte getan, sackte Shaar plötzlich in sich zusammen, als wäre er von einem unsichtbaren Schwert getroffen worden. Ein leises Stöhnen kam unter der Maske hervor. Er presste die Hände auf den Brustkorb und rang nach Luft. Norsha, nun führerlos, blieb stehen und blickte sich ratlos um.

 

 

 

Hektisches Werkeln seiner Herrin ließ Samo Tores in den äußersten Winkeln ihres Privatsalons zurückweichen. Imeta lachte, tanzte und sang laut vor sich hin. In windeseile entzündete sie Dreibeinkessel, die auf einem weißen Kreidestrich in gleichmäßigen Abständen darauf aufgestellt waren. Um ihre eigene Achse drehend, dabei laut singend und fremdartige Worte ausstoßend, tanzte sie innerhalb dieses Kreises von Kessel zu Kessel, hielt die schwarze Kerze in die brennbare Flüssigkeit und tanzte zum nächsten.

 

 

 

Die Schergen wechselten fragend Blicke und beobachteten den Chreoni. Shaars Begleiter erschraken und ließen ihre Hände zu ihren Waffen gleiten. Der einzigen Gelegenheit beraubt, diesem Kampf ohne Blutvergießen zu entkommen, zogen sie ihre Klingen aus den Scheiden. Dies war das Signal für die Schergen. Schnell zogen auch sie ihre Waffen und stürmten den Rebellen schreiend entgegen.

Elees war mit ihren Gedanken nicht ganz bei der Sache. Immer wieder beobachtete sie den stöhnenden Chreoni, aus ihren Augenwinkeln heraus. Ein kleiner Stichel, der sich in ihr Herz gebohrt hatte, als Shaar zusammensackte, bereitete ihr Schwierigkeiten. Ein Hieb traf sie am Kopf und warf sie aus dem Sattel. Schnell rappelte sie sich wieder hoch und rief sich zur Konzentration. Noch musste sie nur gegen einen Mann kämpfen, die anderen Soldaten hielten sich zurück, um auf eine bessere Gelegenheit, oder einen bereits stark geschwächten Gegner zu finden, oder auch nur, weil sie erkannten, dass nicht genügend Platz vorhanden war, damit alle gleichzeitig kämpfen konnten. Wie leicht konnte man von der Klinge des eigenen Kameraden getroffen werden.

Elees musste sich mehrmals unter einem ausholenden Schwert hindurch ducken, während sie mit einem anderen focht. Der Soldat ihr gegenüber, war jung, aber erfahren. Er war gut, besser als sie. Ihre einzige Chance, bestand darin, schneller zu sein als er. Wie oft hatte sie das im Unterricht mit ihrem Vater geübt. Sie musste dort sein, wo sie ihr Gegner nicht vermutete. Doch der Soldat wusste immer genau, was sie vorhatte. Sie versuchte alles mögliche, alle Tricks, alle Täuschungsmanöver, doch jede durchschaute er und trieb sie immer weiter, immer tiefer in den Wald hinein. Ihre Kraft versiegte langsam. Sie hatte Schwierigkeiten den Schwung ihrer Waffe zu bremsen und bot sich immer mehr Blößen. Ihre Deckung zersplitterte zusehend mehr. Beidhändig führte sie einen Hieb von unten links nach rechts oben aus. Sie drehte sich dabei, um mehr Kraft in den Schlag legen zu können. Ihr Gegenüber wich mit einer Drehung aus. Ihre Waffe stand hoch über ihrem Kopf. Tellerförmig wirbelte der Mann sein Schwert um sich herum und beabsichtigte in Elees offene Deckung zu preschen. Im letzten Moment erkannte sie die Absicht des Mannes und riss ihre Waffe zur Seite. Doch nicht mehr rechtzeitig. Seine Klinge traf die ihre knapp oberhalb des Griffes. Die Wucht des Aufpralls zerschmetterte den Stahl. Das abgebrochene Ende knallte gegen ihren Helm. Elees verlor das Gleichgewicht. Ihr Helm rutschte vom Kopf und entblößte ihre langen, blonden Haare, die ihr nun offen ins Gesicht fielen. Den kurzen Moment der Verblüffung ihres Gegners, da er in dem vermeintlichen schwachen Mann eine Frau erkannte, nutzte Elees aus und wollte ihm den Rest ihres Schwertes in die Brust treiben. Doch eine weitere Klinge, die von außerhalb ihres Sichtbereiches heran schnellte, hinderte sie daran. Er schlug ihr auch noch den kläglichen Rest ihrer Waffe aus der Hand. Elees schrie schmerzhaft auf und fuhr herum. Sie stand nun unbewaffnet, vor zwei Gegnern. Schnell schluckte sie und suchte nach einem Ausweg. Eine Schwertspitze näherte sich ihr in tödlicher Geschwindigkeit. Sie musste rasch handeln, ging in die Knie und schnellte alsbald wieder hoch, als die Klinge über ihren Kopf hinweg sauste. Mit einer Drehung warf sie sich auf den zweiten, packte ihn am Harnisch und hievte ihn über sich, geradewegs in das Schwert des Ersten. Dann musste sie sich zu Boden werfen, denn aufblitzendes Metall kam ihr erneut zu nahe. Ohne lange zu Überlegen griff sie sich die Waffe des Toten und focht nun wieder mit einem einzigen Gegner. Flink tauchte sie unter dem erhobenen Arm hindurch, während ihre Klingen noch schrecklich aneinander knirschten, und nutzte den Druck, den der Mann auf ihre Waffe ausübte dazu, die notwendige Kraft zu bekommen, den grauen Harnisch des Soldaten zu durchschlagen. Ihre Klinge fraß sich ihren Weg durch das harte Leder, in Fleisch, Knochen und Blut. Sein überraschter Gesichtsausdruck vermischte sich langsam mit einem Entsetzen.

"Damit hast du wohl nicht gerechnet“, keuchte sie atemlos und war plötzlich auf sich selbst wütend. Eilig suchte sie nach Shaar, der noch immer in sich zusammengesunken, langsam von Sattel rutschte und wie ein nasser Sack zu Boden plumpste. Sie wollte zu ihm eilen und ihm helfen, doch da entdeckte sie Dane, der sich gegen vier Mann gleichzeitig wehren musste. Ihr Bruder hatte ihre Hilfe nötiger. Sie sprang zwischen zwei Männer, schlug einem der Überraschten die Waffe aus der Hand und trat dem Anderen in den Schoß, dass er aufheulte. Dane bedankte sich mit einem erschöpften Lächeln. Mit diesen beiden hatte Elees mehr Glück. Keiner der beiden blutjungen Soldaten besaß genug Erfahrung, um beinahe allein mit ihr zu fechten. Zu viert vermochten sie vielleicht einen Gegner schlagen, doch nicht, wenn sie ihm beinahe Auge in Auge gegenüber standen. Außerdem leuchtete in ihren Augen die Angst vor dem Tode heller als der Wille zum Sieg. Immer wieder stellte sie sich zwischen die beiden und lockte die Männer, mit gestellten Fehlern zum Angriff und praktizierte dies solange, bis tatsächlich Einer dem Anderen den Stahl in den Leib trieb und der Übriggebliebene verdutzt und entsetzt über sich selbst innehielt. Nun war es für Elees ein Leichtes diesem Kampf ein Ende zu bereiten. Dane hatte ebenfalls leichteres Spiel mit den zwei verbliebenen Gegner gehabt. Doch als auch sein letzter fiel, sah er sich bereits wieder dem nächsten gegenüber. Auch Elees sah sich unvermittelt einem neuen Gegner gegenüber. Dieser fuchtelte hektisch mit seinem Schwert herum, als wolle er Fliegen verscheuchen, anstatt das Mädchen mit den blonden Haaren erledigen. Elees musste öfter, als ihr lieb war zurückweichen und seinen unkontrollierten Schlägen auszuweichen. Sie war aber nicht bereit, sich von ihm über das ganze Schlachtfeld treiben zu lassen. Daher ließ sie sich plötzlich fallen, rollte sich zur Seite und als sie der Soldat auf sie stürzen wollte, ließ sie ihn leichterhand in ihr Schwert laufen. Noch bevor er über ihr zusammenbrechen konnte, brachte sie sich in Sicherheit. Erst jetzt hatte sie Gelegenheit, sich ein wenig umzusehen.

Josip beendete das Leben eines Schergen damit, dass er ihm seine Faust, einem Schmiedehammer gleich, ins Gesicht drosch. Dane focht gegen einen bereits arg verwundeten Mann und von Josips Gefolgsleuten konnte sie nur noch einen entdecken, der sich aber wacker schlug. Seine Bewegungen verhießen mehr, lang eingeübte Reflexe, denn überlegte Handlungen.

Aus ihren Augenwinkeln schnellte etwas Gleisendes auf sie zu. Rein intuitiv schlug sie mit ihrer Waffe danach. Blankes Metall klirrte und haarscharf an ihrem Kopf vorbei, sauste ein nach ihr geschleudertes Messer. Angestrengt sah sie in die Richtung, aus der er geworfen worden sein musste. Nur wenige Meter von ihr entfernt, stand ein Soldat, der sie höhnisch angrinste.

"Na, los, Kleine“, schrie er, über das Kampfgetümmel hinweg. "Dann zeig mal, was du kannst." Er hob sein Schwert und griff an.

Er könnte ihr Vater sein und offensichtlich war er ebenso erfahren. Er musste sie die ganze Zeit beobachtet haben, denn seine Hiebe waren hart und schwungvoll, als wäre er eben erst zu der Schlacht getroffen. In dicht aufeinanderfolgenden Streichen drängte er das Mädchen immer weiter vom Kampfgeschehen fort. Verbissen kämpfte sie dagegen an. Doch sie war machtlos. Eindeutig entschied er den Verlauf dieses Kampfes. Elees biss sich auf die Lippen. Schweißtropfen brannte ihr in den Augen. Sie bekam keine Gelegenheit, sie wegzuwischen. Immer tiefer trieb er sie in den Wald und immer weiter weg, von den anderen. Elees durfte dies nicht zulassen. Es lag jedoch nicht in ihrer Hand. Ihre Haare flogen in ihr Gesicht und verdeckten ihr zeitweise die Sicht. Was hätte sie für ein Haarband, oder eine Schere gegeben. Sie sprang um die Bäume, nutzte Stämme, Büsche und alles was sie in die Finger bekommen konnte, als Deckung oder Ablenkung. Die Lektionen ihres Vaters rasten wirr durch ihren Kopf. Ihre Gegenhiebe bestanden mehr aus Reflexhandlungen. Keine einzige Angriffs- oder Verteidigungstaktik wollte ihr in diesem Moment einfallen. Ihr Vater hatte sie stets vor einem solchen Moment gewarnt. Er hatte sie gewarnt, niemals den Kopf zu verlieren. So höhnisch es damals erklang, Elees fand dies nun bestätigt. Wenn man anfing, unbedachtes zu tun, fiel einem nichts mehr ein. Früher lachte sie über diese Aussage, doch nun musste sie feststellen, dass ihr Vater die Wahrheit gesagt hatte. Ihr wollte nichts mehr einfallen. Willenlos musste sie sich durch den Wald treiben lassen. Dass sie sich gegen seine Hiebe überhaupt noch wehrte, hatte den Grund, sie wollte sich auf keinen Fall billigst verkaufen. Tränen trübten ihren Blick. Sie kämpfte nur noch gegen Schatten und Licht. Das Klirren der Schwerter, wenn sie aufeinander trafen, hämmerte in ihren Ohren, wie der Schmiedehammer auf einen Amboss.

Dann machte er eine Bemerkung, die er lieber hätte lassen sollen. "Hoffentlich haben wir nachher ebenso viel Spaß, wie jetzt“, keuchte er, beinahe sabbernd vor Gier.

Elees geriet in Wut. Wenn sie eines nicht ausstehen konnte, dann waren es Männer, die sie wie ein Flittchen behandelten. Mit der aufkeimenden Wut pumpte sich auch neue Kraft in ihre Arme. Ihre Lungen füllten sich langsam mit klarer Waldluft. Mit einer raschen Bewegung wischte sie sich das Wasser aus den Augen und schritt zum Angriff über.

"Niemals“, schrie sie ihm entgegen.

Der Soldat hob skeptisch eine Augenbraue, als Elees auf ihn einstürmte und es Hiebe auf ihn ein hagelte, die dieser zierlichen Person nicht zuzutrauen waren. Ihr Blut, dem Überschäumen nahe, raste kochend heiß durch ihre Adern. Verzweiflung, Wut, Lärm, Hitze, Erschöpfung taten ihres dazu, dass sie den verhassten Genossen des Männergeschlechtes übles mitspielen wollte. In ihrem Zustand hätte sie jeden Mann getötet, der sich in ihre Nähe wagte. Gleichgültig welcher, ob dieses Ekel, Josip, Dane oder sogar Shaar.

"Niemals“, schrie sie wieder.

"Werden wir schon sehen“, zischte er. In seinen Augen glitzerte etwas gefährliches. Er klemmte das Mädchen zwischen sich und einen Baumstamm und versuchte sie zu küssen. Sie roch seine ekelhaften Ausdünstungen. Der Geruch von Schweiß, Bier und lange Abstinenz zum Wasser ließ ihr übel werden. Immer wieder drehte sie ihren Kopf weg, damit er sie nicht auf den Mund küssen konnte und versuchte ihn von sich zu stoßen.

Als sie ihr Knie ruckartig hochzog, weiteten sich seine Augen und sein hämisches Grinsen gefror. Schnell stieß sie ihn von sich und atmete tief und gierig, saubere, kühle Waldluft ein.

Doch bevor sie sich vollends erholen und zum Todesschlag ansetzen konnte, schleuderte sie eine harte Ohrfeige zu Boden. Sie war noch nicht ganz auf dem Boden angekommen, als er sich auf sie warf. Die Atemluft, die sie vorher so gierig in sich hineingesogen hatte, wurde nun brutal aus ihrem Brustkorb herausgepresst.

"Du Biest“, zischte er nahe an ihrem Ohr. "Dich zu nehmen, wird mir eine Freude sein."

