Es war längst dunkel geworden, als Walter Swarsky, der Prokurist einer Elektronikfirma nach Hause ging. Auf dem Firmenparkplatz parkte kein einziger Wagen mehr und die Beleuchtung zauberte große helle Kreise auf den leeren Asphaltboden. Walter schniefte. Die Klimaanlage im Inneren der Bürogebäude und die Hitze auf den Straßen stellten eine große Herausforderung an sein Immunsystem. Trotz der Grippeimpfung Anfang des Jahres, schien ihn diese lästige Plage dennoch heimsuchen zu wollen.
Er klemmte seine Aktentasche unter die Achsel, angelte in seinen Taschen nach einem Taschentuch und wollte sich eben die laufende Nase putzen, als ihn ein merkwürdiges Geräusch stutzig machte. Er blieb stehen und lauschte in die Nacht.
Irgendwo kreischte jemand. Polizeisirenen heulten durch die Häuserschluchten. Ein Hund bellte. Aber nicht die alltäglichen Geräusche einer Großstadt machten ihn stutzig. Da war etwas anderes. Ein leises Sirren, wie das einer Mücke, die nah am Ohr vorbei flog. Er blickte sich um, konnte aber nichts entdecken.
Das Sirren kam näher. Walter sah sich abermals um, musste aber erfolglos mit den Schultern zucken. Vielleicht hatte irgendjemand einen Kreisel in die Nacht fliegen lassen, dachte er bei sich. Doch da bemerkte er aus den Augenwinkeln heraus auch schon etwas äußerst Merkwürdiges. Eine leuchtendes Etwas, kreisrund und knapp einen Meter über den Boden dahin gleitend. Für einen Moment blieb er verwundert stehen und betrachtete das fliegende Ding. Doch als es geradewegs auf ihn zusteuerte, bekam er es mit der Angst zu tun und beeilte sich, zu seinem Wagen zu kommen.
Das Ding kam schnell näher. So schnell, dass Walter kaum seine Schlüssel in das Schloss stecken konnte. Im letzten Augenblick warf er sich zu Boden. Das Ding fraß sich geschmeidig durch die Autotür, zerfetzte die Inneneinrichtung, dass die Polsterstücke nur so flogen, und entfleuchte schließlich durch das Seitenfenster der Beifahrerseite. Glassplitter und Polsterfetzen bildeten dabei einen kurzen, bizarren Schweif. Es kam schließlich in einem weiten Bogen zurück und steuerte abermals auf sein Ziel zu.
Diesmal nahm Walter seine Beine in die Hand und versuchte das schützende Gebäude zu erreichen. Nur knapp einen Meter vor der rettenden Türe erwischte es ihn.
Walter bekam nicht einmal die Gelegenheit nach Hilfe zu schreien.
Ihn hätte sowieso niemand gehört.
# # #
Jason Parkman freute sich natürlich über seine unerwartete Beförderung, doch die Freude wurde durch einen Umstand merklich getrübt: Mit seinem beruflichen Aufstieg stellte man ihm auch einen neuen Partner zur Seite. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er und sein bisheriger Partner Robert Dorsey falsch gemacht hatten. Vielleicht lag es an dem Fall, den sie gerade bearbeiteten: eine Serie von äußerst mysteriösen Morden, an deren Aufklärung die beiden Polizisten bereits über ein Jahr arbeiteten. Und so wie es schien, würden sie es nie schaffen, den Mörder zu fassen.
Jason saß nun im Büro seines Chefs und wartete auf seinen neuen Partner. Alle Versuche seinen Chef von dem Partnerwechsel abzubringen, scheiterten. Captain Crown gab sich unerbitterlich.
"Jason, mir sind die Hände gebunden", versuchte es der Captain zu erklären. Die beiden hatten ein sehr gutes Verhältnis. Hin und wieder, wie in diesem Augenblick, wenn der Captain ihn mit diesem väterlichen Blick ansah, überkam ihn der Eindruck, dass Crown ihn insgeheim als Ziehsohn adoptiert hatte. Tatsächlich herrschte in der ganzen Abteilung ein persönlicher Umgangston und beinahe familiäre Atmosphäre. "Das war nicht meine Idee. Ich weiß sehr gut, dass ihr beide, du und Robert, euch in diesem Fall bestens auskennt. Doch die Anweisung kommt von höherer Stelle und ich muss mich fügen. Also mach keinen Ärger."
"Ich verstehe das nicht", sagte Jason und schüttelte fassungslos den Kopf. "Mit einem neuen Partner muss ich wieder von vorne anfangen."
"Na, so schlimm wird es wohl nicht sein. Du kannst ihn ja einweisen, und wenn er nur ein klein wenig Grips besitzt, wird er schnell im Bilde sein. Nun beruhige dich und warte erst einmal ab." Das Telefon läutete und die Aufmerksamkeit des Captains wurde abgelenkt.
Jason erhob sich verärgert und blickte durch die Glaswände in das große Büro. Seine Kollegen standen, wie jeden Tag, unter Stress. Es gab viele Verbrechen aufzuklären, eine Flut von Anzeigen anzunehmen und noch mehr Papierkram zu erledigen. Er überlegte, ob er einfach gehen sollte, denn schließlich war sein Fall noch längst nicht abgeschlossen und forderte mehr denn je sein Recht. Ihn überkam dann und wann sogar das Gefühl, dass er niemals mit der Aufklärung angefangen hatte. Bis jetzt konnten er und sein bisheriger Partner Robert nichts anderes tun, als unzählige Berichte schreiben und die Leichen der ermordeten Menschen zählen.
Der neue Partner ärgerte ihn bereits, bevor er ihn kennenlernen konnte, denn er hielt es nicht einmal für nötig, pünktlich zu erscheinen. Seine Gedanken blieben an einem Individuum hängen, wie die Kriminellen, Mörder, Dealer, Einbrecher, Diebe und was sonst noch Illegales trieb, im Berufsjargon bezeichnet wurden. Das Individuum sprach mit dem weiblichen Beamten am Empfang. Ein typischer Zuhälter und Dealer, vermutete Jason. Er hatte in seiner Laufbahn als Polizist schon so viele Individuen kennengelernt, dass er sie allesamt zu kennen glaubte. Die Harmlosesten zeigen sich stets auffällig, in lange schwarze Mäntel gehüllt, die Augen hinter dunkle Sonnenbrillen versteckt, mit langen ungepflegten Haaren und Dreitagebart. Vor den Unscheinbaren, jene, die sich in die Verkleidung ehrbarer Geschäftsleute hüllten, musste man sich allerdings vorsehen.
Jason drehte sich um, als der Captain den Hörer auf die Gabel zurückwarf.
"Immer dasselbe", schimpfte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es versprach ein sonniger Tag zu werden und bereits am frühen Morgen, war die Hitze schon so stark, dass man am Liebsten vor der Klimaanlage ausharren mochte, bis der Sommer vorbei war. Captain Crown drehte den Ventilator so, dass es ihm direkt ins Gesicht blies. Nur für einen kurzen Moment gab ihm das die ersehnte Erfrischung, dann hatte sich die Haut daran gewöhnt und verlangte noch mehr Kühlung.
Jason kehrte auf seinen Platz zurück. Wenn sein neuer Partner nicht bald käme, würde er ihn zum Teufel scheren und den Fall allein bearbeiten.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Jason fuhr herum und verschluckte beinahe seine Zunge. Er hatte seinen neuen Partner erwartet und in der Türe stand eben dieses Individuum, das er am Empfang beobachtet hatte. Für einen Moment stieg Panik in ihm auf, doch er schluckte es schnell wieder hinunter.
"Guten Morgen", grüßte das Individuum im langen schwarzen Mantel höflich. "Stefenson", stellte er sich kurz vor.
Captain Crown starrte ihn fassungslos an und musterte ihn von oben bis unten, als er seine Fassung wiedergefunden hatte. "Stefenson? Wirklich?" fragte er ungläubig. Als dieser zustimmend nickte und seine Polizeimarke zum Beweis hochhielt, wand sich der Captain an Jason. "Darf ich dir deinen neuen Partner vorstellen?"
Jason musste die bereits besiegte Panik erneut bekämpfen. Was um Himmels willen hatte er nur angestellt, dass man ihn derart bestrafen musste.
"Dwayne Stefenson", stellte sich sein Partner vor und reichte ihm die Hand.
"Jason Parkman", sagte Jason und erwiderte nur widerwillig die Willkommensgeste.
"Dann macht euch mal an die Arbeit", rief Crown und wies den beiden Polizisten den Weg aus seinem Büro hinaus.
Stefenson machte auf dem Absatz kehrt und wartete in einiger Entfernung auf Jason, als er bemerkte, dass dieser nicht folgte.
"Das darf doch nicht dein Ernst sein", rief Jason fassungslos. "Ich soll mit diesem ..." Ihm fielen die richtigen Worte nicht rechtzeitig genug ein. "Ist er überhaupt Polizist?"
"Du kannst seine Marke auf Echtheit überprüfen", riet Crown. "Und wie ich bereits sagte, es war nicht meine Idee. Du hast jetzt mit Sicherheit alle Hände voll zu tun. Ich ebenfalls. Würdest du mich nun bitte meine Arbeit erledigen lassen?"
Äußerst widerwillig gehorchte Jason. Einem gedemütigten Prügelknaben gleich schlurfte er zu seinem Schreibtisch. Er ging an Dwayne vorbei, als hätte er ihn nicht gesehen und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
"Dass für mich keine Willkommensfete steigt, war mir klar", gab Dwayne lässig von sich und nahm mit einer äußerst coolen Geste die Sonnenbrille ab. "Aber ein einfaches "Hi" hätte ich schon erwartet." Er setzte sich auf den Schreibtisch, ohne vorher die Akten wegzunehmen. "Glaubst du, ich bin in Begeisterungsstürmen ausgebrochen, als man mir die Neuigkeit präsentierte?"
Jason verzog das Gesicht und weigerte sich zu antworten. Ihm war es in diesem Moment sogar vollkommen gleichgültig, ob Dwayne die Akten noch mehr zerknitterte, oder gar ... Schlimmeres anstellte, verbesserte er seine eigenen Gedanken.
"Ich kann mir wahrlich Vergnüglicheres vorstellen, als in einem miefigen Büro, zwischen all den Frackmotten zu sitzen und mich von allen Seiten blöde anquatschen zu lassen", moserte Dwayne und sah sich verächtlich um.
"Du schaffst dir mit deinen beleidigenden Bemerkungen keine neuen Freunde", maulte Jason.
"Wer sagt denn, dass ich welche suche", gab Dwayne ebenso zurück.
"He, mach, dass du da runter kommst. Setz dich gefälligst auf einen Stuhl. Was glaubst du denn, wer du bist", schimpfte jemand, der sie beide beobachtet haben musste.
Dwayne drehte sich um, unberührt von diesen barschen Worten, die zweifellos ihm galten, und suchte den Besitzer der aufgebrachten Stimme.
Ein wohlbeleibter Mann kam auf ihn zugewankt. Er schien als Einziger den Mut zu besitzen, dem Individuum auf Jasons Schreibtisch Manieren beizubringen. Der Ordner in seiner Hand sollte wahrscheinlich für den Notfall als Waffe dienen.
"Hey", rief Dwayne mit einem lässigen Lächeln, blieb aber sitzen. "Wen seh' ich denn da? Nicky, Nikodemus Snyder."
Der Mann blieb stehen und betrachtete das Individuum genauer. Dann erkannte auch er ihn. "Dwayne?", fragte er ungläubig. "Dwayne Stefenson? Das gibt es doch nicht. Was machst du denn hier?"
Dwayne setzte ein breites Grinsen auf und knuffte Nikodemus in seine gutgepolsterten Rippen.
"Was ist denn mit dir geschehen?", grinste er. "Wird bald das Essen verboten, oder hast du Angst übersehen zu werden?"
"Noch immer der alte Dwayne", gab Nikodemus etwas gekränkt von sich. "Deine Sprüche treffen noch immer unter die Gürtellinie."
"Da treffen sie wenigstens richtig", konterte Dwayne frech.
"Demnach haben Lysters Strafübungen auf der Polizeischule es nicht geschafft, dir anständige Manieren beizubringen, was?", schlussfolgerte Nikodemus.
"Du weißt ja, wie er war", grinste Dwayne. "Der Mann gehörte mitten auf das Schlachtfeld eines atomares Krieges gesetzt und nicht in eine Akademie voller junger, zerbrechlicher Kadetten."
"Ich wette, du hast ihn fertiggemacht", nickte Nikodemus wissend. "Schade, dass ich vor dir entlassen wurde. Das hätte ich zu gerne gesehen." Er legte den Ordner auf den nächstbesten Schreibtisch. "Und was machst du hier?"
"Seit heute bin ich Parkmans Partner", erwiderte Dwayne bereitwillig.
"Du tust mir jetzt schon leid", bedauerte Snyder Jason mit einem zwinkernden Auge. "Ich wünsche euch beiden eine vergnügliche Zusammenarbeit. Wir sehen uns sicherlich noch irgendwann." Damit nahm er den Ordner wieder auf und dampfte davon.
"Und du machst dir Sorgen darum, dass ich hier keine Freunde finde", gab Dwayne grinsend von sich und blickte seinen Partner herausfordernd an.
Jason knurrte eine Antwort, die aber nur er verstehen konnte.
"Bevor wir uns gegenseitig das Messer an die Kehlen setzen, würde ich vorschlagen, wir lenken uns mit Arbeit ab", schlug Dwayne vor. "Ich soll dir helfen, deinen Dauerbrennerfall aufzuklären. Dann lass mal hören, um was es dabei geht, Partner."
Jason knurrte hörbar, biss sich auf die Zunge und schluckte seinen Groll hinunter. "Seit über einem Jahr versuchen wir diesen Scheißtyp zu fassen und nun kommst du und glaubst es besser zu können?", maulte Jason ärgerlich.
"Dieser Partnerwechsel wird wohl seinen Grund haben", gab sich Dwayne unbeeindruckt.
"Hat dir schon jemand gesagt, dass du ein arrogantes Arschloch bist?", schimpfte Jason.
"Dass ich arrogant bin, leider noch nicht", konterte Dwayne spitz.
"Du bist es", zischte Jason, erhob sich und marschierte zielstrebig aus dem Präsidium hinaus.
Dwayne folgte ihm grinsend.
Draußen auf dem Parkplatz hatte er ihn endlich eingeholt, ohne sich allerdings sonderlich viel Mühe gemacht, oder seine Schritte beschleunigt zu haben.
"Warte, Parkman", rief Dwayne und lehnte sich auf dem Dach von Jasons Wagen auf. "Ich weiß, dass ich ein Arschloch bin. Du bist nicht der Erste, der das erkennt."
Jason wäre eigentlich ins Auto gestiegen und einfach davongefahren, wenn ihn nicht der plötzliche Ernst in Dwaynes Stimme umgestimmt hätte.
"Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir zwei nicht zusammenpassen", fuhr Dwayne fort. "Ich bin ein Under-Cover-Cop und wie geschaffen dafür, den Dreck der Gosse aufzuwühlen und deine Stärke ist es, deine Fälle vom Schreibtisch aus zu lösen."
"Und?", fragte Jason und gab sich gelangweilt.
"Ich bin ein Spitzenmann und in meinem Job unschlagbar. Mein Chief weiß das genau. Ich denke mir, es gibt einen gewichtigen Grund dafür, dass man uns beide zusammensteckt, und ich glaube, es hat etwas mit deinem Fall zu tun. Irgendein hoher, einflussreicher Boss will anscheinend, dass er umgehend geklärt wird. Nicht umsonst geben sämtliche Chiefs bei diesem Partner-wechsel-dich klein bei."
Was Dwayne sagte, klang überzeugend. Jason überlegte kurz und fand, dass er Recht hatte. Vielleicht halfen die Ideen eines, wenn auch etwas ausgeflippten, Kopfes dabei, die Nuss zu knacken.
"Was ist, willst du mir nicht ein klein wenig davon erzählen?", forderte Dwayne mit einem lässigen Lächeln.
Erneut musste Jason kurz überlegen, bis er endlich den Wagen aufsperrte und einstieg. "Okay, komm", gab er schließlich nach. Ihm blieb im Grunde nichts anderes übrig.
"Geile Karre", meinte Dwayne anerkennend, als er einstieg.
"Tu mir bitte den Gefallen und hebe dir deine Kommentare für Snyder, deinen Chief oder sonst wen auf, aber verschone mich künftig damit", rief Jason gereizt.
"Bin schon still", gab Dwayne entschuldigend von sich, lehnte sich zurück und hielt für die nächsten zehn Minuten den Mund. Wenigstens lange genug, bis Jason auf dem Parkplatz eines Cafès anhielt.
"Gute Idee", rief er begeistert, als er Jasons Absicht erkannt hatte. "Bin es nicht gewohnt, so früh aus den Federn zu kriechen. Mein Frühstück ist heute leider flach gefallen."
"Welch ein Pech", konnte sich Jason nicht zurückhalten.
Dwayne grinste nur und war bereits ausgestiegen, als sein Partner den Motor noch nicht einmal abgestellt hatte.
Die Bedienung betrachtete den Mann, den ihr Stammgast mitbrachte, mit äußerst skeptischen Augen. Sie konnte nicht wissen, dass er ein Polizist war, wenn auch ein ungewöhnlicher.
"Morgen, Jason", grüßte sie, stellte zwei Tassen auf den Tisch und goss Kaffee ein. "Gratuliere zu deiner Beförderung. Wo hast du Robby gelassen?"
"Er ist beschäftigt", erwiderte Jason knapp. "Das übliche, Claire."
"Aber sicher", nickte sie und schien sich irgendwie zu sträuben, ihren anderen Gast zu bedienen.
"Kaffee, soviel du tragen kannst, Süße", grinste Dwayne.
"Wenn's nicht mehr ist", maulte sie und verschwand in der Küche.
Sobald sie außer Sicht und Hörweite war, richtete sich Dwayne gemütlicher auf seinem Stuhl zurecht.
"Du bist befördert worden?", fragte er mehr feststellend. "Gratuliere."
"Danke", knurrte Jason und rührte in seinen Kaffee ein Stück Zucker zu viel hinein.
"Dann lass mal was hören", forderte Dwayne, als gäbe es für ihn kein geringeres Problem.
Jason wies ihn in alle Einzelheiten des Falles ein. Dwayne hörte während der ganzen Zeit aufmerksam zu und unterbrach ihn kein einziges Mal.
"Ich trete von Anfang an auf der Stelle", fügte Jason seiner Erzählung hinzu. "Der Kerl richtet jedes Mal ein entsetzliches Massaker an, aber es gibt weder Zeugen noch irgendwelche Spuren. Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, nichts, nur aufgeschlitzte Leichen, als ob der Mörder durch die Luft angeflogen käme, ein paar Leben auslöschte und wieder davonschwebte. Dass die Leute alle derselben unbekannten exotischen Krankheit zum Opfer fallen, halte ich für sehr unwahrscheinlich." Dann kippte er den Rest seines inzwischen kalt gewordenen Kaffees hinunter. "Es gibt eine Unmenge von Berichten darüber", fuhr Jason fort. "Aber in allen steht dasselbe. Keine Zeugen, keine Spuren."
"Kann die Spurensicherung etwas übersehen haben?", war Dwaynes erste Frage.
"Wenn die absolut nichts finden, forschen sie umso gründlicher nach." Er schüttelte den Kopf. "Nicht den Hauch einer Spur."
"Gibt es irgendwelche Zusammenhänge zwischen den Opfern?"
"Nein, keine", schüttelte Jason erneut den Kopf. "Dem Kerl ist alles Recht. Ob jung, oder alt, dick, oder dünn, Männlein, Weiblein, schwarz, weiß, arm, reich. Ob es ein angesehener Anwalt, oder ein berüchtigter Dealer ist. Er nimmt alles. Vor zwei Wochen eine alte, schwarze Frau, die nicht mehr besaß als eine Plastiktüte voller Kram. Vor neun Tagen ein junges, weißes Mädchen, die von einer Geburtstagsparty nach Hause gehen wollte. Und vorgestern ein älterer, weißer Mann, den es auf dem Parkplatz vor seiner Firma erwischt hatte."
"Und die Orte, an denen es geschehen ist?"
"Mitunter das einzige, was einen Zusammenhang geben könnte. Er schlägt immer Nachts oder in der Dämmerung und auf weiten, offenen und einsamen Plätzen zu, in der großen Lichtung im Park, auf einem großen Supermarktparkplatz oder draußen, außerhalb der Stadt auf einer Wiese. Außerdem benutzt er immer die gleiche Mordwaffe, doch frage mich nicht, was es ist. Die Autopsieberichte streiten sich in diesem Punkt."
"Wieso?"
"Die einen sagen, es war eine irgendwie präparierte Kettensäge, die anderen meinen, so etwas wie überdimensionale Ninja-Wurfsterne wären es gewesen."
"Und wofür hältst du es?", erkundige sich Dwayne nach einer Weile, in der er für kurz in Gedanken versunken war.
Jason zuckte ratlos mit den Schultern. "Ich glaube, nichts von alldem. Der Kerl will uns zum Narren halten. Vermutlich benutzt er einen angespitzten und mit Reißzähnen bestückten Mülltonnendeckel und wirbelt ihn wie einen Diskus durch die Luft. Die Opfer sind regelrecht aufgeschlitzt, aber nicht wie Schweine auf einer Schlachtbank. Dieser Metzger ist ein Stümper und benutzt mit Vorliebe ein stumpfes Messer. Er zerfetzt seine Opfer in lauter kleine Teile."
