Cover

Vorwort

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden,

Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung

des Covermodels aus.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Dieses Buch ist eine homoerotische Fantasy-Geschichte und beinhaltet daher explizite Darstellungen von sexuellen Handlungen zwischen Männern.

 

Fiktive Personen können darauf verzichten.

Im wahren Leben gilt:

Safer Sex!

 

Aus dieser Reihe sind bereits erschienen:

Drachenfedern

Eine überarbeitete Neuauflage der vormals im Fantasy Welt Zone Verlag erschienenen Einzelbände „Schicksalhafte Begegnung“ und „Im Netz der Intrigen“

Drachenfedern – Im Bann des Feuers

als eBook und Taschenbuch erhältlich.

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie.

Danke!

 

 

 

1

 

Es gibt Personen, bei denen kommt ein Gefühl auf, als fehlten einem fünf Euro im Portemonnaie, allein schon, wenn man an sie denkt. Sie persönlich zu Gesicht zu bekommen, wäre gleichzusetzen mit einem Hagelsturm am eigenen Geburtstag. Eine solche Person war der Mann, der ihm auf der Weide entgegenkam.

Hagen stöhnte hörbar auf, als er die Person erkannte, die mit geschultertem Gewehr, wippendem Gamsbart am Jägerhut und einer Miene, als würde er ihn persönlich für das miese Wetter verantwortlich machen, über die vom Regen aufgeweichte Wiese angestapft kam. Wie so oft musste er ein Lachen unterdrücken, als er ihn sah. Seit Jahren trug Xaver nun schon diesen dicken Schnauzbart, der ihn vermutlich männlicher wirken lassen oder seine Überlegenheit demonstrieren sollte. Hagen fand diese Rotzbremse einfach lächerlich. Zusammen mit dem militärisch praktischen Kurzhaarschnitt und der dunkelgrünen Jägeruniform erschien ihm der Kerl eher als Anwärter für die Army. Tatsächlich war Xaver der für die Region zuständige Wildhüter und nutzte seine Position nur allzu gerne aus, um seine Macht zu demonstrieren. Hagen hatte dies in den letzten Jahren mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren bekommen und daher kein Verlangen nach neuerlichen Überraschungen. Er überlegte sich in der Tat, einfach auf der Stelle kehrtzumachen und in die entgegengesetzte Richtung davon zu gehen. Doch er war kein Feigling und vor diesem Kerl, der schon seit vielen Jahren eine hundertprozentige Wahrscheinlichkeit auf Ärger darstellte, noch nie davongelaufen oder hatte gar die Konfrontation mit dem Jäger gescheut.

„Guten Morgen, Xaver“, grüßte Hagen ihn freundlich, dennoch zurückhaltend.

„Na, Hagen, wieder mal zum Einlochen unterwegs?“ Xavers verdrießliches Gesicht war schlagartig gewichen, als er seinen Mund aufgemacht hatte, um zu antworten. Stattdessen machte sich ein Grinsen breit. Während er sprach, deutete er auf das Werkzeug und den dicken Zaunpfosten, den Hagen geschultert hatte, um einen der Weidezäune zu reparieren.

Hagen atmete tief ein, setzte den Pfosten langsam auf dem Boden ab und stützte sich gelangweilt drauf.

„Jetzt weißt du schon seit über zehn Jahren, dass ich schwul bin und dir fällt immer noch keine bessere Beleidigung ein?“ Hagen sah ihn entnervt an. „Vielleicht sollte ich dich mal mit nach München nehmen, wenn ich wieder am Cruisen bin. Da bekommst du ausreichend Ideen.“ Das Angebot war mehr als fragwürdig und alles andere als ernst gemeint. Abgesehen davon wäre Xaver der Letzte, den Hagen mitnehmen würde, um sexuelle Zerstreuung zu suchen. Außerdem war er beim letzten Mal, das war vor knapp einem Jahr gewesen, mit einer gebrochenen Nase zurückgekehrt, weil er in eine Schlägerei geraten war. Dadurch war ihm die Lust vorerst vergangen.

Xavers Gesichtszüge entgleisten sofort. Er zog seine dunklen Augenbrauen mürrisch zusammen und musterte den anderen angewidert. „So was wie du ist nicht einmal als Schlachtvieh zu gebrauchen.“

„Das klingt schon wesentlich besser. Du machst dich“, konterte Hagen mit beißendem Sarkasmus. Auch wenn Xaver daraufhin den Trageriemen seines geschulterten Jagdgewehrs fester in die Hand nahm – eine eindeutige Warnung – ließ sich Hagen nicht davon beeindrucken.

In seinen Augen war der Mann, mit dem er einst die Schulbank gedrückt hatte, lediglich ein armseliges Würstchen, das gefangen war im Wahn von Religion und Traditionen. Als Hagen vor zehn Jahren mit siebzehn den Mut fand, seine Neigung öffentlich zu machen, hatte dies im Dorf für einigen Unmut und Anfeindungen gesorgt. Doch nur Xaver hatte sich als Hand Gottes ausgerufen und den einstigen Klassenkameraden, mit dem er bis zu diesem Zeitpunkt noch kumpelhaft um die Häuser gezogen war, offen mit Hohn, Spott, Drohungen und Beleidigungen überzogen.

Nun waren sie beide erwachsene Männer. Was konnte schon mehr passieren, als dass sie sich prügelnd im Dreck wälzten? Hagen bezweifelte, dass der gelernte Jäger seine Waffe gegen ihn richten würde, um die dreckige Schwuchtel abzuknallen – wie er oft gedroht hatte.

Hagen kannte ihn besser. Xaver war im Grunde ein Feigling, der sich hinter Machogehabe, derben Sprüchen und einer erhobenen Faust versteckte. Eigentlich war der Sohn des Bürgermeisters nur ein Waschlappen, der die Immunität seiner Herkunft als Schutzschild benutzte und dies vollends auskostete. Früher hatte Hagen dieses Privileg selbst genossen, doch mit seinem Outing war er zum Feind Nummer Eins mutiert.

„Ich weiß nicht, warum man euch nicht schon längst den Hof entzogen hat“, fauchte Xaver wütend. „Ihr seid nicht einmal fähig, die einfachsten Dinge zu erledigen. Wie zum Beispiel den Zaun da hinten, an der Weide zum Wald. Der ist schon wieder kaputt. Du solltest endlich dafür sorgen, dass er repariert wird, sonst büxt dir eines deiner Rinder aus, verirrt sich im Wald und ich knalle es ab, weil ich denke, es handelt sich um einen fetten Hirsch.“

Hagen seufzte und deutete mit einem Blick auf den Pfosten, die Drahtseile und den riesigen Hammer. „Wie du siehst, bin ich gerade dorthin unterwegs. Das ist schon wirklich sonderbar. Du als Jäger solltest dich endlich um diese Drecksbestien kümmern, die ständig die Zäune zerreißen. Das war jetzt schon das dritte Mal in diesem Monat. Am Ende reißt es noch eines meiner Tiere und die Leute geraten in Panik, weil sie denken, dass sich wirklich eine gefährliche Kreatur herumtreibt.“ Er sah Xaver unverwandt an, blickte ihm fest in die leicht zusammengekniffenen dunklen Augen, denn er wusste genau, wer ihm regelmäßig den Zaun zum Revier des Jägers zerstörte. Doch beweisen konnte er es nicht. Wenn er seine Vermutung laut werden ließe, würde er wahrscheinlich sofort vom Bürgermeister persönlich mundtot gemacht werden.