"Du kriegst mich nicht“, rief sie wütend. Sie hatte eine Hand freigekommen und krallte nun ihre Fingernägel in sein Gesicht. Ein kurzer heiserer Schrei, dann biss er sich auf die Lippen und unterdrückte den Schmerz. Egal wie tief ihre Fingernägel in seiner Haut saßen, er riss ihre Hand weg und hob sie nach oben. Elees ließ ihr Schwert los, das ihn ohnehin nicht aus dieser Situation helfen konnte, und suchte blind nach einer kleineren Waffe. Einen Stein, einen Ast, oder auch etwas anderes, aber irgendetwas. Sie wünschte sich ein Messer. Ihre Finger fanden aber keines. Ein hart anfühlender Ast, rutschte in ihre Hand. Schnell rammte sie es ihm in den Körper, doch er zerbröselte am festen Leder seines Harnischs. Hämisches Lachen machte sie nur noch wütender und noch verzweifelter. Sie konnte nur noch eines tun. Sie hasste es, aber es war ihre letzte Möglichkeit.

Als er sich leicht hob, um Elees die Kleider vom Leib zu reißen, schnellte ihre freie Hand zwischen seine Beine und packte zu. Sein Schrei hätte ihr beinahe das Trommelfell zerrissen. Eine harte Ohrfeige ließ ihr Ohr klingeln und ihre linke Gesichtshälfte taub werden. Sie biss sich bei diesem Schlag auf die Zunge. Ihr Mund füllte sich augenblicklich mit Blut.

"Lass los, du Hexe“, brüllte er. Seine Stimme überschlug sich. Elees weigerte sich loszulassen und packte nur noch fester zu. Er bohrte seine Finger in die Knöchel Elees gemeiner Hand. Noch ehe sie der Schmerz veranlassen konnte, ihn freizugeben, drehte sie ihr Handgelenk, bekam es frei und schmetterte ihm ihre Faust unters Kinn. Zähne krachten aufeinander. Er rutschte seitlich an ihr herunter. Schnell schob Elees ihn von sich und kroch davon, doch ehe sie sich versah, lag sie wieder unter ihm. Diesmal sogar auf ihrer Waffe. Er bog ihre Arme brutal über den Kopf und hielt sie mit einer Hand fest. Die Knochen seines Beckens drückten schmerzhaft gegen ihren Unterleib. Verzweifelt wehrte sich Elees gegen die bevorstehende Vergewaltigung, doch sie war zu schwach. Das Gewicht des Mannes nagelte sie auf dem Boden fest. Seine Kräfte waren wie unzerstörbare Fesseln.

"Jetzt gehörst du mir“, grinste er begierig und drückte ihr einen harten Kuss auf den Mund.

Als er sich den Kuss geholt hatte, spuckte ihm Elees Blut ins Gesicht. Er lachte und dem Mädchen ward schlecht. Mit wenigen gekonnten Handbewegungen, schob er ihren Lederwams hoch, riss ihr Hemd auf und zwängte seine Hand darunter. Schnell fanden seine Finger auch den Weg unter die Gürtellinie.

 

Doch plötzlich hielt er ruckartig inne. Seine Augen weiteren sich in blankem Entsetzen. Seine Mund formte leere Worte. Blut gurgelte aus seiner Kehle. Etwas dunkles war über ihnen. Elees schloss die Augen. Was auch immer es war, sie konnte nicht mehr.

Die menschlichen Fesseln lockerten sich. Ohne weiter nachzudenken, stieß sie die Leiche von sich und wollte diesem dunkles Etwas mit bloßen Fäusten begegnen. Erst jetzt erkannte sie ihren Retter - Shaar.

Sofort brach sie ihr Vorhaben ab. Keuchend, als hätte er eben den schwersten Kampf seines Lebens ausgefochten, lag er auf seinen Knien und sank wieder in sich zusammen. Tränen stiegen in ihre Augen und tauchten ihr Blickfeld in ein Nebelfeld. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie zitterte plötzlich am ganzen Körper. Ihre Nerven hielten es nicht mehr länger aus. Plötzlich brach alles aus ihr heraus und sie heulte, wie ein Schlosshund, bei Vollmond.

 

 

Elees konnte nicht wissen, dass eigentlich Samo Tores ihr Retter war. Er stieß an einen Kessel und warf ihn um. Imeta wurde dadurch gestört. Shaar nutzte die Gelegenheit sofort und eilte Elees zu Hilfe. Wütend prügelte Imeta auf ihren Handlanger ein. Ihre Stimme überschlug sich. Sie schrie und tobte, doch als sie bemerkte, dass sich der Chreoni erholte, stellte sie eilends den Kessel zurück und fiel erneut in ihren schrecklichen Gesang ein. Wilder und fürchterlicher als zuvor. Schneller und wendiger als vorher, tanzte sie um die Feuerkessel herum, warf glitzerndes Pulver in die Glut, das es nur so funkte und rauchte. Sie würde ihren Sohn dafür bestrafen, dass er dem Mädchen, einer ihrer Feinde, das Leben gerettet hat. Er war stark und versuchte sich von ihr loszureißen, doch Imeta war stärker. Sie ließ es nicht zu, dass er sich die Kette vom Hals riss. Heiße und kalte Blitze jagten durch seinen Körper. Seine Sinne begannen langsam durch die Zeit zu irren. Shaar brachte all seine Kraft auf, um diese unheimliche Macht von sich zu weisen. Er krümmte sich vor Schmerzen.

"Du gehörst mir“, rief Imeta lachend und unterbrach ihren Gesang für einen Moment. Ihren Tanz vollführte sie stetig weiter. "Ich halte deine Zukunft in meinen Händen." Sie warf die Hände hoch und eine neue Welle des Schmerzes raste durch Shaar. Er versuchte seine Schreie zu unterdrücken, biss sich auf die Lippen und kämpfte dagegen an. Ein heiseres, gequältes Stöhnen war nur noch zu hören. Seine Hände ballten sich zu Fäuste, so fest, dass das Leder seiner Handschuhe knirschte. Hinter der Maske verzog sich sein Gesicht vor unsagbarem Schmerz. Je stärker er gegen die Schmerzen ankämpfte, desto schlimmer wurden sie. Je schneller und je lauter Imeta sang, desto kürzer wurden die Abstände, in denen die Krämpfe über den Chreoni herfielen.

"Auch wenn du von meinem Blut bist“, zischte sie. "Du bist nur ein kleines erbärmliches Würmchen, das ich nach meinem Gutdünken zerquetschen kann. Niemand entscheidet über mein Leben. Talina nicht und erst recht nicht du." Damit sandte sie eine neue kräftige Welle. Shaar zuckte zusammen und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden.

Jeder andere wäre an diesen Schmerzen gestorben. So aber nicht Shaar. Er war stark. Sein Wille war kräftig genug, um gegen Imeta bestehen zu können. Er fragte sich nur, wie lange er dies noch aushalten konnte. Talina, die alte Frau aus den Chreonibergen hatte ihn gut vorbereitet, doch sie wies ihn nicht auf solch schier unerträgliche Schmerzen hin. Er wünschte sich, sie wäre hier und würde ihm helfen. Doch er wusste, dass er diesen Kampf, der weder mit Schwertern, noch mit Kriegern ausgefochten wurde, für den es kein Schlachtfeld gab, selbst bestreiten musste. Es war seine Bestimmung.

Schon sehr früh hatte Talina begonnen, ihn auf seine Aufgabe vorzubereiten. Zu den Lektionen seines Ziehvaters, erhielt er die der alten Frau. Sie lehrte ihn, mit der Macht des Bösen umzugehen und sie erfolgreich zu bekämpfen. Er war dazu bestimmt, das Böse in Serphauce zu bekämpfen, dessen Herz Imeta war.

Vor langer Zeit musste Talina mit ansehen, wie ihre jüngere Schwester, ihren eigenen Vater tötete und sich selbst zur Königin ausrief. Imeta schreckte selbst davor nicht zurück, ihren Mann zu umzubringen, als auch er seine Ansprüche als Gatte auf den Thron anmeldete. Eine Bemerkung von Talina, dass ihr eigener Sohn sich für die Morde rächen würde, dass Imeta eines Tages von der Hand ihres eigenen Blutes niedergestreckt werden würde, brachte auch sie beide in Gefahr. Talina raubte den nur wenige Wochen alten Jungen und brachte ihn zu den Chreonis, wo er unerkannt aufwuchs.

Nun schien es, dass Talinas Mühen umsonst gewesen waren. Imeta tanzte immer schneller um die Feuerkessel herum, sang immer lauter und stieß immer schrecklichere Schreie aus. Samo Tores hatte sich längst verzogen und so blieben Shaars Hoffnung auf eine weitere Störung vergeblich. Immer wieder hämmerte er auf den weichen Waldboden und kämpfte gegen den Schmerz an. Irgendwann waren sie so stark geworden, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte. Er krallte sich in der Erde fest, drückte sein Gesicht in den Boden und schrie seinen ganzen Schmerz in das weiche Moos. Der Wald nahm es auf, wie ein dickes, weiches Wattepolster und verschluckte es, so dass beinahe nichts mehr zu hören war. Er musste durchhalten. Er musste, schon allein deswegen, weil das ganze Land auf ihn zählte. Sie warteten alle auf die Rückkehr dieses Sohnes, damit er dem Leiden endlich ein Ende bereitete. Er durfte ihre Hoffnungen nicht enttäuschen. Er musste durchhalten.

Und Imeta tanzte immer schneller um die lodernden Feuerkessel herum.

 

Während Shaar noch immer focht, war der Kampf für die anderen beendet. Sie hatten gesiegt. Zwar erlangten sie mehr schlecht, als Recht den Sieg, doch die Schergen waren geschlagen. Hamsrich war gefallen, Wulfen schwer angeschlagen. Josip blutete arg an der Schulter, zum Glück nur eine Fleischwunde. Von seiner Stirn aus, bahnte sich das Blut aus einer Platzwunde einen Weg in seinen dicken Vollbart. Als Dane seinen letzten Gegner schlug, sank er vor Erschöpfung dort nieder, wo er stand. Außer ein paar Kratzern, Schrammen und blaue Flecken, hatte er nichts abgekommen. Keuchend streckte er alle Viere von sich und schwor sich, nie wieder aufzustehen.

Da nun endlich Ruhe eingetreten war, vernahm Dane das Schluchzen seiner Schwester. Schnell erhob er sich wieder, doch er stöhnte bald auf. Jede einzelne seiner Muskeln meldete sich schmerzhaft. Er sah sich trotz Schmerzen und Erschöpfung um und entdeckte Elees weit abseits, vom Kampfplatz im Wald. Seine Beine zitterten, als er zu ihr ging. Als er den Chreoni am Boden kauern sah, bedachte er ihn mit einem fragenden Blick, ließ ihn aber in Ruhe und kümmerte sich um seine Schwester. Elees hätte sich in ihrem Zustand jedem in die Arme geworfen, der sich ihr angeboten hätte. Ein erneuter Schwall von Tränen erschütterte seine Schulter, als er sich zu ihr setzte. Eine Weile beobachtete er den Chreoni, während sich Elees ausweinte, schlief aber bald darauf ein.

 

 

 

"He, Junge, lebst du noch“, rief eine tiefe Stimme und rüttelte ihn unsanft wach. Dane schlug die Augen auf und entdeckte das bärtige Gesicht seines Freundes Josip vor sich. "Mit euch alles in Ordnung“, fragte er besorgt und begutachtete die beiden. Dane nickte und schüttelte bald darauf den Kopf, um wieder klar zu werden.

"Dieser schwarze Teufel hat uns nicht viel geholfen, hä“, zischte Josip zornig und deutete mit dem Kopf in eine Richtung, in der sich der Chreoni befinden musste. Dane folgte dem Wink und fand Shaar an einem Baumstamm sitzend. Sein Atem ging heftig. Blut und Schweiß tropfte unter der Maske hervor. Sein Anzug war über und über mit Walderde und Moos beschmutzt.

Elees erwachte. Verwirrt blickte sie um sich. Liebevoll strich Dane einige Blut und Schweiß verklebte Strähnen aus ihrem Gesicht. Aus beiden Mundwinkeln liefen bereits verkrustete Blutrinnsale. Ihr Hemd war zerrissen und ihre Augen rot und aufgequollen. Dane bezweifelte, dass sie einen klaren Blick besaß.

"Man sollte ihn auch umbringen“, hörten sie Josip schimpfen. "Er gehört schließlich zu diesen Dreckskerlen." Angewidert spuckte er aus. Schon hatte er sich ein Schwert gegriffen und wollte dem Chreoni tatsächlich den Garaus machen.

"Nein“, hielt ihn Dane zurück. "Lass ihn in Ruhe."

"Du findest das also in Ordnung“, brauste Josip auf. "Das ist doch eindeutig. Wir werden von Schergen angegriffen und er legt sich flach und sieht uns seelenruhig zu. Ein schöner Freund ist das." Erneut schritt Josip mit bereitgehaltener Waffe auf Shaar zu. Dieser bewegte sich nicht.

"Du sollst ihn zufrieden lassen“, rief Dane. Er schob Elees ein wenig von sich und erhob sich etwas, damit er schneller eingreifen konnte, falls Josip sein Vorhaben wahrmachte.

"Noch einmal gebe ich diesem Kerl nicht die Gelegenheit uns umbringen zu lassen“, schrie Josip.

"Nein“, blieb Dane beharrlich. Shaar besaß mit Sicherheit seine Gründe und er würde es ihnen erzählen, sobald er es für richtig hielt. Josip schmetterte demonstrativ seine Waffe auf den Boden.

"Verflucht“, schrie er. "Seit er bei uns ist, sind wir sooft wie noch nie überfallen worden. Das muss etwas zu heißen haben. Er ist ein Handlanger dieser Hexe und er wird uns verraten, wenn er es noch nicht bereits getan hat."

"Ich bitte dich“, flehte Dane nach Frieden. "Lass ihn einfach nur in Ruhe. Er wird uns schon sagen, warum er nicht eingegriffen hat."

"Er rettete mir das Leben“, kam es heiser von Elees.

Dane fuhr herum. "Wirklich“, fragte er, als ob es nicht möglich sein konnte. Elees nickte stumm und suchte die Leiche, in dessen Rücken der chreonische Dolch steckte.

"Siehst du, einer“, zog Dane seinen Freund auf und konnte bereits wieder schmunzeln.

"Ach mach doch was du willst“, maulte Josip und hob sein Schwert wieder auf. "Aber merke es dir“, warnte er. "Bei der nächsten Gelegenheit nehme ich keine Rücksicht mehr auf dich. Ich werde diesem schwarzen Teufel meine Klinge in den Leib stoßen, völlig gleichgültig, wie du darüber denkst." Damit entfernte er sich.

Dane war vorerst beruhigt. Bis diese Gelegenheit kam, hatte es Josip vielleicht schon wieder vergessen; wenn sich ihm eine solche Gelegenheit überhaupt bot.