"Abenteuerliche Vorstellung", verzog Dwayne sein Gesicht. "Aber interessant. Den Typ würde ich gerne kennenlernen."
"Da stehst du nicht allein. Aber ich würde ihm, bevor er nur gute Nacht sagen kann, eine Kugel durch den Kopf jagen."
"Irgendwie klingt diese ganze Geschichte nach Webster", gab Dwayne etwas nachdenklicher von sich.
"Wem?", fragte Jason neugierig geworden nach.
"Webster Deary. Kennst du ihn nicht?"
Jason schüttelte den Kopf.
"Er hätte an deinem Kerl wahrscheinlich eine wahre Freude gehabt. Auch er brachte seine Opfer um, ohne dass auch nur eine Spur von ihm gefunden werden konnte. Kill ..." Damit machte Dwayne eine mörderische Handbewegung unter seinem Kinn. "... und ab."
"Vielleicht ist er es", meinte Jason fassungslos.
"Das glaube ich kaum", schüttelte Dwayne den Kopf und lehnte sich bequem zurück. "Kein Mensch kann solange leben. Webster Deary ist vor zweihundert Jahren gestorben, als er nach übermäßigem Alkoholgenuss in einem Wald einschlief und von einer Ratte in die Halsschlagader gebissen wurde. Blutarmut hat ihn schließlich seiner gerechten Strafe zugeführt. In seinem Vollrausch hat er es nicht einmal bemerkt. Dass er die Morde beging, hat man erst erkannt, als man ihn fand. Keiner ist bis dahin draufgekommen, dass es seine Marotte war, den Opfern irgendetwas zu klauen. Eine Haarlocke, ein Stück Stoff, Münzen, Schmuckstücke. Er trug die ganzen Beutestücke am Körper." Dwayne zuckte mit den Schultern, als wolle er den unglücklichen Zufall entschuldigen.
Enttäuscht schob Jason die leere Kaffeetasse auf die Seite.
"Aber vielleicht ist er doch wieder da. Wir sollten mal nachforschen, ob den Opfern etwas fehlt", meinte Dwayne.
"Auf den Arm nehmen kann ich mich selbst", knurrte Jason verärgert. "Außerdem bin ich schon auf die Idee gekommen. Ihnen fehlt nichts. Nicht ein Härchen."
"Ärgerlich", gab Dwayne wenig bedauerlich von sich und winkte nach der Bedienung. Seine Kaffeetasse war leer. "Wir müssen irgendeinen Zusammenhang finden. Niemand killt irgendjemanden ohne Motiv. Sie müssen alle etwas gemeinsam haben."
"Du kannst ja gerne die Berichte durchwälzen. Solltest du etwas finden …?"
"Nein danke", winkte Dwayne ab. "Was ich wissen muss, hast du mir eben erzählt, nehme ich zumindest an. In Berichten steht nur Quark. Außerdem kennst du sie zur Genüge. Und das reicht." Er grinste die Bedienung an, die missmutig die Tasse auffüllte.
"Wenn einer an Kaffee zugrunde geht, dann er", meckerte sie, weil sie bereits zum fünften Mal nachfüllen musste.
"Es ist nicht der Kaffee", widersprach Dwayne und grinste sie an.
"Deine billige Anmache kannst du dir sparen."
"Ich habe nicht die Absicht dich anzumachen", widersprach er. "Ich finde nur, du könntest dich etwas mehr bewegen."
Die Bedienung verzog ihr Gesicht. Ihr Lippen formten ein lautloses und äußerst unschönes Wort, dann drehte sie sich wieder um und spazierte zurück zur Theke.
"Ich schätze, die nächste Tasse darfst du dir selbst holen", meinte Jason und musste tief durchatmen. „Bist du immer so höflich fremden Leuten gegenüber?“
"Ich habe genug", grinste er über das ganze Gesicht.
"Was findest du eigentlich daran, ständig die Leute zu beleidigen, mit denen du zusammentriffst?", wollte Jason wissen und schnaufte tief durch. Darüber zu diskutieren, war eigentlich müssig. Dwayne schien als Arschloch auf die Welt gekommen zu sein und in seinen Lebensjahren nichts dazugelernt zu haben. Es lag nicht an ihm, ihn umzuerziehen.
"Was findet ein Kerl daran, Leute mit Mülltonnendeckeln zu killen?", fragte Dwayne zurück.
"Ich nehme an, Spaß", erriet Jason.
Dwayne breites Grinsen war Antwort genug.
Mit wenigen langen Schlücken stürzte Dwayne seinen Kaffee hinunter und schob sich dann aus der Bank heraus.
"Ich werde mal ein paar Quellen anzapfen gehen", meinte er abschließend.
"He, warte", rief Jason und sprang auf. Schnell zog er einige Münzen aus der Hosentasche, warf sie auf den Tisch und eilte Dwayne hinter her. "So geht das nicht. Ich habe doch nicht ein ganzes Jahr lang Leichen gezählt und Berichte getippt, damit du dann im Alleingang weitermachen kannst. Wir sind Partner, vergiss das nicht. Entweder wir ermitteln zusammen, oder wir vergessen das Ganze."
"Nun mal langsam", beruhigte ihn Dwayne. "Dort wo ich jetzt hingehe, gibt es Typen, die dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen und zu Handtaschen für ihre Nutten verarbeiten. Also bleib besser hier. Ich verspreche dir, ich komme wieder zurück."
"Entweder beide, oder keiner", ließ Jason nicht locker.
"Du bist also scharf drauf, als Kroko behandelt zu werden."
"Ich habe lange scharfe Zähne."
"Ja", nickte Dwayne. "Die du besser in deine Schreibmaschine haust. Du bleibst hier. Wenn ich dich dabei erwische, wie du mir folgst, kann ich nicht dafür garantieren, dass du dir morgen früh unter der Dusche den Dreck von deiner Haut abschrubben kannst." Damit drehte er sich um und marschierte die Straße hinunter.
"Du bist ein arrogantes Arschloch", schrie ihm Jason hinterher.
Dwayne hob nur die Arme, wand sich aber nicht mehr um.
"Ich bin kein kleines Baby", maulte Jason leiser. "Was glaubst du denn, wofür du dich hältst. Arschloch."
Jason ging in das Café zurück, kam aber bald darauf wieder heraus und ging die Straße hinunter, in dieselbe Richtung, in der auch Dwayne verschwand. Er sah gerade noch, wie Dwayne in ein Taxi stieg, rannte zurück, sprang in seinen Wagen und fuhr hinterher.
Einige Straßen weiter jedoch, wünschte er sich, er hätte auf ihn gehört, denn Dwayne fuhr geradewegs ins übelste Viertel der Stadt, in welches sich bewaffnete Polizisten auch nur in Gruppen hinein trauten. Es war kurz vor Mittagszeit und die Temperatur hatte beinahe den Siedepunkt erreicht. So kam es Jason jedenfalls vor, als er Dwayne immer tiefer hinein folgte. Nur wenige trauten sich bei der Hitze ins Freie. Und die Wenigen reichten schon, Jasons, sonst nicht so leicht kleinzukriegenden Mut, beträchtlich sinken zu lassen. Würde nur Einer Alarm schlagen, wäre er zweifelsohne in Sekunden von äußerst fragwürdigen Individuen umringt und dann würde seine letzte Stunde schlagen. Doch die Hitze machte auch die gefährlichen Bewohner dieses Viertels träge und sie registrierten Jason in seinem feinen Anzug und seinem sauberen und unverbeulten Wagen nur als lästige Schmeißfliege, die mit ein wenig herumwedeln zu verscheuchen war.
Vor einer üblen Spelunke entdeckte er Dwayne, in ein Gespräch mit einem dunkelhäutigen Mann vertieft. Die Beiden mussten sich kennen, denn sie lachten und trieben Scherze miteinander. Jason verstand allerdings kein Wort, obwohl er aller Vorsicht zum Trotz die Fenster weit heruntergekurbelt hatte. Dennoch ließ er die beiden nicht aus den Augen.
* * *
Als Dwayne wenig später gemächlich auf den Parkplatz geschlendert kam, lehnte Jason an seinem Wagen und wartete scheinbar mit schwindender Geduld auf die Rückkehr seines neuen Partners.
"Na, Glück gehabt?", fragte Jason wie beiläufig.
Ohne ein weiteres Wort, packte Dwayne Jasons Reverse am Anzug, vergrub seine Finger in den Stoff, bis er krachte, und drückte ihn rücklings über die Motorhaube.
"Ich habe dich gewarnt", zischte Dwayne bedrohlich. "Tu das nie wieder."
"He, was soll das?", rief Jason und versuchte sich aus dem Griff zu befreien. "Ich weiß nicht, wovon du sprichst."
"Das weißt du sehr wohl. Wenn ich dir sage, du sollst hier bleiben, dann bleibst du gefälligst hier. Verstanden?"
"Du kannst mich gar nicht gesehen haben."
"Hab' ich auch nicht. In dem Viertel haben sogar die Wände Augen und die flüsterten mir eine kleine Warnung zu." Jasons Kopf klopfte hart auf das Metall. "Für die bin ich einer von ihnen und ich lasse mir meine mit viel Mühe aufgebaute Fassade von dir nicht kaputtmachen machen. Also bleib das nächste Mal draußen." Damit drückte er ihn ein letztes Mal über die Haube und gab ihn dann frei.
"Ist ja gut", maulte Jason und richtete seine Kleidung wieder gerade. "Was hat er gesagt?"
"Nichts", zischte Dwayne, noch immer verärgert über die Unvorsichtigkeit seines Partners. "Coolman ist so etwas wie die Tageszeitung. Doch bei ihm hat keiner eine Anzeige aufgegeben."
"Der Mörder wird wohl kaum so dumm sein, vorher in der Tageszeitung zu inserieren", rief Jason.
"Coolman hat nichts übri, für Bekanntschaftsanzeigen. Sein Blatt besteht nur aus Klatschspalten", maulte Dwayne zurück. "Jedenfalls wird er sich melden, wenn er etwas hört."
Damit gab sich Jason erst einmal zufrieden. Er räusperte sich kurz und wickelte die Autoschlüssel um seinen Finger. "Was machen wir jetzt?", wollte er wissen.
"Wie wäre es, wenn du dich über deine Berichte wirfst und herauszufinden versuchst, was die Opfer gemeinsam haben, während ich meine Quellen weiter abklappere", schlug Dwayne vor. "Wir treffen uns im Revier." Damit machte er auf dem Absatz kehrt und schlenderte lässig die Straße wieder hinunter.
"Er ist und bleibt ein arrogantes Arschloch", stellte Jason fest.
# # #
So oft Jason auch die Berichte durchlas, er fand keine Gemeinsamkeiten. Irgendwann gab er es auf und widmete sich seinem Ärger. Es hatte doch keinen Zweck, erkannte er und warf die Akten in eine Schublade. Der Mörder war zu clever und achtete auf die kleinste Kleinigkeit.
Die Tür flog auf und Jason schrak hoch. Dwayne marschierte lässig herein. Er machte ein Gesicht, wie nach einem Streit. Scheinbar konnte auch er keine Erfolge verbuchen.
"Und?", wollte Jason ein wenig schadenfroh wissen.
"Keine Zeugen, keine Spuren", gab Dwayne erschöpft von sich und zog die Schultern hoch. "Keine Ahnung."
"Hier ist auch nichts." Mit Schwung stieß er die Schublade zu, in der er zuvor die Akten gelegt hatte. "Gehen wir nach Hause", schlug Jason vor. "Vielleicht steht morgen etwas drin." Als sich die Beiden gegenüberstanden, hielt Jason inne.
"Hast du Lust meinen Partner kennenzulernen?", fragte er und verbesserte sich schnell. "Meinen ehemaligen Partner, Robert Dorsey."
"Warum nicht?", erwiderte Dwayne. "Ich habe sowieso nichts Besseres vor."
"Geile Bude", rief Dwayne anerkennend und spazierte durch Jasons Wohnung.
"Die Wohnung gehört Robby und mir", erklärte Jason und ging in die Küche. "Willst du etwas trinken? Bier, Whiskey? Oh, Bier ist leider alle."
"Soda", verlangte Dwayne und grinste gleich darauf über Jasons überraschtes Gesicht. "Ich kann Whiskey nicht ausstehen." Dann machte er es sich in einem Sofa bequem. „Seid ihr zwei ein Paar?“, wollte Dwayne scheinheilig wissen.
„Arsch!“, fauchte Jason gereizt und warf den Kühlschrank lautstark zu. „Das ist eine reine Zweck-WG. Kennst du die maßlos überzogenen Mietpreise hier in der Stadt?“
Dwayne grinste weiterhin bis über beide Ohren, sagte aber nichts mehr weiter.
"Deine Informanten wissen auch von nichts, oder?", schlug Jason das Thema um. Er stellte zwei Gläser und zwei Dosen Soda auf den Tisch und setzte sich gegenüber.
"Ich glaube bald, der Killer ist der Mülltonnendeckel selbst", gab Dwayne nach einem Schluck aus der Dose milde lächelnd von sich. "Jetzt müssen wir nur noch die zugehörige Tonne finden."
"Bei über fünfhunderttausend, die in der Stadt stehen, wird das eine lange Suche. Hast du Hunger?"
Dwayne schüttelte stumm den Kopf und lehnte sich zurück. Vielleicht stand an der Decke die Lösung des Problems, doch wenn, niemand vermochte sie zu lesen. "Ein Kerl, der seit einem Jahr sein Unwesen treibt", sprach er laut vor sich hin. "Niemand kann solange Leute abschlachten und verschwinden, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Irgendetwas muss es geben."
"Soll ich dir von den Nächten erzählen, die Robby und ich uns um die Ohren schlugen, weil wir genauso dachten. Am Morgen erkannten wir dann stets, dass es nichts gab."
"Für gewöhnlich reizt man den Killer zu einer weiteren Tat und gibt sich als Opfer aus. Doch mit was kann man ihn locken, wenn man nicht weiß, worauf er fliegt."
Jemand war an der Wohnungstür. Schlüssel klimperten.
"Das wird Robby sein", rief Jason und eilte ihm entgegen. "Hi, Robby, na, wie war es?"
"Eine echte Scheiße ist das", maulte Robert sogleich und warf seine Uniformjacke über einen Haken. "Möchte wissen, was sie sich dabei gedacht haben. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich meinen neuen Partner mitbringe. Aber erschrick nicht."
Die Frau, die hinter ihm in den Flur trat, trug zweifellos eine Polizeiuniform, doch ihr Gesicht und ihre Frisur passte eher zu einer Prostituierten. Fassungslos starrte Jason die neue Partnerin seines Freundes an. Ihre Aufmachung kam ihm irgendwie seltsam bekannt vor.
"Hi, Dwayne", grüßte sie Kaugummi kauend.
Jason fuhr herum.
Dwayne ging an ihm vorbei, nahm die seltsame Polizistin in den Arm und küsste sie. Die Zwei umgarnten sich, wie zwei balzende schräge Vögel, ordinär und völlig ungezwungen. Sie zogen eine ungezügelte Show ab, die nur für sie allein zu gelten schien.
Robert und Jason blickten sich fassungslos an. Sie schüttelten die Köpfe und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Woher kannten sich die Zwei? Aber wenn sie das knutschende Paar betrachteten, wussten sie, die zwei gehörten zusammen.
"Da staunt ihr, was?" grinste Dwayne, als er endlich von ihr abgelassen hatte. Er lehnte sich lässig an einen Türstock. Die viel zu übertrieben geschminkte Polizistin lehnte sich zu ihm, als wäre das eben abgezogene, das normalste der Welt gewesen. „Wir sind unter uns“, sagte Dwayne ganz zwanglos und wandte sich an die beiden Männer. „Ich braucht euch keinen Zwang anzutun. Tut, wonach euch ist.“
„Wir sind kein Paar!“, zischte Jason säuerlich. „Wenn du das noch einmal erwähnst, poliere ich dir die Fresse.“
Dwayne lachte nur. "Das war bis vor Kurzem meine Partnerin, Susan“, erklärte er.
"Wer ist das?", wollte Robert wissen und blickte verwirrt von einem zum anderen.
"Mein jetziger Partner, Dwayne Stefenson", erwiderte Jason.
"Was soll dieser Partnertausch?", fragte Robert verwirrt und blickte von einem zum anderen. "Ich werde von der Straße wegdegratiert und muss nun Akten wälzen, so eine verdammte Scheiße."
"Ich schätze, ich liege mit meiner Vermutung gar nicht so weit weg", wand sich Dwayne an Jason.
"Aber wer?", fragte Jason und wusste, wovon Dwayne sprach.
"Wer auch immer, er besitzt genug Einfluss, um meinen Chief zu überreden, mein Cover zu lüften und deinen, deinen Freund zwischen Regale zu stecken."
"Gibt es hier auch was zu trinken", meldete sich Susan zu Wort. "Ich habe heute so viel Staub inhaliert, wie andere Joints." Sie machte sich aus Dwaynes Griff frei und erkundete die Wohnung. "Wow, geile Bude", rief sie begeistert und ließ sich in das Sofa fallen. "Hier lässt es sich aushalten, was?"
Die Männer folgten ihr und setzten sich mehr oder weniger betreten in die Wohnzimmermöbel. Sobald Dwayne neben Susan saß, überfiel sie ihn erneut mit ihren knallroten Lippen. Jason fand, ihre Art sich zu küssen, ähnelte mehr der Balz von Seelöwen.
Dwayne machte sich frei. Seine Gedanken schienen nicht zu seiner Partnerin zurückkehren zu wollen.
"Du warst heut bei Coolman, habe ich läuten hören", kaute sie auf ihrem Kaugummi, der sich trotz Knutschorgie immer noch in ihrem Mund befand.
"Du bist hoffentlich nicht auch noch dort gewesen?", fragte Dwayne sofort zurück.
"Nee", rief sie. "In seine Nähe würde ich mich nur trauen, wenn du mich vor seinen ekligen, ständig grapschenden Händen bewahrst. Wie geht es dem alten Spanner?"
"Wie immer", antwortete Dwayne grinsend. "Wieder eine Frau mehr."
"Wenn jemand das Gesetz der Bigamie mit Füßen tritt, dann Coolman", kicherte sie und ließ sich auf das Sofa zurückfallen. Ungeniert legte sie ihre Füße auf den Tisch und rekelte sich in Dwaynes Arme. "Wie sah dein Tag aus, Süßer? Meiner war furchtbar öde. Ich wusste gar nicht, dass es so viel Papier auf einem Haufen gibt. Und was die Leute alles so für Problemchen haben?!" Kichernd zog sie Dwaynes Lippen an die ihren. "Der Eine klaut dem Anderen was, und dann holt er es sich zurück und der Erste sagt wiederum, er hätte es ihm geklaut. Toll was? Wahnsinnig faszinierend." Sie warf Robert ein Augenzwinkern zu. "Und stell dir vor, da behauptet doch tatsächlich einer, ein UFO gesehen zu haben."
Ein Ruck ging durch Dwayne, als das Wort UFO fiel. Er schob Susan mit sanfter Bestimmtheit von sich und erhob sich langsam.
"Genau, das ist es", murmelte er leise vor sich hin. Dann wand er sich zu Jason. "Kein Mülltonnendeckel, sondern ein UFO."
"Bist du jetzt völlig übergeschnappt?", rief Jason.
"Bin ich nicht", grinste Dwayne. "Es wird Zeit, dass ich Onkowski mal wieder einen Besuch abstatte."
"Wer zur Hölle ist Onkowski?", wollte Jason wissen und musste sich beeilen, hinter Dwayne herzukommen. "He, warte!"
"Wer ist Onkowski?", wollte Robert von Susan wissen, als die beiden überstürzt die Wohnung verlassen hatten.
Sie zuckte unwissend mit den Schultern. Dann eilten auch sie ihren Partnern – ihren ehemaligen Partnern hinterher.
"Es ist beinahe Mitternacht", rief Jason. "Du kannst doch niemanden mehr besuchen." An seinem Wagen hatte er Dwayne endlich eingeholt, aber auch nur, weil dieser dort wartete.
"Onkowski ist der Erste, den ich von einem UFO habe reden hören", erklärte Dwayne.
"UFO? Du spinnst wohl", rief Jason ärgerlich.
"Überlege mal. Es fliegt durch die Luft, hinterlässt keine Spuren, niemand sah es und niemand konnte von ihm erzählen", versuchte Dwayne seinen Partner auf die gleichen Gedanken zu bringen.
"Es gibt keine UFO's."
"Ich hätte eigentlich gleich draufkommen können. Los, schließ deine Karre auf", forderte Dwayne ungeduldig.
"Dwayne, es ist mitten in der Nacht, zu spät um jemanden zu befragen."
"Nun mach schon", rief Dwayne ungeduldig und klopfte auf das Wagendach.
Widerwillig kramte Jason seine Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Viel zu langsam, für Dwayne.
"Beeil' dich", rief er ungeduldig.
Zwischenzeitlich erreichten auch Robert und Susan den Wagen und stiegen mit ein.
* * *
"Hier ist es, halt an", rief Dwayne und zeigte auf ein einsam gelegenes Haus weit außerhalb der Stadtgrenzen. Es brannte noch Licht in den Fenstern. "Er ist noch wach. Siehst du. Wir können ihn doch noch besuchen." Grinsend öffnete er die Tür und spazierte auch schon über die Einfahrt.