Xaver machte einen provozierenden Schritt auf ihn zu. Hagen blieb stehen wie eine Mauer. Vor diesem Mann hatte er alles andere als Angst, was auch immer er anstellte, um ihn zu ärgern oder zu diskriminieren. Nicht einmal Respekt konnte er ihm gegenüber aufbringen, allenfalls Mitleid.

„Treib es nicht zu weit, Schwuchtel“, zischte der Jäger und kam noch näher heran. Sie standen nun nicht einmal mehr einen Schritt auseinander. Xaver beugte sich zudem etwas vor, um seinem Gegenüber die drohenden Worte direkt ins Gesicht zu spucken, Hagen wich jedoch keinen Zentimeter zurück. Stattdessen musste er sich fest auf die Zunge beißen, denn bei dieser Drohung hatte der dunkle Schnauzbart lustig gewackelt und damit zumindest für Hagen die bedrohliche Gebärde zerstört. Er hatte sich gut im Griff und zuckte nur überheblich mit den Mundwinkeln.

„Wenn du noch einmal mit dem Gewehr ruckelst, könnte ich dein Angebot annehmen“, gab Hagen süffisant zurück. „Hab schon lange keinen mehr abgeschossen.“

Ihre Blicke trafen sich und verkeilten sich ineinander. Hagen hielt dem Duell stand. Zehn Jahre Kalter Krieg mit dem Mann hatten ihn darauf geschult. Er wusste, wie weit er gehen konnte, um den ehemaligen Klassenkameraden bis zur Weißglut zu treiben.

Xaver gab einen kehligen Laut von sich. Das Weiße in seinen Augen leuchtete, als er offenbar versuchte, seinen Gegner mit Blicken zu erdolchen. Doch er ließ sich nicht zum letzten Schritt provozieren. „Eines Tages …“, keuchte er. „Eines Tages wird dich das Schicksal treffen. Dann wirst du darum betteln …“

„Worum?“ Hagen blieb unbeeindruckt. „Darum, dass du es mir besorgst?“

„Dass ich dir eine Kugel in den Kopf jage“, erwiderte Xaver scharf. Sein rechtes Augenlid zuckte. Ein Zeichen, dass er kurz davor stand, zu explodieren. „Um dein erbärmliches Dasein zu beenden.“

„Wenn es irgendwann wirklich so weit sein sollte, dann werde ich bestimmt nicht dich darum bitten.“ Hagen lachte einmal kurz auf, voller Spott für den Gedanken, den der andere heraufbeschworen hatte. „Denn du bist nicht mein Typ.“

Xaver knurrte warnend, konnte sich aber trotz der sichtbaren Aufregung beherrschen. Er wich zurück, rückte den Riemen des Gewehrs zurecht und deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der er gekommen war. „Richte den Zaun, sonst werde ich Maßnahmen ergreifen“, grollte er, drehte sich um und marschierte über die Wiese davon.

Hagen blieb noch eine Weile stehen und blickte ihm hinterher. Es hätte ihn gewundert, wenn Xaver auf die Provokation eingegangen wäre. Es war bedauerlich, was dieses Outing mit dem einstigen Kumpel angestellt hatte. Aus engen Freunden waren verbitterte Feinde geworden, nicht, dass Hagen den Bürgermeistersohn vom jetzigen Zeitpunkt aus gesehen noch als besten Freund tituliert hätte. Sie waren jedoch auf dem direkten Weg hierzu gewesen, hatten viel Zeit miteinander verbracht, viel gelacht und Unsinn angestellt. Doch dann hatte Hagen sich dazu entschieden, seine Neigung offen zu machen. Eigentlich verdankte er dem jungen Xaver das Erkennen seiner Homosexualität. Denn durch ihn, dadurch, dass er Hagen zu jedem Date mitgeschleift und sich nächtelang mit ihm herumgetrieben hatte, erkannte er, was er wirklich wollte. Auf keinen Fall Mädchen hinterher steigen oder sich mit ihm über die Vorzüge von potenziellen Kandidatinnen unterhalten. Und vor allem definitiv keine Frauen.

Mit einem Seufzen nahm Hagen die graue Strickmütze ab, die ihn vor den kalten Herbstwinden schützen sollte, strubbelte kurz über seine hellen Locken, strich sie zurück und stülpte sich die Mütze wieder über. Dann schulterte er den Pfosten und den riesigen, schweren Vorschlaghammer und stapfte über die aufgeweichte Wiese zum hinteren Zaun.

Der Draht war eindeutig mit einer Zange durchgeschnitten und der Pfosten sah aus, als wäre er erst mit Tritten aus klobigen Sohlen gelockert worden, ehe die Täter dann zur Axt gegriffen hatten, um den fest im Boden verankerten Pfosten zu fällen. Die Kerben in dem harten Holz wirkten, als hätte jemand seine ganze Wut an dem Teil ausgelassen. Milde lächelnd zerrte Hagen die Reste des Zaunpfahles aus dem Boden, setzte den neuen ein und trieb ihn mit kräftigen Hammerschlägen tief in den weichen Boden.

Vor wenigen Tagen hatte es noch heftig geregnet, sodass die Wiese am Waldrand einem Moor glich. Beinahe mühelos konnte er den Pfahl in den Untergrund rammen, den Draht neu verlegen und die Lücke im Zaun schließen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er fertig war, und besah sich die Umgebung. Eigentlich war der Zaun unnötig. Seine Milchkühe, die auf der angrenzenden Weide grasten, würden den Wald nicht betreten, da es dort kein saftiges Gras gab, das sie anlocken könnte. Zudem säumte ein breites Bankett aus stacheligen Brombeersträuchern den Rand, vor dem die Tiere scheuten. Vor zwei Jahren hatte er die Auflage erhalten, dort einen Zaun zu ziehen, um das Rotwild vor dem Nutzvieh zu schützen. Auf Hagens Einwand, dass dem Rotwild dann eine wichtige Nahrungsquelle genommen wurde, wollte man nicht eingehen. Um weiteren Ärger zu vermeiden, hatte Hagen schließlich den Zaun gezogen. Vor ein paar Monaten hatte sich es offenbar jemand zur Aufgabe gemacht, ihn regelmäßig zu zerstören.