"Was ist mit Shaar“, fragte Elees besorgt.

"Keine Ahnung“, erwiderte Dane und betrachtete den Chreoni. Er hatte sich keinen Millimeter gerührt und schien den Streit, der eigentlich um ihn gegangen war, und die Gefahr von Josip ermorden zu werden, gar nicht wahrgenommen zu haben.

"He, wir haben viel Zeit verloren“, rief Josip ärgerlich aus der Ferne. "Könntet ihr euch gefälligst aus eurem Nachtlager erheben?"

Mühsam zogen sie sich an einem Baumstamm hoch. Ihre Muskeln schmerzten. Sie brauchten Schlaf und ein paar Tage Ruhe. Elees wischte sich die Blutkrusten vom Kinn und spuckte auch das geronnene aus ihrem Mund. Indessen stakste Dane zu dem Chreoni hinüber.

"Alles in Ordnung“, fragte er vorsichtig.

Keine Regung.

"Shaar!" Dane berührte ihn leicht an der Schulter.

Beinahe hätte ihn Shaars hervor schnellende Hand von den Beinen gefegt, doch sie verfehlte ihn knapp. Schnell zog er seine Hand zurück. Der Chreoni hob den Kopf.

"He, keine Angst. Ich bin es doch“, versuchte Dane ihn zu beruhigen. Er war überrascht, dass Shaar ihn derart angriff. Er war schließlich sein Freund, was auch immer Josip gegen ihn hatte.

"Fass mich nicht an“, zischte der Chreoni heiser Er klang gefährlich. Dane gehorchte lieber.

"In Ordnung, in Ordnung“, erwiderte Dane schnell und hob seine Hände zum Zeichen, dass er es nicht wieder wagen würde. "Wir müssen weiter. Meinst du, du kannst reiten?"

"Mit Sicherheit“, kam es leise unter der Maske hervor. "Aber nicht mit euch."

"Warum“, fragte Dane entsetzt. "Ist es wegen Josip?"

Der Chreoni schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel verriet, dass sein Kampf noch nicht ganz ausgefochten war. Mit dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte, bestrafte Imeta ihren Sohn, für seine Weigerung, weiter mit Dane zu reiten. Er hatte durchgehalten. Erschöpft lag die Königin auf dem Steinboden.

"Ich werde euch immer wieder in Schwierigkeiten bringen“, erklärte er erschöpft. "Es ist besser, wenn wir uns trennen."

"Du darfst dich von Josip nicht beunruhigen lassen“, versuchte Dane ihn zu überreden. "Er ist jähzornig und ... ."

"Nein“, unterbrach Shaar. "Es hat mit ihm nichts zu tun."

Dane betrachtete ihn stumm. Panik keimte in ihm auf. Kaum hatte er einen Freund gefunden, musste er sich auch schon wieder von ihm trennen. Er schluckte schwer. Doch er erkannte, dass Shaar nicht zu überreden war.

"Also gut“, gab er traurig von sich. "Sehen wir uns wieder?"

Shaar nickte schwach. "Du hast das Ehrenwort eines Teufelshundes." Ein kleines Schmunzeln huschte um seine Mundwinkel. Dane musste ebenfalls schmunzeln. Josip konnte ihn mit keinem Wort treffen, und sei es auch noch so beleidigend.

"Also bis später“, verabschiedete er sich. "Und danke für alles, was du bisher für uns getan hast. Vor allem, danke dafür, dass du Elees Leben gerettet hast."

"Ich habe auch zu danken“, nickte Shaar. "Dafür, dass du mich vor dem Tod durch erschlagen bewahrt hast."

"Mach dir mal wegen ihm keine Sorgen“, lachte Dane. "Der bellt nur, aber beißt nicht."

"Wieso sollte ein Sohn des Teufels vor einem Köter Angst haben?"

Erneut musste Dane lachen. "Pass auf dich auf“, kicherte er.

"Und du auf dich“, erwiderte Shaar.

Für einige Augenblicke standen sie sich schweigend gegenüber. Doch die Zeit, in der sich die beiden Männer erzählen konnten, was sie füreinander empfanden, war noch nicht reif genug. Josip brüllte erneut lauthals nach Dane und Elees. Wortlos drehte sich Dane um und ließ den Chreoni allein.

Wenige Minuten später war er gänzlich allein.

 

7.

 

 

 

 

Shaar machte sich erst am nächsten Morgen auf dem Weg nach Serphauce. Den Rest des gestrigen Tages verbrachte er damit, die Toten von der Straße weg, in eine abseits gelegene Bodensenke zu schleppen und sie mit dem lockeren Waldboden zu bedecken. Zwar hätten die Soldaten es verdient von den Wölfen zerrissen zu werden, doch trotzdem schuf er ihnen ein Grab. Hamsrich begrub er in einer anderen Senke. Er hatte es nicht verdient, zusammen mit seinen Feinden in das selbe Loch gesteckt zu werden.

Imeta ließ ihn in Ruhe die Toten begraben. Entweder war sie zu erschöpft, oder sie sandte nach einer neuen, vielleicht noch übleren und brutaleren Methode ihn zu quälen. Shaar machte sich auf das Schlimmste gefasst

 

 

Gemächlich ritt er in Richtung Serphauce. Er ließ sich Zeit, suchte sich bereits am frühen Nachmittag geeignete Plätze zum Übernachten und verließ diese erst, als der neue Tag bereits mehrere Stunden alt war. Bei den entferntesten Auslegern von Serphauce machte er endgültig Halt.

 

Die Stadt hatte sich im Laufe der Zeit beinahe im ganzen Tal ausgebreitet. In den Randgebieten gab es noch weitläufige brache Flächen, doch je näher man der Festung kam, desto enger waren die Ansiedlungen zusammen gebaut und desto mehr Häuser, Hütten, Villen und Gehöfte gab es. Nahe den Schlossmauern, ließ sich nicht einmal mehr ein winziges Gemüsegärtchen finden.

Shaar hielt sich außerhalb der Stadt auf. Zum Einen verspürt er keine sonderlich große Lust die Königin zu sehen, zum Anderen wollte er unbedingt auf die Rückkehr von Dane, Josip, Elees und ihren Leuten warten. Eine kleine Schänke, sollte ihn bis dahin beherbergen. Der Wirt wurde beim Eintreten seines neuen Gastes sichtlich nervös. Unsicher druckste er herum und tänzelte von einen Fuß auf den Anderen. Anscheinend war er es nicht gewohnt, Gäste von außerhalb zu bewirten und schon erst Recht nicht einen Chreoni-Krieger. Erst das Gewicht eines beträchtlich gefüllten Goldbeutels konnte ihn einigermaßen beruhigen.

 

Um dem Wirt nicht auch noch die karge Kundschaft zu vergraulen, zog er sich zurück, sobald die ersten Gäste kamen. Zudem passte er nicht zu den Bauern und Händlern aus der Stadt. Die enge Gaststube war einfach, aber zweckmäßig eingerichtet. Tische und Bänke bestanden aus groben, ungeschliffenen Hölzern, deren Beine meist aus ausrangierten Weinfässern oder quer gesägten Baumstämmen bestanden. Selbst die Theke besaß zwei dicke Beine aus hüfthohen Fässern über die ein grob gezimmertes Brett genagelt war. Zahlreiche Hintern, Ärmel, Krüge und Teller hatten die Hölzer blank gescheuert und an manchen Stellen etwas mehr abgenutzt. Der Anstrich der Innenwände bestand aus Ruß, Fett und Tabakrauch. Shaar fühlte sich unwohl, doch er verspürte auch keine Lust umzuziehen. Sein Zimmer schien das Beste im ganzen Haus zu sein. Sauber und ordentlich. So blieb er meist auf seinem Zimmer oder ging hinaus und kletterte auf einen kleinen Felsenhügel, von welchem er einen guten Ausblick über die Randgebiete von Serphauce besaß und die Straße, auf der er gekommen war, weit überblicken konnte.

 

 

Von dem letzten Regenguss war beinahe nichts mehr zu spüren. Das Gras trocknete und wurde gelb. Die Bäche und Flüsse senkten ihren Pegel und die Sonne brannte unbarmherzig wie eh und je vom Himmel. Shaar saß auf dem Hügel und beobachtete Norsha beim Spielen. Der Rappe tollte übermütig über die Koppel und fraß sich alsbald durch das immer kärglicher werdende Gras. Plötzlich tauchte eine Truppe Soldaten vor der Schänke auf, in der Shaar logierte. Seine Vermutung, dass die Königin nach ihm geschickt hatte, bestätigte sich, als der Wirt aufgebracht aus dem Haus lief und wild gestikulierend auf den Hügel zeigte. Ein amüsiertes Lächeln huschte um Shaars Lippen. Er legte sich bequem zurück und wartete. Wenn sie etwas von ihm wollten, so sollten sie gefälligst zu ihm hinaufklettern.

 

Wenig später erschien tatsächlich ein grau uniformierter Mann. Keuchend und vor Schweiß glänzend baute er sich vor dem Chreoni auf und musste erst einmal zu Atem kommen, bevor er seine Nachricht loswerden konnte. Shaar hatte er nicht besonders eilig. Er konnte sich ohnehin denken, was er von ihm wollte und ließ ihm die Zeit die er brauchte.

"Die Königin wünscht euch unverzüglich zu sehen“, schnaufte der Soldat und betrachtete ihn mit einem seltsamen Blick. Scheinbar schickte man diesen blutjungen Soldaten als Kanonenfutter hinauf, den Chreoni zu holen. Er hatte Mühe seiner Stimme die notwendige Härte zu verleihen und so hörte es sich mehr nach einer Bitte an, denn einem Befehl. Umso überraschter war er, als sich Shaar ohne Widerrede erhob und an ihm vorbei ging, um hinunterzusteigen. Wortlos und um einiges erleichtert, stieg er hinterher.

 

 

In aller Seelenruhe sattelte Shaar seinen Rappen und packte seine Habseligkeiten in die Satteltaschen. Als er ein letztes Mal in die Schänke kam, grinste ihn der Wirt so breit und so schadenfroh an, dass sich Shaar nicht davon abhalten konnte, ihm eines auszuwischen.

"Seid ihr sicher, dass die Königin nun endlich Zeit für eine Audienz hat“, fragte er wie beiläufig einen der Soldaten. "Ich warte schon viel zu lange."

Das Grinsen des Wirtes verschwand augenblicklich. Die Soldaten blickte sich fragend an, doch da der Chreoni bereits im Sattel saß und Norsha in Richtung Schloss lenkte, vergaßen sie ihre Fragen und folgten ihm. Schnell setzten sich einige vor Shaar, damit der Schein einer Gefangeneneskorte gewahrt wurde.

 

 

Der Chreoni hatte es nicht besonders eilig und bremste den Trupp hin und wieder. Die Soldaten jedoch, konnten ihn nicht schnell genug wieder los werden und zogen das Tempo wieder an, bis Shaar sie erneut bremste.

 

In Serphauce war es wie immer. Ein Durcheinander, ein Geschrei und eine Hektik, wie jeden Tag. Je näher sie dem Schloss kamen, desto langsamer kamen sie voran. Mehrmals wurde ihr Weg durch einen stecken gebliebenen Karren oder eine besonders dichte Menschenmenge versperrt. Je näher Shaar dem Schloss kam, desto mehr nahm eine gewisse Kälte von ihm Besitz. Liebend gern wäre er umgekehrt, doch etwas in ihm ließ ihn weiterreiten - Imeta. Da er ohnehin keine Chance hatte, ihr zu entkommen, ließ er sich führen und bereitete sich auf die Konfrontation vor. Mehr denn je, wollte er seine Bestimmung erfüllen. Doch Imeta war auf der Hut. Als er erneut den Gang zum Thronsaal entlangschritt, bebte sein Blut vor Kälte. Seine Inneres focht mit der unsichtbaren Kraft, während sein Äußeres willenlos gehorchte.

 

Dienerschaft huschte durch die Gänge und trugen überladene Tabletts in Richtung Thronsaal, oder bereits abgeräumte wieder weg. Als ihnen die schwarze Gestalt, mit dem langen, wallenden Umhang und der hässlichen Maske entgegenkam, drückten sie sich ängstlich in eine Nische, bis er vorüber war. Der riesige Saal war bereits gefüllt mit zahlreichen Gästen, aus allen Teilen des Landes. Anlässlich ihres bevorstehenden Triumphs hatte Imeta ein Fest gegeben, damit ihr Sieg, über die Voraussage ihrer Schwester, auch im entferntesten Winkel ihres Reiches gekannt wurde.

Als der Chreoni eintrat, verstummte die Musik und bald darauf auch jede Unterhaltung. Ein Korridor von staunenden Menschen bildete sich und Shaar schritt ihn unbeeindruckt entlang. Unzählige Augenpaare lasteten auf ihn und betrachteten den seltsamen Neuankömmling. Hinter seinen Rücken wurde getuschelt, einige errieten seine Identität, andere hielten ihn für einen Dämon, mit dem die Königin im Bunde war. Shaar ging unbeirrt weiter.

 

 

Die Herrscherin erhob sich und ging dem Chreoni entgegen.

"Shaar, mein Sohn, komm zu mir“, begrüßte sie ihn lächelnd und hielt ihm ihre Hand hin, bereit ihn in ihre Arme aufzunehmen. Ein Raunen ging durch die Menge.

Als Shaar die Königin erblickte, stutzte er kurz. Sein Körper war jedoch nicht bereit, anzuhalten und Abstand zu gewahren. Imeta trug an diesem Tag ein schwarzes Kleid, das an allen Nähten und Säumen mit aufwendigen Goldstickereien besetzt war. Um den Hals trug sie ein in Gold gefasstes Rubincollier. Ihr blondes Haar war kunstvoll, mit in sich verschlungenen Zöpfen verflochten, durch das, in einem bizarren Muster, ein schwarzes Band lief. Eine Diademkrone aus Rubinen und Goldperlen zierte ihr Haupt. Sie wollte um jeden Preis ihre Zusammengehörigkeit beweisen.

 

"Komm zu mir, mein Sohn“, sagte sie, mit ihrer gefährlichen süßen Stimme und breitete ihre Arme aus, als wolle sie einen sehr guten Freund nach einer langen Zeit der Trennung und der Sehnsucht in die Arme schließen. Dabei öffneten sich die Ärmel ihres Kleides, die bis zum Boden reichten, wie die Flügel eines Unheilsgöttin. Herzig umarmte sie ihren Sohn. Jeder hier im Raum, außer Shaar, nahm ihr diese gespielte Wiedersehensfreude ab. Sie war eine fantastische Schauspielerin.