"Dwayne, warte", rief Jason genervt und eilte hinterher. Ihm ging es langsam auf die Nerven, dass sein neuer Partner in ihrer, erst seit knapp fünfzehn Stunden existierenden, Partnerschaft das Bestimmen übernommen hatte. Ihm gefiel es nicht, dass Dwayne den Fall, an dem er selbst zu scheitern drohte, beinahe allein lösen wollte.
"Mister Onkowski", rief Dwayne laut und klopfte an die Tür.
Ein Hund bellte im Inneren des Hauses. Schlürfende Schritte kamen bald darauf näher. Endlich machte ein älterer Mann die Türe auf und betrachtete die späten Gäste mit äußerst missbilligenden Augen.
"Soll das ein Überfall sein?", knurrte er ärgerlich und begutachtete Dwayne von oben bis unten. Dann entdeckte er Jason in seinem feinen Anzug und die beiden uniformierten Personen, im Hintergrund. "Wer seid ihr?"
Dwayne zog seine Dienstmarke und zeigte sie dem Mann. "Mister Onkowski", begann er. "Vielleicht erinnern Sie sich noch an mich. Ich bin der Beamte, der damals wegen Ihrer Kuh hier war, wissen Sie das noch?"
Onkowski verzog das Gesicht, schien sich aber zu erinnern.
"Das ist lange her", knurrte er mürrisch. "Außerdem glaubte mir das sowieso keiner." Damit wollte er die Türe wieder schließen. Dwayne stellte seinen Fuß in den Türspalt.
"Wir müssen mit Ihnen reden, bitte."
"Verschwindet", rief er ärgerlich.
"Dieses Ding, von dem Sie damals sprachen, ist es zwischenzeitlich wieder aufgetaucht?", wollte Dwayne wissen und nahm seinen Fuß nicht aus der Türe.
"Hör mal, Freundchen", drohte der Mann mit der Faust. "Ich musste mir allerhand anhören, wegen dieser Geschichte. Man hat mich sogar für verrückt gehalten. Ich habe keine Lust, das Ganze noch einmal durchzumachen. Also verschwindet."
"Es ist wieder da", lockte Dwayne.
"Was ist wieder da?", knurrte Onkowski.
"Das Ding, das ihre Kuh getötet hat."
Onkowski überlegte kurz. "Finde ich großartig", maulte er. "Und was wollt ihr nun von mir?"
"Ich mochte wissen, was Sie genau getan haben, als dieses fliegende Etwas auftauchte", erwiderte Dwayne.
"Das habe ich doch schon alles der Polizei erzählt, und wenn ich mich recht erinnere, auch Ihnen."
"Sie sagten, Sie wären den Hügel hinauf gegangen und hätten Ihre Kuh geholt. Als Sie wieder runterkamen, war es plötzlich da", wiederholte Dwayne die Worte des Mannes.
Onkowski stutzte. "Bemerkenswertes Gedächtnis", gab er anerkennend von sich. "Genau das sagte ich. Das ist Jahre her."
"Genau gesagt, sechs Jahre und zwei Monate", wusste es Dwayne genau. "Bitte erinnern Sie sich. Was haben Sie genau getan? Jeder einzelne Schritt, jede Bewegung. Erzählen Sie es mir."
Der alte Mann überlegte. "Ja", begann er endlich. "Ich wollte Lisa von der Weide holen. Billy, mein Sohn sollte es tun, weil es mir an diesem Tag nicht besonders gut ging. Ich leide an Rheuma und an diesem Tag erwischte es mich ganz schön. Es war so ein nasskaltes Wetter. Billy vergaß es, wie immer, wenn er etwas für mich tun sollte. Er zog lieber mit seinen Kumpels rum, als dass er sich um den Hof kümmerte. Also musste ich es selbst tun. Ich merkte es erst mitten in der Nacht, als ich Lisa brüllen hörte. Sie liebte es nicht, nachts draußen zu sein. Also ging ich raus, um sie zu holen. Ja, und als ich mit Lisa den Hügel wieder runter ging, war es plötzlich da. Es tauchte aus dem Nichts auf, sauste durch die Kuh durch und verschwand wieder im Nichts." Onkowski zuckte mit den Schultern.
"Gehen wir zum Hügel", meinte Dwayne und nahm endlich seinen Fuß aus der Tür.
Missmutig gehorchte Onkowski. Er zog seinen Hausmantel enger um sich und folgte dem Polizisten auf die Weide.
"Dort oben ist das Gatter zur Weide", wies Onkowski auf die Spitze eines kleinen Hügels. "Ich bin da rauf gegangen, öffnete das Gatter und ließ Lisa raus, die dort schon gewartet hatte, schloss es und ging wieder runter."
"Aus welcher Richtung kam es?", wollte Dwayne wissen.
"Von dort oben", zeigte Onkowski erneut auf die Spitze des Hügels.
"Nachts und ein freier Platz", sagte Dwayne zu Jason.
"Ja, und?" Jason schüttelte ungläubig den Kopf. "Aber ich verstehe nicht ganz."
Dwayne war bereits wieder einen Gedanken weiter.
"Wo standen Sie, als es auftauchte, und wo stand Lisa genau", wollte er wissen.
"Lisa lief hinter mir her."
"Demnach war die Kuh zwischen Ihnen und diesem Ding", schlussfolgerte Dwayne.
"Ja", nickte Onkowski. "Das heißt. Sie lief eigentlich neben mir her. Dann erschraken wir beide, als wir dieses Ding bemerkten und dann war Lisa genau hinter mir. Es raste so schnell durch meine Lisa, als wäre sie gar kein Wesen aus Fleisch und Blut gewesen. Mich hat es nur knapp verfehlt. Das arme Tier sah danach aus, als wäre in ihrem Bauch eine Handgranate explodiert." Er schüttelte sich angewidert.
Dwayne begann bereits den Hügel zu erklimmen, noch bevor Onkowski das letzte Wort aussprechen konnte.
"Wie sah dieses Ding denn aus?", wollte Jason wissen.
"Etwa so groß", erwiderte Onkowski und hielt seine Hände in einem Abstand von etwa einem halben Meter auseinander. "Es leuchtete in einem seltsamen Licht. Aber es ging alles so schnell. Man konnte es gar nicht richtig erkennen. Als es auftauchte, war es auch schon wieder verschwunden." Er sah angestrengt zum Hügel hinauf, wo Dwayne das Gatter öffnete.
"Gab es irgendwelche Geräusche von sich?", erkundigte sich Jason, der nicht so recht an die Geschichte glauben konnte.
"Geräusche?", wiederholte Onkowski.
"Ja, irgendwas", zuckte Jason mit den Schultern. "Wie das Brummen von Flugzeugmotoren. Oder das Sirren einer Fliege."
"Ich höre schlecht", antwortete Onkowski. "Ich lag den ganzen Tag im Bett und als Lisa brüllte, warf ich nur meinen Hausmantel um und ging sie holen. Mein Hörgerät ließ ich liegen."
"Aber das Brüllen Ihrer Kuh konnten Sie hören", hatte Jason Zweifel.
"Lisas Brüllen war selbst noch am anderen Ende der Stadt zu hören", knurrte Onkowski ärgerlich. "Was macht der Kerl da oben eigentlich?"
"Keine Ahnung", zuckte Jason mit den Schultern und strengte seine Augen an, um Dwayne in der Dunkelheit zu erkennen. "He, Dwayne", rief er hinauf. "Irgendetwas gefunden?"
Dwayne suchte den Boden und die Umgebung ab, soweit es in der Dunkelheit möglich war. Er öffnete das Gatter und ging ein Stück in die Weide hinein und kehrte dann wieder zurück. Als er den Hügel wieder hinunterkletterte, suchte er auch hier den Boden und die Umgebung ab.
"Nach was suchst du eigentlich?", wollte Jason wissen, als Dwayne wieder bei ihnen war.
"Ich weiß nicht", zuckte dieser mit den Schultern. "Irgend etwas."
"Glaubst du wirklich, dass nach sechs Jahren noch eine Spur vorhanden ist?", wollte Jason mit einem kalten Lächeln wissen.
"Wer weiß", zuckte Dwayne mit den Schultern und marschierte zum Wagen zurück.
"Danke, Mister Onkowski. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung", sagte Jason schnell und rannte hinter Dwayne her. Er war dieses ständige Hinterherlaufen überdrüssig.
"Vielleicht könntest du mich einweihen", rief er wütend. "Weißt du noch, wer ich bin? Dein Partner, Mann. Wir arbeiten zusammen. Könntest du mir endlich sagen, was das soll?"
"Du weckst noch die ganze Gegend auf, wenn du so weiter brüllst", erwiderte Dwayne unbeeindruckt. "Und ich wäre dir jetzt dankbar, wenn wir endlich fahren könnten. Ich bin müde."
"Ach, der Herr ist müde", rief Jason wütend. "Du scheuchst uns in diese Einöde hinaus und plötzlich bist du müde. Verdammt noch mal, Dwayne. Ich möchte wissen, was du hier für ein verfluchtes Spiel spielst. Was soll diese Scheiße mit diesem UFO und was hat Onkowskis Kuh damit zu tun? Unsere Aufgabe ist es Mordfälle an Menschen aufzuklären und nicht ein Massaker an Viechern."
"Dieses Vieh wurde mit derselben Waffe getötet, wie deine Leichen", erklärte Dwayne ruhig.
"Ach, und das vor sechs Jahren", rief Jason wütend.
"Du hast es erfasst", entgegnete Dwayne, immer noch die Ruhe selbst, und winkte Susan zu sich. "Komm, Kleine. Lass uns nach Hause gehen." Susan hakte sich bereitwillig bei ihm ein und gemeinsam schlenderten sie ins Dunkle hinein.
"He, wartet", rief Jason. "Ich fahre euch."
"Nein, danke", rief Dwayne, ohne sich umzudrehen.
"Ich sag es immer wieder, er ist und bleibt ein arrogantes Arschloch", murmelte Jason etwas lauter vor sich hin.
"Er ist enttäuscht, dass er nichts gefunden hat", bemerkte Robert und sah ebenfalls zu, wie die Beiden von der Dunkelheit verschluckt wurden.
"Was soll er denn hier finden?", fragte Jason zurück. "Hier, an einem Ort, an dem es vor sechs Jahren geschehen ist und zudem noch an einer Kuh." Jason blickte skeptisch zum Hügel hinüber. "Wenn überhaupt", fügte er leiser hinzu. "Der Kerl hat innerhalb eines Jahres vierundfünfzig Menschen getötet. Was soll er da mit einer Kuh?"
"Zumindest hat er dich auf die richtige Fährte gebracht", warf Robert ein.
"Ob das überhaupt eine Fährte ist, bezweifle ich", rief Jason verärgert und sperrte den Wagen auf. "Eine Kuh von einem UFO massakriert. Auf diese Idee kann auch nur ein solch verrückter Vogel wie er kommen. Lass uns endlich fahren. Ich will ins Bett." Damit fuhr er los.
# # #
Am nächsten Tag standen Dwayne und Jason vor Onkowskis Leiche. Und es sah so aus, als hätte eben jener Mörder wieder zugeschlagen, hinter dem Jason bereits seit einem Jahr her war.
"Verdammt", fluchte er und wandt sich angewidert ab. Er musste nicht unbedingt zusehen, wie die Beamten, Onkowskis Gedärme aus dem Gras kratzten.
Dwayne suchte mit abgeschirmter Hand die Gegend ab und hielt plötzlich inne.
"Wer hat das Gatter geschlossen?", fragte er laut. Niemand meldete sich. "Wer war zuerst hier?" wollte vom den nächstbesten Beamten wissen. Dieser wies auf einen Mann, der vollauf damit beschäftigt war, die Schaulustigen vom Tatort fernzuhalten.
"Als sie angekommen sind, war da das Gatter bereits geschlossen?", erkundigte sich Dwayne bei dem Uniformierten und zeigte den Hügel hinauf.
Der Mann folgte dem Blick und zuckte dann mit den Schultern. "Ich habe nichts angerührt und aufgepasst, dass niemand etwas verändert", gab er pflichtbewusst von sich.
"Was ist mit dem Gatter?", wollte Jason wissen.
"Ich ließ es offen stehen", antwortete Dwayne und begann bereits den Hügel erneut hinaufzuklettern.
"Vielleicht hat Onkowski das bemerkt und es geschlossen", versuchte Jason das geschlossene Gatter zu erklären. "Und wie es der Zufall will, schlug dieser Scheißkerl ausgerechnet hier zu."
Dwayne öffnete das Gatter wieder und ließ es offen stehen. Er lehnte sich an einen Pfosten und betrachtete die umliegende Gegend aufmerksam.
"Dein Mörder", begann Dwayne nachdenklich. "Schlug er schon irgendwann mehrmals an derselben Stelle zu?"
Jason schüttelte den Kopf.
"Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los", sprach Dwayne mehr zu sich selbst, "dass wir ihn heute Nacht auf einen Fehler aufmerksam gemacht haben. Ein Fehler, der sechs Jahre und zwei Monate alt ist."
"Was meinst du damit?", wollte Jason wissen.
"Er wollte nicht die Kuh, sondern Onkowski", erklärte Dwayne seinen Gedankengang. "Er hat ihn knapp verfehlt und bemerkte das nicht, weil sein Ziel hinter der Kuh stand. Er dachte vielleicht, er hätte beide erwischt, ihn und das Tier. Darum kam er nicht wieder zurück. Und heute Nacht erkannte er seinen Irrtum und korrigierte diesen Fehler."
"Woher soll er das erfahren haben? Ich meine, wer sollte es ihm gesagt haben, dass wir ausgerechnet gestern Abend ..." Jason gab es auf. Irgendwie passte es nicht zusammen. Entweder gab es ein Leck in seiner unmittelbaren Nähe, oder ... "Aber ein UFO", rief Jason verzweifelt. Die Theorie mit der fliegenden Leuchtscheibe wollte sich nicht mit seinem klar denkenden Verstand vereinbaren. Irgendwie drehte sich alles um ihn.
"Von mir aus auch Mülltonnendeckel, wenn dir das leichter fällt", gab Dwayne schnippisch zurück. "Aber ich hatte Recht. Onkowskis Kuh, deine Leichen und schließlich Onkowski selbst, wurden von ein und derselben Waffe kaltgemacht."
Jason musste sich nun selbst an einen Pfosten lehnen. "Das klingt für mich wie ein Science-Fiction-Horror", murmelte er vor sich hin. "Was um alles in der Welt sollte dieses ... UFO ... hier wollen? Wenn er vorhat, die Erde zu erobern, da hat er bei dem Schnitt von vierundfünfzig Leuten pro Jahr, überhaupt keine Eile. So viele, wie er inzwischen umbrachte, kommen in einer mittleren Stadt an einem Tag zur Welt. Also was sollte das?"
"Fünfundfünfzig", verbesserte Dwayne.
"Und warum erst seit einem Jahr? Was machte er in der Zwischenzeit? Hat er in der Zwischenzeit anderswo sein Unwesen getrieben? Warum macht er das?"
"Das herauszufinden, ist wohl unser Job", gab Dwayne wie selbstverständlich von sich und stieß sich von dem Pfosten ab. Bevor er den Hügel wieder hinunterging, fiel ihm etwas ein. "Sprach Susan gestern nicht von einem UFO, das jemand gesehen haben wollte?"
"Ich glaube schon", nickte Jason.
"Statten wir diesem Jemand einen Besuch ab", entschied Dwayne und stieg nun endgültig ab.
Jason musste tief durchatmen, bevor er seinem Partner folgen konnte.
Als Jason zu seinem Wagen ankam, saß Dwayne bereits drin und sprach über Funk mit Susan.
"Hör mal Kleine. Du erwähntest gestern etwas von einem UFO. Was ist da vorgefallen?", fragte er in das Mikro.
"Sekunde", kam es aus dem Lautsprecher. "So, da ist die Akte. Also ... Eine Laura DeBrien gab an, gestern Morgen etwas gesehen zu haben, das wie ein UFO aussah. Es hätte ihren Hund getötet, als sie mit ihm spazieren ging, sagt sie. Die Adresse ist zwölf fünfundfünfzig Palmstreet. Wieso willst du das wissen? Ich dachte, du wärst längst von diesem Trip runter."
"Das artet sich langsam zu einem Höllentrip aus", antwortete Dwayne. "Danke, Schätzchen." Damit unterbrach er die Verbindung. "Los, steig ein", forderte er. "Diese Laura DeBrien kann uns sicher einiges erzählen."
"Und morgen haben wir Nummer sechsundfünfzig", maulte Jason und gehorchte.
Laura DeBriens Haus lag am Stadtrand, wie Jason und Dwayne vermutet hatten. Hinter ihrem Haus breitete sich eine weite, offene Wiese aus. Und die Beiden wussten, ohne es gesagt zu bekommen, dass es auf dieser Wiese passiert sein musste.
Dwayne klopfte an die Tür. Nach einigen Minuten ging die innere Tür auf und eine Frau mittleren Alters blickte ihnen misstrauisch durch die Fliegengittertür entgegen. Sofort zückte Dwayne seinen Dienstausweis und legte ihn auf das Gitter.
"Miss DeBrien, wir kommen wegen Ihrer Anzeige", begann Dwayne.
Die Frau betrachtete den seltsamen Polizisten äußerst skeptisch, doch als sich auch Jason vor die Fliegentür stellte, wich der ernste Ausdruck aus ihrem Gesicht.
"Das ist inzwischen nicht mehr so wichtig", meinte sie.
"Wir glauben Ihnen", versuchte Dwayne sie zu überreden.
"Ach was", winkte sie ab. "Ich wusste nicht, was ich sagte, als ich gestern auf dem Revier war. Ich war so erregt, weil doch mein Roxi getötet wurde. Sicher haben sich irgendwelche Kinder einen derben Spaß erlaubt."
"Es waren keine Kinder, Miss DeBrien", versuchte nun auch Jason sein Glück. "Dieses Ding, das sie gesehen haben, existiert wirklich. Heute Nacht hat es einen Mann getötet."
Die Frau sah die Männer entsetzt an.
"Miss DeBrien, Sie müssen uns unbedingt alles erzählen, was Sie wissen", redete Dwayne auf sie ein.
Endlich gab sie die Tür frei und ließ die Polizisten in ihr Haus. Sie setzte sich auf das Sofa und tupfte sich mit einem Taschentuch die aufkommenden Tränen aus den Augen.
"Erzählen Sie, was ist genau passiert", forderte Dwayne die Frau auf. Über die mitfühlende Sanftmütigkeit in seiner Stimme war nicht nur die Laura DeBrien überrascht.
Sie schluckte ihre Tränen und ihre Trauer über den Tod ihres Hundes hinunter und begann zu erzählen. "Ich ging mit Roxi, wie jeden Morgen spazieren."
"Um wie viel Uhr war das?", unterbrach Jason.
Sie überlegte kurz. "Wir gehen jeden Tag um dieselbe Zeit hinaus. Im Sommer ist es in der Früh, kurz nach Sonnenaufgang noch am besten. Da ist die Luft noch kühl. Es muss so gegen fünf Uhr gewesen sein. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Roxi konnte es kaum erwarten. Wir sind dann auf die Felder, bei uns hinter dem Haus, gegangen. Dort tobte sich Roxi immer aus. Und auf einmal kam etwas durch die Luft geflogen. Mein armer Hund dachte, es sei eine Frisbeescheibe und versuchte es zu fangen. Die Kinder aus der Nachbarschaft spielten immer mit ihm Frisbee. Aber es war keine und es tötete ihn." Sie schniefte traurig, als sie das schreckliche Erlebnis erzählen musste.
"Ihr Hund ist also auf dieses Ding zugerannt und wollte es fangen", schlussfolgerte Jason. "Was wäre passiert, wenn er es nicht gefangen hätte? Ich meine, die Flugrichtung. Ist es direkt auf sie zugeflogen?"
Laura DeBrien nickte. "Als es Roxi erwischt hatte, war es plötzlich verschwunden, als ob es sich in Luft aufgelöst hätte."
"Wie sah es aus, dieses fliegende Ding?", wollte Jason nun wissen.
"Ungefähr so groß", antwortete sie und hielt ihre Hände etwa einen halben Meter auseinander. "Es leuchtete, wie eine runde Leuchtstoffröhre und drehte sich sehr schnell im Kreis, wie eine Frisbeescheibe."
"Gab es irgendwelche Geräusche von sich? Ein Motorgeräusch, wie das eines Hubschraubers, oder etwas Ähnliches?"
"Ich weiß nicht", zuckte sie unwissend mit den Schultern. "Die Vögel sind um diese Zeit immer sehr laut. Aber es könnte durchaus sein. Es passierte alles so schnell, dass ich nicht darauf achten konnte."
Jasons Blick wanderte zu Dwayne. Sein Partner schien mit den Gedanken in einer anderen Welt zu sein und von der Aussage nichts mitgekommen zu haben. Er wollte ihn bereits unsanft zurückholen, als er selbst in die Wirklichkeit zurückkehrte.
"Um ihren Hund tut es mir Leid, Miss DeBrien", meinte er mitfühlend. "Aber dieses Ding hatte es auf Sie abgesehen. Ich rate Ihnen, bleiben Sie in der nächsten Zeit im Haus. Er wird zurückkommen und Sie töten, wenn Sie sich draußen aufhalten."
