»Atorrianer?« Sybill sah erstaunt hoch und beäugte den Offizier, der ihr eben die Liste der Bewerber überreicht hatte. »Ist das Ihr Ernst?« Ihre Augenbrauen hoben sich in höchster Skepsis und beäugten den Mann, als begreife sie nicht, wie er ihr eine solche Nachricht überbringen konnte. Sie musste ihre wahren Emotionen gewaltsam im Zaum halten. Bereits der bloße Name verursachte in ihr Wallungen von eiskalten Schauern, Hassgefühlen und Wut.
Seit es in ihrer Familie einen Zwischenfall mit Atorrianern gegeben hatte, konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen, sobald sie auch nur den Namen hörte. Unwillkürlich musste sie an ihre Mutter denken, der sie so sehr ähnelte. Ebenso musste sie an das Leid ihrer Mutter denken, das von den Atorrianern verursacht worden war und noch immer über ihnen schwebte, wie eine hartnäckige Gewitterwolke, die sich auch von den stärksten Winden nicht vertreiben lassen wollte. Sie wollte aufspringen und das Bild ihrer Mutter, das ihr nach ihrem Tod als Einziges geblieben war und die sie so sehr vermisste, obwohl sie schon vor über fünf Jahren gestorben war, an die Brust drücken. Sie musste ihre sprunghaft aufkeimenden Gefühle gewaltsam niederdrücken, um den Namen der einstigen Peiniger nicht hysterisch heraus zu schreien. Sie musste mehrmals tief durchatmen, ehe sie sich wieder unter Kontrolle besaß.
Captain Beegje nickte unbeeindruckt. Er straffte seinen Körper und nahm einen tiefen Atemzug, ehe er antwortete. »Alkaios De'Querres soll ein sehr ruhmreicher Feldherr sein«, erklärte der Mann beinahe stolz.
»Ruhmreich für welche Verhältnisse?«, wollte Commander Sybill Danning ungläubig wissend. »Für atorrianische Verhältnisse oder für die unseren?«
Der Offizier musste einen Moment überlegen. »Ich denke, für beide«, gab er ausweichend von sich. »Sein Name wurde schon im Senat erwähnt. So viel ich weiß, wurde in Erwägung gezogen, ihn in den Befehlsstatus zu holen. Doch da Atorr dem Planetenbündnis noch nicht offiziell beigetreten ist, wurde dieser Schritt noch nicht gewagt.«
»Und ich denke, dass sie damit sehr gut getan haben«, erwiderte Sybill und schob die Bewerbung beinahe angewidert von sich. »Wie kann man nur je in Erwägung ziehen, Atorrianer überhaupt als zivilisierte Wesen zu betrachten? Sie sind unflätig, niveaulos, einfältig, barbarisch, brutal, laut und ähneln mehr niederen Tieren, als denkenden und fühlenden Wesen. Ich will sie nicht haben.«
»So viel ich in Erfahrung bringen konnte, begrüßt der Senat die Bewerbung der Atorrianer und wäre sicherlich sehr enttäuscht, wenn sie abgewiesen werden.«
»Ich kann keinen unzivilisierten Haufen gebrauchen, deren Gehirne lediglich von einem gigantischer animalischer Trieb angetrieben wird. Ich brauche mitdenkende Leute, intelligente Leute, die den Schalthebel eines Jägers von dem Fortpflanzungsorgan eines Männchens unterscheiden können. Dazu sind die Atorrianer leider nicht fähig. Ich will sie nicht.« Sie erhob sich, als wäre damit die Konversation für sie abgeschlossen. »Schicken Sie ihnen eine Absage, aber einfach formuliert, sodass die Atorrianer sie verstehen können.«
»Ich denke nicht, dass wir sie ablehnen sollten«, wandte der Offizier dagegen. »Immerhin sind die Atorrianer im Senat im Gespräch.«
»Und wenn«, winkte Sybill ab. »Ich muss mich schließlich mit diesem vulgären Haufen von geistig minder bemittelten Tieren abmühen, nicht der Senat. Ich will sie nicht, das ist mein letztes Wort.«
»Wir sollten sie zumindest anhören.«
»Was erwarten Sie denn von einem Atorrianer zu hören?«, wollte Sybill herausfordernd wissen. »Wie er lautstark seine Körperausdünstungen von sich gibt? Oder wie er mit seinen einfältigen Kameraden um die Wette grölt, als wollten sie brünstige Weibchen anlocken? Dazu verspüre ich nicht die geringste Lust. Zu welchem Ruhm dieser Atorrianer auch gekommen sein mag, ich bezweifle stark, dass er auch nur dazu fähig ist, den Repulsorlift an seinem Schlafplatz zu programmieren.«
Der Offizier schnaufte etwas verzweifelt. »Es könnte sicherlich nicht schaden, ihn wenigstens anzuhören«, wagte er einen weiteren Versuch. »Immerhin ist der Senat davon überzeugt …«
»Wovon der Senat überzeugt ist, interessiert mich nicht«, schnitt sie ihm barsch das Wort ab und erhob sich. »Letztendlich bleibt die ganze Arbeit an mir hängen und ich bin in dieser Angelegenheit sehr bequem. Ich will die Atorrianer nicht im Team haben. Ich will keine Tiere, die bei jeder Gelegenheit ihre Exkremente fallen lassen. Ohne mich. Ich will keinen Atorrianer sehen.«
In diesem Moment glitten die Schwebetüren zur Seite und offenbarten den Blick auf eine Gruppe uniformierter Gestalten, die im etwas dunkler gehaltenen Korridor gewartet hatten. Der Vorderste machte einen Schritt vorwärts, sodass er mitten in der Türöffnung stand und baute sich in seiner vollen Größe auf, die Beine leicht gespreizt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, das Kinn erhaben aufgerichtet, den Blick starr auf die Kommandantin. Der weite wallende Umhang wallte um seine in hohen Stiefel steckenden Beine. Er ließ den Überraschungsmoment wirken und bewegte sich erst, als der Saum seines dunkelroten Umhangs zum Stillstand gekommen war. Dann machte er einige weitere Schritte und blieb in einigem Abstand zum großen Konferenztisch stehen, an welchem die Kommandantin die Bewerbungen studierte. Er war jung, kaum älter als Sybill, hoch gewachsen und mit jedem Schritt, den er näher kam, schien er um mehrere Zentimeter anzuwachsen. Seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert, seine schwarzblaue Uniform besaß keinerlei Knitterfalten, die Passen, Schärpen und Gurte saßen, als hätte man sie festgeklebt und die Knöpfe und Schließen waren alle vorschriftsmäßig geschlossen und blitzten und blinkten im Licht des Konferenzsaales mit den Stiefeln um die Wette. Sein sorgfältig gekämmtes, tiefschwarzes Haar glänzte bläulich und wippte bei jeder Bewegung locker mit, ohne jedoch die gepflegte Frisur zu verunstalten. Sein Kinn schob sich energisch nach vorn, als er Sybill fixierte und seine Augen hielten sie mit einen seltsamen Glitzern gefangen. Der Ausdruck in seinem Gesicht verriet Strenge, aber auch Trotz und Ehrgeiz.
Gleich der erste Eindruck ließ Sybills Soldatenherz höher schlagen. Selten hatte sie einen solch adretten und attraktiven jungen Mann gesehen. Gleich ihr erstes Urteil riet ihr, dass sie diesen Mann unbedingt näher kennen lernen sollte – nicht nur rein dienstlich. Ihre ersten Gedanken galten seiner Erscheinung ohne strenge Uniform und unbeteiligter Miene. Sie musste sich Gewalt antun, sich auf den Beinen zu halten, obwohl ihre Knie bei seinem Anblick weich zu werden drohten und suchte verzweifelt nach dem Ansporn, den ohne ausdrücklichen Befehl eingetretenen Besucher zu tadeln.
Zu dieser späten Stunde hatte die Kommandantin Zivilkleidung angelegt, da sie vorgehabt hatte, lediglich die Bewerbungen zu studieren und keine Anwärter vorzuladen. Einem Dritten bot sich eher das Bild eines hochrangigen Offiziers und seiner Sekretärin, welche ihm aus diversen Akten vorlas. Dennoch wusste der Mann genau, wen er vor sich hatte, denn er hatte ohne zu zögern seinen Blick an Sybill gerichtet und den Offizier an ihrer Seite außer Acht gelassen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, sagte sie höflich.
»Ich gehöre der herrschenden Kaste an«, entgegnete er beinahe schon gekränkt. »Und nicht der primitiven Burgoisis. Ich bin ein Mitglied der Streitmacht und es widerstrebt mir aufs Höchste, meine Körperausdünstungen und Exkremente irgendjemandem außer mir selbst zu offenbaren.«
»Darf ich vorstellen?«, warf der Offizier wissend ein. »Der atorrianische Feldherr Alkaios Serge De'Querres.«
Sybill brauchte einen Moment, ihre Enttäuschung zu verkraften. Sie räusperte sich verhalten und musste sich an der Tischkante festhalten. »Gehört es zu den Gepflogenheiten Ihrer sogenannten herrschenden Kaste an Türen zu lauschen?«, hatte Sybill ihre Fassung überraschend schnell wiedererlangt. Die anfängliche Begeisterung war wie fort gewischt. Ihre innere Erregung war wie eine Seifenblase verpufft. Ihre Einstellung hatte sich wie der Morgennebel in Nichts aufgelöst, noch ehe ein Strahl Sonne ihr Antlitz berühren konnte.
»Die herrschende Kaste hat es sich zur Angewohnheit werden lassen, entsprechend dicke Mauern und Türen zu bauen, um Lästerzungen innerhalb ihrer Grenzen zu halten«, gab er unbeeindruckt zurück.
»Nicht alles was Lästerzungen von sich geben, ist für Langohren bestimmt«, konterte Sybill trotzig.
»Nicht alles, was Langohren zu hören bekommen, ist als zutreffend hinzunehmen.« Er verlagerte sein Gewicht kurz auf ein Bein, um es auszustellen und sich so breitbeinig vor dem Tisch aufzubauen, wie er vorhin in der Türöffnung gestanden hatte. »Ich bin ein angesehenes Mitglied der Streitmacht und als Abgesandter der Kapano, der herrschenden Kaste auf Atorr, zu Ihnen gekommen und verbiete mir daher solche Beleidigungen gegenüber mir, irgendwelchen Mitgliedern meines Korps oder der Kapano.«
»Ich bitte um Vergebung, wenn ich Ihre animalische Ehre verletzt haben sollte«, gab Sybill spitz von sich und setzte sich, um sich triumphierend und mit deutlich sichtbarer Kampflust zurückzulehnen. »Aber, was Sie bereits ebenfalls durch die Türe erlauscht haben müssten, ich bin nicht an Ihnen, irgendeinem Mitglied Ihres Korps oder Ihrer Kaste interessiert. Wenn Sie uns nun entschuldigen würden, ich habe noch jede Menge zu tun.« Sie beugte sich vor, als wolle sie ihre Arbeit wieder aufnehmen.
»Ich bin auf ausdrücklichem Wunsch Ihres Senats gekommen«, ließ sich der Atorrianer nicht abwimmeln. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich von einer voreingenommenen Sekretärin empfangen werde wie ein gewöhnlicher Vertreter, hätte ich mir den Weg erspart. Nun bleiben mir außer Spesen wohl nur noch ein paar Abschiedsworte an den Senat übrig. Guten Abend.« Er wirbelte herum, wobei sein Umhang seine Beine umschmeichelte und sie erst wieder freigab, als er einen weiten Schritt in Richtung Ausgang machte.
»Warten Sie, Alkaios De'Querres!«, hielt der Captain Beegje ihn schnell zurück und beeilte sich, den Atorrianer einzuholen, um ihn davon abzuhalten, den Konferenzsaal zu verlassen. »Es handelt sich sicherlich um ein Missverständnis. Bitte bleiben Sie.«
»Atorrs Teilnahme an den Verteidigungskräften und dem Anschluss an das Planetenbündnis wird offenbar nicht von allen Stellen toleriert«, entgegnete der Feldherr kühl. »Wir wissen nun, woran wir sind und ich werde einen entsprechenden Bericht der Führungsebene der Kapano vorlegen.«
Der Offizier stellte sich dem Atorrianer in den Weg, als sich dieser anschickte, seinen Weg fortzusetzen. Er hob eine Hand, um sie dem Feldherrn besänftigend auf die Schulter zu legen, doch dieser zuckte augenblicklich zurück, noch ehe er berührt werden konnte und brachte mit einigen Schritten rückwärts einen größeren Abstand zwischen sich und dem Offizier.
»Sie sind Tellure?« Die Gesichtszüge des Atorrianer wurden etwas weicher. Offenbar war ihm seine beinahe schon ängstliche Reaktion selbst peinlich. »Bitte verzeihen Sie, aber ich muss Sie bitten, mich nicht zu berühren. Ich reagiere etwas empfindlich auf die Absonderungen Ihrer Schweißdrüsen.«
Der Offizier zog seine Augenbrauen zusammen, sodass sich das feine, flaumartige Fell auf seiner Stirn in dicken Wülsten legte und sträubte. Verblüfft betrachtete er seine Hand und zog sie schließlich zurück, als er begriff. Seine Hände wie ein braver Schuljunge hinter dem Rücken verschränkt, baute er sich vor dem Feldherrn auf.
»Darf ich Sie bitten, noch etwas zu bleiben«, fuhr er fort. »Der Senat hat Ihre Ankunft angekündigt und um genauere Betrachtung gebeten.«
»Wem obliegt die Entscheidung, ob ein Bewerber angenommen wird oder nicht?«, erkundigte sich De'Querres.
»Mir«, gab Sybill entschieden von sich, erhob sich wieder und ging um den Tisch herum, um den Männern ein kleines Stück näher zu kommen. »Die Entscheidung liegt allein bei mir, ebenso die Verantwortung für eventuelle Absagen. Der Senat mag von Ihren Fähigkeiten überzeugt sein, ich bin es nicht.«
»Wir sollten ihn wenigstens anhören«, riet der Offizier. »Immerhin verlangt der Senat einen Bericht über die Anhörungen. Wenn er erfährt, dass Alkaios De'Querres nicht einmal angehört wurde, obwohl sie ihn speziell empfohlen haben, werden sie …«
»Etwas ungehalten sein«, beendete die Kommandantin den Satz für den Offizier, »und ich darf mir eine Standpauke anhören«, fügte sie an. »Aber ich muss unmittelbar mit den Neuen arbeiten, ich muss mich mit ihnen herum ärgern. Und wenn mir einer auf Anhieb unsympathisch und als nicht brauchbar erscheint, werde ich es gar nicht erst so weit kommen lassen. Die Verantwortung dafür übernehme ich.«
»Anhören sollten wir ihn zumindest. Senator Sdinge erwähnte …«
»Was Sdinge erwähnt ist mir vollkommen gleichgültig. Der alte senile Kerl hat schon viel erwähnt und nur ein Bruchteil davon ist überhaupt brauchbar. Also lassen Sie mich damit zufrieden. Ich will die Atorrianer nicht haben. Wenn Sie ihnen so sehr am Herzen liegen, dann schicken Sie sie selbst weg.« Damit drehte sie sich wieder um und begab sich zurück zu ihrem Stuhl.
Der Offizier drehte sich zu dem atorrianischen Feldherrn um und schenkte ihm einen entschuldigenden Blick.
»Ich würde sehr gerne hören, was Sie zu sagen haben. Vielleicht kann Ihr Vortrag Commander Danning umstimmen.«
»Es hat keinen Zweck«, entgegnete De'Querres kopfschüttelnd. »Commander Danning ist von Vorurteilen geblendet. Wenn Sie ihren Fehler nicht von sich selbst aus einsehen will, hat auch die Aussicht auf das größte Flottenkommando des Planetenbündnisses keinen Erfolg.« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von dem Offizier und wollte wieder seines Weges gehen, doch der Offizier rief ihn erneut zurück.
»Einen Moment noch, Alkaios De'Querres.« Er wandte sich an seine Kommandantin und baute sich beinahe provozierend vor ihr auf. »Der Alkaios wird von allen Seiten hoch gelobt. Sie sollten ihm wenigstens eine Chance geben, sein Können unter Beweis zu stellen.«
»Sie haben so große Angst vor dem Senat, dass Sie es tatsächlich wagen, sich mit mir anzulegen, Beegje? Was hat Ihnen der Senat denn angedroht, im Falle, dass Sie mich nicht dazu überreden können, die Atorrianer anzunehmen?«
»Unser beider Absetzung«, entgegnete der Offizier überraschend gelassen. »Senator Sdinge erwähnte die Ruhmestaten und die Erfolge von Alkaios De'Querres und unterstrich mehr als deutlich, dass wir diesen Mann und alles was hinter ihm steht unbedingt brauchen. Er sagte, dass damit nicht nur der Anschluss von Atorr an das Planetenbündnis verknüpft sei, auch unsere Position gegenüber unseren Feinden und Nachbarn. Mit Atorr gewinnen wir eine starke Kampftruppe. Atorr besitzt eine größere Streitmacht als Debija, auf der keine andere Infrastruktur als das Militär existiert. Soweit ich weiß, bringt Alkaios De'Querres ein Viertel dieser Streitmacht in das Planetenbündnis mit ein. Senator Sdinge wäre sicherlich hoch enttäuscht, wenn Sie Alkaios De'Querres einfach abschmettern.«
»In erster Linie wären sie enttäuscht, dass Sie Ihren Posten verlieren«, sagte ihm Sybill auf den Kopf zu. »Ich weigere mich strikt, mit Atorrianern zusammenzuarbeiten. Das ist mir der Posten der Oberkommandantin der vereinigten Streitmacht des Planetenbündnisses schon wert.«
»Aber mir nicht«, gab Beegje entschlossen zurück. »Ich bin über fünfzig Jahre und gerade mal Captain. Mich würde niemand mehr mit Handkuss nehmen.« Er gönnte sich einen tiefen Atemzug, um seine aufzubrausen drohende Fassung wieder zu erlangen. «Geben Sie ihm wenigstens eine Chance, sich zu bewähren.«
Sybill Danning schnaufte ebenfalls tief durch. Dann erhob sie sich und schob den Stuhl mit ihren Kniekehlen weiter von der Tischkante weg. »Also gut, Beegje. Sie haben gewonnen. Ich werde ihm eine Chance geben.« Damit begab sie sich zu einer holographischen Kartenwand, auf der sämtliche an der Bewerbung teilnehmenden Welten markiert waren und deutete auf einen winzigen Punkt irgendwo auf der Karte. »Kennen Sie Craba, Atorrianer?«, wandte sie sich mit einem provozierenden Gesichtsausdruck an den Feldherrn. »Seit über acht Jahren wird diese Welt von - sagen wir mal - Extremisten besetzt, die die Illumena-Förderung kontrollieren. Wenn es Ihnen gelingt, Craba von den Extremisten zu befreien, denke ich über Ihren Antrag noch einmal nach.«
Der atorrianische Feldherr trat einige Schritte näher, dabei achtete er darauf, dass er dem Telluren nicht zu nahe kam und besah sich den Punkt aus der Entfernung, aus der man eigentlich nicht mal den winzigen Punkt selbst sehen konnte, genauer.
Offizier Beegje wollte schon protestieren, als ihm der Feldherr mit einer knappen Handbewegung zu Schweigen gebot.
»Wenn es mir gelingt, Craba zurück in den Schoß des Planetenbündnisses zu holen, gilt Atorrs Antrag als angenommen«, feilschte er um die Bedingungen. »Und ich bekomme eine offizielle Entschuldigung von Ihnen.«
»Pah!«, machte Sybill und wischte seine Worte mit einer flüchtigen Handbewegung fort. »Befreien Sie erst einmal Craba. Dann erst können wir weiterreden.«
»Ich nehme Ihre Herausforderung an«, sagte der Feldherr bestimmt. Seine Begleiter, die artig draußen auf dem Korridor gewartet hatten, begannen aufgeregt miteinander zu tuscheln. Hin und wieder trug es Wortfetzen zu ihnen in den Konferenzsaal, die aber aufgrund der fremdartigen Sprache nicht für alle verständlich waren. »Sie können sich schon mal eine Formulierung für Ihre Entschuldigung einfallen lassen«, fuhr der Feldherr fort, während er eine Handbewegung machte und seine Begleiter damit fast augenblicklich zum Schweigen brachte.
»Falls es soweit kommen sollte - falls«, betonte sie noch einmal ausdrücklich, »sollte es genügen, dass ich mich gnädig erweise, über Ihren Antrag noch einmal nachzudenken.«
»Ich bezweifle, dass es dann noch in Ihrer Macht liegt.« Ein unheimliches Lächeln huschte um seine Lippen. Ein Lächeln, das Beegje ein Schauer über den Rücken rasen ließ und das Sybill erhaben zu ignorieren versuchte. Der Atorrianer verbeugte kurz und knapp sein Haupt, dann wirbelte er herum und eilte nach draußen, wobei sein Umhang wie die Flügel eines Sturmvogels hinter ihm herflatterte.
»Mit allem gebühren Respekt, Commander Danning. Das können Sie nicht von ihm verlangen«, setzte der Offizier endlich zum Protest an, nachdem sich die Gleittüren hinter dem atorrianischen Feldherrn geschlossen hatten. »Bislang ist es noch niemandem gelungen, den Illumena-Planeten zu befreien. Die Besatzer besitzen ein zu gutes Verteidigungsnetz. Daher wurde Craba zur Sperrzone erklärt.«
»Es wird auch dem Atorrianer nicht gelingen«, wusste Sybill mitleidig lächelnd. »Ich wollte ihn damit lediglich von seinem hohen Ross holen. Die Niederlage wird ihn bald auf Knien zu mir kriechen lassen. Diese Witzfigur in makelloser Uniform kann nicht einmal sich selbst befreien, wenn er sich irgendwo versehentlich eingesperrt hat, geschweige denn einen besetzten Förderplaneten, weder mit einem Sturschädel, noch mit einem Kriegsschiff. Was ist schon ein Viertel der atorrianischen Streitmacht? Ein jämmerliches, halb verrottetes Wrack, nehme ich an.«
»So viel ich weiß zwanzig Schlachtkreuzer der A-Klasse und fünf Großzerstörer mit jeweils vier Jagdstaffeln. Außerdem vier Kanonenboote und ein Kommandoschiff, alle voll ausgerüstet und ausgestattet mit Mannschaft und Arsenal.« Der Offizier begab sich zu dem Tisch und angelte sich die Bewerbung der Atorrianer heraus, um auf die betreffende Seite zu blättern. »Alkaios De'Querres hat damit zahlreiche Schlachten gewonnen.«
»Mag sein«, gab Sybill nicht ohne wenigstens einen Hauch beeindruckt zu sein von sich. »Trotzdem widerstrebt es mir, Atorrianer in meinen Reihen zu wissen. Da kann ich mir nie sicher sein, dass ich sauberen Schuhes an ihnen vorbeigehen kann.«
Beegje blätterte in der Bewerbungsakte. »Ich kann keinen Verstoß der Etikette oder der Hygienebestimmungen entdecken.«
»Das liegt daran, dass die Atorrianer andere Maßstäbe für Manieren und Sauberkeit besitzen.« Sie riss ihm die Akte aus der Hand und warf sie auf den Tisch zurück. »Schluss damit! Der Atorrianer wird versagen, auch mit dreißig halb verrotteten Wracks.«
»Was, wenn nicht?«
»Er wird«, wusste Sybill bestimmt. »Und nun will ich kein Wort mehr davon hören.« Sie ging an den Tisch zurück und fegte die atorrianische Bewerbung herunter. Dann blickte sie den Offizier mit einem herausfordernden Glitzern in den Augen an, so als wolle sie ihre Tat mit den Betreffenden gleichsetzen. Die Atorrianer waren für sie vom Tisch und daher kein Thema mehr für sie.
Dass sie sich im höchsten Maße täuschte, konnte sie in diesem Moment nicht einmal ahnen.
Erst zwei Wochen später, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung, sollte sich das wahre Ausmaß ihrer Tat offenbaren. Sybill hatte während der letzten beiden Wochen nichts von dem Atorrianer gehört. Sie weigerte sich aber auch, die Nachrichten zu verfolgen, auf der Suche nach einem Indiz seiner Handlung. Sie ignorierte strikt alles, was nichts mit der Bewerbung weiterer Welten für die Aufstellung einer neuen Bündnisstreitmacht zu tun hatte und konzentrierte sich gänzlich auf die Anhörung der Kandidaten. Obwohl sie es abzustreiten versuchte, wanderten ihre Gedanken immer wieder ab, zu jenem feschen Soldaten, der sie bereits beim ersten Zusammentreffen glattweg von den Sohlen gehauen hatte und dessen erster Eindruck mehr als vielversprechend ausgefallen war. Sie versuchte sich einzureden, dass das Thema Atorrianer nicht mehr existierte und dass sie ihn getrost vergessen konnte. Aber immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie an ihn dachte, sich ausmalte, wie er verzweifelt um die Rettung Crabas rang und wie er letztendlich auf Knien vor sie hinrutschte, um nach ihrer Aufmerksamkeit zu haschen. Doch insgeheim sah sie ihn als strahlenden Sieger, der mit einem der größten Triumphe zurückkehrte. Sobald diese Gedanken alle weitere Gänge in ihrem Gehirn zu blockieren drohten, begab sie sich in ihr Quartier und betrachtete die Fotografie ihrer Mutter, die vor langer Zeit von Atorrianern geschändet worden war. Sie rief sich deren Worte in Erinnerung und versuchte jenen Hass und jene Verachtung erneut aufzubauen, um De'Querres wieder so hassen und verachten zu können, wie es ihres Erachtens Spezies seiner Rasse zukam.
Auf der Wohltätigkeitsveranstaltung trat Beegje an sie heran, nachdem sie für einen Moment allein geblieben war.
»Haben Sie die Nachrichten gehört?«, raunte er ihr aufgeregt zu.
»Nein!«, blieb Sybill gelassen. Sie konnte sich auch so denken, dass De'Querres Versagen das Hauptthema sämtlicher Nachrichten auf sämtlichen Planeten im Planetenbündnis waren. »Ich hatte heute noch keine Gelegenheit.«
»Sie haben ihn falsch eingeschätzt«, fuhr Beegje fort, noch immer so aufgeregt, wie an jenem Tag, als seine jüngste Tochter ihm einen Enkel geschenkt hatte.
»Wovon reden Sie?«, erkundigte sich Sybill mit leidlichem Interesse.
»Von Alkaios De'Querres.« Er verstummte abrupt, nachdem er zu einer längeren Rede Luft geholt hatte und ließ sie ungenutzt wieder austreten. »Der Atorrianer!« Dabei zeigte er auf die breite Portaltreppe, die von einer umlaufenden Brüstung nach unten in den Ballsaal führte.
Oben stand der atorrianische Feldherr, diesmal offenbar ohne seinen Korps und blickte sich suchend im Ballsaal um. Als er Sybill entdeckt hatte, setzte er sich in Bewegung. Sämtliche Gäste, an denen er vorüberging, hielten in ihrer Unterhaltung inne und sahen dem Feldherrn ehrfürchtig nach. Schnell bildete sich eine Gasse, durch die er erhabenen Hauptes und mit weit ausholenden Schritten marschierte, wie ein Tyrann durch die Reihen seiner Untertanen. Diesmal wirkte er wesentlich weniger adrett, wenn nicht sogar übermüdet und abgekämpft. Ob dies nun an der Zeit lag, in der Sybill länger Gelegenheit hatte, sich mit dem Umstand vertraut zu machen, dass er Atorrianer war, oder einfach an der Tatsache, dass er in der Spitzenzeit von zwei Wochen womöglich einen seit Jahren besetzten Planeten befreit hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Auch ungekämmt, mit leichtem Bartansatz, unpolierten Stiefeln und müdem Ausdruck im Gesicht, besaß er eine gewisse Wirkung auf die junge Frau, welche sie allerdings krampfhaft zu unterdrücken versuchte.
»Was ist passiert?«, wollte Sybill von Beegje wissen, bevor der Atorrianer zu ihr gelangen konnte.
»Es ist ihm gelungen.«
Sybill hielt den Atem an. Ihr Herzschlag begann immer schneller zu werden. Das Blut rauschte ihr lauter und lauter durch die Adern, sodass die Gespräche in ihrer unmittelbaren Nähe verstummten und sie nur noch ihren eigenen Herzschlag hören konnte. Dass ihr irgendwann einmal etwas zum Verhängnis wurde, ihr sogar eine Blamage verschaffte, hätte sie vor wenigen Minuten niemals geglaubt.
Der Atorrianer blieb wenige Schritte vor ihr stehen, begrüßte sie mit einem kurzen, steifen Nicken und ließ noch einen schier unendlich langen Moment die Wirkung seines Erscheinens auf sich einwirken, so als wolle er den Triumph bis ins Letzte auskosten.
»Commander Danning, ich habe etwas für Sie«, sagte er ungerührt und hielt ihr seine geschlossene Faust entgegen. Als er die Hand öffnete, lag eines der größten Illumena-Kristalle in seiner Handfläche, den Sybill je gesehen hatte.
»Ein einziger Stein beweist noch nichts«, gab sie unbeeindruckt von sich.
Auf ein Zeichen von ihm, erschienen an die hundert Männer auf der Brüstung, traten an das Geländer vor und hielten große, prall gefüllte Säcke über den Abgrund. Auf ein zweites Zeichen hin, leerten sie die Inhalte ihrer Säcke über die verblüfften Gäste aus. Erschreckt und verunsichert brachten sich die Gäste in Sicherheit, die sich genau unter dem Illumena-Regen aufhielten. Berge von blauem Illumena entstanden auf dem Boden des Ballsaales. Erstauntes Raunen entstand.
Auf ein drittes Zeichen hin, erschienen weitere Personen am Geländer der Brüstung, Männer und Frauen, einige sogar noch halbe Kinder, die Hände zu einer langen Reihe aneinander gefesselt, in Arbeiterkleidung, schmutzig und mit unbestimmtem Ausdruck im Gesicht.
»Jetzt sind Sie dran, Ihren Teil der Abmachung zu erfüllen«, forderte De‘Querres. »Die Aufnahmebestätigung und eine Entschuldigung.«
Sybill musste schlucken. So etwas hatte sie nicht erwartet, dass es ihm gelingen wollte schon gar nicht. Im Augenwinkel entdeckte sie Senator Sdinge, der sich, von der allgemeinen Aufregung erfasst, einen Weg durch die Menge bahnte. Sie rang nach einer Lösung. Aber am liebsten wäre sie einfach auf und davon gelaufen. Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sie sich eine Niederlage eingestehen.
»Was soll das alles?«, wollte der Senator wissen und strich sich einige Strähnen seines schütteren Haares zurück. Die Aufregung hatte seine sorgsam überkämmten kahlen Stellen wieder hervortreten lassen.
»Ich warte«, sagte der Atorrianer streng und ließ den blauen Kristall einfach auf den Boden fallen.
»Ich schätze …«, begann sie zögernd, »dieser Punkt ging an Sie.«
»Das ist nicht das, was wir abgemacht hatten«, gab er unnachgiebig zurück.
»Was abgemacht?«, erkundigte sich der Senator verwirrt.
De’Querres fixierte die Kommandantin mit strengem Blick, wie ein konservativer Schullehrer, der unbedingt auf eine Antwort beharrte. Sybill schluckte trocken. Der Atorrianer hatte für seine Rückkehr den denkbar besten Zeitpunkt und das beste und wirkungsvollste Publikum gewählt. Auch wenn sie sich nicht an ihr Wort gebunden fühlte, hätte sie in diesem Moment nicht anders gekonnt, als ihm die Zusage zu erteilen. Die Tatsache, dass der ganze Saal voller Senatoren, hochrangigen Offizieren und anderen einflussreichen Leuten war, ließ ihr keine andere Wahl.
»Sie haben gewonnen«, musste daher ihre Antwort lauten. »Ihr Antrag ist angenommen. Betrachten Sie sich als neues Mitglied der Streitmacht der vereinigten Planetensysteme.«
»Ich verstehe nicht ganz«, warf Senator Sdinge ein. »Würde mich bitte jemand aufklären? Was soll das mit den Illumena? Alkaios De’Querres, ich hörte, Sie hätten Craba angegriffen. Warum haben Sie das getan?«
»Das war die Bedingung für die Aufnahme in die Streitmacht«, erklärte er, ohne Sybill aus den Augen zu lassen. »Ich habe die Aufnahmeprüfung bestanden. Jetzt warte ich nur noch auf mein Diplom.«
»Was für ein Diplom? Welche Aufnahmeprüfung? Commander Danning, was geht hier vor?« Der Senator blickte die junge Frau streng an. »Haben Sie von Alkaios De’Querres verlangt, Craba anzugreifen und von den Besatzern zu befreien?«
Sybill schluckte erneut und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. »Ich hielt es für eine gute Idee, die Fähigkeiten des ruhmreichen Feldherrn zu testen«, erklärte sie bestimmt. »Hätte er versagt, hätte ich sehr an den ganzen Geschichten zweifeln müssen, die um seine Gestalt gewoben wurden. Hätte er versagt, hätte ich seine Fähigkeiten für ein Gerücht halten müssen - ein Gerücht, das sich das Planetenbündnis nicht leisten konnte. Ich musste sicher gehen.«
»Sie können etwas derartiges nicht ohne Zustimmung des Senats verfügen«, brauste der Mann auf. »Craba hätte dem Angriff auch standhalten können, dann wäre der Markt für Illumena endgültig zusammengebrochen. Womöglich wäre Alkaios De’Querres dabei umgekommen und ich hätte mir eine Erklärung für die Atorrianer ausdenken müssen.«
»Es war eine reine Angelegenheit zwischen zwei Feldherrn«, erklärte Sybill trocken. »De’Querres wusste, worauf er sich einließ. Er hätte jederzeit ablehnen können.«
»Ich wünsche keinerlei Extravaganzen«, schimpfte Senator Sdinge. »Wir sind eine Republik und kein totalitärer Staat. Militärische Belange müssen mit dem Senat und der Regierung abgeklärt werden.«
»Das hatte nichts mit den militärischen Belangen des Planetenbündnisses zu tun, sondern …«
»Ich weiß, eine Aufnahmeprüfung«, schnitt der Senator ihr das Wort ab. »Aber auch dies hätte nicht stattfinden dürfen. Die Aufnahme Atorrs in das Planetenbündnis ist bereits beschlossene Sache. Alkaios De’Querres ist ein Mitglied der Streitmacht des Planetenbündnisses. Welche Gerüchte auch immer um seine Person kreisen, es steht Ihnen nicht zu, ihn danach zu bemessen.«
»Das war es ja gerade, was ich testen wollte.«
»Auch Tests stehen Ihnen nicht zu. Sie haben dafür zu sorgen, aus den Bewerbern eine schlagkräftige Truppe zu machen. Und nicht, Auswahlkriterien zu erfinden, die das Beste was uns je angeboten wurde, abschmettern. Commander Danning, ich ersuche Sie, in Zukunft Dinge wie diese zu unterlassen.« Er deutete mit seiner Hand auf die Berge von Illumena und die Gefangenen an der Brüstung und ließ sie wieder sinken. »Es gibt keine weiteren Aufnahmeprüfungen mehr«, verfügte er und wirbelte energisch herum, um wieder in der Menge zu verschwinden.
Sybill wollte sich ebenfalls umdrehen und den Atorrianer hinter sich lassen, er holte sie jedoch mit einem scharfen Ruf wieder zurück.
»Wir sind noch nicht fertig, Commander!«
»Was wollen Sie noch?«, fragte sie ungeduldig und blickte ihn entnervt an.
»Die Entschuldigung.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
Sein ungerührter Ausdruck war Antwort genug.
»Kommen Sie morgen in mein Büro. Dann können wir weiterreden.«
»Hier und jetzt!« verlangte er.
»Nein!« widersetzte sich Sybill entschlossen. »Sie werden bis morgen warten müssen.«
»Die atorrianische Art ist, mit der Stirn meine Stiefelspitzen zu berühren und sie zu küssen. Mir genügt es, wenn Sie sie küssen.«
»Sind Sie noch bei Sinnen?«, stieß Sybill entrüstet aus. »Nie und nimmer!« Sie wollte davoneilen, doch De’Querres hielt sie am Arm fest.
»Ich lasse mich von Ihnen nicht zur primitiven Bourgoisis abstempeln. Ich bin Mitglied der Kapona und stolz darauf Atorrianer zu sein; und verlange daher als solches behandelt zu werden. Sie werden sich bei mir entschuldigen, oder …«
»Oder was?«, hakte sie nach, als er abrupt verstummte. »Werden Sie dann beleidigt von dannen ziehen?«
»Nein«, gab er mit einem seltsamen Glitzern in den Augen von sich. »Dann werde ich Ihnen Ihren Hosenboden stramm ziehen und zeigen, wozu ein Atorrianer noch fähig ist.«
Sybills Hand schnellte hoch und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Beinahe gleichzeitig riss sie ihren Arm los und brachte einen größeren Abstand zwischen ihnen beiden.
»Sie halten sich allen Ernstes für zivilisiert?«, warf sie ihm wütend und voller Hass an den Kopf. »Sie sind nicht besser, als all die anderen einfältigen Atorrianer. Ihr seid alle primitiv und pervers. Wagen Sie es nicht noch einmal, mich zu berühren! Es könnte sonst sein, dass ich Ihnen das nächste Mal die Hand abschlage.« Damit fuhr sie herum und eilte davon.
Etwas verwirrt, obgleich dieser ungewöhnlich heftigen Reaktion, blieb De’Querres zurück und blickte Beegje fragend an. Doch der zuckte nur ratlos die Schultern.
Der Feldherr drehte sich kurz nach einem seiner Leute um, der ihm daraufhin etwas überreichte, was De’Querres kurzerhand Beegje entgegenwarf. Es war ein Kristallwürfel, wie man ihn gewöhnlich für Holoaufzeichnungen verwendete.
»Sagen Sie Ihrer Chefin, dass ich mich morgen früh in Ihrem Büro einfinden werde, um die vorenthaltene Entschuldigung abzuholen«, entgegnete der Atorrianer streng. »Sollte sie sich weiterhin weigern, werde ich meine Drohung wahr machen.« Er machte eine umfassende Bewegung in Richtung der Brüstungen und den noch immer verblüfft dreinblickenden Ballgästen. »Das hier überlasse ich Ihnen.« Damit wandte er sich um und marschierte davon. Die Illumena-Kristalle und die Gefangenen blieben zurück.
Wenig später fand Captain Beegje die Kommandantin in einem Nebenzimmer, gänzlich in sich versunken und ihren Gedanken nachsinnend. Er bewegte sich vorsichtig auf den altertümlichen Diwan zu, auf dem sie sich niedergelassen hatte und machte mit einem dezenten Räuspern auf sich aufmerksam.
»Ich könnte Ihre Entscheidungen besser verstehen, wenn ich Ihre Beweggründe kennen würde«, sagte er, als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war. Sie hatte sich weder bewegt, die Augen geöffnet, noch irgendein Geräusch verursacht, trotzdem wusste er, dass sie wach und bereit war, ihm zuzuhören. »Ihre heftige Abneigung gegenüber Alkaios De’Querres entstand offensichtlich nicht aus dem Zweifel den ruhmreichen Geschichten und Gerüchten über ihn. Ich kann Ihre Reaktionen besser erklären, wenn ich weiß, warum Sie so reagieren.« Er machte eine kurze Pause, in der er abermals räusperte und einige weitere Schritte näher trat. »Ich halte den Alkaios für einen überaus kompetenten Mann, jemanden, den wir unbedingt auf unsere Seite der Front haben sollten.«
»Mag sein«, gab sie müde von sich und öffnete endlich ihre Augen. Einen Augenblick lang fixierte sie einen imaginären Punkt irgendwo in der Weite vor ihren Augen, dann suchte sie den Blick ihres Adjutanten, der ihr an Jahren und vielen Erfahrungen um einiges voraus war. »Ich zweifle keineswegs seine Fähigkeiten an. Jemand, der Craba ohne großes Aufsehen und ohne ausführliche Vorplanung befreit, muss etwas können. Es ist etwas Persönliches«, gestand sie und richtete sich auf. Was sie am wenigsten wollte, war der Verlust ihres engsten Vertrauten. Als sie die verantwortungsvolle Aufgabe, eine vereinigte Streitmacht auf die Beine zu stellen, übertragen bekam, war sie froh, jemanden wie Beegje an ihrer Seite wissen. Sie konnte sich keinen loyaleren Gehilfen vorstellen. »Nicht gegen De’Querres persönlich, sondern der Atorrianer allgemein.«
»Darf ich den Grund Ihres Argwohnes der Atorrianer gegenüber erfahren?« fragte Beegje gefühlvoll aber auch bestimmt genug.
Sybill seufzte laut durch. Bislang hatte sie es noch keinem erzählt. Nur ihr Vater und sie wussten es; und ihr Vater hatte ihre Mutter in ihrer schwersten Stunde verlassen. Als sie Stütze und seelischen Beistand gebraucht hatte, war er einfach gegangen. Sybill besaß so gut wie keine Erinnerungen an ihn.
»Meine Mutter wurde von betrunkenen Atorrianern geschändet«, berichtete sie traurig. Die Worte ihrer Mutter kehrten so lebhaft in ihre Erinnerung zurück, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie ihr davon erzählt hatte. »Sie hatten sie entführt, in eine dreckige Hütte gesperrt, wie eine niedere Sklavin gehalten und sie tagelang missbraucht. Sie ließen an meiner Mutter ungehemmt ihren uranimalischen Balztrieb aus. Sie konnte dieses Erlebnis nie überwinden.«
Beegje hielt vor Bestürzung kurz den Atem an. »Wurden die Täter gefasst?«, erkundigte er sich betroffen.
Sybill lehnte sich zurück und betrachtete kurz ihre Hände. »Nein. Das war eine Horde von Wilden, die weniger Verstand besaßen als eine Schleimschnecke.«
»Ich bezweifle, dass Alkaios De’Querres etwas damit zu tun hat«, bemerkte Beegje. »Sie sollten ihn nicht dafür bestrafen, was andere Ihrer Mutter und Ihnen angetan hatten.«
Sybill sah hoch und betrachtete den Mann, den sie immer für ihren Freund gehalten hatte. »Ich habe noch keinen Atorrianer gesehen, der dem Bild der Peiniger meiner Mutter nicht entsprochen hätte«, sagte sie. »Kein einziger Atorrianer, so zivilisiert sie sich auch geben mochten, besaß ein höheres Niveau als das eines wilden Tieres.«
»In De’Querres täuschen Sie sich sicherlich«, sagte Beegje bestimmt. »Ich halte den Alkaios nicht für so animalisch, eine Frau zu schänden.«
»Das hatte meine Mutter auch gedacht.«
Der Offizier räusperte kurz, dann betrachtete er den Holowürfel in seiner Hand. »De’Querres ist sehr wichtig für uns«, fuhr er fort und legte den Würfel auf die Armlehne des Diwans. »Ich werde versuchen, sie beide so gut es eben geht, voneinander zu trennen. Da der Senat von De’Querres Fähigkeiten überzeugt ist, wäre es schlecht für uns alle, den Alkaios ständig zu kränken und herauszufordern. Ignorieren Sie ihn, wenn Sie auf ihn treffen - zumindest solange, bis Sie Ihren Groll gegen ihn persönlich verloren haben.«
»Das wird nicht so schnell passieren«, wusste sie. »Das was der Atorrianer bereits von sich gab, entspricht genau den Beschreibungen meiner Mutter. Unnachgiebig, arrogant, selbstgefällig und herrschsüchtig.«
Der Offizier konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die feinen weißen Härchen in seinem Gesicht stellten sich leicht auf. Er strich sie mit einer gewohnten Handbewegung glatt und näherte sich der jungen Frau ein weiteres Stückchen. Dann ging er vor ihr in die Hocke und legte eine Hand besänftigend auf ihren Unterarm.
»Vielleicht wäre es eine bessere Idee, wenn Sie sich intensiver mit ihm beschäftigen. Vielleicht erkennen Sie dann ganz andere Seiten an ihm und ändern Ihre Meinung über Atorrianer - zumindest was De’Querres betrifft. Das wäre für den Frieden innerhalb der Streitmacht sehr von Nutzen.«
»Kein Interesse«, gab Sybill zurück, lächelte dankbar und entzog ihm ihren Arm. Beegje berührte sie nicht oft, aber jedesmal hatte sie das Gefühl der feinen weißen Härchen auf ihrer Haut genossen. In diesem Moment jedoch, war es ihr unangenehm. »Ich nehme lieber das Angebot an, dass Sie mir diesen Atorrianer vom Leib halten. Was auch immer er tut, es soll es nicht in meiner Nähe machen.«
»Ich werde mein Bestes geben.«
»Danke, Beegje. Und noch etwas: Sie sind nun der einzige Außenstehende, der davon weiß. Ich bitte Sie, es niemandem zu erzählen.«
»Und wenn der Alkaios den Grund für Ihr abweisendes Verhalten erfahren will?«
»Sagen Sie ihm, ich kann ihn nicht ausstehen.«
»Glauben Sie nicht, dass er dann verständnisvoller wäre, wenn er die Wahrheit kennt?«
»Nein!« Sybill nahm den Holowürfel in die Hand und betrachtete ihn. Sie erkannte das eingeprägte Hoheitszeichen der Atorrianer und hätte es am liebsten sofort weit von sich geworfen. Aus irgendeinem Grund unterließ sie dies. »Was ist das?«, wollte sie wissen.
»Das ist von De’Querres. Ich nehme an, dass dort alles über den Übergriff auf Craba festgehalten wurde. Außerdem sagte er, dass er sich morgen die Entschuldigung abhole. Anderenfalls würde er seine Drohung wahr machen.«
»Das soll er erst einmal versuchen«, erwiderte Sybill kämpferisch. »Meine Mutter lief damals unbedarft in eine Falle, doch ich bin gewarnt.«
»Ich bezweifle, dass er etwas in dieser Art beabsichtigt«, bemerkte Beegje und musste ein amüsiertes Lächeln mühsam verkneifen. »Sie haben ihn in seiner Ehre gekränkt. Ich denke, es verlangt ihn lediglich nach einer Wiedergutmachung. Mehr als Ihnen den Hosenboden stramm ziehen, wird das sicherlich nicht sein.«
»Was auch immer, er soll mir nur nicht zu nahe kommen«, zischte Sybill ungehalten und warf den Holowürfel in die Ecke des Diwans. »Sollte er es tatsächlich wagen, in meinem Büro aufzutauchen, wird er meine Zähne zu spüren bekommen.«
»Sie haben ihn selbst dazu aufgefordert«, erinnerte Beegje sie an ihre eigenen Worte. »Es wäre daher mehr als unhöflich, ihn bei seinem Eintreffen hinauszuwerfen.«
Sybill schnaufte leise. Sie fragte sich ernsthaft, warum sie bereits zum zweiten Mal den Fehler begangen hatte, sich selbst eine Blamage zuzufügen. Mit einem weiteren Seufzer lehnte sie sich wieder zurück und starrte vor sich ins Leere.
»Beegje«, sagte sie schließlich gedankenverloren, ohne den Blick von dem Nichts abzuwenden, welches sie unentwegt anstarrte. »Ich bitte Sie um einen Gefallen.«
»Gerne!«
»Bewahren Sie mich vor weiteren Fehlern und warnen Sie mich vorher. Ich möchte dem Atorrianer nicht die Genugtuung zuteil werden lassen, meine eigenen Fehler zu meinem Verhängnis zu machen.«
Milde lächelnd erhob sich der Offizier wieder. »Ich werde mein Bestes geben. Aber Sie müssen auch auf mich hören. Vereinbaren Sie mit De’Querres eine Art Waffenstillstand. Das ist besser, als ein Kleinkrieg auf kalter Flamme.«
»Sobald ich den Schock überwunden habe, mit einem Atorrianer zusammen arbeiten zu müssen«, erwiderte sie und seufzte tief. »Ich hoffe, dass ich das jemals überwinden kann.«
»Wenn Sie sich Mühe geben und mehr an Ihre Aufgabe und das Wohl des Planetenbündnisses denken, als an Ihre Bestürzung, wird sich die Aufregung in Ihnen sicherlich bald legen.«
Sybill sah hoch und fixierte die leicht rötlichen Augen des Telluren. »Sie können meine Bestürzung nicht richtig nachvollziehen, richtig?«
»Nicht ganz«, gestand Beegje. »Wenn mich ein Hund beißt, verurteile ich nicht dessen ganze Rasse, sondern nur diesen einen Hund. De’Querres ist ein aufrichtiger Mann, dessen einzige Fehler vermutlich sein ausgeprägter Ehrgeiz sind und der Hang dazu Herausforderungen nicht ausschlagen zu können. Aber ohne das, wäre er sicherlich nicht der Mann, der er jetzt ist. Ich betone noch einmal, De’Querres ist sehr wichtig für uns, nicht nur wegen seiner Art, auch wegen der geballten Kraft, die hinter ihm steht.«
»Vermutlich haben Sie Recht, Beegje - wie immer.« Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln und erhob sich. »Ich werde nach Hause gehen und etwas schlafen.« Dann nahm sie den Holowürfel auf und verbarg ihn in ihrer Hand. »Gute Nacht, Beegje!«
»Schlafen Sie wohl, Commander«, gab der Offizier zurück, schenkte ihr zum Abschied ein Lächeln und ließ sie schließlich allein.
Sybill verließ nur wenige Minuten später das Nebenzimmer und die Festlichkeit. Als sie in den Ballsaal hinausging, waren die Spuren von De’Querres Anwesenheit verschwunden. Kein Krümelchen Illumena lag noch auf den Teppichen herum und kein einziger Gefangener stand noch an den Brüstungsgeländern. Stattdessen wurde sie von zahlreichen Blicken der noch verbliebenen Gäste bis zum Ausgang verfolgt.
In ihrer Wohnung angekommen, feuerte sie den Würfel zunächst in irgendein Eck, doch nach wenigen Minuten, als sie das unbequeme Ballkleid ausgezogen und in etwas bequemeres geschlüpft war, suchte sie den Holowürfel wieder, um ihn in das Abspielgerät zu stecken. Plötzlich interessierte sie sich für die Aufzeichnungen, die der Würfel barg. Vielleicht würde sie dabei etwas mehr von De’Querres herausbekommen, dachte sie bei sich und ließ sich mit einem Glas ihres Lieblingsweines in ihre Sitzecke fallen. Mit einem kurzen knappen Befehl startete sie das Abspielen der Aufzeichnung und lehnte sich zurück.