Wie selbstverständlich hakte sie sich bei Shaar unter und führte ihn zu ihrem Thron, der heute mit schwarzem Samt ausgeschlagen war, zurück. Glatt polierte Messingknöpfe glänzten, als sich ein verirrter Sonnenstrahl in ihnen spiegelte. Triumphierend ließ sie sich in ihren Königsstuhl sinken, als sich Shaar neben ihr postiert hatte. Shaar hätte sie am Liebsten sofort erwürgt, wenn er es gekonnt hätte. Eine unheimliche Macht, stärker als ihm Talina jemals gezeigt hatte, hielt ihn davon ab. Die geladenen Gäste sollten denken, dass sich Mutter und Sohn vortrefflich verstünden. Er konnte sie ihnen nicht von seiner wahren Gesinnung berichten, seine Zunge war gelähmt.

"Hört, meine lieben Freunde“, rief Imeta zaghaft in den Saal. Sie wäre beinahe überhört worden, wenn die Wachen nicht mit ihren Speeren auf den Boden klopfend für Ruhe gesorgt hätten. "Ich möchte euch meinen Sohn vorstellen, der von heute ab an meiner Seite stehen und mir bei der schwierigen Aufgabe, dieses Land zu regieren, behilflich sein wird." Shaar wurde dabei übel vor Verlogenheit. Niemals würde er an ihrer Seite die Menschen unterdrücken und ausbeuten. Er wollte protestieren, brachte jedoch nicht einmal seine Lippen auseinander, geschweige denn einen Ton heraus. Sie hatte ihn vollends in ihrer Gewalt.

Die Menge vor dem neuen Herrscherpaar klatschte freudig und ließ den wiedergefundenen Königssohn hochleben.

Imeta lächelte zufrieden. Shaar hätte sie in diesem Moment erdrosseln können, er konnte sich jedoch keinen Millimeter bewegen. Sie erriet seine Gedanken und strahlte ihn triumphierend an. Hoch erfreut, alles im Rechten Lot zu sehen, lehnte sie sich in ihrem frisch überzogenen Thron zurück. Sie war glücklich. Endlich nach langen Jahren des Bangens, hatte sie gesiegt. Stünde Talina vor ihr, sie würde ihr ins Gesicht lachen.

 

"Meine Freunde“, rief sie wieder zaghaft. Das Trommeln der Speere sorgte erneut für die notwendige Ruhe. "Meine Freunde“, wiederholte sie. "Ich habe noch eine gute Nachricht zu verkünden. Es ist endlich gelungen, die Aufruhr zu zerschlagen. Das Land wird bald wieder in Ruhe und Frieden leben können. Die Jahre des sinnlosen Blutvergießens sind vorbei." Imeta hielt inne, um den Triumph vollends auskosten zu können. Ihre Gäste blickten sich fragend an, tuschelten hinter vorgehaltener Hand und klatschten Beifall, als ihnen die Wachen, missbilligende Blicke zuwarfen. Imeta wartete, kostete jede Sekunde aus und sog jeden Augenblick gierig in sich hinein. Eine unmerkliche Handbewegung von ihr ließ zwei Wachen lautlos verschwinden.

"Wisst ihr, wem dies zu verdanken ist“, begann sie erneut. Sie ließ die Frage durch den Saal wandern, bis die Flügeltüren aufgingen und einige Soldaten hereinkamen. "Meinem Sohn Shaar“, rief sie laut und Stolz. "Es gelang ihm, die Anführer in einen Hinterhalt zu locken und sie gefangen zu nehmen." Unter dem bösen Blick der übrigen Wachen, klatschen die Gäste begeistert und ließen den Sohn der Königin hochleben. Dieser bebte vor Wut. Wenn er es vermocht hätte, diese unsichtbaren Fesseln abzuwerfen, hätte er es getan und sich kurzerhand auf sie gestürzt.

Als die hereintretenden Soldaten vor ihm standen, hätte er am liebsten laut los gebrüllt. Botamis führte den Trupp an. In ihrer Mitte hielten sie zwei Gefangene in Schach. Josip und Elees. Imeta legte eine Hand auf seinen Arm. Ein haushoher Sieg ging an sie.

Als Botamis den schwarzen Krieger neben der Königin stehen sah, blieb er einen kurzen Moment stutzend stehen. Doch er fasste sich schnell und legte grinsend seine alte Selbstsicherheit zu Tage. Dabei entblößte er eine Zahnlücke, die er nicht zuletzt auch Shaar zu verdanken hatte.

 

Josip zerrte an seinen Fesseln, als er den Chreoni erblickte. Er stieß wüste Beschimpfungen und Drohungen aus, wurde jedoch bald von den Soldaten zum Schweigen gebracht. Elees zitterte vor Angst. In ihren Augen stand die Enttäuschung über das eben gehörte geschrieben. Sie weigerte sich, dies zu glauben. Ein Wunsch wurde in ihr stark, ihn mit ihren Fesseln zu erdrosseln.

Shaar schrie stumm. Er tobte innerlich vor Wut und bemerkte in seinem blinden Zorn nicht, dass eine Person fehlte. Erst als es ihm klar wurde, konnte er sich zur Ruhe zwingen. Er trauerte um Dane. Denn wenn Josip und Elees gefangen worden waren, hätte auch Dane dabei sein müssen. Doch er war es nicht. So vermutete Shaar, dass er getötet wurde. Trauer um den verlorenen Freund, breitete sich in ihm aus. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Besaß er noch die Kraft, durchzuhalten, bis das, wozu er bestimmt war, eintrat? Trat es überhaupt noch ein? Shaar konnte nicht wissen, dass Dane aus Stolz über sein Rennpferd, Wulfen zu einem kleinen Rennen überreden konnte. Während er und Josips Gefolgsmann die Pferde über die Straße jagten, wurden Josip und Elees von Schergen aufgegriffen und nach Serphauce gebracht.

 

 

Imeta genoss jede Sekunde von Shaars Wut. Sie war am Ziel ihrer Träume. Bald würde sie uneingeschränkt über das Land herrschen können. Ihr Volk würde nicht mehr auf die Erlösung durch ihren Sohn warten. Ihr Sohn stand an ihrer Seite und sie besaß die nötigen Mittel, um ihn überreden zu können. Sie genoss es, von ihrem Volk bewundert zu werden. Graziös erhob sie sich und spazierte durch den vollbesetzten Saal. Sie nahm Beglückwünschungen entgegen, tauschte mit dem einen oder anderen freundliche Worte und ließ die Gefangenen und Shaar vollkommen unbeobachtet. Sie lockerte sogar etwas die Zügel um dem Chreoni und wartete auf eine Reaktion. Sie stellte ihn auf die Probe. Würde er es wagen, die Gefangenen zu befreien, oder gar, sie zu töten. Für beides bestand keine Chance. Ihre Wachen hatten strikte Anweisung auf beide zu achten. Außerdem hätte sie dem Chreoni schnell wieder unter ihrer Kontrolle, solange er den Rubin trug. Imeta ging zum Fenster, kehrte ihnen allen den Rücken zu und blickte wie beiläufig hinaus. Ihr Geschmeide glänzte in der Sonne, dass es blitzte und funkelte.

 

Shaar war klug genug reglos stehen zu bleiben. Er bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle und wartete ebenfalls ab. Es würde mit Sicherheit noch eine bessere Gelegenheit kommen. Es gab zu viele Wachen und er vermutete richtig, dass sie Anweisung hatten, auf ihn aufzupassen. Imeta lachte plötzlich auf.

"Komm her, mein Sohn“, rief sie und streckte eine Hand nach ihm aus. Shaar setzte sich in Bewegung, obwohl er sich selbst nicht den Befehl dazu gegeben hatte. Ihre Stimme lockte ihn zu ihr. Sanft legte sie die ausgestreckte Hand auf seine Schultern und schob ihn zum Fenster. "Sieh nur“, sagte sie. "Dein Plan war hervorragend. Wir brauchen nur noch auf die erbärmliche Armee der Aufrührer zu warten. Sie laufen uns direkt in die Arme." Ihre Stimme war so laut, dass selbst der hinterste Besucher es verstanden hatte.

Shaar sah hinunter. Es wimmelte dort unten nur noch von Soldaten. Überall waren welche postiert. Im Innenhof, auf den Mauern, an jedem Tor, an jeder Tür. Imetas Armee hatte Serphauce nie verlassen, um in Sankt Karpastin zu kämpfen. Der Chreoni bezweifelte jedoch, dass es hier zum Kampf kam. Josip, Dane und Elees waren unterwegs gewesen, um die Männer in Sankt Karpastin zu warnen und sie nach Serphauce zu führen. Imetas Soldaten fingen sie früher ab. So konnte die Nachricht niemals ankommen. Ein kleines Schmunzeln huschte über seine Lippen.

"Hoffentlich beeilt sich dein Freund“, gab Imeta leise von sich. So leise, dass es nur ihr Sohn verstand. "Ich hasse es, zu warten." Damit legte sie ein winziges Schmunzeln um ihre Lippen.

 

Josip begann erneut zu toben und Verwünschungen auf den Chreoni loszulassen. Die Soldaten konnten ihn kaum halten. Er wusste, Dane würde allein nach Sankt Karpastin reiten, sobald er das Verschwinden der Beiden bemerkte. Shaar indessen versuchte sich krampfhaft zusammenzureißen. Er dachte an seine Heimat, die Chreoniberge, die er so liebte. Er dachte an die Schönheit seiner Heimat, ihre Ausdruckskraft, die weiten, grünen Flächen, die tiefen Täler zwischen den hohen Bergen.

"Shaar, meine Junge“, flüsterte ihm Imeta ins Ohr. "Wir beide gehören zusammen. Mutter und Sohn. Zusammen sind wir unschlagbar. Lass uns gemeinsam dieses große Reich regieren und ich werde dir zeigen was Ruhm und Macht ist."

Am Liebsten hätte er ihr dieses 'Nein' ins Gesicht gebrüllt, doch seine Kehle gab keinen Ton von sich.

 

Ein anderer antwortete an seiner Statt. "Niemals wird er mit dir zusammen irgend etwas tun“, rief eine Frauenstimme, von ganz hinten aus dem Saal.

Imeta fuhr herum. Der Chreoni hätte sich ebenfalls gerne nach dieser Stimme umgedreht. Er sehnte sich so sehr nach dieser Stimme. Er kannte sie. Doch sein Körper ließ ihn weiter durchs Fenster blicken. Zahlreiche Silhouetten auf einem fernen Hügel, sagten ihm, dass der Angriff der Rebellen nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte. Sie liefen ahnungslos in eine Falle.

Die Gäste wichen zur Seite. Zum Vorschein kam eine alte Frau, in Lumpen gekleidet, auf einen Stab gestützt und mit schlohweißem Haar. Eine Person, die in keinster Weise zu den übrigen Gästen passte. Wie sie hereingekommen sein mag, vermochte niemand zu sagen. Doch sie war da. Naserümpfend wandten sich die feinen Herrschaften von ihr ab. Sie gewahrten einen mehr als ausreichenden Sicherheitsabstand, als sie an ihnen vorbei humpelte.

"Shaar hat dir niemals gehört und er wird dir niemals gehören“, keifte die alte Frau und hieb ihren Stock trotzig auf den Boden.

"Sieh an“, lachte Imeta. Nur für einen kurzen Augenblick hatte sie die Fassung verloren und sich überraschen lassen, doch nun war sie ganz Herr ihrer selbst. "Talina! 'hätte nicht gedacht, dass es dich noch gibt."

Bei diesem Namen blickten sich die Gäste staunend an.

"Ich konnte doch nicht von dieser Welt gehen, ohne dich von der Richtigkeit meiner Worte zu überzeugen“, grinste Talina frech.

"Ich verstehe nicht, was du meinst“, schüttelte Imeta unschuldig den Kopf. "Mein Sohn und ich verstehen uns prächtig." Sie legte liebevoll einen Arm um Shaar.

"Mag sein“, gab Talina unbeeindruckt von sich. "Aber nur solange, du ihn mit deinen Hexenkünsten an dich fesselst. Trotz allem wirst du ihn nie beherrschen können. Du kannst ihn in einen goldenen Käfig sperren, aber er wird niemals deine Wünsche erfüllen, geschweige denn deine Befehle ausführen."

Die Königin zog Shaar zu sich. "Du irrst dich“, lächelte sie gefährlich. "Er wird jeden meiner Befehle ausführen. Jeden!" Spielerisch strich sie über die Umhangschnalle und über die Kette, an der der Rubin hing. Danach wanderte ihr Blick zurück zu Talina.

"An deiner Stelle wäre ich mir dessen nicht so sicher“, rief diese leichthin. "Du solltest seine Willensstärke auf keinen Fall unterschätzen."

"Du willst also einen Beweis seiner Zuneigung zu mir." Imeta nickte und wandte sich wieder an Shaar. "Beweise es“, bat sie ihn. In seinem Inneren hörte sich dies eher wie ein Befehl an. Die Königin blickte sich rasch im Saal um, bis ihr Blick auf die Gefangenen traf. "Töte sie“, befahl sie nun, worauf sich Shaar augenblicklich in Bewegung setzte.

 

Er verweigerte sich, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Elees entsetzte Augen stachen ihm ins Herz. Er konnte sich nicht bremsen und schloss die Augen. Blind ging er weiter. Imeta führte ihn. Je näher er Elees kam, desto heftiger sträubte er sich gegen den Befehl und irgendwann schaffte er es tatsächlich, stehen zu bleiben.

"Töte sie“, schrie Imeta. Ein greller Blitz durchzuckte den Körper des Chreonis. Er griff nach seinem Schwert. Stumm schrie er nach Talina um Hilfe. Auch sie konnte ihn nicht abhalten, den Befehl auszuführen.

 

Ein starkes Verlangen nahm plötzlich Besitz von Elees. Sie konnte nicht anders, als sich dem Soldaten, der sie in Schach hielt, entgegenzuwerfen, sich noch im Fallen vom ihm abzustemmen und auf Shaar zu springen. Ihre vor dem Körper gebundenen Hände benutzte sie als Rammbock, riss ihm die Kette vom Hals und schleuderte sie von sich. Fast hätte sie sich an den goldenen Gliedern die Finger verbrannt.

Shaar verlor durch Elees Aufprall das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Hart schlug sein Kopf auf. Er blieb bewusstlos liegen. Ein Entsetzensschrei kam aus Imetas Mund. Talina grinste wissend.