Der entsetzte Blick der Frau konnte selbst Dwaynes hartes Herz erweichen.
"Ich meine es ernst. Der Mann, der heute Nacht getötet wurde, ist von diesem Ding vor sechs Jahren knapp verfehlt worden. Bleiben Sie unbedingt in Ihrem Haus. Dort sind Sie sicher."
"Miss DeBrien, wir müssen Sie bitten uns bei unseren Ermittlungen behilflich zu sein", bat Jason. "Sie sind, so entsetzlich es klingen mag, jetzt die Einzige, die es gesehen hat und noch lebt. Wir tappen mit unseren Ermittlungen im Dunkeln. Sie sind die Einzige, die uns helfen kann."
Die Frau schluckte ein paar Mal, bevor sie antworten konnte. "Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte sie.
"Der Mann heute Nacht war nicht sein erstes Opfer. Bitte sehen Sie sich die Berichte über die anderen Opfer an und sagen Sie mir, wenn Sie irgendetwas gefunden haben, das Sie, Miss DeBrien, mit Shnen gemeinsam haben. Wir konnten das Motiv bis jetzt noch nicht herausfinden. Um weitere Morde zu verhindern, müssen wir wissen, nach welchem Schema er sich seine Opfer aussucht. Helfen Sie uns bitte? ... Aber es sind eine Menge Berichte", fügte er hinzu.
"Ich werde tun, was ich kann, Officer", nickte sie. "Ich bin es Roxi schuldig. Er ist an meiner Stelle getötet worden."
"Vielen Dank. Wenn Sie auch nur die kleinste Kleinigkeit finden, wären wir Ihnen sehr dankbar. Ich werde gleich einen Beamten mit den Berichten vorbeischicken. Und Sie bleiben bitte im Haus", riet Jason.
Laura DeBrien nickte artig und wagte es sich nicht einmal mehr von ihrem Sofa aufzustehen. Selbst als sich die Zwei erhoben und gingen, blieb sie sitzen.
"Ich bete, dass sie etwas findet", meinte Jason. "Einer von uns sollte hier bleiben, für alle Fälle."
"Was sollte das, dieses Ding existiert wirklich, Miss DeBrien", äffte Dwayne Jasons Worte nach. "Ich dachte, du glaubst nicht an UFO's."
Ein leises Sirren, wie das einer Steckmücke, wenn sie nahe am Ohr vorbeiflog, war plötzlich zu hören. Es fiel beinahe nicht auf, denn wer ahnte schon Gefahr von einer Stechmücke.
So drehte sich auch nur Dwayne um. Eine gleisende Scheibe raste in atemberaubendem Tempo durch die Luft, direkt auf sie zu. Es blieb nicht mehr viel Zeit zum Handeln, und da wurden sie auch schon umgeworfen. Die Lichterscheibe verfehlte die Polizisten nur um Millimeter und raste geradewegs ins Haus. Es krachte, Fensterscheiben zersplitterten und da war es auch bereits wieder so still wie zuvor.
Jason rappelte sich langsam hoch. Sein Verstand konnte kaum verarbeiten, was er eben erlebt hatte. Verwirrt blickte er um sich, bis er ein leises Stöhnen neben sich hörte. Er fuhr herum. Dwayne krümmte sich stöhnend zusammen und presste seine Hände auf seinen Hals, unter dem linken Ohr.
"Dwayne", rief Jason entsetzt und drehte ihn herum. Zwischen den Finger quoll Blut hervor. Die Halsschlagader, fiel es ihm siedendheiß ein. Doch Dwayne hatte Glück. Dieses fliegende Etwas hatte ihm eine tiefe Fleischwunde zugefügt, die Blutader jedoch nur um Haaresbreite verfehlt. Erleichtert sank er wieder zurück, bis ihm Miss DeBrien einfiel. Sofort sprang er auf und rannte ins Haus. Entsetzt musste er erkennen, dass es dieses Ziel nicht verfehlt hatte.
"Verdammt", fluchte er und trat gegen den nächsten Schrank. "Wieso jetzt auf einmal am helllichten Tag?"
Dwayne kam ins Haus. Er musste über zersplitterte Trümmer steigen und hielt sich noch immer die Wunde zu. Das Blut lief ihm inzwischen über die Hand und tropfte auf seinen Mantel und auf den Boden.
"Was soll diese Scheiße?", brüllte Jason seinen Partner an. "Woher zum Teufel wusste es, dass wir ausgerechnet heute und jetzt hier sind?"
Dwayne zuckte ratlos mit der rechten Schulter und verzog das Gesicht. Die unbedachte Bewegung schickte stechende Schmerzen durch seinen Körper. Er setzte sich auf einen Stuhl und wäre, selbst mit dem Wiederauftauchen des fliegenden Objektes, nicht mehr von dort wegzukriegen.
Jason beruhigte sich schnell, als er seinen verwundeten Partner sah. "Bleib sitzen, ich rufe den Notarzt", sagte er und suchte in dem Chaos, das Telefon.
* * *
Captain Crown bemühte sich selten aus seinem Büro hinaus, doch als er hörte, dass Parkman und Stefenson beim Besuch eines Zeugens, beinahe getötet worden wären, ließ er es sich nicht nehmen, den Tatort selbst zu inspizieren.
Jason seufzte leise, als er seinen Chef entdeckte. Er konnte sich denken, was nun kommen würde. Eine Erklärung war fällig.
"Na, wie läuft es, Parkman?", fragte Crown wie erwartet.
"Mies", antwortete Jason missgelaunt. Der letzte Zeuge, war ihm genommen worden, bevor dieser ihm weiterhelfen konnte.
"Und Stefenson? Noch alles dran?"
Dwayne hob nur müde eine Hand. Er wagte es nicht, sich mehr zu bewegen, denn er verspürte keine Lust auf Schmerzen.
"Wie konnte das passieren?", fragte Crown und sah sich um. Die Leiche, oder was von Miss DeBrien übrig geblieben war, wurde eben in einen Zinksarg gepackt.
"Wie hätten wir es verhindern können?", maulte Jason. "Es tauchte auf und war auch schon wieder weg, bevor wir auch nur einmal zwinkern konnten."
"Was war es?"
"Ein ferngesteuerter fliegender Mülltonnendeckel", antwortete Jason. Dwayne ließ sich zu einem Schmunzeln hinreißen, verzog aber bald darauf sein Gesicht.
"Dann seht zu, dass ihr die zugehörige Tonne findet", ließ sich Crown nicht auf den Arm nehmen.
"Wir werden uns Mühe geben", versicherte Jason mit einem schiefen Lächeln.
"Eure Bemühungen haben bis jetzt sechsundfünfzig Opfer zugelassen, und wenn ihr nicht bald diesen Psychopaten zu fassen kriegt, gibt es zwei mehr in dieser Stadt", drohte Crown. "Habt ihr mich verstanden?"
"Ja, Sir", antwortete Jason gehorsam.
Dwayne salutierte stumm und viel zu lässig, als dass es Ernst gemeint sein könnte.
"Ich möchte bald Erfolge sehen", fügte Crown hinzu und verließ den Tatort.
Jason knurrte missmutig vor sich hin, schob mit dem Fuß zersplittertes Holz auf die Seite und wünschte im Stillen, seinen Captain sonst wo hin. Die Blicke der Partner trafen sich und für einen kurzen Moment sahen sie sich stumm an, als würden sie telepathisch Informationen austauschen. Dwayne zog eine Augenbraue hoch. Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen.
Jason wusste, was sein Partner in diesem Moment dachte.
"Was hätte ich denn sagen sollen?", rief er und wedelte hilflos mit den Armen. "Wenn ich ihm die Story mit der fliegenden Untertasse erzählt hätte, säßen wir jetzt in einer Gummizelle."
"Lass uns von hier verschwinden", gab Dwayne heißer von sich und zog sich an der Wand entlang hoch. Diesmal hatte Jason nichts dagegen und bald saßen sie in seinem Wagen und fuhren Richtung Stadt.
"Warum brachte es uns nicht um?", konnte sich Jason nicht erklären. "Wir waren völlig überrascht. Es hätte uns mit Leichtigkeit töten können."
Dwayne gab keine Antwort. Er streckte seine Beine aus und richtete sich bequemer zurecht.
"Und warum schlägt es plötzlich am lichten Tag zu und dann auch noch in einem Haus?" Jason schüttelte ratlos den Kopf.
"Bieg an der nächsten Kreuzung links ab", gab Dwayne leise von sich, ohne auf Jason und dessen Überlegungen einzugehen.
"Warum?", wollte Jason wissen.
"Willst du den Rest des Tages, mit einem Zombie herumlaufen?", fragte Dwayne zurück. "Ich will mich umziehen."
Jason nickte und bog ab.
Dwaynes Wohnung sah beinahe genauso ausgeflippt aus, wie er selbst. Jason musste sich das amüsierte Schmunzeln und seine Bemerkungen arg verkneifen.
"Mach's dir bequem", meinte Dwayne und verschwand in einem Nebenzimmer.
Die Putzfrau musste Hausverbot haben, vermutete Jason, als er die Unordnung sah. Jason setzte sich auf das zur Wohnzimmercouch umfunktionierte Matratzenlager und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Manches hätte Jason längst der Müllabfuhr zukommen lassen. Wobei der Rest der Einrichtung nicht mehr mal Altertumswert besaß. Hier wäre ein großer Container nötig gewesen.
Dwayne kam bald darauf zurück, seinen blutverschmierten Mantel und ein frisches Hemd über dem Arm. Er ließ Mantel und Hemd neben Jason auf den Boden fallen und nahm zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank.
"Geile Bude", bemerkte Jason.
"Mit Charakter", gab Dwayne zurück und ließ sich auf die Matratze gegenüber fallen. Den Schreck des heutigen Tages musste die Beiden erst einmal mit einem kräftigen Schluck Bier hinunter spülen. Langsam und nachdenklich knöpfte Dwayne sein Hemd auf. Jason drehte gedankenverloren die Bierdose in seinen Händen und war so vertieft, dass er nicht bemerkte, wie Dwayne sich bewusst langsam auszog.
"He", rief er Jason in die Wirklichkeit zurück. "Ich weiß, wer uns zusammensteckte."
"Und wer?"
"Emmet Wilson", antwortete Dwayne.
"Der Gouverneur?", fragte Jason ungläubig.
"Er schnallte lange vor uns, was Sache ist", erwiderte Dwayne nach einem weiteren Schluck Bier. "Es fing mit Onkowskis Kuh an. Ich untersuchte damals den Fall, wie du vielleicht schon mitbekommen hast." Er drehte die Bierdose in seinen Händen, als müsse er erst nach den richtigen Worten suchen. Dann lehnte er erschöpft den Kopf an die Wand. "Da Lisa das einzige Opfer war, durfte ich der Sache nicht länger nachgehen. Ich wurde abgezogen und musste es vergessen." Wieder machte er eine kleine Pause. Jason ließ ihn gewähren. Wenn Dwayne sich entschlossen hatte, ihm etwas zu erzählen, wollte er nicht derjenige sein, der ihn daran hinderte. "Aber ich musste jemandem gehörig auf die Füße getreten sein. Denn dieses fliegende Ding sah ich heute nicht zum ersten Mal." Damit schlug er endlich sein Hemd über die Schultern und drehte sich so, dass Jason die breite Narbe auf seinem linken Schulterblatt sehen konnte. "Dies sollte eine Warnung sein." Er zog sein Hemd nun ganz aus und feuerte es achtlos von sich, völlig gleichgültig, wo es landete. "Ich bin während meiner Recherchen einem Mann begegnet, von dem ich annahm, dass er dieses Ding steuerte. Mich würden aber heute keine zehn Bulldozer in seine Nähe schleppen können. Und ich würde auch dir raten, dich von ihm fernzuhalten."
"Wie kann ich das, wenn ich nicht weiß, wer es ist?", fragte Jason und zog die Schultern hoch.
"Du wirst es merken", versicherte Dwayne, als wüsste er es ganz genau.
"An was? Wer ist er? Und was hat der Gouverneur damit zu tun?" Jason hatte so viele Fragen, die er nicht alle auf einmal aussprechen konnte. Das heute erlebte und Dwaynes Geschichte verwirrten ihn zu sehr.
"Ich weiß nicht wieso, aber während der ganzen Zeit, in der ich den Fall bearbeiten durfte, traf ich immer wieder auf Wilson. Wohin ich auch ging, er war ständig in der Nähe. Damals war er noch nicht Gouverneur. Er war irgendein Sonderberater des Präsidenten, oder so etwas Ähnliches. Und wenn ich ihn fragen wollte, warum er immer gerade an den Orten auftauchte, an denen ich auch war, bekam ich einen deftigen Dämpfer auf die Mütze. Ich hielt es damals erst für einen dummen Zufall, dann dachte ich, der Geheimdienst hängt an meinen Fersen, weil ich vielleicht in irgendein Wespennest gestochen habe. Ich wusste nur nicht welches. Als ich die tote Lisa zu den Akten legen musste, war alles schlagartig vorbei." Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Dose und zog sich dann endlich um.
"Und was weiter?", fragte Jason.
"Keine Ahnung", seufzte Dwayne, erhob sich und spazierte gemächlich zum Fenster.
"Ich würde sagen, wir stochern kräftig in einem Nest herum, und wenn dieser Kerl auftaucht, catchen wir ihn uns", schlug Jason vor. "Schließlich darf niemand ungestraft Menschen meucheln ... ."
Die Wohnungstüre flog plötzlich auf und Susan schneite herein.
"He, Jungs", rief sie überrascht, als sie die Beiden entdeckte. "Gibt es keine Arbeit bei euch oder habt ihr Urlaub?" Dann entdeckte sie das große Pflaster an Dwaynes Hals. "Hat Dracula zugebissen?, fragte sie besorgt und strich sanft über das Pflaster. "Ihr macht ein Gesicht, als hätte euch eure Mutti den Topf unterm Hintern weggezogen."
Dwayne konnte nicht antworten, denn Susan forderte den für sie beide typischen Knutschkuss.
"Es sieht so aus, als ob ich den falschen Partner erwischt hätte", gab sie neidisch von sich, als sie sich endlich trennten. "Bei euch ist wenigstens Action. Die einzige Action, die wir heute hatten, war, als der Kaffeeautomat in die Luft flog. Paoh", rief sie und warf ihre Arme in die Luft. Dann marschierte sie kichernd in das Nebenzimmer. Auf dem Weg dorthin verlor sie ein Stück ihrer Uniform nach dem anderen. Nur noch mit ihrer Unterwäsche bekleidet, stolzierte sie ungeniert an den Männern vorbei. Wenig später kam sie zurück und zog sich vor den Augen der Beiden wieder an.
"Hast du heute noch was vor?", wollte Dwayne wissen.
"Ja", rief sie Kaugummi kauend. "Ich gehe mit Robby ins Kino. Da läuft ein irre guter Streifen. Du hast doch nichts dagegen, oder?", wand sie sich an Jason.
"Warum sollte ich?", erwiderte Jason achselzuckend und fand, dass die Frage eigentlich wohl eher Dwayne gestellt werden sollte.
Dieser schien nichts dagegen zu haben. "Amüsier dich gut", wünschte er Susan. "Und lass von dem Kleinen noch etwas übrig."
"Na, klaro", rief sie augenzwinkernd und hängte sich für einen Abschiedskuss an Dwaynes Hals. Ein kurzes Winken und dann war der Wirbelwind auch schon wieder verschwunden.
"Du lässt sie einfach mit einem anderen fortgehen?" fragte Jason vorsichtig.
"Warum nicht?" zuckte Dwayne mit den Schultern. "Sie kann doch machen, was sie will."
"Ich dachte, sie wäre deine Freundin, oder so etwas."
"Ach Quatsch", winkte Dwayne ab, "'ist nur 'ne Masche von uns. Ich bin der Zuhälter, sie die Nutte. Ich der Gangster, sie das Liebchen. So einfach ist das. Wenn du Under-Cover arbeitest, musst du dir ein handfestes Image zulegen. Sonst schnallen die gleich, dass du ein Cop bist."
"Aha", machte Jason und sah zur Türe, wo Susan vor wenigen Minuten verschwand.
Dwayne drehte sich um und blickte zum Fenster hinaus. Augenblicklich erstarrte er. Vor dem Fenster seiner Wohnung stand ein Mann und sah herein. Und das im fünften Stock, wo er sicher wusste, dass sich unter diesem Fenster weder eine Feuerleiter noch die Hängeplattform des Fensterputzers befand. Er erkannte das Gesicht des Mannes wieder und wurde bleich vor Schreck.
Das helle Sirren einer Stechmücke brachte die Fensterscheiben zum Schwingen. Klirrend gaben sie den Schallwellen nach. Ein winziger Pfeil flog durch das zersplitternde Glas. Dwayne reagierte schnell und ließ sich zur Seite fallen, doch nicht schnell genug. Der Pfeil ritzte seine Haut an der Schulter auf und flog weiter ins Innere des Zimmers. Im selben Moment, wie die scharfe Spitze die Schichten seiner Haut durchtrennte, spürte Dwayne, wie etwas Fremdes von ihm Besitz nahm. Er kämpfte verbissen dagegen an, doch es war bedeutend stärker und er sank unaufhaltsam in ein schwarzes Nichts.
Als die Scheiben zersplitterten, warf sich Jason auf den Boden. Das helle Sirren fraß sich wie ätzende Säure in seine Gehörgänge und seine Nerven. Er hielt sich die Ohren zu. Es half nichts.
Ein Mann erschien wie aus dem Nichts im Zimmer und wuchs immer höher hinauf, schien aber die Zimmerdecke niemals zu erreichen. Das umherfliegende Glas störte ihn keineswegs. Die Splitter gingen durch ihn hindurch, als bestünde er aus Nebel, obwohl sich sein Körper aus Fleisch und Blut formte. Das helle Klingen der Glasscherben und das nerventötende Sirren raubten Jason schließlich die Sinne.
# # #
Als er wieder zu sich kam, brummte sein Schädel wie nach einer durchzechten Nacht. Er schlug die Augen auf. Dämmriges Licht überflutete den Raum. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite und schrie auf, als er seine Hand auf Glasscherben aufstützte. Was war nur geschehen?
Er rappelte sich mühsam hoch. Sein Kopf hämmerte und dröhnte bei jeder Bewegung. Verwirrt sah er sich um. Die Wohnung sah aus, wie nach einem Bombenanschlag. Was Jason nicht für möglich gehalten hatte, es gab schlimmeres Chaos, als das was Dwayne veranstaltete.
Dwayne!
Jason sah sich um und entdeckte seinen Partner, nahe am Fenster, dort wo er ihn zuletzt gesehen hatte, leblos am Boden liegen. Schnell legte er zwei Finger auf die Halsschlagader und stellte erleichtert fest, dass er noch lebte. Aber, so sehr er ihn auch rüttelte und schüttelte, Dwayne kam nicht wieder zu Bewusstsein.
Er lag inmitten eines Scherbenmeeres und mit jeder Bewegung hätte er sich Schnittwunden zugefügt, daher hob Jason ihn hoch und schleifte ihn vom Fenster weg.
"He, was ist denn hier abgegangen?" rief plötzlich eine Stimme.
Jason fuhr erschrocken herum und hätte beinahe Dwayne fallen lassen. Susan war nach Hause gekommen.
"Habt ihr hier eine fetzige Privatfete abgehalten?" wollte sie wissen und stieg vorsichtig über umgestürzte Möbel.
"So etwas ähnliches", zischte Jason und schleifte Dwayne weiter. Die Matratze, im hinteren Eck des Wohnzimmers hatte noch am wenigsten Scherben abgekommen. Also legte er ihn darauf ab. Sorgsam sammelte er die wenigen Glassplitter auf und warf sie in einen Aschenbecher.
"Wohl rotzedicht, was?" kaute Susan und wieß mit dem Kopf auf Dwayne. Dann besah sie sich das Chaos näher. "musstet ihr denn gleich die ganze Wohnung demoliern?" fragte sie und stellte einen Hocker wieder auf die Beine.
"Susan", gab Jason ernst von sich. "Hat dir Dwayne von dem Mann erzählt, der ihm die Narbe auf dem Rücken zufügte?"
Mit einem Schlag versteinerte sich Susans Gesichtsausdruck. Ihr Kaugummi blieb zwischen den Zähnen kleben. Sie starrte Jason stumm an, dann wanderte ihr Blick über das verwüstete Zimmer und wieder zurück zu Jason.
"Ich glaube, wir hatten die Ehre", meinte er mit einem Wink auf das Chaos.
"Und Dwayne?" flüsterte sie beinahe, vor Entsetzen.
"Ich weiß nicht", zuckte Jason mit den Schultern. "Er ist noch nicht wieder zur Besinnung gekommen. Aber er lebt."
Susan watete augenblicklich durch die Unordnung und kniete sich neben Dwayne nieder. Fachmännisch betrachtete sie sein Gesicht, schob seine Augenlider hoch, um die Pupillen zu begutachten und fühlte seinen Puls.
"Also wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, er hat sich 'ne satte Dröhnung verpaßt", war ihr Urteil.
"Was meinst du damit?" wollte Jason wissen.
"Der ist völlig weggetreten. Seine Pupillen sind so weit auf, wie die Blende für eine Nachtaufnahme und der Puls toteserschreckend langsam." Sie drehte sich zu Jason um. "Der kommt so schnell nicht wieder zu sich." Mit einem weiteren Blick auf Dwayne, fügte sie hinzu. "Wenn überhaupt ... . Was ist passiert?"