Das klare Bildnis einer Brücke kristallisierte sich schnell aus dem Knistern und den Störungen der Holoaufzeichnung. Mehrere Personen standen im Kreis um einen erhöhten Kommandosessel, auf dem noch niemand Platz genommen hatte.
»Aufzeichnung läuft«, sagte eine Stimme und beinahe gleichzeitig kam Alkaios Serge De’Querres ins Bild. Zielstrebig marschierte er in den Kreis, nahm seinen Umhang ab und warf ihn einfach auf den Kommandosessel. Dabei drehte er sich einmal um seine Achse, offenbar um die Vollständigkeit der Leute zu überprüfen, die er auf die Brücke gerufen hatte. Zufrieden nickte er einem Außenstehenden zu und sah dann kurz in die Kamera. Sybill konnte das kämpferische Glitzern in seinen Augen deutlich erkennen und musste Beegje Recht geben. De’Querres besaß einen ausgeprägten Hang dazu, Herausforderungen anzunehmen und sie auch zu bestehen. Als sie die Aufzeichnung nun ansah, wusste sie bereits, dass er die ihm gestellte Aufgabe mit Bravour abgeschlossen hatte.
»Bei allen Aktionen wird die Standardsprache benutzt, um Übersetzungsfehler zu vermeiden«, verfügte De’Querres sogleich. »Ich bin Serge De’Querres, Alkaios des ersten Flottenkommandos von Atorr, unter dem Patron der Kapona. Unsere Aufgabe besteht darin, einen von Terroristen besetzten Planeten zu befreien. In erster Linie gilt es die Verteidigungslinie zu durchbrechen und die Sicherheitsmaßnahmen der Terroristen zu zerschmettern. Uns bleibt nicht viel Zeit für Planung und Ausführung, dennoch dürfen wir nicht stümperhaft vorgehen. Es darf sowenig Blut vergossen werden wie möglich. Die Terroristen leben seit acht Jahren auf diesem Planeten, wodurch man von einer intakten Infrastruktur ausgehen kann. Es muss dort demnach Frauen und Kinder geben.« Er blickte sich abermals um, als wolle er die Bestätigungen aus den Gesichtern seiner Untergebenen herauslesen. »Unser Ziel ist der Planet Craba«, fuhr er fort. »Der Ursprungsplanet des Illumena.«
»Wurde Craba nicht zum Sperrgebiet erklärt?«, wollte einer der Männer wissen. »Die Terroristen hatten erklärt, dass sie das Illumena zerstören würden, wenn irgendein Übergriff oder der Versuch gestartet würde, Craba zurückzuerobern.«
»Das ist richtig«, pflichtete ihm De’Querres bei. »In den acht Jahren wurde die Illumena-Förderung immer mehr gedrosselt, was den Preis inzwischen ins astronomische katapultierte. Der Markt für Illumena ist aufgrund der Exportpolitik auf Craba zusammengebrochen. In zwei Jahren wäre die Wissenschaft soweit, das Illumena gegen ein künstliches Produkt zu ersetzen, was sowieso das Ende von Craba und seinen Bewohnern gewesen wäre. Ich beabsichtige einen schnellen, heftigen, aber sehr wirksamen Schlag durchzuführen, sodass den Besatzern nicht viel Zeit für die Zerstörung der Illumena bleibt. Uns geht es nicht um die Rettung des Illumena, sondern einzig, um die Einnahme des Planeten und die Rückführung in das Planetenbündnis; und natürlich um sowenig Verluste wie möglich.« Er blickte sich abermals um. Einige seiner Leute nickten, andere blickten noch nachdenklich vor sich. »Die Aktion läuft unter meinen Namen und unter dem Patron der Kapona. Wir sind zwar bereits offiziell dem Planetenbündnis unterstellt, doch dies ist eine Sondermission, für die ich persönlich die Verantwortung übernehme. Irgendwelche Vorschläge?«
Sybill fiel auf, dass er mit keinem Wort eine eventuelle Niederlage erwähnte. Er musste sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein. Obwohl sie es nicht wahrhaben wollte, brachte sie ein klein wenig Bewunderung für ihn auf. Ein Oberbefehlshaber, der so unbekümmert und selbstsicher in eine Schlacht ging und letztendlich auch noch gewann, war für seine Gegner sehr gefährlich.
Mit einem Seufzen spulte sie die Aufzeichnung etwas vor, an eine Stelle, an der die Schlacht in vollem Gange war.
De’Querres’ Großzerstörer hatten die Verteidigungslinie wie ein Rammbock durchbrochen und konzentrierten sich nun auf die Kanonenschiffe, die sich ihnen entschlossen entgegen stellten. Die Schlachtkreuzer sicherten die Flanken, oder folgten den Zerstörern durch die Linie, um ihr verheerendes Feuer auf die Wolken von Jagdmaschinen zu lenken, die wie aufgescheuchte Bienenschwärme um die Kriegsschiffe herum schwirrten, aber auch um die Bodentruppen auf den Planeten zu bringen. Auf den ersten Blick wirkte das Geschehen wie ein heilloses Durcheinander von Kriegsmaschinerie, doch einem geübten Auge offenbarte sich das Schemata der Strategie, die sich De’Querres ausgedacht hatte. Ein schneller, wirksamer Schlag, hatte er gesagt und genau das führte er aus. Mit allem, was ihm zur Verfügung stand, bombardierte er den Planeten, zermalmte die gegnerische Verteidigung unter seinen Füßen - schnell und effektiv, als ging es um die Invasion von Craba, anstatt um dessen Befreiung. Er schmetterte die Angriffe der Besatzer mit massiven Gegenmaßnahmen zurück, stellte ihnen zu allem entschlossene Kanonenboote und Schwärme von Jagdstaffel entgegen, die nur eines wollten, so schnell wie möglich wieder nach Hause.
Sybill beobachtete das Geschehen auf dem Holo. Es war keine besonders gute Strategie. Fehler konnten sehr schnell zum Verhängnis werden. De’Querres baute alleinig auf den schnellen, massiven Schlag, der die Besatzer verblüffen und überrumpeln sollte, um sie anschließend nur noch einsammeln zu müssen. Zudem mussten sich die Bewohner von Craba sehr sicher gewesen sein, dass es niemand wagen würde, das kostbare Illumena zu riskieren. Jemand wie De’Querres, der dieses Risiko einging, besaß beinahe zu leichtes Spiel mit ihnen.
Die eigentliche Schlacht dauerte keine drei Stunden. Dann waren die Verteidigungslinien zerschlagen und die feindlichen Schiffe kampfunfähig gemacht. Sybill betätigte abermals den schnellen Vorlauf und blieb an der Stelle stehen, an der De’Querres die Verladung der Gefangenen und des erbeuteten Illumena überwachte. Mit der Hand fuhr er genussvoll in einen mit blauen Edelsteinen prallgefüllten Sack.
»Das ist ein Vermögen wert«, sagte einer der Männer und besah sich die Beute.
De’Querres brachte jenen großen Stein hervor, den er später Sybill vor die Füße fallen ließ.
»Im Prinzip schon«, pflichtete der Feldherrn seinem Untergebenen bei. »Doch wenn das alles hier an die Öffentlichkeit gelangt, ist das gerade mal soviel wert wie gewöhnlicher Kiesel.«
»Dann lassen wir es hier«, schlug der andere vor.
»Nein«, gab De’Querres kopfschüttelnd von sich und schloss den Sack sorgfältig. »Ich will ihr Gesicht sehen, wenn ich sie damit überschütte.«
»Willst du dich bei jemanden einschmeicheln?«
»Dafür bringt sie mich um.«
»Bist du dir sicher? Für gewöhnlich mögen es Frauen, wenn man sie mit Edelsteinen überschüttet.«
»Sie kann es nicht leiden, wenn jemand etwas tut, was sie nicht erwartet hat.« De’Querres steckte den großen Stein in die Tasche. »Wir werden ihr das ganze Zeug vor die Füße kippen. Nur um zu sehen, wie sie darauf reagiert.«
»Im Provozieren von Reaktionen bist du schon immer gut gewesen«, lachte der andere und vollführte einige Handzeichen, worauf Männer angesprungen kamen und die Säcke wegräumten.
De’Querres drehte sich um und blickte geradewegs in die Kamera. Für einen Moment huschte ein überraschter Ausdruck über sein Gesicht, so als ob ihm eben klar geworden war, dass etwas aufgezeichnet wurde, was nicht für die Augen und Ohren Dritter bestimmt war. Doch dann verschwand die Überraschung ebenso schnell wie sie kam und ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Das war das Letzte, was der Würfel sendete. Die Aufzeichnung endete mit dem breiten Grinsen des Atorrianers.
Sybill stellte ihr inzwischen leeres Glas auf den Boden und startete das Holo erneut. Diesmal jedoch sah sie sich die gesamte Aufzeichnung an, ohne die weniger interessanten Stellen zu überspringen. Sie brannte plötzlich darauf, mehr über diesen Atorrianer herauszubekommen. Sein Grinsen hatte in ihr tatsächlich eine Reaktion provoziert: Entrüstung und Bewunderung. Der Kerl kam ihr fast schon eine Spur zu selbstsicher, zu vorausschauend, zu perfekt vor und hoffte, dass sie in der restlichen Aufzeichnung etwas entdeckte, was sie an ihm auszusetzen erlaubte. Anderenfalls würde sie nahe dran sein, sich in den Kerl zu verlieben - trotz seines größten Fehlers - Atorrianer zu sein.
Das Kommunikationsgerät piepte und sie schreckte aus einem leichten, unruhigen Schlaf. Verwirrt blickte sie um sich und bemerkte, dass sie in der Sitzecke eingeschlafen war. Sie erhob sich, warf dabei das leere Glas um und beglückwünschte sich für ihre Angewohnheit, Gläser stets leer zu trinken, ehe sie sie aus der Hand gab. Mürrisch stellte sie das Piepen ab und blickte auf das Chronometer, das noch ihre Mutter besessen hatte. Sie hatte das antike Stück geliebt und es gehegt und gepflegt. Sybill wollte diese Angewohnheit nicht sterben lassen und wendete mindestens dieselbe Zeit dafür auf, das Stück zu putzen und es am Laufen zu halten. Dass das Erbstück alle paar Tage ein paar Minuten nachging, störte sie ebenso wenig, wie es ihre Mutter gestört hatte. Mit einem Lächeln, in Gedanken an ihre Mutter, wie sie dieselbe Bewegung vollführte, verschob sie den Zeiger um ein paar Minuten, strich liebevoll über das glänzende Holz und begab sich dann in ihr Schlafzimmer, um sich umzuziehen. In weniger als dreißig Minuten musste sie ihren Dienst antreten und an diesem heutigen Morgen würde ihr der Dienstbeginn nicht mehr so leicht fallen. Sie wusste genau, dass De’Querres auf sie wartete und etwas von ihr verlangte, wozu sie sich beim besten Willen nicht durchringen konnte. Noch während sie sich umkleidete, überlegte sie, wie sie dem Atorrianer begegnen sollte. Doch auch als sie ihr Büro betrat, wollte ihr nichts passendes einfallen.
»Guten Morgen!«, begrüßte Captain Beegje sie freundlich. Er begleitete sie zu ihrem Schreibtisch und deutete auf das Holokom. »Ich habe sämtliche Anrufe auf die Warteschleife gelegt.«
»Ist er schon da gewesen?« wollte sie wissen.
Beegje schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Soll ich versuchen, ihn abzuwimmeln, falls er auftaucht?«
»Ich bezweifle, dass Ihnen das gelingt, Beegje.« Sie holte den Holowürfel mit dem atorrianischen Hoheitszeichen aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Tisch. »Es gibt keinerlei Ansatzpunkte, De’Querres’ Heldentat mit uns in Verbindung zu bringen. Das bedeutet, dass wir nicht von seinem Erfolg profitieren können. Dabei habe ich mir gewünscht, die Lorbeeren auf unsere Seite zu ziehen.«
»Der Alkaios ist schlau«, wusste Beegje. »Es hätte mich gewundert, wenn er sich die Lorbeeren für seinen Sieg so einfach wegnehmen lassen würde. Jetzt sieht es aus, als hätte er Craba dem Planetenbündnis zum Eintritt von Atorr zum Geschenk gemacht.«
»Genau das war seine Absicht. Mein Vorschlag kam ihm da gerade Recht. Zudem verschaffte ihm das eine Möglichkeit, mich zu demütigen.«
»Ich würde eher sagen, sich zu revanchieren. Sie hatten ihn nicht gerade zuvorkommend behandelt.«
»Genau das ist es«, sagte sie, als hätte ihr nur dieses Stichwort gefehlt. »Er ist es gewohnt, ständig zuvorkommend behandelt zu werden. Aber bei mir kann er lange darauf warten. Bei mir muss er sich ständig aufs Neue beweisen. Und ich werde es ihm nicht gerade leicht machen.«
»Sie sollten aus persönlichen Gründen keinen Kleinkrieg innerhalb eines noch jungen und unerfahrenen Teams veranstalten. Das könnte sich negativ auf das gesamte Team auswirken.«
»Ich sagte nicht, dass ich einen Krieg anzetteln will, sondern dass er jeden Tag aufs Neue beweisen muss, was er drauf hat. Bei mir ist er nicht automatisch der Held, bei mir muss er darum kämpfen.«
»Ich weiß nicht«, gab Beegje zweifelnd von sich. »Ich halte das für keine gute Idee. Unter anderen Umständen würde ich anraten, ihn zur rechten Hand zu machen. Er ist das Beste, was sie kriegen können. Es wäre falsch, wenn nicht sogar töricht, dies nicht zu nutzen.«
»Ich nutze das und sogar intensiver, als ich ursprünglich wollte. Außerdem habe ich nur eine rechte Hand und die gehört bereits Ihnen, Beegje. Wollen Sie diesen Platz wirklich aufgeben?«
»Nicht unbedingt«, gestand der Offizier etwas gerührt.
Sybill schenkte dem Mann, ohne den sie sicherlich längst verzweifelt wäre, ein aufrichtiges Lächeln. Beegje war ihr in den Jahren ihrer Zusammenarbeit wie ein Vater geworden. Sie konnte ihm beinahe alles anvertrauen und nahezu alles von ihm verlangen. Er war Soldat mit Leib und Seele und hätte den letzten Tropfen Blut für seine Berufung hergegeben.
»Steht für heute Vormittag etwas Wichtiges an?« wollte sie wissen. Als Beegje verneinend den Kopf schüttelte, lehnte sie sich mit einem siegesgewissen Glitzern in den Augen zurück. »Kontaktieren sie De’Querres noch bevor er hier auftauchen kann und sagen ihm, wenn er weiterhin auf sein Diplom besteht, soll er sich in das Trainingscenter begeben.«
»Was haben Sie vor?«, erkundigte sich Beegje interessiert.
»Ihm die erste Lektion erteilen. Je schneller er begreift, wie hier der Hase läuft, desto besser.« Sie erhob sich, straffte ihre Uniform und verließ das Büro wieder.
Sybill liebte es, ihren Körper zum Schwitzen zu bringen. Sie genoss es, wenn jede Faser ihres Körpers Höchstleistungen vollbringen musste und genoss den Zustand der schier grenzenlosen Erschöpfung nach der enormen Tortur in den Trainingshallen. Aber genauso genoss sie auch das Gefühl der Erhabenheit, wenn ihr Körper nach dieser Erschöpfung aus dem Leeren fischte und sie sich wenig später frischer, entspannter, energiegeladener und beschwingter denn je fühlte. Dann wäre sie am liebsten sofort wieder zurück in die Trainingshalle gegangen und hätte sich ein weiteres Mal bis zur Erschöpfungsgrenze getrieben, doch sie wusste, dass es ihr dann nicht die Genugtuung brachte, nach der sie sich so sehnte, wie nach den zärtlichen Berührungen der feinen Hände ihrer Mutter. Es gab Grenzen für alles, auch für die Liebkosungen ihrer Mutter.
Gerade als sie sich den Bauchtrainer vornehmen wollte, tauchte De’Querres auf. Entgegen Sybills Erwartungen trug er diesmal keine eng anliegende Uniformhose, keine wallenden Umhänge und keine vorschriftsmäßigen, geknöpften Uniformjacken, und schon gar keine glänzenden Stiefel. Seine Hosen waren weit und leger genug, um bei körperlicher Ertüchtigung nicht hinderlich zu sein. Das Hemd aus weich fließendem Stoff hing über der Hose und er war barfuß. Zudem fiel Sybill sogleich auf, dass der ihn scheinbar ständig umgebende Korps fehlte - er war allein. Zu dieser Stunde hielten sich lediglich drei weitere Personen in der Trainingshalle auf. Und keiner von denen ähnelte einem Atorrianer.
»Nennt man das vorschriftsmäßige Kleidung?«, gab sie sogleich spitz von sich, als er vor sie getreten war.
»Gewisse Situationen und Gegebenheiten erfordern entsprechende Maßnahmen«, erwiderte er selbstsicher und setzte sich auf eine Hantelbank, jedoch ohne sich eines der Gewichte zu nehmen. Stattdessen blickte er sich interessiert um und musterte die verschiedenen Geräte und Maschinen.
»Kennen Sie Leeidoo?«, wollte Sybill wissen.
De’Querres widmete seine Aufmerksamkeit nicht sofort der Kommandantin. Erst beäugte er ein nahestehendes Laufband genauestens. Mit einem skeptischen und leicht amüsierten Ausdruck im Gesicht, kehrte er zu Sybill zurück. »Meinen Sie die traditionelle Kampfsportart mit Schwertstangen der Anlama-Jünger auf Unut Bela?«
»Genau die meine ich«, erwiderte Sybill nickend und musste die Bewunderung für seine Kenntnisse gewaltsam im Zaum halten. Wenn er doch nur kein Atorrianer wäre, seufzte sie im Stillen. »Haben Sie das schon einmal gemacht?«
»Nein!«
»Dann ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür, dies nachzuholen. Folgen Sie mir!« Sie erhob sich und begab sich zu einem freien Platz in der Mitte der Trainingshalle, auf welcher für gewöhnlich Kampfsportarten eingeübt wurden. Auf dem Weg dorthin schnappte sie sich zwei Stangen. Eine davon warf sie dem Alkaios zu, mit der anderen baute sie sich auf dem gepolsterten Kampfplatz auf.
»Wenn Sie mich besiegen, erhalten Sie ihre Entschuldigung«, begann sie und wirbelte die Stange geschickt um ihre Hand. »Sollte allerdings ich als Sieger hervorgehen, werden Sie mir die Füße küssen.«
Das kämpferische Glitzern in seinen Augen erschien für einen winzigen Moment. Er erhob sich ebenfalls, betrachtete die Stange, als wüsste er damit nichts anzufangen und begab sich ebenfalls in die Arena.
»Abgemacht«, sagte er. »Wobei ich jedoch der Überzeugung bin, bereits das Anrecht auf eine Entschuldigung zu besitzen.«
»Nichts gibt es umsonst. Sie müssen schon darum kämpfen.«
»Habe ich das nicht bereits getan?«
»Ich überlasse Ihnen den ersten Schlag«, sagte sie bestimmend und ignorierte seine Frage absichtlich.
De’Querres prüfte das Gewicht der Stange sorgfältig, als müsse er sie erst noch ausbalancieren. Dann nahm er sie mittig, nickte seiner Gegnerin kurz zu und griff schließlich mit einem Ausfall, der knapp vor ihr in einer Drehung endete an. Sybill parierte gekonnt, ließ den Stab über ihre Schulter den Rücken hinunterfallen und stoppt die Gegnerische Waffe, ehe sie sich einen blauen Fleck einhandeln konnte. Sie wirbelte selbst herum und versuchte, durch die offene Abwehr des Attorrianers zu preschen, noch ehe er seine Drehung vollenden und seine Deckung wieder aufnehmen konnte. Doch schneller, als sie es jemals für möglich gehalten hatte, war seine Stange hochgefahren und schmetterte der ihren hart entgegen. Ihre beider Kampfstangen klirrten und schepperten immer wieder aufeinander, ständig war die eine dort, wo die andere einen Treffer landen wollte. Weder Sybill noch De’Querres konnte die Deckung des anderen durchbrechen. Es ging vor und zurück, hin und her. Sie wirbelten einander herum, stießen sich von einander ab, nur um wieder gleich in einer innigen Keilerei vereint zu sein. Dabei verhielt sich De’Querres auffallend leichtfüßig, tänzerisch und schrittgewandt – Eigenschaften, die ihr sofort auffielen und die ihr imponierten.
Sybill erkannte das gewisse Glitzern in den Augen des Alkaios, jenes siegessichere, schelmische Aufblitzen, das sie auch bei der Aufzeichnung an ihm hatte erkennen können. Ihr gefiel dieses Glitzern. Es signalisierte seine Angriffslust, seinen Ehrgeiz, seinen Kampfgeist und ein Quäntchen Amüsement, nur ein Hauch von Humor, der es ihm ermöglichte, seine Befehle nicht mit blindem, sturem Ernst zu befolgen. Obwohl sie sich gegen dieses Gefühl sträubte, gefiel es ihr. Sie hatte förmlich auf dieses Glitzern gewartet, es mit diesem Kampf nahezu provoziert; und nun raste eine Welle der Zufriedenheit durch ihre Adern. Sie musste sich Gewalt antun, ihre Stange fest in ihren Händen zu halten und den Kampf mit ihm bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Sie hatte schnell gemerkt, dass er gar kein so Ahnungsloser war, als der er sich zunächst gegeben hatte. Viele Kniffs, Tricks, Angriffstaktiken und Abwehrmethoden gehörten zur traditionellen Leeidoo. Er musste darüber mehr Bescheid wissen, als er bereit war preis zu geben. Sybill änderte ihre Taktik und vollführte eigens entworfene Sprünge, Schritt- und Hiebfolgen, doch auch die wusste er geschickt zu kontern.
»Nicht schlecht für einen Atorrianer«, keuchte sie atemlos und griff sogleich mit einem weiteren selbst entworfenen Trick an. De’Querres ließ sich etwas zurückdrängen, duckte sich unter ihrer Stange hinweg, klemmte sich die eigene unter Achsel, Ellbogen und Handgelenk und bohrte das andere Ende der Stange geradewegs zwischen Sybills Beine. Noch ehe sie ihren Fehler erkannte, hatte er sie von den Beinen gehebelt und sie landete auf ihrem Hosenboden.
»Eins zu Null für mich«, sagte er gefühllos. »Wollen wir endlich ernsthaft miteinander kämpfen, oder sind sie nur auf Kinderspielchen aus?«
»Was bedeutet ernsthaft für Sie?«, gab sie verächtlich von sich, ließ ihre Stange um ihre Hand wirbeln und stellte sich wieder zum Kampf. »Dass Sie nun nicht mehr herumtanzen wollen?«
»So in etwa!« Er nahm die Stange in die andere Hand, ließ sie über seine linke Schulter wirbeln und fing sie unter seiner Achsel wieder auf. Dann nahm er sie in beide Hände und musste schon den ersten Schlag parieren, den Sybill auf ihn hernieder sausen ließ. Er begegnete ihrer Stange mit der seinen, ließ sie in seinen Händen herumwirbeln, schmetterte ihren Schlag immer wieder zurück und schien nicht mehr selbst zum Angriff bereit zu sein. Doch plötzlich preschte er los, hieb ihr mit einem langen Ausfallschritt das eine Ende der Stange in den Magen, als sie sich nach einem Schlag etwas länger Zeit gelassen hatte, ihre Deckung wieder aufzunehmen, wirbelte beinahe zeitgleich herum, ließ die Stange wie ein Ruder um seinen Körper herumfahren und stach seiner Gegnerin von hinten zwischen die Beine, um sie ein weiteres Mal aus dem Stand zu hebeln. Sybill, die erst noch den Magenstoß verarbeiten und mit ihrem Gleichgewicht und der Oberhand kämpfen musste, landete äußerst hart auf ihrem Steiß. Sie verzog ihr Gesicht und würgte die aufkommende Schmerzflut und den zugehörigen Schrei mühevoll hinunter.
»Zwei zu Null für mich«, kommentierte De’Querres wenig ergriffen. »Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie mich hart schuften lassen. Aber wenn das, was Sie zu bieten haben wirklich Leeidoo sein soll, dann bin ich froh, dieses Fach niemals belegt zu haben.«
Sybill schnaufte einige Male tief durch. »Wir sind ja erst am Anfang«, keuchte sie, stützte sich an ihrem Stab auf und brachte sich wieder in Position. Na gut, dachte sie sich, wenn er sie provozieren wollte, dann sollte er das haben. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, ihre fiesen Tricks zu offenbaren, aber offensichtlich wollte er es nicht anders. Sie ließ die Stange abermals um ihre Hand wirbeln, dann ließ sie die Waffe mit einer geschickten Handbewegung bis an ein Ende rutschen, schwang sie kurz über ihren Kopf und griff dann wie mit einem Schwert in der Hand an. Kurz bevor sie ihr Ziel traf, ließ sie die Stange ein weiteres Mal durch ihre Finger rutschten, wirbelte dabei blitzschnell herum und gedachte in den offenen Rücken einzufallen. De’Querres’ Reaktion war jedoch schneller, als Sybill je vermutet hätte. Er beugte seinen Oberkörper mit dem Schwung des Stabes und vollführte einen Vorwärtssaldo beinahe aus dem Stand, sodass der Schlag fruchtlos über seinen Rücken hinwegfegte. Dabei benutzte er seinen Stab als Stütze und stand schneller wieder auf seinen Beinen, als Sybill gebraucht hatte, diesen Fehlschlag zu begreifen. Seine Stange wirbelte in Hüfthöhe herum, noch ehe er seine Beine hatte durchstrecken können und versetzte der verdutzten Gegnerin einen harten Schlag in die Seite.
Mit einem wütenden Knurren wirbelte Sybill herum, brachte sich mit ein paar Schritten aus dem Wirkungskreis des gegnerischen Stabes und griff sogleich wieder an. Doch noch ehe sie ihren Angriff ausführen konnte, wurde sie selbst von einem Angriff überrollt. De’Querres schlug in schneller Wechselfolge von oben, von unten, von links, von rechts, wirbelte um seine Achse, schlug abermals in schneller Folge und aus verschiedenen Richtungen zu, trieb sie immer weiter zum Rand der gepolsterten Kampfarena, ließ ihr nicht einmal einen Moment zum nachdenken und trieb sie immer näher an die Randbegrenzung. Sybill wusste, dass sie verloren hatte, wenn sie sich durch die Trainingshalle und den Trainingsgeräten treiben ließ. Sie musste dem Einhalt gebieten, noch ehe es dazu kommen konnte. Sie ließ sich fallen, rollte über eine Schulter ab und gedachte wieder zum stehen zu kommen. De’Querres schlug ihr reaktionsschnell das Knie weg, auf das sie sich eigentlich stützen wollte. Sein nächster Schlag traf genau zwischen Schulter und Ohr ihren Hals. Dann wirbelte er erneut herum, ließ seinen Stab nur kniehoch über den Boden hinweg sausen und traf sie vorne an der Brust, wodurch sie hintenüber kippte und gegen das Laufband stieß, das der Atorrianer vorher so belustigt betrachtet hatte, wodurch sie nun endgültig das Gleichgewicht verlor. Ihr Stab glitt ihr aus den Händen. Sie wusste aber, dass er es ihr mit einer geschickten Bewegung aus den Fingern geschnitten hatte. Sie kannte den Kniff selbst und wusste auch um eine Gegenmaßnahme, doch in diesem Moment war sie dazu nicht in der Lage gewesen. Sie stolperte wie eine blutige Anfängerin über das Laufband, purzelte darüber hinweg und machte notgedrungen eine wenig ästhetisch aussehende Rückwärtsrolle über das Gerät, um halbwegs wieder auf ihre Beine zu gelangen.
Als sie endlich wieder stand, hatte sich der Atorrianer vor ihr aufgebaut, in beiden Händen eine Kampfstange und mit jenem unmissverständlichem Glitzern in den Augen, das jedem seiner Feinde sofort Bescheid hätte sagen müssen, auf sich Acht zu geben. Sybill schnaufte atemlos.
»Ich würde sagen, drei zu Null für mich«, bemerkte er sachlich. »Geben Sie sich geschlagen?«
»Warum?«, zeigte sich Sybill uneinsichtig. Sie begab sich langsam um das Gerät herum und schickte sich an, wieder auf den Kampfplatz zu gehen. Nun würde ihr primäres Ziel lauten, den beiden Stangen aus dem Weg zu gehen und sich die ihre zurückzuerobern. »Es ist doch noch lange nicht vorbei.« Sie griff spontan an, stellte sich quer zu ihm und wollte ihm blitzschnell mit dem Fuß ins Gesicht treten. Viele ihrer Gegner hatte sie mit diesem Trick verblüfft und überrumpelt. Viele ihrer Gegner waren anschließend verdattert auf ihrem Hosenboden gesessen und hatten sich ihre Wangen gerieben – doch nicht so De’Querres. Er wich unwesentlich aus, machte einen Schritt zur Seite und verpasste ihr mit dem Stab in seiner Rechten beinahe beiläufig einen harten Streich auf den Hintern, während der Stab in seiner Linken den Schlagfuß konterte, zwischen ihre ausgestreckten Beine fädelte und ihr einen Hieb auf die Innenseite des Knies ihres Standbeines ausführte. Sybill klappte zu Boden wie eine verrostete Grätsche und noch ehe sie sich wieder erheben konnte, wurde sie abermals an der Brust getroffen. Sie kippte hintenüber und spürte sogleich den Druck eines Stabendes in ihrer Kehle.
»Punkt Satz und Sieg«, sagte der Atorrianer mit wenig Begeisterung über seinen Sieg. »Ich erwarte von Ihnen die versprochenen Avancen. Jetzt und hier!«
»Sie können mich!«, keuchte sie verächtlich.
»Ich kann das auch vor Senator Sdinge einklagen«, bemerkte er kalt. »Aber dann wird es schmerzhafter für Sie.«
»Also gut«, gab sie endlich nach. »Ich entschuldige mich bei Ihnen.«
»Wir Atorrianer sind ein vollwertig und vollständig anerkanntes Mitglied des vereinigten Heeres und möchten jederzeit als solches behandelt werden. Sollten Sie sich dennoch dazu herablassen, uns wie Bourgoisis zu behandeln, werde ich mich wieder dazu gezwungen sehen, Ihnen den Hintern stramm zu ziehen.« Er nahm die Stange von ihrem Kehlkopf und warf sie die Mitte der Kampfarena. »Und wenn ich wieder meine Stiefel trage und damit lange genug durch staubige Pisten gelaufen bin, wird es Ihre Aufgabe sein, diese zu küssen.«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein überheblicher Angeber sind?«
»Nein!«, gab er knapp von sich, drehte sich zum und verließ ohne ein weiteres Wort die Trainingshalle.
Sybill blieb auf dem Boden liegen und starrte an die weiße Decke. Sie wollte es nicht zugeben, aber der Atorrianer hatte ihr soeben wirklich ordentlich den Hintern versohlt. Und was sie noch weniger zugeben wollte – ihr hatte es imponiert.
Erst viele Minuten später erhob sie sich, als sich eine Gruppe von Männern in den Trainingsraum schob und ihre Übungen absolvieren wollten. Die anderen drei hatten interessiert inne gehalten und den Kampf beobachtet. Nun setzten sie ihre Arbeit fort als wäre nichts gewesen. Sybill setzte sich hin und strich über ihren Unterarm, der plötzlich zu jucken begann. Sie strich den Stoff zurück und entdeckte eine gerötete Stelle. Keine Stelle, an der sie der Atorrianer getroffen hatte, wusste sie. Vermutlich hatte sie wieder einmal etwas zu sich genommen, worauf sie allergisch reagierte oder etwas war in der Luft, was ihrem Körper nicht behagte. Das war kein Anlass zur Sorge. Sie hatte solche Stellen öfter. Sie sehnte sich jetzt nach einer Dusche. Und nach einer ausgiebigen Salbung würde die Rötung auch wieder zurückgehen.
Als Sybill in ihr Büro zurückkehrte, fand sie ihren Adjutanten Beggje beinahe an derselben Stelle wieder, an der sie ihn verlassen hatte. Kein Wunder, denn der Mann sortierte noch immer die Akten der Bewerber und versuchte eine nachvollziehbare Ordnung hinein zu bekommen. Er sah hoch, als die Kommandantin eintrat und zog seine weißen Augenbrauen zusammen. Das weiße, flaumige Fell über seinen Augen sträubte sich und wirkte für einen Außenstehenden wie ein böser Blick. In Wirklichkeit jedoch gehörte dies zum einem verwirrten und ratlosen Gesichtsausdruck.
»So wie Sie aussehen, ist Ihnen ordentlich der Hintern vermöbelt worden«, bemerkte er verhalten. »Der Schuss ging wohl nach hinten los, was?«
Sybill ließ sich in ihren Sessel fallen, seufzte tief und schloss für einen Moment die Augen. Schließlich, als sie sich genug gefasst schien, nahm sie einen tiefen Atemzug und öffnete ihre Augen wieder.
»Beggje«, seufzte sie tief. »Ich sollte endlich auf Sie hören und den Atorrianer links liegen lassen. Wenn ich versuche, ihn auf meinem Gebiet zu schlagen, ziehe ich jedesmal den Kürzeren.«
Der Tellure zog abermals seine Augenbrauen zusammen. Es kam höchst selten vor, dass seine Vorgesetzte zugab, in irgendetwas nicht die Beste zu sein.
»Was hat er denn mit Ihnen angestellt, Commander?«, wollte er entsetzt wissen. »Hat er … ?«
Sybill winkte ab. »Nein!« Sie richtete sich auf. »Er hat mich nur angelogen. Er behauptete, er wäre des Leeidoo nicht mächtig, tatsächlich ist er aber ein Meister darin.«
»Leeidoo? Ist das nicht Ihre Lieblingssportart?« Beegje fischte sich eine Akte aus einem Stapel und überflog die Daten. »Da steht nichts über Leeidoo. Der Alkaios ist des Leeidoo nicht mächtig. Aber …« Er verstummte kurz, las einige Zeilen und blickte dann wieder hoch. »Aber N’nonde’boo – das ist die Urform des Leeidoo, entwickelt von den Baricsa, einem Orden, aus dem sich später die Anlama abgespaltet hatten.«
Sybill stöhnte und sank tiefer in ihren Sessel. »Was kann der Wunderknabe eigentlich noch alles?«
Beegje hielt ihr wortlos die Akte hin. Offenbar war er nun der Meinung, dass sie die Informationen über den Atorrianer endlich selbst lesen sollte.
»Bevor ich es vergesse«, ergriff der Captain das Wort, bevor er sich wieder dem Sortieren der Akten widmete. »Senator Sdinge wünscht Sie zu sprechen. Er sagt, es gäbe einen ersten Einsatz für die vereinigten Streitkräfte und wollte das mit Ihnen besprechen.«
Sorgsam legte Sybill die Schriftstücke auf den Tisch zurück und sah hoch. »Einen ersten Einsatz? Wo?«
Beegje zuckte mit den Schultern. »Leider erwähnte er das nicht. Aber ich denke, Sie werden mehr erfahren, wenn Sie sich zu ihm begeben.«
»Sie haben wie immer Recht, Beegje.« Sie erhob sich, straffte ihre Uniform, nickte ihm auffordernd zu und verließ ihr Büro. Der Tellure folgte ihr beinahe auf dem Fuß.
Captain Beegje führte seine Vorgesetzte in die Senatshalle, in der sich bereits alle amtierenden Senatoren, Ratsmitglieder, Minister und Führungskräfte der angeschlossenen Heere versammelt hatten. Selbst Alkaios De’Querres nebst Korps war zugegen und lauschte den Worten von Senator Sdinge von einem Sitz der ersten Reihe aus. Ihm war weder der nur eine Stunde zuvor abgehaltene Kampf anzusehen, noch irgendwelche Reue oder Triumph. Er musste sich in Windeseile frisch gemacht und in seine adrette atorrianische Uniform gehüllt haben, als sei niemals etwas geschehen. Sybill dachte, sie selbst hätte sich schon beeilt, aber der Atorrianer schien ihr wieder einmal zuvor gekommen zu sein. Sie wollte ihm schon einen bissigen Blick zuwerfen, als sie sich gerade noch rechtzeitig an ihren Entschluss erinnerte und ihn schließlich kurzerhand ignorierte.
»Ah! Commander Danning!«, rief Sdinge und winkte die junge Frau zu sich ans Podium. »Sie kommen gerade Recht. Wir wollten eben mit der Erörterung der Sachlage beginnen. Senator Agyy?«
Ein spindeldürrer Mann mit grauen Haaren, die Spinnenfäden glichen, erhob sich und verbeugte sich steif. Sein eingefallenes Gesicht war ebenso grau, wie seine wirre Haarpracht und die weiße Robe schlotterte an ihm, als hätte er erst vor kurzem hundert Kilo abgenommen und noch keine Zeit gefunden, sich neue Kleider nähen zu lassen.
»Szixdans Infrastruktur besteht weitgehend aus Ackerbau. Sein wichtigstes Exportgut ist Weichgetreide. Es ist aber auch die Reservebank für Radon, einem Metall das für die Herstellung von Antriebssystemen und Kreditmünzen Verwendung findet. Eine Verbrecherorganisation hat sich nun zum Ziel gemacht, diese Radonreserven zu kapern und einen ausgeklügelten Übernahmeplan entwickelt.« Ein Holobild erschien auf dem Podium und zeigte eine kleine weißgraue Kugel und zahlreiche Pünktchen, die sich auf die Kugel zubewegen. »Die Ausgangsposition der Organisation ist Lynd, von dort aus, werden sie ihre Operation vermutlich starten. Sie sollen ein ausreichend großes Heer und Maschinerie besitzen, um Szixdan das zittern zu lehren. Unser Ziel wird es sein, sich ihnen in den Weg zu stellen und sie zurückzuschlagen. Die Regierung von Szixdan zählt auf uns.«
»Ich würde vorschlagen«, ergriff Sdinge das Wort, »dass wir die ruhmreiche atorrianische Abteilung vorschicken und vernichten lassen, was sie mit ihrer Kraft vernichten kann. Der Rest kümmert sich um die Überreste und die vorab versandten Bodentruppen.«
»Ich halte das für keine sonderlich gute Idee«, meldete sich Sybill Danning. Als ihr der Senator einen fragenden Blick zuwarf, zuckte sie selbstsicher mit den Achseln und trat vor. »Wenn wir ihnen gleich zu Anfang das entgegen werfen, wovor die ganze Galaxis zittert, werden sie denken, dass wir nichts besseres zu bieten haben. Sie werden denken, dass sich der Rest der vereinigten Streitkräfte zu fein sein wird, sich ihnen entgegen zu stellen. Oder sie denken, dass wir so große Angst vor ihnen haben, um sie gleich mit einer leibhaftig gewordener Legende zu bedrohen. Ich denke, wir sollten erst einmal ausfindig machen, wie groß dieses Heer wirklich ist, bevor wir Milliarden Credits für einen Seifenblasenauftritt verschleudern. Szixdan ist meines Erachtens unbewaffnet oder ohne nennenswerte Wehr. Wozu dann eine reichhaltig ausgestattete Diebesbande? Die Radonreserven lagern unterirdisch und in einem ausgeklügeltes System, sind somit allein durch ihren Lagerort relativ sicher. Die Diebe müssten schon mit einer ganzen Anzahl Neutronenbomben werfen, um an die Reserven zu gelangen. Und ein Heer, das mit dieser nötigen Anzahl von Bomben aufwarten kann, gibt es noch nicht – auch nicht durch den Zusammenschluss aller Heere, Streitkräfte und Schlachtenverbände, die bislang noch autark oder neutral geblieben sind. Ich denke, es ist unklug mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Man kann dabei sehr leicht danebenschießen und selbst getroffen werden.«
»Was schlagen Sie demnach für eine Strategie vor?«, wollte Sdinge wissen.
»Ich habe derzeit leider keine genaueren Kenntnisse über diese Organisation, aber ich denke, wenn wir erst unsere Präsenz in diesem Sektor zeigen, werden sie sich ihren Angriff fürs erste überlegen. Wenn sie etwas klauen wollten, ohne großes Aufsehen zu erregen, wird ohnehin nicht viel Maschinerie von Nöten sein. Sollten sie es im großen Stil geplant haben, sind genug von unseren Schiffen in der Nähe, um schnell und effektiv eingreifen zu können. Ich würde aber dennoch vorschlagen, die Wachmannschaft in den Radonlagern aufzustocken. Und vor allem würde ich Lynd im Auge behalten lassen.«
Sdinge nickte bedächtig mit dem Kopf. Dannings Vorschlag schien ihm einzuleuchten. Er besann sich kurz und wandte sich dann an De’Querres.
»Was halten Sie von Commander Dannings Vorschlag?«, wollte er von ihm wissen. »Halten Sie es ebenfalls für übereilt, Ihr Heer zu einem großen Vernichtungsschlag zu schicken?«
De’Querres suchte zunächst bei Sybill Klickkontakt. Als diese den verweigerte, räusperte er sich und verzog flüchtig seine Miene. »Lynd selbst verfügt über zwei oder drei Kriegsfregatten und eine Handvoll Jäger, die für die Verteidigung des Planeten ausreichend sind. Meinen Kenntnissen zur Folge hat sich daran in der letzten Zeit nichts geändert. Die Diebesorganisation muss entweder aus der Regierung von Lynd selbst bestehen, oder es hat sein vormals erwähntes ausreichend großes Heer und Maschinerie anderweitig versteckt. Es wäre ratsam dies erst einmal in Erfahrung zu bringen, bevor wir zum Großangriff starten. Womöglich steckt dahinter nur ein Ablenkungsmanöver. Dann wäre es natürlich fatal und für die neue vereinigte Streitmacht äußerst peinlich, sich dann eine Blöße bieten zu müssen. Eine Präsenz wäre vorerst ausreichend. Sollten weitere Schiffe von Nöten sein, könnten diese innerhalb weniger Stunden eintreffen.«
Enttäuscht ließ Sdinge den Kopf hängen. Er schien fest mit der allgemeinen Begeisterung seiner Feldherrn gerechnet zu haben. Dass diese ihm beinahe geschlossen eine Absage erteilten, traf ihn bitter. Wollte er doch endlich das inzwischen zu einer beachtlichen Größe angewachsene vereinigte Heer der allgemeinen Öffentlichkeit präsentieren. Doch nur einen Augenblick später straffte er sich wieder.
»Sie sind die Fachleute«, gab er sich geschlagen. »Diese Vorgehensweise vermeidet unnötige Kosten für Mann und Material, was uns natürlich allein schon deshalb recht sein kann. Wir schicken eines der kleineren Überwachungsschiffe hin. Commander Danning, bitte veranlassen Sie entsprechendes.«
Sybill nickte artig. »Selbstverständlich.«
»Und wo schon mal sämtliche Feldherrn versammelt sind«, fuhr er fort. »Uns erreichte die Meldung, dass im Savon-Sektor Grenzstreitigkeiten im Gange seien. Latain, Aartylys und Thrylpa hatten jeweils eine kleine Einheit dem Dienst des vereinigten Heeres übergeben und nun um einen unparteiischen Schlichter gebeten. Der Senat hat beschlossen, eine Schiedseinheit zu schicken. Welcher Ihrer Vertreter würden sie vorschlagen, Commander Danning?«
»Das wird schwer werden«, begann sie nachdenklich und blickte sich flüchtig in den Reihen der Damen und Herren um, die jeweils eine kleine Abteilung des vereinigten Heeres kommandierten. Doch überraschend schnell kam sie auf den Schluss. »Im Savon-Sektor leben Spezies aus beinahe allen Lebensformen des vereinigten Reiches – außer Atorrianer. Ich schlage daher Alkaios De’Querres als Unparteiischen vor.«
»Phantastisch!«, rief der Senator aus, erfreut darüber, den Atorrianer endlich unter der Flagge des vereinigten Heeres agieren zu sehen. »Dann wird dieses Problem bald behoben sein.« Er zwinkerte dem Atorrianer zuversichtlich zu und widmete sich dem nächsten Tagungspunkt.
Am späteren Nachmittag klopfte es an Alkaios Serge De’Querres Quartier und er fuhr erschrocken aus dem Studium der Daten über den Savon-Sektor.
»Eintreten!«, rief er laut, rieb sich die schmerzenden Augen und lehnte sich zurück. Die Türe öffnete sich und Captain Beegje trat ein. Der Tellure hielt seine Hände artig hinter dem Rücken verschränkt und kam nur zögerlich näher.
„Alkaios De’Querres«, sagte er begrüßend und deutete auf den Holoschirm, der noch die Daten über Savon in der Luft zwischen ihnen schweben ließ. »Ihr Marschbefehl ist für morgen früh fünf Uhr anberaumt«, begann er und räusperte sich, als sei es ihm unangenehm, diese Nachricht zu überbringen. »Leider war über Ihr Interkom keine Verbindung möglich.«
»Ich habe es abgeschaltet«, berichtete der Atorrianer. »Und sämtliche Anrufe auf Warteschlange gestellt. Immerhin muss ich einiges an Informationen über Savon aufnehmen.«
»Die Obrigkeit des vereinigten Heeres beschloss, Sie mit einem Ihrer A-Klasse-Schlachtkreuzer zu schicken. Ihr restliches Heer wird dem Kommandoschiff unter der Leitung des ersten Offiziers unterstellt.«
»Denken Sie, die Obrigkeit kommt mit meinem ersten Offizier besser klar, als mit mir? Immerhin ist er ebenfalls Atorrianer.« Wie er das Wort Obrigkeit aussprach, sprach Bände. Beide Männer wussten genau, um wen es sich dabei handelte.
Beegje räusperte sich. »Soweit ich weiß, ist ein Koordinationsflug anberaumt, an dem sämtliche Mitglieder des neuen Heeres teilnehmen sollen. Das Oberkommando übernimmt die Elóre Dann unter dem Befehl von Commander Danning. Die atorrianische Abteilung wird in drei Sektionen aufgeteilt und flankiert die Formation beziehungsweise bildet die Nachhut.«
De’Querres schaltete den Holoprojektor aus und blickte den Telluren fest an. »Auf ein Wort, Captain«, begann er. »Was hat die Obrigkeit gegen mich persönlich? Was habe ich ihr getan, dass sie mich absichtlich aufs Abstellgleis schiebt? Befürchtet sie, ich könnte ihr den Posten streitig machen?«
Der Captain räusperte sich abermals. »Ich kann Ihnen versichern, dass es Sie persönlich nicht im geringsten betrifft. Es ist eine ganz persönliche Angelegenheit von Commander Danning. Sie wünscht allerdings nicht, dass darüber gesprochen wird.«
»Es wäre aber hilfreich für mich. Dann wüsste ich, wie ich mich verhalten soll.« Er erhob sich und begab sich zu einem halbhohen Schrank auf dem mehrere mit Flüssigkeiten gefüllte Glasbehälter standen. Er wählte sorgsam eine bräunliche Flüssigkeit heraus, füllte damit eines der bereit gestellten Gläser halbvoll und kehrte zu dem Tisch zurück. »Es ist für mich schon schwer genug, alles hinter mich zu lassen und ein vollkommen neues Terrain zu betreten. Es ist für mein eigenes Verständnis beinahe unmöglich, mich in ein Gefüge einzugliedern und einzuordnen, das partout nicht meine Mitwirkung wünscht.« Er nahm einen Schluck und stellte dann das Glas neben den Holoprojektor. »Ich hielt diesen Anschluss an das vereinigte Heer für eine willkommene Gelegenheit, meine Fähigkeiten auch auf anderen Gebieten einzusetzen. Allerdings hatte ich mit wesentlich mehr Respekt gerechnet.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass Commander Dannings Widerwillen nicht Ihnen persönlich gilt, sondern nur Ihrer Herkunft.«
»Welche Herkunft meint sie?« erkundigte er sich interessiert. »Ich bin Mitglied der herrschenden Kaste, der Kapano. Eine andere nennenswerte Kaste als diese gibt es nicht. Es gibt nur noch die Bourgoisis; und das ist eine minderintelligente Bevölkerungsgruppe auf Atorr. Hegt sie etwa einen Groll gegen die Bourgoisis?«
Beegje schüttelte traurig den Kopf. »Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten.«
»Können oder dürfen nicht?« wollte er wissen.
»Letzteres«, gestand Beegje. »Ich wünschte, es würde eine Lösung geben.«
»Eine Lösung sollte bald gefunden werden. Lange lasse ich mich nicht wie ein unnützer Ball herumschubsen.« Er setzte sich wieder, betrachtete das Glas einen Moment gänzlich in Gedanken versunken. Dann hob er das Kinn und suchte den Blick seines Gastes. „Atorr ist neu in der Weltenunion. Ich bin unerfahren darin, mich in ein Gefüge einzugliedern. Ich war es stets gewohnt, allein und auf eigene Verantwortung zu agieren. Ich will keine Ungereimtheiten innerhalb der Union oder des vereinigten Heeres. Doch sollte es die Obrigkeit zu weit treiben, werde ich mich wehren. Dann allerdings wird sie mit meiner atorrianischen Herkunft mehr konfrontiert werden, als ihr lieb ist.«
»Ich werde es ihr ausrichten.«
»Die Union und der Senat haben nicht wegen meiner schönen Augen nach mir gerufen. Sie erwarten etwas von mir. Auch Atorr und die Herrscherriege der Kapano wollen ihre Investierung wohl angelegt sehen. Ich akzeptiere derzeit Commander Dannings Skrupel. Aber nicht lange. Wenn ich aus dem Savon-Sektor zurückkehre, erwarte ich eine geeignete Regelung.«
»Ich werde Commander Danning Ihre Worte nahelegen.«
»Nicht nur nahelegen. Sie soll ernsthaft darüber nachdenken und sich etwas einfallen lassen. Als Spielball ihrer Launen bin ich einfach zu teuer.« Mit einer beinahe erhabenen Bewegung lehnte er sich in den Sessel zurück, nahm das Glas in die Hand, roch kurz an der blumigen Note des Getränks und gönnte sich schließlich einen winzigen Schluck. Genießerisch ließ er die Köstlichkeit auf seiner Zunge zergehen. Dann stellte er das Glas zurück und suchte abermals den Blick des Captains.