 

"Töte sie“, brüllte die Königin nun Botamis an. Dieser fackelte nicht lange, zerrte das Mädchen hoch, noch ehe sie sich in Sicherheit bringen konnte und zwang sie niederzuknien, damit er sie an Ort und Stelle enthaupten konnte.

"Nein“, schrie die Königin. "Nicht hier." Sie schien Angst um die gebohnerten Steinplatten zu haben.

Botamis zerrte das wild um sich schlagende Bündel nach draußen Elees schrie aus Leibeskräften, doch niemand kam ihr zu Hilfe. Josip war zu gut in Schach gehalten und Shaar noch besinnungslos.

 

"Siehst du nun, wie er dir gehorcht“, lachte Talina schadenfroh.

"Ach“, tobte Imeta. "Schafft sie hier raus“, befahl sie ihren Soldaten, doch keiner bewegte sich. "Na, wird's bald“, schrie sie. Ihre blendende Schönheit war von ihrer Hysterie zerrissen worden. Ihr Gesicht legte sich in Falten. Nur zögernd kamen die Wachen näher, doch ständig darauf wartend, dass sie ihren Befehl zurücknahm.

Hektisch suchte Imeta nach dem Rubin, konnte ihn jedoch nicht finden. Ihr war nicht aufgefallen, dass sich Talina an eine andere Stelle begeben hatte. Unter ihrem zerlumpten Rock versteckte sich der gefährliche rote Anhänger.

Imeta tobte. Sie hatte ihren Sieg zum Greifen nahe und nun war alles zerstört. Sie schlug wild auf ihre Wachen ein und befahl ihnen, den Rubin zu suchen. Bald darauf knieten alle Soldaten auf dem Boden herum und hoben selbst die Röcke der entsetzten Damen, um darunter den Edelstein zu suchen. Talinas Rock wagte niemand zu heben.

 

Unter dem Fenster wurden Stimmen laut. Menschen rannten hin und her, Befehle wurden von Posten zu Posten gerufen. Die Rebellen waren in die Stadt eingedrungen. Ein letzter Triumph blieb Imeta. Siegesgewiss lächelte sie Talina an und stieß bald darauf einem Soldaten in die Seite, der nichts tuend herumstand. Die Rebellen konnten nicht wissen, dass über tausend Mann nur darauf warteten, dass ihr Schloss angegriffen wurde. Die Fallen waren vorbereitet, die Bogen gespannt, die Schwerter geschärft.

 

Langsam kam Shaar zu sich. Imeta eilte zu ihm und spielte die fürsorgliche Mutter. Als er erkannte, wer vor ihr kniete, stieß er sie hart von sich. Imeta stolperte über den Saum ihres Kleides und landete mit ihrem Hintern auf dem Boden. Sie schrie und strampelte wild vor Wut.

Der Chreoni brauchte einige Zeit, um die neuen Gegebenheiten zu begreifen. Er freute sich, endlich aus Imetas Fesseln befreit worden zu sein und wollte sich augenblicklich auf sie stürzen. Talina hielt ihn zurück.

"Nein, Shaar“, rief sie. "Rette Elees."

Der Chreoni blickte sich suchend um, fand die Erwähnte jedoch nicht.

"Der Soldat“, rief Talina hektisch. "Er wird sie töten. Rette sie."

Botamis fehlte ebenfalls.

"Los, beeile dich! Rette deine Königin“, rief Talina und versetzte ihm mit dem Stock einen seichten Schlag auf den Rücken, damit er sich endlich in Bewegung setzte. Shaar hatte längst begriffen. Er rannte zu den Flügeltüren hinaus. Noch im Laufen, öffnete er die Schnallen seines Umhanges, ließ diesen zu Boden gleiten und zog seinen Dolch. Er ließ ihn über den Steinboden, genau vor Josips Füße schlittern. Josip ergriff die Gelegenheit sofort. Gleichzeitig mit seinem Wachmann, bückte er sich nach der Waffe. Doch der Soldat spürte bald einen scharfen Ellbogen in seinen Rippen und wenige Sekunden später den Geschmack kalten chreonischen Stahls. Eiligst durchtrennt er seine Fesseln und nahm sich augenblicklich der anderen Wachen an.

Mit einem Speer und Shaars Dolch bahnte er sich einen Weg zum Ausgangs des Thronsaales. Die Kampfgeräusche, die vom Fenster hereindrangen, beschämt über seinen Irrtum, was den Chreoni anbelangte und brüllend vor Wut und Zorn mähte er alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Seine Freunde brauchten seine Hilfe.

 

Josip ärgerte sich immer stärker über sich und fühlte sich immer geehrter. Auch er kannte die Geschichte über den verschwundenen Königssohn und das was ihm bestimmt war zu tun. Doch an der Seite, eben diesem zu stehen und mit ihm die Prophezeiung zu erfüllen, war für ihn beinahe zu viel der Ehre. Er verzieh Shaar augenblicklich, dass er unter Einfluss der Königin die geheimen Pläne der Rebellen preisgab und hätte auf einmal für ihn seine rechte Hand hergegeben. Josip brüllte wie ein Bär und scheuchte die Soldaten vor sich her, oder metzelte sie nieder.

 

 

Während Shaar eiligst durch Zimmer und Gänge eilte und Botamis suchte, war draußen die Schlacht um die Freiheit im vollen Gange. Es stand nicht gut für die Rebellen. Die Soldaten waren ihnen zahlenmäßig weit überlegen, zudem konnten sich die Schergen hinter dicken Schutzwallen verbergen. Die Armee der Aufrührer bestand zumeist aus unausgebildeten Bauern und Arbeitern, doch jeder einzelne von ihnen kämpfte so verbissen und hartnäckig wie ein Krieger. Zu lange hatten sie die Unterdrückung und Ausbeutung erdulden müssen. Jetzt, da sich ihnen die Gelegenheit bot, endlich in Frieden und Freiheit, ohne Angst leben zu können, legten sie alle Hoffnungen an den Tag und kämpften eisern für ihr Ziel.

 

 

Shaar irrte von Zimmer zu Zimmer. Er besaß nicht die leiseste Ahnung, wohin Botamis das Mädchen verschleppt haben könnte. Ab und zu blieb er stehen und lauschte. Er versuchte Elees Stimme, oder die von Botamis zu hören. Doch alles, was an Geräuschen zu ihm drang, war der alles übertönende Kampfeslärm von draußen.

 

Der Chreoni lief in die Unterkünfte der Soldaten. Es bestünde vielleicht die Möglichkeit, dass er in sein Zimmer gegangen war. Doch welches war es?

Botamis war ein übler Kerl, das wusste Shaar. Er würde sich nicht wundern, wenn sich der Kerl noch etwas Spaß erlauben wollte, bevor er den Befehl der Königin ausführte.

Männer, die sich hastig in ihre grauen Uniformen zwängten, rannten an ihm vorbei. Sie beachteten Shaar nicht. Sie hatten alle ihre eigenen Probleme.

Shaar entdeckte plötzlich einige wohlbekannte Männer - die Fleischklopse aus den Kerkern. Vielleicht hatte Botamis sie fortgeschickt, um ungestört ...

Er hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Augenblicklich machte er auf dem Absatz kehrt und eilte durch die Gänge, dem Kerker entgegen.

Hin und her eilende Soldaten und ängstlich herumstehende Diener versperrten ihm den Weg und er musste sich, notfalls sogar mit Hilfe des Schwertes ungestörten Weiterzug verschaffen. Alles und Jedermann war in Bewegung. Es wurde nachgereicht und nachgeschoben, ersetzt und ausgewechselt, dort aufgegeben, da angegriffen. Er war wie im Tollhaus. Keiner schien mehr klare Gedanken zu haben.

 

Je tiefer Shaar in das dunkle und schaurige Reich der Gefängnisse trat, desto leiser wurden die Geräusche. Immer weniger Leute hetzten an ihm vorbei, bis er ganz allein im flackernden Licht der Fackeln den schmalen Tunnel entlang eilte.

Plötzlich blieb Shaar stehen. Er glaubte etwas gehört zu haben, oder täuschte nur der Widerhall, der seine Schritte von Wand zu Wand jagte, wie ein Vogel eine Mücke. Stimmen, noch viel zu weit entfernt, um sie genau zu erkennen. Doch die eine barsch und fordernd und die andere ängstlich und wimmernd. Von nun an schlich er wie das drohende Böse den Gang hinunter. Er versuchte jedes Geräusch zu vermeiden. Shaar hegte keinen Zweifel daran, dass er Botamis gefunden hatte. Sein Lachen war unverkennbar. Leise schlich er tiefer, um unentdeckt und plötzlich für eine Überraschung sorgen zu können.

Elees flehende Stimme nagte an seinen Nerven und verlangten von ihm, sich zu beeilen. Er musste sich arg beherrschen, um nicht schneller zu gehen und sich zu verraten. Nachdem ihn nur noch eine Biegung von Botamis und Elees trennten, blieb er stehen und horchte. Botamis Art, das Mädchen nicht nur mit Taten zu misshandeln, versetzte ihn in Wut. Allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz sprang er aus seiner Deckung und brüllte Botamis Namen.

 

Erschrocken fuhr dieser herum. Der anfängliche Schreck wich schnell aus seinem Gesicht, als er erkannte, wer es gewagt hatte ihn bei seinem Vergnügen zu stören. Die wenigen Augenblicke, in denen Botamis brauchte, sich von seinem Schreck zu erholen, genügten Shaar, die Gegebenheiten zu überblicken.

Elees lag halb über einer hölzernen Streckbank. Ihre Hände waren bereits in die Vorrichtung gefesselt. Der Chreoni hatte Botamis offenbar gestört, als dieser auch die Beine seines Opfers auf die grausame Liege fesseln wollte.

"Sieh an“, grinste Botamis durch die Zahnlücke, die ihm sein Sturz eingebracht hatte und war im Begriff seine Arbeit zu vollenden. "Der Teufel in Person“, lachte er und zog die Stricke so fest, dass Elees schmerzhaft aufschrie. "Ihr Hunde habt es schon immer verstanden, euch bei der Königin einzuschmeicheln."

Dass es eher umgekehrt war, schien ihn nicht zu interessieren. Imetas Vater schloss den Pakt mit dem Volke der Chreoni. Da dies kurz vor seinem plötzlichen Tod geschah, galt es als Imetas Verdienst.

Entweder bemerkte Botamis die Klinge in der Hand des schwarzen Kriegers nicht, oder er ignorierte sie absichtlich. In aller Seelenruhe schnürte er Elees Beine an die Bank und zeigte keinerlei Angst vor dem Chreoni.

"Was will der neue König von mir“, fragte er mit einem breiten Grinsen und gab sich kurz darauf die Antwort selbst. "Will er zusehen, wie ich dieses Vögelchen hier vernasche?" Bei diesem Satz ließ er seine halbe Arbeit plötzlich fallen und packte die Wehrlose so fest an ihrem Oberschenkel, dass diese mit einem Schrei zusammenschrak.

"Lass sie gehen“, forderte Shaar scharf.

"Das kann ich nicht“, gab Botamis zurück, wie ein Lehrer, der einen dummen Schüler für eine völlig unpassende Antwort tadelte. "Niemals." Er kehrte Shaar den Rücken zu. Seine Finger glitten genießerisch über Elees geschwollenes Gesicht. "Ich habe einen Befehl auszuführen. Meine Herrin wird sehr ungehalten darüber sein, wenn ich ihren Befehl, den einer Marionette vorziehe. Du wirst es verstehen. Ich kann sie nicht gehen lassen." Botamis sprach, als erzählte er ein Märchen.

Seine unbekümmerte Art und der gänzlich ohne Angst und Respekt klingende Ton, verunsicherte Shaar für einen Moment. Doch schnell durchschaute er die Absicht des Soldaten. Dessen Hände waren, während er sprach, langsam zum Griff seiner Waffe gewandert, und bevor das letzte Wort im Raum verklingen konnte, sauste seine Klinge durch die Luft. Shaar musste sich schnell ducken, bevor ihm die Schneide den Kopf abtrennen konnte.

So abwesend und so tölpelhaft, wie sich Botamis vorher gegeben hatte, so konzentriert war er nun bei der Sache. Der Chreoni stellte schnell fest, dass sein Gegenüber seine Klinge zu gebrauchen wusste. Metall schrammte auf Metall und erzeugte ein Geräusch, das in dem abgeschlossenem Raum, wie das Kreischen einer verstimmten Glocke klang. Völlig selbstsicher und mit gefasster Ruhe führte Botamis seine Waffe, als wolle er nur mal eben einen Staubkrümel entfernen. Seine Technik erinnerte an die von Shaar. Wohl überlegt und doch Routine. In unzähligen Stunden antrainiert und ständig wiederholt. Beide Männer wussten die Hiebe ihres Gegners zu parieren. Es schien, als würde es ein endloser Kampf werden, ohne Sieger und Verlierer.

Sie trieben sich gegenseitig durch den Raum, vorbei an allen möglichen Foltergeräten. Ein hart erkämpftes Stück Land musste gleich darauf wieder abgegeben werden, aber nur, um es wieder zurückzuerobern. Als Shaar beim rückwärtsgehen über herumliegende Eisenketten stolperte und sich darin verfing, so dass er fiel, ließ ihm Botamis die Zeit wieder aufzustehen.

Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Wie ein Fisch an der Angel, wollte er Shaar zappeln lassen, bis der Chreoni einen Fehler beging und es Botamis genügend Spaß bereitete, seinen Gegner zu töten.

Doch Shaar dachte nicht daran. Er hatte längst gemerkt, dass Botamis etwas besonderes war. Seine Art zu kämpfen und seine Technik machten ihn stutzig. Wäre es möglich, dass Botamis ebenfalls dem Volke der Chreoni abstammte?

Das müsste festzustellen sein. Shaar erhob sich nicht ganz. In leicht gehockter Position, verharrte er und wartete ab. Er wusste, die Ehre eines Chreonis gebührte ihm, zu warten, bis sein Gegner wieder bereit war weiterzukämpfen und daher nicht angriff, solange dieser wehrlos am Boden lag. Hielt sich Botamis an die Regeln der Krieger?

"Nur ein triftiger Grund, veranlasst den Rat der Weisen, einen Krieger zu verbannen“, bemerkte Shaar und beobachtete seinen Gegner.

Botamis Grinsen verschwand und gab dem Chreoni damit die Antwort. Der Soldat war ein Chreoni.

"Ich kann mir auch denken, welchen“, bohrte Shaar weiter und wartete auf eine weitere Reaktion.