"Es ging alles rasend schnell", erzählte Jason. "Das Fenster zersplitterte plötzlich, dann war da dieses schreckliche Geräusch. Und aufeinmal stand ein Mann dort am Fenster. Ich musste mir die Ohren zuhalten, weil dieses Geräusch nicht zum aushalten war. Dann bin ich leider ohnmächtig geworden." Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Susan strich sanft über Dwaynes Wange. Sie fühlte sich heiß an, als ob er Fieber hätte. Daher legte sie eine Hand auf die Stirn. Doch um die Temperatur richtig messen zu können, war sie zu zittrig.
"Dwayne erzählte ein paar Mal von ihm", sagte sie leise, ohne ihn aus den Augen zu lassen. "Und ich glaube, er hatte vor ihm eine Scheißangst."
"Wer ist dieser Kerl eigentlich?" wollte Jason wissen.
"Keine Ahnung", seufzte Susan kopfschüttelnd und erhob sich. "Komm hilf mir, ihn ins Bad zu schleifen. Vielleicht kriegen wir ihn mit einer kalten Dusche wach."
Jason half gerne. Sie hievten ihn in die Duschwanne und ließen kaltes Wasser über seinen Kopf laufen. Susan rüttelte und schüttelte ihn, klopfte auf seine Wangen, doch Dwayne wollte nicht aus seinem Koma erwachen.
"Ich glaube, es ist besser wenn wir den Notarzt rufen", meinte Jason und ging ins Wohnzimmer zurück. Er drehte jedes Teil um, auf der Suche nach dem Telefon. Als er es endlich gefunden hatte, wählte er hastig die Nummer des Notdienstes. Bis die Verbindung stand und jemand ans andere Ende der Leitung ging, ließ er seinen Blick noch einmal über die Verwüstung gleiten. Der Schreck der vergangenen Nacht kehrte damit in seine Glieder zurück. Abrupt drehte er sich um und hatte die Wand vor Augen.
Da entdeckte er etwas. Ein winziges Stück silbernen Metalles hatte sich ins Mauerwerk gebohrt. Jason bezweifelte, dass dies zu Dwaynes Art gehörte, Metallstifte in die Wand zu stecken und kramte hektisch in seinen Taschen.
"Gibt es hier eine Pinsette?" brüllte er ins Bad zu Susan.
Endlich ging jemand ans Telefon. Eiligst gab er die nötigsten Informationen durch und warf den Hörer auf die Gabel. Susan kam mit einer Pinsette an.
"Willst du dir die Barthaare auszupfen?" erkundigte sie sich höhnisch.
Jason schüttelte den Kopf, riß Susan die Pinsette aus den Fingern und versuchte den winzigen Metallstift, ohne ihn übermäßig zu zerkratzen, oder zu zerstören, aus der Wand zu ziehen.
"Was macht Dwayne?" fragte er.
"Immer noch hinüber", gab sie achselzuckend von sich und beobachtete ihn aufmerksam. "Was ist das?"
"Keine Ahnung", erwiderte Jason. Vorsichtig zog er es heraus, wickelte es in ein kleines Plastiktütchen und steckte es in die Tasche. "Wenn die Spurensicherung kommt, kein Wort davon."
Susan zog mit einem unsichtbaren Reißverschluß ihre Lippen zu. "Wenn du nur weißt, was du tust", zuckte sie erneut mit den Schultern und ging ins Bad zurück.
Nur wenige Minuten später wimmelte es in der Wohnung nur so von Leuten, die alles mögliche untersuchten. Als Dwayne ins Krankenhaus abtransportiert wurde, verdrückte sich auch Jason. Mit dem kleinen Metallstift in der Tasche fuhr er zu einem Freund, der in einem Labor arbeitete.
"Was meinst du, was das ist?" fragte Jason seinen Freund, Jeremy Walker und hielt es ihm hin.
Dieser betrachtete es kritisch und meinte dann fachmännisch. "Ich würde sagen, ein zwei Zentimeter langer und einen halben Milimeter dicker silberner Stift, vielleicht der Haltestift einer Armbanduhr."
"Ich möchte, dass du dieses Ding genau unter die Lupe nimmst. Und ich meine wirklich genau."
"Wenn du nicht mehr verlangst?" maulte Jeremy. "Mein Laden ist voll von Dingen, die ich genau unter die Lupe nehmen soll. Vielleicht willst du das auch noch so bald wie möglich, oder?"
"Genau", nickte Jason mit einem frechen Grinsen.
"Was tut man nicht alles für Freunde", seufzte Jeremy.
"Ich komme in ein paar Stunden wieder vorbei", rief Jason, während er das Labor beinahe im Laufschritt verließ.
Er fuhr ins Krankenhaus, denn er sorgte sich natürlich um Dwayne. Susan kam ihm gleich entgegen, als er die Gänge entlang eilte.
"Er ist noch nicht wieder wach", erzählte sie ihm sofort. Ihrer Stimme war es anzuerkennen, dass sie sich ebenfalls Sorgen um ihren ehemaligen Partner machte.
"Was sagen die Ärzte?" wollte er wissen.
"Sie meinten, er läge in einer Art Tiefschlaf. Aber sie haben keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte. In seinem Blut wäre nichts, was ihn ins Koma versetzen könnte. Er hat Schnittwunden und Kratzern von den Glassplittern, aber keinen Einstich von einer Spritze oder ähnliches und geschluckt hat er außer Bier, auch nichts."
Jason legte verwundert den Kopf schief. dass diese verrückte Nudel auf dieselbe Idee, wie er gekommen war, hätte er nicht gedacht. Er schmunzelte kurz und lenkte seine Gedanken wieder zurück zu Dwayne.
"Dann injizierte er doch etwas", sagte er mehr fragend, denn feststellend.
Susan ließ sich augenblicklich auf eine Wartebank fallen. "Ich bin mit Dwayne schon einige Zeit zusammen", meinte sie entrüstet. "Und wir haben so manch dolles Ding abgezogen. Ich kenne ihn genau. Dwayne handelt zwar manchmal nicht ganz nach Vorschrift, aber er ist absolut clean. Er hat einen empfindlichen Magen und eine mords Aggression gegen Drogen und alles was dazu gehört. Was er sich allerdings nie abgewöhnen kann, ist dieses scheiß viel Kaffeegesaufe. Aber ansonsten ist er ein prima Kumpel. Manchmal etwas abgefahren, aber in Ordnung."
"Ich habe nicht behauptet, dass er es sich selbst injizierte", unterbrach Jason Susans Wortschwall. "Dieser Metallstift, den ich aus der Wand gepiekt habe, ist glaube ich der Verursacher von Dwaynes Winterschlaf."
"dass du an seiner Glaubwürdigkeit keinen Augenblick lang gezweifelt hast, nehme ich dir ohne zu zögern ab", entgegnete Susan auf ihrem Kaugummi kauend. "Ich wollte dir nur etwas von meinem Partner erzählen."
"Ich weiß deine Geschichten zu schätzen", erwiderte Jason. "Wenn dies alles vorbei ist, können wir uns einmal zusammen setzen und darüber reden. Doch jetzt heißt es ihn zu retten. Was ihm auch immer verabreicht wurde, wir wissen nicht, was es noch für Auswirkungen hat. Am Ende ist es ein langsam wirkendes Gift und bringt ihn still und lautlos um. Ich brauche eine Blutprobe von ihm. Kannst du eine besorgen?"
Susan griff in ihre Tasche und brachte eine Ampulle mit roter Flüssigkeit hervor. "Ich dachte mir, dass du das brauchen wirst. Du benimmst dich beinahe schon wie Dwayne", grinste sie breit. "Dieses kleine Metallding schnell auf die Seite gebracht, bevor es die Jungs von der Spurensicherung in die Finger bekommen können und dann dein langes Ausbleiben. dass dir das Schicksal deines Partners nicht die Bohne kümmert, glaubte ich keine Sekunde." Sie drückte ihm das Glasröhrchen verstohlen die Hand, so dass es niemand sehen konnte. "Weißt du, Dwayne erzählte einmal, der Typ, der ihm die Narbe verpaßte, wäre nicht von hier. Er ist nicht von der Erde, habe ich Recht?"
Jason nickte und steckte das Glasröhrchen in die Tasche. Es fühlte sich noch warm in seinen Fingern an. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass mit diesem Glasröhrchen auch Dwaynes Leben in seinen Händen lag.
"Bleibst du hier?" erkundigte er sich.
"Mich kriegt hier niemand weg", antwortete sie entschlossen. "Nicht einmal der Polizeipräsident persönlich."
Jason schmunzelte kurz und war auch schon wieder unterwegs, zurück ins Labor.
Jeremy war eben dabei, die letzten Tests durchzuführen.
"Ein höchst interessantes kleines Ding", rief er, als Jason hereingeschneit kam.
"Was ist es?" wollte Jason sogleich wissen.
"Tja", gab Jeremy wissend von sich. "Wenn es kein Haltestift für eine Armbanduhr ist, würde ich sagen, ein etwas extravaganter Eingeborenenpfeil. Nur, und nun kommt das extravagante, er besteht zum Teil aus Materialien, die ich nicht kenne. Das heißt, der Kern ist reinstes Silber. Darüber sind mehrere Schichten unbekannten Materiales mit winzigen Poren, die eine Flüssigkeit enthalten. Das Ganze ist mit einer Schicht umhüllt, die sich bereits bei einer Temperatur von sechsunddreißig Grad auflöst. Das heißt wiederrum, würde dieses Ding auf etwas treffen, das eine Temperatur von sechsunddreißig Grad und mehr hat, löst sich die Schutzschicht auf und gibt die Flüssigkeit in den Poren frei."
"Was ist das für eine Flüssigkeit?"
"Tja", machte Jeremy wieder und kratzte sich ratlos am Kopf. "Ich weiß es nicht. Eine solche Zusammensetzung von Stoffen habe ich noch nie gesehen. Ich weiß nicht einmal, ob verschiedene Stoffe zusammengemischt wurden, oder ob es nur aus einem einzigen besteht. Da ich es für einen Giftpfeil hielt, versuchte ich es an einem meiner Tierchen. Es hat es glatt umgehauen und in den Tiefschlaf versetzt, aber nicht getötet."
"Kann man es neutralisieren?" wollte Jason wissen.
"Wie kann ich das wissen, wenn ich nicht einmal weiß, aus was es besteht?" rief Jeremy verzweifelt.
"Ich habe hier eine Blutprobe." Jason nahm das Glasröhrchen mit Dwaynes Blut aus der Tasche und reichte es Jeremy. "Untersuche es und stell fest, ob etwas von der Flüssigkeit in den Poren auch in diesem Blut ist?"
"Das werden wir gleich haben", rief Jeremy und machte sich sogleich an die Arbeit. "Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube schon", sagte er nach einer Weile, als er angestrengt durch ein Mikroskop sah und die Blutprobe mehreren Test unterzogen hatte.
"Ich muss wissen, was diese Flüssigkeit noch für Auswirkungen hat, Jerry. Das Leben meines Partners steht auf dem Spiel. Sollte sich mit deinem Tierchen irgendetwas interessantes ergeben, gleich welcher Art, laß es mich bitte umgehend wissen."
Jeremy nickte und machte sich wieder über das Mikroskop her.
Jason raste in atemberaubendem Tempo über die Autobahn. Als nächstes stand der Gouvaneur auf der Liste der Tagesordnung.
Er raffte seinen Anzug gerade, rückte seine Krawatte zurecht und betrat das Büro, nachdem ihm nach einer Stunde warten, endlich eine Audienz gewährt wurde.
"Was kann ich für sie tun, Sergeant ... ?" fragte Gouvaneur Wilson, ohne von seinem Schreibtisch aufzublicken.
"Parkman, Sir", half Jason nach.
"Sergeant Parkman", nickte Wilson und kritzelte etwas auf ein Stück Papier. "Setzen sie sich." Er wieß auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und überflog das eben geschriebene kurz. "Ich denke, sie haben Verständnis dafür, wenn ich sie bitte, sich kurz zu fassen. Ich habe viel zu tun und müßte eigentlich schon längst auf dem Weg zu meinem nächsten Termin sein. Also was haben sie auf dem Herzen?"
Jason räusperte sich und setzte sich.
"Sie wissen, wer ich bin", behauptete Jason kühn. "Und auch weswegen ich hier bin."
"So?" machte Wilson fragend und sah endlich hoch. Über den Rand seiner Brille hinweg betrachtete er den Mann vor sich kritisch, widmete sich aber bald darauf wieder seinen Papieren.
"Sie haben Stefenson und mich zusammengesteckt, damit wir eine Mordserie aufklären", fuhr Jason unbeirrt fort. "Und sie wissen wer der Mörder ist. Stefenson erzählte mir, als er wegen Onkowskis Kuh recherchierte, haben sie ihn ständig beobachtet. Sie wollten anscheinend nicht, dass er den Mörder der Kuh faßte. Deswegen haben sie ihm den Fall auch wieder entziehen lassen. Ich verstehe nur nicht, warum sie ihn jetzt wieder darauf ansetzten."
"Ich weiß nicht wovon sie sprechen, Sergeant", erwiderte Wilson und blätterte seine Manuskripte durch.
"Das wissen sie sehr wohl", wurde Jason heftiger. "Sie schützen diesen Killer, aus welchem Grund auch immer. Wer ist er überhaupt? Ein Alien, ein Außerirdischer?"
Wilson sah überrascht hoch. "Alien, Außerirdischer?" wiederholte er kopfschüttelnd. "Junger Mann, ich rate ihnen, ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen."
"Hören sie, Sir", ließ sich Jason nicht beirren. Er beugte sich leicht vor und stützte sich am Schreibtisch auf. "Dieser Mann hat bereits sechsundfünfzig Opfer gefordert und es werden vielleicht bald siebenundfünfzig, wenn Stefenson nicht durchkommt. Wenn er tatsächlich ein Außerirdischer ist und hier auf der Erde leben will, bitte, ich habe nichts dagegen, aber dann soll er, bitte schön, uns in Ruhe lassen. Wir waren schließlich zuerst da."
"Was wissen sie denn schon?" rief Wilson aus der Reserve gelockt.
"Demnach habe ich Recht", bemerkte Jason bestätigt.
Wilson betrachtete ihn stumm. Er legte seinen Stift auf die Seite und atmete tief ein. "Ich glaube, sie sind überarbeitet", meinte er und klappte seine Aktenmappe zu. "Sie sollten sich ein paar Tage Urlaub genehmigen und einmal richtig ausspannen." Er stopfte die Mappe in seinen Aktenkoffer und stand auf. "Und was mich betrifft, ich muss zusehen, dass ich noch rechtzeitig zum Empfang komme. Wenn sie mich nun bitte entschuldigen würden?" Er nahm den Koffer und wollte das Büro verlassen.
"Gouvaneur, warten sie", rief Jason und lief ihm hinterher. Er stellte sich vor die Türe und hinderte ihn daran, das Büro entgültig zu verlassen. Als Wilson die Türe einen Spalt öffnete, platzierte er seinen Fuß so, dass der Mann unmöglich durch den nun verbliebenen schmalen Spalt entwischen konnte. "Sie können es nicht zulassen, dass er noch weitere Menschen umbringt."
"Das ist doch wohl ihre Aufgabe", zischte Wilson ärgerlich und rüttelte an der Türe, doch Jasons Fuß wollte nicht weichen.
"Und auch ihre", rief Jason wütend. "Sie haben zugelassen, dass er hier sein Unwesen treiben darf und nun bekommen sie es selbst mit der Angst zu tun. Erzählen sie mir, was ich wissen muss, damit ich ihm das Handwerk legen kann."
Wilson schloß die Türe wieder. "Hören sie, junger Mann", zischte er und klopfte seine Finger hart an Jasons Schlüsselbein. "Dieser Kerl ist nicht nur eine Nummer zu groß für sie, sondern eine ganze Million." Damit nahm er die Klinke wieder in die Hand und riß so heftig daran, dass Jasons Fuß weichen musste.
Jason blieb mit offenem Mund stehen. Er gab sich einen Ruck und lief Wilson hinterher.
"Was muss ich tun, Sir?" rief Jason. "Zwei Millionen Polizisten heranschaffen, um ihn zu fassen?"
"Es würde nicht ausreichen", antwortete Wilson, während er in sein Jackett schlüpfte.
"Was dann? Geben sie mir einen Tip."
Wilson zuckte mit den Schultern und verschwand durch die Tür in den Flur. Jason blieb fluchend zurück. Der Gouvaneur wollte nicht, oder konnte nicht reden. Was war da nur im Gange, fragte er sich und fuhr zurück ins Krankenhaus.
Dwayne war noch immer nicht bei Bewusstsein. Über sein Krankenbett gebeugt, lag Susan. Sie war eingeschlafen. Er rüttelte sie sanft wach und schickte sie nach Hause. Er würde die Wache nun übernehmen, denn etwas anderes konnte er im Moment ohnehin nicht unternehmen. So saß er am Krankenbett und betrachtete seinen Partner, der ihm plötzlich völlig verändert vorkam. Mit dem Dwayne, den er kannte, hatte dieser bleiche Kerl, mit den vielen Drähten und Schläuchen nichts mehr zu tun. Leise fluchte Jason vor sich hin.
Wie konnte er diesem Killer nur das Handwerk legen?
Robert rüttelte ihn an der Schulter wach. Erschrocken fuhr Jason hoch und sah wirr um sich. Dwayne war immer noch nicht wach. Er schüttelte den Kopf, um den Schlaf aus seinen Sinnen zu schütteln.
"Ich habe Susan gebeten, sich die Berichte durchzusehen", sagte Robert und drückte seinem ehemaligen Partner einen Plastikbecher mit dampfendem Kaffee in die Hand. "Vielleicht findet jemand, der zu der Sache keinen, oder nur wenig Bezug hat, eher etwas. Sie erzählte mir, dass es mit dem Killer etwas ganz besonderes auf sich hat. Er sei nicht von der Erde, sagt sie. Ist das wahr?"
"So merkwürdig es klingen mag, aber es deutet alles darauf hin", nickte Jason.
"Was will dieser Alien hier?" wollte Robert wissen.
"Keine Ahnung", schüttelte Jason den Kopf. "Der Einzige, der dir diese Frage beantworten kann, hält vor Angst den Mund."
"Dwayne?"
"Nein, Wilson."
"Was hat der Gouvaneur damit zu tun?" wollte Robert folglich wissen.
"Ich nehme an, der Präsident hängt selbst mit drin", ließ Jason seine Vermutung laut werden. "Wilson war früher Berater des Präsidenten. Meine Vermutung ist, dass es zugelassen wurde, diesen Alien auf die Erde und ihn hier leben zu lassen. Jetzt, da er als Killer die Stadt unsicher macht, wurde Stefenson wieder eingesetzt ihn zu fassen. Dwayne kam das erste Mal mit ihm in Kontakt, als er wegen Lisa, Onkowskis Kuh, recherchierte. Wilson dachte vielleicht, dass Dwayne helfen könnte, dem Killer-ET das Handwerk zu legen." Jason zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Jetzt sieht es eher so aus, als ob es ihn bald selbst erwischt", bemerkte er mit einem Blick auf Dwayne.
"Geh nach Hause. Leg dich ein wenig aufs Ohr", meinte Robert. "Es ist schon spät. Ich werde die Nacht über hierbleiben."
Jason nickte dankbar und fuhr nach Hause. Obwohl ihn seine Gedanken, die Sorge um Dwayne und die Bestürzung über den Killer, lange nicht schlafen ließen, kehrte er nicht wieder zum Krankenhaus zurück. Er wusste, Robert würde bei Dwayne Wache halten und wenn irgendetwas passierte, würde er anrufen. Daher blieb er in seinem Bett liegen und starrte die dunkle Decke an, bis endlich, in den frühen Morgenstunden, der Schlaf von ihm Besitz nahm.
* * *
Das grelle Geräusch des Telefons riß ihn aus seinem traumlosen Schlaf. Susan war am anderen Ende der Leitung und berichtete ihm aufgebracht, dass Dwayne wieder zu sich gekommen war. So schnell er konnte, fuhr Jason ins Krankenhaus.
Susan lief ihm sogleich entgegen und hielt ihn davon ab, ins Krankenzimmer zu gehen. Sie hatte ihm noch etwas zu erzählen.
"Er hat ein totales Blackout", berichtete sie. "Er erkennt nicht einmal mich wieder, geschweige denn sich selbst. Alles weg. Absolute Leere, da oben." Sie tippte sich an ihre Schläfe und wischte es mit einer kurzen Bewegung fort. "Das muss wirklich eine voll satte Dröhnung gewesen sein."
"Ist er ansprechbar?" wollte Jason wissen.
"Na klar", rief sie. "Aber ob du aus dem wirren Zeug, das er von sich gibt, klar wirst, bezweifle ich." Dann endlich öffnete sie die Tür und ließ ihn eintreten.
Dwayne saß halb aufgerichtet in seinem Bett und betrachtete die ihm völlig fremde Welt mit verklärten Augen. Als Jason ins Zimmer kam, blickte er kurz hoch und wand sich gleich wieder ab. Auch dieses Gesicht war aus seinem Erinnerungsvermögen gestrichen.
"Hi, Dwayne", grüßte Jason. "Wie geht's?"
Dwayne betrachtete ihn wieder, doch sein Blick schien ihn nicht richtig ausmachen zu können. Er schielte und schloß die Augen.