»Es ist mir nicht leicht gefallen, meiner Heimatwelt auf unbestimmte Zeit den Rücken zu kehren. Ich habe an Erinnerungsstücken mitgenommen, was ich konnte, aber auf die Dauer wird das kein Ersatz sein. Sie können es sicherlich nachfühlen.« Er lehnte sich gelassen zurück und musterte den Telluren interessiert. »Ich erfülle meine Pflicht für Atorr und der Kapano. Aber niemand verlangt von mir, dass ich mich dafür einem Spüllappen gleich behandeln lassen muss. Ich spiele dieses Spielchen eine Weile mit, sollte jedoch keine Änderung ist Sicht sein, werde ich Konsequenzen einleiten. Und das bedeutet vermutlich, dass die Obrigkeit gewaltigen Ärger bekommt. Sagen Sie ihr das.«
»Ich werde es ihr ausrichten«, gab Beegje etwas heißer von sich.
»Danke!« Für den Atorrianer schien dieses Gespräch beendet zu sein, er beugte sich vor und gedachte den Holoprojektor wieder einzuschalten.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, gab der Tellure vorsichtig von sich.
De’Querres sah hoch und erwiderte den Blick des Mannes mit dem hellen Fell.
»Diese empfindliche Reaktion auf unsere Schweißdrüsen«, begann Beegje. »Wie kommen Sie darauf?«
Ein Lächeln huschte über die Lippen des Alkaios. Er lehnte sich wieder zurück und versank für einen Moment in Erinnerungen. »Bei einem Einsatz außerhalb von Atorrs Geltungsbereich begegnete ich einer Tellurenfrau. Sie zeigte sich für ihre Rettung dankbar, indem sie mich ständig berührte und streichelte. Ich bekam am ganzen Körper einen grässlichen Ausschlag und entging nur knapp einem Allergieschock. Erst konnte ich mir diese Vorkommnisse nicht erklären, doch ein Test brachte es schließlich ans Licht. Ich bin höchst allergisch gegen tellurischen Schweiß. Aber nicht nur ich, beinahe jeder Atorrianer. Ich würde Ihnen daher raten, jeglichen Hautkontakt mit Atorrianern zu vermeiden und nichts zu berühren, was Atorrianer nach Ihnen berühren könnten – zumindest, wenn Sie nicht wünschen, dass die gesamte Mannschaft im Lazarett landet.«
»Mir ist dieses Phänomen neu«, gestand Beegje.
»Das war’s mir bis dahin auch.« Er schenkte ihm einen zuversichtlichen Blick. »Sie können ebenso wenig etwas dafür, wie ich. Wir sollten einfach darauf achten, einen entsprechenden Abstand zu wahren. Gibt es hier noch mehr Telluren?«
»Soweit ich weiß nicht. Meine Familie befindet sich auf Telluria.«
»Dann dürfte es keine weiteren Zwischenfälle geben.«
»Ich wünsche ihnen für Ihre Mission viel Erfolg«, sagte Beegje und wandte sich Richtung Ausgang.
De’Querres sah ihm hinterher. »Danke!« Dann war sein Gast auch schon verschwunden. Der Atorrianer schüttelte leicht amüsiert den Kopf und widmete sich wieder dem Studium der Informationen. Doch kaum hatte er sich in einen Absatz hineingelesen, waren seine Gedanken auch schon wieder abgeschweift. Er lehnte sich zurück, strich sich mit der flachen Hand über das Gesicht und schaltete das Hologerät abermals ab. Dann nahm er einen Schluck des süßen atorrianischen Wyyk-Beeren-Brandys und begab sich zum Interkom.
»Eine Holo-Verbindung nach Atorr«, sagte er, als er mit einem Operator verbunden worden war. »Mit Tait Tourre’Quant.«
»Sehr wohl«, nickte der gesichtslose Mann ausdruckslos. »Möchten Sie in der Zwischenzeit die Anrufe aus der Warteschlange entgegennehmen?«
»Nein. Stellen Sie nur den Anruf aus Atorr durch, sobald die Verbindung steht. Ich warte darauf.«
»Sehr wohl«, nickte der künstlich erstellte Operator und löste sich schließlich in seine Bestandteile auf.
De’Querres ging zu seinem Glas und schüttete den Rest in sich hinein. Er liebte diesen Brandy. Er liebte die angenehme blumige Note. Er liebte das elektrisierende Kitzeln des Alkohols auf seiner Zunge und das leichte Brennen, wenn die Flüssigkeit seine Speiseröhre hinunterrann. Deswegen nahm er sich stets einen kleinen Vorrat dieses Brandys, der auf Atorr sehr gern getrunken wird, auf seine Missionen mit. Immer wenn ihn die Sehnsucht nach seine Heimat gepackt hatte, gönnte er sich einen kleinen Schluck. Meistens konnte der Geschmack und das angenehme Gefühl auf seiner Zunge und seiner Speiseröhre das Heimweh etwas lindern. Meistens brauchte er nicht viel mehr als ein oder zwei Schlücke. Doch in letzter Zeit ertappte er sich dabei, wie er innerhalb weniger Tage fast eine ganze Flasche leer getrunken hatte. Er musste sich zurückhalten. Er musste sich besser im Zaum halten. Er wusste aber, dass ihm das nicht gelingen würde, wenn ihm weiterhin Ablehnung und Missgunst entgegen schlug.
Er stellte das Glas auf den Schrank zurück und betrachtete seinen kleinen Vorrat an heimatlichen Getränken gedankenverloren. Er war eigentlich ein Krieger, ein Soldat, mit Leib und Seele ein Kämpfer. Ihm hatte es nie etwas ausgemacht, für länger seiner geliebten Heimatwelt fern zu bleiben. Doch jetzt, wo es darauf ankam, dass er bei klarem Verstand und besonnener Handlungsfähigkeit blieb, da packte ihn Heimweh, mehr als er es je für möglich gehalten hätte. Mehr als er verdrängen konnte. Mehr als er Vorrat an atorrianischem Brandy besaß.
Das Interkom klingelte nur einige Minuten, nachdem er die Verbindung verlangt hatte. De’Querres seufzte erleichtert und nahm den Anruf entgegen.
»Ihre gewünschte Verbindung nach Atorr, mit Tait Tourre’Quant«, sagte der Operator und verwandelte sich anschließend in ein für den Atorrianer sehr bekanntes Gesicht.
»Die Kapano breite ihren Schutz über dich aus«, begrüßte der ältere Mann das Holobild, das sich vor ihm aufgebaut hatte. Es musste dort früher Morgen sein, denn Tourre’Quant sah ausgeruht und frisch aus und trug zudem einen leichten Mantel über nackter Haut. »Serge, es freut mich, dich zu sehen.« Er beäugte das zittrige, leicht verkriselte Bild näher und lehnte sich dann etwas besorgt zurück. »Du siehst abgehärmt aus. Nimmt man dich zu hart ran?«
»Tait, mein Freund«, versuchte sich De’Querres in einem aufrichtigen Lächeln, das ihm aber nur leidlich gelingen wollte. Er wusste selbst, dass er dem langjährigen Freund seiner Familie nichts vormachen konnte. »Ich muss meinem Ruf gerecht werden. Und das kostet mich einiges an Überzeugungskraft.«
»Ich hörte, du hättest Craba befreit. Stimmt das?«
Serge De’Querres nickte nur abwesend. »Kann ich dich um einen Gefallen bitten, mein Freund?«
»Aber sicher«, nickte Tourre’Quant. »Um was handelt es sich?«
»Ich muss herausfinden, was zwischen Commander Sybill Danning und Atorrianern vorgefallen ist. Ich vermute mal ziemlich stark mit der Bourgoisis. Ich weiß leider nicht, wann und ob sie selbst oder ein Mitglied ihrer Familie betroffen ist. Aber es muss etwas vorgefallen sein.«
»Genauere Anhaltspunkte kannst du mir nicht geben? Die Bourgoisis nehmen es mit der Aufzeichnungspflicht nicht so genau. Es wird schwierig werden, wenn du mir nicht genauere Daten nennen kannst.«
»Mehr weiß ich leider auch nicht. Ich möchte auch nicht weiter nachhaken. Commander Danning, die Oberbefehlshaberin der vereinigten Streitkräfte, hegt eine ausgesprochene Antipathie mir oder besser gesagt, den Atorrianern gegenüber. Sie hält uns für primitiv, pervers und einfältig. Deswegen mein Verdacht mit der Bourgoisis. Ihr Adjutant sagt, es sei nichts persönliches, nur etwas meiner Herkunft gegenüber. Ich muss wissen, was geschehen ist.«
»Ich gebe mein Bestes, aber versprechen kann ich nichts. Es wäre vielleicht ratsam und hilfreich, wenn wir mehr über Commander Danning herausfinden könnten, ich meine damit, auch in ihrer Vergangenheit forschen.«
»Tu was du für richtig hältst. Ich übernehme die Verantwortung.«
»Was ist, wenn sie herausfindet, dass du ihr hinterher spionierst?«
De’Querres lächelte milde. »So wie ich dich kenne, weißt du Mittel und Wege das zu verhindern.« Er wusste schnell wieder ernst. »Es ist mir wichtig. Ich kann auf dieser Basis nicht arbeiten. Ich bin es gewohnt, nur auf einer Front zu kämpfen - vor allem in einem Terrain, dass ich erst einmal erkunden muss.«
»Warum ist es dir so wichtig, was andere Leute über dich denken?«, wollte Tourre’Quant wissen. »Das war dir doch bislang immer gleichgültig.«
»Wenn ich dem kein Ende setze, wird es irgendwann meine Arbeit beeinträchtigen und womöglich auch die Union belasten. Commander Danning benutzt ihren Hass, um mich auszubooten und bei jeder Gelegenheit zu intrigieren. Das belastet auf Dauer auch das beste und eingespielteste Team. Ich will, dass die Union ein Erfolg wird. Deswegen bin ich schließlich hier.«
»Na gut«, erklärte sich der Ältere endgültig bereit. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich melde mich dann wieder, wenn ich etwas weiß.«
»Danke, Tait«, zeigte sich De’Querres sichtlich erleichtert. »Ich befinde mich die nächste Zeit im Savon-System. Aber ich werde die Anrufe nachschicken lassen.«
»Der Schutz der Kapano sei dir angediehen, Serge, mein Freund. Und überarbeite dich nicht.«
Serge De’Querres musste unwillkürlich lächeln. »Ich wäre froh, wenn ich mich wieder unter den direkten Schutz der Kapano begeben könnte. Aber darauf werde ich wohl noch eine Weile verzichten müssen.«
»Wirst du zum Surprenam-Fest nach Atorr kommen?«
»Das bezweifle ich«, entgegnete De’Querres etwas traurig. Als er von Atorr fortging, hatte er nicht an das wohl wichtigste Fest der Atorrianer gedacht. Das Surprenam-Fest. »Ich denke nicht, dass Commander Danning ausreichend Einfühlungsvermögen besitzt, um uns Atorrianern zu unserem größten Glaubensfest Heimaturlaub zu gewähren.«
»Ich kenne dich ebenso gut genug, um zu wissen, dass du gleichfalls über Mittel und Wege verfügst, um dies durchzusetzen«, sagte der Andere grinsend. »Wir erwarten euch jedenfalls.«
De’Querres musste unwillkürlich lachen, rief sich jedoch schnell wieder zum Ernst. »Ich habe noch einige Dinge zu tun, ehe ich nach Savon abreise«, kam er zum Schluss dieser Unterhaltung. »Überbringe der Kapano meinen Gruß«, sagte er wehmütig. »Wenn es uns nicht möglich sein wird, zur Surprenam zu Hause zu sein, werden wir hier eine Feier veranstalten.«
»Das wird enttäuschend werden.«
»Ich weiß«, nickte der Jüngere und seufzte zuversichtlich, als hätte er eben ein Quäntchen Hoffnung erhascht. »Aber warten wir es erst einmal ab.«
»Mich würde es nicht wundern, wenn man dich bei deiner Heimkehr als Helden feierte. Immerhin ist es dir zu verdanken, dass die Illumena-Preise in den Keller gefallen sind und unsere Antriebskonstrukteure wieder munter blaue Naturkristalle einplanen.«
»Rede ihnen das bloß aus«, rief Serge De’Querres beinahe erschrocken. »Das war lediglich eine dumme Wette gewesen, aus der ich glücklicherweise siegreich hervorging. Mich als Helden zu feiern, wäre nicht richtig. Das Risiko, die Illumena-Vorkommen auf Craba zu gefährden, wäre mir unter anderen Umständen zu hoch gewesen.«
»Aber du hast es getan, ob Wette oder nicht. Du hast Craba wieder der freien Marktwirtschaft zugeführt. Wie viel Illumena dabei zerstört wurde, ist doch vollkommen unwichtig. Für diese Kristalle war der Markt ohnehin ruiniert. Auch wenn die gesamte Produktion zerstört worden wäre, hätte es nichts daran geändert, dass Illumena nun wieder frei verfügbar ist.«
»Ich habe mich herausfordern lassen«, gestand der Jüngere beinahe reumütig. »Ich habe mich provozieren lassen und wäre jedes Risiko eingegangen, nur um mich beweisen zu können. Hätte ich nicht den Überraschungsmoment auf meiner Seite gehabt, hätte ich wesentlich mehr Mühen aufbringen müssen, um Craba einzunehmen. Niemand, nicht einmal die Besatzer auf Craba, hatten damit gerechnet, dass jemand wagt, was ich gewagt hatte. Und das habe ich auch nur getan, um jemanden zu ärgern.«
»Commander Danning, richtig?«, erriet Tourre’Quant und hob vielsagend eine Augenbraue. »Etwas viel Aufhebens, um jemanden nur zu ärgern«, bemerkte er wissend. »Das ist doch sonst nicht deine Art.«
»Sie hat mich verärgert und beleidigt. Ich wollte die Anschuldigungen nicht auf mir beruhen lassen und ihr zeigen wozu ich fähig bin.«
»Weiß sie es jetzt?«
»Sie weiß es«, nickte De’Querres. »Aber ich bezweifle, dass sie es wahrhaben will.«
»Eine harte Nuss zu knacken.«
»Deswegen will ich wissen, warum sie den Atorrianern gegenüber einen solchen Hass hegt.«
»Ich werde tun, was ich kann und mich melden, sobald ich etwas in Erfahrung bringen konnte.«
»Danke, Tait, mein Freund.« Mit einem letzten Nicken verabschiedete sich Serge De’Querres von dem väterlichen Freund der Familie und begab sich zu seinem Hologerät und den Informationen über Savon zurück. Er hatte noch einiges zu tun und musste sich daher ranhalten.
Sybill rieb die Stelle an ihrem Arm, an der gestern noch ein geröteter Fleck zu sehen gewesen war. Nun war er verschwunden. Es dauerte stets ein paar Tage, ehe die allergische Reaktion wieder verschwand. Und ein jedes Mal konnte sie nicht mit Sicherheit bestimmen, durch was die Rötung ausgelöst worden war. Sie erschien stets an einer anderen Körperstelle, meist aber an den Armen und den Händen – was wiederum erklärbar war. Die Hände wurden ungefiltert und ungeschützt allen möglichen Einflüssen ausgesetzt, sodass sie leicht mit unsauberen oder infizierten Flächen in Berührung kommen konnte. Sybill machte sich deswegen nicht allzu viele Sorgen. Solange die Rötungen immer wieder verschwanden und für Tage, Wochen oder sogar Monate nicht mehr auftauchten, schien es selbst dem Quarantänearzt nicht allzu sehr zu beunruhigen. An diesem Morgen hatte sie das letzte Mal die Heilsalbe aufgetragen und zeigte sich der guten Wirkung zufrieden.
Lächelnd strich sie den Stoff der Uniform über ihren Unterarm und setzte sich in Bewegung. Mit energischen Schritten schritt sie durch die Korridore der Elóre Dann, ihrem Kommandoschiff, Richtung Brücke. Die Elóre Dann gehörte zu den kleineren Korvetten. Sie besaß eine Mannschaft von etwas über zweihundert Leuten, jeweils zwei Torpedoausstoßrohre an ihren Flanken, mehrere Geschütztürme über die gesamte Außenhülle verteilt, ein komplettes Jagdgeschwader mit Piloten und einen überaus wendigen und schnellen Sublichtantrieb. Wegen des Antriebes hatte Sybill die Elóre Dann zu ihrem Kommandoschiff ernannt. Die Korvette war in der Lage, schneller und enger zu manövrieren, als irgendein anderes Schiff ihrer Klasse, was ihr in der Schlacht wesentliche Vorteile verschaffte. Sie hatte es nicht nötig mit einem Zweitausend-Mann-Flaggschiff zu protzen, wie es etwa der Atorrianer praktizierte. Die kleine Korvette war imposant genug, um sich bei den anderen Raumern den nötigen Respekt zu verschaffen. Mit ihrer Ausstattung konnte sie so manchem anderen Schlachtschiff das Wasser abgraben und hatte bereits in einigen Kämpfen dafür gesorgt, dass anderen Kapitänen der Mund offen stehen blieb. Dies konnte freilich nicht das Schiff allein bewirken, es benötigte auch eine überaus fähige Crew und einen kompetenten Kommandeur – als solches hielt sich Sybill. Ihrem Können und ihrer Mutbereitschaft war es zu verdanken, dass sie es bis zum Commander und bis zum Oberbefehl für das vereinigte Heer geschafft hatte.
Nicht desto trotz sollte sie sich vor dem Atorrianer vorsehen. Er hatte ebenso das Wissen und das Können, eine so große Flotte wie das vereinigte Heer zu befehligen. Seiner Bewerbungsakte war zu entnehmen gewesen, dass Alkaios Serge De’Querres für das Oberkommando des atorrianischen Heeres vorgeschlagen worden war. Er hatte dies aber abgelehnt und war stattdessen mit seiner Einheit als Abgesandter von Atorr zur Union gestoßen. Seine herausragenden Fähigkeiten als Feldherr, seine beachtlichen Erfolge und sein ungebändigter Mut zum Risiko waren ihr mehr als ein Dorn im Auge. Die anderen Feldherren reichten bei weitem nicht an das Potenzial, das der Atorrianer zu bieten hatte. Er wäre eigentlich der ideale Adjutant; verwegen, verschlagen, listig, couragiert, beherzt, kühn, risikofreudig, aufrichtig …
Sybill räusperte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie förmlich nach den positiven Eigenschaften des Atorrianers suchte. Sie schämte sich vor sich selbst, dass sie je in Erwägung gezogen hatte, diesen aufgeblasenen Angeber an ihrer Seite zu wähnen. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie überhaupt daran gedacht hatte, dem Atorrianer einen Platz in derselben Führungsebene einzuräumen, in der sie sich selbst befand. Dieser wichtigtuerischer Kerl von einem Primitivling, schimpfte sie in sich hinein, er gehört in die hinterste Ecke des Universums verband, dort wo sie nur selten oder gar keine Nachricht mehr von ihm hörte.
Mit verschlagenem Grinsen sandte sie den Rest des Weges über eine Möglichkeit nach, De’Querres weiterhin weit entfernt von ihr zu halten. Sie musste dabei schlau vorgehen, denn sie wusste selbst, dass er sich das nicht lange gefallen lassen würde. Sie musste Mittel und Wege finden, wie er von sich aus fern blieb, wie er es als seine eigene Idee hielt, seine Tatkraft in Missionen wie die in Savon unter Beweis zu stellen.
Captain Beegje erwartete sie vor dem Eingang zur Brücke. Er nickte ihr begrüßend zu, wandte sich um und betätigte den Schalter, um die Gleittüren zu beiden Seiten in der Wand verschwinden zu lassen. Sybill bestand nicht auf strikte Einhaltung gewisser Vorschriften. Untergebene hatten nicht jedes Mal zu salutieren, wenn sie ihr begegneten. Es genügte ihr, wenn ihr ihre stumme Aufmerksamkeit zuteil wurde. So sprang die Brückencrew auch nicht in steife Hab-Acht-Stellung, als der Commander die Brücke betrat, sondern drehten sich nur um oder erhoben sich in lockerer Haltung und suchten den Blickkontakt mit ihrem Vorgesetzten. Am Anfang hatte Sybill auf die strikte Einhaltung des strengen militärischen Grußes beharrt, doch sie musste schnell feststellen, dass ihr das nicht den Respekt einbrachte, den sie erwartet hatte. Die Untergebenen benahmen sich wie Marionetten und verharrten stumm abwartend, bis an ihren Fäden gezogen wurde. Sybill hatte nicht alle Vorschriften gelockert, nur solche, die es den Leuten erlaubte, Eigeninitiative zu entwickeln und das Gefühl zu erhalten, sie wären nicht nur ein willenloser Roboter, der ohne Ausweg vorgegebene Handlungsvorgänge befolgen musste. Die Lockerung mancher Vorschriften hatte auch zur Folge gehabt, dass sich das soziale Klima wesentlich besserte und Insubordination und insuffiziente Handlungen abnahmen. Zufrieden mit diesem Erfolg, sah sie ihre Vorgehensweise bestätigt und übersah daher auch gnädig manchen offenen Knopf oder nachlässig polierten Stiefel. Solche Angelegenheiten löste sie anders: Sie unterließ es, den Betroffenen vor versammelter Mannschaft zu rügen und ließ ihm eine persönliche Nachricht zukommen, um ihn an seine Nachlässigkeit zu erinnern. Sie dankten es ihr, indem sie das nächste Mal alle Knöpfe ordnungsgemäß geschlossen und ihre Stiefel auf Hochglanz poliert hatten.
Obgleich sie in Ausübung ihrer Pflicht manchmal hart und unnachgiebig sein musste, hielt sich Sybill selbst nicht für militärisch genug, um die Würde ihrer Untergebenen zu übergehen. Ein Soldat war eigentlich nur ein Werkzeug, lediglich ein Mittel zum Zweck. Sybill weigerte sich jedoch, deren Seelen, Gefühle, Ängste und Empfindungen mit Füßen zu treten und Verstöße wie offene Uniformkragen mit öffentlicher Demütigung zu entgegnen. Der feste Zusammenhalt ihrer Crew gab ihr Recht. Jeder einzelne von ihnen würde ihr ohne zu zögern selbst in ein schwarzes Loch folgen – dessen war sich Sybill sicher.
Nachdem sie den stummen Salut der Brückencrew abgenommen hatte, klatschte sie ein Mal laut in die Hände und begab sich zu ihrem Kommandosessel.
»Dann werden wir die Parade mal eröffnen«, sagte sie und bemerkte einige schmunzelnde Blicke auf den Gesichtern der Offiziere. »Eine Kreuzverbindung zu sämtlichen Feldherrn«, verlangte sie und nickte dem Kommunikationsoffizier zu. Als er zurück nickte und die Existenz der verlangten Verbindung bestätigte, gönnte sich Sybill einen tiefen Atemzug, bevor sie ihre kurze Ansprache hielt.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren«, begann sie gut gelaunt. »Bei dem heutigen ersten offiziellen Auftritt unter der Flagge des vereinigten Heeres handelt es sich im Grunde nicht mehr als um einen Ausflug. Der Senat verfolgt interessiert das Geschehen, sicherlich auch zahlreiche andere Vertreter ihrer Heimatwelten. Was wir heute bieten wollen, kommt einer prachtvollen Parade sehr ähnlich. Im Grunde haben wir es nicht nötig, uns so zu präsentieren. Das Heer ist imposant und mächtig genug, um als solches zu wirken. Doch einige Mitglieder der Union sind der Meinung, etwas für ihr Geld geboten zu bekommen. Also werden wir ihnen diesen Gefallen tun, Unsummen von Geldern verschleudern und uns in dieser Zirkusvorstellung zur Schau stellen. Nichtsdestotrotz ist absolute Präzision verlangt. Wir werden uns in einer engen Formation zusammenfinden und nach dem vorgegebenem Schema für wenige Sekunden in den Hyperraum springen. Unweit von Szerrdecca werden wir uns sammeln, neu formieren und zum Ausgangspunkt zurückkehren. Sie kennen hoffentlich alle ihre Einsätze. Obwohl wir heute keine Schlacht zu schlagen haben, sollten dennoch keine Pannen passieren. Denken sie daran, wir sind eine Einheit. Niemand sollte sich herausstellen oder favorisieren.«
Sybill bemerkte mit niederen, inneren Freuden, dass sich die atorrianische Einheit in winzige Fragmente aufgelöst und sich ihrem jeweils zugeteiltem Oberkommando untergeordnet hatte, während die meisten anderen Delegationen geschlossen blieben. Der atorrianische erste Offizier war klug genug gewesen, sich in Abwesenheit seines Feldherrn nicht profilieren zu wollen. Wäre De’Querres anwesend gewesen, hätte es Sybill niemals durchringen können, die atorrianische Streitmacht derart zu zerpflücken und bis zur Unkenntlichkeit in der Masse des vereinigten Heeres einzuarbeiten. Sie hatte eigentlich vorgehabt, die Atorrianer als absolutes Schlusslicht hinterdrein trotten zu lassen. Doch bei der Planung bemerkte sie, dass ihnen dadurch genug Aufmerksamkeit zuteil wurde, um aufzufallen. Ihr nächster Impuls war gewesen, die Atorrianer gänzlich aus dieser Parade auszugrenzen. Doch gleichzeitig wusste sie auch, dass dies den Ärger der Atorrianer hervorrief. Diese Lösung war die denkbar beste. Die Atorrianer waren dabei, aber in der ganzen Masse aus Schlachtkreuzer, Booten, Korvetten, Frachter und Jägern kaum auszumachen.
Lächelnd wandte sie sich wieder an ihre Offiziere. »Geben sie den Startschuss«, sagte sie und setzte sich in ihren Sessel. »Die Parade kann beginnen.« Sie rückte sich in ihrem Sessel gerader. »Eine Verbindung zu Senator Sdinge«, verlangte sie vom Kommunikationsoffizier, der einen Augenblick später die Verbindung bestätigte.
»Senator Sdinge«, rief Sybill, als sich das Bildnis des Mannes auf dem riesigen Bildschirm formierte. »Die Parade kann beginnen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Gästen viel Vergnügen und hoffe, dass das neue vereinigte Heer allen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht.«
»Danke, Commander Danning«, antwortete der Senator und verbeugte sich leicht. »Wir sind froher Erwartung.« Die Anzeige fiel krieselnd in sich zusammen.
Mit einem Nicken an ihren ersten Offizier, gab dieser den Startbefehl.
Die gesamte Flotte aus über hundertfünfzig Schiffen aller Klassen, Arten und Größen setzte sich nach einem vorgegebenen Schema in Bewegung. Die Vordersten machten eine kleine Wende, die von den Nachfolgenden haargenau kopiert wurde. Es entstand eine breite Front, die – stünde sie unmittelbar vor einer Schlacht – Furcht einflößend und unbarmherzig alles niedergemacht hätte, was sich in ihnen in den Weg stellte. Sybill wusste, dass sämtliche Navcomputer sorgfältig programmiert und aufeinander abgestimmt waren, sodass der beeindruckende Wall aus den verschiedensten Raumern beinahe wie eine Eins in den Hyperraum verschwinden konnte. Die ersten verloren sich in einem lang gezogenen bunten Strich und lösten sich schließlich in Nichts auf. Nur wenige Sekunden später folgte der Rest und weitere Sekunden später war von dem Aufgebot an Kriegskraft nichts mehr zu sehen.
Sybill lächelte, als sie zehn Sekunden später vor Szerdecca aus dem Hyperraum tauchten und ihnen zwei Sekunden später der Rest der Flotte folgte. Alles lief perfekt. Jeder hielt sich an seine Anweisungen und der Senat und sämtliche an den Holoschirmen klebenden Abgesandten der einzelnen Welten würden begeistert sein. Sybill war selbst begeistert, dass alles wie am Schnürchen klappte. Sie lehnte sich zufrieden zurück und ließ ihren Blick über die Runde ihrer Offiziere gleiten.
»Irgendwelche Abweichungen?«, wollte sie vom Strategieoffizier wissen.
»Nur eine, Commander«, antwortete der Offizier sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis. »Das rupulauische Kanonenboot erschien eine hundertstel Sekunde zu spät im Subraum, was aber zu erwarten war, weil deren Navcomputer veraltet ist und daher leichte Verständigungsschwierigkeiten auftreten.«
»Vielleicht sollten wir den Hut für die Rupulaner herumgehen lassen«, bemerkte Sybill spöttisch und erhob sich. Sie nickte dem Komm-Offizier zu und als er zurücknickte, setzte sie ein zufriedenes Lächeln auf. »Ich gratuliere ihnen, meine Damen und Herren. Der erste Teil der Übung verlief ohne unvorhergesehene Vorkommnisse. Jetzt werden wir die neue Formation einnehmen und zurückkehren. Halten Sie sich an den Einsatzplan. Wenn unsere Rückkehr ebenso glatt läuft, wird es heute über zwei Dutzend Helden mehr geben.« Sie wandte sich an ihren Strategieoffizier und nickte ihm bestätigend zu, worauf dieser den Countdown für den zweiten Teil der Aktion ablaufen ließ.
Wenig später drehte ein Teil der Flotte nach links ab, während ein anderer Teil nach rechts abfiel und ein dritter sich förmlich fallen ließ. Die Mitglieder jede der drei Teile bewegten sich in beinahe perfekter Formation, wie ein Schwarm Vögel, der lautlos am Nachthimmel seine Bahnen zog. Dann teilten sich die Drittel wiederum in jeweils drei Teile, sodass bald neun Gruppierungen in fester symmetrischer Anordnung am schwarzen Firmament standen. Nur wenige Sekunden, nachdem die Gruppen Stellung genommen hatten, verschwanden die ersten in den Hyperraum. Fast dreißig Sekunden später folgte auch die letzte Gruppe und der Raum vor Szerdecca war wieder so leer wie zuvor.
Triumph erfüllte Sybill, als die gesamte Flotte wieder vor Anaham, des Hauptplaneten der Union auftauchte. Sie konnte Senator Sdinges begeistertes Gesicht beinahe vor ihrem geistigen Auge sehen. Er liebte solche spektakulären Paraden und Zurschaustellung von Macht. Es würde ihr sicherlich auch eine Gratulation einbringen, wenn nicht gar eine Ehrung. Sie sah ihn schon, wie er ihr hoch erfreut die Hand drückte und sie mit Lobreden überschüttete.
Dann jedoch entdeckte sie das besorgte Gesicht ihres Strategieoffiziers und warf ihm einen fragenden Blick zu, den dieser jedoch nicht bemerkte, da er sich auf die Anzeige seines Sichtmonitors konzentrierte.
»Irgendwelche Probleme?«, erkundigte sie sich.
Der Offizier nickte. »Ich fürchte ja, Commander. Das rupulauische Kanonenboot ist nicht zurückgekehrt.«
Sybill erhob sich aus ihrem Sessel und legte ihre Hände auf den Rücken. Sie begannen zu zittern und Sybill gelang es nicht, sie so schnell unter Kontrolle zu bringen, wie sie es wollte. »Wo ist es?«
»Das atorrianische Flaggschiff fehlt ebenfalls«, fuhr der Offizier fort und hob den Kopf. »Die Scanner zeigen nichts an. Sie sind verschwunden.«
»Kann es sein, dass das atorrianische Flaggschiff die Rupulaner zu einem falschen Treffpunkt bugsierte?«
»Eher umgekehrt«, wusste der Offizier. »Das Flaggschiff war mit seinem Navcomputer an den der Rupulaner gekoppelt. Deren Navcomputer machte im Testlauf immer wieder Schwierigkeiten. Wir hätten ihn doch erneuern sollen.«
»Was wir hätten tun sollen, ist jetzt nicht mehr relevant. Sehen Sie zu, dass Sie die beiden finden und zurückholen.«
Der Offizier straffte sich zackig. »Ja, Commander. Das wird aber nicht einfach sein. Sie könnten wer weiß wo sein.«
»Dann sehen sie bei wer weiß wo nach«, fuhr sie ihn herrisch an. »Welches der Schiffe war noch an die Rupulaner gekoppelt?«
»Ein atorrianischer Zerstörer und zwei atorrianische Kreuzer, sowie eine Fregatte aus Aartylys.«
»Wo sind die?«
»Ordnungsgemäß eingetroffen.«
Sybill wandte sich an ihren Komm-Offizier. »Nehmen Sie mit ihnen Verbindung auf und erkundigen Sie sich, ob ihnen was aufgefallen ist.«
Nach einigen kurzen Nachfragen, hob der Komm-Offizier den Kopf. »Sie sagen, die Verbindung wäre kurz, nachdem sie in den Hyperraum eintraten, abgebrochen. Sicherheitsprogrammierungen hätten sie auf dem richtigen Kurs gehalten. Der Kapitän des atorrianischen Großzerstörers sagte, dass Alkaios De’Querres’ Flaggschiff über keine solche Sicherheitsprogrammierung verfüge, da er damit in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht habe. Der Alkaios sei in der Lage die Koordinaten selbst zu errechnen.«
»Das nützt uns jetzt wenig, denn das Flaggschiff ist verschwunden und der Alkaios befindet sich nicht auf seinem Kommandoschiff.« Sie wandte sich wieder an ihren Strategieoffizier, auf dessen Stirn bereits Schweißperlen zu sehen waren. »Irgendwelche neuen Erkenntnisse?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Commander. Unsere Scanner können sie nicht orten. Eine Fehlfunktion im Navcomputer könnte die beiden ans andere Ende der Galaxis katapultieren.«
»Wir müssen sie finden, ehe der Senat etwas davon bemerkt. Bis dahin können wir nur hoffen, dass niemand die zwei fehlenden Schiffe bemerkt.«
»Commander!«, meldete sich der Komm-Offizier zu Wort. »Senator Sdinge wünscht Sie zu sprechen. Er hätte gerne einen Bericht.«
»Sagen Sie ihm, die Mission ist noch nicht beendet und ich werde mich bei ihm melden.« Damit stieß sie sich von ihrem Sessel ab und begann nervös auf und ab zu gehen. Fieberhaft dachte sie darüber nach, in welche entlegene Ecke die beiden verloren gegangenen Schiffe von einem defekten Navcomputer geschickt werden könnten.
Beinahe zeitgleich mit dem Wiederaustritt aus dem Hyperraum schrillten plötzlich alle Alarmsirenen auf der Brücke. Delaios ConQuiis, der erste Offizier und derzeit diensthabender oberster Befehlshaber, sprang von seinem Kommandosessel und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Sichtfenster. Das sehenswerte Farbenspektakel einer Plasmawolke füllte den gesamten Sichtbereich aus. Und in wenigen Augenblicken würden sie direkt in ihr Verderben rasen.
»Alle Maschinen Stop!«, brüllte ConQuiis so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Er hatte sehr schnell begriffen, dass etwas schief gelaufen war und dass sie sich nicht vor Anaham befanden. »Sofort Wendemanöver und volle Kraft zurück.«
Auf der Brücke war mit dem Einsetzen der Alarmsirenen kontrolliertes Chaos ausgebrochen. Die Crew war von ihrem dösigen Dasein aufgeschreckt und eilte an ihre Pulte.
»Wendemanöver nicht ausführbar!«, kam es von irgendwo her. »Wir hängen noch am Navcomputer der Rupulaner.«
ConQuiis starrte angestrengt aus dem Sichtfenster und suchte anschließend auf einem Monitor nach dem rupulauischen Kanonenboot. Ihm wurde sofort bewusst, dass eine Fehlfunktion deren Navcomputer auch ihnen zum Verhängnis wurde.
»Navcomputer abschalten!«, war sein nächster Befehl.
»Abschalten nicht möglich«, kam es zurück. »Durch die Koppelung sind wir fest verbunden. Die Rupulaner müssten ihren Navcomputer abschalten oder abkoppeln, dann würde auch unserer wieder alleine arbeiten.«
»Gibt es nirgendwo an diesem Gerät einen Stecker, den man einfach herausziehen kann?«, rief ConQuiis beinahe verzweifelt.
»Nein, Sir!«
»Ist eine Komverbindung zu dem Kanonenboot möglich?«
»Nein, Sir!«
ConQuiis blickte angestrengt auf den Monitor. Das Kanonenboot befand sich bereits so nahe an der Plasmawolke, dass es denen sicherlich unmöglich war, irgendwelche Manöver auszuführen, geschweige denn abzudrehen und zu fliehen. Vermutlich spielten deren Anzeigen vollkommen verrückt, sodass sie völlig hilflos ihrem Verderben entgegen trieben. »Traktorstrahl auf Ziel voraus. Wir müssen die Rupulaner da rausziehen.«
»Kurskorrektur für Traktorstrahl nicht möglich. Wir hängen noch immer am Navcomputer der Rupulaner. Der Computer macht sofort sämtliche Kursänderungen rückgängig.«
Der erste Offizier wandte sich an seinen Bordschützen. »Torpedoausstoßrohr eins fertig machen, Protonentorpedo scharf backbord.«
Der zweite Offizier schreckte hoch. »Das können wir nicht machen. Das wird die Rupulaner zerfetzen und dann wird Commander Danning den Alkaios einen Kopf kürzer machen.«
ConQuiis nahm sich trotz allem die Zeit, um seinem zweiten Offizier mit dem mahnenden Finger vor der Nase herumzuwackeln. »Ich will sie ja auch nicht vernichten, sondern nur streifen. Die gesamte Elektronik des Kanonenbootes soll ausfallen, damit auch der Navcomputer seinen Geist aufgibt. Offenbar sind die Rupulaner bereits zu tief in den Sog der Plasmawolke geraten, um irgendetwas zu tun. Unser beider einzige Chance ist es, das Kanonenboot vollkommen lahm zu legen und sie mit dem Schleppkabel rauszuziehen. Denn eines ist sicher: Sollten die Rupulaner bei dieser Aktion zerstört werden, wird der Alkaios von Commander Danning massakriert, in kleine mundgerechte Stücke geteilt und auf den Grill gelegt. Uns bleibt demnach keine andere Wahl, oder wir gehen mit den Rupulanern.« Er wandte sich wieder an seinen Bordschützen. »Torpedo los!«
Nur einen Augenblick später bebte der Boden unter ihren Füßen und eine Feuerzunge schoss unter ihrem Bauch hervor. Das Geschoss, das einem lodernden Kometen glich, raste direkt auf das knapp hundert Kilometer vor ihnen liegende Kanonenboot zu. Es verfehlte das Heck seines Zieles nur knapp, schrammte über die Außenhülle, riss dabei zahlreiche Antennen, Ausbuchtungen und Hervorhebungen ab und zerplatzte schließlich an einem Seitenflügel. Elektrische Entladungen züngelten über die Außenhaut des Bootes, als wollten sie von ihrer Beute kosten, ehe sie es verschlangen.
»Navcomputer ausgefallen!«, rief einer der Männer und Jubel folgte ihm sogleich.
ConQuiis unterdrückte einen erfreuten Aufschrei. »Traktorstrahl an! Zieht das Boot aus dem Sog und dann nichts wie weg von hier!«
»Objekt erfasst! Traktorstrahl auf volle Energie!. Objekt bewegt sich!«
Nervös knetete der erste Offizier seine Hände. »Alles was die Maschinen an Leistung bringen auf rückwärts.«
»Wir bewegen uns rückwärts.«
In großer Hoffnung, dass nicht doch jeder Versuch zu spät kam, starrte ConQuiis durch das Sichtfenster und beobachtete, wie sich das Kanonenboot langsam auf sie zu bewegte. Die Plasmawolke hatte inzwischen den letzten Rest des Aussichtsfensters verschlungen. Wären sie nur wenige Kilometer näher gewesen, hätten auch sie keine Chance mehr gehabt. Ihre Masse und die enorme Leistung ihrer Antriebsmaschinen stellten nun ihren größten Vorteil dar. Etwas so kleinem wie das Kanonenboot wäre es auch aus dieser knappen Entfernung nicht gelungen, sich aus eigener Kraft aus dem Sog der Plasmawolke zu befreien.
Einige Minuten, die dem ersten Offizier wie viele, schier nicht enden wollende Stunden vorgekommen waren, später befanden sie sich außerhalb der Gefahrenzone. Er ließ das Flaggschiff noch eine größere Distanz zwischen der Plasmawolke und ihnen bringen, dann gebot er anzuhalten und ein Shuttle zu den Rupulanern zu schicken, um Verbindung aufzunehmen, Schäden beheben zu helfen und die Systeme des Kanonenbootes wieder hochladen zu lassen.
Commander Sybill Danning hatte beinahe eine Laufrinne in den Boden hineingelaufen, als ihr Strategieoffizier plötzlich einen Schrei ausstieß. Sie schrak aus ihren Gedanken und starrte den Mann mit bösem Blick an.
»Kontakt!«, rief der Offizier, sah hoch und suchte den Blickkontakt mit seiner Vorgesetzten. »Wir haben sie wieder. Das rupulauische Kanonenboot und das atorrianische Flaggschiff sind von unseren Scannern erfasst worden.«
Mit wenigen Schritten war Sybill bei ihm. »Wo sind sie?« Hoffnung macht sich breit. Die Hoffnung, dass die als harmlos gedachte Zurschaustellung des Heeres nun doch noch einen glücklichen Ausgang fand, keimte rasend schnell in ihr auf. Dieser Moment hatte über zwei Stunden auf sich warten lassen. Zwei Stunden, in denen sie nervös auf und ab gelaufen war, ihre Fingernägel abgekaut und sicherlich einige Liter Schweiß vergossen hatte.
»Zweitausend Kilometer außerhalb von Anahams Geltungsbereich. Der rupulauische Capitän meldet Fehlfunktion des Navcomputers und zahlreiche Schäden an seinem Schiff durch Protonentorpedobeschuss.«
Sybills Kinnlade klappte herunter. Blankes Entsetzen verdrängte das aufkeimende Glücksgefühl. »Protonentorpedobeschuss …? Was ist passiert?«
»Der rupulauische Captain meldet Beschuss durch atorrianisches Flaggschiff. Vollständiger Bericht erfolgt nach Ankunft bei ursprünglichem Treffpunkt.«
»Die Atorrianer haben auf die Rupulaner geschossen? Sind die verrückt geworden?« Sybill konnte sich bereits die verärgerten Gesichter der Rupulaner und des Senats vorstellen. Insgeheim jedoch freute sie sich über diesen Umstand. Bedeutete dies doch eine Möglichkeit mehr, die Atorrianer zu denunzieren und sie womöglich aus dem vereinigten Heer zu verweisen. Sie fasste sich schnell wieder, straffte ihren Körper und rief sich Strenge in Erinnerung. »Den Bericht und die Stellungnahme des atorrianischen Offizier erbitte ich umgehend auf meinem Tisch.«
Der Offizier nickte und gab die Befehle weiter. Sybill wirbelte herum, stapfte steif zu ihrem Sessel und ließ sich erleichtert darin nieder.
Etwa vier Stunden später saß Sybill in ihrem Büro vor den Berichten der Rupulaner und der Atorrianer und musste ihren aufkommenden Ärger mühevoll hinunterschlucken. Sie hatte gehofft, einen Aspekt in den Händen zu halten, um die Atorrianer bestrafen oder gar fortschicken zu können. Die beiden unabhängig voneinander verfassten Berichte glichen sich beinahe ins Detail. Weder die Rupulaner noch die Atorrianer traf eine Schuld; und dass der erste Offizier einen Protonentorpedo auf das rupulauische Kanonenboot abgefeuert hatte, war der einzige mögliche Weg gewesen, um beide zu retten. Die Einzige, die sich etwas vorwerfen könnte, war sie selbst, da sie den fehlerhaften Navcomputer nicht ernst genommen hatte. Da sie sich für die Parade verantwortlich zeigte, lag es nun an ihr, dem Senat den entstandenen Schaden von knapp einer halben Million Credits zu erklären. Dass es zu keinem größeren Schaden oder Drama kam, war einzig dem beherzten atorrianischen Offizier zuzuschreiben, der wagemutig und verwegen auf die Zielgenauigkeit seiner Bordschützen vertraut hatte. Eigentlich müsste auch der Senat mit diesem Ergebnis zufrieden sein. Eine so große Flotte, die zudem nicht aufeinander eingespielt war, in Einklang zu bringen und agieren zu lassen, als seien sie eine Eins, war in Sybills Augen eine höchst beachtliche Leistung und zeichnete ihre exzellente Vorarbeit aus. Sie würde dem Senat einen entsprechenden Bericht vorlegen und bemerkte allein bei diesem Gedanken, wie ihr Verdruss allmählich verrauchte. Sie bemerkte zudem auch, dass sie abermals begann, Bewunderung für die Atorrianer aufzubringen. Kein anderer hätte gewagt, was sie gewagt hatten. Da hätte De’Querres sicherlich nicht anders reagiert, als jeder andere atorrianische Offizier.
Sybill räusperte sich in einer Mischung aus Verärgerung und Scham und hielt sich das Bild ihrer Mutter vor Augen. Sie öffnete ihren Uniformkragen und brachte ein Medaillon zum Vorschein, ein Erbstück ihrer Mutter, das sie immer am Herzen trug, und umschloss es fast flehend mit ihrer Faust. Sie durfte einfach keine Sympathie für die Atorrianer entwickeln. Sie musste sie als Feind ansehen. Sie musste sie als Objekt ihres Hasses ansehen. Fast erlag sie schon der Versuchung, den Bericht der Atorrianer zu fälschen, um deren Tat in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Doch sie widerstand der Versuchung. Besser war es, wenn sie die Angelegenheit als einkalkuliert bezeichnete und insgesamt von einer gelungenen Aktion sprach.
Die Verhandlungen zogen sich zäh in die Länge. Kein einziger der Parteien wollte des lieben Friedens willen nachgeben oder sich wenigstens gewillt zeigen, über eine Einigung nachzudenken. Alkaios Serge De’Querres hatte es mit sturköpfigen Streithähnen zu tun, die um jedes Quäntchen Land feilschten und stritten und sogar einen Krieg anzetteln würden. Der Atorrianer vermochte mit den kompliziertesten Schlachtplänen umzugehen, an den neidischen Streitereien im Savon-Sektor schien er jedoch zu scheitern.
Nach einem anstrengenden Tag fiel Serge De’Querres müde in sein Bett und hoffte, dass ihm der Schlaf eine Erkenntnis brachte, wie er die Parteien zu einer Einigung bringen konnte. Seit Tagen bewegten sie sich auf der Stelle und fanden einfach keine gemeinsame Lösung, die alle Beteiligten einigermaßen zufrieden stellte. Er schloss die Augen und hoffte, dass ihn bald der Tiefschlaf übermannte. Er brauchte Ruhe, er brauchte Erholung und er brauchte dringend Entspannung. Sein Vorrat an atorrianischem Wyyk-Brandy war beinahe erschöpft und er zählte die Tage, die er noch absolvieren musste, ehe er nach Atorr zurückkehren konnte - falls er zurückkehren durfte. Das Surprenam-Fest würde in vier Monaten stattfinden. Aber De’Querres bezweifelte, dass er zu diesem Zeitpunkt seine Heimatwelt würde besuchen können.
Nur wenige Augenblicke, nachdem er seinen Kopf auf das weiche Kissen gebettet hatte, war er auch schon in einen leichten Dämmerschlaf gefallen, aus den ihn auch das leiseste Geräusch leicht herausreißen konnte. So katapultierte es ihn abrupt in den Wachzustand zurück, als das Interkom in seinem Zimmer klingelte.
Wütend knurrend versuchte er, es zu ignorieren, doch das Klingeln hatte ihn bereits so wach gemacht, dass es einige absolut stille Minuten bedürfte, ehe er wieder in den Schlaf sinken konnte. Doch das Interkom blieb hartnäckig und klingelte weiter. Schließlich gab er auf, warf sich seine Jacke über das Schlafgewand und setzte sich vor das Gerät.
»Es ist spät!«, sagte er missmutig und blickte auf den Chronometer. Es war lange nach Mitternacht und der morgige Tag würde wieder anstrengend werden. »Wenn es nichts Wichtiges ist, möchte ich für heute nicht mehr gestört werden.«
Der Operator - ein realer Mensch, keine künstliche, aus der Computerretorte gezeugtes Gesicht - verzog seine Miene entschuldigend. »Der Anruf besitzt Dringlichkeitsstufe fünf«, erklärte er wissend. Fünf kam einem Notruf nahe. »Der Anrufer bittet dringend darum, durchgestellt zu werden.«
»Wer ist es denn?«, erkundigte sich der Atorrianer müde und musste ein Gähnen mühevoll verbergen.
»Ein Lieutenant Diarii Isuzu. Sie ruft aus Szixdans an.«
Serge De’Querres überlegte kurz. Ihm sagte dieser Name nichts, aber der Ort, aus dem sie anrief. Dabei handelte es sich um jenen Planeten, der einen Übergriff von Radondieben befürchtete. Er fragte sich, was der weibliche Lieutenant von ihm wollen könnte, da Commander Danning doch die Verantwortliche war, welche einen kleinen Aufklärungskreuzer zur Klärung der Lage geschickt hatte.
»Stellen Sie durch«, gestattet er schließlich, knöpfte seine Jacke zu, strich mit seinen Fingern durchs zerzauste Haar und lehnte sich zurück. Die Müdigkeit nahm plötzlich von ihm Besitz. Er hatte hart damit zu kämpfen, die Augen offen zu halten.