Botamis hielt sich von nun nicht mehr an die Regeln. Er machte einen schnellen Ausfallschritt vorwärts und wollte die Klinge in Shaars Brust rammen, bevor dieser mit noch mehr Äußerungen an einen unschönen Zeitpunkt in seiner Vergangenheit erinnern konnte. Shaar ließ sich beinahe zeitgleich, als hätte er es in den Augen seines Gegners abgelesen, auf die Seite fallen, rollte sich über den Rücken ab und kam wieder auf die Beine. Mit weiteren Sticheleien und Bemerkungen versuchte er ihn in Rage zu bringen und zu unkonzentrierten Handlungen zu verleiten.

Elees zog und zerrte an ihren Fesseln. Mehrmals musste sie die Luft anhalten und soweit es ihr möglich war, einer verirrten Klinge ausweichen. Ihre Fesseln gaben keinen Deut nach. Ihre Gelenke schwollen an und machten ihren Befreiungsversuch immer schwieriger. Sie spuckte auf die wundgeriebenen Stellen, drehte und wendete ihre Gelenke, doch aussichtslos.

 

 

Im Thronsaal hatte sich Imeta wieder soweit gefasst Ihre Gäste hatten sich vor Angst vor der Herrscherin klammheimlich verdrückt, waren mutig den Angreifern entgegen gelaufen, oder nutzten das allgemeine Durcheinander, sich selbst und alles was ihnen lieb und teuer war, in Sicherheit zu bringen. Nun standen die beiden Frauen allein in dem nun menschenleeren und wieder riesig wirkenden Saal. Talina stand am Fenster, beobachtete das Kampfgetümmel mit scheinbarem Desinteresse. Sie wartete in Seelenruhe auf irgendetwas. Entweder auf Shaars Rückkehr, auf das Ende der Schlacht um Serphauce, oder das sich irgendetwas anderes ereignete. Als ob sie der Sonne beim Untergehen zusehe, beobachtete sie die kämpfenden Männer, teilnahmslos und irgendwie glücklich und zufrieden. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Ihre Rache war abgegolten, die Prophezeiung wenigstens zum Teil erfüllt. Es genügte ihr bereits, ihre Schwester in rasender Wut zusehen. Sie stellte keine Ansprüche auf die Krone, die eigentlich ihr gebührte. Dafür war sie zu alt und hatte schon zu lange in einer ärmlichen Hütte gehaust.

Shaar sollte auf den Thron kommen und es besser machen, als seine Mutter. Er sollte das Land aus der Armut heraus führen, so dass alle wieder glücklich und ohne Angst leben konnten. Sie hielt ihn für fähig dazu. Er war stark und besaß den Willen seiner Mutter. Talina hatte dies bereits sehr früh an Shaar festgestellt. Außerdem entwickelte er sich von ganz allein, zu dem, was Talina vorgehabt hatte, aus ihm zu machen. Vielleicht machte auch viel die Erziehung der Chreoni aus, bemerkte sie nachdenklich im Stillen. Und sie war glücklich, dass es so gekommen war, wie sie es vorausgesagt hatte. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.

 

Zwei Hände packte sie von hinten an den Schultern und schubsten sie zum Fenster hin. Wäre Talinas überlanger Stock nicht gewesen, der ihr durch die heftige Bewegung aus den Fingern glitt und sich nun quer im Fensterrahmen verkeilte, wäre sie zweifellos hinuntergestürzt. So prallte sie gegen den Stock und musste für einen Moment um Atemluft ringen. Talina zwang sich zum Handeln, denn Imeta würde bald den zweiten Mordversuch starten. Noch bevor diese ihren schelmischen Gesichtsausdruck verlieren und ihren Versucht misslingen sah, landete Talinas Faust in ihrem Gesicht.

 

Talina blickte erstaunt ihre Faust an. In einen Anfall von Zorn und Wut, war ihr die Hand ausgerutscht. Imeta taumelte rückwärts und stolperte über einen Stuhl. Das Lachen ihrer Schwester ließ sie schnell wieder auf ihre Beine springen. Rasend vor Zorn stürzte sich Imeta schreiend auf ihr Opfer. Eigentlich fühlte sich Talina zu alt für einen Zweikampf mit ihrer um etliche Jahre jüngeren Schwester, doch sie ließ sich dieses Vergnügen nicht nehmen und fühlte sich beinahe genauso jung.

Imeta legte ihre Hände fest um Talinas Hals, während ihr eigener Hals gewaltsam in den Nacken gezogen wurde, weil sich Talinas Finger in ihrem Zopf verkrallt hatte und nun heftig daran riss. Sie schrie auf, war aber nicht bereit ihren Würgegriff zu lockern.

Talina löste eine Hand vom Haar und grub ihre Fingernägel in Imetas Unterarm, so fest, bis Blut hervorquoll und sich die verletzte Hand endlich lockerte. Mit einer heftigen Bewegung stieß sie die Hand weg und zog so fest am Zopf, dass Imeta das Gleichgewicht verlor. Noch im Fallen erwischte Imeta einen Ärmel und riss ihre Schwester mit sich. Bald darauf balgten sie sich auf dem Boden herum, wie streitende Waschweiber, prügelten aufeinander ein, zogen, zerrten, kratzten, bissen, schlugen und kreischten, dass es einem durch Mark und Bein ging.

 

Imeta erwischte einen herumliegenden Speer. Dieser war zwar zerbrochen, aber irgendeinen Zweck würde er noch erfüllen. Sie nahm das Holzstück, wie einen Prügel in die Hand und prügelte auf Talina ein. Nach den ersten paar Schlägen, suchte diese hinter einem Tisch Schutz. Nun war der Speer zu kurz. Mit einem Satz sprang Imeta auf den Tisch und wollte weiterprügeln. Talina angelte sich ein Tablett, das auf dem Boden lag und hob es wie ein Schutzschild vor sich. Als die Königin zu einem Schlag ausholte, versetzte Talina ihr mit dem Tablett einen Stoß, dass diese vom Tisch flog. Die Wucht des Aufpralls riss Talina das Tablett aus den Händen. Schnell eilte sie um den Tisch herum und warf sich auf die am Boden liegende Frau, doch ehe sie sie erreichen konnte, wurde ihr der Boden unter den Füssen weggezogen. Imeta schwang den abgebrochenen Speer herum und schlug Talina in die Beine.

 

Josip brüllte vor Wut. Mit jedem niedergestreckten Schergen bauten sich zwei Neue vor ihm auf. Er konnte mehr Soldaten, als kämpfende Bauern sehen und es lagen mehr getötete Familienväter und Freiheitskämpfer auf dem Schlachtfeld, als Uniformierte. Wie ein wütender Stier fuhr er in eine Gruppe Soldaten und metzelte sie nieder. Doch er allein reichte nicht aus, um die Armee der Königin zu besiegen. Er sah den Sieg schwinden, die Unterdrückung weiterhin im Land wohnen und den Tod vieler weiterer ehrbarer Leute vor sich. Verzweiflung und grenzenlose Wut führte seine Klinge und ließ ihn das Blut der Hoffnungslosigkeit trinken.

 

Weit unter ihnen im Kerker, wurde noch immer der nicht ungleiche Kampf ausgefochten. Shaar versuchte Botamis soweit zu reizen, dass er einen Fehler beging. Aber den Fehler beging er, indem er den Soldaten unterschätzte.

Botamis führte zwei schnell hintereinander folgende Hiebe so perfekt aus, dass sie Shaar nicht so schnell durchschauen konnte, wie ihm die Zeit dafür blieb. Während er den einen abwehrte, brach der andere in seine ungedeckte Abwehr. Er bekam einen Stoß in die Rippen, der ihm sämtliche Atemluft entweichen ließ. Diese kurze Benommenheit nutzte Botamis und hieb ihm mit voller Wucht gegen den Kopf.

Der Helm hielt den größten Teil des Stoßkraft ab, dennoch taumelte Shaar rückwärts, stieß gegen einen mit flüssigem Schweinefett gefüllten Behälter, der als Vorrat für eine Lampe, oder als Foltervorrat diente und krachte gegen die Wand. Der Inhalt des Behälters ergoss sich über den Boden und verwandelte den grob gehauenen Steinboden, schnell in eine schlüpfrige Rutschbahn.

Als Botamis auf ihn zu schnellte, hob Shaar geistesgegenwärtig seine Klinge. Kurz zögerte Botamis und schnellte erneut vor. Shaar blieb nicht genügend Zeit, sie wieder so weit zu senken, dass er hineinlief. Botamis klemmte das Schwert zwischen ihre beiden Körper ein, wie ein halb gefallener Fahnenmast, nahm seines waagrecht in beide Hände und drückte es von sich weg. Die Klinge zwischen ihnen verhinderte es, dass die Kehle des Chreoni durchtrennt wurde. Er fluchte und drückte fester zu. Der Druck auf die Spitze des Schwertes presste den Knauf in Botamis Leiste. Schnell betätigte Shaar den kleinen Mechanismus an seinem Griff, worauf sich die dünne Klinge in Botamis Oberschenkel bohrte.

Überrascht und mit einem Schmerzensschrei stieß sich Botamis von Shaar ab. Blind vor Schmerz und Wut schlug er in die Wand, an der sich Shaar noch vor wenigen Sekunden befand. Funken und Gesteinsbrocken stoben auf. Ein Fausthieb von der Seite holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er wirbelte herum und schwang sein Schwert durch die Luft. Es fand Widerstand, als Shaar dagegenhielt.

Augenblicklich zog Botamis sein Knie hoch und rammte es seinem Gegner in den Magen. Shaar stolperte rückwärts, rempelte dabei gegen die Streckbank, auf der Elees lag und warf sie um. Mit einem Schrei landete sie unsanft auf dem Boden und entdeckte, dass sie nun geschützt zwischen Wand und Holzbank lag. Es hätte ihr eigentlich nichts besseres passieren können. Ihre schmerzenden Knöchel, die vom Aufprall angestoßenen Knochen und die aufgeschürfte Haut vergaß sie schnell und machte sich weiter daran, aus ihren Fesseln heraus zu kommen.

Shaar kam nicht mehr rechtzeitig vom Boden hoch. Seine Füße glitten auf der glitschigen Oberfläche aus und eher er einen anderen Ausweg finden konnten, war Botamis über ihm. Dem Chreoni war beim Fall die Klinge aus der Hand geglitten. Sofort angelte er danach, doch als sich seine Finger um den Griff legen konnten, trat Botamis auf das Schwert und klemmte die Finger ein. Shaar biss sich auf die Lippen, unterdrückte den Schmerz und zog die Beine an, als sich Botamis auf ihn warf. Seine spitzen Knie bohrten sich in die Magengrube. Ein harter Handkantenschlag versetzte den Soldaten vorübergehend in einen umnachteten Zustand. So blieb Shaar genügend Zeit, unter ihm hervorzukriechen.

Er packte Botamis, zerrte ihn hoch und wollte ihm mit einem letzten Schlag den Garaus machen, doch er musste sich schnell vor einem hervor schnellenden Ellenbogen in Sicherheit bringen. Kraftvoll stieß er ihn von sich.

Botamis prallte gegen die Wand, federte dort seinen Schwung ab und stieß sich wieder ab. Mit erhobener Waffe griff er den Krieger an.

 

Der Inhalt des Fettbehälters verteilte sich immer mehr und der Boden wurde immer schlüpfriger. Die Kämpfer hatten es zunehmend schwerer. Sie rutschten unentwegt aus. Fluchend und der Rutschpartie überdrüssig, stocherte Botamis in einem Sack mit Sägemehl, Stoffresten und Moos herum, das eigentlich zum Aufsaugen von Blutlachen gedacht war und verteilte es hektisch mit dem Fuß über den Boden. Gleich darauf griff er erneut an.

Shaars Standbein rutschte weg, als er auswich und landete ziemlich hart auf seinem Steißbein. Der stechende Schmerz ließ ihn für einen Moment die Aufmerksamkeit verlieren.

Sofort ergriff Botamis die Gelegenheit und versetzte ihm einen Fußtritt in die Rippen, dass es Shaar nach hinten katapultierte und es ihm den Atem stockte. Ein zweiter Fußtritt schlug ihm die Waffe aus der Hand. Scheppernd rutschte sie über den Boden und fing sich in einem Berg Sägespäne. Nach einem dritter Schlag mit dem Knauf an den Kopf, sank er zu Boden. Krampfhaft versuchte er wieder zu klarem Verstand zu kommen und stieß einen wütenden Schrei aus. Er brauchte einen klaren Kopf und zwar sofort. Ihm blieb nicht viel Zeit, seine Benebelung aus sich heraus zu brüllen. Den beißenden Gestank des ranzigen Schweinefettes in der Nase, wagte er kaum zu einem weiteren Schrei Luft zu holen. Der feuchte Boden spiegelte das wieder, was sich hinter seinem Rücken abspielte, so rollte er sich noch rechtzeitig zur Seite. Eine metallene Klinge rammte kreischend zwischen die Steinpflaster, als jammerte es vor Schmerz auf. Die tödliche Klinge des Soldaten sauste bereits wieder durch die Luft, als sich Shaar noch nicht vollends erhoben hatte. Er musste sich schnell ducken, schnellte aus der Hockstellung heraus hoch und warf sich Botamis entgegen. Eng umschlungen kamen sie auf dem Boden auf und rangelten um den Sieg. Botamis hämmerte den Griff seines Schwertes auf Shaars Schulterblätter und versuchte es nicht unter ihnen begraben zu lassen. Ungeachtet der Misshandlungen, stemmte sich Shaar von Botamis ab, drückte ihn auf den Boden und holte zu einem Faustschlag aus. Botamis hatte die gleiche Idee und traf zuerst. Er schmetterte seine Knöchel hart gegen Shaars Kinn, dass ihm die Zähne hart aufeinander schlugen. Dann rammte er den Ellbogen auf die andere Seite und folgte schnell, als Shaar zur Seite kippte. Er klemmte ihn in eine Ecke, ließ sein Schwert fallen, das ihm in der Enge nichts nützen würde und traktierte sein Opfer mit unaufhörlichen Schlägen und Hieben, gegen Kopf, Magen und Brustkorb. Mit jedem Schlag drohte die Benommenheit mehr von Shaar in Besitz zu nehmen. Ihm blieb in der Ecke nicht genügend Platz sich zu wehren. Der Kampf schien für ihn verloren.