"Wer ... bissu?" lallte er leise.
"Dein Partner", antwortete dieser. "Erkennst du mich denn nicht wieder?"
Dwaynes Gesichtsausdruck war ihm Antwort genug.
"Ich sagte doch", warf Susan ein. "Absolute Leere im Oberstübchen. Gründliche Arbeit."
"Aber wenigstens ist er wieder zu sich gekommen", entgegnete Jason erleichtert. "Ich muss mal kurz telefonieren."
Susan zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder zu Dwayne ans Krankenbett.
"Morgen, Jeremy", rief Jason in die Muschel. "Wie geht es deinem Tierchen?"
"Morgen", grüßte es am anderen Ende der Leitung. "Seit zwei Stunden ist sie wieder unter den Lebenden und läuft seitdem herum, als wüßte sie nicht, wo rechts und links ist. Aber ich glaube, so langsam packt sie es wieder."
"Dann kann ich für meinen Partner ja noch hoffen", atmete Jason erleichtert auf. "Weißt du etwas Neues über den Pfeil?"
"Ja", antwortete Jeremy. "Das ist ein ganz raffiniertes Ding. Die Porenschicht besteht aus mehreren Schichten, die sich ebenfalls bei einer Temperatur von mindestens sechsunddreißig Grad auflöst, aber wesentlich langsamer. Wenn das Ding in einem menschlichen Körper steckt, löst es sich ganz langsam auf und gibt über einen bestimmten Zeitraum die, in den Poren befindliche, Flüssigkeit an den Körper ab, ganz langsam und Schicht für Schicht."
"Das heißt also, hätte es meinen Partner richtig getroffen und wäre in ihm stecken geblieben, hätte es ihn in einen tiefen Dornröschenschlaf versetzt, aus dem ihn nichts herausholen konnte", schlußfolgerte Jason. "Es war also nicht beabsichtigt, ihn umzubringen, sondern ihn nur für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen."
"Genauso ist es", bestätigte Jeremy.
"Jetzt bleibt nur noch die Frage offen, warum er ihn nicht gleich getötet hat. Das wäre doch viel einfacher gewesen", dachte Jason laut nach.
"Diese Frage paßt leider in kein Reagenzglas", gab Jeremy entschuldigend von sich.
"Danke, Jerry", lachte Jason. "Du hast mir sehr geholfen."
"Ich hoffe, ich kann mit meinem nächsten Strafzettel auch zu dir kommen und auf die Hilfe eines Freundes rechnen", meinte Jeremy.
"Na klaro", erwiderte Jason und musste lachen, weil er unüberlegt, einen Ausspruch von Susan übernommen hatte.
Er erzählte Susan von den Neuigkeiten über den kleinen Metallstift und auch von seinen Hoffnungen, bezüglich Dwaynes Erinnerungsvermögens. Wenn Jeremys Tierchen wieder zu rechts und links zurückfand, würde es Dwayne vielleicht auch irgendwann können.
"Von wem sbrichssu, Jason?" wollte Dwayne mit schwerer Zunge wissen.
"Hey", rief Jason freudig. "Du kannst dich wieder an mich erinnern?"
Dwayne sah ihn fragend an und verzog sein Gesicht. Dann schüttelte er den Kopf. Das löchrige Sieb hinter seiner Stirn, machte ihm selbst schwer zu schaffen.
"Erzähle ihm einfach ein bischen was", schlug Susan vor. "Vielleicht macht es irgendwann Klick."
Ein Versuch war es wert, dachte sich Jason und legte los. Doch bald fand er es für besser, wenn Dwayne von selbst draufkam und erzählte nur, was ihn in diese Lage versetzt hatte.
Dwayne schüttelte mit dem Kopf. Für ihn klang dies so konfus, wie die Entdeckung einer fremden Welt.
Eigentlich fehlte Dwayne nichts, abgesehen von seinen Erinnerungen, die nur zögerlich zu ihm zurückkehrten. Doch die Ärzte wollten ihn nicht aus ihrem Obhut entlassen, bevor er sich nicht einer ganzen Reihe bizarrer Tests unterzogen hatte. Die Ergebnisse deuteten auf keine Veränderung hin und bewiesen, dass Dwayne absolut nichts fehlte. So mussten sie ihn gehen lassen, hätten jedoch gerne gewusst, was ihn in den Tiefschlaf versetzt hatte.
# # #
Es war am Abend des darauffolgenden Tages. Die Sonne verabschiedete sich langsam und tauchte bereits hinter den Wolkenkratzern unter. Schatten wanderten um die Häuser und vergrößerten sich zusehends. Der schwül drückende Tag wich nur zögerlich der Abkühlung verheißenden Nacht.
Jason fuhr vor dem Haus vor, in dem Dwayne wohnte. Obwohl das Appartement noch nicht wieder bewohnbar war, wollte Jason ihm dies nicht vorenthalten. Kurz bevor sie in das Eingangsportal des Wohnhauses traten, sahen sie eine Gestalt näher kommen. Es war Susan, die mit der U-Bahn nach Hause gefahren war. Sie blieben stehen und warteten.
Ein helles Sirren ließ die beiden Männer zusammenschrecken. Um eine Häuserecke kam eine glitzernde Scheibe angeflogen und raste genau auf Susan zu.
"Susan, paß auf", schrie Dwayne. Doch es war bereits zu spät. Sie hatte es weder gesehen, noch gehört und nach Dwaynes Warnung blieb ihr keine Zeit mehr zum reagieren.
"Nein", schrie er entsetzt und rannte los. Jason hielt ihn zurück. Er musste ihn niederschlagen, damit er nicht zu Susans Leiche rannte. Dieser Anblick sollte ihm erspart bleiben. "Verdammt, laß mich los", brüllte Dwayne und riß sich los.
Die Scheibe flog einen großen Bogen und kehrte zurück. Diesmal nahm es direkten Kurs auf die beiden Männer. Nach der ersten Schrecksekunde, zog Jason seine Waffe und feuerte. Die Kugeln gingen durch das fliegende Objekt hindurch, als bestünde es nur aus Nebel. Als sie erkannten, dass dies nichts half und das UFO weiter unaufhaltsam auf sie zuraste, ließen sie sich flach auf den Boden fallen. Im letzten Moment. Es flog nur knapp über ihre Köpfe hinweg. Jason sprang auf und flüchtete sich zwischen zwei Autos. Dwayne erhob sich ebenfalls und blieb aufrecht stehen, auch als es in einem großzügigen Bogen zurückkam.
"Dwayne, komm her", rief Jason.
"Du verfluchtes Ding", schrie Dwayne und blieb stehen. "Was willst du?"
"Dwayne", rief Jason erneut. Das helle Sirren fraß sich wieder schmerzhaft in seine Gehörgänge.
Die fliegende Scheibe flog etwa zwei Meter über dem Boden auf Dwayne zu. Dieser hob seinen Arm und beabsichtigte es mit blosen Händen zu fangen. Es raste durch seine Hand hindurch, als wäre sie Luft und fraß sich nur Sekunden später kreischend und funkensprühend durch ein parkendes Auto. Verdutzt starrte Dwayne auf seine Hand, als könne er darauf das nächste, schier unlösbare Problem, vor dem er gestellt wurde, lesen. Dann drehte er sich um und konnte nur noch sehen, wie es um eine Häuserecke bog und diesmal nicht wieder zurückkam. Er sank auf die Knie.
"Dwayne", rief Jason besorgt und kam vorsichtig zwischen den Autos hervor. "Alles in Ordnung?"
Dwayne wand sich langsam um. Aus seinem Gesicht war abzulesen, dass Trauer, Wut und Verzweiflung einen mächtigen Krieg um die Oberhand führten. Er atmete schwer und schien verzweifelt einen Strohhalm zu suchen, dass ihn aus dem sinkenden Boot herauszog.
Jason betrachtete Dwaynes Hand und entdeckte keinen einzigen Kratzer.
"Wie ist das möglich?" fragte er und sah zu dem aufgeschnittenen Auto hinüber. Dann fiel ihm Susan wieder ein.
Sie war tot. Auf die gleiche entsetzliche Art und Weise getötet, wie sechsundfünfzig Opfer vor ihr. Angewidert wand er sich ab.
Dwayne war wie apatisch. Nichts brachte ihn von der Stelle weg, an der er niedergesunken war. Auch als Susans Leiche in einen Sarg gepackt und fortgeschafft wurde, brachte er es nicht fertig aufzustehen. Jason setzte sich zu ihm auf den Boden. Er kam sich unendlich hilflos vor. Die Rätsel, die ihnen dieses fliegende Ding stellte, wurden immer schwerer und immer unlösbarer und nun hatte es auch noch Susan getötet, aber Dwayne unbehelligt gelassen.
Die Leute von der Spurensicherung meinten, der geparkte Wagen sei mit einer grobzahnigen Säge aus härtestem Stahl aufgeschlitzt worden und durch ihn hindurch gegangen, wie durch weiche Butter. Jason wunderte nichts mehr. Ein Ding, das einen menschlichen Körper in sämtliche Einzelteile zerfetzen konnte, durch einen anderen hindurchrasen, ohne ihm auch nur einen Kratzer zuzufügen und kurz darauf einen Wagen aufschlitzte, überstieg sein Fassungsvermögen bei weitem, doch er wunderte sich nicht mehr. Er war ein Mensch, der bisher konsequent in der Wirklichkeit lebte, doch durch dieses seltsame Ding, wurde er in die schreckliche und blutige Welt der Fantasie hineingezogen.
Jemand legte eine Decke um Dwayne. Er ließ es mit sich geschehen. Der sonst so hartgesottene und unerschütterliche Polizist war fertig mit sich und der Welt. Der schreckliche Tot seiner Partnerin und Freundin traf ihn mehr, als er sich zugestehen wollte. Er schalt sich, damals, vor sechs Jahren, als er dem eigenartigen Mann und seiner fliegenden Mörderscheibe zum erstem Mal begegnet war, nicht hartnäckiger gewesen und am Ball geblieben zu sein und sich nicht geweigert zu haben, als man ihn zwang den Fall abzulegen. Heute, schrieb er sich die Schuld an ihrem Tod zu. Ihm allein. Weil er sich damals nicht zutraute gegen den Befehl seines Vorgesetzen anzugehen.
"Hey, Dwayne", riß ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Er hob langsam den Kopf und blickte in ein sorgenvolles Gesicht. "Gehen wir", schlug Jason behutsam vor.
Er ließ sich von ihm auf die Beine ziehen und in den Wagen stecken. Jason dachte richtig, dass Dwayne nicht in der Lage war, auch noch das Chaos in seiner Wohnung zu verkraften, deshalb fuhr er zu sich nach Hause. Er schleppte ihn bis zur Couch und ließ ihn dort niedersinken.
"Brauchst du irgendetwas?" fragte er ihn. "Ich meine, willst du etwas trinken?"
"Hast du noch etwas von dem Whiskey?" waren Dwaynes erste Worte seit langem.
Jason nickte und stellte ihm wenig später Gläser und Alkohol hin. Und erst jetzt fiel ihm auf, dass sich Dwayne wieder an den Whiskey erinnern konnte. Doch das war jetzt nebensächlich.
"Ich hörte, du hättest einen empfindlichen Magen", vermied er bewusst den Namen der Toten. "Glaubst du, es ist gut, wenn du Whiskey trinkst?"
"Zum Teufel damit", zischte Dwayne und setzte die Flasche an die Lippen.
Ob er sich danach besser fühlen würde, konnte Jason nicht sagen. Als er am nächsten Morgen ins Wohnzimmer kam, lag Dwayne friedlich schlummernd auf dem Sofa, die leere Whiskeyflasche in seinen Händen. Jason ließ ihn seinen Rausch ausschlafen und wunderte sich nicht, als Dwayne erst Stunden danach und kreidebleich am Frühstückstisch saß und selbst Jasons extra stark gebrauten Kaffee verschmähte.
Jason zögerte Dwayne die Morgenzeitung vorzulegen, indem über den Tod einer Polizistin berichtet wurde, aber auch ein Artikel über ein in der Stadt gesichtetes UFO stand. Er faltete die Zeitung so, dass der Bericht über Susan nicht zu sehen war und schob ihm den Artikel mit dem UFO unter. Ein Mann hatte vergangene Nacht ein unbekanntes fliegendes Objekt gesehen, es zufällig fotografiert und der Redaktion eingeschickt. Das Foto zeigte eindeutig dasselbe Ding, das Susan und viele andere getötet hatte.
"Zumindest stehen wir nicht mehr allein da", bemerkte Jason und wollte damit eigentlich nur die erdrückende Stille zerstören. Dwayne zeigte sich wortkarg und nickte nur leicht. Sein Kopf musste das Heim eines ganzen Hornissennestes sein, vermutete Jason und verlangte keine weiteren Gespräche.
Er kam sich so hilflos vor, wie noch nie. Er wusste, dass Dwayne seine Hilfe brauchte, eine Unterstützung, seelischer sowie körperlicher Art, wie es ihm nur ein sehr guter Freund geben konnte, doch Jason konnte sich nicht dazu durchringen. Obwohl er die letzten Tage viel mit ihm erlebt hatte und sich Sorgen nun um ihn machte, war er ihm fremd, wie jeder andere Bewohner in der Stadt. Und so konnte er nur zusehen, wie Dwayne mit sich selbst kämpfte und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen.
Erst am späten Nachmittag erschienen die beiden im Revier. Es war Samstag und die meisten waren bereits ins Wochenende gegangen. Für einige schien es kein Wochenende zu geben, oder sie hatten zuhause nichts zu tun und zu denen zählten sich Dwayne und Jason.
Dwayne hätte sich durch nichts davon abhalten lassen, trotz Samstag nachmittag, nach dem Mörder zu suchen und Jason wollte seinem Partner, trotz den Erlebnissen der letzten Woche keinen Vorsprung gönnen. Auf Jasons Schreibtisch lagen die Berichte über die Mordserie. Susan hatte sie zuletzt gelesen. Nach einigem Überlegen entschloß sich Jason Dwayne von Susans letzten Bemühungen zu erzählen. Dwayne registrierte es, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Er setzte sich an den Tisch und blätterte durch die Akten. Einige las er aufmerksam, andere legte er gleich wieder zur Seite. Er blätterte hin und her und schien nicht so recht zu wissen, wonach er eigentlich suchen sollte.
Jason ließ ihn gewähren. Er wunderte sich zwar darüber, dass Dwayne sich Tage zuvor geweigert hatte, die Akten auch nur anzufassen und sich nun nicht mehr davon trennen konnte, aber er ließ ihn machen. Die plötzliche Lust, sich darin zu vertiefen, schrieb er dem Gedächtnisverlust zu. So hatte er die Zeit und die Ruhe den Bericht über den Mord an Susan zu verfassen.
Robert tauchte irgendwann auf und zeigte sich überrascht, Dwayne nach dem gestrigen Schicksalsschlag wieder bei der Arbeit zu sehen.
"Es tut mir leid um Susan", meinte er aufrichtig. Dwayne nickte nur leicht und widmete sich wieder den Papieren.
"Was machst du hier?" wollte Jason von seinem ehemaligen Partner wissen. "Gefällt dir die Schreibtischarbeit seit neuestem so, dass du auch an deinen freien Tagen reinkommen musst?"
"Nein, mit Sicherheit nicht", schüttelte Robert den Kopf, nahm den Stuhl vom nächsten Schreibtisch und setzte sich zu Jason. Er nahm einen Notizblock aus seiner Tasche, legte ihn auf den Tisch und blätterte ein wenig darin herum. "Ich bat doch Susan, ihre Nase einmal in unsere Berichte zu stecken", begann er. "Ich dachte, vielleicht stößt sie auf etwas, was wir immer übersehen haben. Und ich glaube, sie hatte keinen schlechten Riecher. Gestern mittag rief sie mich an und fragte mich, ob ich ihr einen Gefallen tun könnte. Sie drückte sich zwar etwas anders aus, aber ich verstand und erklärte mich bereit. Sie war etwas abgefahren, aber vollkommen in Ordnung."
"Komm zum Punkt", mahnte Jason, nicht nur wegen Dwayne.
"Sie meinte, ich solle die Angehörigen der bisherigen Opfer abklappern und nach bestimmten Dingen fragen." Er blätterte die richtige Seite in seinen Notizblock her und las ab. "Zum Beispiel, Krankheiten, auch banale, Eigenheiten, selbst intime, Gewohnheiten, Lieblingsessen, und so weiter, alles total intimes Zeug. Also bin ich losgestiefelt, fragte mich durch und bin glaube ich auf etwas sehr interessantes gestossen."
"Und was?" war Jason neugierig gemacht worden.
"Das Schema, nach dem der Mörder seine Opfer aussucht", verriet Robert, nicht ohne Stolz, als wäre er allein darauf gekommen.
Jason starrte seinen Freund an. Auch Dwayne ließ von seinen Papieren ab und erwartete die Lösung mit Spannung.
"Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist", fuhr Robert fort. "Doch es war genial. Alle Opfer haben sich irgendwann gegen Grippe, Erkältungskrankheiten oder Schnupfen impfen lassen. Alle, bis auf einen - Lisa, Onkowskis Kuh."
"Impfen lassen?" wiederholte Jason ungläubig.
"Sie musste sich letztes Jahr impfen lassen, als es sie so schwer erwischt hat", erinnerte sich Dwayne. "Sie musste sogar ins Krankenhaus, weil das Fieber nicht sinken wollte."
Jason und Robert sahen ihn kurz an. Beide schienen sich gleichermaßen über ihn zu wundern. Jason, weil er ein weiteres Detail seiner Vergangenheit zurück gekommen war und Robert, weil in Dwaynes Stimme keinerlei Trauer zu hören war.
"Ich frage mich nur, was wir nun damit anfangen", kam Robert als Erster wieder zurück.
"Und ich, woher er das wissen kann", bemerkte Jason. "Ich glaube kaum, dass es ihm einfach so zufliegt. Er wird auch die Leute nicht einfach anschauen und sagen können, der hat sich irgendwann impfen lassen." Jason zuckte mit den Schultern.
"Du sagtest, gestern mittag rief sie dich an", wollte Dwayne von Robert bestätigt haben. Dieser nickte. "Demnach war sie noch den ganzen Nachmittag hier und arbeitete", versuchte Dwayne zu rekonstruieren. "Wenn sie dich nach bestimmten Dingen fragen ließ, suchte sie hier mit Sicherheit auch gezielt nach bestimmten Dingen." Er kramte in den Akten herum, bis er einen Block mit handschriftlichen Notizen fand. Es war eindeutig Susans Handschrift. Schnell überflog er die schnell hingekritzelten Wörter, konnte aber damit nichts anfangen. Er reichte ihn Jason und suchte weiter. Auch Robert nahm den Block in die Hand und las. Ein Wort darauf machte ihn stutzig.
"Webster", fragte er ungläubig. "Was soll das heißen?"
Dwayne riß ihm den Block aus der Hand und las selbst. Tatsächlich stand dort das Wort Webster. Er dachte angestrengt nach. Was hatte der Name unter all den lateinischen Ausdrücken für menschliche Einzelteile zu suchen? Plötzlich kam es ihm.
"Webster Deary", rief er.
"Doch nicht der Webster Deary?" rief Robert. "Der Massenmörder, der erst entlarvt wurde, als man ihm tot im Wald fand?"
"Genau der", nickte Dwayne.
"Du kennst die Geschichte?" erkundigte sich Jason erstaunt.
"Natürlich", nickte Robert. "Die kennt doch jeder."
"Ich zum Beispiel, erst seit kurzem. Dwayne erzählte mir von ihm."
"Du warst ja auch auf einer anderen Polizeischule", erklärte Robert. "Dearys Geschichte war die Lieblingsgeschichte einer meiner Lehrer auf der Polizeischule."
"McKenzie", wusste Dwayne den Namen des Lehrers und überlegte kurz. "Sie schrieb den Namen unter all den Bezeichnungen, aber warum", dachte er laut nach. "Es sind medizinische Ausdrücke für menschliche Organe." Er schnappte sich irgendeine Akte, überflog den Opduktionsbericht und plötzlich hellte sich sein ganzes Gesicht auf. "Susan, du bist Weltklasse", grinste er breit.
"Was ist?" wollte Jason wissen und nahm Dwayne den Bericht aus der Hand. Er überflog den dichtgeschriebenen Text, doch auf Dwaynes Gedankensprünge vermochte er nicht zu kommen.
"Dieser blutgierige Mülltonnendeckel begnügte sich nicht damit, seinen Opfern einfach das Licht auszupusten, er zerriß sie in Fetzen", half Dwayne ihnen auf die Sprünge. "In dem Bericht zählen sie auf, was sie alles für Teile untersuchten. Es fehlen nur winzige Dinge."
"Mülltonnendeckel?" fragte Robert ungläubig und glaubte sich nicht mehr auf derselben Wissensstufe, wie seine Kollegen zu wissen.
Für Jason war es nebensächlich, dass sein Partner sein Erinnerungsvermögen Stück für Stück zurück erhielt. Er las sich nun tiefer in den Text hinein und musste sich zusammenreißen, nicht vor Ekel zu erschaudern, als er, in kleinsten Einzelheiten detailliert, von den Überresten eines menschlichen Körpers lesen konnte. Immer wieder verglich er den Bericht mit Susans Notizen und musste Dwayne Recht geben. Er waren nur winzige Organe, oder Organteile, die fehlten. Im Bericht wurde das Fehlen dieser Körperteile, dem desolaten Zustand des Leichnams zugeschoben, deren Bergung nicht mehr vollständig erfolgen konnte. Nur winzige Dinge, die leicht in einem Gully, oder hinter einem Grashalm verschwinden konnten. Doch Jason und Dwayne wussten es nun besser.