»Guten Morgen!«, grüßte eine freundlich wirkende Frau, mit schlohweißem Haar, dunklen mandelförmigen Augen und deutlich hervorstehenden Wangenknochen. »Alkaios De’Querres, ich hoffe, ich störe Sie nicht bei einer wichtigen Verhandlung.«
»Nur beim Schlafen. Es ist hier mitten in der Nacht.«
Die Frau blickte erschrocken auf seinen Chronometer, dann auf etwas, das sich außerhalb des Kameraauges befand. »Verzeihen Sie bitte. Das hatte ich nicht bedacht.«
»Was ist der Grund Ihres Anrufes? Dringlichkeitsstufe fünf verhängt man schließlich nicht ohne Grund über eine Nachricht.«
»Man sagte mir, Sie seien über die Sachlage hier informiert. Trifft das zu?«
»Nur über das, was während der kurzen Besprechung im Senatssaal erwähnt wurde. Für weitere Details müssten Sie sich mit Commander Danning unterhalten.«
Der Lieutenant verzog ihr Gesicht zu einer verzweifelten Mimik, die ihre hervorstehenden Wangenknochen nur noch mehr betonten. »Bei allem gebührenden Respekt, Alkaios«, begann sie drucksend und schien noch einmal überlegen zu müssen, ob sie ihren Satz zu Ende sprechen durfte. »Aber meiner Meinung nach ignoriert Commander Danning den wahren Stand der Dinge. Leider sind meine Befürchtungen von keiner Seite bestätigt worden, auch nicht vom Geheimdienst, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich richtig liege.«
»Ich kenne Ihren Bericht nicht, Lieutenant, und weiß daher nicht, wovon Sie sprechen. Ich bin auch nicht ermächtigt, mich in diese Angelegenheit einzumischen.«
»Ich wüsste nicht, wen ich sonst um Hilfe bitten sollte. Sie haben schließlich Craba im Alleingang erobert und ich halte Sie für den Einzigen, der einen Ausweg aus der derzeitigen Situation finden könnte.«
De’Querres gab sich keinerlei Mühe mehr, seine Müdigkeit zu unterdrücken. Er gähnte verhalten und beugte sich schließlich leicht zu der Holoproduktion des Lieutenants. »Hören Sie mir zu, verehrte Lieutenant Isuzu. Ich bin nicht über die Geschehnisse bei Ihnen informiert und ich habe hier genug um die Ohren, um mir weitere Dinge tunlichst vom Hals zu halten. Was auch immer Commander Danning für richtig hält, sie wird ihre Gründe dafür haben. Wenden Sie sich an sie, wenn Sie Bedenken haben.«
»Das habe ich bereits getan«, nickte Isuzu eifrig. »Aber Commander Danning reagiert nicht auf meine Besorgnisse. Ich bekomme immer die Rückantwort, mich an meine Anweisungen zu halten. Die bestätigten Berichte des Geheimdienstes hätten nichts Verdächtiges enthalten. Aber das kann nicht sein. Es läuft hier etwas gewaltig schief, und wenn mich mein Gefühl nicht ungemein trügt, ist hier bald etwas am Kochen. Ich verfüge lediglich über einen leicht bewaffneten Aufklärer mit knapp fünfzig Mann Besatzung. Sollte es zum Eklat kommen, werden wir die ersten sein, die zwischen den Fronten aufgerieben werden.«
»Was für Fronten?«, war De’Querres Interesse scheinbar geweckt.
Diarii Isuzu holte tief Luft und begann schließlich ihre Erklärung. »Szixdans befürchtet, von Radondieben überfallen und ausgeraubt zu werden. Das halte ich auch für keine abwegige Befürchtung. Lynd verhielt sich bislang neutral, aber wenn meine Vermutung stimmt, dann kommen die Radondiebe von Lynd – und wenn ich wage weiter mutmaßen darf, dann stammen die Diebe aus den höchsten Führungsebenen von Lynd. Etwas Merkwürdiges geht hier in letzter Zeit vor. Lynd ist ein relativ unbedeutender Planet. Sein Güterhandel liegt eigentlich im unbedeutenden Level. Doch in den letzten Tagen wurde ein sprunghaft angestiegener Frachterverkehr verzeichnet - mehr als je in der gesamten Handelsgeschichte von Lynd bekannt war. Die Regierung von Lynd sprach davon, dass es ihnen gelungen sei, ihre Exportmöglichkeiten zu verbessern. Aber wenn man sich die Zahlen genau ansieht, dann hätte man sogleich darauf schließen müssen, dass sie innerhalb von wenigen Tagen und Wochen Hunderte von Fabrikationsanlagen hätten aus dem Boden stampfen müssen, um das Exportpotenzial aufzubringen. Dass sie es irgendwo unterirdisch lagern, bezweifle ich stark. Die Regierung liefert durchaus plausible Erklärungen für diese Vorkommnisse ab, wodurch Commander Danning und der Geheimdienst beschwichtigt wurden. Meines Erachtens läuft hier eine ganz krumme Tour ab. Wenn seitens der Union nicht eingeschritten wird, sind die Radonvorräte in Gefahr und das bringt wiederum den gesamten Zahlungsverkehr der Union in Schwierigkeiten. Ich selbst verfüge nicht über die Macht, die Radondiebe – wenn es sich wirklich um Führungsmitglieder von Lynd handelt – zur Räson zu bringen. Meine Mannschaft besteht weitgehend aus Strategen, Theoretiker, Akademiker und einigen Mechanikern. Wir sind keine Kämpfer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lynd ein falsches Spiel spielt, aber Commander Danning will das nicht wahrhaben. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Serge De’Querres versank kurz im brütenden Grübeln.
»Es gibt keinerlei Beweise, dass Regierungsmitglieder von Lynd ein falsches Spiel treiben, aber ich weiß, dass sie es tun. Anhand den Commander Danning vorgelegten, unbedenklichen Berichten, ist mir Verstärkung verwehrt worden.«
Der Atorrianer straffte sich ein wenig, strich sich abermals mit den Fingern durchs Haar und fixierte die hellhaarige Frau. »Da bleibt Ihnen keine andere Möglichkeit, als zu bluffen«, sagte er wissend. »Sie müssen die Drahtzieher aus ihrem Bau locken. Verfügen Sie über einen Aufklärungstrupp?«
Isuzu blickte ihn fragend an. »Inwiefern Aufklärungstrupp? Meine Mannschaft besteht weitgehend aus Kriseningenieuren, Statistikern und einigen Geschichtsprofessoren. Wir haben die Sicherheitsanlagen und die Radonlager besichtigt und die Handelszahlen von Lynd überwacht. Was für eine Art von Aufklärungstrupp meinen Sie?«
»Solche, die in verdeckten Operationen agieren«, erklärte De’Querres geduldig. »Stellen Sie einen solchen Trupp aus Ihren Leuten zusammen und schicken Sie sie in unregelmäßigen Abständen und unangemeldet auf irgendwelche Besichtigungstouren oder vermeintlich geheimen Operationen. Tun Sie so, als wüssten Sie Bescheid, stellen Sie bohrende, aber keine direkte Fragen und lassen Sie verlauten, dass Sie gewisse Vermutungen haben.«
»Das wird Commander Danning aber nicht gefallen«, wusste die Lieutenant. »Ich habe strikte Order, niemanden zu provozieren. Wenn ich Ihrem Rat folge, könnte es sein, dass die Radondiebe ihr Vorhaben beschleunigen oder nicht mehr zu verschleiern versuchen.«
»Sie müssen die Drahtzieher dazu bringen, einen Fehler zu begehen. Wenn die Diebe ihr Vorhaben nicht mehr verschleiern, dann ist es genau das, was sie beabsichtigten. Dann nämlich haben Sie einen Grund, zwingend Verstärkung anzufordern und Commander Danning wird nichts anderes übrig bleiben, als Ihnen Truppen zu schicken. Sollten die Diebe ihr Vorhaben beschleunigen, werden sie dafür ihre Pläne ändern müssen. Das bedeutet, dass sie eventuell unvorsichtig werden und Fehler begehen. Beobachten Sie die Leute, die Sie im Verdacht haben, sitzen Sie ihnen im Nacken und zeigen Sie ihnen, dass Sie Macht besitzen. Sie müssen bluffen.« Der Atorrianer unterdrückte ein Gähnen. Die Müdigkeit ließ sich auch nicht von der brisanten Nachricht vertreiben. »Spielen Sie Karten?«, erkundigte er sich, als die Lieutenant leicht resigniert dreinblickte. »Dabei darf Ihnen Ihr Gegner nicht anmerken, welches Blatt Sie besitzen. Sie müssen sich geben, als hätten Sie das beste Blatt des Spieles - Sie bluffen. Genau dasselbe tun Sie in diesem Fall. Geben Sie sich siegessicher und selbstbewusst und verbreiten den Eindruck, als hätten Sie alles im Griff.«
»Was ist, wenn Commander Danning davon erfährt? Ich meine, wenn sie mitbekommt, dass ich Erkundungstrupps nach Lynd entsende? Sie wird Erklärungen verlangen.«
»Wenn Sie sich Ihres Gefühles absolut sicher sind, müssen Sie auch gegenüber Commander Danning bluffen. Sie sind eine pflichtbewusste Frau. Sie wollen einen weiteren Bericht erfassen und noch einigen Ungereimtheiten nachgehen. Wenn Danning sagt, dass es anhand der Berichte des Geheimdienstes keine Ungereimtheiten gäbe, sagen Sie ihr, Sie wollen einen Sachverhalt prüfen, der sich erst vor einigen Tagen ereignet hat und Sie könne es in dem abschließenden Bericht nachlesen. Lassen Sie sich von Commander Danning nicht festnageln oder zu etwas pressen. Halten Sie sich kurz und unnachgiebig. Ihnen wird schon etwas einfallen, wie Sie ihr Ihr Pflichtbewusstsein und Korrektheit verkaufen können. Halten Sie sich vor Augen, dass Commander Danning die Entsendung von weiteren Truppen oder Verstärkung lediglich aus Kostengründen scheut. Sie ist diejenige, die dem Senat die in den Sand gesetzten Unkosten für die Entsendung erklären muss, falls Sie sich irren. Das alles setzt natürlich voraus, dass Sie sich mit Ihrer Vermutung absolut sicher sind. Hegen Sie Zweifel an Ihren eigenen Schlussfolgerungen, dann lassen Sie es lieber.«
»Ich bin mir sicher«, sagte sie festen Entschlusses. »Deswegen hatte ich es auch gewagt, Sie um Hilfe zu bitten. Kein anderer, als Sie, Alkaios De’Querres, hätte mir zu einem solchen Vorgehen geraten. Es war mutig von Ihnen, Craba einzunehmen.«
»Von Mut kann keine Rede sein«, winkte De’Querres ab, der es allmählich leidig wurde, ständig darauf angesprochen zu werden. »Die Angelegenheiten sind sich sehr ähnlich. Beinahe ein jeder scheute davor, Craba auch nur anzukratzen, aus Angst, dies könne eine Katastrophe anbahnen. Die Besatzer ebenso wie Commander Danning, oder die Führungsebenen der Union. Dieselbe Angst besteht auch gegenüber Lynd. Diese Welt verhielt sich bislang neutral und deutlich im Hintergrund. Niemand würde einer Welt wie dieser zutrauen, etwas Böses im Schilde zu führen. Wagt man es trotzdem und irrt sich, wäre der öffentliche Aufschrei grandios und die Union würde als böser Bube dastehen und womöglich großen Schaden im Ansehen erleiden. Deswegen nimmt man lieber an, dass sich Lynd weiterhin brav und zurückhaltend verhält – auch wenn sich die Anzeichen häufen, dass dem nicht so ist. Es ist besser und risikoloser, erst einzugreifen, wenn sich Lynd als solches zu erkennen gibt.«
»Bis man dann eingreifen kann, ist es längst zu spät«, erkannte Isuzu richtig. »Und die Radonvorräte sind verloren. Ich bin mir absolut sicher, dass Lynd nicht mit rechten Karten spielt. Ich bin zwar keine gute Kartenspielerin, aber irgendwie werde ich das mit dem Bluffen schon hinbekommen.«
»Gut!«, nickte De’Querres müde. »Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
»Aber gerne!«
»Vergewissern Sie sich beim nächsten Anruf über die Tageszeit des Zielortes.«
»Sicher, sicher«, sagte sie schnell und schuldbewusst. »Bitte verzeihen Sie die Störung.«
»Viel Erfolg!«, wünschte De’Querres.
Lieutenant Isuzu nickte. »Danke!« Die Holoprojektion der weißhaarigen Frau erlosch kriselnd. Müde erhob sich De’Querres aus dem Stuhl vor dem Interkom und begab sich wieder zu Bett. Kurz kreisten seine Gedanken um das eben geführte Gespräch, dann übermannte ihn der Schlaf.
Sybill schloss den Bericht über den ersten gemeinsamen Einsatz des vereinigten Heeres – die Parade, wie sie es etwas sarkastisch betitelte – mit einem mehr als zufriedenen Lächeln. Soeben hatte sie erfahren, dass sich die atorrianische Regierung bereit erklärte, den Schaden am rupulauischen Kanonenboot zu ersetzen und darüber hinaus auch noch die Kosten für eine neue Computeranlage zu übernehmen. Somit waren die entstanden Kosten auf Null dezimiert worden und das vereinigte Heer um ein modernisiertes Streitschiff reicher. Obwohl sich jede Faser ihres Körpers gegen diesen Gedanken sträubte, Sybill konnte beim besten Willen keine Gegenargumente dafür finden, dass es sich auszahlte, eine so wohlhabende Macht wie Atorr in ihrem Bündnis zu wissen. Keine andere Regierung hätte sich freiwillig zu einer solchen Großzügigkeit bereit erklärt. Sie sollte eigentlich froh sein, dass sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Sie sollte eigentlich dankbar sein, wenn niemand von Atorr auf die Idee kam, eine Erklärung für den Vorfall zu fordern. Denn im Grunde war es ihr Leichtsinn gewesen, der letztendlich zu diesem Geschehnis geführt hatte. Sie hatte um die Probleme der Rupulaner gewusst und es aus Zeitgründen, Bequemlichkeit und – das musste sie sich eingestehen – auch aus Überheblichkeit ignoriert.
Sie sollte ihren Adjutanten Beegje darum bitten, sie künftig auch auf solche Dinge aufmerksam zu machen. Aber dann – so überlegte Sybill – müsste sie sich selbst unprofessionelles und stümperhaftes Handeln vorwerfen. War sie dann noch wert, ein Commander zu sein – die glorreiche Kommandantin eines aufstrebenden, erfolgreichen Heeres? Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Dann war sie nicht mehr als der ... Atorrianer.
Erstaunt stellte sie fest, dass sie an ihre eigenen Gedanken nicht so recht glauben wollte. Der Atorrianer war zweifelsohne gut, besser, als sie je werden könnte. Sobald der Senat das ebenfalls bemerkte, würde sie ihren Job los sein. Sie musste in Zukunft besser aufpassen und sich keine solchen Fehler mehr erlauben.
Ein leises Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Der mit hellem Fell bedeckte Beegje betrat das Arbeitszimmer.
»Guten Abend!« grüßte er freundlich. »Ich dachte mir, dass ich Sie noch hier antreffe.«
»Wollten Sie den heutigen Abend nicht mit Ihrem Enkelkind verbringen?«, erinnerte sich Sybill.
Beegje nickte. »Ich traf noch auf Senator Sdinge. Er berichtete mir, die Atorrianer schicken einen Abgesandten, der die Angelegenheit mit den Rupulanern klärt.«
»Noch so ein Primitivling«, stöhnte Sybill und verdrehte die Augen. »Was will der noch klären? Die Atorrianer haben das Kanonenboot ziemlich beschädigt und werden nun dafür bezahlen.«
»Ganz so einfach ist es vermutlich nicht«, wusste Beegje. »Senator Sdinge meinte, bei dem Abgesandten handelte es sich um einen Revisor, dessen Aufgabe es zunächst sein wird, die Schuldfrage zu klären.«
Sybill seufzte. »Dann wird die Reparaturrechnung wohl zu meinen Lasten gehen.«
Beegje zuckte mit seinen Schultern und legte seine Stirnfalten kraus, sodass sich die feinen Härchen seiner Stirn aufstellten. »Die Atorrianer haben sich bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen. Da können sie nun keinen Rückzieher mehr machen. Außerdem funktionierte der Bordcomputer der Rupulaner an vorangehenden Testphasen einwandfrei.«
»Bei zehn Testläufen fiel er nur zwei Mal aus«, wusste Sybill. »Das ist zwei Mal zu viel.«
»Vor allem, wenn er als Leitcomputer für komplizierte Nav-Flüge benutzt wird«, fügte Beegie hinzu. Er näherte sich ihr ein wenig. »Ich denke, Sie sollten sich keine allzu großen Sorgen machen. Die Rupulaner besitzen nicht das Vermögen, ihre Schlachtschiffe auf den neuesten Stand zu bringen. Das ist auch einer der Gründe, warum sie sich dem Weltenbündnis angeschlossen haben. Sie wollen am Reichtum anderer Mitglieder teilhaben. Woher also hätten sie das nötige Kleingeld bekommen sollen, um ihr Schiff zu modernisieren.«
»Ich hätte es nicht als Leitschiff einsetzen sollen.«
»Sie setzten es als solches ein, weil es über die leistungsstärkste Senderanlage verfügt.«
»Der stärkste Sender nützt nichts, wenn der Computer damit überfordert ist.«
Beegje war ihr nahe genug, um freundschaftlich ihre Hand tätscheln zu können. »Sie sollten sich nicht für alles die Schuld geben.«
Sybill genoss die Berührung des feinen, weichen Fells auf ihrer Haut. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und sog dieses Gefühl in sich hinein. Die Berührungen durch Beegje waren für sie immer viel zu kurz, bemerkte sie im Stillen und blickte der Hand beinahe sehnsüchtig hinterher.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, wollte der Tellure wissen und setzte sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch, der speziell für ihn reserviert worden war. »Sie sehen müde aus.«
»Wissen Sie, Beegje«, begann sie und verstummte abrupt. Sie wusste plötzlich nicht mehr, was sie sagen wollte. Sie schnaufte tief. »Vielleicht sollte ich für heute Schluss machen.« Sie schaltete den Holorekorder ab. Doch dann fiel ihr noch etwas ein. »Irgendwelche Nachrichten aus ... Szixdans.« Eigentlich wollte sie nach De’Querres fragen, doch im letzten Moment lenkte sie um.
Beegjes Fell um seine Lippen kräuselte sich leicht. Ein Zeichen, dass er amüsiert war. Er schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Lieutenant Isuzu wird ihren Einsatz in den nächsten Tagen beenden«, begann er zu berichten. »Sie möchte nur noch einige Sachverhalten klären, um ihren Bericht ordnungsgemäß abschließen zu können.«
»Welche Sachverhalte?«
»Sie sagt, es gäbe Ungenauigkeiten in den Lager-/Verschiffungspapieren einer Radonhalde, die sicherlich auf schlampige Berichterstellung zurückzuführen sind. Sie prüft das persönlich, während die an Bord befindlichen Experten noch die Daten zusammenfassen.«
»Laut dem Bericht des Geheimdienstes entsprechen die Archivierungssysteme einiger kleinerer Radonhalden aus Szixdans nicht ganz dem derzeit gängigen Standard. Ungenauigkeiten scheinen dort alltäglich zu sein.«
»Lieutenant Isuzu machte leider keine expliziten Angaben. Ihrer Akte zufolge ist sie eine sehr gewissenhafte Person. Ich denke, sie will ihren Auftrag nur so korrekt wie möglich ausführen.«
Sybill nickte verständig. »Und wie sieht es in Savon aus?«
»Gemäß den letzten Meldungen von Alkaios De’Querres haben sich die Kontrahenten in ihren Streitigkeiten ziemlich fest gebissen. Er meinte, dort sei eine lang schwelende Glut aufgeflammt.«
»Es ist seine Aufgabe, diese Flamme zu löschen.«
»Da bin ich ganz zuversichtlich«, gab Beegje versiert von sich. »Und so wie ich ihn einschätze, wird er das Feuer mit einer spektakulären Explosion ersticken.«
»Eine Explosion können wir uns im Moment nicht leisten. Ich habe gehört, dass Feldherr Norg’jet’na zum Appell gerufen hat. Wenn er seine sämtlichen Mannen zusammenpfeift, muss er etwas planen.«
»Aus diesem Grund ist doch das vereinigte Heer ins Leben gerufen worden«, wusste Beegje. Den Schreck über diese Neuigkeit konnte er nur schwer verbergen.
»Norg’jet’na muss dasselbe über uns denken. Dass wir unsere Streitkräfte zusammenziehen, kann in seinen Augen nur eines bedeuten.«
»Und?«, fragte der Tellure bedeutungsschwanger. »Bedeutet es das?«
»Ich weis es nicht. Ich hoffe es jedenfalls nicht. Dafür ist das Heer noch zu neu und zu ungeübt. Dafür bräuchte es einen starken Kommandanten, der auch die Widerspenstigsten zu bedingungslosem Gehorsam bringt.«
Der Adjutant blickte seine Vorgesetzte überrascht an. »Halten Sie sich nicht für einen solchen Kommandanten?«
»Ich bin mir dessen nach den letzten Geschehnissen nicht mehr so sicher.«
Beegje tätschelte erneut die Hand seiner Vorgesetzten und ließ sie sogar einen Moment auf ihr liegen. »Sie sollten wirklich etwas positiver denken. Am Ende reden Sie sich noch ein, eine Versagerin zu sein.«
Sybill musste lächeln und legte ihre Hand auf die des Telluren. Das zarte Fell fühlte sich an, wie der Bezug eines Kuscheltieres. »Wenn ich Sie nicht hätte, Beegje«, sagte sie lachend, »wäre ich sicherlich längst verzweifelt.«
»Sie sind eine fähige Kommandantin und verfügen über den notwendigen Biss, den man für eine solche Stellung braucht.« Er zog die Hand zurück und legte sie in seinen Schoß.
Sybill seufzte. »Nur passieren mir in letzter Zeit so einige Missgeschicke.«
»Hat das eventuell mit einem gewissen feschen Soldaten zu tun?«
Die Frau stellte sich unwissend. »Wen meinen Sie?«
»Sie können mich nicht täuschen, Commander Danning. Dazu kenne ich Sie schon zu gut. Ich bin lange genug mit Ihnen zusammen, um Ihre Gesichtszüge deuten zu können. De‘Querres gefällt Ihnen. Er besitzt nur einen gravierenden Makel. Er ist Atorrianer. Habe ich Recht?«
Sybill musste sich überrascht räuspern. Einem Impuls folgend wollte sie ihr Gesicht verlegen zur Seite drehen, doch sie konnte sich gerade noch davon abhalten. Beegje konnte sie nichts vormachen. »Das können Sie aus meinem Gesicht lesen?«, fragte sie stattdessen.
»Wir Telluren sind eine sehr empfindsame Spezies. Wir artikulieren auch über die Körpersprache und über eine bestimmte Art uns zu berühren. Wir können die Gefühle unseres Gegenübers an ihren Bewegungen und ihren Gesichtern erkennen. Ihre Augen schimmern in einem bestimmten Glanz, wenn sein Name fällt. Die erste Empfindung ist jedes Mal die der Bewunderung. Einen Augenblick später wechselt sie jedoch zum Groll gegenüber den Atorrianern.«
Es war sinnlos zu leugnen. Der Tellure hatte sie gnadenlos durchschaut. »Sie sind bewundernswert, Beegje«, stieß sie beeindruckt aus.
»Werden Sie De’Querres eine Chance geben?«
»Was für eine Chance?«, gab sie entrüstet zurück. »Wirklich nicht. Ich muss allerdings zugeben, dass mich sein Auftreten imponierte. Von ihm kann sich so manch anderer eine Scheibe abschneiden – ich meine, was sein Äußeres betrifft. Der Mann ist makellos und legt großen Wert auf Korrektheit. Das vermisse ich leider bei vielen. Aber mehr ist da nicht und ich will auch nicht über mehr nachdenken. Wie Sie schon sagten, De’Querres besitzt einen sehr großen Makel – er ist Atorrianer. Und dies erstickt bereits jeden weiteren Gedanken an eine Chance im Keim.«
»Schade!« Beegje erhob sich und blickte zum Ausgang hinüber, als beabsichtigte er, den Raum zu verlassen. »Ihr würdet gut zueinander passen.«
»Denken Sie nicht einmal dran«, warnte Sybill. »Keine Verkuppelungsversuche.«
Ein Lächeln huschte um die Lippen des Telluren. Er wandte sich um und ging zum Ausgang. Kurz bevor er das Büro verließ, drehte er sich noch einmal um. »Es wäre mir eine Ehre, Ihnen meine Tochter und meine Enkelin vorstellen zu dürfen. Darf ich Sie zu dem heutigen Abend einladen?«
Sybill erhob sich. »Vielen Dank für die Einladung«, sagte sie gerührt. »Doch ich muss ablehnen. Ich habe noch einiges zu tun und außerdem weiß ich, wie sehr Sie dieses erste Zusammentreffen mit Ihrer Enkelin herbei gesehnt hatten. Da lasse ich Sie lieber allein. Ein andermal gerne.«
Captain Beegje nickte verständig und verabschiedete sich dann mit einem freundlichen Lächeln.
Sybill setzte sich wieder. Sie mochte diesen Mann und würde ihn nie wieder als Adjutanten missen wollen.
Nun allein schnaufte sie tief durch und versuchte sich wieder dem Bericht zu widmen. Ihre Gedanken wollten sich jedoch nicht so recht bündeln lassen und so schweiften sie bald in eine Richtung ab, die Sybill gar nicht so recht war. Sie musste plötzlich an De’Querres denken und fragte sich, wie es ihm nun wohl im Savon-System mit den Streithähnen erging. Sie blickte auf das Chronometer und rechnete die Tageszeit aus, in der sich der Atorrianer gerade befinden musste. Einen spontanen Impuls folgend, betätigte sie die Ruftaste des Interkoms.
»Eine Verbindung nach Savon, zu Alkaios De’Querres«, orderte sie.
»Sehr wohl«, nickte der künstliche Operator. »Ich bitte um etwas Geduld, bis die Verbindung besteht.« Ohne eine Antwort abzuwarten, löste sich das emotionslose Gesicht auf und der Holoprojektor schaltete sich auf Standby.
Serge De’Querres stand unter Zeitdruck. Er musste sich beeilen, um zur nächsten Konferenz noch einigermaßen pünktlich zu kommen. Er wusste zwar, dass auch diese Verhandlung lediglich vertane Zeit sein würde, denn die zerstrittenen Parteien wollten sich partout nicht einigen. Er hatte sich in den letzten Tagen beinahe den Mund fusselig reden müssen, um die Vertreter von Latain wieder an den Verhandlungstisch zurück zu holen. Wenn nicht bald eine Einigung stattfand, würden auch salbungsvolle Worte nicht mehr viel helfen.
Mit einem wenig hoffnungsvollen Seufzen schnappte er sich sein Datapad und wollte soeben sein Zimmer verlassen, als sein Kommlink piepste. Nur kurz überlegte er, ob er das Piepsen ignorieren sollte, doch dann legte er das Datengerät mit einem weiteren Seufzer wieder beiseite und setzte sich vor den Holoprojektor. Als sich ein bekanntes Gesicht vor ihm formierte, ärgerte er sich darüber, den Anruf entgegen genommen zu haben.
»Guten Morgen Alkaio De’Querres«, begrüßte ihn Commander Danning betont freundlich. »Ich wollte mich nach dem Stand der Dinge erkundigen.«
»Hat Sie Senator Sdinge nicht über unser Gespräch von gestern Abend informiert?«, gab De’Querres etwas überrascht zurück. »Er ist nun im Besitz eines Vorab-Berichtes.«
Deutliche Verärgerung machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Tut mir leid. Aber Senator Sdinge ist mir heute noch nicht über den Weg gelaufen. Könnten Sie mir noch einmal die wesentlichen Punkte schildern?«
»Wenn es Ihnen keine allzu großen Umstände bereitet, Commander Danning, würde ich das auf später verschieben, denn die nächste Konferenz fängt …« Er blickte seitlich an Dannings Holobild vorbei auf das Chronometer »... jetzt an. Unpünktlichkeit ist eine äußert schlechte Geste bei einem Schlichter.«
»Konnten Sie in irgendeiner Weise eine Einigung erzielen?« versuchte sie dennoch ihr Glück.
»Nein. Ich bewege mich seit Tagen auf der Stelle und arbeite bereits an einer neuen Strategie.« Beinahe nervös blickte er abermals auf das Chronometer. »Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, unterbrach er die Verbindung, schnappte sich das Datapad und wollte soeben das Zimmer verlassen, als das Kommlink abermals piepste.
»Was ist denn jetzt noch?», schimpfte er ungehalten, als sich auch schon das etwas erschrockene Bildnis einer Frau mit beinahe schlohweißen Haaren bildete. »Lieutenant Isuzu«, erkannte er sie sofort.
»Ich bitte vielmals um Vergebung, Sie nochmals konsultieren zu müssen, Alkaio De’Querres, aber …« Sie verstummte abrupt, als sie seinen abgehetzten Gesichtsausdruck bemerkte. »Komme ich ungelegen?«
»Zu spät komme ich ohnehin. Das ist nicht mehr zu ändern.« Er rückte sich bequemer auf dem Stuhl zurecht. »Was gibt es für Probleme? Sie sehen bedrückt aus.«
»Probleme ist vermutlich noch gelinde gesagt. Ich hatte Ihren Rat beherzigt und kräftig auf den Busch geklopft. In Lynd sind sie daraufhin sehr nervös geworden. Zwei Leute aus meiner Crew wurden bei einem Bodeneinsatz von Maskierten überfallen und verletzt. Wir erhalten täglich neue schikanöse Auflagen bezüglich unseres Aufenthaltsortes im Geltungsbereich von Lynd. Vor zwei Stunden sammelten sich einige Schiffe verschiedener Art hinter dem größten Mond von Lynd. Ich befürchte, dass es bald zu Kampfhandlungen kommen wird. Wir sind jedoch nicht dafür ausgerüstet und würden innerhalb kürzester Zeit aufgerieben werden.«
»Wann schätzen Sie, wird es zu dem Ausfall kommen?«, erkundigte sich der Atorrianer interessiert.
»Ich bin kein erfahrener Kriegsstratege, doch meiner Einschätzung nach, wird es innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden soweit sein.«
»Haben Sie schon Commander Danning informiert?«
Isuzu nickte bestätigend. »Ich hatte ihr eine dringende Nachricht geschickt, doch bislang noch keine Antwort erhalten. Die Zeit drängt und allmählich wird mir dieses Pokerspiel etwas zu heiß.«
De’Querres winkte ab. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wie viele Schiffe haben sich bereits hinter dem Mond versammelt?«
»So ungefähr vier bis fünf verschiedener Gattung und Herkunft. Einige davon sogar mit Kampfausrüstungen ausgestattet. Keine großen Schiffe, aber für unser kleines Aufklärungsboot durchaus ausreichend.«
»Ich werde Ihnen Unterstützung organisieren. Ziehen Sie ihre Leute von Lynd zurück und halten Sie sich für einen sofortigen Aufbruch bereit.«
»Nach dem letzten Zwischenfall wagt es keiner meiner Leute mehr, die Oberfläche von Lynd zu betreten.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Ergreifen Sie erst Rückzugsmaßnahmen, wenn Sie massiv bedroht werden.«
»Verteidigen können wir uns nicht«, erinnerte ihn Isuzu.
»Das sollen Sie auch nicht. Das würde die Angreifer nur noch mehr motivieren. Halten Sie sich ruhig. Warten Sie erst einmal ab was passiert und informieren Sie mich sofort, wenn sich etwas ändert – was auch immer.«
Isuzu rutschte nervös, aber mit deutlicher Entspannung in ihren Gesichtszügen auf ihrem Stuhl hin und her. »Wann kann ich mit der Unterstützung rechnen?«
»In zehn höchstens fünfzehn Stunden.«
»Ich danke Ihnen, Alkaios De’Querres«, gab sie erleichtert von sich und fuhr sich geziert durch ihr weißes Haar. »Ich hoffe, ich kann mich irgendwann dafür erkenntlich zeigen.«
Ein Lächeln huschte um seine Lippen. »Das werden Sie, Lieutenant Isuzu.« Er beugte sich vor, um den Aus-Knopf zu betätigen, ließ seinen Finger aber noch über den Knopf schweben. »Sie hören in Kürze von mir.«
Lieutenant Isuzu nickte dankbar, dann löste sich ihr Gesicht in Nichts auf.
Serge De’Querres wollte den Rufknopf abermals betätigen, als sein Interkom im selben Moment ein weiteres Mal piepste. Mit einem missmutigen Knurren nahm er den Anruf entgegen.
»Ein Anruf von Atorr für Sie«, sagte die freundliche Operatorin. »Ein Tait Tourre’Quant.«
»Das ist genau der, den ich jetzt brauche. Durchstellen!« De’Querres lehnte sich zurück und lächelte freundlich, als er das Gesicht seines Freundes vor sich auftauchen sah. »Tait, mein Freund. Der Kapona sei Dank, dass es so etwas wie göttliche Fügung gibt.«
Der ältere Atorrianer blickte ihn verwirrt an. »Befindest du dich in so ernsten Schwierigkeiten?«
»Ich nicht – falls man die Sturheit von einigen Streithähnen außer Acht lässt. Lieutenant Isuzu, die sich derzeit vor Szixdans befindet, bräuchte einigen Beistand. Wie schnell könntest du ein oder zwei Schlachtkreuzer mobilisieren und nach Szixdans schicken?«
Das Gesicht des anderen Atorrianers wurde noch verwirrter. »Was ist mit der Bataillon, die dir für den Heeresverbund mitgeschickt wurde?«
»Die sitzen vor Anaham fest. Und bis ich Commander Danning etwas abschwätzen kann, ist es vielleicht schon zu spät. Außerdem sollen sie lediglich Präsenz zeigen. Ich denke, dass sich die Situation schnell klärt, sobald ein voll bemanntes und bewaffnetes Kampfschiff auftaucht.«
»Um was geht es in Szixdans?«, wollte der Holo-Atorrianer interessiert wissen.
Mit wenigen Sätzen erklärte De’Querres die Sachlage. »Meiner Intuition nach, kneifen die Aggressoren sicherlich schnell den Schwanz ein, sobald sie merken, dass sie am kürzeren Hebel sitzen«, setzte er an den Schluss seiner Erklärung.
Tourre’Quant kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Was ist mit Commander Danning? Wie willst du ihr das erklären? Immerhin übergehst du ihre Kompetenzen.«
De’Querres grinste. »Nicht, wenn die Regierung von Atorr beabsichtigt, ihre Barkredits zu erneuern und zu diesem Zweck – auch des Bündnisses wegen – Verhandlungen mit Szixdans aufzunehmen gedenkt.«
Unwillkürlich musste auch der andere Atorrianer grinsen. »Fällt dir zu einem Problem auch mal nichts ein?«, sagte er mit einem Anflug von sarkastischer Bewunderung. Dann nickte er zustimmend. »Ich werde es sofort in die Wege leiten. Vor NumesQent langweilen sich die Besatzungen von zwei A-Klasse-Kreuzern. Die könnten in spätestens zehn, Stunden vor Ort sein.«
»Danke!« gab De’Querres erleichtert von sich und rückte sich bequemer zurecht. »Was ist der Grund für deinen Anruf?«
Tourre’Quant räusperte sich, als müsse er sich erst noch sammeln. »Ich bin als Abgesandter nach Anaham beordert worden. Es soll einen Vorfall zwischen Rupulaner und Atorrianern gegeben haben.«
De’Querres Interesse war augenblicklich geweckt. »Vorfall welcher Art?«, wollte er daher wissen.
»Dein erster Offizier, Delaios ConQuiis beschoss während eines Testfluges ein rupulauisches Kanonenboot mit einem Protonentorpedo.«
De’Querres Oberkörper zuckte nach vorn. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen das Holobild seines Freundes an. »Was hat ihn dazu bewogen?«, konnte er nur fassungslos stammeln.
»Ich kann dir gerne den genauen Bericht schicken, wenn du möchtest. Zunächst sei aber gesagt, dass ConQuiis richtig handelte und dadurch sogar das Leben beider Besatzungsmitglieder rettete. Der Zentralrat der Kapano entschloss sich, den Schaden am rupulauischen Schiff zu begleichen, um Misskredit zu vermeiden. Ich soll die Angelegenheit revidieren. Ich hatte gehofft, du könntest mir dabei zur Seite stehen.«
De’Querres schnaufte tief. »Ich hänge hier voraussichtlich noch eine Weile fest.« Er lehnte sich wieder zurück. Sein Gesicht hellte sich plötzlich auf, so als ob ihm ein Gedankenblitz gekommen sei. »Schick mir den Bericht. Wir treffen uns in zwei Tagen in Anaham. Ach, übrigens. Hast du etwas über die Angelegenheit mit Danning herausgefunden?«
Tourre’Quant schüttelte leicht den Kopf. »Nichts von Bedeutung. Die Eltern von Sybill Danning waren oft auf diplomatischer Mission unterwegs. Natcha Danning, ihre Mutter arbeitete als Friedensbotschafterin, unter anderem auch auf Atorr. Keino Danning, ihr Vater, Kulturattaché, starb zwei Jahre nach der Trennung von seiner Frau, während der Bürgerunruhen auf Cleiido. Sybill selbst entschied sich sehr früh für die Soldatenlaufbahn und war meist die Klassenbeste. Mehr war noch nicht herauszubekommen. Ich hoffe aber, dass ich erfolgreicher bin, wenn ich mich in Anaham aufhalte. Was ist eigentlich mit deinem Auftrag in Savon?«
»Ich muss etwas umdisponieren. Ich hatte gehofft, nicht darauf zurückgreifen zu müssen, aber die Situation verlangt es nicht anders. Wir sehen uns in Anaham. Ach, und noch etwas: Könntest du bei der Gelegenheit etwas Wyyk mitbringen?« Mit einem verschmitzten Augenzwinkern verabschiedete sich De’Querres von seinem Freund und nahm sich sein Datapad vor. Er verschob einige Dateien, änderte ein paar Daten und speicherte den neuen Entwurf mit einer schwunghaften Bewegung ab. Dann klemmte er das Datapad unter seinen Arm und verließ das Zimmer, das ihm in den letzten Tagen und Wochen Wohn- und Arbeitsraum zugleich war.
Die Kontrahenten im Besprechungssaal hatten bereits begonnen sich mit wüsten Beschimpfungen und Drohgebärden zu bombardieren, als Alkaios De’Querres mit weit ausholenden Schritten in den Saal eintrat und wortlos und unbeeindruckt der herrschenden Aufregung zu seinem Platz ging. Er legte das Datapad auf den Tisch, aktivierte es, beugte sich vor und stützte sich mit den Fingerknöcheln zu beiden Seiten des Datengerätes ab.
»Herrschaften!«, rief er laut, sodass augenblicklich sämtliche Auseinandersetzungen im Saal verstummten und die Aufmerksamkeit aller auf ihm lastete. Es kehrte rasch Ruhe ein und die Kontrahenten kehrten mehr oder weniger murrend auf ihre Plätze zurück. »Kraft meines Amtes als des vom Planetenbündnis eingesetzten Schlichter, sehe ich mich gezwungen, aufgrund mangelnder Kooperation aller an diesen Streitigkeiten beteiligen Parteien, drastische Maßnahmen zu ergreifen.« Per Knopfdruck aktivierte er eine Grafik, für dessen Erstellung er beinahe eine ganze Nacht geopfert hatte. Zum Zeitpunkt, als er sich an seinen Schreibtisch setzte und eben jene Grafik ausarbeitete, war er resigniert, verzweifelt und wütend und hatte den letzten Rest seines Brandy-Vorrates geleert. Er richtete sich auf und studierte kurz die Gesichter der Anwesenden. In einigen – Humanoiden – konnte er deutlich die Verwirrung, die Verärgerung oder das Entsetzen erkennen, die das Verstehen der Grafik verursachte. Die Gefühle der anderen, vor allem der Aartylys, deren echsenhaften Gesichter stets unberührt und starr zu sein schienen, gleich wie erregt sie waren, blieben ihm verborgen.
»Diese Grafik zeigt den Savon-Sektor«, erklärte er unbeirrt der dezent aufkommenden Unruhe. »Mit ihren ab diesem Moment gültigen Grenzen zwischen Latain, Aartylys und Thrylpa. Wie sie sicherlich bereits bemerkt haben, entspricht die Größe jedes Sektors der Anzahl der jeweiligen Bevölkerung, um die Besiedlungsdichte in jedem der drei Sektoren gleich zu halten. Besonderheiten, wie Lebensgewohnheiten, Fabrikationen, religiöse, geschichtliche oder soziale Orte etc. wurden berücksichtigt.« Mit einem weiteren Knopfdruck übermittelte er Dateien an die Datapads der Anwesenden. »Sie haben soeben eine Aufstellung eines sogenannten Schlichtprotokolls erhalten, dessen Punkte bedingungslos befolgt werden müssen. Es werden keine Kompromisse, Abweichungen oder Sondervereinbarungen mit einem oder mehreren Parteien oder zwischen einzelnen geduldet. Sämtliche Punkte müssen so befolgt werden, wie sie in dem Protokoll aufgeführt wurden. Als Revisor wird eine unabhängige Partei bestellt, die noch von einem Gremium des Heeresverbandes ernannt werden muss.«
Die Unruhe wurde so stark, dass der Atorrianer kaum noch seine eigenen Worte verstand. Er hieb mit der geballten Faust so fest auf den Tisch, dass die Holografie einen Moment ehrfürchtig erzitterte. In Wirklichkeit hatte die Erschütterung einen kurzfristigen Wackelkontakt im Lesegerät des Holoprojektors verursacht.
»Herrschaften!«, donnerte seine Stimme durch den Saal. »Meine Geduld ist erschöpft. Ich kann keine Schlichtung zwischen Parteien herbeiführen, die keine Einigung finden wollen. Sie alle sind Mitglieder des vereinigten Heeres und sollten als solches Freunde sein. Sie sollten bereit sein, aufeinander zu zugehen und sich freundschaftlich die Hände zu reichen. Sie sollten bereit sein, Kompromisse einzugehen und Rücksicht zu nehmen. Da sich niemand von den hier seit Wochen Versammelten zu diesem Schritt bereit erklärt, ist leider eine Zwangseinigung von Nöten. Sollten Sie auch nur gegen einen Punkt aus dem Protokoll verstoßen, wird Ihr sofortiger Austritt aus dem Heeresbündnis die Folge sein. Guten Tag, Herrschaften!«
Mit diesen Worten packte er sein Datapad ein und verließ den Versammlungsraum mit langen, ausholenden Schritten. Draußen auf dem Korridor – als sich die breiten Gleittüren hinter ihm geschlossen hatten – blieb er kurz stehen und schnaufte tief durch. Er war es schon lange leid gewesen, den Streithähnen bei ihren sinnlosen Diskussionen zu lauschen. Er fragte sich, warum er diesen Schritt nicht schon eher gewagt hatte. Das hätte ihm so manche schlaflose Nacht erspart. Diese Handlung würde zwar im Senat für Aufregung sorgen, aber er würde ihnen die Dringlichkeit dieser Aktion schon plausibel erklären.
Mit seiner Abreise nach Anaham ließ er sich nicht allzu viel Zeit. Ohne auf einen Zimmergehilfen zu warten, warf er seine Habseligkeiten in die Koffer und eilte zum nächsten Raumhafen. Wenn er in zwei Tagen in der Zentrale des Heeresbündnisses sein wollte, dann musste er zusehen, dass er die nächstbeste Passage nahm. Glücklicherweise musste er nicht lange warten und saß schon drei Stunden später in einem Shuttleflug nach Anaham.
Sybill schritt müde und ausgelaugt, aber voller frischer Energie über den Korridor in Richtung ihres Büros, als die Stimme von Captain Beegje sie aus ihren Gedanken riss. Nur wenige Minuten zuvor hatte sie sich im Trainingszentrum wieder einmal total verausgabt. Diese körperliche Tortur hatte sie nach den letzten zermürbenden Tagen unbedingt gebraucht.
»Commander Danning, würden Sie einen Moment warten?« Der Tellure beeilte sich, die Distanz zwischen ihm und seiner Vorgesetzten so schnell wie möglich zu verringern, ohne dabei gehetzt zu wirken. »Senator Sdinge sucht Sie. Er beauftragte mich, Sie in den kleinen Konferenzsaal zu bitten. Ich glaube, der Revisor aus Atorr ist eingetroffen.«
Sybill kratzte sich am rechten Handrücken und verbarg dann ihre Hand hinter ihrem Rücken. »Er hat doch meinen Bericht«, entgegnete sie etwas verwirrt. »Was kann ich da noch tun?«
Beegje schnaufte. »Zum Beispiel, Ihren Standpunkt verteidigen; warum Sie das Rupulauische Boot trotz seiner bekannten Schwächen als Leitschiff einsetzten.«
»Das steht ebenfalls in meinem Bericht«, wehrte sie erhaben ab. »Wenn ich jeden meiner Berichte noch zusätzlich kommentieren soll, dann könnte ich den ganzen Tag nichts mehr anderes tun. Ich muss mich jetzt um die Vorgehensweise für einen Aufklärungsausflug nach Badgjins kümmern.« Damit wollte sie sich umdrehen und weiter ihres Weges gehen.
»Ich denke, dass diese Angelegenheit dringlicher ist, als die Aufklärung in Badgjins.« Er schnaufte noch einmal. Auf seiner Stirn richteten sich die Härchen auf. »Sie haben mich mal darum gebeten, Sie vor Fehler zu warnen. Meines Erachtens ist es ein Fehler, auf diese Gelegenheit der Rechtfertigung zu verzichten.«
Sybill beäugte ihn musternd. Dann nickte sie. »In Ordnung«, gab sie rasch nach. Sie hatte im Laufe der Zeit, die sie mit Beegje verbracht hatte, gelernt, auf seine Ratschläge zu hören. »Wenn Sie mir versprechen, dass ich mich nicht mit dem Atorrianer persönlich auseinandersetzen muss.«
»Ich werde mein bestes tun, aber versprechen kann ich es nicht.« Er ließ ein Grinsen aufblitzen. »Agieren Sie einfach, als sei er nicht im Raum und sprechen Sie Senator Sdinge statt seiner an. Immerhin ist er ihr Vorgesetzter, vor dem Sie Rechenschaft ablegen müssen, nicht der atorrianische Revisor.«
Diesmal legte sie eine Hand auf seinen Arm und wünschte sich, das zarte Fell, das sie so gern berührte, durch den dicken Stoff der Uniform spüren zu können. Dennoch schenkte sie ihm ein aufrichtiges Lächeln. Er hatte es verdient.
»Was würde ich nur ohne Sie tun, Beegje«, seufzte sie gespielt verzweifelt.
Im kleinen Konferenzsaal, in welchem für gewöhnlich kleinere Besprechungen mit nicht mehr als zweihundert Personen abgehalten wurden, befanden sich bereits beinahe der komplett versammelte Senat, einschließlich Senator Sdinge und ein ihr unbekanntes Gesicht. Ein älterer Mann mit blauschwarzen, fast schulterlangen Haaren, die an den Schläfen schon etwas ergraut waren, saß zwei Stühle links neben dem Senator und erhob sich, als Commander Danning den Saal betrat. Er strich den Stoff seiner kostbaren Robe glatt, sodass der dunkelrote Stoff in allen Schattierungen von hellrot bis schwarzlila schimmerte und schob mit einer galanten Bewegung einer seiner grauen Strähnen zurück in sein glänzend gebürstetes Haar. Sein Gesicht strahlte Würde, Weisheit, Strenge aber auch Güte und Herzlichkeit aus. Wenn Sybill nicht sofort gewusst hätte, wer er war, sie hätte ihn auf Anhieb sympathisch gefunden. Beinahe im selben Moment fragte sie sich, aus welchem Grund sie keine richtige Antipathie gegenüber Atorrianer aufbringen konnte. Sie ärgerte sich vielmehr, dass jene adretten, bewundernswerten Leute ausgerechnet Atorrianer sein mussten – jene, die in der Vergangenheitsgeschichte ihrer Familie eine fatale Rolle gespielt hatten.
Senator Sdinge hatte sich ebenfalls erhoben und war die wenigen Schritte auf die Kommandantin des vereinigten Heeres zugegangen. Er stoppte geradewegs neben dem Atorrianer und wartete geduldig ab, bis Sybill den Rest des Weges zu ihnen zurückgelegt hatte.
»Commander Danning, darf ich vorstellen: Tait Tourre’Quant, Vizepremierminister und hoher Rat der Kapano von Atorr.«
Der ältere Atorrianer senkte erhaben, beinahe steif seinen Kopf und hielt ihr freundschaftlich eine Hand hin. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Commander Danning.«
Sybill blieb in einem angemessenen Abstand stehen, sodass sie sich hätte strecken müssen, um die angebotene Hand anzunehmen. Sie ließ es sein. »Ich müsste lügen, wenn ich dasselbe auf mich zutreffend machte.« Sie verschränkte demonstrativ ihre Hände hinter dem Rücken.
Während sich die Senatoren entsetzt versteiften und schon zu einem Protest ansetzen wollten, erschien um die Mundwinkel des atorrianischen Ministers ein amüsiertes Lächeln. Er nahm seine Hand zurück, die bislang nutzlos ausgestreckt war, und verschränkte seine Finger vor seinem Bauch. »Ich muss zugeben, dass ich vor Ihnen gewarnt worden war. Mich hätte es überrascht, wenn Sie sich mir gegenüber freundlich und zuvorkommend verhalten hätten.« Seine Stimme war schneidend und streng, jedoch nicht ohne einen Anflug von Belustigung erkennen zu lassen. Mit einer galanten Bewegung bot er ihr an Platz zu nehmen und kehrte zu seinem eigenen Stuhl zurück, wo er sich unaufgefordert und ohne auf die anderen Herrschaften zu warten, setzte.
Als Sybill endlich auf einem Stuhl saß, nahezu zehn Sitze weiter, schien sämtlicher Humor von ihm gewichen zu sein.
»Commander Danning«, begann er wesentlich strenger und gebieterischer. »Ich bin nicht nur wegen der Angelegenheit mit den Rupulanern gekommen. Unsere Regierung hat versprochen, den Schaden zu begleichen, wessen Schuld das letztendlich auch gewesen sein mag. Wir stehen zu unserem Wort.« Damit nickte er einer kleinen Delegation von Rupulanern zu, die Sybill bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen entgangen waren. Drei spindeldürre, kreidebleiche Gestalten, in durchscheinenden, weißen Gewändern hatten am anderen Ende des Tisches Platz genommen. Als Sybill den Saal betrat, waren die drei vor ihrem ersten informierenden Blick von den hohen Lehnen der Stühle beinahe vollkommen verdeckt worden. Einen von ihnen erkannte Sybill als den Kapitän des Rupulauischen Kanonenbootes.