 

Nicht nur Shaar fand sich in Bedrängnis. Josip hieb, blind vor Tränen der Verzweiflung und der Wut, auf alles ein, was sich bewegte. Es war aussichtslos. Er schalt sich, wegen allem und jedem. Für jeden Tod machte er sich verantwortlich. Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass er noch am Leben war.

Aber vielleicht sollte das die Strafe für seine Nachlässigkeit sein?

Der Schweiß lief ihm in Strömen, setzte sich ätzend in seine Augen, verklebte die Kleidung mit der Haut und verringerte dadurch die Bewegungsfreiheit. Er könnte sich retten, wenn er sich heimlich verdrückte, doch seine Ehre als Kämpfer und das Blut vieler Männer, die für Freiheit und das Ende der Unterdrückung gekämpft hatten ließen ihn weiterkämpfen. Er ließ sich eher niedermetzeln, als noch länger Imetas Terror zu ertragen.

Shaars Dolch hielt er wie einen wertvollen Schatz fest umklammert. Längst hatte sich Josip ein Schwert besorgt und hätte ihn eigentlich nicht mehr benötigt. Doch irgendwie war ihm dieses Messer wie ein Glücksbringer und Lebensretter, was es bereits mehrmals bewiesen hatte. Es war wie der letzte Grashalm vor dem Ertrinken.

Schreie drangen an sein Ohr. Männer brüllten, Pferde wieherten und plötzlich geriet das ganze Schlachtfeld in Bewegung. Josip hatte keine Zeit, sich nach dem Grund der Veränderung umzusehen. Erst als er glaubte seinen Namen gehört zu haben, machte er seinen Gegner mit einem Strich nieder, sah sich um und entdeckte einen Totgeglaubten - Dane.

Ebenfalls schweißgebadet und blutbefleckt löste er sich aus einer Gruppe von Männern, die Josip überrascht und erschreckt zugleich anstarrte - Chreoni-Krieger. Neben Dane streckte Connor gleich zwei Soldaten nieder und suchte nach dem nächsten Opfer. Dane lief seinem Freund freudig entgegen. Sie fielen sich in die Arme, obwohl es bessere Zeitpunkte für eine Begrüßung gab.

"Ich dachte, ihr braucht Hilfe“, keuchte Dane und wies auf das gewaltige Heer von Kriegern, das kampfhungrig und blutdürstend in die Stadt einfiel. Dane hatte die Soldaten belauscht, als sie Josip und Elees gefangen nahmen und dadurch von der Falle erfahren. Er schickte Wulfen nach Sankt Karpastin, um die Männer zu warnen und zu mobilisieren und ritt selbst ins Chreonidorf zurück. Es gelang ihm tatsächlich Connor und den Rat der Weisen zu überreden, ihre Krieger aufzurufen Shaar und den Rebellen zu Hilfe zu eilen.

Und jetzt waren sie da.

Ihm blieb keine Zeit mehr für Erklärungen. Die Stadt und damit Imeta musste erobert werden.

In Anbetracht des neuen Gegners verloren die Schergen schnell an Mut.

 

Es gelang Shaar nicht, sich aus seiner Bedrängnis zu befreien. Mit wildem Lachen brachte Botamis seine Freude über die Gewalt über den Chreoni zum Ausdruck und hieb unaufhörlich weiter auf ihn ein.

Elees Blick wurde durch Tränen getrübt. Aus ihrer Position heraus konnte sie die beiden beobachten und ahnte Übles. So gerne wäre sie ihm zu Hilfe geeilt, doch sie war gebunden.

Die Abwehr des Chreoni erschlaffte und Botamis glaubte sich am Ziel. Er drückte ihn noch tiefer in die Ecke und machte sich an der Maske zu schaffen.

"Ich will dein Gesicht sehen“, zischte er durch die Zahnlücke.

Shaar wehrte sich gegen die Demaskierung. Er stemmte sich gegen Wand und Boden, bäumte sich auf, warf sich gegen Botamis und hatte alle Mühe ihn von der Maske fernzuhalten.

"Los runter damit“, zischte Botamis böse und wurde zudringlicher.

Elees wartete gespannt ab. Nur für dieses Eine stand sie auf der Seite des Soldaten. Neugierde und Spannung ließen sie den Atem anhalten.

Shaar und Botamis rangelten um den Preis der Maske. Der Scherge zog und zerrte an den Riemen, riss an der Maske und am Helm und boxte Shaar in die Brust, als ihn dieser immer wieder von der Demaskierung abhalten konnte. Irgendwann wurde es ihm zu bunt. Seine Finger suchten blind nach dem Schwert, während sich seine Elle schmerzhaft in die Kehle seines Opfers drückte. Als sich der Griff endlich in seine Hand verirrte, spürte Shaar auch schon den kalten Stahl zwischen Kopfhaut und Helm gleiten. Augenblicklich hielt der Chreoni still. Denn würde er eine unbedachte Bewegung machen, würde ihm zweifellos das ganze Gesicht zerschnitten.

Elees hielt erneut die Luft an.

 

Völlig bewegungslos ließ Shaar mit sich geschehen. Die Klinge glitt genießerisch langsam in seinen Helm und zerschnitt die Riemen, welche den Tierschädel am Helm festhielten. Ein Knacken, und der getrocknete Knochen barst. Er wurde nur noch dem aufgeklebten Fell gehalten. Die Schnallen krachten. Shaar zuckte zusammen und stöhnte leise. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Botamis hebelte die Klinge ruckartig hoch und riss äußerst unsanft die Maske nebst Helm von Kopf. Ein erstickter Schrei versetzte Elees einen Stich ins Herz. Doch kurz darauf erstarrte sie staunend. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Das gibt es doch nicht, schrie ihr Verstand. Ihr Pulsschlag raste. Sie hörte das Pochen in den Ohren.

Der Bauer, sagte sie sich immer wieder, der Bauer - in jener Nacht - damals - der verprügelte Bauernjunge - zu dem sie sich einige Male gesehnt hatte. Sie war ihm die ganze Zeit so nahe gewesen.

 

Botamis gab sich mit der Demaskierung allein nicht zufrieden. Seine Hände fingerten an Shaars Kleidung herum, rissen den Wams auf und zerrten am Hemd.

"Möchte wissen, welchen Zauber dir das Leben gerettet hat“, zischte er und zerriss den Stoff. Shaar wehrte sich dagegen, wurde aber durch einen festeren Druck in seine Kehle geheißen, bewegungslos zu bleiben. Er röchelte leise. Seine Kehle schmerzte.

"wusste ich es doch“, rief Botamis, als sich sein Verdacht bestätigte. "Ein Kettenhemd. Eines dieser verfluchten chreonischen Teufelswerke. Ich hätte es wissen müssen. Aber aus Fehlern wird man klug." Seine Lippen verzogen sich plötzlich zu einem gefährlich breiten Grinsen. "Das wird dir jetzt nichts mehr nützen, Freundchen“, grinste er und fühlte wieder nach seinem Schwert, das er hatte ablegen müssen, als er die Leibesvisitation durchführte. Um die lange Klinge unter das Kettenhemd zu bringen, musste er sich leicht aufrichten. Dies genügte Shaar. Obwohl der Druck an seinen Hals drohte ihm die Besinnung zu rauben, nahm er all seine Kraft und rammte seine Faust gegen Botamis Schläfe. Die Enge und die Umstände ließen es nicht zu, dass Shaar genügend Kraft in seinen Schlag geben konnte, doch er reichte aus, um Botamis vor Überraschung kurz erstarren zu lassen. Sofort holte Shaar wieder aus und schlug erneut zu.

Der Soldat rutschte ab. Die Spitze des Schwertes verhakte sich in den Gliedern des Kettenhemdes und scheuerte es schmerzhaft über die Haut des Trägers. Shaar biss die Zähne zusammen und schlug noch einmal zu. Noch ein Schlag und Botamis glitt zu Boden. Endlich von dem Würgegriff befreit, überkam Shaar ein starker Hustenreiz. Gewaltsam unterdrückte er ihn. Jetzt hatte er keine Zeit dafür.

Er kroch dem Schergen hinterher und schlug weiter zu, bis seine Knöchel, trotz der Handschuhe wund wurden und sich Botamis, halb besinnungslos nicht mehr bewegte. Die wütenden Schreie des Soldaten wurden immer leiser und versiegten endlich. Aus einer Platzwunde über einem Auge pulsierte Blut hervor und ließ es erblinden.

Erbarmungslos schlug Shaar immer wieder zu, so wie es Botamis zuvor mit ihm getan hatte. Stöhnend kroch der Soldat über den Boden, zog sich an den Pflastersteinen vorwärts und schob sich mit den Beinen weiter. Shaar sprang schnell auf und suchte nach seiner Waffe.

Ein Warnruf von Elees veranlasste ihn, sich schnell auf den Boden fallen zu lassen. Der Scherge hatte sich schneller erholt, als Shaar gedacht hatte und schwang sein Schwert, das er nicht aus den Händen gegeben hatte, herum. Mit dem Fuß schlug der Chreoni die Waffe aus den Händen des Soldaten. Es wurde an die nahe Wand geschleudert, prallte ab und schlitterte geradewegs vor Shaars Füße. Sofort ergriff er die Gelegenheit, nahm die Waffe auf und ließ Botamis, der sich auf ihn stürzte, direkt hineinlaufen. Ein erstickter Schrei, Botamis zu Eis erstarrtes Gesicht, und er sank langsam zu Boden.

 

Elees atmete erleichtert auf.

Jetzt erst gestattete sich Shaar, Luft zu holen. Sofort meldete sich der Hutreiz wieder. Er ließ sich auf die Knie fallen und ließ dem Reiz freien Lauf. Er war so stark, dass sich Shaar übergeben musste. Erschöpfung und Ekel pumpten alles aus seinem Magen heraus. Der beißende Geruch des ranzigen Fettes tat sein Übriges.

 

Endlich bekam Elees eine Hand frei. Die Haut an ihrem Handgelenk war aufgescheuert und brannte wie Feuer, doch sie ignorierte es und knotete schnell die Fesseln an der anderen Hand auf. Zitternd zog sie sich hinter ihrem Schutzwall hervor. Mit gemischten Gefühlen beobachtete sie Shaar, wie er hustete und sich erbrach und überlegte, wie sie ihm helfen konnte. Sie entdeckte einen Trog mit Wasser, in dem einige längst erkaltete Brandeisen lagen. Völlig gleichgültig nach was das Wasser schmeckte, es war kühl und würde ihm Erfrischung verschaffen. Schnell tauchte sie einen Fetzen Stoff in die Flüssigkeit und hatte es plötzlich gar nicht mehr eilig, als sie damit zu dem Chreoni ging.

 

Langsam erholte er sich. Elees reichte ihm den triefenden Stoff. Er nahm es an und wischte damit über sein Gesicht. Schweißtropfen vermischten sich mit rostigem Wasser und glitzerten im Schein der Fackeln. Kleine Tropfen rannen über seine Haut und tropften an Nase und Kinn ab. Er ließ sich rücklings fallen und legte den nassen Lappen auf sein Gesicht. Längst hatte die Feuchtigkeit die Wärme des Raumes angenommen, doch für sein erhitztes Gesicht war es noch Kühlung genug. Eine Weile verharrte er so, bis ihm endlich einzufallen schien, dass er nicht allein war. Er nahm den Lappen ab, wischte kurz über die Stirn und suchte das Mädchen.

 

Vor Aufregung, Angst und Erwartung dessen, was noch kommen mag, kniete sie schweigend neben ihm und wartete auf eine Reaktion. Ihre Hände zitterten und vergruben sich nervös zwischen ihren Knien.

Shaar schleuderte den Lappen von sich. Er konnte sich nicht mehr länger zurückhalten. Ehe Elees begriff, was passierte, hatte er sie schon am Hemd gepackt und ruckartig zu sich gezogen. Viel zu fest zerrten seine Hände, viel zu hart war der Kuss, den er ihr auf den Mund drückte. Sie wehrte sich, trommelte mit den Fäusten auf seine Schultern und als das nichts half, krallte sie ihre Fingernägel in die Haut am Hals.

Nur langsam lockerte sich sein Griff und nur langsam wurde der Druck auf die Lippen sanfter. Ebenso langsam versiegte Elees Gegenwehr, bis sie endlich ihre Arme um ihre Körper schlugen und sich aneinander drückten. Leidenschaftliche Küsse folgten. Darauf hatten beide schon so lange warten müssen.

Eine dünne Blutspur bahnte sich einen Weg unter Shaars Haaren hervor, rann über die Schläfe und tropfte am Kinn ab. Botamis hatte ihn verletzt, als er das Schwert unter den Helm schob. Liebevoll wischte Elees das Blut mit ihrem Hemdsärmel fort. Auch diese Wunde würde bald heilen.

Überglücklich flüchtete sie sich wieder in Shaars Arme. Sie hätte ewig so liegen bleiben können. Sie genoss es, seinen immer noch schnellen Atemzügen zu lauschen. Sie genoss es, sein rasendes Herz zu spüren. Sie genoss es, die Hitze seines Körpers zu spüren.

Der Chreoni schob sie sanft von sich.

"Wir sind noch nicht fertig“, gab er heiser von sich.

Elees schüttelte den Kopf. Sie war nicht bereit, diesen herrlichen Moment aufzugeben, um draußen vor der Stadt um das Leben zu kämpfen.

"Ich muss“, ließ er sich nicht aufhalten. "Es gibt noch etwas zu erledigen." Er rappelte sich mühsam hoch. Die Schürfwunde unter seinem Kettenhemd sandte einen brennenden Schmerz aus. Er verzog das Gesicht und biss sich bald darauf auf die Lippen. Mit dem Fuß stöberte er in den Sägespänen und Stoffrestehaufen herum, bis er auf einen harten Gegenstand stieß. Er bückte sich nach der Waffe und musste erneut das Gesicht vor Schmerz verziehen. Ihm blieb jetzt keine Zeit seine Wunden zu lecken. Nachher hatte er genügend Gelegenheit dazu - oder überhaupt keine.

 

"Verrate mir eines“, wollte Elees wissen und stellte sich auf die Beine. "Was sollte die Maskerade? Was ist geschehen, damals im Wald?"

Es waren zwar zwei Fragen, doch Shaar nahm sich die Zeit sie zu beantworten. Er lächelte milde.

"Ich bin euch gefolgt und beobachtete euch. Dummerweise bin ich dabei einer Bande von Wegelagerern in die Arme gelaufen, die euch auflauerten." Er bückte sich nach seinem Helm und musste wieder die Zähne zusammen beißen. "Ihr habt mich gesehen. So musste ich mir etwas einfallen lassen, um euren dummen Fragen zu entkommen." Er grinste frech und untersuchte die Riemen und Schnallen, ob sie noch zu gebrauchen waren. Sie waren allesamt zerschnitten.