Hagen hätte sein Leben darauf verwettet, dass dieser jemand Xaver Bergmeier hieß, wie auch derjenige, der für die Auflage verantwortlich war. Doch er hielt seinen Mund und amüsierte sich im Stillen. Es hatte keinen Zweck, sich deswegen aufzuregen oder den uneinsichtigen Kerl zur Rede zu stellen. Er würde alles abstreiten und einen weiteren Aspekt finden, um Hagen im ganzen Dorf lächerlich zu machen.

Mit den Überresten des alten Pfostens und dem Hammer kehrte er zum Hof zurück. Die Kühe standen bereits am Tor und wollten auf die Weide gelassen werden, um sich ihre Bäuche mit frischen Gräsern, Kräutern und den letzten Blumen des Jahres zu füllen. Bevor er zur Reparatur aufgebrochen war, hatte er die fünfzehn Milchkühe noch gemolken. Rasch öffnete er das Gatter und lächelte, als sie an ihm vorüber trotteten und sich hin und wieder schon mal ein Maul voll gönnten. Er kannte jedes der Tiere beim Namen. Er war mit ihnen aufgewachsen. Bei einigen von ihnen war er sogar bei der Geburt dabei gewesen, hatte ihr nasses Fell mit Stroh abgerieben und ihnen dabei geholfen, die ersten Schritte zu tun. Er war Bauer aus Leidenschaft. Das war ihm bereits in die Wiege gelegt worden. Für ihn gab es nichts anderes, auch wenn der Profit aus dem Verkauf der Milch und des Fleisches und den Erträgen aus den Feldern immer weniger wurde und der kleine Familienbetrieb immer stärker ums Überleben kämpfen musste.

Nachdem er den Hammer in der Werkstatt verstaut und den Pfosten auf den Haufen mit dem Brennholz für den Winter geworfen hatte, betrat er die Stube. Seine Mutter war gerade damit fertig geworden, den Frühstückstisch zu decken. Eben stellte sie einen Hefekuchen in die Mitte des Tisches, rückte Hagens Tasse zurecht und lächelte glücklich, als sie ihn eintreten sah. Sein Vater hockte in einem Lehnstuhl in der Ecke, studierte die Tageszeitung und brummelte vor sich hin. Seine Eltern gingen beide auf die siebzig zu. Hagen war der Jüngste von vier Brüdern, von denen er als Einziger auf dem elterlichen Hof geblieben war, um ihn zu bewirtschaften und der Einzige, der ihnen keine Schwiegertochter bieten würde.

Hagen setzte sich an den Tisch, goss sich Kaffee ein und schnitt sich ein dickes Stück vom noch warmen Hefekuchen ab, um herzhaft und mit großem Hunger hineinzubeißen.

Sein Vater legte die Zeitung sorgsam zusammen und kam ebenfalls zum Frühstückstisch.

„Vielleicht sollten wir an der Waldweide einen Elektrozaun errichten“, schlug er vor.

Hagen schüttelte den Kopf. „Damit man uns die Schuld an dem verendeten Rotwild zuschiebt, das dort einen Herzinfarkt erleidet …?“ Er schluckte rasch hinunter. „Mach dir keine Gedanken. Das ist bald vorbei.“

„Ja“, pflichtete ihm seine Mutter mit einem Nicken bei, „und derjenige sucht sich etwas anderes. Was war das mit dem Fuchs?“

Hagen verzog sein Gesicht. Im Frühjahr hatte ein Fuchs ein Massaker im Hühnerstall angerichtet. Das Merkwürdige an der Sache war, um in den Hühnerstall hineinzugelangen, hätte der Fuchs das Gartentor und das hölzerne Gatter des Hühnerstalles öffnen und sorgsam wieder hinter sich schließen müssen. Denn es gab keinerlei Beschädigungen am Zaun oder der Stallwand noch ein Loch im Boden, durch das das Wildtier hätte eindringen können. Das Holzgatter zum Hühnerstall war zwar mit einem Vorhängeschloss versehen, doch es war nicht abgeschlossen gewesen und hing genauso nur mit der oberen Schließe eingehakt im Haken, wie am Abend zuvor. Nur dass der Fuchs im Inneren gefangen war. Dies hatte nur durch Menschenhand geschehen können. Die Polizei, der Bürgermeister und der Jäger hatten grinsend danebengestanden, als Hagen die toten Tiere aus dem Hühnerstall herausholte. Nur mit Mühe hatte er seinen Groll zurückhalten können, wusste er doch genau, wer den Fuchs in der Nacht unbemerkt im Hühnerstall ausgesetzt hatte.

„Du solltest ihm endlich mal ordentlich Einhalt gebieten“, riet seine Mutter. „Wenn er keine Grenzen gesetzt bekommt, macht er ewig so weiter.“

„Was bringt das?“, fragte Hagen beinahe schon entnervt. „Ich habe wirklich anderes zu tun, als mich mit ihm auf diesen Kleinkrieg einzulassen. Wenn er meint, solche Kinderspielchen abziehen zu müssen, soll er es tun.“

„Auf unsere Kosten“, warf sein Vater ein. „Ich habe auf meine alten Tage allmählich keine Lust mehr darauf, jeden Tag aufs Neue um jeden Liter Milchkontingent zu kämpfen. Er hat dich auf dem Kieker und wird erst aufhören, wenn du ihm endlich eins aufs Maul gibst.“

„Es ist nicht meine Art, die Probleme anderer mit Fäusten zu lösen“, murrte Hagen und biss in seine Hefekuchenschnitte. Er war die Diskussion leid. Xaver und die ganze Familie Bergmeier hatten ihn wirklich auf dem Kieker. Dennoch war er nicht gewillt, auf dieses Spiel einzugehen. Das war einfach nicht sein Niveau.

„Manchmal muss man sich trotz allem wie ein Mann verhalten“, kam es trocken von seinem Vater.

Hagen vergaß das Kauen, hob den Kopf an und sah seinen Vater ausdruckslos an.

Seine Eltern hatten das Outing ihres Sohnes überraschend vernünftig hingenommen. Entzückt waren sie nicht gerade gewesen, dennoch stolz auf ihn, dass er den Mut gefunden hatte, sich zu offenbaren und seinen eigenen Weg zu gehen. „Du bist schon immer der Weichste von meinen Söhnen gewesen“, hatte seine Mutter damals gesagt, sein Vater ihm nur die Schulter gedrückt und viel Glück gewünscht. Sie waren gläubig, gingen jeden Sonntag in die Kirche und hatten ihn nach seinem Geständnis sicherlich vermehrt in ihre Gebete aufgenommen. Zu keiner Zeit aber hatten sie widersprochen oder versucht, ihn auf den rechten Weg zurück zu locken. Daher war Hagen stolz auf seine Eltern, dass sie es trotz ihrer persönlichen Überzeugung hinnahmen. Doch hin und wieder kam der versteckte Unmut in ihnen zum Vorschein – in Bemerkungen wie diese eben ausgestoßene.