Der Atorrianer wandte sich wieder an die Kommandantin. »Unsere Regierung macht sich auch wegen ihrer Investition Sorgen. Der erste offizielle Auftritt des vereinigten Heeres war mehr als enttäuschend für Atorr. Wir wissen zwar, dass es sich hierbei nur um einen Testflug gehandelt hatte, aber was wir zweifellos nicht erwartet hatten, ist der Umstand, dass die atorrianische Flotte, die wir unter der Führung von Alkaios De’Querres schickten, vollkommen untergeordnete wenn nicht bedeutungslose Rollen spielten. Sämtliche Schiffe wurden vorher generalüberholt, technisch aufgerüstet und auf den neuesten Stand gebracht. Sie bekamen sozusagen das Beste, was es auf dem Markt gab. Daher können wir nicht verstehen, warum die Gerätschaften nicht auf markante Positionen disponiert wurden.«
»Ich bin darüber informiert, in welchem Zustand sich die atorrianische Flotte befand«, entgegnete Sybill gelassen und suchte dabei den Kontakt zu Senator Sdinge. »Der Grundgedanke des vereinigten Heeres lautet: Sämtliche Mitglieder sind gleichgestellt. Wenn ich die hervorragenden atorrianischen Gerätschaften an die Spitzen gestellt hätte, wären sich sicherlich einige Teilnehmer benachteiligt vorgekommen. Ich denke, dass es den ruhmreichen Feldherrn nicht schadet, einmal nicht im Rampenlicht zu stehen.«
»Meines Erachtens handelte es sich bei dem Testflug um keine künstlerische Ouvertüre,«, ließ sich Tourre’Quant nicht aus der Ruhe bringen. »Durch die unzulängliche Ausrüstung der Rupulanern wäre es beinahe zu einer Katastrophe gekommen. Allein dem eigenwilligen Sonett eines der ruhmreichen Feldherrn ist es zu verdanken, dass dieses miserable Bühnenstück keine Opfer gefordert hatte.«
Sybill beugte sich vor und scheute sich nicht mehr, direkten Blickkontakt mit dem Mann aufzunehmen, der den Mut besaß, ihre Arbeit als miserabel zu betiteln.
»Ich bin keine Dilettantin«, gab sie entrüstet von sich, rief sich aber sofort zur Besinnung. Hysterie war der falsche Weg, um diesen Kampf zu gewinnen. »Das Rupulauische Kanonenboot besaß eine der besten Senderanlagen. Bei der Planung dieses Bühnenstückes war es mir wichtiger, auch den letzten in der Reihe noch mit einwandfreien Daten beliefern zu können. Die Computeranlage wurde in vorhergehenden Testläufen mehrmals geprüft und für ausreichend empfunden.«
»Wer überprüfte die Computeranlage?«, wollte der Atorrianer mit einem scharfen Blick wissen. »Eine Putzkolonne?«
Sybill schnaubte verärgert. »Ich weiß nicht, wie Sie ihre Verantwortlichkeiten organisieren«, erwiderte sie verächtlich und hielt dem stechenden Blick des Mannes stand. »Aber wenn Sie einen Hygienetechniker benutzen, um Fehler in Ihrem System zu suchen, dann ist es kein Wunder, wenn sich Ihre Leute unter Stress etwas merkwürdig verhalten.«
»Schluss jetzt!«, donnerte Senator Sdinge und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Wir sind hier nicht versammelt, um Feindseligkeiten auszutauschen. Commander Danning, halten Sie sich bitte zurück. Es war eindeutig ein Fehler, das rupulauische Kanonenboot als Leitschiff einzusetzen. Den Berichten der erwähnten Testläufen entsprechend, arbeitete das Computersystem unzuverlässig. Ein etwaiges Versagen hätte einkalkuliert werden müssen. Wir sind auch nicht versammelt, um Fehlplanungen zu kritisieren. Einem beherzten, atorrianischen Offizier war es letztendlich zu verdanken, dass diese Aktion kein Blutvergießen gekostet hat. Das muss vorerst reichen. Der Senat, wie auch die atorrianische Regierung möchte für die Zukunft gesichert haben, dass sich ein solcher Zwischenfall kein zweites Mal ereignet. Denken Sie, Commander Danning, Sie bekommen das hin?«
Sybill hätte ihm das Gesicht zerkratzen können, wenn er nicht der Senator gewesen wäre und wenn nicht über ein zwei Dutzend Zeugen anwesend gewesen wären. Der Tonfall, mit dem er seinen letzten Satz bedacht hatte, zeugte mehr als deutlich davon, dass er an ihren Fähigkeiten gewisse Zweifel besaß.
Sie erhob sich und fixierte den Mann mit dem schütteren, fahlen Haar und den ausgeprägten Wangen, die im künstlichen Licht des Saales beinahe eine Eigenexistenz für sich beanspruchten. »Senator Sdinge«, begann sie mit beißendem Klang in ihrer Stimme. »Ich wurde vom Senat aus einer zahlreichen Auswahl von Bewerbern für diesen Posten bestimmt. Sicherlich nicht wegen meiner hübschen Nase. Meine Fähigkeiten sind herausragend. Meine Referenzen durchweg sehenswert. Ich habe in meiner Laufbahn als Soldatin mehrmals bewiesen, dass ich keine dumme Befehlsempfängerin bin, sondern es verstehe, meinen Verstand, mein Wissen und mein Können entsprechend einzusetzen. An meiner Begabung als Kommandantin zu zweifeln, lässt auch Zweifel über die Richtigkeit der Entscheidung des Senats aufkommen.«
Der Senator hob abwehrend die Hände. »Ich wollte Sie sicherlich nicht beleidigen, Commander Danning. Diese Angelegenheit sorgte leider für einigen Unmut innerhalb des Heeresverbundes. Wir können uns keinen weiteren Zwischenfall leisten. Das Bündnis ist zu neu, um an Kinderkrankheiten zu scheitern.«
»Kinderkrankheiten?« Sybill konnte kaum ihren eigenen Ohren trauen. »Was meinen Sie mit Kinderkrankheiten?«
Senator Sdinge wollte eben zu einer Äußerung ansetzen, als sich die Türen öffneten. Er verstummte sofort und schickte sich an, einen der Saaldiener zur Beseitigung der Störung zu schicken. Dieses Vorhaben gab er jedoch sofort auf, als er die Person erkannte, die unangemeldet in das nicht öffentliche Gespräch platzte.
»Alkaios De’Querres!«, rief er erfreut und überrascht zugleich. Er erhob sich und ging dem jungen Atorrianer einige Schritte entgegen.
Selbstsicher und erhobenen Hauptes absolvierte De’Querres wort- und grußlos die Distanz zwischen Tür und dem Sitzplatz des atorrianischen Vizepremierminister. Tourre’Quant war so ziemlich der einzige, der sich nicht überrascht zeigte. Selbst Sybill Danning konnte sich ihr verblüfftes Gesicht nicht gänzlich verkneifen. Ebenso musste sie gewaltsam ein gewisses Kribbeln unterdrücken, das bei seinem Anblick augenblicklich in ihr aufkeimte. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte; sie hatte ihn vermisst.
»Ich hatte nicht erwartet, dass die Verhandlungen in Savon so schnell beendet sind«, fuhr Sdinge fort, nachdem sich die Atorrianer mit einer kurzen, stummen Geste begrüßt hatten. »Oder sind Sie etwa gescheitert?«
»Ich zog einen energischen Schlussstrich«, antwortete De’Querres bestimmt. »Dieses kindische Geplänkel wurde mir allmählich zu dumm. Sie benahmen sich wie Kinder, die glaubten übervorteilt zu werden und zerfleischten sich nahezu für Belanglosigkeiten. Schlichtung schien mir aussichtslos.« Er legte einen Satz Datenkarten auf den Tisch und schob sie Senator Sdinge zu. »In Eigenregie erließ ich ein Schlichtprotokoll, dessen Punkte dringend vom Senat besprochen und verabschiedet werden sollten.« Er setzte sich wie selbstverständlich neben Tourre’Quant als seien sie seit langem die besten Freunde und lehnte sich gelassen zurück. »Was musste ich da erfahren? Atorrianer und Rupulaner beschießen sich. Sollten wir nicht Freunde sein?« Er nickte den Rupulanern freundlich zu, die diese Geste ebenso erwiderten.
Der Senator setzte sich wieder, schob die Datenkarten einer seiner Assistenten zu und widmete sich dem jungen Feldherrn. »Hat man Sie über diesen Vorfall nicht in Kenntnis gesetzt?«
»Savon ist weit ab von Anaham. Die Postwege dahin offensichtlich verschlungen.« Dabei bedachte er Sybill mit einem sarkastischen Seitenblick. »Ich erfuhr erst durch eine Offerte von Atorr davon. Wie kann man eine fehlerhafte Computeranlage als Anführer einsetzen?« Es war nur eine rhetorische Frage, denn er konnte sich denken, dass dieses Thema bereits bis zum Letzten ausdiskutiert worden war. Dennoch bemerkte er, wie Commander Danning zu einer Antwort ansetzte. Er kam ihr zuvor, indem er eine weitere Frage nachschob. »Wollten Sie Mut zum Risiko beweisen? Sie hatten Glück, dass mein Flaggschiff nicht über eine Sicherheitsabschaltung verfügt. So konnte Delaios ConQuiis die Rupulaner aus dem Rachen der Plasmawolke retten.«
Sybill schnaufte ungehalten. Innerlich kochte sie. »Ich stehe zu meiner Entscheidung. Es war ein unglücklicher Zufall, dass die Computeranlage ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ausfiel.«
De’Querres beugte sich vor und fixierte sie. »Ein unglücklicher Zufall. Ich habe mir sagen lassen, dass die Computeranlage noch nie einwandfrei funktioniert habe und dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, dass sie endgültig den Geist aufgab.« Dabei holte er sich Rückmeldung per Augenkontakt von dem rupulauischen Kapitän. Worauf dieser zögerlich nickte.
»Ich bin niemandem über meine Entscheidungen Rechenschaft schuldig«, gab sie fast patzig von sich. »Und am allerwenigsten Ihnen, Alkaios.«
»Ihre Entscheidung hätte beinahe zwei komplette Schiffbesatzungen in den Tod gerissen inklusive meines besten und fähigsten Offiziers. Der Mann ist Vater von vier Kindern und erhielt kurz vor unserer Abreise das Angebot eine eigene Flotte zu kommandieren, was er allerdings ablehnte, um unter meinem und Ihrem Kommando dem Heeresbündnis zu dienen.«
»Meine Entscheidungen werden weder von familiären Dingen noch von potenziellen Karrieremöglichkeiten beeinflusst.«
»Sondern allein von der Tatsache, die Atorrianer zu diskriminieren«, sagte er ihr auf den Kopf zu.
Sybill plusterte sich entrüstet auf. »Ich verbitte mir solche Unterstellungen!«
»Nichts anderes war es doch, was Sie dazu bewogen hatte, meine Flotte in winzige Fragmente zu zerpflücken und sie zur Bedeutungslosigkeit abzustempeln.«
»Es war eine gleichmäßige Aufteilung aller Mitglieder auf sämtliche Abteilungen.«
»Dann erklären Sie mir bitte, warum Sie ein komplettes Bataillon der Nigjchejaner in ihrer Gesamtheit beließen und sie als solches als eigenständige Abteilung agieren ließen. Nennen Sie das gleichmäßige Aufteilung aller Mitglieder?«
Seine Hartnäckigkeit rief Bewunderung in ihr hervor. Als sie jedoch bemerkte, dass ihr die Gegenargumente ausgingen, löste sich dieses Gefühl schnell wieder in Nichts auf.
Captain Beegje mischte sich in diese Diskussion ein. »Das geschah auf ausdrücklichem Wunsch des nigjchejanischen Flottenführers«, wusste er.
»Ach!«, machte er wenig überzeugt. »Und weil ich nicht zugegen war, konnten Sie mit dem atorrianischen Zugehörigkeitsgefühl machen, was sie wollten?« Er lehnte sich zurück und blickte sie scharf an. »War das der eigentliche Grund, warum Sie mich nach Savon aufs Abstellgleis schickten?« Ihm schien nicht zu gefallen, dass er zu Commander Danning aufsehen musste. Daher erhob er sich ebenfalls und verschärfte seinen Blick. »Dann will ich Ihnen mal was sagen, Commander. Meine Geduld ist erschöpft. Ich hatte Sie gewarnt. Wenn Sie Ihre Gesinnung nicht ändern, werde ich mich wehren. Was auch immer Sie gegen mich persönlich oder auch nur gegen die Atorrianer haben, ich werde es nicht mehr hinnehmen. Ich werde mich von Ihnen nie wieder für dumm verkaufen lassen. Dafür bin ich eine zu teure Investition.«
Sybill versuchte krampfhaft, sich von seiner leicht ungehaltenen Stimmung nicht mitreißen zu lassen. Sie atmete tief durch, während er ihr die Standpauke hielt.
»Stapeln Sie da nicht etwas zu hoch, Alkaios?«, entgegnete sie beherrscht. »Indem sie und ihre Flotte sich dem Heeresbündnis angeschlossen hatten, gaben Sie Ihre Eigenständigkeit als atorrianische Flotte und als solches Ihr Kommando darüber auf. Sie sind nun ein gleichwertiges Mitglied des Bündnisses und als solches individuell einsetzbar.«
»Ich denke, das sehen gewisse einflussreiche Leute anders. Nicht wir kamen auf das Heeresbündnis zu, sondern das Heeresbündnis auf uns. Atorr ist groß und stark genug, um auch allein gegen Aggressoren wie Feldherr Norg’jet’na bestehen zu können. Im Grunde brauchen wir das Bündnis nicht. Ganz im Gegenteil, wir schwächen damit sogar unsere Verteidigung. Wir gingen aber dennoch darauf ein, um eine gemeinsame Front zu bilden und nicht irgendwann auf verschiedenen Seiten zu stehen. Das sollten Sie bedenken. Den Grundgedanken der Gleichheit in allen Ehren, aber man sollte auch die Macht die dahinter steckt nicht verachten.«
»Meines Erachtens ist die Macht effektiver, wenn sie gleichmäßig verteilt ist«, erwiderte Sybill bestimmt.
»Was auch immer ihre Beweggründe waren, ich werde Sie kein zweites Mal dulden«, gab er nicht nach. »Atorr baut auf mich und ich werde sie nicht enttäuschen.«
»Sie hören mir offensichtlich nicht richtig zu. Sie besitzen keine Eigenständigkeit mehr. Sie sind nun ein Mitglied des Bündnisses und haben als solches alleinig diesem zu dienen. Wenn Sie nur für Atorr arbeiten, sind Sie für das Bündnis nicht geeignet.«
»Es spricht für die mangelnde Eignung eines Kommandeurs, wenn er nicht alles und jedes seinen Stärken entsprechend einsetzt.«
Sybill musste arg an sich halten, um ihm nicht an die Kehle zu springen. Ihr widerstrebte es, sich mit diesem Mann mit Worten zu duellieren. Sie fühlte sich nicht wohl dabei. Nicht, dass sie das Gefühl besaß, die Unterlegene zu sein. Tief in ihrem Inneren saß etwas, das ihr einredete, sich lieber gut mit ihm zu stellen. Dieses Etwas rüttelte mit seiner eigenen Meinung aber auch an den Grundfesten von ihr selbst. Sie konnte Atorrianer nicht ausstehen, allein schon, weil sie Atorrianer waren.
»Ich weiß nicht, wo man Ihnen Ihr Handwerkszeug beigebracht hat«, gab sie etwas verächtlich von sich. »Aber mir wurde gelehrt, auf die strategisch wichtigen Dinge zu achten. Kinder und Karriere haben da keinen Platz.«
»Es geht weder um Kinder, noch um Karriere. Sie setzen leichtfertig das Kapital des Heeresbündnisses aufs Spiel.«
»Wollen Sie damit sagen, ich handele unüberlegt?«
»Ganz und gar nicht. Es war wohl überlegt. Sie wussten, dass die Computeranlage des rupulauischen Kanonenbootes unzuverlässig ist und Sie wussten, dass einzig mein Flaggschiff über keine Sicherheitsprogrammierung verfügt. Die Daten dazu befinden sich in den Bewerbungsunterlagen. Sie riskierten es, dass die Rupulaner verloren gehen und ein atorrianisches Flaggschiff mit mehr als zweitausend Mann mit sich reißt. Zweitausend Atorrianer weniger.«
Sybill musste schlucken. »Das ist eine infame Unterstellung!«, schimpfte sie entrüstet. »So etwas würde ich niemals tun.«
»Ihr Verhalten uns Atorrianern gegenüber lässt jedoch keine anderen Schlüsse zu.«
Ihre Augen verengten sich. »Ich habe geschworen, das Leben aller Mitglieder des Heeresbündnisses zu ehren und zu beschützen. Mir würde es nicht einmal im Traum einfallen, auch nur ein Leben zu opfern, so sehr ich es auch verabscheuen mag.«
»Liegt der Alkaios mit seiner Vermutung richtig?«, warf Senator Sdinge mit strengem Tonfall in das Streitgespräch ein.
Sybill schüttelte energisch den Kopf. »Nie und nimmer.« Als sie bemerkte, dass sie ihren juckenden Handrücken an der Hosennaht rieb, verbarg sie ihre Hände hinter ihrem Rücken. »Diese Meinung über mich enttäuscht mich zutiefst.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung«, wusste der Senator. »Können Sie ihre Unschuld beweisen?«
»Ich muss nichts beweisen. Ich muss niemandem etwas beweisen«, gab sie bissig, beinahe schon gekränkt von sich. »Ich stehe nach wie vor zu meiner Entscheidung und die Beweggründe dafür, können Sie im entsprechenden Bericht nachlesen.« Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ ohne ein weiteres Wort den Konferenzsaal. Auf die Rufe des Senators, der sie an den Tisch zurückbeorderte, reagierte sie ebenso wenig, wie auf die Bitte ihres Adjutanten zu bleiben. Sie konnte einfach nicht bleiben. Tränen der Wut und der Enttäuschung waren in ihre Augen geschossen. Sie konnte unmöglich weiter diskutieren. Sie wäre kein vernunftbegabter Konfrontationspartner mehr gewesen. Sie wusste zwar, dass sie diesen Machtkampf vorschnell aufgab und sich selbst die Gelegenheit nahm, ihre Unschuld zu beweisen, doch ihre Emotionen drohten gewaltsam die Herrschaft über sie zu übernehmen.
»Commander Danning! Bitte warten Sie, Commander!« Beegje überholte sie im Korridor und setzte sich vor sie. »Sie dürfen diese Anschuldigungen nicht auf sich beruhen lassen«, riet er leicht außer Atem. »Sie wissen, dass Sie nicht aus niederen Gründen gehandelt haben.«
»Ich weiß es!«, zischte sie und blieb stehen, bevor sie auf ihn aufprallte. »Aber ich kann im Moment nicht.« Mit ihrem juckenden Handrücken wischte sie die Tränen von ihrer Wange fort. Sie schniefte und räusperte und versuchte gewaltsam sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es wollte ihr jedoch nicht so recht gelingen. »Ich könnte ihn umbringen!« zischte sie wütend. »Wie kann er nur so etwas behaupten.«
»Er muss es zwangsläufig denken, nachdem Sie ihn ständig diskriminieren und bei jeder Gelegenheit versuchen, zu schikanieren.«
Sybill sah hoch. Ihre Augen flossen förmlich davon. In ihrem Blick war der Tellure nur noch verschwommen zu erkennen. »Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«, wollte sie wissen.
»Auf Ihrer natürlich«, antwortete Beegje schnell. »Ich denke mir nur, wenn Sie ihm die Gründe für Ihre Abneigung nennen, wird er Ihre Handlungen vielleicht besser verstehen und folglich erst gar nicht auf solche Gedanken kommen. Sie müssen es ihm sagen.«
Sie wischte sich erneut mit dem Handrücken über die Wange. Die Tränenflüssigkeit fühlte sich angenehm auf der geröteten Haut an. »Das geht nur mich etwas an. Und Sie halten den Mund.«
»Wenn Sie es wünschen.« Er senkte kurz den Kopf. »Es wäre von Vorteil, wenn ich der Besprechung weiterhin beiwohne und Ihnen Bericht erstatte. Ist Ihnen das Recht?«
Sybill nickte nur.
»Beegje!«, rief sie ihn zurück, noch bevor er den Saal wieder betreten konnte. »Ich danke Ihnen.« Der Tellure nickte nur und verschwand dann endgültig.
Sybill blieb einen kurzen Moment im Korridor stehen. Dann juckte ihr Handrücken wieder so stark, dass sie sich in Bewegung setzte, um in ihrem Zimmer nach der lindernden Salbe zu suchen. Die Tränen brachen aus ihr heraus, noch während sie die Salbe auftrug. Wie ein Schlosshund heulend, ließ sie sich auf ihr Bett fallen und gönnte ihren Emotionen freien Lauf.
Captain Beegje kam gerade rechtzeitig in den Saal zurück, als Senator Sdinge mit dem atorrianischen Feldherrn sprach, welcher nun sichtlich ruhiger war, so als sei sämtliche Aufregung mit dem Verschwinden von Sybill Danning von ihm gewichen.
»Glauben Sie wirklich, dass Commander Danning zu so einer Tat fähig wäre?«, wollte er entsetzt über seine eigenen Worte wissen.
De’Querres schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein. Sie ist zu klug, um sich von Ihren niederen Emotionen zu einer solch fatalen Dummheit hinreißen zu lassen.«
Sdinge riss die Augen auf. »Warum behaupten Sie dann etwas Derartiges?«
»Es war ein Versuch, den Grund Ihrer Ablehnung uns Atorrianern gegenüber zu erfahren«, erklärte er geduldig. »Ich werde mich deswegen bei Commander Danning in aller Form entschuldigen.«
Senator Sdinge beäugte kritisch, beinahe tadelnd den jungen Mann, der die Frechheit besaß, den Ruf eines talentierten und ausgezeichneten Offiziers zu verunglimpfen, um Antworten auf einige Fragen zu erhalten. Dann seufzte er und rückte sich in seinem Stuhl bequemer zurecht. »Captain Beegje«, wandte er sich an den Telluren. »Kennen Sie den Grund für Commander Dannings Ablehnung?«
Beegje räusperte verlegen. »Commander Danning wünscht, nicht darüber zu sprechen.«
»Sie kennen demnach den Grund«, schlussfolgerte der Senator.
»Commander Danning ist meine Vorgesetzte und ich Ihr persönlicher Adjutant. Es wäre ein Vertrauensbruch, wenn ich Ihren Wunsch nicht respektierte.«
Sdinge wurde bestimmter. »Ich bin Ihrer beider Vorgesetzter und verlange eine Antwort auf meine Frage.«
»Ich bitte um Erlassung der Antwort.«
»Captain Beegje …«, begann der Senator herrischer. Doch er wurde von De’Querres unterbrochen.
»Senator Sdinge«, fuhr der ihm freundlich aber entschlossen ins Wort. »Wir werden den Grund erfahren – irgendwann. Früher oder später. Früher wäre zwar besser, aber wir müssen ihren Wunsch respektieren. Wir können ihr nahe legen, die Missstände zu klären, um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Aber sie dazu zu zwingen, würde sicherlich alles noch viel schlimmer machen. Das einzige, das wir zur Zeit machen können, ist darauf zu achten, dass ein derartiger Fehler …« Er blickte kurz hinüber zu den Rupulanern. »... nicht noch einmal geschieht.«
»Halten Sie Commander Danning für nicht geeignet für diesen Posten?«, wollte der Senator interessiert wissen.
De’Querres holte tief Luft. »Es kommt darauf an. Ich halte Sie für genial, was die Organisation des Heeresbündnisses betrifft. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, alle unter einen Hut zu bekommen und einen für alle passenden Nenner zu finden. Vor Jahren sollte ich aus einem zusammengewürfelten Haufen von Anwärtern eine Sondereinsatztruppe formen.« Dabei zuckte ein etwas verlegenes Lächeln um seine Mundwinkel. »Das wurde so ziemlich der schwärzeste Punkt in meinem Lebenslauf. Was Commander Danning in Bezug auf die Zusammenstellung, der Kategorisierung und der Zusammenführung aller Bewerber zu einer funktionierenden Streitmacht geleistet hat, ist für mich einfach bewundernswert. Ich hätte das niemals zustande gebracht. Sie lässt sich jedoch zu sehr von ihren Gefühlen leiten. Und genau dabei unterlaufen ihr die fatalsten Fehler. Sie bildet sich vorschnelle Urteile und macht sich nicht die Mühe, sich selbst das Gegenteil zu beweisen. Die Angelegenheit mit Craba zum Beispiel. Einer meiner größten Schwächen ist, Herausforderungen nicht widerstehen zu können. Ich hätte das Angebot von Commander Danning jedoch abgelehnt, wenn ich nicht gemerkt hätte, dass sie es mir nicht zutraute und wenn ich nicht schon vor einiger Zeit eine Strategie zur Befreiung Crabas ausgearbeitet hätte. Sie geht mit ihren Urteilen zu selbstsicher um. Was auch immer ihre wahren Beweggründe waren, das rupulauische Kanonenboot mit seinem unzureichenden Computersystem an die Spitze zu setzen, ihre Gefühle uns Atorrianern gegenüber ließ ihr jedoch keine andere Wahl. Kein anderes verfügbare Schiff brachte die Sendeleistung auf, um sämtliche Mitglieder der Abteilung einwandfrei zu erreichen. Die Alternative wäre eine Reihenkette gewesen, wie es in den anderen Gruppen zum Teil praktiziert worden war. Was aber den einzelnen verbundenen Schiffen enorme Kapazität an Energieleistung abverlangte. Da sie in den Reihen der Rupulaner das Risiko eines verlorengegangenen Schiffes minimieren wollte, und das Computersystem in den letzten Testläufen einwandfrei funktioniert hatte, stellte das Kanonenboot die einzige Alternative dar. Dass es ausgerechnet dann wieder versagte, war ausgesprochenes Pech.« Er beugte sich vor und verstärkte den Blickkontakt zu Senator Sdinge. »Apropos! Was ist eigentlich mit der Angelegenheit Szixdans? Warum wurden Lieutenant Isuzus Bedenken nicht anerkannt?«
»Welche Bedenken?«, fragte Sdinge zurück.
»Lieutenant Isuzu rief mich in Savon an und bat mich beinahe flehentlich um Rat. Ihrer Meinung nach ging es auf Lynd nicht mit rechten Dingen zu. Ihre Bedenken wurden aber aufgrund von verharmlosenden Erklärungen von Lynd und den eben solchen Berichten des Geheimdienstes nicht berücksichtigt. Ich riet ihr, auf eigene Verantwortung Nachforschungen anzustellen. Kurz vor meiner Abreise aus Savon rief sie mich erneut an und berichtet davon, dass sich einige bewaffnete Schiffe versammelt hatten und dass ihr Aufenthalt im Hoheitsgebiet von Lynd erschwert wurde. Warum ist da nichts unternommen worden?«
»Mir ist nichts von dem bekannt«, gab sich der Senator unschuldig und blickte fragend in die Ruhe der anderen Senatoren, Assistenten und Handlangern.
»Ich habe jetzt keine weitere Rückmeldung von Lieutenant Isuzu«, berichtete De’Querres weiter. »Aber wir sollten unbedingt auf der Hut sein. Wenn sich jemand an den Radon-Vorräten zu schaffen macht, könnte es die gesamte Wirtschaft beschädigen.«
»Nehmen Sie sich dieser Angelegenheit an und erstatten Sie mir persönlich Bericht, Alkaios«, entschied der Senator, ohne sich vorher mit den Mitsenatoren abzusprechen. Diese nickten jedoch zustimmend, sodass keine weitere Abstimmung mehr von Nöten war. »Und jetzt denke ich, sollten wir zum ursprünglichen Grund unseres Zusammentreffen zukommen. Verehrter Tourre’Quant, ich hoffe, Sie langweilten sich nicht.«
»Ganz im Gegenteil.« Der ältere Atorrianer schien erst jetzt wieder aus seiner phlegmatischen Beobachtungspose zu erwachen und rückte sich aufrechter zurecht. »Es war höchst interessant.«
»Darf ich Sie noch einmal kurz unterbrechen«, warf De’Querres dreist dazwischen. »Ich würde gerne Lieutenant Isuzu kontaktieren.«
»Aber gerne.« Senator Sdinge machte eine Geste Richtung Ausgang, die verdeutlichen sollte, dass sich der Alkaios entfernen durfte.
De’Querres wartete nicht lange, erhob sich, verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kopfnicken und marschierte mit lang ausholenden Schritten davon.
Serge De’Querres begab sich in der Eingangshalle des Senatsgebäude in eine der öffentlichen Fernkommunikationszellen. Nicht lange, nachdem er die Verbindung in Auftrag gegeben hatte, projizierte der Holoprojektor eine Miniaturausgabe des weiblichen Lieutenant. Sie setzte sich mit einem sichtlich erleichterten Gesichtsausdruck vor die Kamera und band sich noch schnell ihre schlohweißen Haare zurück.
„Alkaios De’Querres, ich hatte schon versucht, Sie zu erreichen. In Savon sagte man mir, Sie seien abgereist, wussten aber nicht wohin.« Sie rückte den Stuhl zurecht, sodass sie nun in der richtigen Position für die Kamera saß.
»Verzeihen Sie, ich hätte Ihnen Bescheid geben sollen. Wie ist nun die Sachlage bei Ihnen?«
»Die beiden Kriegsschiffe aus der atorrianischen Flotte kamen gerade noch rechtzeitig. Die hinter dem Mond versammelten Schiffe hatten sich schon in Angriffsposition gebracht und zogen sich aber dann nach dem Auftauchen der beiden Schiffe augenblicklich wieder zurück. Ich möchte Ihnen für Ihre Hilfe danken.«
»Keine Ursache«, winkte der Atorrianer ab und erwiderte das aufrichtige Lächeln der Frau. »Was geschieht jetzt? Was machen die Schiffe jetzt?«
»Sie haben sich wieder hinter den Mond zurückgezogen. Entweder halten sie Krisensitzung oder warten auf Verstärkung.«
»Nachdem sie nicht wieder dorthin verschwunden sind, woher sie gekommen sind, befürchte ich, dass sie auf Verstärkung warten.«
»Soll das heißen, dass noch mehr kommen?«
»Davon bin ich fast schon überzeugt. Was haben Sie über die Aktionen über Lynd herausbekommen?«
»Nicht mehr viel. Wir wurden total abgekapselt. Unser Aufenthalt im Hoheitsgebiet von Lynd wurde nur durch das Auftauchen der beiden atorrianischen Schiffe weiterhin geduldet. Wir hatten schon eine Aufforderung erhalten, uns zu entfernen.«
»Die Angst ist zu auffällig«, bemerkte De’Querres. »Wenn die von Lynd etwas zu verbergen haben, dann benehmen sie sich nicht so auffällig abweisend. Da stimmt etwas nicht.«
»Wir besitzen keine Erlaubnis mehr, Lynd zu betreten. Szixdans bot uns bereits an, an ihren Raumhafen anzudocken. Und ehrlich gesagt, kommt mir das höchst willkommen. Wir sind seit Wochen in dem Aufklärer eingesperrt und meine Leute bekommen allmählich einen Raumkoller.«
»Lassen Sie sich von den beiden Atorrianern begleiten. Unternehmen Sie keine Alleingänge. Ich werde versuchen, so schnell wie möglich bei Ihnen zu sein.«
»Sie kommen zu uns?« Isuzus Gesicht hellte sich schlagartig auf. »Ich muss zugeben, dass Kampfeinsätze nicht gerade üppig in meiner Akte zu finden sind. Ich wäre froh, jemanden so erfahrenen wie Sie in meiner Nähe zu wissen, Alkaios De’Querres.«
»Die beiden Kriegsschiffe aus Atorr besitzen auch jede Menge Leute mit üppiger Kampferfahrung«, lächelte er verschmitzt. »Wenn es Ihnen nur darum geht, könnten Sie aus über tausend bestens ausgebildeten Leuten wählen.«
Lieutenant Isuzu lächelte leicht verlegen. »Was ich von Ihnen gehört habe, kann sicherlich keiner der tausend Leute bieten.«
»So? Was haben Sie denn von mir gehört?«
»Das besprechen wir lieber bei einer guten Tasse Koffe.«
»Ich nehme Sie beim Wort – ich meine das mit dem Koffe.«
Isuzu lachte amüsiert und strich eine losgelöste Haarsträhne zurück. »Jemand von Szixdans meinte, in dem Raumhafen gäbe es ein Restaurant mit hervorragendem Stigchs-Braten. Da ich Stigchs liebe, wollte ich das schon die ganze Zeit mal probieren, bin aber nie dazu gekommen. Sollte das mit den Gerüchten stimmen, ist es mir eine Ehre, Sie zum Essen einzuladen.«
»Und was ist, wenn sie nicht stimmen?«, wollte De’Querres wissen.
»Dann zahlen Sie.«
Der Atorrianer musste unwillkürlich grinsen. »Dann werde ich schon mal meine Ersparnisse zusammenkratzen.« Er räusperte sich, um zum Ernst der Lage zurück zu kehren. »Wir treffen uns im Raumhafen von Szixdans, ich denke in ein oder zwei Tagen. Sollte in dieser Zeit irgendetwas vorfallen, dann informieren Sie mich sofort.«
»Ay, ay!« sagte sie zackig und salutierte salopp.
De’Querres unterbrach mit einem amüsierten Lächeln um die Lippen die Verbindung und betätigte gleich darauf abermals den Rufknopf. »Das Büro von Commander Sybill Danning, bitte.«
Einige Augenblicke später meldete sich ein emotionsloser Operator. »Der Teilnehmer ist abwesend. Wünschen Sie eine weitere Verbindung?«
»Ja – äh, das heißt nein. Ich werde mich selbst dorthin begeben. Danke!«
Mit langen Schritten marschierte er zurück zum Konferenzsaal. Kurz bevor er die Türen erreichte, öffneten sie sich und die Teilnehmer der Besprechung flossen in Gruppen schwatzend und gestikulierend auf den Korridor hinaus.
»Ah, Alkaios De’Querres«, vernahm er die Stimme von Senator Sdinge, der als einer der Letzten den Saal verließ. An seiner Seite befand sich Tourre’Quant. Im Augenwinkel bemerkte er noch den Telluren, wie er sich grußlos abwandte und entschwinden wollte. Ihn hatte er gehofft, noch hier anzutreffen.
»Einen Moment, Senator«, wimmelte De’Querres ihn schnell ab. »Captain Beegje, hätten Sie noch kurz Zeit für mich?« Als sich der Mann umwandte und zurückkam, widmete sich De’Querres dem Senator. »Senator, was kann ich für Sie tun?«
Sdinge verzog sein Gesicht zu einer zweifelnden Fratze. »Tun Sie nicht so, als seien Sie ahnungslos. Ich will wissen, was Sie Neues von Szixdans haben.«
»Die Lage entspannte sich etwas, nachdem zwei Schlachtkreuzer der atorrianischen Flotte im Sektor auftauchten. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir noch mit einer Überraschung rechnen können.«
»Was machen dort atorrianische Schlachtkreuzer?«, wollte der Senator interessiert wissen.
»Dafür bin ich verantwortlich«, meldete sich Tourre’Quant zu Wort, der ebenfalls stehen geblieben war und das Gespräch mit anhörte. »In Atorr kam die Idee auf, unsere Bargeldvorräte denen des Bündnisses anzugleichen. Ich bat Alkaios De’Querres um entsprechende Informationen. Dieser berichtete mir dann von Szixdans und dass dort eine Aufklärungsmission in arger Bedrängnis steckte. Ich hielt es für eine gute Idee, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und schickte die zwei Schiffe, die sich ohnehin langweilten und viel eher vor Ort sein konnten, als welche, die erst von Anaham abkommandiert werden mussten. Damit habe ich ihnen hoffentlich keine Unannehmlichkeiten bereitet?«
»Ganz gewiss nicht«, versicherte der Senator schnell und blickte dann den jüngeren Atorrianer fragend an. »Gibt das Unannehmlichkeiten?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Die Angreifer haben sich in Wartestellung zurückgezogen. Ich werde mich daher nach Szixdans begeben.«
»Wer sind die Angreifer?«
»Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler«, entgegnete De’Querres. »Einfache Radon-Diebe sind das jedenfalls nicht.«
»Was vermuten Sie?«
De’Querres seufzte ratlos. »Das kann ich jetzt beim besten Willen nicht sagen. Ich muss mich erst näher mit der Angelegenheit befassen.«
»Tun Sie das. Und retten Sie unser Radon.«
»Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt.«
»Informieren Sie mich über jede Gegebenheit.«
»Selbstverständlich.«
Die beiden Herren verabschiedeten sich mit einem Gruß und ließen De’Querres und Captain Beegje zurück.
»Sie wollten mich sprechen, Alkaios De’Querres«, sagte der Tellure sogleich, als er sich der Aufmerksamkeit des jungen Atorrianers sicher sein konnte.
»Ja! Wären Sie so freundlich und würden mir verraten, wo sich Commander Danning derzeit aufhält?«
»Ich vermute, in ihren Privaträumen.«
»Begleiten Sie mich dorthin?«, bat De’Querres freundlich.
»Sicher!« Beegje wandte sich um und ging voran. Er bemerkte, dass der Atorrianer sich in einem angemessenen Abstand neben ihn gesellte. »Ich hatte ebenfalls vor, Commander Danning aufzusuchen.«
»Ich möchte gerne meine Entschuldigung loswerden, ehe aus der Wut auf mich noch ein böses Geschwür wird.« De’Querres blickte ihn kurz von der Seite an. »Außerdem muss ich bald nach Szixdans reisen und weiß nicht, wann ich zurückkehre. Ich möchte das vorher geklärt haben. Eine Front reicht mir.«
»Dass die Lage in Szixdans beziehungsweise Lynd so ernst wird, war aus keinem der entsprechenden Berichte zu erkennen.«
»Ich kenne die Berichte leider nicht, werde sie mir aber auf der Reise zur Pflichtlektüre machen. Vermutlich hatte Commander Danning zu viel mit der Planung des Ausfluges zu tun gehabt, als sich ausführlich mit den Berichten und den Bedenken eines vor Ort befindlichen Lieutenant zu beschäftigen.«
»Sie halten nicht viel von Commander Danning. Habe ich Recht?«
»Wie ich bereits bei der Besprechung sagte, sie lässt sich zu sehr von ihren Vorurteilen leiten. Ich täte mir auch wesentlich leichter, mit ihren Launen umzugehen, wenn ich wüsste, was wir Atorrianer verbrochen haben, dass wir eine derartige Behandlung verdienen. Wollen Sie es mir nicht doch verraten?«
»Ich würde gerne, habe aber versprochen zu schweigen.«
»Eine Andeutung vielleicht?«
Die Haare an Beegjes Stirn stellten sich auf. Ein Anflug von Lächeln huschte um seine Lippen. »Ihre Frechheit ist manchmal bewundernswert«, sagte er. »Wenn ich das mal erwähnen darf.«
»Nur mit einer gehörigen Portion Frechheit kommt man ans Ziel«, entgegnete De’Querres selbstsicher. »Ich würde diese ständige Zänkerei gerne beenden. Sie bringt nur Unfrieden und Hinterlist und kann auf Dauer das Fortbestehen des Heeresbündnisses gefährden.«
»Ich sehe das auch so. Aber offenbar ist es für Commander Danning zu früh, die Vergangenheit ruhen zu lassen.«
»Was auch immer geschehen ist, ich habe damit nichts zu tun und ich halte es für unfair, mich dafür büßen zu lassen.«
»Es ist ihr offenbar nicht bewusst gewesen, dass es verschiedene Gruppierungen von Atorrianern gibt.«
»Es gibt vier zum Teil grundverschiedene Kasten«, erklärte De’Querres geduldig und folgte Beegje durch die Ausgangsschleuse auf die Straße. »Die Kapano ist die größte und mächtigste. Ihr gehören über die Hälfte der Bevölkerung an. Dann gibt es noch die Atran und die Equodi, die sich irgendwann von der Kapano abgespaltet hatten und lediglich eine Minderheit darstellen. Die vierte ist die Burgoisis, zu der hauptsächlich das Bergvolk und die Stämme der Steppenwüsten gehören. Die Kasten leben beinahe vollkommen getrennt voneinander. Vermischungen werden nicht gerne gesehen, vor allem zwischen der Kapano und der Burgoisis.«
»Trifft auf eine der Kasten die Beschreibung zu, von der Commander Danning glaubt, dass sie für alle Atorrianer gilt.«
De’Querres schmunzelte. »Solche, die ihre Exkremente überall herumliegen lassen?« Er nickte bestätigend, als Captain Beegje seine Stirnfalten angewidert in Wülsten legte und lachte schließlich laut schallend los, beruhigte sich aber rasch. »Das ist ein bekanntes Problem der primitiven Burgoisis. Sie weigern sich, sich in irgendeiner Weise zu zivilisieren. Sie leben in Höhlen und vollkommen verdreckten Zelten aus Häuten und Müll und kommen nur in die Großstädte, wenn sie in ihrem angestammten Gebiet keine Nahrung mehr finden.«
Der Tellure bog in eine Seitenstraße ein und bewegte sich auf ein Transportband zu. »Und das wird einfach so geduldet?«
»Natürlich nicht.« De’Querres stellte sich ebenfalls auf das Transportband, das sie rasch einige Straßen weiter brachte. »Das ist Kadettenarbeit, die Burgoisis wieder dahin zu bringen, wo sie hingehören. Ich musste das auch tun. Und das war wahrlich keine schöne Erfahrung.«
»Sind die primitiven Burgoisis gefährlich?«
De’Querres schüttelte den Kopf, während er sich die Gegend besah. »Eher harmlos, solange man sie nicht reizt. Sie kennen keinen Anstand und tun, was ihnen in den Sinn kommt. Sie handeln rein emotional und ihrer Stimmung entsprechend. Wir entstammen alle dem gleichen Genpool. Unsere Historiker und Wissenschaftler beschäftigen sich bis heute mit dem Phänomen, wie es dazu kommen konnte, dass sich die Gene sozusagen in zwei Richtungen spalteten. Ob wir das nun einer Naturkatastrophe zu verdanken haben, oder einer natürlichen Fügung, ist noch nicht in Erfahrung gebracht worden. Es bringt nichts, sie zu zivilisieren oder ihnen die Fortschritte der Technik beizubringen. Ihnen fehlt rein genetisch die Voraussetzung, es zu verstehen. Die Burgoisis gehören zu unserer Kultur. Daher hat sich die Kapano verpflichtet, sie zu schützen.«
»Welchen Kasten gehören die Leute an, die mit Ihnen zum Heeresbündnis gekommen sind? Ausschließlich der Kapano?«
»Überwiegend. Ich glaube, es ist von jeder etwas dabei, auch von der Burgoisis. Wenn sie gelernt haben, sich anzupassen, sind es hervorragende Hilfskräfte.«
Captain Beegje zeigte auf einen Ausstieg. Gerade mal zwei Häuserblocks vom Senatorengebäude entfernt, verließen sie das Transportband wieder und gingen nun eine Allee mit alten knorrigen Bäumen entlang, die in üppiger Blütenpracht protzten.
„Es ist etwas befremdlich, dass zwei so grundverschiedene Völkerstämme auf einem und demselben Planeten leben«, fuhr Beegje fort.
»Wir betrachten dies als Aufgabe. Die Existenz der Burgoisis zeigt uns, woher wir stammen. Das beweist uns, dass das Entstehen von Leben und deren Entwicklung nicht in unseren Händen liegt. Wenn uns das Schicksal nicht gespalten hätte, würde ich vielleicht auch noch in Tierfellen gekleidet in Höhlen leben.«
»Kann es dann vorkommen, dass auch die Kapano animalische Triebe besitzen?«
De’Querres blickte ihn musternd von der Seite an. »Was meinen Sie damit? Wenn mich jemand rasend vor Wut macht, kann ich sicherlich animalisch werden, falls Sie das meinen.« Er lachte kurz auf. »In uns allen steckt etwas Burgoisis, obwohl wir Kapano gänzlich andere Traditionen, Sitten, Gebräuche und Gepflogenheiten besitzen. Wir haben uns zwar im Laufe der Jahrtausende zivilisiert und schlagen uns längst nicht mehr gegenseitig die Köpfe ein, wenn wir um eine Frau buhlen. Aber wenn es hart auf hart geht, können auch wir zum Tier werden.« Er zwinkerte ihm belustigt zu.
»Die Burgoisis sind ziemlich rabiat – auch gegen Fremde. Stimmt’s?«
»Die machen keine Unterschiede. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Es interessierte mich nur.« Captain Beegie bog von der Allee in einen Zufahrtsweg, die zu einer größeren Wohnanlage führte. An einer breiten Rundbogentüre hielt er an und tippte einen Zahlencode in ein Eingabepaneel rechts neben der Tür. Die Türe selbst war schlicht und einfach gehalten, aus offensichtlich witterungsbeständigem Material, mit neutraler Lackierung und keinerlei Griffen, Knäufen oder Knöpfen zum Öffnen der Tür. Der Rundbogen um die Türe jedoch protzte nur so von Schnörkeleien, Verzierungen und verspielten Vorsprüngen. Ein bizarres Muster aus Formen, Farben und Phantasien, deren Bedeutungen wohl nur der Erbauer wissen konnte. Das Gemäuer selbst war ebenfalls in schlichten und geradlinigen Formen gehalten. Als Kontrast hatte der Architekt in unregelmäßigen Abständen Facetten des Künstlers eingewirkt, um offenbar die Strenge des Hauses aufzulockern. Die Außenanlagen sahen sauber und gepflegt aus. Einige Gärtnerdroiden schnitten Bäume zurück oder säuberten die gepflasterten Wege.
Eine Stimme rief De’Querres zum Türbogen zurück. Er erkannte sie als die von Commander Danning.
»Captain Beegje?! Kommen Sie rauf!« Ihre Stimme klang müde und verbraucht.
»Ist die Überwachungsanlage immer noch defekt? Ich bin nicht allein. Bei mir ist Alkaios De’Querres. Er hat Ihnen etwas zu sagen.«
»Ich habe keine Lust ihn anzuhören«, kam es barsch zurück.
»Ich würde Ihnen äußerst dringend anraten, ihn zu empfangen.«
»Kann das nicht bis morgen warten?«
»Ich fürchte, nein.«
Ein genervter Seufzer war die Antwort. Dann surrte leise der Türöffner und die widerstandsfähige Türe schwang sich weit auf. Captain Beegje setzte sich in Bewegung. Er kannte den Weg, bog nach rechts in einen Korridor ein und blieb vor einem Aufzug stehen.
»Ich bin sehr dafür, die Streitigkeiten zwischen ihnen beiden zu beenden«, sagte er, während er auf die Sensorplatte tippte, um den Aufzug zu rufen. »Sie ergänzen sich in so vielen Dingen und wären ein perfektes Team.«
»Der Meinung bin ich auch«, stimmte ihm De’Querres zu und folgte dem Telluren in den Aufzug, wobei er aufgrund der Enge in der Kabine darauf achtete, den Telluren nicht zu berühren. »Ich befürchte aber, Commander Danning nicht.«
»Sie wird es irgendwann akzeptieren müssen. Der Senat hält sehr viel auf Ihre Fähigkeiten, Alkaios; und ich bin davon überzeugt, dass er im Zweifelsfall eher auf Commander Danning verzichtet, als auf Sie.«
»Davon bin ich ebenfalls überzeugt. Wenn sie auf ein Friedensangebot eingeht, können wir als eine Art Team fungieren. Aber so wie ich Commander Danning eingeschätzt habe, wird sie mir eher einen Dolch ins Herz rammen, als mich als gleichberechtigten Partner anzuerkennen.«
»So schätze ich sie ebenfalls ein. Sie müssen schon sehr überzeugend sein.«
Der Aufzug hielt an und entließ die beiden Männer in einen weiteren Korridor. Captain Beegje wandte sich nach links, blieb vor der ersten Türe stehen und drückte auf eine Taste, neben dem Türstock. Augenblicklich klickte es leise und die Türe öffnete sich.
»Commander Danning?«, rief Beegje verhalten in die Wohnung.
»Kommen sie rein«, kam es zurück.
Die beiden Männer betraten die Wohnung und fanden sich in einem schlichten, aber komfortablen Salon wieder. Flauschige Teppiche bedeckten einen glänzenden weißgrauen Steinboden. Bilder von Landschaften und Sehenswürdigkeiten verschiedenster Welten zierten die Wände. An einer Wand stand eine kleine Sitzgruppe. Daneben einige niedere Möbel und exotische Pflanzen. An einer anderen Wand gab es nur einen offenen Kamin, der zu dieser warmen Jahreszeit nicht befeuert wurde und eine verschlossene Türe in den hinteren Bereich des Appartements. Serge De’Querres entdeckte einige Fotografien auf dem Sims des Kamins. An einem blieb sein Blick etwas länger haften. Er trennte sich jedoch davon, als er eine Gestalt im Augenwinkel bemerkte.
Commander Danning stand mit dem Rücken zu ihren Gästen vor einer Fensterfront, die die gesamte Breite des Zimmers einnahm und blickte über die Brüstung des Balkons hinüber zum Senatorengebäude. Beinahe den ganzen Regierungskomplex konnte man von diesem Fenster aus sehen. Sie hatte ihre Uniform gegen bequemere Kleidung ausgetauscht und trug nun eine dünne ärmellose Bluse und einen knöchellangen Rock, der bei jeder Bewegung weich und fließend wippte.
Sie drehte sich um und suchte sofort den Blickkontakt zu De’Querres. »Sie haben wirklich Mut, hier aufzutauchen, nachdem was Sie mir angetan haben.« In ihrer Stimme klang mehr als deutlich der Unmut über diese Anschuldigung mit. Man konnte beinahe schon spüren, dass sie schwer an sich halten musste, um ihm nicht an die Kehle zu springen. Ihre Augen funkelten angriffslustig.