"Ein Klassemädchen, nicht wahr?" wollte Dwayne bestätigt haben.
"Wahnsinn", gab Jason anerkennend von sich.
"Und was macht er damit?" wollte Robert wissen, nachdem er von Jason auf ihre Wissensstufe gehoben wurde.
"Es ist doch immerhin schon ein Erfolg, dass wir wissen, dass er es nur auf solche Leute abgesehen hat, die gegen Grippe und Erkältung immun sind und dass er ihnen, wie Webster Deary, irgendetwas klaut", meinte Jason.
"Ja, schon", nickte Robert. "Aber wie hilft uns das, wenn wir nicht wissen, wie wir die anderen Leute, die seine Auflagen ebenfalls erfüllen, vor ihm schützen können. Es ist unmöglich, sämtlichen Bewohnern der Stadt Grippeviren zu verabreichen."
"Wir brauchen einen Lockvogel", stellte Dwayne fest. "Ist einer von euch gegen Grippe geimpft?" Beide schüttelte den Kopf. "Ich auch nicht."
"Du willst doch nicht im Ernst, das Leben eines Menschen absichtlich aufs Spiel setzen", rief Jason empört. "Gegen Lockvögel habe ich eigentlich nichts. Doch gegen diesen Killer haben wir nicht die geringste Chance. Wir können dem Lockvogel nicht den kleinsten Schutz bieten. Selbst Wilson sagt, dass zwei Millionen Männer nicht genug wären, ihn aufzuhalten."
"Du warst bei Wilson?" stutzte Dwayne.
"Ja, war ich", nickte Jason. "Als du noch deinen Schönheitsschlaf abhieltest. Ich geriet in Panik und wollte von ihm wissen, wie ich dir helfen kann. Doch ich erhielt eine eiskalte Abfuhr, obwohl nicht zu übersehen war, dass der Mann genau Bescheid weiß."
"In Panik, wegen mir?" fragte Dwayne skeptisch. "Das hätte ich von dir nicht gedacht."
"Du fängst an, wieder der alte Dwayne zu werden", knurrte Jason ärgerlich. "Es war so schön, solange zu dich selbst nicht mehr kanntest. Vielleicht sollte ich zu meinem Freund gehen und das Metallding mit der Flüssigkeit zurückholen, damit ich wieder ohne deine treffsicheren Kommentare arbeiten kann."
"Was für ein Metallding?" wollte Dwayne wissen.
"Ein wahres Teufelsding. Es löst sich langsam auf und gibt die Flüssigkeit in den Poren an den Körper ab. Du hattest Glück, dass es dich nur gestreift hat und nicht steckengeblieben ist, sonst hättest du auf einen Prinz warten müssen, der sich deiner erbarmt. Und dass dir jemand einen Kuß geben würde, bezweifle ich."
"Wenn dann schon eine Prinzessin", entgegnete Dwayne grinsend. "Trotzdem brauchen wir einen Lockvogel. Wir können ihn nicht aus der Reserve locken, weil er sich an uns einen Schnupfen holt. Startet mal eine Umfrage, ob sich jemand für diesen Kamikazejob bereit erklärt", übernahm Dwayne wieder die Oberhand.
"Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass dich die Welt wieder hat", seufzte Jason. "Eigentlich schade drum." Trotzdem ließ er den Bericht unfertig in seiner Schreibmaschine stecken und marschierte in Captain Crowns Büro, um ihn um einen Todeskandidaten für ihr waghalsiges Unternehmen zu bitten.
* * *
Vor Susans Beerdigung graute es alle drei. Doch keiner von ihnen wollte darauf verzichten, ihr das letzte Geleit zu geben. Immerhin hatten sie es Susan zu verdanken, dass sie dem Mörder nun einen Schritt näher gekommen waren. Auch wenn sie nichts gefunden hätte, sie verdiente es keinenfalls auf diese Art und vor allem so früh zu sterben.
Obwohl Dwayne ihr engster Vertrauter gewesen war, hielt er sich im Hintergrund. Er mischte sich nicht unter Susans Verwandten und gesellte sich auch nicht zur Eskorte, die aus der gesammelten Mannschaft ihrer Kollegen gebildet wurde. Jason konnte sich wahrlich denken, dass sein Partner mehr als Trauer für Susan empfand. Doch wieder war er nicht fähig, ihm in irgendeiner Weise zu helfen.
Nach der Beisetzung kam eine junge Frau auf sie zu. Sie steuerte gezielt Dwayne an und noch bevor auch nur einer ein Wort der Begrüßung sagen konnte, holte sie aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
"Nun hast du es endlich geschafft, du mieses Stück Dreck", zischte sie voller Haß. "Ich bewundere deinen Mut, hier aufzutauchen."
Dwayne wehrte sich nicht gegen die Ohrfeige und auch nicht gegen die Demütigungen. Er verzog keine Miene, als sie ihm weitere Beleidigungen ins Gesicht schmetterte.
"Ich frage mich, warum es immer nur die anderen erwischt und niemals dich", schimpfte sie. "Aber das ist wahrscheinlich immer nur das Pech der Guten. Ich warnte Susan oft genug, doch sie wollte nicht hören. Und jetzt ist es leider zu spät für irgendwelche Erkenntnis. Den Tag, an dem man dich unter die Erde bringt, werde ich segnen, wie einen Feiertag." Damit ging sie wieder davon.
"Wer war das?" fragte Jason und blickte ihr verwundert nach.
"Margé", antwortete Dwayne und räusperte sich kurz. Trotz seiner harten Schale, durch die so schnell nichts dringen konnte, trafen ihn die Worte der Frau. Sie waren spitz und scharf genug gewesen, um ihn wenigsten anzubohren.
"Sie zählt wohl nicht gerade zu deinen Freunden, was?" bemerkte Jason.
"Feinde bringen Abwechslung ins Leben", gab Dwayne anteilnahmslos von sich und verließ den Friedhof.
Kaum machten es sich Jason, Robert und Dwayne im Revier bequem und sinnten über einen lukrativen Plan nach, tauchte Margé wieder auf. Als sie Dwayne entdeckte, hob sie stolz ihr Kinn hoch und ignorierte ihn absichtlich. Bewusst wand sie sich an Jason. Dwayne hatte für ihr Verhalten nur ein kurzes amüsiertes Schmunzeln übrig.
"Ich möchte den Officer sprechen, der für die Aufklärung an Susan Rippseys Mord zuständig ist", verlangte sie hochnäsig.
"Sitzt vor ihnen", antwortete Jason, erhob sich höflich und stellte sich vor.
Sie räusperte sich kurz. "Was unternehmen sie, um den Kerl zu fassen?" wollte sie wissen. Der Ton in ihrer Stimme duldete keine Ausflüchte.
"Darf ich fragen, wer sie sind und warum sie das wissen wollen?" ließ sich Jason nicht von ihr einschüchtern.
"Margé Demouroux, eine enge Freundin von Susan Rippsey", erwiderte sie.
"Und wenn sie ihre Zwillingsschwester wären, Miss Demouroux, ich darf ihnen keine Auskünfte geben. Aber ich versichere ihnen, dass wir alles unternehmen werden, um ihn dingfest zu machen."
"Ich bezweifle, dass ihre Bemühungen fruchtbar werden, solange sich eine Schmeißfliege wie Stefenson in ihrer Mannschaft befindet", gab sie frostig von sich.
"Miss Demouroux", rief Jason sie zur Ressourt. "Ich führe ihre beleidigende Bemerkung auf den persönlichen Groll gegenüber Stefenson zurück. Was auch immer vorgefallen ist, es ist eine Sache zwischen ihnen beiden. Ich versichere ihnen, mein Partner wird ebenfalls sein Bestes geben, den Mörder zu finden. Sollten sie also die Unterhaltung fortsetzen wollen, würde ich ihnen raten, sich weiteres zu ersparen. Es könnte sich sonst ins Gegenteilige wenden."
"Ja, sicher", nickte sie und ließ sich den Mund nicht verbieten. "Dieser Ansicht war ich auch mal. Und jetzt bin ich Witwe."
Jason musste dies erst noch verdauen. Er schluckte und warf Dwayne einen kurzen Blick zu.
Margé war sich der Wirkung ihrer Worte durchaus bewusst, und sie war stark genug dies durchzustehen. "Also", ließ sie nicht locker. "Was unternehmen sie?"
"Ich kann ihnen keine Auskunft geben", antwortete Jason entschlosen. "So gerne ich es vielleicht täte. Sie werden das mit Sicherheit verstehen. Das einzige was ich ihnen sagen kann, ist, wir werden ihn kriegen."
"Ich weiß", gab sie kühl von sich. "Solche Versprechungen macht ihr bei der Polizei gerne. Nur einhalten könnt ihr sie nicht."
Sie hob ihr Kinn noch etwas höher. "Officer ... , Verzeihung Sergeant Parkman", verbesserte sie, als sie Jasons Namensschild auf dem Schreibtisch entdeckte. "Wenn es sein muss, werde ich mir über eine richterliche Verfügung Einsicht in die Akten verschaffen. Ersparen sie ihnen und mir weitere Unannehmlichkeiten und geben sie mir die Informationen, die ich verlange."
"Sie kann das", meldete sich Dwayne zu Wort. "Sie ist Anwältin und eine Resolute dazu."
"Wie gesagt", schüttelte Jason den Kopf. "Es geht nicht. Wenn sie sich unbedingt die Mühe machen wollen einen Richter aufzuscheuchen. Bitte." Er zog die Achseln hoch. "Ich kann sie nicht daran hindern. Tun sie, was sie nicht lassen können."
"Ich hörte, sie suchen einen Lockvogel, um mit seiner Hilfe den Mörder aus der Reserve zu holen. Vielleicht kann ich ihnen bei der Suche helfen?"
"Woher wissen sie das?" fragte Jason überrascht.
"Die Freunde meines ermordeten Mannes sind auch noch immer meine Freunde", erwiderte sie hochnäsig.
dass sie ermordet, statt verstorben sagte, ärgerte Jason. Es genügte, um ihn für einen Moment seine guten Manieren vergessen zu lassen. "Wenn sie ihr Gift nicht bald anderswo verspritzen, kann ich für gar nichts mehr garantieren", drohte er leiser, hatte sich jedoch bald darauf wieder im Griff. "Miss Demouroux, würden sie uns bitte entschuldigen. Wir haben noch jede Menge zu tun." Damit drehte er sich um und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
"Welche Voraussetzungen muss dieser Lockvogel besitzen?" fragte sie, ohne sich von Jasons Drohungen beeinflussen zu lassen.
"Er muss sich umbringen lassen", antwortete Dwayne, bevor Jason den Mund aufmachen konnte.
"Eigentlich ein idealer Job für deine Partner, nicht wahr Dwayne?" sagte sie, so kalt wie nie zuvor und ohne sich nach ihrem Gesprächspartner umzudrehen.
"Bist du gegen Grippe geimpft, Margé-Kindchen?" entgegnete er gelassen.
Die junge Frau fuhr herum. Ihr böser Blick vermochte einen zu töten. dass nicht die Frage selbst, sondern ihr Name mit dem Zusatz, so wie Dwayne ihn aussprach, die Ursache für ihren kurzen Ausbruch war, konnten Jason und Robert nicht wissen. Margé-Kindchen, so hatte sie ihr Mann immer genannt und Dwayne als ehemaliger Partner ihres Mannes, wusste das natürlich. Sie atmete tief ein und hatte sich bald wieder unter Kontrolle.
"Gegen Krankheiten wie dich, sollte es eine Schutzimpfung geben", gab sie kühl von sich. Aber ihre Finger zitterten noch. "Leider ist noch niemand auf diese glorreiche Idee gekommen."
"Beantworte meine Frage", verlangte er streng. Sein ernster Gesichtsausdruck und der entschlossene Ton in seiner Stimme drückten aus, dass er imstande war, den Kampf mit dieser Frau aufzunehmen. Mit Worten, oder auch anders.
"Natürlich bin ich es", antwortete sie und wusste nicht, was die Frage mit einem Mordfall zu tun hatte.
"Dann bist du die ideale Kandidatin für den Posten des Lockvogels", erwiderte er. "Nur ich denke, dass er sich an dir die Zähne ausbeißen wird."
"Dwayne, das geht nicht", rief Jason entrüstet und sprang wieder auf. "Wir würden sie damit dem sicheren Tod ausliefern. Wir können ihr keinerlei Schutz bieten."
"Früher oder später ist sie eh dran", hielt Dwayne dagegen.
"Sie wird es nur tun, um dich zu ärgern", schimpfte Jason. "Aber völlig gleichgültig wer sich bereit erklärt, ich darf das nicht zulassen."
"Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen", rief Margé stolz.
"Was ich keineswegs bezweifle, Miss Demouroux", erwiderte Jason. "Aber wir haben es hier mit keinem gewöhnlichen Killer zu tun."
"Demnach wißt ihr schon, wer es war", stellte sie fest.
"Susan war nicht sein erstes Opfer", ließ sich Jason zu einer Auskunft hinreißen.
"Wenn du gleich einsteigst, wirst du Nummer achtundfünfzig", gab Dwayne gefühllos von sich. "Ansonsten musst du in der Schlange bleiben."
Margé drehte sich langsam zu Dwayne um. Ihr überraschter Blick war sogar ihm neu. "Achtundfünzig?" wiederholte sie fassungslos. "Und warum unternehmt ihr nicht endlich etwas dagegen?"
"Weil das nicht so einfach ist", erklärte Jason. "Wie gesagt, es ist kein gewöhnlicher Killer. Die Idee mit dem Lockvogel ist nicht durchführbar, weil wir gegen diesen Kerl absolut machtlos sind."
"Was ist das für ein Übermensch?" wollte Margé wissen.
"Kein Mensch", antwortete Dwayne.
"Was dann? Ein Werwolf?" fragte sie schnippisch.
"In diese Richtung tendiert es", entgegnete Dwayne kalt.
"Schluß jetzt", rief Jason. "Das war bereits genug. Ich praktiziere nicht umsonst ein Jahr lang stengste Geheimhaltung, damit du alles ausplauderst. Kein weiteres Wort mehr."
"Das fängt an interessant zu werden", meinte Margé mit einem leichten Schmunzeln. "Ich glaube, ich sollte Dwaynes Vorschlag annehmen."
"Nein", schrie Jason wütend. "Dieser Vorschlag ist nicht akzeptabel, weil er absolut dumm ist. Dwayne selbst weiß gut genug, dass es reinster Selbstmord wäre."
"Ich verstehe ihre Panik nicht", zuckte Margé mit den Schultern. "Sie haben ihren Freiwilligen und auch bald ihren Mörder."
"Das Einzige was ich habe, ist die Garantie, dass, wenn wir sie tatsächlich als Lockvogel einsetzen, sie ihren nächsten Geburtstag mit hundertprozentiger Sicherheit nicht mehr erleben werden", meinte Jason ernst.
"Oh", machte sie in gespieltem Entsetzen. "So schlimm ist dieser böser Bube, dass selbst hartgesottene Bullen den Schwanz einziehen?"
"Dwayne kann ihnen ein Lied davon singen", gab Jason wesentlich ruhiger von sich. "Bis vor wenigen Tagen, wussten wir nicht, ob er es überleben wird."
Margé drehte sich nach Dwayne um und betrachtete ihn eingehend. "Also, ich finde, er strotzt nur so von Gesundheit", stellte sie fest. "Kaum zu glauben, dass er vor wenigen Tagen in Lebensgefahr schwebte."
"Schmeiß sie raus", warf Robert ein.
"Nein", rief Dwayne. "Sie ist unsere einzige Rettung. Du wirst niemanden finden, der sich freiwillig bereit erklärt. Und nachdem wir von Crown keine Unterstützung bekommen, müssen wir eben selbst handeln."
"Wenn wir das erlauben, ist das Mord", brüllte Jason wütend.
"Einer, um noch eine halbe Million andere zu verhindern", setzte Dwayne entgegen.
"Mein Gott, bist du kaltschnäuzig", rief Jason angewidert. "Ich setze nicht absichtlich ein einziges Leben aufs Spiel, um auch nur einziges anderes zu retten."
"Du willst also weiterhin untätig zusehen und Leichen zählen", bemerkte Dwayne feststellend. "Der Kerl ist mir etwas zu nahe auf die Pelle gerückt. Ich für meinen Teil verspüre keine Lust, mich noch länger von ihm verarschen zu lassen. Du brauchst ja nicht mitzumachen. Bleib auf deinem Hintern sitzen und schreibe weiter Berichte, wenn du nicht den Mut zum Risiko hast."
"Das hat nichts mit Mut zum Risiko zu tun", widersprach Jason heftig. "Ich meine, du musst es doch selbst wissen. Du musstest, unfähig etwas dagegen zu tun, mitansehen, wie er Susan getötet hat. Du hast seine Macht mehr als einmal, an deinem eigenen Körper verspürt. Und immer warst du völlig machtlos. Der Kerl geht mit dir, mit uns allen um, wie mit einem Spielball."
"Es wird Zeit, dass wir die Regeln in diesem Spiel bestimmen", erwiderte Dwayne gelassen, ohne sich von Jasons Wutausbruch beeindrucken zu lassen.
"Ach, und wie willst du das machen?" fragte Jason lautstark. "Auf die Idee bin ich gespannt. Möchte mal wissen, was ein Spitzenmann von der Gosse besser kann, als eine Frackmotte."
"Langsam lernst du, Kleiner", grinste Dwayne. "Herausforderung, das ist es, was dir fehlt. Wir lassen sie Nachts allein durch die Straßen laufen und sehen was passiert."
"Vielleicht darf ich deinem immer noch ziemlich morschen Erinnerungsvermögen etwas nachhelfen", rief Jason und klopfte Dwayne auf die Stirn. "Dieses Ding ist zu schnell, als dass wir handeln können. Außerdem hält ihn doch nichts auf dieser Welt auf. Er zerschneidet Autos wie weiche Butter und zerfetzt menschliche Körper in Sekundenschnelle. Wie willst du das verhindern?"
"Mir wird schon noch etwas einfallen", erwiderte Dwayne selbstsicher.
"Na, großartig", rief Jason und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Und die nächsten hundert Jahre darf ich dich im Krankenhaus besuchen und dir zu jedem Weihnachten einen Rosenstrauß bringen. Vergiß es."
"Könnten wir endlich anfangen?" schob sich Margé dazwischen. "Was muss ich tun?"
"Nichts", schrie Jason, beinahe außer sich.
"Spazieren gehen", antwortete Dwayne.
"Wenn es weiter nichts ist", entgegnete sie leichthin. "Und wann?"
"Heute Nacht."
"Ich mach da nicht mit", rief Jason und kickte wütend seinen Stuhl unter den Tisch.
"Wenn wir es nicht wenigstens versuchen, wäre Susan sehr sauer", bemerkte Dwayne und lächelte über Jasons Wut.
Das ließ Jason tief einatmen und seinen Zorn hinunterschlucken. "Aber sagt nicht, dass ich euch nicht gewarnt habe", murmelte er etwas lauter. "Und vor allem nichts zu Captain Crown. Er bringt es noch fertig, die Todesstrafe, extra wegen uns wieder einführen zu lassen, sollte er je etwas davon erfahren."
"Weil sie gerade erfahren erwähnen", meldete sich Margé wieder zu Wort. "Da jetzt alles geklärt wäre, dürfte ich erfahren, um was für eine besondere Spezie von Killer es sich handelt?"
Jason besaß nicht mehr die Nerven, sie aufzuklären und von Dwayne ließ sie sich nichts sagen. So übernahm Robert diese Aufgabe. Je mehr er erzählte, desto häufiger wechselte ihr Gesichtsausdruck. Erst hielt sie es für ein Märchen, doch immer mehr wurde sie sich dessen bewusst, in welche Gefahr sie sich begeben hatte. Hätte sie es vorher gewusst, wäre sie vielleicht nie auf die Idee gekommen, Lockvogel zu spielen. Aber sie war eine Frau, die hielt was sie versprach, ob es ihr angenehm war, oder nicht. Sie konnte nicht mehr zurück. Schon allein Dwaynes wegen. Ihr Haß ihm gegenüber war so groß, dass sie selbst ihrem sicheren Tod entgegen trat, wenn sie ihn damit übertrumpfen konnte.
# # #
Obwohl es noch ziemlich schwül war, zog Margé ihren dünnen Mantel eng um sich. Sie zitterte, aber nicht aus Kälte. Als Robert ihr die Fotos und die Berichte über die vorherigen Opfer zeigte, wurde es ihr beinahe übel. Nur mit Mühe konnte sie Fassung behalten und schalt sich, sich von ihrem Haß zu einem solch lebensmüden Abenteuer verleiten lassen zu haben. Sie wusste zwar, dass die drei Polizisten in der Nähe waren, doch so wie Robert ihr erzählte, hatten sie so gut wie keine Chance, Margé zu retten, falls der Mörder und seine fliegende Killerscheibe tatsächlich auftauchten. Sie horchte, ob sie nicht vielleicht dieses leise Sirren vernehmen konnte, doch es war vollkommen still. Um diese Zeit schliefen die meisten und nur dann und wann jagten die Sirenen der Polizei oder Feuerwehr irgendwo in der Nähe, durch die nächtliche Stadt. Ihre Schritte waren für einige Zeit das Einzige, was sie hören konnte. Sie wünschte sich, dass ein später Autofahrer angefahren kam und sie hupend veranlaßte, die Mitte der Straße zu verlassen. Doch es kam niemand. Sie war allein mit der Dunkelheit und ihrer Angst.