Rasch schluckte Hagen den Bissen herunter. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ Kälte hatte sich in ihm breitgemacht.

Sein Vater antwortete nicht, sondern senkte den Blick und schien plötzlich mehr Interesse an den kleinen Schaumflöckchen in seinem Kaffee zu haben.

Mit einem hörbaren Aufschnaufen stand Hagen auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Der Hunger war ihm gründlich vergangen. Seine Mutter rief ihm noch nach. Doch wenn er auch nur eine Sekunde länger geblieben wäre, wäre er geplatzt … oder erstickt. So genau wusste er es selbst nicht. Es tat weh und er brauchte dringend frische Luft, um dieses Gefühl in sich loszuwerden, das durch die Worte seines Vaters hervorgerufen worden war. Es kam nicht oft vor, dass ihm sein Vater die Homosexualität vorwarf. Aber wenn er es tat, fühlte sich das an wie eine scharfe Schneide mitten ins Herz.

 

 

2


Eiskaltes Grauen erfüllte Miogäir. Er strich mit zitternden Fingern seine braunen Haare aus dem Gesicht und atmete tief ein. Seit Tagen hielt dieses Gefühl in ihm an – diese Hilflosigkeit, diese Aussichtslosigkeit, diese Angst, in einem Käfig zu sitzen und sich nicht daraus befreien zu können.

Sein ganzes Leben war von einem Käfig bestimmt. Nie hatte er frei entscheiden oder sich weigern können, gewisse Dinge zu tun, die man von ihm verlangte. Sein Clan gehörte zu jenen, die eng mit der königlichen Federdrachenlinie verwandt war. Zusammen mit den Langdrachen waren die Moordrachen eine der wenigen, die eine enge Blutlinie zum König nachweisen können. Ihre enge Verwandtschaft ließ sich allein schon wegen des kleinen Flaums im Nacken, den Angehörige seines Clans als Drachen aufwiesen, nicht leugnen. Dennoch beanspruchten sie keinen Sitz am Hof. Sie lebten ihr eigenes Leben fernab des königlichen Einflusses.

Miogäir hatte den königlichen Federflaum noch nie an sich selbst erkennen können, denn ihm war bisher stets versagt gewesen, sich in einen Drachen zu verwandeln. Er hatte davor auch so viel Angst wie vor der Begegnung, die ihm in wenigen Minuten bevorstand. Seit die Diener seines Vaters den Besuch angekündigt hatten, stand kalter Schweiß in seinem Nacken und seine Hände zitterten.

Nicht, dass er sich vor den Pflichten drücken wollte, aber der Mann, der sich für heute zu einem Besuch angemeldet hatte, gehörte zu jenen Personen, die Miogäir am liebsten niemals kennengelernt hätte. Doch es lag nicht an ihm, dieses Treffen zu verhindern oder die weiteren Schritte aufzuhalten, die sein Vater und die anderen Clanoberhäupter in die Wege geleitet hatten.

Auch wenn er guthieß, was König Fäiram und sein menschlicher Geliebter, der Drachenritter Jonas, für Neuerungen nach Häälröm gebracht hatten, so war dies doch eine, die ihm persönlich ganz und gar nicht gefiel. Dabei ging es ihm nicht um diese spezielle Neuerung selbst. Er war froh, dass es nun nicht mehr verpönt war, sich offen dem gleichen Geschlecht zuzuwenden. Eine Last war damit von seinen Schultern gefallen, auch wenn ihm bewusst war, dass er irgendwann eine Liaison mit einer Moordrachenfrau eingehen musste. Ihm als Drittgeborener gebührte zwar nicht unbedingt das Privileg, für die Nachfolge in seiner Familie sorgen zu müssen, doch sein Vater war sehr traditionell und würde eines Tages darauf bestehen.

Miogäir unterdrückte das Schaudern, das seine Gliedern emporwandern wollte. Viel lieber hätte er für die Nachfolge gesorgt, als das, wofür sein Vater und die anderen Oberhäupter ihn auserkoren hatten. Von allen geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen hatten sie ausgerechnet einen Mann für ihn ausgesucht, und zwar den widerlichsten und abscheulichsten, den sich Miogäir nur vorstellen konnte.

Er hatte diesen Tröglodes noch nie ausstehen können. Seit frühester Jugend stellte ihm der Erstgeborene einer befreundeten Wurmdrachen-Familie nach, konnte nie seine Finger bei sich behalten und betrachtete ihn, als würde er ihm durch bloße Blicke die Kleider vom Leib reißen wollen. Miogäir war dies höchst unangenehm und er hatte immer versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. König Fäirams offene Liebe zu seinen beiden männlichen Geliebten hatte dem Wurmdrachen nun Tür und Tor für sich selbst geöffnet und das Moordrachen-Oberhaupt um den jungen Mann gebeten. Dabei wechselte auch eine beträchtliche Summe den Besitzer, die sein Vater Mitgift nannte. Miogäir hatte dafür jedoch eher einen anderen Namen in Sinn. Denn nichts anderes hatten die beiden einige Tage lang verhandelt: einen Kaufpreis.

Mehrmals hatte Miogäir seinen Vater darum gebeten, das Angebot des Wurmdrachen abzulehnen, doch er hörte ihn nicht einmal an. Miogäirs Schicksal wurde ohne sein Zutun entschieden. Wie so oft in seinem Leben lag es nicht in seiner Hand.

Ein weiteres Mal überkam ihn das hilflose Gefühl, nur eine Figur in einem Spiel zu sein. Jemand anderer hielt die Fäden fest in der Hand und würde ihn auch gegen seinen Willen auf einen Weg zwängen, den er selbst zutiefst verabscheute. Ihm wurde übel bei dem Gedanken, Tröglodes näher als auf Armeslänge an sich heranlassen zu müssen. Sein Innerstes begehrte vor Entsetzen auf, wenn er sich ausmalte, dessen Körper zu berühren. Dabei stellte der Wurmdrache einen stattlichen, hochgewachsenen Mann dar, der bereits viele Taten vollbracht und seinem Clan ein Ansehen verschafft hatte, der selbst am königlichen Hofe respektiert wurde.

Miogäir glaubte aber, in dessen Seele blicken zu können. Was er dort sah, entsetzte ihn abgrundtief. Für ihn besaß der Wurmdrache ein schwarzes, schleimiges Gemüt, das keine Liebe, sondern nur Gier und Härte aufbringen konnte. Der junge Moordrache war extrem feinsinnig. Manchmal glaubte er sogar, dass er den Flaum in seinem Nacken spüren konnte, dass sie sich sträubend aufrichteten, sobald er in die Nähe dieses Manns gelangte. Und immer, wenn ihm dieses Gefühl überkam, wurde ihm ganz anders. Aber auf keine angenehme Art. Ihm schwindelte, als stellte sich sein gesamter Organismus auf Abwehr ein.