»Ich möchte mich für das was ich Ihnen vorgeworfen habe, entschuldigen«, ging er nicht auf ihre Aufforderung ein, das Streitgespräch fortzusetzen. Er blieb gelassen und sachlich. »Ich nehme meine Anschuldigung zurück und bitte für die Schmach, die ich Ihnen angetan habe um Vergebung.«
Sybill fixierte ihn mit starrem Blick. Sie brauchte viele schier unendliche Augenblicke, um zu begreifen, was sie eben gehört hatte. Dann setzte sie sich in Bewegung. Erst langsam, dann machte sie ein paar schnellere Schritte, sodass sie nahe genug war, um dem Atorrianer eine schallende Ohrfeige zu verpassen. De’Querres steckte die Ohrfeige ein, als erklärte er sich damit einverstanden. Er zuckte nicht einmal mit den Wimpern, geschweige denn versuchte nur annähernd, den Schlag abzuwehren. Dennoch schien er damit gerechnet zu haben. Er schien offenbar der Meinung zu sein, sie verdient zu haben.
Für einen Moment lang, standen sie sich nahe gegenüber. Sybill schnaufte heftig. Ihre Augen glitzerten vor Wut und Entrüstung. Man merkte ihr förmlich an, dass sie mit sich kämpfte. Sie kämpfte damit, ihn nicht auf der Stelle mit ihren eigenen Händen zu erwürgen.
»Sie glauben, damit ist alles abgetan?«, warf sie ihm verächtlich an den Kopf.
»Der Senat ist informiert«, entgegnete er besonnen. »Die Anschuldigung ist nie ausgesprochen worden.«
»Sie wird für immer in den Köpfen aller an dieser Besprechung Teilgenommenen haften bleiben.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil ich ihnen den Grund nannte, warum ich das tat.«
Sybill musterte ihn mit kritischem Blick. »Warum taten Sie das?«
»Ich beabsichtigte, Sie aus der Reserve zu locken. Diese feindselige Atmosphäre zwischen uns muss ein Ende haben. Ich will Sie nicht bis ans Ende meiner Tage als Feindin in den eigenen Reihen wissen. Wenn Sie schon nicht bereit sind, über Ihr Problem mit uns Atorrianern zu sprechen, so hielt ich es für eine gute Gelegenheit, Sie mit dieser Anschuldigung dazu zu drängen.«
Ihre Hand zuckte erneut hoch, um ihm eine weitere Ohrfeige zu verpassen. Doch diesmal fing er sie rechtzeitig ab.
»Überlegen Sie sich das gut«, warnte er sie eindringlich.
Sybill riss sich von ihm los und brachte einen größeren Abstand zwischen sich und dem Alkaios. Sie überlegte kurz und blickte ihn dann wieder abschätzend an.
»Das soll heißen, Sie halten mich nicht für eine potenzielle Mörderin von über zweitausend Atorrianern?«
»So dumm sind Sie nicht.«
»Für wie dumm halten Sie mich dann?«
»Für dumm genug, um sich bei einem Fehler erwischen zu lassen.« Er nahm einen tiefen Atemzug, offenbar, um seine Emotionen niederzuzwingen. Innerlich schien ihn die kalte Art und Weise, wie sie ihn betrachtete und mit ihm sprach zu ärgern. Nach außen hin leuchteten nur die dunklen Augen herausfordernd. »Wir müssen diesen Kleinkrieg schnellstens beenden. Wir sind zwei vernunftbegabte Menschen und finden sicherlich einen Weg, wie wir zusammenarbeiten können, ohne uns ständig nach dem Leben zu trachten.«
»Ich kann nicht mit Ihnen zusammenarbeiten.«
»Und ich nicht mit Ihnen. Wir müssen jedoch. Uns bleibt keine andere Wahl. Daher ist dringend eine Lösung von Nöten.«
»Das klingt, als hätten sie schon eine parat.«
»Fürwahr. Fürs erste würde ich vorschlagen, dass wir jede Konversation über eine Zwischenstelle, wie Captain Beegje führen. So geraten wir nicht in Versuchung, uns in sinnlosen Streitgesprächen zu verirren. Als nächstes sollten die Aufgabengebiete klar deklariert werden. Jeder kümmert sich ausschließlich um seine Kompetenzen.«
»Wie sollen die Aufgabengebiete aussehen?«, wollte Sybill interessiert wissen.
»Unseren jeweiligen Fähigkeiten entsprechend würde ich vorschlagen, dass Sie sich weiterhin um die Gründung und Organisation des Heeresverbundes kümmern. Die meine Aufgabe wird es sein, die Einsätze zu koordinieren und auszuführen.«
»Und die Lorbeeren einzuheimsen«, fügte Sybill berechnend an.
»Wir können die Vitrine ja in Ihr Büro stellen, wenn Ihnen das lieber ist. Ich lege kein Wert auf solchen Tand.«
Sybill dachte kurz nach. »Ich werde es mir überlegen.«
»Überlegen Sie nicht zu lange. Ich reise morgen nach Szixdans und hätte gerne noch vorher Ihre Antwort.«
Sie wurde hellhörig. »Nach Szixdans? Warum? Was wollen Sie da?«
»Das wird Ihnen Captain Beegje berichten. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe vor meiner Abreise noch einiges zu tun.« Er verabschiedete sich mit einem saloppen Salut und war einen Augenblick später auch schon verschwunden.
Obwohl sie sich erleichtert fühlte, dass sie der Atorrianer so bald wieder verlassen hatte, war sie irgendwie traurig darüber. Sie wusste selbst nicht, warum die Leere in ihr einkehrte, sobald sie von ihm getrennt war. Es rann ihr kalt den Rücken hinunter, als sie an das nächste Treffen mit ihm dachte.
»Ich halte das für eine faire Abmachung«, brach Beegje das entstandene Schweigen.
»Haben Sie sich von ihm kaufen lassen?«, forschte sie den Telluren missmutig an, räusperte sich aber sogleich und begab sich zu ihrer Sitzgruppe, um es sich in einer der Ecken bequem zu machen. »Was macht er in Szixdans?«, wollte sie schließlich wissen.
Captain Beegje blieb stehen. Er hätte es auch nicht gewagt, in den bequemen Sessel Platz nehmen, wenn sie es ihm angeboten hätte. »Dort scheinen größere Probleme aufgetaucht zu sein. Lieutenant Isuzu wurde von ein paar Raumschiffen bedroht.«
»Und?«, forderte sie ihn auf, weiter zu reden, nachdem er verstummt war.
So berichtete der Tellure nun, was er in der Besprechung über Szixdans und seiner Bedrohung von Lynd erfuhr und auch, dass diese Angelegenheit nun Alkaios De’Querres übertragen worden war.
»Ich will sämtliche Berichte über diesen Fall und finden Sie heraus, von wo aus De’Querres mit Isuzu kommuniziert hat. Ich will eine Kopie der Aufzeichnung.«
»Hatte Alkaios De’Querres vorhin nicht erwähnt, dass sich jeder um seine eigenen Kompetenzen kümmern soll?«
Obwohl sie ihren Handrücken vorhin erst wieder mit der Heilsalbe eingerieben hatte, juckte es sie erneut. Sie strich vorsichtig über die gerötete Stelle. Wenn sie kratzte, würde es noch schlimmer werden, wusste sie. »Ich bin die Kommandantin des Heeresbündnisses und auf meinen Befehl hin befindet sich Lieutenant Isuzu vor Szixdans. Daher ist es meine Pflicht über jedes noch so kleine Detail informiert zu sein. Besorgen Sie mir die Informationen. Am besten so rasch wie möglich.«
Der barsche Ton gefiel ihm nicht sonderlich. Er schob es jedoch auf ihre Laune und die offenbar noch immer andauernde Verärgerung über die bodenlose Frechheit des Atorrianers. »Jawohl, Commander Danning«, sagte er gehorsam.
Sybill blickte hoch. Der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass sie ihn irgendwie verletzt hatte. »Entschuldigen Sie bitte, Beegje. Heute ist irgendwie nicht mein Tag.«
Der Tellure nickte nur. »Sie sollten das Angebot des Alkaios annehmen. Etwas Besseres bekommen Sie so bald sicherlich nicht mehr geboten.«
Mit einem Seufzen legte sie den Kopf in den Nacken, auf das Polster des Sessels und blickte an die Decke. »Am Anfang meiner Laufbahn träumte ich immer davon, ruhmreiche Schlachten zu führen und immer als strahlende Siegerin hervorzugehen. Ich führte einen Freudentanz auf, als ich den Posten als Kommandantin des neuen Heeresverbundes bekam. Meine Träume sollten sich endlich erfüllen. Doch nun läuft alles anders. Es geht schief, was schief gehen kann und ein Atorrianer versucht, mich von meinem Posten zu schubsen.«
»Ich bezweifle, dass Alkaios De’Querres Ihren Posten will. Er sagte vorhin im Konferenzsaal, dass er das, was Sie geleistet hatten, niemals schaffen würde.«
Sybill winkte ungläubig ab. »Das ist doch bloß sinnloses Gerede.«
»Ich fürchte nicht. Alkaios De’Querres scheut sich nicht, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es etwas Positives über einen Feind sei.«
Sie sah hoch. »Wie meinen Sie das?«
»Sollte er wirklich vorgehabt haben, gegen Sie zu intrigieren, hätte er zum Einen die Verleumdung nicht zurückgenommen, sondern sie vielleicht sogar noch bekräftigt, mit Fakten unterstützt oder sogar eine Untersuchung angeordnet. Zum anderen hätte er dem Senator niemals erzählt, dass er Sie für genial hält, was die Gründung und Organisation des Heeresbündnisses betrifft. Dies alles hätte ihm sehr geholfen, Ihren Posten für sich zu bekommen.«
»Er wäre töricht, wenn er die Gelegenheit nicht nutzte, um mich loszuwerden.«
»Der Alkaios will Sie gar nicht loswerden, sonst hätte er Ihnen dieses Angebot der Zusammenarbeit gar nicht erst unterbreitet.«
»Was will der dann?«
»Er will das machen, was er am besten kann – Schlachten gewinnen. Und Sie sind im Organisieren und Planen am Besten. Sie sollten sich wirklich zusammentun. Ihr könntet ein unschlagbares Team werden.«
»Ich will aber nicht mit einem Atorrianer zusammenarbeiten!«, gab sie so trotzig wie ein ungezogenes Kind von sich.
»Wenn Sie weiter gegen ihn intrigieren, wird er sich wehren, wie er Ihnen bereits androhte. Dann wird er sicherlich seine Meinung über Sie zurücknehmen.«
»Manchmal frage ich mich wirklich, auf welcher Seite Sie stehen, Beegje«, sagte sie gereizt.
»Auf der Seite der Vernunft, Commander Danning«, erwiderte er beinahe beleidigt. »Und wenn Sie sich weiterhin so unvernünftig und infantil benehmen, werde auch ich nicht mehr an Ihrer Seite stehen.« Damit wandte er sich um und verließ das Appartement ohne ein weiteres Wort.
Sybill blieb allein zurück. Erst erfüllte Leere ihr Inneres. Dann drang schier unbezähmbare Traurigkeit an die Oberfläche und Tränen schossen hervor. Sie drückte ihr Gesicht in das Polster des Sessels und heulte wie ein kleines Kind, das eben die Schelte ihres Lebens erhalten hatte.
Alkaios Serge De’Querres vergewisserte sich noch beim Portier, dass die Person, die er zu dieser späten Stunde zu sprechen wünschte, auch tatsächlich bereit war, ihn zu empfangen, bevor er in den Aufzug stieg und in den fünfundvierzigsten Stock des Hotelkomplexes fuhr. Sein väterlicher Freund Tait Tourre’Quant war hier äußerst luxuriös untergebracht worden, während er selbst in einer eher bescheidenen Wohnanlage residieren musste. Selbst die Wohnung von Commander Danning war komfortabler. Aber Serge beschwerte sich nicht. Er verbrachte ohnehin die meiste Zeit im Weltall. Ein reichhaltig ausgestattetes Appartement wäre vollkommen unnötig gewesen.
Er klopfte verhalten an die Tür, aus Rücksicht auf die anderen Gäste, die zu so später Stunde sicherlich schon schliefen. Er hatte aber nicht früher kommen können, denn er musste er noch seine Abreise nach Szixdans für den morgigen Tag arrangieren, die Crew aus dem Landurlaub zurück beordern und die Befehle für den Start ausgeben. Für die Reise wählte er eine der kleineren Schlachtkreuzer. Abgesehen davon, dass das Flaggschiff für den vorgesehenen Einsatz überdimensioniert gewesen wäre, hätte er mit dem Auftauchen eines so großen und kampfstarken Schiffes, mit Sicherheit den entscheidenden Impuls für eine militante Auseinandersetzung gegeben.
Die Türe öffnete sich und Serge trat ein. Er fand seinen Freund im Hausmantel an einem Esstisch sitzen, die dem Mann auch als Arbeitstisch diente. Zahlreiche Akten, Speicherkarten und ein Datapad lagen darauf herum. Die beiden umarmten sich kurz zur Begrüßung. Mit einer Handbewegung bot der Ältere anschließend seinem Gast an Platz zu nehmen und kehrte wieder zu seinem Stuhl zurück.
»Was gibt es denn so dringendes«, erkundigte sich Tourre’Quant müde, »dass du mich noch zu so später Stunde sprechen wolltest?«
»Hast du weiteres über Commander Danning erfahren?«
»Nicht viel mehr, besser gesagt, noch nichts. Ich bin noch nicht zu Recherchen gekommen.«
Serge rückte sich gerader. »Ich glaube zu wissen, was geschah.«
»Wirklich? Was denn?«
»Du sagtest doch, ihre Mutter war als Friedensbotschafterin unter anderem auch auf Atorr unterwegs.«
Tourre’Quant nickte bestätigend.
»Wann war sie das letzte mal dort?«
Der Atorrianer überlegte kurz. »Vor ungefähr vierundzwanzig Jahren.«
»Danach nicht mehr?«
Diesmal schüttelte der Ältere den Kopf. »Jedenfalls zu keinem offiziellen Anlass. Privatreisen zu recherchieren ist etwas aufwendiger.«
»Sie muss später noch einmal nach Atorr gereist sein, vielleicht nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, unter einem anderen Namen, zusammen mit ihrer Tochter.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich befand mich heute in Commander Dannings Wohnung», berichtete der Alkaios. »Auf dem Kaminsims stand die Fotografie von einer Frau, Sybill Danning sehr ähnlich – ihre Mutter nahm ich an. Sie trug ein auffälliges Schmuckstück um den Hals, ein Keeto’chei. Wenn sie das Schmuckstück in aller Öffentlichkeit auf Atorr trug und dabei auf Burgoisis traf, kann ich mir sehr lebhaft vorstellen, was dann geschah.«
»Oh, du meine Güte!«, gab der Vizepremierminister betroffen von sich. »Von wem bekam sie das Keeto’chei?«
»Ich wagte es nicht, danach zu fragen. Ich war wegen etwas anderem bei ihr.«
»Wegen der Entschuldigung«, wusste der Freund Bescheid. »Und? Was hat sie gesagt?«
»Als erstes erhielt ich meine verdiente Ohrfeige«, berichtete Serge mit einem gewissen Grinsen. »Aber ich glaube nicht, dass das viel zwischen uns veränderte.«
Tait Tourre’Quant gab sich interessiert. »Was soll es denn ändern?«
»Ich weiß es nicht«, zuckte Serge ratlos mit den Schultern. »Wenn ich sie nicht irgendwann aus einer Druckschleuse werfe, werde ich mich noch in sie verlieben.«
Die Augenbrauen des Älteren hoben sich überrascht. »Ach!«, machte er etwas verblüfft. »Seit wann versuchst du dich in der Zähmung von Wildkatzen?«
»Ich will sie ja gar nicht zähmen. Es ist ja gerade ihr Temperament, das mir an ihr so gefällt. Sie ist wild, beinahe ungezügelt. Wie ein Burgoisis, den man zu sehr gereizt hat.«
»Ein gereizter Burgoisis ist unberechenbar. Wenn du nicht aufpasst, kratzt sie dir die Augen aus.«
»Ich weiß mich zu wehren«, versicherte der Jüngere mit einem verschmitzten Grinsen, wurde aber bald darauf wieder ernst. »Ich frage mich, wie Sybill Dannings Mutter als Nicht-Atorrianerin an ein Keeto’chei gekommen sein kann. Auf dem Bild trägt sie es so stolz, als sei es das Geschenk ihres Liebsten.«
»Ich werde mich mal umhören«, versicherte Tourre’Quant. »Wirst du dein Kommandoschiff für die Reise nach Szixdans nehmen?«, erkundigte er sich anschließend.
Serge schüttelte den Kopf. »Das wäre für die Sachlage etwas überdimensioniert. Damit würde ich vermutlich erst Recht einen Krieg provozieren. Ich nehme einen der kleineren Fregatten – aber auf jeden Fall atorrianische. Apropos: Hast du mitgebracht, worum ich dich gebeten hatte?«
Der Altere grinste. »Wie könnte ich dir das verweigern.« Er erhob sich, begab sich zu einem Schrank und brachte zwei Gläser und eine volle Flasche feinsten atorrianischen Wyyk-Beeren-Brandys hervor, De’Querres Lieblingsmarke. »Ich hab noch mehr davon«, sagte er schnell, als er das enttäuschte Gesicht seines späten Gastes bemerkte, und goss ihnen beiden ein. »So viel, dass du dir jeden Abend bis zum Surprenam-Fest einen ordentlichen Schluck gönnen kannst.« Er zwinkerte belustigt und prostete dem jungen Mann zu. »Auf die Kapano, die diesen fantastischen Brandy als Grundnahrungsmittel eingestuft hat.«
»Auf die Kapano«, schloss sich De’Querres an.
Der nächste Morgen war eine harte Bewährungsprobe für Serge De’Querres, denn er hatte mit seinem Freund in der Nacht zuvor eine ganze Flasche hochprozentigen Wyyk-Brandy geleert. Eine kalte Dusche und ein paar Meditationsübungen mussten allerdings ausreichen, um seinen verkaterten Kopf wieder klar zu bekommen. Er war zu spät aufgestanden, um sich seinem Zustand entsprechend intensiver vorzubereiten. Obwohl er nicht gerade zu jenen verantwortungslosen Leuten gehörte, die selbst vor wichtigen Terminen nicht auf ihr Vergnügen verzichteten, hatte er sich dieses Trinkgelage mit Tait Tourre’Qant nicht entgehen lassen. In letzter Zeit war ihm selten der Moment gegönnt gewesen, alle Zwänge und Würden einfach fallen zu lassen. Daher hatte er diese letzte Nacht gleich mehrfach genossen.
Er musste seinen Kopf vorsichtig bewegen, um nicht eine ganze Mannschaft trommelspielender Burgoisis wach zu rufen. Jedes Geräusch war plötzlich doppelt so laut und jede Bewegung um ein vielfaches heftiger. Er ertappte sich dabei, wie er müde den Kopf zur Seite legte und zwang sich, die Koordinaten eines fiktiven Zielpunktes im Kopf auszurechnen, um seinen Verstand am Laufen zu erhalten.
»Alkaios De’Querres!« rief ihn irgendwo im relativ kleinen Raum der Brücke eine laute Stimme und jagte ihm damit einen schmerzhaft starken Impuls von den Schläfen bis in die Lendenwirbel. Er zuckte hoch.
»Wie wäre es, wenn Sie das Bordkommunikationssystem benutzen«, murrte De’Querres missgelaunt.
»Verzeihen Sie, Alkaios De’Querres. Ich erhielt gerade eine Nachricht von Commander Danning. Sie wünscht Sie zu sprechen und befindet sich bereits an Bord.«
Augenblicklich straffte er sich. »Danning? Ist hier?« Er sah den Mann fassungslos an, bis er begriff, dass sein Verstand noch ziemlich langsam arbeitete. Die Berechnung der Koordinaten wollte ihm ebenfalls nicht gelingen. Schließlich erhob er sich. »Sagte sie, was sie will?«
»Leider nein. Sie sagte nur, sie habe mit Ihnen zu sprechen.«
De’Querres seufzte. Eine eigenwillige Kommandantin bezähmen, dazu war er eigentlich nicht bereit. Er musste es dennoch tun. »Wo ist sie?«, wollte er wissen.
»Auf dem Weg zur Brücke.«
»Ich werde ihr entgegen gehen. Fahren Sie mit den Startvorbereitungen fort. Ich hoffe, es dauert nicht lange.« Damit verließ er die Brücke und marschierte mit weit ausholenden Schritten Richtung Andockdeck.
Gerade als er aus dem Expresslift trat und sich nach links wandte, vernahm er Geschrei durch die Korridore hallen. Mehrere Stimmen kreischten durcheinander, darunter auch die einer Frau. De’Querres beschleunigte seine Schritte und bereits nach der nächsten Biegung traf er auf die Quelle der Unruhe. Drei Burgoisis in Technikeroveralls belästigten eine Frau in Uniform derart, dass sie ihr kaum eine Chance ließen, sich zu wehren, geschweige denn zu flüchten. Sie zerrten und zupften an ihr herum, schubsten sie von einem zum anderen, versuchten, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie mit eindeutigen Gesten zu bedrängen.
Er legte zwei Finger zwischen die Lippen und ließ einen gellenden Pfiff durch die Korridore pfeifen. Die Techniker hielten abrupt in ihrer Tat inne und drehten sich nach dem Störenfried um. Einer von ihnen fauchte den Alkaios wütend an. Ein anderer fletschte die Zähne wie ein wildes Tier. Der Dritte keuchte atemlos und wollte seine unterbrochene Arbeit beenden. Doch De’Querres ging entschieden dazwischen. Er packte den Mann an seinem Overall und schmetterte ihn gegen die Wand. Zähnefletschend griff einer der beiden anderen Burgoisis ein und wollte seinen Freund rächen, doch De‘Querres verpasste ihm eine harte Gerade mitten ins Gesicht. Der Dritte trat erst einen Schritt zurück, dann preschte er plötzlich vorwärts, offenbar um den wesentlich schmächtigeren Alkaios mit der Masse seines Körpers niederzuwalzen. Dieser brachte sich mit einem Schritt zur Seite in Sicherheit, während er die unter Schock stehende, an Händen und Füßen zitternde Sybill Danning ebenfalls aus dem Weg des rasenden Burgoisis schob. Dieser bremste kurz vor der Wand ab, wirbelte herum und wollte abermals angreifen, doch da stellte sich ihm bereits ein zu allem entschlossener Kapano-Atorrianer entgegen. Der Burgoisis bremste ab und blieb vor seinem Vorgesetzten stehen. Sein Fauchen verrauchte allmählich. Die anderen beiden erholten sich rasch wieder von ihren Schlägen und rappelten sich murrend und maulend hoch. Sie verstummten jedoch beinahe augenblicklich.
»Tcha!«, befahl De’Querres barsch und zeigte auf seine Stiefelspitze. »Tcha ge!«
Die Burgoisis fielen auf Hände und Füße, krochen wie geprügelte Hunde auf allen Vieren näher, um die Stiefel des Kapano mit ihrer Stirn zu berühren und anschließend zu küssen.
»Tomma ge majcha di peron! „Geht sofort an eure Arbeit zurück!“«, befahl De’Querres barsch, als diese ihre demütige Geste beendet hatten. Die Burgoises trollten sich zögerlich, doch ein weiteres scharfes Wort ihres Herrn machte ihnen Beine. Sie rannten davon, als sei das Leibhaftige hinter ihnen her.
De’Querres beugte sich zu der schluchzenden Frau nieder und entdeckte etwas, was ihn zum einen unendlich wütend, zum anderen ebenso enttäuscht machte. Sybill Danning trug das Keeto’chei ihrer Mutter um den Hals, jenes Schmuckstück, das Natcha Danning auf der Fotografie trug. Innerlich fluchend, stellte er sich mehrmals die Frage, wie sie nur so töricht sein konnte. Er riss es ihr vom Hals, steckte es in seine Tasche und hob die Frau auf seine Arme, um sie in seine Kabine zu bringen. Vorsichtig legte er sie auf seinem Bett ab, rief den Sanitätsdienst und begab sich zu dem in die Wand eingebauten Schrank, in welchem sich seine persönlichen Habseligkeiten befanden. Mit einem Seufzen brachte er eine Flasche des Brandys hervor, den er in der Nacht zuvor von Tait Tourre’Quant erhalten hatte und den er geschworen hatte, erst bei seiner Rückkehr zu öffnen. Er goss etwas in ein Glas und wollte es an ihre Lippen legen, doch Sybill Danning fuhr erschrocken hoch und schlug es ihm beinahe aus der Hand. Noch unter Schock stehend schien sie nicht bemerkt zu haben, dass die Gefahr vorbei war. Sie schlug wild um sich, schrie und kreischte und versuchte zu fliehen. Dass sie dabei immer wieder an die Wand stieß, bemerkte sie offenbar in ihrem Zustand nicht.
De’Querres zerrte sie vom Bett, fesselte sie mit seinen Armen, bis sie sich einigermaßen beruhigte und schnaufte sichtlich erleichtert, als bald ein Sanitäter auftauchte, ihr ein Beruhigungsmittel injizierte, sie kurz untersuchte und schließlich wieder ging, nachdem er keine behandlungsbedürftigen Verletzungen an ihr feststellen konnte.
Es dauerte einige Augenblicke, bis das Mittel soweit wirkte, dass sie offensichtlich wieder klar denken konnte. Sie blickte sich wirr um und als sie De’Querres entdeckte, wollte sie schon wieder aufspringen.
»He!«, machte er halb besänftigend, halb verärgert. »Im Gegensatz zu den Burgoisis kann ich schlussfolgern.« Er schielte zu dem noch immer gefüllten Glas Wyyk, schob den Gedanken aber beiseite. Er brauchte jetzt wirklich einen klaren Kopf.
Sybill wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und strich ihre verstrubbelten Haare zurück. »Ich hatte Recht!«, maulte sie wütend. Noch immer zitterte sie am ganzen Leib. »Ihr Atorrianer seid alle primitive Tiere.«
»Damit haben Sie wirklich Recht«, stimmte er ihr überraschend zu.
Sybill sah verwundert hoch. Offenbar glaubte sie nicht daran, dass sie beide einer Meinung sein könnten.
De’Querres nahm das Schmuckstück aus der Tasche und warf es ihr vor die Füße. »Wenn Sie mit einem Keeto’chei am Hals herumlaufen und es in aller Öffentlichkeit präsentieren, wird so ziemlich jeder Atorrianer zum Tier. Besonders die Burgoisis. Das war für die geradezu eine Aufforderung ihren animalischen Trieb an Ihnen auszulassen.«
Entsetzt blickte Sybill auf das Schmuckstück und nahm es schließlich schnell an sich. »Wie können Sie es wagen...?«
De’Querres unterbrach sie barsch. »Wie können Sie es wagen, mit einem alten Pajche-Zeichen am Hals herumzulaufen, ohne zu wissen, was es bedeutet? Damit hätten Sie die gesamte Ordnung durcheinander bringen können. Zum Glück wissen die Burgoisis an Bord, was sich gehört.«
»Das ist ein Erbstück meiner Mutter. Es ist mein Talisman. Ich trage es immer.«
De’Querres blickte sie forsch an. »Dann sollten Sie es tief in ihrer Unterwäsche verborgen halten, Commander. Besonders wenn Sie sich an Bord eines atorrianischen Schiffes befinden.«
»Ich …« Sybill nahm das Schmuckstück in beide Hände und presste es an ihre Brust. Das, was ihr beinahe spontan über die Lippen gesprudelt wäre, hatte sich im letzten Moment irgendwo in ihrer Kehle verfangen. Sie räusperte sich. »Ich hatte Angst«, gestand sie, wagte es aber nicht, dem Atorrianer ins Gesicht zu sehen. Sie senkte ihr Kinn und presste kurz die Lippen aufeinander. »Ich hatte Angst an Bord eines atorrianischen Schiffes zu gehen voller Atorrianern. Ich nahm meinen Talisman hervor und hoffte, dass er mich heil bis zu Ihnen bringen würde.«
»Das genau war der Fehler«, erwiderte er etwas sanfter. »Mit diesem Ding vor der Brust. Das ist das gleiche, wie ein Schild mit der Aufschrift „Nehmt mich. Ich bin Freiwild.“«
Sie sah hoch. »Was bedeutet es?«
»Es ist ein uraltes Pajche-Zeichen, eines der ersten atorrianischen Schriftzeichen und ist das Symbol für Fruchtbarkeit und Paarungsbereitschaft. Wir zivilisierten Kasten verwenden es nur noch symbolisch. Liebende schenken es sich als Zeichen ihrer Liebe, als Treuegelöbnis oder zur Versöhnung. Die Burgoisis benutzen diese Zeichen jedoch noch als gültige Schrift. Für sie besitzt jedes Zeichen eine bindende Bedeutung. Wenn sie das nächste Mal vorhaben, mit einem Keeto’chei durch ein atorrianisches Schiff zu marschieren, dann sollten Sie sich vergewissern, dass es auch nur derjenige zu Gesicht bekommt, der es auch in ihrem Sinne zu schätzen weiß. Stecken Sie es weg. Das ist das Beste.« Er nahm das Glas und bot es ihr an. »Es ist zwar atorrianisch, aber mindestens genauso wirksam, wie eines von Ihren.«
Sybill schüttelte den Kopf, worauf De’Querres das Glas auf den Tisch zurückstellte.
»Von wem bekam Ihre Mutter das Keeto’chei?«, erkundigte er sich beinahe wie beiläufig.
»Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht«, gab Sybill kratzbürstig von sich.
De’Querres straffte sich und nickte. »Da muss ich Ihnen beipflichten. Es geht mich nichts an.« Er schnaufte tief durch. »Was wollen Sie eigentlich hier?«
Sybill musste sich einen Moment sammeln, bevor sie die Nachricht loswerden konnte, für die sie sich persönlich auf den Weg gemacht hatte. Sie wollte diejenige sein, die ihm mitteilte, dass sich die ursprüngliche Situation bezüglich der Angelegenheit Lynd/Szixdans nahezu grundlegend verändert hatte.
»Lieutenant Isuzu schickte eine Eildepesche in mein Büro, weil Sie nicht zu erreichen waren«, begann sie zu erzählen. »Zu den bereits bekannten Kameraden gesellte sich vor wenigen Stunden ein weiteres Schiff dazu. Laut den letzten Meldungen des Geheimdienstes, ein modifizierter Traccierscher Kreuzer, bekannt unter dem Namen Nautus. Dieses Schiff befand sich bis vor Kurzem noch vor Badgjins, wo es in dem Verdacht stand, mit Feldherr Norg’jet’na in Verbindung zu stehen. Wir konnten bislang noch keine Beweise dafür finden. Ich wollte einen Aufklärungstrupp nach Badgjins schicken – das hat sich nun wohl erübrigt.«
De’Querres beäugte sie kritisch. »Warum sagen Sie mir das, Commander?«, wollte er berechtigt wissen. »Bei Ihrer Sympathie mir gegenüber, hätte ich eher damit gerecht, dass Sie mich ins offene Messer laufen lassen.«
»Trotz allem sind Sie ein Mitglied des Heeresbündnisses. Ich bin die Kommandantin des vereinigten Heeres und daher für alles verantwortlich. Es ist meine Pflicht, Sie zu warnen, auch wenn ich es lieber sehen würde, wenn jemand wie Norg’jet’na Sie zu Pulver verarbeitet.«
»Was ungefähr genauso viel bedeuten soll, wie: mein Vorschlag stößt auf Ablehnung«, schlussfolgerte er.
»Ihr Vorschlag!«, wiederholte sie betont und erhob sich. Sie baute sich herausfordernd vor ihm auf. Das Amulett ihrer Mutter hielt sie dabei fest in ihrer Hand, so als schöpfte sie die Kraft, die sie brauchte, um ein Wortgefecht gegen Alkaios De’Querres zu bestehen. »Das ist der Vorschlag eines arroganten, sich selbst überschätzenden Möchtegernheldens. Sie versuchen, meinen Posten an sich zu reißen. Das werde ich aber nicht zulassen.«
De’Querres grinste nur. Er schien diese Reaktion erwartet zu haben. »Dann will ich Ihnen mal etwas im Guten sagen, Commander Danning«, begann er betont besonnen. »Wenn Sie so weitermachen wie bisher, dann sind Sie ihren Posten los, ohne dass ich auch nur einen Finger krümmen muss. Bleiben Sie auf Ihrem festgefahrenen, voreingenommenen Kurs, dann kann ich es mir in einem Sessel bequem machen und in aller Ruhe darauf warten, dass Ihnen Ihre Arroganz und Ihre Selbstüberschätzung zum Verhängnis wird.«
»Ich weiß, wozu ich fähig bin«, gab sie trotzig zurück. »Und diesen zusammengewürfelten Haufen von Kriegern, Kämpfer, Söldnern und Soldaten zu einer nicht zu schlagenden Truppe zu machen, wird eines meiner leichtesten Übungen sein.«
»Sie sind eine bewundernswerte Theoretikerin, Commander Danning. Aber die Praxis sollten sie besser anderen überlassen.«
»Solchen wie Ihnen, nehme ich an«, entgegnete sie angriffslustig.
»Die Praxis ist gerade meine Stärke. Wir wären ein unschlagbares Team.«
»Ein Team? Mit Ihnen?« Sie schnaubte verächtlich. »Da wäre ich sicherlich besser dran, es mit Levern zu versuchen.«
»Seien Sie vorsichtig. Einem Gerücht zur Folge, soll erst kürzlich ein Lever mit Gehirn aufgetaucht sein.«
Sybill fauchte wütend, stieß De’Querres beiseite, der sich zwischen ihr und dem Ausgang befunden hatte und dampfte mit schnellen Schritten davon.
»Stecken Sie das Amulett lieber in die Tasche!«, rief er ihr hinterher und genehmigte sich endlich den Drink, den er für seine Vorgesetzte eingeschenkt hatte. Er ärgerte sich darüber, dass es ihm nicht gelingen wollte, Sybill Danning zu einer Einigung oder auch zu einem Waffenstillstand zu überzeugen. Zu sehr musste dieses unangenehme Erlebnis aus ihrer Vergangenheit noch in ihr nagen. Zu sehr übernahm diese Vergangenheit ihre Entscheidungen. Doch wenn sie nicht bald begriff, dass sie dieses Erlebnis nicht mit ihm persönlich in Verbindung bringen durfte und ihn und sämtliche Attorianer dafür büßen ließ, würde ihr dies bald zum Verhängnis werden. Er hoffte nur, dass er den Zeitpunkt so weit wie möglich hinauszögern konnte. Denn Sybill Danning war für das Heeresbündnis ebenso wichtig, wie er selbst, oder jedes einzelne Mitglied dieser noch in Kinderschuhen steckende Allianz.
Dann strich er seine Uniform glatt und machte sich auf den Weg zurück auf die Brücke. Dort angekommen ließ er sich ohne den üblichen Gruß für seine Crew in den Kommandosessel fallen und ortete eine Interkom-Verbindung zu Lieutenant Isuzu.
Während der Kommunikationsoffizier versuchte, die gewünschte Verbindung zustande zu bringen, rieb er sich die schmerzenden Schläfen. Obwohl er keinen Moment der feuchtfröhlichen Nacht mit seinem Freund bereute, wusste er, dass er besser daran getan hätte, wenn er auf das Trinkgelage verzichtet hätte. Er brauchte dringend einen klaren Kopf und entschloss sich zu einer kalten Dusche, sobald das Gespräch mit Isuzu beendet war.
Der weibliche Lieutenant erschien etwas abgehetzt auf dem großen Bildschirm, strich sich die weißen Haare zurück und beugte sich nach vorn, als sie das Gesicht erkannte.
»Alkaios De’Querres!« rief sie überrascht und erleichtert zugleich. »Es ist nicht einfach, Sie zu erreichen. Geht es Ihnen gut?« Sie musterte das Hologramm besorgt.
»Nichts, was mit einer kalten Dusche und ein paar Stunden Schlaf zu neutralisieren wäre«, antwortete er lächelnd. »Ich hörte, Ihre Gesellschafter haben Besuch bekommen.«
Die Frau nickte. »Das war die Überraschung heute Morgen. Diese Angelegenheit hier bekommt immer mehr Ähnlichkeit mit Ihrem Kartenspiel. Es wird geblufft und ein immer höherer Einsatz ausgespielt, bis schließlich der ganz große Trumpf kommt.«
»Was meinen sie mit großer Trumpf?«, erkundigte er sich interessiert.
»Das letzte Schiff soll mit Feldherr Norg’jet’na in Kontakt stehen.«
»Es ist nicht Norg’jet’nas Stil, etwas so auffälliges wie die Radonvorräte an sich zu bringen. Der Aufwand wäre auch zu groß und die Beute zu geringwertig. Da müsste er schon den ganzen Planeten stehlen, um annähernd seinem Stil gerecht zu werden.«
»Mit dem Diebstahl des Radon könnte er die Wirtschaft vieler Planeten ordentlich in die Knie zwingen.«
De’Querres nickte. »Das hätte aber nur verzögert und auf langfristiger Basis einen Erfolg. Das auf Sxizdans gelagerte Radon wird meist zur Herstellung von Bargeld oder zum Ausgleich der Kurse verwendet. Er würde damit nicht sofort eine Katastrophe heraufbeschwören. Ehe den einzelnen Planetensystemen das Bargeld ausgeht oder ihre Zahlungsmittel nichts mehr wert wären, würden sie auf andere Währungssysteme umstellen. Ich glaube nicht, dass jemand wie Feldherr Norg’jet’na die Geduld aufbringt, das Planetenbündnis mit kleinen Schritten zertreten zu wollen. Er ist eher auf große Paukenschläge spezialisiert. Mit wem auch immer dieses letzte aufgetauchte Schiff Kontakt aufnahm, ich bezweifle, dass es Feldherr Norg’jet’na war.«
»Wer sollte dann Interesse an dem Radon haben?«
De’Querres zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch nicht das Radon. Es ist nur so ein Gefühl. Ich kann mich aber auch täuschen.« Er rieb sich kurz die pochenden Schläfen und schloss seine müden Augen für einen Moment. »Ich befinde mich fast auf dem Weg zu ihnen.«
»Der Tisch ist bereits bestellt.«
De’Querres musste lachen. »Sind die Gerüchte über mich denn schon bestätigt worden?«, fragte er amüsiert.
»Es ist vollkommen unwichtig, ob sie stimmen oder nicht. Ich werde mit dem legendären Alkaios De’Querres essen.«
Der Atorrianer zeigte sich geehrt. »Ich hoffe für Sie, dass Ihre Erwartungen erfüllt werden, Lieutenant Isuzu.«
Ihre dunklen Augen glitzerten herausfordernd. »Ganz bestimmt.«
De’Querres konnte sich eines verschmitzten Schmunzeln nicht erwehren. »Bis bald«, sagte er abschließend, schenkte ihr noch ein aufrichtiges Lächeln und nickte dem Kommunikationsoffizier zu, die Verbindung zu unterbrechen. Das vielsagende Grinsen seiner Offiziere bemerkte er zwar, ignorierte es jedoch. Ihn beschäftigten im Moment mehr seine Kopfschmerzen, als die Gefahr einer aufkeimenden Vermutung, die ohne Einhalt oder Richtigstellung zu einem schnellläufigen Gerücht werden konnte. Er war sich derzeit selbst nicht sicher, was er von Lieutenant Isuzu halten sollte. Das einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er dafür sorgen musste, dass er bei klarem Verstand war, wenn sie Szixdans erreichten. Daher erhob er sich, verabschiedete sich mit einem entsprechenden Blick von seinem ersten Offizier und begab sich in seine Kabine.
Sybill feuerte den Lichtgriffel an die Wand, mit dem sie zuvor einige Pläne zu erstellen versuchte, während sie einer Kopie der Gespräche zwischen Isuzu und De’Querres lauschen wollte. Die Pläne gerieten rasch in den Hintergrund, als sie bemerkte, dass zwischen den beiden mehr ablief, als nüchterne Lagebesprechung. Nach dem dritten Mal abspielen der Aufzeichnungen, platzte ihr der Kragen und sie fegte mit einer wütenden Handbewegung alles vom Schreibtisch, was sich darauf befunden hatte – außer dem Holoprojektor, der fest auf der Tischplatte installiert war. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte sie das leicht unscharfe Bild des weiblichen Offiziers mit den schlohweißen Haaren und den heißblütigen Augen. Obwohl Sybill diese Gedanken nicht wahrhaben wollte, musste sie zugeben, dass Isuzu durchaus attraktiv war und auf Männer einen gewissen Reiz ausüben musste. Die Frau wusste, was sie wollte und offensichtlich hatte sie es nun auf den Atorrianer abgesehen.
Sybill musste zugeben, dass sie selbst kaum das bieten konnte, was dieses gertenschlanke bleichgesichtige Weib zu bieten hatte. Sie selbst fand sich schon immer ziemlich unattraktiv, war immer korpulenter und grobschlächtiger als andere Mädchen ihres Alters gewesen, hatte schon immer große Probleme mit ihren widerspenstigen Haaren gehabt, sodass sie sie irgendwann ziemlich kurz hielt. Sie konnte noch nie mit den mageren Schönheitsidealen mithalten, an denen junge Frauen gemessen wurden. Dafür hatte sie stets größere Körperkräfte besessen, war ausdauernder und leistungsfähiger gewesen. Im Sport war sie stets die Beste, in musischen Fächern hingegen eine Niete. Jemand wie sie würde niemand in ein Schaufenster stellen wollen. Die Grazie und die Anmut ihrer eher zierlichen Mutter und die Fähigkeit die Sympathie eines jeden auf sich zu ziehen, hatten sich offensichtlich nicht in ihren Genen verewigt. In diesen Punkten musste sie eher auf ihren Vater, den sie kaum kannte, kommen.
Irgendwann hatte sie mit ihrem wenig liebreizenden Körper Frieden geschlossen und sich entschieden, ihre speziellen Fähigkeiten zu fördern und ihren leistungsstärkeren Körper zu benutzen, um es zu etwas zu bringen. Sie trat in den Militärdienst ein und kletterte schnell eine steile Karriereleiter hoch. Ihre Verbissenheit und ihr Ehrgeiz hatten sie auch schier unlösbare Aufgaben durchstehen lassen und sie bis dahin gebracht, wo sie heute saß.
Doch eines war ihr stets versagt geblieben – die Liebe.
Männer sahen in ihr eher einen Kumpel, mit dem man trinken und raufen konnte, und nicht ein zartbesaitetes Mädchen, das geliebt und umgarnt werden wollte. Daher gab es bislang nur wenige Männer, die sich für mehr als für die aufstrebende Offizierin interessiert hatten. Und wenn sie glaubte, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie eine innige Beziehung aufbauen könnte, dann stellte sich recht bald heraus, dass er sie lediglich dazu benutzte, um selbst einen Schritt auf seiner Karriereleiter höher zu steigen.
Als De’Querres auftauchte, hatte sie das Kapitel Männer aus ihrem Leben längst herausgestrichen und sich mit Leib und Seele ihrem Beruf gewidmet. Das war auch der Grund, warum sie den Posten als Kommandantin des Heeresbündnisses angenommen hatte. Als solches würde sie keine Zeit haben, sich um Beziehung oder Familie zu kümmern und gar nicht erst auf solche Gedanken kommen. Doch mit dem Atorrianer war ihr Entschluss arg ins Wanken geraten. Obwohl er jener Spezies angehörte, die sie am liebsten vom Angesicht des Diesseits ausgelöscht hätte, konnte sie sich ein gewisses Kribbelns nicht erwehren. Und obwohl sie sich verzweifelt gegen jegliches Gefühl für De’Querres wehrte, verspürte sie Eifersucht in sich aufquellen. Neid erfüllte sie, als sie sah, dass der Atorrianer mit der Keetanerin flirten und lachen konnte und sich von ihr anbaggern ließ. Das Gesicht hätte sie ihm am liebsten zerkratzt, als sie ihn mit einer anderen als sie selbst lachen sah. Doch gleichzeitig wusste sie auch, dass er mit ihr niemals so locker umgehen würde, wie mit der Keetanerin. Zum Einen war Sybill seine Vorgesetzte und sie würde diesen Standpunkt auch eisern fordern und zum anderen gab sie ihm kaum die Gelegenheit dazu. Sie verhielt sich ihm gegenüber kalt und unnahbar. Nicht gerade eine Grundlage dafür, dass er sich in sie verliebte. Er würde sie wohl eher in einer Luftschleuse aussetzen und die Schotts in den Weltraum öffnen, als sie in den Arm zu nehmen und zu küssen.
Sybill sprang von ihrem Stuhl und stieß den Schreibtisch von sich. In einem plötzlich aufkeimenden Wutausbruch stürzte sie sich auf die Hologramme der beiden und fiel prompt ins Leere. Irgend etwas in ihr war explodiert und hatte den seit langem unterdrückten Frust, die seit Tagen, Wochen und sogar Jahren aufgestaute Wut, die Verzweiflung und die Panik, von der sie erfüllt war, als sie von den drei Atorrianern belästigt wurde, an die Oberfläche gespült und mit einem Mal frei gesetzt. Sie wurde überschwappt von einer Welle der Emotionen, der sie nicht Herr werden konnte. Wie wild drosch sie auf die in den Raum projizierten Bilder ein, immer wütender werdend, da sie keinen der beiden traf. Ihre Schläge trafen nur Luft. Sie schaukelte sich immer mehr auf, keuchte und kämpfte, schrie und kreischte und versuchte verzweifelt ihren wild durcheinander gewürfelten Gefühlsbrei gerecht zu werden. Sie wollte es loswerden. Es musste raus. Die Druckwelle der Explosion drohte sie zu zerreißen. Sie glaubte zu platzen. Ihre Stimme überschlug sich, gellte kreischend in ihren eigenen Ohren - so unnatürlich, so gar nicht wie ihre eigene, so übertrieben, so hysterisch. Sie schlug und trat. Ihre Arme und Beine schmerzten und stets hatte sie die lachenden Gesichter von De’Querres und Isuzu vor ihren Augen, so als wollten die beiden sie auslachen. Sie wusste auch, dass sie sich lächerlich benahm. Doch sie konnte nicht mehr zurück. Es war wie ein Rausch. Sie war festgefahren in einer Schiene, aus der sie sich nicht befreien konnte. Es gab nur eine Richtung – und die schien geradewegs in den Wahnsinn zu führen. Sie kämpfte und focht, um sich aus diesem Gefängnis zu befreien. Sie fühlte sich wie in einer Druckkammer, deren Regler stetig die Gravitation verringerte, sodass ihr Innerstes immer stärker nach außen drängte. Sie kratzte und biss und schmeckte bitteres Salz und heißes Blut auf ihrer Zunge.
Dann hatten sich urplötzlich starke Zangen um sie gelegt. Sie spürte einen kurzen aber starken Druck an ihrer Schlagader, der offensichtlich als längst notwendiges Ventil genügte, denn ihr Innerstes hörte rasch auf, zu kochen. Der Druck baute sich fast schlagartig ab und zurück blieb binnen weniger Augenblicke eine bodenlose Leere. Sie fühlte, wie Tränen über ihre Wangen rannen. Sie hörte sich selbst schluchzen. Ihre Gliedmaßen zitterten vor Anstrengung. Sie spürte den Druck von starken Armen, die sich unter ihren Händen zart und samtig anfühlten. Beinahe erleichtert ließ sie sich in diese Umarmung hinein gleiten, genoss jeden Moment dieser seidenweichen Berührung und sank schließlich in eine wohltuende Ohnmacht der Erschöpfung.
Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich in einem weißen, emotionslosen, beinahe schon sterilen Raum. Sie begriff gleichzeitig, wo sie sich befand und war erleichtert, dass sie sich in einem Krankenhaus befand. An ihrem Bett stand Captain Beegje, seine Stirn in wulstige Falten gelegt. Er beugte sich etwas zu ihr, legte seine Hand auf ihre Schulter und tätschelte sie besänftigend.
»Wie fühlen Sie sich, Commander Danning?«, erkundigte er sich besorgt.
»Besser«, keuchte sie. Ihre Stimme klang heißer. Ihre Stimmbänder waren offenbar wund geschrien. Ihr ganzer Körper schmerzte. Er fühlte sich an wie knisternde Watte.
»Der Alkaios rief mich kurz vor seiner Abreise an und bat mich, ein Auge auf sie zu werfen. Es gab auf seinem Schiff einen Zwischenfall mit Burgoisis und er meinte, obwohl Sie einen gefestigten Eindruck machten, als Sie ihn verließen, sollte ich Sie beobachten.« Er nahm seine Hand zurück und richtete sich wieder auf. »Und er bat mich, Sie dazu zu überreden, seinen Vorschlag noch mal zu überdenken und anzunehmen. Haben Sie etwa abgelehnt?«
»Ich kann nicht mit ihm arbeiten. Ich halte das nicht aus.«
»Dann sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, sich versetzen zu lassen.«
Sybill riss die Augen auf und starrte den Mann, von dem sie gedacht hatte, ihm vertrauen zu können und ihn absolut hinter ihrem Rücken stehen zu sehen, fassungslos an.
»Alkaios De’Querres unterbreitete seinem Vorschlag dem Senat und fand dort begeisterten Anklang. Ihnen wird keine andere Wahl bleiben, als anzunehmen oder zu gehen.«
Sybill fauchte wütend. »De’Querres ist ein hinterlistiger und durchtriebener Bastard. Merken Sie nicht, dass er sich meinen Posten unter den Nagel reißen will?«
»Nein!« Die Stirnfalten des Telluren strafften sich. »Alkaios De’Querres will das Beste für das Heeresbündnis. Und das Beste sind sie beide.«
»Sie standen schon immer auf der Seite von De’Querres«, sagte sie ihm mit Verachtung auf den Kopf zu. »Wie wäre es, wenn Sie sich versetzen lassen. Am besten als Stiefellecker von De’Querres.«
Captain Beegje schien mit dieser wenig respektvollen Antwort gerechnet zu haben. Seine Miene verzog sich nicht. Das Fell auf seiner Stirn blieb glatt und reglos. Vollkommen unbeeindruckt entgegnete er ihren Worten. »Das habe ich bereits getan. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Weg viel Erfolg.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ließ sie allein. Auch ihr scharfer Ruf vermochte nicht ihn zurückholen.
Sybill hieb wütend mit der Faust auf die Matratze und spürte dann, wie Tränen in ihre Augen drangen.