"Dann war es demnach kein Zufall, dass wir uns begegneten“, schlussfolgerte Elees.

"Kein Zufall“, bestätigte Shaar und wischte die schmierige Waffe an einem frischen Haufen Sägespäne ab. "Ich wusste, wer ihr seid, wo euer Ziel lag und was ihr im Schilde führtet. Ich verfolgte euch von Notorha bis zu jenem Wald."

Überrascht blickte Elees auf. Ihr Mund blieb offen stehen. "Woher wusstest du das alles“, wollte sie wissen.

Shaar unterbrach seine Arbeit und sah sie ernst an. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich Geheimnisse verrate“, fragte er zurück und hielt ihrem Blick stand, bis sie sich abwendete.

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich augenblicklich. Sie hatte geglaubt, dass sie beide von nun an zusammen gehörten. Scheinbar irrte sie sich. Es kränkte sie, dass er kein Vertrauen in sie besaß. Es schmerzte und versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie wand sich abrupt ab, stopfte hastig ihr Hemd in die Hose und entschloss sich diese kurzen wundervollen Minuten zu vergessen.

"Bitte verzeih die Frage“, murmelte sie gekränkt und wollte an ihm vorbei, den Raum verlassen.

Der Chreoni hielt sie fest. Sie zerrte ihren Arm frei und hätte ihm am Liebsten ins Gesicht gespuckt, wenn ihr ihre Spucke nicht plötzlich zu schade dafür gewesen wäre. Sie missverstand sein Grinsen und fauchte ihn wütend wie eine Wildkatze an.

Jetzt erst begriff Shaar, dass er sie gekränkt hatte. "Tut mir leid“, entschuldigte er sich. "Ich wollte damit nur ein paar Freunde schützen. Bevor nicht alles vorbei ist, möchte ich dieses Geheimnis selbst meinen engsten Freunden nicht verraten. Es gibt Mittel und Wege, selbst die hartnäckigsten zum Reden zu bringen."

Elees böser Blick schwand langsam.

 

Der darauf folgende Kuss wurde jäh gestört.

Ein heiserer Schrei ließ die beiden herumfahren. Blutüberströmt und mit einem wahnsinnigen Ausdruck in den Augen, sprang Botamis auf, riss eine Fackel aus ihrer Halterung und stürmte damit auf die Zwei los. Shaar reagierte prompt, wirbelte herum, schlug mit dem ersten Hieb die Fackel nebst Hand ab und trennte mit dem Zweiten Knochen von Fleisch und Blut. Die lodernde Fackel landete in einem Haufen mit Schweinefett getränkter Sägespäne. Sofort fing dieser Feuer. Rasend schnell breitete sich das Feuer über den Boden aus und Shaar und Elees musste sich beeilen, die Todesfalle zu verlassen. Der Chreoni kippte den Trog mit dem rostigen Wasser aus und erhielt so einen engen, allerdings nur kurz anhaltenden Notausgang. Er stieß Elees hindurch und folgte schnell.

 

8.

 

 

Dank der Hilfe der Chreoni-Krieger wendete sich die Lage zugunsten der Rebellen. Es gab nur wenige Barrikaden, die noch nicht von ihnen eingenommen worden waren. Die Soldaten mussten immer weiter zurückweichen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das eigentliche Schloss eingenommen werden konnte.

 

Shaar marschierte mit Elees geradewegs in den Thronsaal, wo Talina weniger Glück gehabt hatte. Imeta konnte sie überlisten. Talina saß nun auf dem Thron der Königin, aber mit Stricken, die eigentlich die Vorhänge halten sollten, fest verschnürt.

"Du wolltest doch schon immer auf den Thron“, lachte Imeta. "Genieße es, solange du noch lebst." Sie setzte ihre Rubinkrone ab und setzte es der Schwester auf ihr zerzaustes Haar. "Eine Krone für die Königin."

Das Schrammen von Stiefel ließ sie herumschrecken.

 

Kurz huschte ein überraschter Ausdruck über ihr Gesicht. Dann besann sie sich wieder und ihr triumphierendes Grinsen erschien wieder. Sie hatte Talina gefangen und vielleicht gab Shaar nach, wenn sie sie quälte? Mit dem langen Stock von Talina pickte sie solange in die Rippen ihrer Schwester, bis diese jammerte.

Es machte auf den Chreoni keinen Eindruck. Unbeeindruckt marschierte er weiter und musste Elees hinter sich herziehen, der es nicht so wohl bei dem Gedanken war, der Königin so nahe zu kommen.

"Ich töte sie, wenn du näher kommst“, schrie Imeta plötzlich und Shaar blieb wie angewurzelt stehen. Er spürte das ängstliche Zittern des Mädchens und drückte ihre Hand fester. Plötzlich machte sie sich von ihm frei und wich langsam und auf leisen Sohlen zurück. Er musste sich auf die Königin konzentrieren und durfte sich wegen Elees Rückzug nicht den Kopf zerbrechen. Doch bald kehrte sie zurück und hielt eine goldene Kette mit einem roten Anhänger in ihren spitzen Fingern, als hätte sie eine Maus an ihrem Schwanz aus dem Loch gezogen. Sie hatte das Schmuckstück unter einem umgekippten Stuhl gefunden und dachte, es könnte ihm noch behilflich sein. Shaar zog milde einen Mundwinkel hoch und nahm es ihr, mit ebenso spitzen Fingern ab. Er ließ seinen Helm fallen und ging langsam auf Imeta zu. Das Scheppern des Helmes ließ die beiden Frauen leicht zusammen schrecken. Imeta erholte sich schneller und beobachtete den Chreoni mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen.

 

Shaar blieb in angemessenem Abstand vor ihr stehen und hielt ihr den Edelstein hin. Als Imeta danach griff, ließ er es fallen, bevor sie es erwischen konnte. Dann zog er sein Schwert aus der Scheide, ohne Imeta aus den Augen zu lassen, umfasste den Griff mit beiden Händen und richtete die Spitze der Klinge zu Boden.

 

"Niemand wird jemals mehr Macht über mich haben“, sagte er drohend und stieß zu. Er traf den Stein. Die Splitter sprühten auseinander, wie die Funken eines berstenden Kohlestückes.

Imeta schrie entsetzt auf. Sie starrte die Rubinstückchen an, die nun wie kleine Blutstropfen auf dem Steinboden lagen und hob langsam den Kopf wieder.

"Wie kannst du das ... ." Weiter kam sie nicht.

So schnell, dass kein menschliches Auge folgen konnte, sauste eine gleißende Klinge durch die Luft und raste geradewegs zwischen Schulter und Kopf hindurch. Nur für den Bruchteil einer Sekunde blitzte das blankpolierte Metall auf.

Leblos sank die Königin zu Boden.

 

Talinas Prophezeiung hatte sich erfüllt. Obwohl ihr die Fesseln Schmerzen bereiteten, lächelte sie erleichtert.

Schnell eilte Elees zu ihr, um sie zu befreien. Sie benutzte dazu einen abgebrochenen Speer.

Shaar stieß einen Freudenschrei aus, dass die beiden Frauen zusammen schraken.

"Komm her, mein Junge. Lass dich drücken“, forderte Talina freudig auf, als sie endlich wieder aufstehen konnte. Shaar eilte zu der alten Frau und nahm sie in die Arme. Er hob sie an und wirbelte sie überschwänglich herum, dass sie aufkreischte.

Etwas eifersüchtig beobachtete Elees dies, hütete sich jedoch davor, einzugreifen.

Als Shaar die kichernde Talina absetzte, winkte er Elees herbei. Zögernd kam sie näher. Die Freundschaft der Beiden hatte gerade eben begonnen, während sich Talina und Shaar bereits ein Leben lang kannten. Der Chreoni zog das Mädchen an sich und küsste sie auf den Mund. Er drückte sie zärtlich an sich und sie schmiegte sich an ihn.

Elees bekam auch von Talina einen Kuss auf die Wange. Talinas Gesicht war gerötet. Sie strahlte.

"Hoffentlich bleibt mir noch genügend Zeit, dich kennenzulernen“, kicherte sie. "Shaar erzählte mir schon viel über dich. Ich brannte darauf, dich endlich zu sehen. Und ich muss sagen, er besitzt einen guten Geschmack."

Dieses Kompliment ließ Elees erröten. Sie war ihm also bereits die ganze Zeit schon nicht gleichgültig gewesen. Und er hatte nichts gesagt. Aber sie verstand ihn. Sie drückte sich an seine Schulter.

"Und jetzt lass uns sehen, ob wir denen da draußen noch irgendwie helfen können“, drängelte Talina und schob das verliebte Pärchen vor sich her.

 

Als sie beim Verlassen des Thronsaales an Shaars Helm vorbei kamen, bückte er sich danach und ignorierte den Schmerz seiner aufgeschürften Rippen. Ein kurzes Verzerren des Gesichtes konnte er jedoch nicht verhindern.

"Von nun an gibt es kein Versteckspielen mehr“, rief er und schmetterte den Helm an die Wand, wo er arg verbeult und schrecklich verstimmt zu Boden fiel.

 

Zu helfen gab es nicht mehr viel. Mit dem Tod der Königin war plötzlich alle Kampfkraft und Mut von den Soldaten gewichen. Wie schüchterne kleine Jungen ließen sie sich umherscheuchen, entwaffnen, leisteten keinen Widerstand oder liefen schreiend davon. Die Macht der Königin war gebrochen.

Auf dem Schlossplatz, wo sonst Soldaten marschierten, begannen die Leute vor Freude zu tanzen. Sie schlugen auf alle Gegenstände, die Lärm, oder irgendeine Art von Musik erzeugen konnten, lachten und sangen, tanzten und sprangen ausgelassen umher. Überschwänglich vor Glück, johlten sie und schrien sich die Jahrelange Last von der Seele.

 

Elees Name wurde gerufen. Sie wand sich suchend um. Aus der wogenden Menge, bahnten sich Dane und Josip einen Weg heraus. Die Wand aus Leibern tat sich ein weiteres Mal auf und entließ Connor. Als Dane den demaskierten Chreoni entdeckte, blieb er einen Moment verwundert stehen. Man konnte es in seinem Kopf förmlich arbeiten sehen. Plötzlich grinste er über das ganze Gesicht.

"Also du bist doch ... „, begann er lachend zu schimpfen. Dann fielen sich die beiden Freunde in die Arme und trennten sich lange nicht mehr. "So etwas Verlogenes und Hinterhältiges, wie dich, habe ich noch nie erlebt“, schimpfte er weiter und knuffte Shaar an die Schulter. Auch er hatte in dem Chreoni den armen Kerl von dieser unheilvollen Nacht erkannt. "Was sollte die Maskerade“, fragte er und entdeckte plötzlich etwas fehlendes an ihm. "He! Wo ist dieses Ding“, wollte er wissen und stupste Shaar auf die Brust, wo zuvor der Rubin gehangen war. "Mir ist nämlich eingefallen, wo ich so etwas schon mal gesehen haben. Imeta trägt auch so einen Stein."

"Zu spät“, viel ihm Elees ins Wort. "Sie trug ihn. Es war ihrer."

Als sie Sprache auf den Rubin kam, fiel Talina die Krone ein, die sie noch immer trug. Sie nahm sie ab und setzte das kostbare Stück auf Elees Kopf, während Shaar Connor und Josip begrüßte.

Elees wusste nicht so Recht, wie ihr geschah und wollte die Krone gleich wieder abnehmen, doch Talina hinderte sie daran.

"Du bist eine bessere Herrscherin, als ich es je sein kann und wirst das Land länger, als ich regieren können. Außerdem braucht das Volk nach diesem Trubel ein junges bildhübsches Gesicht an der Seite des Königs. Und ich sehe wohl eher wie eine vertrocknete Wurzel aus."

Das Mädchen fing einen bewundernden Blick von Shaar auf. Sie sah verlegen zu Boden. Das hätte sie sich nicht einmal in ihren geheimsten Träumen gewünscht. Sie, an der Seite von Shaar, Herrscherin über das Land. Sie schüttelte den Kopf, hatte aber sogleich Angst, das kostbare Stück würde herunterfallen.

"Du willst nicht“, hörte sie die enttäuschte Stimme Talinas. "Aber wieso?" Sie streichelte dem Mädchen über die Wange. "Keine Angst. Ihr beide schafft das schon. Ihr seid stark genug."

Dane mischte sich ein, ohne auch nur ein Wort von der Unterhaltung mitbekommen zu haben.

"He, Schwesterchen." Er nahm sie in die Arme. "Das steht dir gut. Vater wäre Stolz auf dich." Er küsste sie auf die Nase und auf die Wange. Sie klammerte sich an ihn, als wäre er der einzige Halt, den sie noch hatte, vor dem drohenden Absturz.

Josip packte beide und drückte sie noch mehr zusammen. Die Geschwister stöhnten. Josips bellendes Lachen übertönte fast die seltsame Musik der Feier. Er gab die Zwei erst frei, als Shaar besorgt um seine Elees hinzu sprang. Der Griff des Bären hätte das zierliche Mädchen wahrlich zerquetschen können.

"Pass auf sie auf“, ermahnte Dane den Chreoni. "Ich warne dich! Wenn sie nicht glücklich ist, bekommst du es mit mir zu tun."

Shaar nickte stumm und schützte das Mädchen vor der überschwänglichen Begeisterung der Menge. In seinen Armen fühlte sie sich so sicher, wie in einer uneinnehmbaren Festung. Josip hielt Shaar seinen Dolch hin.

"Behalte ihn und denke an die Bestie, die ihn dir schenkte“, winkte dieser jedoch ab.

Josip grinste und steckte ihn in seinen Gürtel. Von nun an besaß er eine Trophäe, die er Stolz umher zeigen würde. Die Waffe des künftigen Königs war jetzt seine.

 

Das Freudenfest in Serphauce dauerte noch bis in die tiefe Nacht an. Und selbst die entferntesten Städte und Länder, die vom Tod der Königin hörten, veranstalteten ein Fest.

Dieser Tag, der Tag des Sieges über die böse Herrschaft und der Befreiung von Imeta wurde zum Feiertag ernannt. Und jedes Jahr ergründete man Freudenfeuer und tanzte und sang zu Ehren des jungen Königspaares.

 

 

 

 

E N D E

 

 

Impressum

Texte: Ashan Delon
Lektorat: myself
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2015

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