Miogäir kannte die Reaktionen seines Körpers und hatte sie bisher stets wohl zu nutzen gewusst. Dass selbst sein Körper es besser wusste als all die hohen Häupter seines Clans, half ihm jedoch nicht viel. Ganz im Gegenteil. Er wusste genau, dass es falsch war. Doch diese Signale galten in den Ohren seines Vaters nichts.

Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Diener in seine Gemächer kam und ihn zu dem Treffen rief. Miogäir überlegte, ob er die Tür verbarrikadieren sollte, um jeden daran zu hindern, seine Räumlichkeiten zu betreten. Er wusste aber, wenn er das täte, würde sein Vater ihn mit einer Strafe belegen, die ihn wünschen ließe, Tröglodes’ Angebot angenommen zu haben. Die Anordnung seines Vaters war unmissverständlich gewesen. Miogäir hatte sich zu fügen.

Einen Bann über sein Gemach zu legen, dazu war Miogäir nicht in der Lage. Ihm war es stets untersagt gewesen, die magischen Formeln zu lernen. Abgesehen davon würde sein Vater bestimmt wissen, wie er eine solche Barriere zu überwinden oder aufzuheben hatte. Das Familienoberhaupt war in diesen Dingen bestens bewandert.

Das Grauen kroch in ihm höher und höher und ließ ihn sogar wanken. Schwindel erfasste ihn erneut, sodass er nach Halt suchen musste. Sein umherschweifender Blick glitt dabei auch kurz aus dem Fenster, wo er die Spitze des Turmes erblickte, von dem aus man über das gesamte Moor sehen konnte. In früheren Zeiten war der Turm als Aussichtsposition genutzt worden, um Angreifer früher zu erhaschen, wobei heute niemand mehr wusste, welche damit gemeint waren.

Angreifer gab es seit Jahrtausenden keine mehr. Menschen wie auch die verfeindeten Feuervögel waren seit geraumer Vorzeit aus Häälröm verbannt. Geschichtenerzähler berichteten davon, dass von diesem Turm aus die Drachen in die Menschenwelt gestartet waren. Moordrachen sollen wegen ihrer schmalen Flügel nicht vom Boden aus starten können und benötigen daher eine Anhöhe, von der sie sich stürzen und von den Luftschichten emporheben lassen konnten, in denen sie sich dann allerdings wie begnadete Segler bewegten. Selbst hatte Miogäir dies noch nie ausprobiert, geschweige denn die Gelegenheit dazu erhalten. Es war ihm stets untersagt gewesen. Er hatte auch noch nie einen Moordrachen fliegen sehen. Nun war der Turm nur noch ein Mahnmal aus vergangenen Zeiten, das zum Bildnis der Region gehörte, wie das Moor selbst.

Der zarte Schimmer eines hoffnungsvollen Gedankens tauchte in Miogäir auf. Wenn er doch nur von dem Turm aus in die Menschenwelt flüchten könnte …

Dass dies unmöglich war, wusste er selbst. Nur König Fäiram und seine engsten Vertrauten durften die Menschenwelt bereisen. Für alle anderen Drachen war es mittlerweile lebensgefährlich und daher ohne ausdrückliche Erlaubnis des Königs bei Strafe verboten. Erst recht für einen so unerfahrenen wie Miogäir. Selbst zu dem Ereignis vor einiger Zeit, bei dem sämtliche Bewohner Häälröms dazu aufgerufen worden waren, sich für eine Schlacht gegen die Feuervögel zu sammeln, hatte er nicht dabei sein dürfen. Sein Vater hatte es ihm und auch seinen anderen Söhnen verweigert.

Gerne hätte er seinen Beitrag dazu geleistet und für seinen verehrten König wenigstens einen Feind vernichtet. Er war jedoch mit einem Bann belegt und hatte seine Gemächer nicht verlassen können. Er hatte den Ruf des Königs gehört, der die Mitglieder aller Staffeln gerufen hatte. Miogäir konnte ihm nicht folgen.

Einen Grund hatte sein Vater nicht genannt. Seine Entscheidung war nicht anfechtbar und musste auch nicht gerechtfertigt werden.

Sein Vater war ein strenger und unerbittlicher Herrscher über die ganze Familie. Sein Wort war Gesetz und konnte nur von einem Befehl des Königs widerlegt werden.

Seufzend sank Miogäir auf einen Stuhl nieder, der am Fenster stand. Noch immer war sein Blick auf den Turm geheftet. Dieser kam ihm plötzlich wie die Lösung seines Problems vor, wie der Lichtstrahl, der ihn aus der finsteren Nacht seiner Verzweiflung herauslotste. Ihm wurde auf einmal ganz warm zumute, wenn er sich vorstellte, dort oben zu stehen, den Wind in seinen Haaren zu spüren und seinen Blick über das Moorland schweifen zu lassen. Wenn die Legenden der alten Geschichtenerzähler stimmten, dann würde ihm der Turm das Leben retten können – oder es nehmen, wenn die alten Lieder nur Lügen und Märchen waren.

Nur wie kam er dorthin?

Und wie sollte er es anstellen, den Turm zu erklimmen?

Er war fest verschlossen. Es gab keine Tür und keine Treppe, um ihn zu betreten und die Spitze erreichen zu können. Irgendwann hatte er einmal davon gelesen, dass sich der Turm nur auf eine magische Formel hin öffnete.

Jeglicher Hoffnung beraubt, sank Miogäir förmlich auf dem Stuhl zusammen. Sein Vater hatte ihm nie erlaubt, die alten Schriften zu studieren und die magische Sprache zu erlernen. Miogäir war extrem wissbegierig und hätte die heimische Bibliothek mit Geschichten aus ganz Häälröm nahezu verschlungen – wenn man ihn gelassen hätte. Doch er durfte den Raum nicht ohne seinen Vater betreten, der sehr sorgsam die Bücher und Bände auswählte, die er seinem Sohn zu studieren erlaubte. Die alten Formeln waren ihm stets verwehrt gewesen, mit der Begründung, dass diese nur magischen Heilern vorbehalten war – eines der wenigen Male, in denen sein Vater eine seiner Entscheidungen begründete.

Miogäir hatte dies nicht angezweifelt und es auch nicht gewagt, dagegen zu verstoßen. Dennoch hatte er alles begierig in sich aufgenommen, was man ihm zu lesen gestattete.

Selbst wenn er Zugang zu der Bibliothek hätte, würde es für ihn nahezu unmöglich sein, die richtige magische Formel dafür zu finden. Er wusste nicht einmal, wonach er suchen sollte.