Lieutenant Isuzu erwartete ihn bereits im Hangar, wo er mit seiner Fähre landete. Sie wollte sich offenbar persönlich davon überzeugen, dass ihr Gast wohlbehalten eingetroffen war und sich selbst um ihn kümmern.
»Alkaio De’Querres!«, rief sie sogleich, als er die Rampe verlassen hatte und kam rasch näher. Ihre dunklen Augen leuchteten erwartungsvoll. Ein aufrichtiges Lächeln hatte es sich in ihrem Gesicht breit gemacht. »Es ist mir eine Ehre, Sie an Bord meines Schiffes begrüßen zu dürfen.«
»Lieutenant Isuzu.« Der atorrianische Feldherr war nicht viel zum Schlafen gekommen. Kurz nachdem er in einen tiefen und festen Schlaf gesunken war, riss ihn auch schon die dringliche Nachricht von Captain Beegje von Sybill Dannings Nervenzusammenbruch wieder aus dem erholsamen Schlummer. Danach fand er nicht mehr die nötige Entspannung und widmete sich daher den Berichten des Geheimdienstes und Isuzu. Zum Schlafen war er nicht mehr gekommen. Kurz vor der Ankunft hatte er noch eine kalte Dusche genommen, um wenigstens die Müdigkeit ein wenig fort zu spülen. Doch nun schien sie ihn wieder in Besitz nehmen zu wollen. Er schwor, sich nie wieder so weit hinreißen zu lassen – auch wenn ihn das Heimweh schier umbrachte.
»Die Ehre liegt auf meiner Seite«, erwiderte er galant und schenkte ihr ein ebenso aufrichtiges aber müdes Lächeln. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte er, dass sie höflich genug war, dies nicht zu bemerken. »Hat sich in der Zwischenzeit etwas getan?«, erkundigte er sich interessiert.
»Aus bislang noch ungewisser Quelle kam die Bestätigung, dass das letzte Schiff tatsächlich kurz vor seiner Abreise in Kontakt mit Norg’jet’na stand«, berichtete sie und wies ihn mit einer einladenden Geste in Richtung Ausgang.
»Eine ungewisse Quelle?« De’Querres folgte der weißhaarigen Frau durch die Korridore des Beobachtungsschiffes. »Was meinen Sie damit?«
»Wir erhielten eine anonyme Nachricht, die sich auf unsere Anfrage bezüglich der Identifikation des Neuankömmlings bezog. Sie besagt, dass die Besatzung der Nautus auf der Norg’jet’nas Honorarliste steht.«
»Wenn das tatsächlich der Wahrheit entspricht, wird es Zeit, dass Sie Ihre Fähigkeiten im Kartenspiel verfeinern.«
Isuzu lachte kurz auf und warf ihm einem amüsierten Seitenblick zu. »Ich bin keine Spielerin und daher mehr als froh darüber, dass ein erfahrener Mann wie Sie meinen Platz am Kartentisch übernimmt. Ich kann Ihnen alle gewünschten Annehmlichkeiten darreichen und Handlangertätigkeiten übernehmen, aber die erforderlichen Spielzüge müssen Sie verrichten.«
»Sie halten sich bisher ganz gut«, bemerkte er anerkennend. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie es auch ohne meine Hilfe schaffen würden.«
»Machen wir uns nichts vor«, ging Isuzu nicht auf das Kompliment ein. »Wenn Sie mich für so fähig halten würden, dieses Spiel bis zum Ende durchzuhalten und auch noch zu gewinnen, wären Sie nicht hier.« Sie hielten vor einem Expresslift an und Isuzu betätigte den Rufknopf. Mit einer Handbewegung, in der sie ihr offenes weißes Haar zurück strich, sprach sie weiter. »Ich bin umsichtig genug zu wissen, wann meine Fähigkeiten an ihre Grenzen stoßen und ich mich lieber zurückziehen sollte. Ich weiß nicht, wie wichtig diese Angelegenheit ist und was diese Radon-Diebe bezwecken, aber als ich erkannte, dass ich mit meinem Können und dem mir zur Verfügung gestelltem Material eher versagen oder alles noch verschlimmern würde, rief ich lieber um Hilfe.« Die Lifttüren öffneten sich kurz nach einem leisen ankündigenden Pling. Mit einer einladenden Bewegung bot sie dem Attorianer an, die Kabine als erster zu betreten. »Ich kann es eher ertragen, eine helfende Hand zu akzeptieren oder ganz das Zepter an einen Fähigeren abzugeben, als meine Mission als gescheitert zu sehen.«
»Lobenswert!« De’Querres lehnte seinen Kopf an die kühle Wand der Liftkabine.
»Sind Sie krank?«, wollte die Frau besorgt wissen.
De’Querres schüttelte vorsichtig den Kopf. »Kurz vor meiner Abreise traf ich noch einen alten Freund. Wir plauderten die ganze Nacht über alte Zeiten.«
»Und begossen dieses Zusammentreffen offensichtlich mit reichlich alkoholisiertem«, fügte sie an.
De’Querres verzog die Mundwinkel. »Aus manchen Fehlern lernt man nie.«
»Und ich dachte, Sie seien unfehlbar«, gab sie mit einem amüsierten Lächeln von sich.
»Damit hätten wir ja schon ein falsches Gerücht aus der Welt geschafft.«
»Wenn Sie noch mehr Überraschungen zu bieten haben, muss ich wohl arg an dem Bildnis Ihrer Legende zweifeln.«
»Das wird sich noch herausstellen«, entgegnete er und verzog kurz das Gesicht, als die Kabine mit einem kaum merkbaren, aber für ihn unerträglichen Ruck anhielt. »Ich hatte Sie aber vorher schon gewarnt, nicht alles als bare Münze zu nehmen, was Ihnen über mich zugetragen wurde.«
»Und ich hatte Ihnen gesagt, dass es mir gleichgültig ist, ob die Gerüchte stimmen. Unser gemeinsames Essen ist arrangiert. Daran werde ich eisern festhalten.«
Der Atorrianer konnte sich eines Grinsens nicht erwehren.
»Ich zeige Ihnen nun Ihr Quartier« Sie zeigte in eine Richtung des Korridors, in den sie nun getreten waren. »Dort können Sie sich von der Reise etwas ausruhen. Ich werde Ihnen von der Krankenstation etwas bringen lassen. Dann werden Sie sich bald besser fühlen.«
»Ich hätte gern vorher die Situation etwas näher kennengelernt.«
»Wenn ich bereit bin, Hilfe anzunehmen, dann sollten Sie das auch sein. Es nützt niemandem, wenn in Ihrem verkaterten Kopf keine klaren Gedanken reifen können. Damit unterstütze ich keineswegs Ihre vermeintliche Trunksucht oder Ihren Hang, gegen Bestimmungen zu verstoßen. Mir geht es um die Mission, mit den erdenklich besten Mitteln zu erfüllen.« Ihr Lächeln war frech, aber dennoch wissend.
»Ich frage mich ernsthaft, wer von uns beiden der fähigere Spieler ist.«
Lieutenant betätigte einen Knopf und eine Tür schräg gegenüber dem Expresslift öffnete sich. Sie hob ihre Hände, so als wollte sie nichts berühren. »Ich bin aus dem Spiel weitgehend ausgetreten. Ob Sie es wollen oder nicht, Sie sind nun dran.«
»Das hinterlässt einen mächtigen Kratzer im makellosen Antlitz meiner Legende, nicht wahr?«
»Ganz im Gegenteil. Das macht die Person, die hinter dieser Legende steckt noch viel interessanter für mich persönlich.«
„Oh!« machte De’Querres scheinbar beeindruckt. »Da muss ich mich hüten, einen weiteren Fehler zu begehen.«
Lieutenant Isuzu lächelte aufreizend und strich ihre weißen Haare aus dem Gesicht. »Ich hole Sie in vier Stunden wieder ab. Bis dann werden meine Experten hoffentlich wissen, wer hinter dieser ominösen Nachricht steckt.«
»Ich danke Ihnen.« Der Atorrianer nickte ihr kurz zu, dann drehte er sich um und betrat das ihm zugewiesene Quartier. Für die Annehmlichkeiten des Raumes besaß er keinerlei Interesse. Ihm blieben vier Stunden, um eine Nacht Schlaf nachzuholen und den verflixten Brummschädel wieder loszuwerden. Er entledigte sich gerade noch seiner Jacke und den Stiefeln, sank auf das Bett nieder und war einen Augenblick später auch schon eingeschlafen.
Sybill Danning schreckte hoch, als in ihrer unmittelbaren Nähe etwas laut scheppernd zu Boden fiel. Erschrocken blickte sie sich um und entdeckte eine Krankenschwester, die Reste eines Geschirrs auf ein Tablett sammelte und ihr einen entschuldigenden Blick schenkte. Murrend sank Sybill in ihr Kissen zurück. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie eingeschlafen war. Wie lange sie geschlafen hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Es konnte aber nicht allzu lange gewesen sein, denn sie fühlte sich nicht wohl. Ihr Körper war heiß und zittrig, als bahnte sich ein gewaltiger Fieberschub an. Ihre Arme, ihr Oberkörper, ihr Hals und ihr Gesicht schmerzten und glühten, als hätte sie sich zu lange ungeschützt der prallen Sonne ausgesetzt. Prüfend betrachtete sie ihre Arme und musste rötliche Flecken an Ober- und Unterarmen entdecken. Sie musste sich wirklich nicht wohl fühlen. Vermutlich setzte ihr die momentane Situation mehr zu, als sie sich eingestehen wollte.
»Verzeihen Sie bitte«, meldete sich die Krankenschwester zaghaft zu Wort. »Ich soll Ihnen eine Nachricht zukommen lassen, sobald Sie erwacht sind.«
Sybill musste räuspern, ehe sie einen Ton herausbringen konnte. »Eine Nachricht? Von wem?«
Die Schwester zuckte mit den Achseln. »Eine Dame vom Senatssekretariat rief vor einiger Zeit an und ließ ausrichten, dass Senator Sdinge Sie zu sprechen wünschte – persönlich. Das soll ich Ihnen ausrichten.«
»Danke!« Sybill nickte der Schwester zu, dann drehte sie sich auf die andere Seite und schloss die Augen. Sie fühlte sich nicht gut. Sie fühlte sich nicht in der Lage, mit Senator Sdinge zu sprechen. Was auch immer er von ihr wollte, es musste noch eine Weile warten.
Die Schwester verließ das Zimmer und ließ die Kommandantin allein. Sybill wollte eigentlich noch ein wenig schlafen, doch der Schlaf wollte nicht über sie kommen. Sie war zu aufgewühlt. Ihr ganzer Oberkörper glühte. Ihre Glieder schmerzten und je länger dieser Zustand andauerte, desto zerschlagener und müder fühlte sie sich. Sie konnte nicht genau sagen, was sie dazu gebracht hatte, auf Holobilder einzuschlagen und sich wie eine wildgewordene Furie aufzuführen. Sie konnte nicht mehr sagen, warum sie sich überhaupt so aufgeregt hatte. Sollte dieser Atorrianer doch tun und lassen, was er wollte, es sollte nicht ihr Ding sein, sich darum zu kümmern, geschweige denn sich deswegen Gedanken zu machen. Und vor allem hatte sie sich nicht darüber aufzuregen, dass er mit einer anderen Frau anbandelte. Doch insgeheim spürte sie, dass es sie ziemlich wurmte. Es störte sie, dass er ihr gegenüber nicht dasselbe aufrichtige Lächeln aufbrachte und diesen verheißungsvollen Glanz in seinen Augen besaß. Es störte sie, dass seine Stimme ihr gegenüber stets hart und unnachgiebig klang und nicht dieses melodische Etwas in ihr mitschwang. Es störte sie, dass sie ihn nicht ausstehen konnte. Viel lieber würde sie mit ihm Stigchs-Braten essen gehen, als diese bleichgesichtige Keetanerin, die nach Sybills Ansicht, so gar nicht zu dem heißblütigen Atorrianer passte.
Tränen quollen ihr ins Gesicht, als sie sich die Szene vorstellte, in denen De’Querres Isuzu mundgerechte Stücke wohlduftenden Bratens in den Mund schob. Doch dann schob sie eisern entschlossen, die Gedanken beiseite, schlug die Decke auf und kletterte aus dem Krankenbett. Schnell kleidete sie sich an und verließ das Krankenhaus. Es hatte ihr gut zu gehen, sagte sie sich immer wieder. Zuerst ging sie in ihr Appartement, bedachte die geröteten Stellen mit heilender Salbe, dann machte sie sich auf den Weg zu Senator Sdinge.
Mit frischem Mut und vollem Elan betrat sie sein Büro und trat entschlossen an den Tisch seiner Sekretärin.
»Der Senator wollte mich sprechen«, sagte sie so sachlich wie möglich und wartete nicht erst auf das zustimmende Nicken der Frau, sondern ging gleich zu seinem Büro. Die Sekretärin hatte nichts dagegen einzuwenden. Offenbar wartete der Senator schon seit längerem auf ihr Eintreffen.
Sein Kopf fuhr hoch, als Sybill eintrat, dann huschte schnell ein freudiges Lächeln um seine Lippen, das sich jedoch sehr rasch in eine ernste Miene verwandelte.
»Commander Danning! Endlich! Ich habe schon auf Sie gewartet!« Er deutete einladend auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Sie sehen schrecklich aus. Geht es Ihnen nicht gut? Ich hörte, es gab einige Zwischenfälle. Brauchen Sie Urlaub?«
»Es ist eine unpassende Zeit für Urlaub«, gab sie knapp zurück. »Sie wollten mich persönlich sprechen. Um was handelt es sich?«
»Um gleich zur Sache zu kommen: um Alkaios De’Querres Antrag bezüglich der Führungsebene des vereinigten Heeres. Sie wissen, um was es sich dabei handelt?«
Das Blut schoss ihr in den Kopf. Der Atorrianer hatte seine Drohung wahr gemacht. »Nicht genau«, sagte sie heißer.
»Ja … Sehen Sie«, druckste der Senator herum und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Alkaios De’Querres unterbreitete dem Senat einen Vorschlag, eher einen Verbesserungsvorschlag, was die Führungsebene der Verteidigungskräfte betrifft. Er meinte, dass sie beide – er und Sie – gemeinsam die Spitze bilden sollten, weil sie sich in ihren Fähigkeiten ergänzten. Der ganze Senat und auch ich halten das für eine grandiose Idee. De’Querres Können und Ihr begnadetes Organisationstalent könnten aus diesem zusammengewürfelten Haufen eine unbesiegbare Streitmacht machen.« Sdinge hatte während seiner Erklärung immer begeisterter gesprochen. »Was halten Sie davon?«, erkundigte er sich.
»Das ist nicht machbar«, gab Sybill nüchtern von sich, worauf Sdinges Gesicht beinahe stehen blieb.
»Wie meinen Sie das „nicht machbar“?«
»Alkaios De’Querres Absicht war von vornherein die, die Führung des Heeres an sich zu reißen. Sein ganzes Bestreben lag darin, Atorr zu mehr Macht zu verhelfen und sich selbst in den Ruhmeshimmel zu heben. Ich hatte stets versucht, ihn auf den Teppich herunter zu holen, doch der Mann ist nun mal größenwahnsinnig und machtbesessen und ich denke, so schnell nicht heilbar.«
»Was sagen Sie da?«, zeigte sich der Senator entsetzt. »Ich habe den Alkaios als besonnenen aber überaus fähigen Mann kennen gelernt, der auch mal seine persönlichen Belange zurücksteckt, wenn es die Situation verlangt.«
»Er ist gerissen«, wusste Sybill. Sie war plötzlich die Ruhe selbst. Sie hatte sich auf dem Herweg eine Version ausgedacht und an dieser Version klammerte sie sich beinahe verzweifelt fest. »Aber mich konnte er nicht täuschen. Ich habe ihn durchschaut. Sein Ziel war stets, die Führung des Heeres zu übernehmen. Dafür bekommt er auf seinem Heimatplaneten sicherlich einen Verdienstorden oder ähnliches. Sie dürfen nicht auf diesen Vorschlag eingehen. Er wäre für das Planetenbündnis mehr als gefährlich.«
»Die Mehrheit des Senats ist von diesem Vorschlag angetan und er wurde bereits einstimmig angenommen.«
Sybill verkrampfte sich. »Das können Sie nicht zulassen!«
Sdinge blickte sie prüfend an. »Ich weiß nicht, welche Antipathie Sie gegenüber De’Querres oder den Atorrianern hegen, aber Sie sollten sie schnellstens aus dem Weg schaffen. Denn entweder werden Sie mit dem Alkaios Hand in Hand arbeiten, oder...«
»Oder was?«, fuhr sie ihm vorschnell ins Wort, noch ehe er seine Drohung aussprechen konnte.
»Hinter Alkaios De’Querres steckt eine geballte Kraft, die wir dringend benötigen. Wir können eher auf Sie verzichten, Commander Danning, als auf diese Macht, die wir sozusagen mit De’Querres geschenkt bekommen. Er ist ein überaus talentierter Kriegsherr und wird das vereinigte Heer ebenso ruhmreich führen, wie er seine atorrianischen Flotten führte. Der gesamte Senat und auch ich zweifeln absolut nicht an dessen Aufrichtigkeit.« Er betrachtete sie musternd. »Wenn Ihnen die ganze Angelegenheit zu viel geworden ist, dann scheuen Sie sich nicht, es zu sagen. Gönnen Sie sich ein paar Tage Urlaub, denken Sie über alles nach und kehren frisch und ausgeruht zurück, um mit Alkaios De’Querres gegen Feinde wie Feldherr Norg’jet’na zu bestehen.«
»Ich werde Alkaios De’Querres nie an meiner Seite dulden«, presste sie hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich habe dieses Heer aufgebaut und es erst zu dem gemacht, was es jetzt ist. Ich habe es aus dem Nichts gestampft und zu einem ernstzunehmenden Gegner gemacht. De’Querres will sich nur in ungerechtfertigte Lorbeeren setzen, Verdienste, für die er nicht einmal einen Finger krumm gemacht hat.«
»Ich bezweifle, dass Alkaios De’Querres Ihnen Ihre Verdienst in Bezug auf die Zusammenstellung des Heeres streitig machen will. Ich glaube vielmehr, dass er um dessen Wohlergehen besorgt ist. Sie beide arbeiten zurzeit gegeneinander. Es gibt Spannungen innerhalb des Heeres. Es spaltet sich in mehrere Teile. Das kann ich nicht zulassen. Das kann der Senat nicht zulassen. Commander Danning, so ungern ich das nun ausspreche, aber Sie sind für diesen Posten ungeeignet, wenn Sie nicht gewillt sind, Kooperation und Teamgeist zu entwickeln.«
»Sie unterstellen mir, dass ich nicht um das Wohlerheben des Heeres besorgt bin?« warf sie ihm gereizt an den Kopf. »Wo es doch mein Kind ist! Ich habe es zum Leben erweckt.«
»Und jetzt wollen Sie ihm den Garaus machen«, erwiderte er unbeeindruckt. »Wir brauchen Alkaios De’Querres und das, was hinter ihm steht. Sie haben nichts weiter zu bieten, als ein kluges Köpfchen. Das sollten Sie bedenken.«
Sybill erhob sich. Ihre Finger traten weiß hervor, als sie sie zu festen Fäusten ballte. »Ich lasse mich nicht von einem daher gelaufenem Emporkömmling einfach aufs Abstellgleis schieben!«, wetterte sie. »Ich werde nicht gehen und eine Kooperation mit De’Querres kommt für mich nicht in Frage.«
»Wenn das so ist, Commander Danning, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihre Absetzung zu bestimmen. Der Senat kennt Ihre Abneigung gegenüber den Atorrianern und hat für den Fall Ihrer Weigerung, Alkaios De’Querres als alleinigen Oberbefehlshaber des vereinigten Heeres bestimmt. Wir verlieren Sie ungern, aber wenn Sie es nicht anders wollen …« Er deutete zur Tür. Ein untrügliches Zeichen, dass das Gespräch beendet war, er das letzte Wort ausgesprochen hatte und zu keinen weiteren Kompromissen bereit war. »Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg auf Ihrem weiteren Werdegang. Auf Wiedersehen, Commander Danning«, fügte er an und widmete sich wieder seinen Papieren, als sei die junge Frau gar nicht mehr vorhanden.
Sybill blieb fassungslos stehen. Sie konnte es nicht glauben, dass sie eben gefeuert worden war. Hatte ihre Starrsinnigkeit sie soweit gebracht? Oder war es alleinig De’Querres Verdienst, dem es nun endlich gelungen war, sie von ihrem Posten zu schupsen? Vielleicht war es besser so, redete sie sich ein. Sie hätte ohnehin nicht mit dem Atorrianer zusammenarbeiten können. Wortlos drehte sie sich um und verließ das Büro.
De’Querres schreckte aus dem Schlaf und blickte sich verwirrt um. Für einen Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Er brauchte einen langen Augenblick, um sich die Geschehnisse in sein Gedächtnis zurück zu rufen und sich selbst daran zu erinnern, dass er Gast von Lieutenant Isuzu war. Er hätte auch in seinem eigenen Schiff den versäumten Schlaf nachholen können, doch irgendwie war es anders gekommen. Sie hatten nicht darüber gesprochen und nichts abgesprochen. Lieutenant Isuzu hatte ihn einfach in dieses Quartier geführt und Serge fügte sich, ohne darüber nachzudenken. Wie müde und ausgelaugt musste er gewesen sein. Eigentlich einer der größten Fehler für jemanden wie ihn, doch er wusste auch, dass er sich unter Freunden befand und daher dieses Angebot annehmen konnte.
Er wusste auch plötzlich wieder, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Im Traum war ihm Commander Danning erschienen, die ihn hämisch lachend vor einem Berg von Arbeit stehen ließ und von dannen zog. Eine schrille Alarmglocke hatte seine Bestürzung über ihren Weggang nur noch unterstützt. Die Alarmglocke ertönte abermals, aber nun war er wach. Er entdeckte, dass es sich nicht um eine Alarmglocke handelte, sondern der Interkompiepser war. Er blickte auf seinen Chronometer. Lieutenant Isuzu war äußerst pünktlich. Fast auf die Sekunde genau vier Stunden war es her, seit er todmüde ins Bett gefallen war.
Er hievte seine Beine über die Bettkante, wischte über sein Gesicht und schaltete den Interkomwecker ab. Dann wusch er sich schnell den letzten Rest Müdigkeit aus dem Gesicht, kleidete sich an und verließ das Quartier. Auf dem Korridor kam ihm bereits die weißhaarige Lieutenant entgegen. Auf ihrem Gesicht erschien sogleich ein aufrichtiges Lächeln, als sie ihn erblickte.
»Guten Morgen!«, grüßte sie fröhlich. »Ist der Kater woanders schnurren gegangen?«
Serge musste ebenfalls lächeln. Dieses freundliche Gesicht und die nette Art der Keetanerin taten ihm richtig gut. Wie sehr hatte er unter der abweisenden Haltung von Commander Danning gelitten.
»Ich denke schon«, gab er ebenso fröhlich zurück. »Eine Erkenntnis brachte mir dies jedenfalls. Ich werde mich nie wieder zu einem Saufgelage hinreißen lassen, wenn ich am nächsten Tag wichtiges zu tun habe.«
Isuzu lachte. »Für Ihre bis dato makellose Personalakte wäre es elementar. Sie sehen wesentlich besser aus.«
»Danke!«, entgegnete De’Querres. »Konnten Sie inzwischen Neues über die ominöse Nachricht bekommen?«
Die Lieutenant schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
»An wen schickten Sie die Anfrage bezüglich der Identifikation der Nautus?«, wollte er wissen.
»Ich dachte eigentlich, ich führe Sie erst einmal herum und stelle Ihnen einige meiner Leute vor«, sagte sie etwas enttäuscht.
»Sie wollen die Koryphäe herumführen«, erriet er richtig und ließ ein breites Grinsen erkennen. »Lassen Sie mich erst einmal meinem ersten Offizier Bescheid geben, dann können wir die Tour beginnen.«
Dankbar lächelte ihn Isuzu an und lud ihn mit einer Handbewegung in eine Richtung des Korridors, aus dem sie gerade gekommen war. Auf der Brücke des Kreuzers ordnete die Lieutenant eine Verbindung zu De’Querres Schiff an und bot ihm einen Sitz an, der zuvor ihr angestammter Platz war. Höflich lehnte der Atorrianer ab und blieb neben der Frau stehen.
»Irgendwelche Neuigkeiten?«, erkundigte er sich bei seinem ersten Mann. Dieser schüttelte verneinend den Kopf.
»So ruhig wie die stille See«, antwortete der Mann. »Allerdings würden die Kapitäne der anderen beiden atorrianischen Schiffe gerne ihre Aufwartung machen.«
»Danken Sie Ihnen in meinem Namen. Ich werde mich später persönlich bei den Kapitänen melden. Halten Sie die Augen nach allen Richtungen offen und informieren sich mich sofort, wenn Ihnen etwas merkwürdig vorkommt.«
»Jawohl!«, nickte der Mann.
Die Verbindung wurde auf ein Zeichen des Alkaios unterbrochen. Er wandte sich an die Lieutenant. »Sie wollten mich herumführen!«
Ein Ruck ging durch die Frau, so als sei sie erst aus ihrer Lethargie erwacht. Sofort erschien das strahlende Lächeln wieder. Sie strich ihr offenes Haar zurück, lud ihn mit einer Bewegung in Richtung Ausgang und folgte ihm auf den Korridor hinaus.
»Sie machten ein so nachdenkliches Gesicht«, sagte er feststellend. »Gibt es irgendwelche Probleme, von denen ich noch nichts weiß?«
»Nein!«, sagte sie schnell. »Ich meine... Ich mache mir Sorgen. Wenn wirklich Feldherr Norg’jet’na im Spiel ist, dann könnte das hier ganz schnell ganz heiß werden. Für so etwas bin ich nicht prädestiniert.«
»Dafür bin ja ich hier», versuchte er ihre Bedenken zu zerstreuen. »Außerdem bin ich mir wegen Feldherr Norg’jet’na nicht so sicher. Was hätte er davon, wenn er die Radon-Vorräte plünderte. Das passt nicht zu seinem Stil. Auch wenn die Nautus auf seiner Gehaltsliste steht, muss das noch lange nicht heißen, dass diese Aktion hier auf das Konto von Norg’jet’na geht. Entweder handelt es sich hierbei um ganz einfache Radon-Räuber, die es im ganz großen Stil durchziehen wollten und sich nur etwas ungeschickt angestellt haben. Oder – falls wirklich Norg’jet’na im Spiel ist – dann verbirgt sich etwas anderes dahinter.«
»Und was?«
»Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler.« Er schnaufte tief durch. »Ich bin Kampfstratege«, fuhr er fort. »Die Spionagearbeit überlasse ich Ihnen und Ihrer Crew.«
Sie nickte und schien einen Moment über das eben gesprochene nachdenken zu müssen.
»Alkaios De’Querres, darf ich Sie etwas persönliches fragen?«
Serge bedachte sie mit einem prüfenden Seitenblick und entdeckte ihr grüblerisches Gesicht. »Kommt darauf an, wie persönlich«, entgegnete er vorsichtig.
»Was hat Commander Danning gegen Sie?«
Serge musste sich ein Auflachen arg verkneifen. »Bis zu Ihnen ist das schon durchgedrungen?« erwiderte er überrascht.
»Selbst die Leute auf Szixdans reden darüber. Commander Danning hegt eine offene Aversion Ihnen gegenüber und niemand kann sich das erklären. Sie haben ihr doch gar nichts getan. Oder etwa doch?«
De’Querres schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, Lieutenant Isuzu: nichts wäre mir lieber, als diese Ablehnung aus der Welt zu schaffen.«
»Befürchtet Sie etwa, sie könnten ihr ihre Führungsposition nehmen?«
Der Atorrianer zuckte mit den Schultern und blieb neben der Frau stehen, als diese vor einem Aufzugsschacht anhielt und den Rufknopf betätigte. »Ich würde um nichts Commander Dannings Posten haben wollen«, entgegnete er. »Sie ist eine geniale Theoretikerin und verfügt über ein Organisationstalent, von dem ich nur träumen kann. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, warum Sie mich nicht ausstehen kann. Sie schweigt sich darüber aus.«
»Ich sehe da nur für die Zukunft des vereinigten Heeres ein Problem. Ich denke, Sie und auch Atorr wird sich ihre Feindseeligkeit nicht mehr lange gefallen lassen. Und dann gibt es ein Zerwürfnis innerhalb des Bündnisses. Das wäre nicht gut und erst recht nicht, wo doch Feldherr Norg’jet’na vor der Türe steht.«
»Soweit lasse ich es erst gar nicht kommen«, versicherte er ihr und betrat hinter ihr die Liftkabine, als sich diese mit einem leisen Pling geöffnet hatte. »Ich habe vor noch länger für das Bündnis tätig zu sein. Aber darüber sollten Sie sich nicht Ihren hübschen Kopf zerbrechen. Die entsprechenden Maßnahmen wurden bereits eingeleitet.«
»Commander Danning oder Sie«, schien sie Bescheid zu wissen.
»Das hoffe ich doch nicht!«, gab De’Querres entrüstet von sich. »Das Bündnis braucht uns beide. Wenn Sie es so genau wissen wollen. Wir haben eine Kooperation vereinbart.«
»Aha«, machte sie verständig. »Und? Sie ist darauf eingegangen?«
Der Alkaios lächelte verhalten. »Commander Danning ist eine kluge Frau. Das Bündnis kann nicht auf sie verzichten.«
»Aha«, machte die Lieutenant abermals und widmete sich der Anzeigetafel, auf der Leuchtpunkte die einzelnen Ebenen anzeigten. »Wir sind da!«, sagte sie und im selben Moment hielt die Kabine an. »Die Arbeitsbereiche meiner Crew«, sagte sie und deutete in einen hell erleuchteten Korridor von dem zahlreiche offen stehende Türen abgingen. Sie ging voraus und streckte den Kopf in die erste Türe, um die Insassen auf die Ankömmlinge aufmerksam zu machen.
Die nächsten Stunden schüttelte Alkaios De’Querres unzählige Hände, sprach mit vielen Leuten und diskutierte über eine Stunde lang mit zwei Strategen über mögliche Motive und Vorgehensweisen. Irgendwann hatte er genug, verspürte eine gewisse Leere in seiner Magengegend und fühlte, wie die Müdigkeit wieder in seinen Körper zurückkehrte. Ihm überkam beinahe das Gefühl, dass Isuzu ihn nur zur Hilfe gerufen hatte, um ihn ihren Leuten zu zeigen. Es war ihr wichtig gewesen, dass er sämtliche Mitglieder ihrer Crew kennen lernte und mit ihnen sprach – wie eine richtige Koryphäe.
Er rieb sich die Augen, als er bemerkte, den Erläuterungen eines Analysetechnikers nicht mehr folgen zu können. Während der ganzen Zeit, die er mit diesen Leuten verbrachte, erhielt er nicht das Gefühl, schlauer und informierter zu werden. Alles, was die Männer und Frauen ihm zu berichten hatten, stand bereits in den Berichten, die er auf der Reise gelesen hatte. Ihm war nichts Neues zu Ohren gekommen. Beinahe sah er sich schon wieder im Kreise der Streithähne, die nur aufeinander losplapperten, ohne zu einer Lösung zu kommen.
Er sagte sich mit einer Entschuldigung von dem Techniker los und suchte Lieutenant Isuzu, die sich mit zwei Frauen über die Lagerstandorte der Radonvorräte unterhielt, und eiste sie von ihnen los.
»Ich habe genug gehört«, sagte er. »Was ist eigentlich mit der Identifikation der Nautus und der ominösen Nachricht?«, erkundigte er sich noch bei ihr, als ihm diese beiden Punkte noch rechtzeitig einfielen.
Isuzu wirbelte herum, winkte einen Mann zu sich und gab die Frage weiter. Doch der schüttelte nur den Kopf. »Der Versender war nicht zu ermitteln. Mehrfach verschlüsselte Codes und über verschiedene Sender verschickt. Ich bräuchte eine wesentlich bessere Ausrüstung, als die hier. Dann könnte ich das vielleicht ermitteln.«
»Schicken Sie ihre Ergebnisse nach Anaham in die Dechiffrierabteilung. Die sollten in der Lage sein, den Absender zu ermitteln.«
Der Mann nickte und machte sich sogleich an die Arbeit.
»Und die Identifikation?«, hakte De’Querres nach.
»Die erhielten wir über die gewöhnliche Schiffsidentifizierung«, berichtete Isuzu. »Unsere eigenen Archive sind leider zu unzureichend dafür.«
»Aber nicht die von Anaham.«
»Ich werde das veranlassen.«
De’Querres drehte sich um. »Und jetzt muss ich hier raus.« Er ging zurück zum Korridor, orientierte sich kurz und begab sich dann zum Expresslift. »Wie war das mit dem Essen?«, erkundigte er sich, während er den Rufknopf betätigte. »Ich wäre jetzt gewillt, Ihr Angebot anzunehmen.«
Lieutenant Isuzu strahlte. Nach einem Blick auf ihr Chronometer, verfinsterte sich ihr Blick jedoch wieder. »Das Restaurant schließt in knapp zwei Stunden. Das werden wir wohl nicht mehr schaffen. Was halten Sie davon, wenn ich etwas von der Kantine bringen lasse?«
»Ist mir auch Recht«, nickte er zustimmend. »Hauptsache, ich bekomme bald was zum Essen. Aufgeschoben ist ja noch lange nicht aufgehoben.« Er folgte der Lieutenant in die Liftkabine und lehnte sich geschafft gegen die Wand. »Dieses ganze Gelabere ist irgendwie nicht mein Fall«, schnaufte er. »Ich bin ein Mann der Tat. Es ist eine Qual für mich stundenlangen Diskussionen oder Besprechungen beiwohnen zu müssen.«
»Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich Sie damit überfordert habe. Mir war es nur wichtig, dass Sie die Informationen, die Sie benötigen aus erster Hand bekommen, ich meine in der Version, in der sie entstanden sind. Ich weiß nicht, was in den Berichten steht, die man Ihnen zur Verfügung gestellt hat.«
De’Querres winkte ab. »Ist schon in Ordnung. Ich hätte mir wahrscheinlich die entsprechenden Leute explizit geholt. So habe ich das ganze hinter mir und kann mich anderen Dingen widmen.«
»Schön!«, gab sie erleichtert von sich. »Ich hatte schon den Eindruck, Sie verärgert zu haben.«
»Sie hätten mich vorwarnen können«, meckerte er mit einem gewissen Grinsen im Gesicht. »Es sollte doch nur eine Besichtigungstour werden.«
Lieutenant Isuzu fiel in das kokette Grinsen ein und verließ dann die Kabine, als ein leises Pling das Ende ihrer Reise ankündigte und sich nur einen Augenblick später die Türen in einen weiteren hell erleuchteten Korridor öffneten.
»Der Einfachheit halber schlage ich vor, Sie lassen Ihr Gepäck rüberbringen«, fuhr sie in einem amüsiert, lockeren Ton fort, während sie ihn den Korridor entlang führte. »Dann müssen Sie nicht ständig hin und her pendeln.«
»Ich möchte Sie nicht kränken. Dennoch muss ich Ihr Angebot dankend ablehnen. Ich bin schon so lange von Atorr fort, da lechze ich nach jedes bisschen Heimat.«
Isuzu lächelte verständig und blieb vor einer Türe stehen. »Das ist mein Quartier. Wir können das Essen hier zu uns nehmen und während dessen vielleicht noch das eine oder andere besprechen.«
»Einverstanden«, erklärte sich De’Querres bereit. »Wenn wir das mit dem besprechen vorerst sein lassen.«
Wieder lächelte Isuzu verständig. Sie drückte ihren Daumen auf eine Sensortaste, worauf sich die Türe öffnete und sie eintrat. »Machen Sie es sich bequem«, rief sie und machte eine umfassende Handbewegung. »Ich kümmere mich derweil um das Essen.«
De’Querres blickte sich flüchtig um. Eine kleine Sitzgruppe mit niederem Tischchen, ein Schreibtisch mit jede Menge Daten und Papieren, fein säuberlich in mehrere Stapel sortiert und kahle stahlgraue Wände ohne Bilder, Erinnerungen oder sonstigen Verzierungen stellten die persönlichen Räumlichkeiten der Keetanerin dar. De’Querres kannte Offiziere, die die Wände ihrer Zimmer mit Bildern von ihrer Heimat und Freunden nahezu bepflastert hatten. Er selbst hatte sich ebenfalls einige Erinnerungstücke an die Wände geheftet, genoss seinen Wyyk-Brandy bei typischer atorrianischer Musik und entspannte bei der Lektüre bekannter atorrianischer Dichter und Lyriker. Doch Lieutenant Isuzu schien weder eine Heimat, noch Freunde oder auch nur eine Vergangenheit zu besitzen.
Es war einfach, zweckmäßig, ohne überflüssigen Schnickschnack und Prunk eingerichtet.
»Sie sind noch nicht lange hier auf diesem Schiff«, stellte der Atorrianer fest.
»Sie sind nicht der erste, der sich über meinen Einrichtungsstil wundert«, sagte sie lächelnd. »Ich habe ihn bewusst ausgewählt.« Sie schnaufte und ließ sich in einen der Sessel fallen. »Früher hingen an den Wänden Bilder aus meiner Heimat, Portraits von meinen Freunden, Verwandten und Bekannten. Ich wollte sie ständig um mich haben. Und je länger ich sie betrachtete, desto stärker wurde mein Heimweh. Es wurde sogar so stark, dass ich mit dem Gedanken spielte, mein Abschiedsgesuch einzureichen und in meine Heimat zurückzukehren. Damit würde ich meiner Familie aber Schande bringen, und es war nicht das, was ich mir für meine Zukunft ausgemalt hatte. So verbannte ich sämtliche Erinnerungsstücke. Sie sind immer noch da. Aber da drin …« Sie zeigte auf ihr Herz. »Jetzt kann ich freier von Einsatzort zu Einsatzort ziehen. Diese Einrichtung besitzt alles, was sie braucht – nicht mehr und nicht weniger. Ich muss in ihr arbeiten und schlafen – mehr nicht.«
De’Querres hob anerkennend eine Augenbraue. »Ich könnte das nicht. Dazu ist mir meine Heimat zu wichtig.«
»Das ist sie mir auch. Wir besitzen nur andere Definitionen von Heimat. Schließlich gehören wir auch zwei verschiedenen Völkern an.« Sie lächelte verständnisvoll und bot ihm einen Platz neben sich an.
Der Atorrianer setzte sich in den gegenüber stehenden Sessel, öffnete seine Jacke und lehnte sich bequem zurück.
»Ich …«, begann sie, verstummte jedoch sofort wieder, als zur gleichen Zeit ihr Interkom summte. »Ich hatte vergessen, mitzuteilen, dass wir nicht gestört werden wollen«, entschuldigte sie sich und nahm den Anrufer entgegen.
„Bitte keine Gespräche durchstellen. Wir möchten nicht gestört werden«, sagte sie streng, noch bevor der Anrufer sein Anliegen vorbringen konnte.
»Es ist für Alkaios Serge De’Querres: Senator Sdinge.«
»Stellen Sie durch«, antwortete der Atorrianer und knöpfte seine Uniformjacke wieder zu.
»Alkaios De’Querres!«, hörte er erst die begeisterte Stimme des Senators, bevor sich das Holo in das Ebenbild des zugehörigen Mannes verwandeln konnte. »Es ist nicht einfach Sie zu erreichen. Wo treiben Sie sich herum?«
»Senator Sdinge«, begrüßte er ihn erst einmal. »Die letzten paar Stunden verbrachte ich damit, mir Berichte und Stellungnahmen von allen möglichen Leuten anzuhören. Leider kann ich mit noch keiner Lösung aufwarten. Was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufes?«
»Ich bin davon überzeugt, dass Sie dieses Problem rasch gefunden und gelöst haben.« Der Senator zwinkerte ihm zuversichtlich zu. »Der Zweck meines Anrufes ist: Ich wollte Ihnen persönlich das Ergebnis Ihres Vorschlages mitteilen. Es wurde im Senat besprochen und fast einstimmig angenommen. Ich möchte Ihnen gratulieren, Alkaios De’Querres. Sie sind nun der Oberbefehlshaber des vereinigten Heeres.«
De’Querres brauchte einen Moment, ehe er die Neuigkeit entsprechend verarbeitet hatte. »Ich?« Er war etwas verwirrt. »Was ist mit Commander Danning?«
Der Senator verzog seine Miene zu einem beinahe verärgerten Ausdruck. »Sie zog es vor, sich zurück zu ziehen. Ihr Versetzungsgesuch liegt mir bereits vor. Ich denke, darüber braucht nicht …«
De’Querres war von seinem Sitz gesprungen. »Was?« Er kämpfte seine Emotionen gewaltsam nieder. »Das können Sie nicht zulassen. Sie müssen Commander Danning zurückhalten. Das war nicht Inhalt meines Vorschlages.«
Erschrocken beäugte der Senator den jungen atorrianischen Feldherrn. So ärgerlich hatte er ihn noch nie gesehen. Diese heftige Reaktion überraschte ihn doch. »Ich verstehe Sie nicht, Alkaios De’Querres. Sie wissen selbst am besten von Commander Dannings Aversion Ihnen gegenüber. Sie sollten sich freuen, dass sie klug genug war zu gehen, ehe ihr Groll größeren Schaden anrichtet.«
»Das ist es nicht«, winkte De’Querres schnell ab. »Dieses große Heer kann nicht von einem allein geführt werden. Aber das habe ich in meinem Vorschlag ausführlich dargelegt. Commander Danning ist unersetzlich, was ihre speziellen Qualitäten in Bezug auf die Organisation des Heeres betrifft. Ich bin nicht in der Lage über hunderttausend Wesen mit ihren Eigenheiten zu organisieren. Ich bin genial in der Schlacht, aber nicht in diesem ganzen Bürokratenkram. Das Heer braucht Commander Danning.«
»Sie nahm die Entscheidung des Senats widerstandslos an und reichte wenig später ihr Gesuch ein.«
»Wo ist sie jetzt?«
Sdinge blickte ihn entrüstet an. »Ich bin nicht ihr Sekretär«, entgegnete er brüskiert. »Was haben Sie vor?«
»Ich werde das wieder gerade biegen.«
»Commander Danning machte mir nicht den Eindruck, dass sie zu Kompromissen bereit wäre.«
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Ich werde sie zurückholen und wenn ich sie an ihren Schreibtisch zurückschleifen muss.«
»Glauben Sie sich der Aufgabe nicht gewachsen?«, wollte der Senator wissen.
»In der Tat«, gab De’Querres zu. »Und das sollte Sie auch nicht wundern. Ich bin Feldherr und kein Bürokrat.«
»Wenn das Heer darunter leidet, werden wir auch über Sie entscheiden müssen, Alkaios De’Querres«, ermahnte der Senator.
»Tun Sie das«, blieb der Atorrianer ungerührt. »Aber vorher müssen wir Commander Danning zurückholen.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei«, sagte der Senator und verabschiedete sich mit einem Nicken, das nicht dem Alkaios sondern einer nicht sichtbaren Person galt, die für ihn die Holonachricht unterbrach.
»Mist!«, fluchte der Serge und trat mit dem Fuß in einen Sessel. Dem folgte eine ganze Reihe atorrianischer Flüche. »Ein Haufen seniler, gedankenloser Greise.«
»Aber, aber, Alkaios De’Querres«, bemerkte Isuzu mit trockenem Humor. »Wie können Sie es wagen, einen Senator zurechtzuweisen? Ist Ihnen bewusst, dass Sie eben im Begriff sind, ein weiteres Fragment Ihrer Legende zu zerstören?«
»Meine Legende ist mir im Moment so ziemlich gleichgültig«, schimpfte er, ließ sich wieder in den Sessel fallen und schnaufte einige Male tief durch, um sich wieder in den Griff zu bekommen. »Die sind so von mir geblendet, dass Sie gar nichts mehr mitbekommen.«
»Ist Commander Danning denn so wichtig? Ich meine, sie intrigierte immerfort gegen Sie. Das wäre doch nun eine willkommene Gelegenheit, sie loszuwerden.«
»Sie ist wichtig«, versicherte er ihr bestimmt. »Sie muss sich endlich zusammenreißen, sonst versohle ich ihr wirklich noch den Hintern.«
Isuzu kicherte. »Schade, dass ich nicht Commander Danning bin. Ich würde mir von Ihnen gerne den Hintern versohlen lassen.«
De’Querres Verärgerung verrauchte anhand dieser Bemerkung. Er ging jedoch nicht weiter darauf ein. Für ein Techtelmechtel mit einer Offizierin hatte er zurzeit wirklich keine Gedanken übrig. Er erhob sich wieder, betätigte das Interkom und wartete einen Augenblick, bis sich das Bild des Operators gänzlich aufbauen konnte.
»Ich brauche eine Kom-Verbindung zu Commander Danning, Anaham. Egal wo sie ist oder was sie gerade macht, zerren Sie sie vor das Gerät.« Dann ließ er sich wieder in den Sessel fallen und verfiel in brütendes Warten.
Ein Klopfen an der Türe ließ ihn zusammenzucken. Der Servierwagen der Kantine wurde in das Zimmer geschoben. De’Querres knurrte verhalten. Ihm war der Hunger gründlich vergangen. Jedoch ließ er sich von der Keetanerin dazu überreden, wenigstens etwas zu sich zu nehmen. Eher lustlos stocherte er auf seinem Teller herum, denn er wartete ungeduldig auf die Verbindung zu Commander Danning.
Es dauerte über eine Stunde, ehe endlich das Interkom piepte.
Sybill hatte es sich in ihrer Wohnung gemütlich gemacht, eine entspannende Musik eingelegt und sich mit einem Glas Rotwein in ihre Sitzecke zurückgezogen. Seit heute Mittag ging es ihr wieder etwas besser. Ihr Körper glühte nicht mehr. Sie bekam keine neuen Fieberattacken, Schüttelfroste und Atemnotanfälle mehr. Die roten Flecken hatten sich dank der Salbe wesentlich gebessert und waren beinahe nicht mehr zu sehen. Ihren jämmerlichen Gesundheitszustand der letzten Tage führte sie auf die Geschehnisse der letzten Tage zurück, die ihr vermutlich intensiver in den Knochen hingen, als sie wahrhaben wollte. Die Entscheidung des Senats und schließlich der Rauswurf durch Senator Sdinge musste ihr den Rest gegeben haben.
Die letzten Tage hatte sie sich Ruhe gegönnt. Krankmelden brauchte sie sich nicht, denn sie war ja offiziell suspendiert. Ihr Versetzungsgesuch lag dem Senator vor, der es mit einem selbstverständlichen Lächeln entgegen genommen hatte. Dabei waren nicht viele Worte geflossen – eigentlich gar keine. Sybill hatte es ihm vor seinem Büro in die Hand gedrückt und war wortlos wieder von dannen gezogen.
Irgendwie genoss sie die Ruhe. Irgendwie genoss sie das Nichtstun, für nichts verantwortlich zu sein, keinen Stress zu haben, mit niemandem streiten zu müssen und vor allem, dem verhassten Atorrianer nicht mehr gegenüber treten zu müssen. Sie hatte ihn los. Sollte er doch sehen, wie er allein klar kam. Immerhin war das sein Plan gewesen, seit er mit einer beeindruckenden Flotte im Rücken von Atorr nach Anaham gereist war.
Dennoch fühlte sie sich nicht wohl bei dem Gedanken, De’Querres nie wieder zu sehen. Irgendwie fehlte er ihr. Irgendetwas fehlte bei ihr, wenn sie nicht mindestens an ihn denken konnte. Instinktiv holte sie das Medaillon ihrer Mutter unter ihrer Bluse hervor und betrachtete es. Ein Symbol für Fruchtbarkeit und Paarungsbereitschaft, ein Zeichen der Liebe, als Treuegelöbnis oder zur Versöhnung, klangen die Worte des Atorrianers in ihr Gedächtnis zurück. Ein Zeichen der Liebe, wiederholte sie im Stillen. Gleichzeitig tauchte aber auch die Frage auf, woher ihre Mutter dieses Schmuckstück hatte. Liebende schenken es sich als Zeichen ihrer Liebe, als Treuegelöbnis oder zur Versöhnung. Sie hörte die Worte des Alkaios, als stünde er neben ihr. Konnte es sein, dass ihre Mutter eine Liebesbeziehung mit einem Atorrianer gehabt hatte? Oder erhielt sie es von einem atorrianischen Botschafter, als Zeichen für ihre gute Arbeit als Botschafterin und als Befürworterin des Friedens? Liebend gerne hätte sie sie darüber ausgefragt, doch leider konnte ihre Mutter keine Antworten mehr geben.
Seufzend presste sie es an ihre Brust und schwelte zurück in ihre Vergangenheit, als ihre Mutter noch lebte und sie in ihre liebevollen Armen nahm. Ihre Stimme war wie der Klang reiner Glocken. Um ihre Schönheit hatte die Tochter sie stets beneidet, denn Sybill war so ganz anders als ihre Mutter. Sie sehnte sich nach ihr, sehnte sich nach ihrer Stimme und ihren sanften, blumigen Duft und ihren Händen auf ihrem Körper. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, an deren Schulter sie sich nun hätte ausweinen können. Ihr hätte sie ihr Leid klagen und Rat einholen können. Doch nun hatte sie niemanden mehr. Sie war allein. Die einzige Person, die für sie Mutter, Vater, Geschwister, Verwandten, Bekannte und Freude war, existierte nur noch in ihren Erinnerungen.
Sybill bemerkte, wie ihr Tränen über die Wangen rollten. Was gäbe sie nur, wenn ihre Mutter zurückkehren könnte.
Ein grelles Geräusch riss sie aus ihren Gedanken und katapultierte sie vehement in die Wirklichkeit zurück, in der kalter Regen hart gegen die großen Fensterscheiben prasselte. Das Geräusch kam von ihrem Interkom. Sie ärgerte sich, dass sie vergessen hatte, es auszuschalten. Die letzten Tage war es stumm geblieben, sodass sie überhaupt nicht mehr daran gedacht hatte, zudem war sie nicht in der körperlichen Verfassung gewesen, Anrufe entgegen nehmen zu können.