Da - ein Geräusch. War er das bereits?
Sie sah hoch. Nein, ein Hubschrauber flog über sie hinweg. So hoch oben, über den Wolkenkratzern, in unerreichbarer Ferne für sie.
Ein weiteres Geräusch. Eine Fliege, eine Mücke?
Sie erstarrte. Das Blut gefror in ihren Adern. Sie hielt den Atem an. Da war es. Ein leuchtendes, kreisrundes Etwas flog auf sie zu. Und es näherte sich mit atemberaubendem Tempo. Schnell sah sie sich nach den Polizisten um, doch in der Eile konnte sie niemanden entdecken. Sie schrie.
Dwayne löste sich zwischen den parkenden Autos heraus und rannte mitten auf die Straße. Die Mörderscheibe musste sich jeden Moment durch sein Ziel fressen. Er stellte sich vor Margé, so dass er zwischen ihr und dem Ding stand.
"Dwayne", schrie Jason entsetzt. Doch es war bereits zu spät für weitere Worte.
Als Jason die Augen wieder öffnete, standen Dwayne und Margé noch immer aufrecht in der Straße. Die Scheibe war durch die Beiden hindurch geflogen, als bestünden sie aus Luft. Dieser verdammte Kerl, schimpfte Jason im Stillen. Für seinen Geschmack besaß er einfach zuviel Mut zum Risiko. Die Scheibe hätte vielleicht nicht mehr rechtzeitig reagieren können und beide getötet.
Dwayne schob Margé schnell hinter sich. In diesem Moment war ihr Haß vergessen. Sie klammerte sich in panischer Angst an ihm fest und hätte sich durch nichts davon abbringen lassen, loszulassen.
"Na, komm schon", schrie Dwayne dem fliegenden Mörder hinterher. "Komm her, du verfluchtes Ding. Wenn du sie haben willst, musst du auch mich töten. Aber an mir wirst du dir einen mächtigen Schnupfen holen."
Die Scheibe flog einen Bogen und kehrte zurück. Dwayne stellte sich wieder in den Weg, so dass es erst ihn töten musste, bevor es an sein eigentliches Opfer gelangen konnte. Wieder raste es durch beide hindurch. Sie standen zu dicht zusammen, als dass es sich dazwischen umstellen konnte - von Durchfahrt auf Reißwolf.
Das war Dwaynes Idee und einzige Hoffnung gewesen, und wenn es widererwarten nicht geklappt hätte ... ? Zumindestens einen Versuch hätte er dann gewagt, sich ihm entgegen zu stellen. Sterben würden sie irgendwann sowieso.
Wieder kehrte es mit einem großzügigen Halbkreis zurück. Dwayne schob Margé wieder hinter sich. Diesmal wagte es keinen Frontalangriff, sondern flog in engen Kreisen um die Beiden herum und startete immer erst dann einen Angriff, wenn Dwayne nicht schnell genug war, Margé hinter sich zu schieben. Doch jedesmal schaffte es Dwayne die junge Frau gerade noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu ziehen. Margé kam langsam wieder zu sich und erkannte ihre einzige Chance am Leben zu bleiben und versuchte, so gut sie konnte, hinter ihm zu bleiben.
Jason und Robert faßten ebenfalls Mut, kamen aus ihren Verstecken hervor, schossen auf die fliegende Scheibe und gaben es schließlich auf, als es nichts half. Untätig mussten sie mit ansehen, wie Dwayne als lebendiges Schutzschild versuchte Margés Leben zu retten. Angestrengt überlegten sie, wie sie ihm helfen konnten und gaben schließlich auch dies auf, als sie erkannten, dass das was Dwayne bereits tat, die einzige Möglichkeit war, der Mörderscheibe zu trotzen.
Nach ein paar fruchtlosen Kreisen blieb sie plötzlich stehen. Etwa zwei Meter über dem Boden und zehn Meter von seinem Ziel entfernt harrte es in der Luft schwebend aus und schien auf etwas zu warten.
"Na, was ist?" rief Dwayne. "Keine Puste mehr?" Er zitterte vor Angst, Anstrengung und Wut. Doch seiner Stimme war nichts anzumerken. Das helle Sirren verätzte seine Gehörgänge und sägte gehörig an seinen Nerven, doch er hieß sich durchzuhalten. Nicht nur sein Leben stand hier auf den Spiel, auch das von Margé. Die Kugel in diesem russischen Roulette stammte schließlich von ihm selbst. Jetzt musste er es auch durchstehen, auch wenn es nach dem Klick laut knallte.
"Wie sieht es aus?" rief Dwayne. "Du kannst es nicht riskieren mich zu töten, um an sie zu kommen. Was machst du jetzt?"
Das Sirren wurde für einen kurzen Moment unerträglich und weit über die Schmerzgrenze gehend, laut. Dwayne verzog das Gesicht, zwang sich aber, seine Augen nicht von der Scheibe zu lassen.
Plötzlich kam etwas silbernes, winziges auf ihn zugeflogen. Er hielt den Atem an.
Ein Knall zerriß die Nachtluft und der winzige Giftpfeil verpuffte in einer kleinen Explosion. Jason hatte schnell reagiert und hielt seine Waffe für einen weiteren Pfeil schußbereit.
"Wie du siehst, bin ich nicht allein", rief Dwayne und war seinem Partner mehr als dankbar. "Gib es auf und verschwinde von diesem Planeten."
Die Scheibe begann sich schneller zu drehen und setzte wieder zum Angriffsflug an. Dwayne umklammerte Margés Handgelenk fester. Messerscharfe Zähne frasen sich nur wenige Augenblicke später in seine Schulter. Er schrie auf. Der Aufprall warf ihn samt seinem Schützling um.
Panisch vor Angst rabbelte sich Margé hoch und rannte davon.
"Margé, nein", schrie Dwayne unter Schmerzen.
Jason rannte ihr hinterher, doch sie war zu weit entfernt. Schreiend rannte sie die Straße hinunter, mit der Mörderscheibe auf den Fersen. Sie stolperte und fiel hin. Sofort setzte es zum Sinkflug an und raste knapp über dem Boden unbeirrt weiter auf sein Ziel zu. Mit weit aufgerissenen Augen erkannte sie ihren nahen Tod, war aber noch geistesgegenwärtig genug, sich auf die Seite zu rollen. Es raste an ihr vorbei. Schnell sprang sie wieder auf die Beine und flüchtete sich zwischen die parkenden Autos. Das UFO flog einen weiten Kreis und kam wieder zurück. Margé drückte sich an einen Wagen und kreischte auf, als sie sah, dass es sich mühelos durch das Stahl eines Autos fras. Sie ließ sich auf den Boden fallen und kroch unter das Auto. Nur wenige Zentimeter über ihr, fras es sich in die Türe. Kreischend trennte sich das Metall in zwei Hälften. Margé schrie vor Angst und preßte ihren Kopf auf den Boden. Als es auf der anderen Seite wieder herauskam und sich wegen des geringen Abstandes in das nächste Auto bohren musste, krabbelte sie wieder unter dem Wagen hervor.
Jason hatte indessen die Türe zu einem Haus eingetreten. Er winkte Margé hektisch zu.
"Hier rein", schrie er und suchte nach dem fliegenden Objekt. So schnell sie konnte, rannte Margé zu Jason. Mit einem wütenden Sirren befreite sich die Scheibe aus dem Wagen, raste steil nach oben und kam schneller denn je zurück.
"Schnell", rief Jason verzweifelt. "Beeil dich."
Dwayne, gestützt von Robert, kam indessen angelaufen, riß sich aber los, als ihm eine Idee kam. Er trat die halb herabhängende Stoßstange von einem aufgeschlitzten Wagen und schlug mit Aufwendung seiner letzten Kraft und Wut nach dem UFO. Es geriet überraschenderweise ins Trudeln und krachte in das Mauerwerk eines Hauses, wo es steckenblieb. Die Scheibe zitterte und sirrte, konnte sich aber von selbst nicht wieder befreien.
Schweratmend und vollkommen überrascht blieben die drei Polizisten stehen und starrten auf die Scheibe, die tatsächlich dem Design eines Mülltonnendeckels ähnelte. Die Ränder waren mit winzigen Sägezähnen besetzt und es leuchtete aus dem Inneren heraus, als säßen in dem dünnen Metall winzigkleine Lichtchen.
Margé traute sich nicht, an dem in der Mauer steckenden Ding vorbei zu laufen und blieb ebenfalls stehen. Dwayne hielt noch immer die Stoßstange in der Hand, wagte sich vorsichtig näher und nach einem zustimmenden Nicken von Jason, holte er aus und schlug auf die Scheibe ein. Gleich beim ersten Schlag explodierte es, als hätte er auf hochexplosiven Sprengstoff geklopft. Splitter flogen ihnen um die Ohren, zerschnitt ihnen Haut und Kleidung. Ohrenbetäubendes Kreischen ließ sie zusammenschrecken und in Deckung gehen. Dann war es wieder totenstill.
Verwirrt und nicht so recht an den Frieden glaubend, sahen sie sich um. Dwayne sank vor Schmerz stöhnend auf die Knie und ließ endlich die Stoßstange aus seinen Händen gleiten. Margé rutschte an der Wand entlang zu Boden. Tränen füllten ihre Augen. Sie kämpfte nicht dagegen an. Jason steckte seine Waffe in den Halfter zurück und ließ seinen Blick über die silbernen Splitter gleiten - die Überreste des unheimlichen Killers. Robert hob eines dieser Splitter auf und ließ es mit einem leisen Aufschrei gleich wieder fallen. Es war glühend heiß.
War es tot?
Fragend sahen sie sich gegenseitig an.
War es überstanden?
Niemand mochte so Recht daran glauben.
Robert steckte auch seine Waffe zurück in den Halfter und ging zu Dwayne. Vorsichtig schob er den zerschnittenen Mantelstoff beiseite um die Wunde zu begutachten. Eine tiefe und schmerzhafte Fleischwunde. Erleichtert, dass nichts schlimmeres passiert ist, zerriß er Dwaynes Mantel in Streifen, legte sie über die Wunde und versuchte es zu schließen, damit Dwayne auf dem Weg ins Krankenhaus nicht verblutete.
"Wie sieht es aus?" fragte Jason.
"Um Haaresbreite davongekommen", erwiderte Robert.
"Margé?" fragte er auch sie. "Miss Demouroux?" verbesserte er sich schnell.
Sie nickte und zog sich an der Wand entlang hoch.
"War es das?" wollte sie mit heißerer Stimme wissen. "War das Susans Mörder?"
Jason nickte und ging ihr entgegen, da er befürchtete, dass sie auf dem Weg zu ihm, zusammenbrechen würde.
"Ist es jetzt vorbei?" wollte sie wissen und verstummte plötzlich. Ihr Blick war auf die Splitter am Boden geheftet. Sie glaubte, dass sie sich bewegt hatten.
Und wieder.
Margé öffnete den Mund, doch sie brachte keinen Ton hervor. Sie klammerte sich an Jasons Arm und krallte ihre Fingernägel in seine Haut. Die Splitter bewegten sich.
Jetzt sah es auch Jason. Er zog Margé schnell von den Splittern weg.
"Vorsicht", rief er Dwayne und Robert zu, die sich mitten darin befanden. "Macht, dass ihr da weg kommt."
Robert fuhr herum und entdeckte es ebenfalls. Schnell zog er Dwayne auf die Beine und schleppte ihn mit sich. Die heftige Bewegung jagte Dwayne eine Sinnflut von Schmerz durch seine Adern. Er schrie auf. Wegen, den über den Boden dahingleitenden Splittern, rutschte er aus und fiel hin. Robert zog ihn wieder hoch und hielt plötzlich inne.
"Oh, mein Gott", hörte er ihn ehrfürchtig flüstern.
Dwayne sah hoch und erstarrte vor Schreck. Das Gesicht des Mannes, der plötzlich, wie aus dem Nichts auftauchte und sich nun so groß, wie ein fünfstöckiges Haus vor ihnen aufbaute, kannte er sehr gut.
Jason schob Margé hinter seinen Rücken.
Die Splitter rutschten über den Boden, sammelten sich in der Mitte der Straße und formierten sich zu einem Wirbelwind. Sie drehten sich immer schneller im Kreis und schoben sich immer enger zusammen, bis sie sich schließlich wieder in die Mörderscheibe zurück verwandelten.
Margé machte sich vor Angst hinter Jasons Rücken ganz klein.
Dwayne stemmte sich auf Roberts Schulter auf und versuchte eine aufrechte und stolze Haltung zu bekommen.
Langsam formte sich die Gestalt, aus Nebel, Wolken und Wind, zu einem gigantischen Körper von Fleisch und Blut. Licht ging von ihm aus. Licht, das die Nähe des Todes erahnen ließ.
"Das ist gegen die Abmachung", sagte eine so tiefe und schwingende Stimme, dass die Trommelfelle der menschlichen Wesen schmerzhaft erzitterten.
Schreiend hielten sie sich die Ohren zu.
"Was für eine Abmachung?" schrie Dwayne gegen den Druck der Schallwellen an. Er glaubte, dass seine Stimme nicht lauter wäre als das Fisteln einer Maus.
"Es gehört mir", antwortete die tiefe Stimme.
Erneut mussten sie sich die Ohren zuhalten. Die Fensterscheiben der umliegenden Häuser erzitterten unter den Druck. Die Mörderscheibe schwebte sirrend über den Boden und schien auf das Signal seines Herrn zu warten.
"Was gehört dir?" schrie Dwayne und versuchte sich zu entkrampfen.
"Gib es mir", verlangte die tiefe Stimme.
Dwayne musste sich Gewalt antun, nicht unter der Last dieser Stimme in die Knie zu sinken.
In einigen Fenstern flammte Licht auf. Rolläden wurden hochgezogen und Neugierige, oder über den Lärm aufgebrachte steckte ihre Köpfe heraus. Aber so schnell wie sie die Fenster geöffnet hatte und zum Schimpfen ansetzten, schluckten sie ihre Worte wieder hinunter und verschlossen Fenster und Rolläden. Nur wenige verharrten mit starr auf das meterhohe Wesen gerichtete Augen und waren nicht fähig, auch nur irgendetwas zu tun.
"Du hast kein Recht sie zu töten", schrie Dwayne.
"Abmachung", antwortete die Stimme und ließen Dwaynes Knie erzittern.
Dwayne krallte sich in Roberts Schultern. Dieser wäre liebend gerne davongelaufen, wenn sich Dwayne ihn nicht an ihm festgehalten hätte.
"Keine Abmachung der Welt kann mich veranlassen, ein Leben zu opfern", schrie Dwayne mutig.
"Gib es mir", forderte die Stimme.
"Nein!" Dwayne versuchte, so gut er konnte standzuhalten, obwohl ihn seine Angst beinahe umbrachte. Hinter seinem Rücken winkte er Jason zu. Dieser verstand und schob Margé ganz langsam und vorsichtig, beinahe unmerklich rückwärts.
"Das ist gegen die Abmachung", wiederholte sich der Riese.
"Ich weiß nichts von einer Abmachung", schrie Dwayne.
"Gib es mir", forderte die Stimme zum dritten Mal.
"Nein!"
Das fliegende Mordinstrument setzte sich scheinbar ohne Befehl in Bewegung und raste auf Jason und Margé zu. Jason schob sich schneller rückwärts und stolperte in einen Hausgang hinein. Ihr beider Glück, denn so verfehlte die Scheibe ihr Ziel und ob sie diesmal durch beide hindurch geflogen wäre, wollte niemand ausprobieren. Jason rempelte gegen die Haustüre, doch sie wollte sich nicht öffnen. Eine Stahltüre, mit dickem Vorhängeschloß. Der Hausgang war zu eng, als dass er das Schloß hätte zerschießen können, ohne selbst verletzt zu werden. Er fluchte leise und sah sich nach dem UFO um. Es hatte gewendet und flog nun mit direktem Kurs auf den Hauseingang zu. Wieder fluchte Jason, diesmal lauter. Er drückte Margé hinter sich in eine Ecke und stellte sich als Schutzschild davor. Nur wenige Zentimeter vor ihm stoppte die Scheibe, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gerast, durch die sie nicht hindurchgelangen konnte. Dort verharrte sie. Somit war Jason und Margé der Fluchtweg versperrt.
"Laß sie gehen", schrie Dwayne und suchte nach der Stoßstange.
"Es gehört mir", sagte die Stimme.
Dwayne riß sich von Robert los, griff nach der Stoßstange und rannte zu Jason und Margé. Doch noch bevor er ausholen und zuschlagen konnte, tauchte, wie aus dem Nichts eine zweite fliegende Scheibe auf und stellte sich Dwayne in den Weg. Abrupt blieb er stehen. Doch dann nahm er all seinen Mut zusammen und rannte weiter. Er plädierte voll darauf, dass sie ihn nicht umbringen konnten, ohne selbst Schaden zunehmen. Welchen Schaden die fliegenden Mörder nehmen würden, vermochte Dwayne nicht zu sagen. Schlimmsten Falles würden sie ihn doch töten.
Die zweite Scheibe wich blitzschnell zur Seite aus, aber nicht weit genug, um ihren Angreifer ohne weiteres vorbei zu lassen. Eine weitere Fleischwunde, die tief in die Haut knapp unterhalb der Rippen eindrang, ließ Dwayne zusammenzucken. Er riß sich jedoch zusammen, holte aus und schlug zu. Doch bevor er die erste Scheibe treffen konnte, war sie auch schon weggeflogen. Jason ergriff die Gelegenheit, zerrte Margé aus dem Hausgang heraus und schob sie hinter seinem Rücken immer weiter weg.
"Sie gehört mir", schrie Dwayne und wand sich nach dem Riesen um. "Wenn du sie haben willst, musst du zuerst an mir vorbei." In Aufbringung seiner letzten Kräfte, eilte er zu Jason und Margé und stellte sich schützend vor die Beiden.
Der haushohe Riese löste sich daraufhin in Rauch auf und quälte nun mit schneidendem Wind, als wolle er den wütenden Hauch seiner Wut über sie entlassen. Dwayne schirmte seine Augen mit der Handfläche ab. Der Wind war so heftig, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Er pfiff so schnell an seinen Ohren vorbei, dass er seine Augen freigeben musste, um sich die Ohren zuzuhalten. Dwayne ließ sich auf den Boden fallen, kauerte sich eng zusammen und harrte das Ende dieses unnatürlichen Sturmes aus.
So schnell wie dieser Orkan eingesetzt hatte, ebte er auch wieder ab und verwandelte sich wieder in die Gestalt zurück.
Um Dwayne war plötzlich absolute Stille. Er hob langsam den Kopf, öffnete die Augen und fand sich in dreißig Meter Höhe wieder. Unter ihm entdeckte er die entsetzten Gesichter von Jason, Robert und Margè, die mit auf und zu klappenden Mündern lautlose Wörter formten. Und er entdeckte einen Mann mit dem Gesicht, vor dem er sich sechs Jahre und zwei Monate lang gefürchtet hatte. Er fühlte schmerzhaftes Reißen in seinen Knochen, als ob sie versuchten nach außen, an die Oberfläche zu kommen. Seine Haut spannte zum Zerreissen. Das Blut in seinen Adern kochte. Schmerzhaftes Knacken und Krachen klopfte in ihm, wie der regelmäßige Puls eines Herzens. Er vernahm plötzlich ein Rauschen, das wie das strukturlose Durcheinandergewirbel verschiedenster Gedanken wirkte. Er sah die Gestalten zu seinen Füßen und konnte ihre Gedanken hören. Er spürte ihre Angst, ihre Sorgen und ihre Nöte. Er spürte die Ängste aller Menschen und die Sorgen aller Lebewesen.
Da begriff er endlich den wahren Sachverhalt. Das fremde Wesen benötigte für seinen Aufenthalt auf der Erde einen menschlichen Körper. Es benötigte einen Wirtskörper, um in dieser Welt überhaupt existieren zu können und konnte auch nur solche Menschen erlegen und sich von ihnen ernähren, die denselben Eigenschaften entsprachen, wie sein Wirtskörper. Um nicht auch noch die andere Hälfte der Weltbevölkerung zu gefährden, wusste er, was er nun zu tun hatte.
Er befahl seiner Hand, unter seine Achsel zu greifen. Viel zu langsam gehorchte sie. Nur unter starken Schmerzen konnte er seine Waffe aus dem Halfter ziehen, seine Finger zwingen, sie zu entsichern und die Mündung an die Schläfe zu halten. Er sah, wie Jason, Robert und Margé wild mit den Armen fuchtelten, als wollten sie ihm eine Botschaft zuwedeln, die aber nicht durch die Hülle aus Schweigen und Rauschen dringen konnte. Mit dem nächsten Befehl fuhr der Zeigefinger in die Abzugsöse. Dwayne lächelte siegesgewiss und drückte ab.
Ende
Texte: Ashan Delon
Bildmaterialien: hotblack - morguefile.com
Lektorat: myself
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2014
Alle Rechte vorbehalten