An der Tür klopfte es.

„Junger Herr“, ertönte es durch die Tür. „Ihr Vater erbittet Ihre Anwesenheit im Salon.“

Ein kalter Schauer rann durch Miogäir. Er war wahrlich kein kleines Kind mehr. Dennoch fühlte er sich nun wie ein unschuldiger Knabe, der kurz davor stand für seine Ungezogenheit Prügel zu beziehen. Er ließ die Schultern hängen und den Kopf auf die Brust sinken.

Wenn es doch nur einen Ausweg aus seiner Lage gäbe …

„Junger Herr Miogäir?“

Dieser biss sich auf die Lippen, um keinen Laut von sich zu geben. Die Hoffnung, dass wenn er beharrlich schwieg, der Diener sein Ansinnen vergaß und ihn einfach hier sitzen ließ, oder dass er dachte, der Bewohner der Gemächer war nicht zuhause, wurde immer größer. Gleichzeitig schalt er sich. Der Diener würde es aber nicht wagen, ohne den jungen Drachen zurückzukehren, und sogar die Räumlichkeiten betreten, um sich selbst davon zu vergewissern.

„Junger Herr Miogäir?“, kam es erneut durch die Tür.

Miogäir seufzte tief. Das Herz wurde ihm ganz schwer. So schwer, dass er es kaum schaffte, sich auf die Beine zu hieven. Nein, er wollte nicht zu diesem Treffen. Er wollte Tröglodes nicht sehen und schon gleich gar nicht mit ihm gehen.

Auf dem Weg von seinem Platz zur Tür kam er an der Staffelei vorbei. Die Kunst war die einzige Leidenschaft, die ihm gegönnt wurde. Hier konnte er seine Sehnsüchte und seine Träume in Bilder fassen und sichtbar machen. Viele seiner Gemälde stellten Szenen aus den Geschichten Häälröms dar. Am liebsten zeichnete er den alten Turm, den er vom Fenster aus bewundern konnte. In vielen Varianten hatte er ihn abgebildet, einige Male sogar sich selbst an die Spitze platziert, in Menschengestalt oder auch als Drache – wobei er nicht genau wusste, wie er als Moordrache aussah. Dennoch hatte es ihm geholfen, seine Sehnsucht zu besänftigen, das Verlangen, sich dort oben den Wind um die Nase wehen und sich von den Böen davontreiben zu lassen, gemildert. Er hatte die Bilder so lange angesehen, bis ihm vor Anstrengung die Tränen in die Augen traten und er seine Lider schließen musste. Das Bild blieb ihm im geistigen Auge haften und er sah sich über die Landschaft hinwegfliegen, entfliehen von seinem trostlosen, nutzlosen Dasein.

Ein weiteres Mal klopfte es an die Tür und riss ihn damit jäh aus seinen Gedanken. Als der Bewohner erneut nicht reagierte, wagte der Diener es tatsächlich, die Tür zu öffnen und seinen Kopf hereinzustecken. „Herr Miogäir?“

„Ich komme“, schnaufte dieser, wischte seine kalten, schwitzigen Hände an seinem grünen Mantel ab, richtete das traditionell lange, dunkelbraune Haar über der Brust zurecht und folgte dem Mann hinaus in den Flur. Mit jedem Schritt wurde es ihm flauer. Immer schwerer fühlten sich seine Beine an. Sein Herz klopfte stetig schneller. Als er endlich vor dem Saal ankam, raste es wie wild in der Brust. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Die Hände zitterten so stark, dass er sie an die Seiten pressen musste, um sie ruhig zu halten.

„Ah, Miogäir“, rief sein Vater sogleich, als der Sohn den Saal betreten hatte. Auf den Sitzen neben ihm befanden sich noch weitere Oberhäupter des Clans und einige Vertreter der Wurmdrachen, sowie Tröglodes höchstpersönlich. Letzterer erhob sich, als der junge Moordrache eintrat. Dessen Augen wurden groß. Mit gierigen Augen erhaschte er sofort jedes Detail an dem jungen Mann und leckte sich erwartungsvoll über die Lippen. Wäre da nicht das abstoßende Innere des Mannes, könnte man den Drachenmann als durchaus ansehnliche Partie bezeichnen. Er war gut einen Kopf größer als Miogäir, hatte breite Schultern und ein Kreuz, das kräftig genug war, um bei einem Kampf Mann gegen Mann einen Schlag auszuhalten. Seine langen, muskulösen Beine konnte man unter dem knielangen Mantel kaum erkennen, doch Miogäir hatte sie mehr als einmal betrachten können, wenn dieser in einer vertraulichen Runde den Mantel ablegte. Die Hände konnten fest zupacken und hatten schon mehr als einen Bluterguss an Miogäirs Oberarmen hinterlassen, wenn dieser versucht hatte, ihm zu entfliehen. Die dunklen Augen, die aussahen, als blickte er aus tiefen Höhlen umher, konnten auch belustigt aufblitzen. Das Lächeln, das seine sanft geschwungenen, roten Lippen manches Mal umspielte, war nur aufgesetzt, wusste Miogäir, denn in dessen Inneren herrschte kaum etwas von der Herzlichkeit und der Güte, die er äußerlich präsentierte. Insgeheim hatte Miogäir den Mann oft als Trugbild bezeichnet, der sich hinter einer Maske aus Gelassenheit und feingeistigen Sprüchen verbarg. Der junge Moordrache hatte ihn von Anfang an durchschaut. Seine feinen Sinne hatten durch die sorgsam gewirkte Maske geblickt und den wahren Charakter dahinter erkannt.

„Tritt näher“, forderte Tragäir, sein Vater, ihn auf und bat ihn mit einer Geste zu sich. „Es wird dich erfreuen. Denn wir sind endlich zu einem für alle erfreuliches Ergebnis gekommen.“

„Für mich nicht“, wagte Miogäir einen Einwand und reckte trotzig sein Kinn. „Mich hat keiner gefragt, ob ich meine Zustimmung zu dieser Liaison gebe.“

„Das ist auch nicht nötig.“ Tragäir winkte den Einwand erhaben lächelnd ab. Zu keiner Zeit ließ er sich von der Ablehnung seines Sohnes aus dem Konzept bringen, geschweige denn in seiner Entscheidung verunsichern. „Es gibt nichts, wobei man deine Zustimmung einholen müsste. Es ist beschlossene Sache. Der verehrte Tröglodes bat uns um dich und wir, die Obrigkeit der Moordrachen, erklärten uns einverstanden. Es galt nur noch, die Bedingungen auszuhandeln. Nun sind wir uns einig. Du solltest dich glücklich schätzen, einem so verdienten Mann an die Seite gestellt zu werden. Tröglodes hat in der Schlacht gegen die Feuervögel entscheidend dazu beigetragen, dass sie zugunsten Häälröms ausfallen konnte. Man spricht in den Ruhmeshallen des königlichen Schlosses von ihm. König Fäiram und selbst der von allen hoch geschätzte Drachenritter Jonas dankten ihm persönlich. Für uns Moordrachen ist es eine Ehre, ihm einen der Unseren zu überlassen.“

„Ich bin keine Handelsware“, widersprach Miogäir trotzig. „Niemand kann mich einfach verkaufen.“

„Wie kommst du darauf, dass du verkauft wirst?“ Der Vater erhob sich, um ein paar Schritte auf seinen Sohn zuzugehen, der mitten im Raum stehen geblieben war. Sein Gesicht wurde bei jedem Schritt, den er näher kam, ernster. Als er nur noch eine Armeslänge vor ihm stand, waren die Augenbrauen finster zusammengezogen und er starrte den jungen Mann ermahnend an. „Seit Generationen werden Vermählungen zwischen den Oberhäuptern ausgehandelt. Dazu gehört ebenso das Überreichen einer Mitgift, um die Verbindung zu besiegeln. Es würde niemand wagen, hier von verkaufen zu sprechen. Du beleidigst deinen Gemahl. Daher halte ich es für angemessen, wenn du dich bei ihm in aller Form entschuldigst.“

Miogäir knirschte mit den Zähnen. Er hatte etwas ganz anderes auf seiner Zunge für den Mann parat als eine Entschuldigung, die ihm trotz der zischenden Warnung seines Vaters nicht über die Lippen kommen wollte. Er war klug genug, seine zurechtgelegte Bemerkung nicht laut werden zu lassen.

„Miogäir?“, erinnerte ihn sein Vater. „Tröglodes erwartet eine Entschuldigung.“ Seine Hand kam hoch, als der junge Mann nicht reagierte, sondern den Blick starrsinnig und stumm erwiderte. Doch bevor sie die Wange treffen konnte, hatte der Wurmdrache ihn mit einem Laut davon abgehalten.

„Verehrter Tragäir! Haltet ein. Vergebt Eurem Sohn. Er ist lediglich überwältigt.“ Tröglodes erhob sich von seinem Sitz und kam ebenfalls näher. Mit einem freundlichen Lächeln nickte er dem Älteren zu und verneigte schließlich leicht vor seinem zukünftigen Gemahl das Haupt. „Verzeiht mir, verehrter Miogäir. Ich hätte Euch wahrscheinlich wirklich erst umwerben sollen, bevor ich mein Anliegen an Euren Vater richtete. Doch vergebt mir mein forsches Vorgehen. Wir kennen uns bereits seit langer Zeit und ich hatte nicht erwartet, dass Ihr nach all dem, was wir beide bereits miteinander erlebt haben, noch wie ein Jüngling umworben werden wollt. Selbstverständlich hole ich das nach, wenn Ihr darauf besteht. Es wird aber an meiner Absicht, Euch zu meinem Gemahl zu nehmen, nichts ändern.“ Er zwinkerte ihm vielsagend zu und setzte ein hinreißendes Lächeln auf, das Miogäirs Knie weich werden ließ. Doch in seinem Nacken stellte sich ein unsichtbarer Kamm auf, klein und unscheinbar und dennoch so auffällig und spürbar, dass es ihm eiskalt den Rücken herunterlief.

„Jedes Werben um mich könnt Ihr Euch sparen, verehrter Tröglodes“, erwiderte Miogäir scharf. „Es wird sinnlos sein, denn mein Herz könnt Ihr niemals erobern.“

„Ich war der Meinung, es wäre längst in meinem Besitz.“ Tröglodes lachte überrascht auf und wandte sich leicht an die anderen Anwesenden. Dann drehte er sich wieder um und fixierte den Jüngeren hart. „Ich bin fest entschlossen und werde nicht eher ruhen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Mein Herz ist für Euch entflammt. Was auch immer Ihr von mir verlangt, ich werde es Euch erfüllen. Ihr sollt es an meiner Seite gut haben. Ich werde Euch Eure Wünsche erfüllen. Es wird Euch an nichts mangeln.“

„Verehrter Tröglodes“, unterbrach der Moordrache den Redeschwall mühsam beherrscht. In seinem Inneren brodelte es vor Wut und Abscheu. „Zu einer gut gehenden Partnerschaft gehört mehr als ein reichlich gefülltes Säckel, und um mein Herz zu erobern, braucht es mehr als Phrasen und leere Behauptungen. Ihr mögt vielleicht tatsächlich die Hände von König Fäiram und Drachenritter Jonas geschüttelt haben, aber mit der Aufzählung von vermeintlich ruhmreichen Taten wird es Euch nicht gelingen, mich von Eurer Aufrichtigkeit zu überzeugen.“

„Miogäir!“, rügte Tragäir seinen Sohn mit scharfem Ton.

Doch der Wurmdrache lachte nur heiter. „Das liebe ich an Euch, verehrter Miogäir. Das macht Euch begehrenswert. Wer will schon den Fisch, der von allein in das Netz springt, wenn er einen haben kann, um den es wert ist zu kämpfen.“ Er nahm Miogäirs Hand und zog sie an sich. Dieser versuchte zwar, seinen Arm wieder an sich zu ziehen, doch der Griff war so eisern, mit dem Tröglodes ihn festhielt, dass Miogäir sich nicht entreißen konnte und vor Schmerz leise aufjammerte. „Ihr seid mein, verehrter Miogäir“, gab Tröglodes düster von sich. Er zog ihn noch näher an sich, bis ihre Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. „Ich werde mich von Eurer scharfen Zunge nicht von meinem Ziel abhalten lassen.“ Mit der anderen freien Hand fasste ihm Tröglodes direkt in den Schritt. Da er so nahe war, dass ihre beider Leiber und Kleidung die Tat verdeckten, erregte dies keine Aufmerksamkeit. Lediglich Miogäir keuchte erschrocken auf und begegnete dem Blick des anderen mit entschlossener Miene.

„Ihr seid mein“, wiederholte der Wurmdrache. „Lasst uns unsere Verbindung mit einem Kuss besiegeln.“ Schneller als Miogäir reagieren konnte, hatte Tröglodes die Hand losgelassen, um den Hinterkopf des Moordrachen gelegt und ihn an sich gezogen. Noch ehe dieser eine Gegenwehr aufbringen konnte, berührten sich ihre Lippen. Tröglodes presste seinen Mund fest auf den von Miogäir und verstärkte den Druck sogar noch, als dieser sich zu wehren begann. Doch als der Griff in dessen Schritt schlagartig zunahm und eine Schmerzwelle durch den Leib sandte, verstarb die Gegenwehr. Miogäir hielt sich wahrlich nicht für einen schwächlichen Mann. Er hatte seinen Körper mit Kampfübungen und seinen Geist mit dem Studium intellektueller Literatur gestählt. Dabei hatte er bei fast allen Übungen keine schlechte Figur gemacht. Doch gegen den größeren und schwereren Tröglodes hatte er keine Chance, zu bestehen. An Körperkraft war ihm dieser weit überlegen.

Der Kuss löste bei den anderen im Raum Begeisterung aus. Einige klatschten zustimmend, andere nickten nur lächelnd und verbargen die Rötung ihrer Wangen hinter den Schleiern ihrer langen Haare.

Miogäir keuchte entsetzt auf, als Tröglodes ihn endlich losließ.

„Die Gelöbnisfeier wird in zwei Tagen stattfinden“, entschied der Wurmdrache. Seine Stimme war nur ein Flüstern, barg jedoch genug Kälte, um in Miogäir die Schauer zu neuem Leben zu erwecken. „Und du wirst bereitwillig und in freudiger Erwartung erscheinen.“

„Niemals“, zischte Miogäir. „Eher lasse ich mich von einem Feuervogel bei lebendigem Leib rösten.“

„Das kann ich arrangieren … aber erst nach der Gelöbnisfeier.“ Ein weiteres Mal zog er den Moordrachen-Mann zu einem Kuss zu sich heran. Doch diesmal drehte Miogäir den Kopf rechtzeitig zur Seite, sodass Tröglodes nur die Wange küsste.

„Was versprecht Ihr Euch von der Vermählung mit mir? Einen Fuß im Königshaus? Da muss ich Euch leider enttäuschen. König Fäiram hat von uns Moordrachen noch nie etwas gehört.“

Erneut lachte Tröglodes auf. „Dass du dich da mal nicht täuschst. Erst kürzlich erwähnte er die guten Beziehungen zum Clan der Moordrachen. Aber das ist nicht der wahre Grund für meine Wahl. Du bist ein höchst begehrenswerter Mann, der meine Träume mit wohliger Hitze füllt und mir meine körperlichen Wünsche wahr werden lässt.“

„Genießt das Gefühl, das Euch in diesem Moment durch die unsittliche Berührung durchfährt. Mehr als das werdet Ihr von mir nicht bekommen.“

„Ich werde dich jede Nacht nötigen, bis du meinen Namen stöhnst.“

„Ich werde ihn voller Hohn schreien, wenn ich mich dem Mann hingebe, der mein Herz erobert hat“, fauchte Miogäir hasserfüllt.

Ihre Unterhaltung war geflüstert, gerade mal so laut, dass nur sie beide es verstehen konnten. Erst als Tragäir neben ihnen erschien und beiden Männern die Hand auf die Schulter legte, lösten sie sich voneinander.

„Ihr werdet noch genug Gelegenheit zum Turteln haben, wenn ihr erst einmal vermählt seid“, sagte er gütig. In seinen Augen glänzten der Stolz und die Freude über die Verbindung, die er zwischen den beiden Männern eingefädelt hatte. Vermutlich kam der Glanz von dem Preis, der dabei von einer Hand in die andere gewechselt war.

Miogäir lag eine weitere Bemerkung auf der Zunge. Er wollte sich auf keinen Fall mit diesem Mann vermählen. Eher stürzte er sich vom Moorturm. Doch noch bevor er einen Ton von sich geben konnte, hatte Tröglodes seine Hand erneut geschnappt und sie sich auf die dargebotene Ellenbeuge gelegt. Erneut versuchte Miogäir, seine Hand zurückzuziehen, aber auch diesmal hielt der Wurmdrache ihn so fest, dass er sich dabei eher die Finger abgerissen hätte, als sie ihm zu entziehen.

„Es wird ein rauschendes Fest“, trällerte der Wurmdrache erfreut. „Drachenritter Jonas erwägt sogar, uns einen kurzen Besuch abzustatten.“

Damit hatte er die Aufmerksamkeit der anderen Männer, die ihn sogleich mit Fragen bestürmten. Wann hatte er eine entsprechende Anfrage bei dem Drachenritter eingereicht, wo doch erst an diesem Tag die Zustimmung erteilt wurde? Wie eng waren die beiden befreundet, dass der Geliebte des Königs der Vermählung beiwohnte?

Miogäir kämpfte darum, seine Hand freizubekommen. Es widerte ihn an, diesen Mann zu berühren. In seinem Inneren begehrte bereits alles gegen diese Berührung auf und in seinem Nacken kribbelte es fortwährend unangenehm. Keinen Augenblick länger wollte er in der Nähe dieses Mannes bleiben.

Endlich hatte er es geschafft, entriss seine Hand und verbarg sie hinter seinem Rücken. Tröglodes war trotzdem zufrieden und grinste ihn breit an.

Den Raum verlassen konnte er nicht, ohne seinen Vater und die gesamten Oberhäupter gegen sich aufzubringen. Er musste eine andere Lösung finden, sich aus dieser Situation zu befreien. Seine Drohung mit den Feuervögeln erschien ihm in diesem Moment gar nicht so abwegig. Schade nur, dass sie seit dem Krieg keinen Zugang mehr zu Häälröm hatten, sodass Tröglodes’ Worte so wertlos waren, wie alle Versprechen dieses Mannes.

Sein umherschweifender Blick glitt aus dem Fenster, wo in der Ferne noch immer der Moorturm in den Himmel ragte. Wenn ihm keine Möglichkeit einfallen wollte, würde er freiwillig eine Reise in die Ewigkeit antreten.



Über die Autorin:



Ashan Delon, oder eher gesagt die Autorin hinter dem Pseudonym, Baujahr 1965, erblickte das Licht der Welt im tiefsten Bayern, wo sie auch heute noch mit ihrer Familie am Rande einer Kleinstadt lebt. Geschrieben hat sie schon immer, doch erst vor wenigen Jahren packte es sie richtig, als ein Verlag einen Fantasy Wettbewerb ausschrieb. Seitdem schreibt Ashan in jeder freien Minute und verliebte sich schon bald in homoerotische Geschichten, die mittlerweile ihr Lieblingsspielplatz geworden sind. Ihre Storys sind romantisch, erotisch, ergreifend und haben oft einen ernsten Hintergrund. Was als Hobby begann, ist inzwischen zu einer zeitfressenden Leidenschaft geworden, die sie einfach nicht mehr loslässt. Das Schreiben gleicht einer Zeitreise, in der sie in ihre Welten abtauchen und für wenige Stunden den Alltag vergessen kann. Am Schönsten ist es für sie, wenn sie den Leser mitnehmen kann auf einen dieser Ausflüge.


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Impressum

Texte: Ashan Delon
Bildmaterialien: (y) Ashan Delon, Coverdrache: Bonnyb Bendix, Mann mit grünem Auge: Igor Kovalchuk_shutterstock_158393246
Lektorat: Ingrid Kunantz
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2014

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