»Ich will nicht gestört werden«, blaffte sie den künstlich gestalteten Operator an und hatte den Finger schon über dem Knopf schweben.
»Ein Gespräch Dringlichkeitsstufe sieben«, sagte das Kunstgesicht ungerührt des Codes, dem ein galaxieweiter Krieg entgegen kam.
»Sieben?« Sie nahm den Finger vom Knopf. »Wer?«
»Ursprungsort Szixdans«, spulte die Kunstgestalt emotionslos herunter, dann löste er sich auf, ehe er nach der Erlaubnis fragen konnte, das Gespräch durchzustellen. Die programmierte Person verwandelte sich kriselnd in einen leibhaftigen Mann, der etwas verlegen dreinblickte, als er seine höchste Vorgesetzte in etwas salopper Zivilkleidung entdeckte. »Verzeihen Sie, Commander Danning. Ich soll Sie mit Alkaios De’Querres verbinden.«
»Sagen Sie ihm, ich hätte kein Interesse daran, mit ihm zu reden. Außerdem bin ich …«
»Ich soll Sie mit ihm verbinden«, fuhr er ihr mutig ins Wort. »Ob Sie dazu gewillt sind oder nicht. Notfalls soll ich Sie vor das Gerät zerren. Verzeihen Sie bitte Commander Danning.« Ungefragt drückte der Mann auf einen Knopf und er löste sich ebenso kriselnd auf, wie der künstliche Operator von Anaham. Statt seiner erschien das Konterfei des Atorrianers und Sybill konnte sich gerade noch davon abhalten, auf den Ausschalt-Knopf zu hämmern. Neben ihm saß in einer spartanisch aber zweckmäßigen Einrichtung die weißhaarige Keetanerin und ließ noch im letzten Moment ihr reizendes Lächeln verschwinden, als sich die Holoverbindung aufbaute.
»Sie haben wirklich Mut!«, fuhr sie ihn sogleich wütend an, als sie sich dazu entschloss, ihm ihre Meinung zu sagen. »Jetzt sind Sie am Ziel ihrer Träume. Das ging schneller als Sie dachten, was?«
Der Atorrianer setzte zu einer Antwort an, doch dann besann er sich eines anderen und drehte sich zu der Frau an seiner Seite. »Lieutenant Isuzu, wären Sie so freundlich und lassen mich für einen Moment allein?«
Sybill bemerkte die deutliche Weigerung im Gesicht der Keetanerin. Doch die nickte, erhob sich und verließ das Zimmer.
»Es läuft alles bestens bei Ihnen«, spuckte ihm Sybill durch die Holoverbindung entgegen. »Jetzt haben Sie auch schon eine Nachfolgerin für mich gefunden. Sie ist mit Sicherheit nicht so klug wie ich.«
»Sparen Sie sich Ihren Atem, Commander«, gab er unbeeindruckt der Verdächtigungen und gehässigen Bemerkungen zurück. »Ich hatte Sie eigentlich für wesentlich zäher und unbeugsamer gehalten. Was sollte das mit dem Versetzungsgesuch? In meinem Vorschlag an den Senat war mit keinem Wort davon die Rede, dass Sie zu gehen haben. Ganz im Gegenteil: Ich machte ausdrücklich darauf aufmerksam, dass eine optimale Leitung des vereinigten Heeres nur mit Ihrer Mithilfe erfolgen kann.«
»Halten Sie mich wirklich für so dumm, darauf hereinzufallen?«
»Ich halte Sie für klug genug, sich selbst zu kennen. Ich hatte eher erwartet, dass Sie nach dem Beschluss des Senats Ihre ganze Energie darauf verwenden, mich wieder rauszuschubsen. Stattdessen gehen Sie einfach. Da fehlt mir leider jegliches Verständnis.«
Sybill lächelte kalt. »Das überrascht Sie.« Sie setzte sich in ihren Sessel zurück, nahm einen Schluck Rotwein und betrachtete das leicht verzerrte Bild des Atorrianers. Auch wenn er müde, abgespannt und überaus verärgert aussah, konnte sie nicht leugnen, dass ihr dieses Bildnis nicht gleichgültig war. »Ich weiß genau, dass ich Sie niemals rausschubsen kann«, fuhr sie fort. Der Schluck Wein hatte ihr ein wenig Ruhe und überlegene Gelassenheit verschafft. »Die sind doch alle so von Ihnen überzeugt: Der Senat, Sdinge und sogar Beegje. Den Wunderknaben würde niemand rausschubsen. Da könnte ich soviel Energie aufbringen, wie ich wollte, es würde mir niemals gelingen. Stattdessen ließ ich Sie einfach stehen. Auch eine Art von überragender Intelligenz. Man muss gehen, wenn die Party am schönsten ist.«
»Für überragende Intelligenz halte ich das noch lange nicht. Eher für trotzige Sturheit. Sie haben sich wie eine beleidigte Kuh in Ihren heimischen Stall zurückgezogen, in der Hoffnung, dass jemand kommt und Sie reumütig anfleht, wieder zurückzukommen.«
»Sie werden beleidigend«, ermahnte sie ihn mit kalter Gelassenheit.
»Ich hole Sie wieder zurück«, überging er ihren letzten Satz, »aber ich flehe Sie nicht an und reumütig schon gar nicht. Sie werden sich gefälligst augenblicklich zu Senator Sdinge begeben und Ihr Versetzungsgesuch zurückfordern und dann setzen SIe sich wieder hinter ihren Schreibtisch.«
»Sie befinden sich nicht in der Position, etwas von mir zu verlangen«, blaffte sie gereizt.
»Und ob ich das bin«, wusste er es besser. »Als Oberbefehlshaber des vereinigten Heeres, bin ich berechtigt, eine Person Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechend einzusetzen, ohne dessen Einverständnis einzuholen. Mit dem Soldateneid haben Sie geschworen, Gehorsam zu leisten.«
»Aber nicht bedingungslos«, fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein.
»Ich möchte mit Ihnen nicht über die Details eines Soldateneids diskutieren. Sie begeben sich schleunigst wieder an Ihren Arbeitsplatz zurück, sonst werde ich meine Prinzipien vergessen und Sie höchstpersönlich in Ihren wohlgeformten Hintern treten.«
Sybill fand keine Widerworte. Verzweifelt rang sie nach einer Antwort, die sie ihm voller Verachtung entgegen schmettern konnte. Sie wollte sich nicht von ihm zwingen lassen, obwohl sie wusste, dass er Recht hatte. Er konnte sie zwingen, er besaß nun die Befugnisse dazu. Die neue Situation gefiel ihr ganz und gar nicht.
Trotzig reckte sie ihr Kinn. »Da müssen Sie sich selbst auf den Weg machen, um mich eigenhändig in mein Büro zu schleifen. Freiwillig werde ich meinen Posten nicht mehr antreten.«
»Ich möchte zu gerne wissen, woher Ihr grenzenloser Hass auf mich kommt. Ich habe Ihnen nichts getan. Es ist falsch, mich für die Sünden eines anderen büßen zu lassen. Vor allem, weil das Heer und der Grundgedanken des Planetenbündnisses darunter leidet.«
»Werden Sie nicht theatralisch. Ihnen ist der Grundgedanke des Planetenbündnisses doch vollkommen gleichgültig. Sie wollen doch nur gewonnene Schlachten.«
»Natürlich will ich das. Aber nicht auf Kosten einer begnadeten Idee. Mir ist auch Ihr Hass auf uns Atorrianer nicht gleichgültig. Ich will wissen, was vorgefallen ist, damit ich entsprechend reagieren kann.«
Sybill schluckte trocken und nahm einen weiteren Schluck Rotwein. »Das geht Sie nichts an«, gab sie eisig von sich.
»Ihre Mutter, liege ich da richtig?« Als er ihre vor Entsetzen und Überraschung geweiteten Augen bemerkte, nickte er wissend. »Als ich in Ihrer Privatwohnung war, entdeckte ich ein Bildnis Ihrer Mutter auf dem Kaminsims, auf welchem sie das Keeto’chei so stolz wie eine frisch Verliebte trug. Wenn ihr beim Tragen dieses Pajche-Symbols das gleiche widerfahren ist, wie Ihnen auf meinem Schiff, dann kann ich Ihren Hass verstehen. Aber dafür können Sie nicht mir die Schuld geben, sondern dem Mann, der es Ihrer Mutter schenkte. Er hatte sie nicht über die wahre Bedeutung aufgeklärt und vor allem nicht davor gewarnt, es in der Öffentlichkeit zu tragen.«
Sybill musste mit den Tränen kämpfen. Sie nahm einen weiteren Schluck Wein.
»Waren Sie dabei, als es passierte?«, wollte er wissen.
Sie war nicht in der Verfassung zu antworten. Sie schüttelte nur den Kopf.
»Ihrem Hass entsprechend, muss dieses Erlebnis Ihr Leben zerstört haben, vielleicht auch die Existenz Ihrer Familie.« Er strich sich drahtig durch sein Haar und nahm nun auch einen Schluck aus seinem Glas. Er wünschte, es wäre atorrianischer Brandy. Den konnte er jetzt gut gebrauchen. »Ich bitte Sie, Commander Danning. Dieses Erlebnis darf Ihre Arbeit nicht beeinträchtigen. Ich hole Sie nicht zurück, weil ich Sie weiter quälen will, sondern weil ich an Ihre Befähigung glaube. Niemand außer Ihnen kann dieses Chaos von zig verschiedenen Spezies und Völkern, Schiffen und Materialien beherrschen. Ich würde mich darin heillos verstricken.«
»Schmeichelei steht Ihnen nicht«, entgegnete sie heißer.
»Ich habe alles andere im Sinn, als Ihnen zu schmeicheln. Ich will, dass Sie in den Spiegel sehen und die Sybill Danning erkennen, der es gelang, aus einem wilden Haufen von Kriegern ein funktionierendes Heer zu machen. Wenn sich meine Vermutung bewahrheitet und mich mein Gefühl nicht verlässt, dann können wir hier bald mit der Präsenz von Feldherr Norg’jet’na rechnen. Und dann brauche ich Sie und Ihre unschlagbaren Kenntnisse in Bezug auf das Heer.«
Die Kommandeurin hatte hochgesehen, als der Name des Feldherrn gefallen war. Ihre Überraschung war jedoch schnell wieder verflogen. »Sie sollen mit der Honigschmeichelei aufhören. Das wird Ihnen auch nichts nützen.«
»Sie sind selbst schuld«, sagte er ihr auf den Kopf zu. »Sie versuchten partout mich auf meinen Spezialgebieten zu übertrumpfen, zogen dabei stets den Kürzeren und waren schließlich tödlich beleidigt. Wenn Sie mich zu einer Partie Jjiobagk aufgefordert hätten, in welchem Sie mehrfache Meisterin sind, wären Sie als haushohe Siegerin hervor gegangen. Die komplizierte Strategie von Jjiobagk wollte sich mir nie einprägen. Oder so einfaches wie Rudern oder Klettern. Soviel ich erfuhr, konnten Sie in diesen Disziplinen mehrere Titel erlangen. Bei meiner Höhenangst wäre ich abgestürzt, ehe ich die Füße vom Boden gehoben hätte. Oder wäre vor lauter Seekrankheit und Schwindelanfällen mitten auf dem Wasser fest gehangen und hätte nicht gewusst, ob ich sterben oder mich einfach übergeben sollte. Sie haben das nur falsch angepackt.«
Sybill musste lächeln, als sie sich den Atorrianer vorstellte, mit vor Panik bleichem Gesicht und sich verzweifelt an ein Seil klammernd. Dabei war er gerade mal einen Meter über dem Boden.
»Ich bin wahrlich kein Untier, das keine Kontrolle über seine Körperfunktionen besitzt«, betonte er und zeigte sich wesentlich zuversichtlicher, als er ihr aufheiterndes Gesicht bemerkte. »Arbeiten Sie mit mir zusammen und niemand wird unser Planetenbündnis erschüttern können, nicht einmal Feldherr Norg’jet’na.«
Sie sah hoch und musterte das verzerrte Bild des Atorrianers. Sie musste sich zwingen, ihn nicht mit anderen Augen zu sehen. Sie musste sich dazu zwingen, ihren Hass aufrecht zu halten. So ganz wollte ihr das nicht gelingen. De’Querres besaß nachweislich eine menschliche Ader. Dies gefiel ihr mehr als sie sich eingestehen wollte. Und es imponierte ihr, dass er den Mut besaß, es zu zeigen.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Commander Danning«, fuhr er fort, als er ihr Zögern bemerkte. »Bis zu meiner Rückkehr nach Anaham werden Sie wie gewohnt Ihren Dienst tun. Danach setzen wir beide uns zusammen und sprechen über das, was uns aneinander nicht passt. Und dann entscheiden wir je nach dem, wie es weiter gehen soll. Sind Sie damit einverstanden?«
»Wie haben Sie es geschafft, mit Ihrer Höhenangst und den Gleichgewichtsstörungen Kampfflieger zu werden?«, wollte sie wissen.
»Ein einfacher Trick«, grinste er. »Ich sehe nicht nach unten und stelle mir vor, ich sei im Simulator.«
Sybill verzog ihr Gesicht zu einer Fratze, dann nahm sie einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. »Einverstanden!«, sagte sie und musste gleichzeitig gegen das Gefühl ankämpfen einen fatalen Fehler begangen zu haben. »Wieso sind Sie sicher, dass Feldherr Norg’jet’na auftauchen wird?«, fragte sie, um sich von ihren wankelmütigen Gedanken abzulenken.
»Ich bin mir nicht sicher. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Es ist nicht Norg’jet’nas Stil. Wenn er aber doch dahinter steckt, dann führt er etwas ganz anderes im Schilde, als Radon zu stehlen.«
»Vielleicht will er uns allmählich schwächen, indem er uns dazu verleitet, Schiffe nach Szixdans zu schicken.«
»Das ginge zu langsam«, wusste De’Querres. »Auch nicht sein Stil. Wenn er das beabsichtigte, dann würde er sich offen zeigen. Er könnte unser Heer schnell und wirkungslos zerpflücken, wenn er sich an mehreren Orten zu erkennen gibt. Und selbst dann würden wir Anaham nicht schutzlos zurücklassen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann den Sinn dahinter noch nicht erkennen. Aber das, was es dem Anschein nach ist, kann es nicht sein.«
Sybill überlegte und nahm einen weiteren Schluck, musste aber leider erkennen, dass ihr Glas leer ist. Enttäuscht stellte sie es auf den Tisch und verfiel abermals in Grübeln. »Wenn nicht schon vor dem Auftauchen der Nautus festgestanden hätte, dass Sie nach Szixdans reisen, hätte ich wage vermutet, dass er Sie herauslocken wollte.«
»Wenn er mich wollte, hätte er mich in Savon viel einfacher haben können. Dort war ich allein und ohne jeglichen Schutz.«
»Nicht Norg’jet’nas Stil«, sagte diesmal Sybill. »Viel zu leise und unauffällig. Er liebt große Galaauftritte.«
»Nach einer großen Gala sieht das hier nicht aus.«
»Vielleicht ist es gerade das«, keimte in ihr plötzlich eine Idee auf. »Vielleicht wartet er nur auf eine bestimmte Schlüsselfigur, die bislang noch nicht auf der Bühne aufgetaucht ist.«
»Sie?«, versuchte De’Querres Sybills Gedanken zu erraten.
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr Flaggschiff. Es ist das größte und kampfstärkste Schiff im vereinigten Heer. Er will es haben oder vernichten. Das würde das Heer beträchtlich schwächen.«
»Die Überlegung ist nicht mal so übel. Schicken Sie es mir!«
»Sind Sie sicher? Damit fordern Sie ihn heraus.«
»In einer Schlacht bin ich lieber der Tonangebende, als der Verteidiger. Wenn er auf diesen Auftritt wartet, will ich ihn nicht enttäuschen. Schicken Sie es mir!«
»Wie Sie meinen«, erwiderte sie achselzuckend. »Dann wäre es aber ratsam, den Rest des Heeres in Habachtstellung zu bringen, um im Ernstfall schnell Hilfe schicken zu können.«
»Sie sind die Verwalterin unserer Reserven«, gab er zurück. »Ich denke, die Jungs und Mädels langweilen sich sowieso. Da können sie ruhig ein wenig aufgerüttelt werden.«
Sybill musste sich ein Kichern arg verkneifen.
Der Atorrianer sah sie scharf an. »Sind wir uns jetzt endlich einig geworden?«, sagte er mehr feststellend.
»Zumindest bis zu Ihrer Rückkehr nach Anaham«, sagte sie. »Dann werden Sie sich einiges anhören müssen und dann werden Sie um Versetzung flehen.«
De’Querres musste lachen. »Ich bin nicht so leicht zu erschüttern.« Er beruhigte sich schnell wieder. »Ich bin froh, mit Ihnen gesprochen und zumindest diesen erträglichen Schwebezustand erreicht zu haben. Wie ergeht es Ihnen jetzt?«
»Ich muss mich erst noch daran gewöhnen, Ihnen nicht ständig die Augen auskratzen zu wollen«, gestand sie. »Was aber nicht heißen soll, dass ich Sie nun sympathisch finde.«
»Immerhin ein Anfang. Der Rest kommt auch noch irgendwann.« Er rückte etwas auf seinem Sessel vor. »Danke, Commander.«
»Das wäre etwas verfrüht. Vielleicht will Senator Sdinge mein Gesuch gar nicht mehr herausrücken.«
»Wenn er das wagt, dann rufen Sie mich an. Ich werde ihm schon den Kopf zurechtrücken.«
»So wie Sie es mit mir getan haben?«, schlussfolgerte sie misstrauisch.
»Senator Sdinge weiß Schmeichelei eher zu schätzen als Sie.«
Wieder musste Sybill schmunzeln. Sie senkte den Kopf, um ihre Emotionen zu verbergen. »Ich danke Ihnen, dass Sie an mich glauben«, entfleuchte es ihr, obwohl sie sich bestrebsam geweigert hatte, ihre Gedanken über ihre Lippen fließen zu lassen. Es war ihr sehr schwer gefallen, dies zu zugeben. Und wieder überkam ihr heiß und brennend das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.
»Richten Sie Captain Beegje bitte von mir aus, er solle seinen verletzten Stolz vergessen und auf seine Intuition hören. Er war derjenige, der stets an Sie glaubte. Sie sollten sich bei ihm entschuldigen.«
Sybill nickte unwillkürlich. Sie wusste selbst nicht, wieso sie auf einmal so lammfromm war. Noch vor wenigen Stunden, hätte sie ihm für diesen Rat selbst auf die große Distanz zwischen ihnen eine ordentliche Portion Gift entgegen gespuckt.
»Dann sehen wir uns in Anaham«, sagte er abschließend.
Sie nickte abermals. Dann löste sich sein Bild in Nichts auf und zurück blieb traurige Leere. Sie wünschte sich, sein lächelndes Gesicht hätte sich in der Luft eingefräst, sodass sie es immer ansehen konnte. Er hatte sie tatsächlich angelächelt und sogar gelacht. Sie konnte es nicht fassen. Seine Stimme, sein Lachen hinterließ in ihr einen warmen Widerhall. Sie fühlte, wie allein bei der Erinnerung wohlige Dampfschwaden in ihr aufstiegen.
Als sie erkannte, was mit ihr geschah, sprang sie entsetzt von ihrem Sitz, stieß dabei ihr Glas um und fluchte hemmungslos, als die Splitter quer über den Tisch flogen. Sie durfte sich nicht soweit gehen lassen. Sie durfte keinen einzigen Augenblick daran denken. Sie sollte ihn verfluchen, ihn zum Teufel schicken, ihn demütigen, ihn beschimpfen, ihn...
Sie brach auf dem Boden neben dem Tisch zusammen und ließ die Tränenflut hemmungslos aus ihr herausbrechen. Ein Ventil war geöffnet worden. Es überschwemmte sie. Zügellos und wie Wildtiere freigelassen, preschte es aus ihr heraus und erschütterte sie immer wieder aufs Neue. Bis sie schließlich erschöpft einschlief, wo sie niedergesunken war.
Es war der schwerste Gang ihres Lebens. Sybill blieb vor der Türe zum Sekretariat von Senator Sdinge stehen und musste noch einmal tief Atem holen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Das Blut rauschte laut in ihren Ohren. Ihre Hände waren schwitzig und kalt. Warum sie dieses Gespräch nur so fürchtete, vermochte sie nicht zu sagen. Dennoch nahm sie sich ein Herz, drückte die Klinke herunter und betrat das Vorzimmerbüro. Zu ihrem Glück stand der Senator neben seiner Sekretärin und blickte sich überrascht um, als Commander Danning eintrat.
Sybill kam auch sogleich zur Sache, um es schnellstmöglich hinter sich zu bringen. »Guten Morgen!«, grüßte sie freundlich. »Senator Sdinge, ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen. Ich hatte die letzten Tage genug Gelegenheit, es zu überdenken und bin zu dem Entschluss gekommen, Alkaios De’Querres Vorschlag anzunehmen. Ich beantrage daher die Rücknahme meines Versetzungsgesuches.«
Sdinge hob skeptisch eine Augenbraue und beäugte die junge Frau musternd.
»Sie sehen gut erholt aus, Commander Danning«, bemerkte er feststellend. »Sie haben die Tage gut genutzt.«
Sie nickte nur. »Ich hoffe, Sie geben mir noch eine Chance.«
»Ich befürchte, wenn ich das nicht täte, würde mir Alkaios De’Querres gehörig die Meinung sagen.« Er grinste. »Willkommen zurück, Commander.«
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. »Vielen Dank. Sie werden es nicht bereuen.«
Er seufzte. »Das wird sich erst noch herausstellen. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss zu einer Senatssitzung.« Er nickte den beiden Damen zum Abschied zu und verließ dann das Büro.
»Können Sie mir zufällig sagen, wo sich Captain Beegje befindet?», wandte sich Sybill an die Sekretärin. »Ich hatte versucht, ihn auf seinem persönlichen Komm zu erreichen, doch vergeblich.«
»Soweit ich weiß, hat er Urlaub beantragt«, berichtete die Frau und blickte über den Rand ihrer schmalen Brille auf. »Ich vermute mal, dass er seine Familie auf Tellur besucht.«
»Vielen Dank für die Auskunft.« Damit drehte sie sich auf dem Absatz und verließ ebenfalls das Büro.
In ihrem eigenen Büro hatte sich in der Zwischenzeit nichts verändert. Kurz bevor sie sich in ihre Privatwohnung zurückzog, hatte sie noch gründlich aufgeräumt. Leer und spartanisch sah ihr Büro nun aus. Einsam fühlte sie sich ohne Beegje. Sie wünschte sich, er wäre nun an ihrer Seite und konnte mit ihm über ihre Probleme reden. Beegje war stets so einfühlsam gewesen und seine Berührung auf ihrer Haut hatte sie stets sehr genossen. Seufzend ließ sie sich in ihren Stuhl fallen und aktivierte das Interkom.
»Eine Verbindung zum Oberkommandierenden des atorrianischen Flaggschiffes«, sagte sie und lehnte sich zurück. » Delaios ConQuiis«, fiel ihr gerade noch ein. Dann wartete sie auf das Piepsen des Gerätes. Nur wenige Minuten später war es soweit.
»Guten Morgen, Delaios ConQuiis«, grüßte sie freundlich.
Der Atorrianer schien instinktiv in Habachtstellung zu gehen, als er die Kommandeurin erkannte.
»Guten Morgen«, grüßte er freundlich aber reserviert zurück. »Was kann ich für Sie tun?«
»Zunächst einmal: Ich bin seit heute morgen wieder auf meinem alten Posten.« Sie wählte absichtlich nicht den Ausdruck „Oberbefehlshaberin des vereinigten Heeres“, denn offiziell war es nun der Alkaios. »Wie lange würde es dauern, Ihr Schiff startklar zu machen?«
»Ist das ein Marschbefehl?«, wollte er vorsichtig wissen.
»In gewisser Weise. Wären Sie in der Lage heute noch zu starten?«
Der Atorrianer schüttelte den Kopf. »Einige Leute befinden sich noch im Landurlaub. Auch wenn ich sofort Rückorder versende, treffen sie frühestens morgen hier ein.«
»Ist es nicht möglich, von den anderen atorrianischen Schiffen geeignetes Personal anzufordern?«
Zu ihrer Erleichterung nickte er. »Das ist möglich.«
»Dann tun Sie das, holen Sie sich von den anderen Schiffen was Sie brauchen und rücken so schnell wie möglich aus.«
»Darf ich das Ziel der Reise erfahren?«
»Szixdans.«
Delaios ConQuiis Augen weiteten sich. »Ist es so ernst geworden? Verzeihen Sie, Commander», erinnerte er sich schnell an seinen Ausfall. »Ich nehme an, Alkaios De’Querres ist über unser Eintreffen informiert.«
»Er wartet auf euch«, nickte sie. »Er meinte, ihr langweilt euch.« Sie verzog ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. »Informieren Sie mich lediglich über Ihren Start. Die notwendige bürokratische Maschinerie werde ich in Gang setzen.«
»Zu Befehl, Commander Danning«, sagte er zackig, straffte sich kurz und dann löste sich das Holo auch schon in Nichts auf.
Erleichtert sank Sybill in die Lehne ihres Stuhles zurück. Der Alltag hatte sie wieder. Tatenfroh organisierte sie schließlich den Startbefehl des Flaggschiffes, informierte das im Urlaub befindliche Personal, dass sie sich nach ihrer Rückkehr auf anderen Schiffen zu melden hatten, und nahm sich schließlich den Akten an, die sie auf den Stapel für ihren Nachfolger gelegt hatte. Sie machte da weiter, wo sie noch vor ein paar Tagen aufgehört hatte. Sie dachte nicht an ihr Problem mit den Atorrianern. Sie schob es einfach von sich, wie ein abgelegtes Kleidungsstück. Sie wollte nur noch ihren Job tun und sich von nichts ablenken lassen. Sie war wieder in ihrem Element.
Nach dem Gespräch mit Commander Danning fand sich De’Querres nicht mehr bereit, sich weiter mit Lieutenant Isuzu zu beschäftigen. Ein tief in seinem Inneren sitzendes Gefühl versuchte ihm einzureden, dass es falsch sei, sich weiter von der weißhaarigen Keetanerin umgarnen zu lassen. Zudem musste er unbedingt die attorrianischen Kapitäne von der Ankunft des Flaggschiffes informieren. Lieutenant Isuzus Gesichtsausdruck verriet ihre Empfindungen, als er den Abend knapp und rasch beendete und sich mit einer fadenscheinigen Erklärung verabschiedete. Er konnte es nachempfinden, dennoch war ihm im Moment nicht nach der Gesellschaft Isuzus, eher nach der von Commander Danning. Nach ihrem Gespräch hatte er enorme Erleichterung empfunden und einen Hauch von Hoffnung verspürt. Vielleicht würden sie sich irgendwann doch soweit annähern, dass sie sich zumindest als Freunde sahen. Viel lieber wäre ihm jedoch gewesen, Cybill Danning würde ihre Antipathie ihm gegenüber in Zuneigung verwandeln. Doch bis dahin würde es noch ein steiniger Weg werden.
Mit einer gewissen zufriedenen Genugtuung betrat er seine persönliche Kabine auf der Fregatte, die ihn nach Szixdans gebracht hatte. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten, um eine Kommverbindung zu Commander Danning zu ordern. Irgendwie schrie alles in ihm danach, jetzt ihre Stimme zu hören und ihr Gesicht zu sehen. Er legte sich ins Bett, schloss die Augen und stellte sich ihr Lächeln vor. Ein Lächeln, ein aufrichtiges, ehrliches Lächeln, das er erst bei ihrem letzten Gespräch zu sehen bekommen hatte. Er sehnte sich danach, es leibhaftig zu sehen. Von einer inneren Unruhe befallen, schlief er schließlich ein.
Ein Klopfen an der Türe weckte ihn wieder. Verwirrt blickte er sich um. Er hatte von Sybill Danning geträumt, immer wieder ihr Lächeln und ihre ganz sanft gewordene Stimme gehört. Doch nun riss ihn ein lautes Poltern aus den schönen Träumen.
»Ja?«, rief er, als das Klopfen nicht aufhörte, und rieb sich den letzten Rest Schlaf und Träume aus den Augen.
»Verzeihen Sie, Alkaios«, ertönte die Stimme des ersten Offiziers hinter der schweren Kabinentüre. »Ihr Flaggschiff ist eingetroffen. Delaios ConQuiis erwartet weitere Instruktionen.«
De’Querres sprang aus dem Bett. Während er sich eilends anzog, erhaschte einen Blick auf seinen Chronometer. Es waren mehr als zehn Stunden vergangen, seit er seine Kabine betreten hatte. Einmal mehr schalt er sich, dem Saufgelage nicht entsagt zu haben. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass seine heimatsüchtige Seele es nicht anders zugelassen hätte und neue Kraft daraus zog.
»Ich komme!«, rief er zurück, während er das Hemd hastig in die Hose steckte und die Knöpfe seiner Uniformjacke zuknöpfte. Er fuhr sich drahtig mit den Fingern durch das wirre Haar und öffnete die Türe. »Nie wieder Wyyk vor wichtigen Einsätzen«, murmelte er, als er den Offizier sah, der sein Grinsen nur mit Mühe zurückhalten konnte.
»Außerdem traf von Tait Tourre’Quant eine persönliche Nachricht für Sie ein«, berichtete der erste Offizier.
De’Querres, der dem Mann bereits Richtung Brücke gefolgt war, blieb stehen. »Sagen Sie mir das doch gleich«, gab er mürrisch von sich und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Quartier. Noch bevor er wieder durch die Türe schlüpfte, hieß er den Offizier mit einem Handzeichen an zu warten.
Der Atorrianer machte sich nicht die Mühe, sich zu setzen. Er blieb stehen, als sich das Holo seines guten Freundes formierte.
»Sei gegrüßt, mein Freund«, sagte der ältere Mann feierlich. Ein gewisser Glanz saß auf seinem Gesicht. Serge bedauerte es, dass es sich bei dieser Nachricht um eine Aufzeichnung handelte und er nicht mit ihm sprechen konnte. »Die Kapano breite ihren Schutz über dich aus «, fuhr Tait Tourre’Quant fort. »Ich habe den Mann gefunden, der Commander Dannings Mutter das Keeto’chei schenkte. Auf einem Bankett schnappte ich per Zufall ein Gespräch zwischen einigen Geschäftsleuten auf, bei denen es um diese alte Pajche-Zeichen ging. Ich hörte, wie einer von ihnen davon sprach, dass er es vor langer Zeit gewagt hatte, einer Nicht-Atorrianerin eine solche Aufwartung machte und das dies offenbar missverstanden wurde. Nach dem Bankett sprach ich den Mann an, ein ehrwürdiges Mitglied der Handelsgilde, du kennst ihn sicherlich, Ranjo Qui’Dermanes. Er bestätigte mir, es Natcha Danning geschickt zu haben, mit der Bitte es direkt auf ihrem Herzen zu tragen. Danach verschwand sie spurlos. Er hatte nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Wann war das?«, fragte De’Querres in die kleine Pause hinein, die der andere machte, obwohl er wusste, dass Tourre’Quant ihn weder hören, noch sehen, geschweige denn antworten konnte.
»Das war vor ungefähr vierundzwanzig Jahren«, schien der Ältere die Frage vorauszuahnen.
Serge sog die Luft zischend durch die Zähne ein. In Anbetracht dieser Neuigkeit musste er sich setzen.
»Das erklärt so manches«, sprach Tourre’Quant weiter. »Ich hoffe, es hilft dir, den Konflikt zwischen dir und Commander Danning beizulegen. Und noch etwas: Die Ältesten der Kapano erwarten deine Anwesenheit beim Surprenam – wegen deiner Taten in der jüngsten Vergangenheit und für die Union. Sie wollen dich ehren. Also sieh zu, dass du auch erscheinst.« Er rückte sich bequemer in seinem Sessel zurecht. »Der Wyyk des diesjährigen Jahrganges ist einfach hervorragend. Ich habe mir erlaubt, dir ebenfalls einen Vorrat zu ordern.« Er zwinkerte schelmisch, dann fiel das Bildnis in sich zusammen.
Serge De’Querres musste noch einen Augenblick sitzen bleiben und über das nachdenken, was er eben gehört hatte. Ein dumpfes Klopfen an der Türe riss ihn jedoch recht bald wieder aus seinen Gedanken.
„Verzeihen Sie, Alkaios. Eine dringende Mitteilung von Lieutenant Isuzu.“
Der Atorrianer schnaufte, erhob sich, strich seine Uniformjacke glatt und verließ sein Quartier. »Was ist denn so dringend?«, erkundigte er sich, während die beiden den Korridor entlang liefen.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Das sagte sie nicht. Sie klang aber sehr aufgeregt.«
Auf der Brücke eilte ihnen sogleich die Keetanerin entgegen. Sie wirkte in der Tat sehr aufgeregt und kam auch sofort zur Sache.
»Verzeihen Sie, Sie nötigen zu müssen, verehrter Alkaios«, schnaufte sie, blieb stehen, als sie bei ihm angekommen war, und schnaufte noch einmal durch. »Ich erhielt soeben eine Nachricht von dem Restaurant. Sie wissen schon.« Sie grinste verheißungsvoll. »Frisches Stigchs sei eingetroffen. Wenn wir etwas wirklich Gutes genießen wollen, sollten wir nicht zu lange warten. «
De’Querres musste lachen. »Ihre Hartnäckigkeit ist bewundernswert«, kicherte er. »Lassen Sie mich kurz mit ConQuiis sprechen. Dann stehe ich Ihnen zur Verfügung.« Gegen eine anständige Mahlzeit hatte er nichts einzuwenden. Seine letzte lag bereits einige Zeit zurück und in seinem Magen hatte sich bei der Erwähnung eines schmackhaften, frisch zu bereiteten Bratens bereits freudig gemeldet.
Sie nickte lächelnd. »Selbstverständlich.«
Er gab einem seiner Männer ein Zeichen, worauf dieser eine Verbindung zum atorrianischen Flaggschiff herstellte. Wenig später erschien das bekannte Gesicht des ersten Offiziers.
»Alkaios De’Querres. Laios din kongaques. «
»Ihnen auch einen guten Morgen, ConQuiis«, antwortete der atorrianische Feldherr lächelnd. Die gewohnte Sprache zu hören, tat ihm gut. Dennoch verfiel er in die Standardsprache des neuen Planetenbündnisses. Immerhin sollte Lieutenant Isuzu über alles informiert werden.
»Wir erwarten Ihre Befehle, Alkaios«, gab der Mann auf dem großen Bildschirm zackig von sich.
»Haltet die Augen und Ohren auf. Vielleicht tut sich etwas in naher Zukunft. Wenn nicht, dann umso besser. Informieren Sie mich, wenn Sie etwas ungewöhnliches entdecken. «
»Wonach sollen wir Ausschau halten?«, erkundigte er sich interessiert.
»Das Übliche«, erwiderte De’Querres. »Erhöhte Bereitschaft. Vielleicht geht es bald heiß her.«
ConQuiis nickte. »Soll ich Commander Danning ebenfalls ständig Meldung machen?«
»Nur wenn es etwas Gravierendes ist. Aber informieren Sie mich vorher darüber. Sie können mich über mein Komlink erreichen. «
Damit nickte der Offizier abermals und die Verbindung wurde unterbrochen. De’Querres drehte sich zu Isuzu herum.
»Nutzen wir die Gunst der ruhigen Stunde und gönnen uns etwas wirklich Gutes.« Mit einem vielsagenden Grinsen bot er der Lieutenant einen Arm an und verließ mit ihr die Brücke.
Die Keetanerin hatte nicht zu viel versprochen. Der Stigchs-Braten schmeckte hervorragend. De’Querres vermochte nicht zu sagen, wann er das letzte Mal einen so guten Braten gegessen hatte. Das zarte Fleisch zerging auf der Zunge wie Süßholzwatte und die Soße besaß die perfekte Mischung aus Gewürzen und Fleischgeschmack. Noch bevor er den letzten Bissen in den Mund schob, schwor er sich, öfter hierher zu kommen, um diesen Genuss noch einmal erleben zu können.
»Ich muss ehrlich zugestehen, dass ich den Worten des Wirtes nicht geglaubt hatte«, sagte Isuzu, als sie ihr Besteck zur Seite legte und sich zufrieden zurück lehnte. Während des Essens hatten sie sich nur über die verschiedenen Zubereitungsarten von Stigchs und den Unterschieden und Besonderheiten von atorrianischer und keetanischer Küche unterhalten. »Es war einfach köstlich.«
»Das halte ich noch für untertrieben«, gab De’Querres lächelnd zurück. »Der Koch sollte dafür eine Ehrung erhalten. «
»Soviel ich erfuhr, wurde er dafür bereits mehrfach ausgezeichnet. «
»Und so was strandet in der Einöde eines Randplaneten«, bemerkte der Atorrianer kopfschüttelnd.
»Haben Sie Familie? «, wechselte Isuzu prompt das Thema.
»Atorr ist meine Familie«, entgegnete De’Querres und nahm einen kleinen Schluck des süßes gelblichen Weines, der ihm bereits etwas zu Kopf stieg.
»Ich meinte damit eine Frau und Kinder. «
»Nein.« Er sah keine Veranlassung, zu lügen oder ihr dies zu verheimlichen.
»Haben Sie schon einmal daran gedacht, eine Familie zu gründen?«
»Mehr als einmal.« Er lehnte sich zurück, ohne jedoch das Glas aus den Händen zu stellen. »Aber bisher ist mir die Richtige noch nicht über den Weg gelaufen.« Seine intimsten Gefühle wollte er ihr jedoch nicht preisgeben. Insgeheim glaubte er bereits, die Richtige gefunden zu haben.
»Wie muss die Richtige denn aussehen?«, erkundigte sie sich interessiert.
»Sie muss atorrianischer Abstammung sein«, entgegnete er milde lächelnd, Isuzus Absichten durchschauend.
Die Keetanerin verzog kurz ihr Gesicht. »Dann habe ich wohl keine Chancen bei Ihnen«, seufzte sie, spielte verlegen mit ihrem Glas und sah ihn dann mit einem verführerischen Augenaufschlag an. Ihr weißes Haar leuchte golden im Licht einer orangefarbenen Lampe über ihnen. Das farbige Licht gab ihrem Gesicht etwas Leben und machte sie in der Tat attraktiver.
Doch De’Querres hatte sich bereits entschieden. Er räusperte sich, stellte das Glas auf den Tisch und beugte sich vor. »Ich fühle mich geehrt«, sagte er aufrichtig. »Leider muss ich Ihnen Recht geben. «
Isuzu seufzte traurig. Dann nahm sie einen tiefen Atemzug und versuchte sich in einem milden Lächeln. »Ich wusste gar nicht, dass Commander Danning Atorrianerin ist«, sagte sie mit einem gewissen Hauch von Resignation.
De’Querres zog die Augenbrauen hoch und blickte sie überrascht an. »Wie kommen Sie denn darauf?«, wollte er wissen.
Wieder umschmeichelte ihre Lippen ein mildes Lächeln. »Aus mehreren Aspekten.« Sie räusperte sich. »Sie würden sich von ihr nicht so viel gefallen lassen, wenn Sie nicht gewisse Gefühle für sie hegten. Und dies würden Sie nicht, wenn sie nicht atorrianischer Abstammung wäre. Demnach ist Sybill Danning Atorrianerin, oder zumindest attorianischer Abstammung, wie Sie vorhin vorsichtig formulierten.«
De’Querres verzog seine Mundwinkel zu einem schiefen Schmunzeln. »Ihre Kombinationsgabe ist einfach verblüffend.«
»Dazu braucht man nicht viel Kombinationsgabe, nur zwei Augen.« Sie lächelte ihn entschuldigend an. »Es muss zermürbend sein, jemanden zu lieben, der einen verabscheut. Woher stammt Ihre Abneigung Ihnen gegenüber?«
Serge seufzte. Obwohl er es zu wissen glaubte, wollte er darüber nicht öffentlich reden, solange er nicht mit Danning persönlich darüber gesprochen hatte. Er trank den Rest seines Weines aus und blickte kurz gedankenverloren ins Glas. »Lieutenant Isuzu«, begann er nach einem tiefen Atemzug.
»Diarii«, verbesserte sie ihn.
»Lieutenant Isuzu«, blieb er beharrlich. »Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte ich mit ihnen gerne dies oder auch andere persönliche Themen erörtert. Doch …« Er geriet ins Stocken. Er wollte die Keetanerin nicht kränken. Er fand sie nett, fühlte sich aber von ihr bedrängt und in die Enge getrieben.
Sie nickte traurig. »Ich verstehe.«
»Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht allzu sehr verletzt. «
Sie schüttelte den Kopf, dass ihre langen weißen Haare wie losgelöstes Silber umherwirbelten. »Ich muss gestehen, dass ich damit sogar gerechnet hatte. Aber man sollte die Hoffnung nie aufgeben. «
»Sie sind eine mutige Frau«, entgegnete er ehrlich gemeint. »Obwohl Sie es wussten, versuchten Sie ihr Glück trotzdem.«
Sie seufzte. »Ich war von Ihnen schon immer sehr beeindruckt. Schon lange bevor Sie sich dem Planetenbündnis anschlossen. Und als ich hier in Bedrängnis geriet, gab es für mich nur eine einzige Person, die ich je um Hilfe gebeten hätte, vollkommen gleichgültig, in welcher Mission Sie sich befanden. Dumm nur, dass Ihnen Sybill Danning früher über den Weg lief.«
De’Querres schmunzelte verhalten. Als er sich bereit erklärt hatte, mit einer ganzen Armada dem Bündnis beizutreten und Atorr zu vertreten, hätte er niemals geglaubt, neben der militärischen Front auch an der Gefühlsfront kämpfen zu müssen – und das nun sogar mit zwei Frauen.
»Ich hoffe, wir können Freunde bleiben«, sagte sie hoffnungsvoll, als sich der Atorrianer zu keiner Äußerung bereit erklärte.
Er nickte. »Das auf jeden Fall. Vielleicht kann ich Ihre Enttäuschung etwas mildern«, fiel ihm gerade ein. »Was halten Sie davon, wenn ich Sie zum Surprenam nach Atorr einlade?«
Isuzu lächelte hoffnungsvoll. Doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder. »Und Commander Danning?«
»Sie sind mir diesmal zuerst über den Weg gelaufen«, gab er verschmitzt von sich.
Ein glückliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Einverstanden.«
Wie auf Kommando meldete sich De’Querres Kommlink. Missmutig aktivierte er es.
»Verzeihen Sie die Störung, Alkaios«, vernahm er ConQuiis Stimme.
»Was gibt es?«, knurrte De’Querres. Er hätte sich gerne noch ein paar Stunden mehr Entspannung gewünscht.
»Es besteht Grund zur Annahme, dass sich Feldherr Norg’jet’na derzeit auf Lynd aufhält«, meldete er pflichtbewusst.
»Wie gelangen Sie zu dieser Annahme?«, erkundigte sich De’Querres gelassen, beinahe gelangweilt.
»Unser letzter Scan entdeckte hinter einem von Lynds Monden ein Flaggschiff, das sehr stark dem von Feldherr Norg’jet’na ähnelt. «
De’Querres sah hoch und starrte die Keetanerin überrascht an. »So wie es aussieht, ist Commander Danning eine bessere Kartenspielerin als wir beide«, schnaufte er erstaunt. »Sie weiß die Trümpfe besser vorauszusagen, als ich es je gekonnt hätte.«
Lieutenant Isuzu blickte ihn verwirrt an, sagte jedoch nichts.
»Seit wann befindet er sich dort?«, wollte der Attorianer in sein Kommlink wissen.
»Es kann noch nicht lange sein«, berichtete ConQuiis. »Der davorliegende Scan liegt noch nicht einmal eine Stunde zurück. In der Zwischenzeit muss er hinter dem Mond aus dem Hyperraum getaucht sein. «
De’Querres schnaufte tief durch. »Dann hat er irgendwo in der Nähe gewartet, bis mein Flaggschiff auftauchte. Ich wusste, warum ich Danning nicht gehen lassen durfte. Sie ist manchmal unschlagbar.«
»Verzeihen Sie, Alkaios De’Querres«, meldete sich Lieutenant Isuzu zu Wort. »Was hat Commander Danning mit Feldherr Norg’jet’na zu tun? «
Der Attorianer schreckte aus seinen laut gewordenen Gedankengängen und erhob sich. »Verzeihen Sie mir, Lieutenant Isuzu. Ich muss dringend auf mein Flaggschiff. Ich vermute, dass bald ein hitziges Gefecht entbrennt und da möchte ich mich gerne auf meinem Schiff befinden. «
Isuzu blickte ihn erschrocken an. »Ein Gefecht? « Sie schluckte trocken. »Aber natürlich.« Sie erhob sich ebenfalls. »Ich werde sofort eine Fähre für Sie veranlassen.«
Im Laufschritt eilten die beiden zum Fährdock, wo stets rege Betriebsamkeit herrschte. Eine Fähre war sofort verfügbar, jedoch kein Pilot. Da De’Querres wie auch Isuzu über genügend Flugerfahrung verfügten, sahen sie dies als kein Problem an und steuerten die Fähre selbst. Erfahren lenkte Lieutenant Isuzu die Fähre ins dunkle Weltall, während der Atorrianer versuchte, mit seinem Flaggschiff Verbindung aufzunehmen. Es wollte ihm jedoch nicht gelingen. Irgendetwas störte die Funkfrequenzen.
»Die Party ist bereits im Gange«, sagte er wissend und blickte zum Sichtfenster hinaus. Norg’jet’nas Schlachtkreuzer hatte sich aus dem Schatten des Mondes herausgewagt und steuerte zielstrebig auf das atorrianische Kommandoschiff zu. Dieses musste sich längst in höchster Alarmbereitschaft befinden. Auch die anderen beiden Atorrianer bewegten sich in beinahe quälender Gemächlichkeit näher an das Schlachtgeschehen heran. Die Orbitstation und die herannahende Fähre befanden sich mitten in der Schusslinie. Mit derselben Bequemlichkeit gesellten sich die bereits vor einiger Zeit versammelten Schiffe, Kreuzer und Boote hinter Norg’jet’nas Kreuzer. Die Kontrahenten nahmen ihre Positionen ein. Die Fronten erweckten den Eindruck der ungleichen Verteilung. Auf der Seite der Atorrianer standen drei erfahrene Schlachtschiffe und das Aufklärungsboot. Ihnen gegenüber stellten sich außer dem Schlachtkreuzer zehn andere Raumer verschiedener Kategorien und Gattungen, aber mit gefährlicher Bewaffnung.
»Jemand sollte Commander Danning Bescheid geben, damit sie schnellstens Verstärkung schickt«, gab Isuzu nervös von sich.
»Nur nicht die Nerven verlieren«, beruhigte sie De’Querres. »Es sieht schlimmer aus, als es ist. Die meisten der Schiffe sind mit einem gezielten Treffer außer Gefecht zu setzen. ConQuiis ist ein erfahrener Mann. Diese Schmeißfliegen werden für ihn kein Problem darstellen.«
»Für mich sieht das wenig Erfolg versprechend aus«, seufzte sie.
»Sehen Sie zu, dass sie aus dieser Kiste alles rauskriegen, was es zu bieten hat«, merkte er an. »Sonst sind die Jäger vor uns da. «
»Welche Jäger?« Sie blickte kurz aus dem Sichtfenster, doch ihr ungeübtes Auge schien die kleine Wolke noch nicht erblickt zu haben, die unentwegt aus den Startluken des Schlachtkreuzers spuckten.
»Die da«, erklärte er und zeigte mit dem Finger auf herannahende Lichtpunkte. Noch gab er sich gelassen und ruhig. Doch auf seiner Stirn zeichneten sich die ersten kleinen Fältchen ab.
Isuzu drehte den Geschwindigkeitsregler auf volle Leistung. »Mehr geht nicht.«
»Das wird verdammt knapp. «
»Können wir nicht von Ihrem Schiff Begleitschutz anfordern? «
»Der Funk ist gestört. «
Die Keetanerin seufzte. »Das wird wirklich knapp.« Sie seufzte nervös und sog die Luft durch die Nase ein. »Möchten Sie nicht lieber selbst die Fähre steuern. Immerhin haben Sie mehr Kampferfahrung.«
»Das würde an der Geschwindigkeit der Fähre auch nichts ändern«, gab er zurück, während er weiterhin versuchte, zu seinem Flaggschiff Verbindung aufzunehmen. »Außerdem hat ConQuiis bereits die Jägerstaffeln ausgeschickt. Wenn die sich ein wenig beeilen, schaffen wir es vielleicht noch, rechtzeitig hinter die Front zu kommen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werden Sie wohl oder übel Kampferfahrung sammeln müssen, Lieutenant.«
»Ehrlich gesagt, bin ich nicht allzu scharf drauf.«
»Wozu sind Sie dann zur Armee gegangen?«
»Weil es keine andere Möglichkeit gab, Ehre zu verdienen.«
De’Querres schaltete das Funkgerät ab. Es hatte keinen Zweck. Außer Störgeräuschen kam nichts aus den Lautsprechern. Er blickte aus den Sichtfenstern und überprüfte die Monitore. »Sie hatten Recht, Lieutenant. Es wird wirklich knapp.« Es blickte nochmals aus den Sichtfenstern. »Drehen sie drei Grad nach steuerbord, in Richtung unserer Jäger. Vielleicht können wir ihnen ein kleines Stück des Weges abnehmen.«
Isuzu tat wie geheißen. Ihre Knöchel traten weiß hervor, als sie das Steuerruder mit festem Griff leicht nach links drehte.
»Ich sage das nur ungern, aber als ich das letzte Mal zwangsläufig in einen Kampf verwickelt wurde, versagte ich jämmerlich. Ich wurde angeschossen und konnte gerade noch mit Müh und Not auf einem Planeten notlanden.«
»Immerhin haben Sie es geschafft, mit heiler Haut davon zu kommen. Nicht vielen Piloten gelingt dies.«
»Ich war nicht sehr stolz auf mich.«
»Sie erwarten zu viel von sich.«
»Ich erwarte, am Leben zu bleiben.«
»Das ist ihnen doch gelungen.«
Isuzu, die die ganze Zeit starr auf ihre Instrumente geblickt hatte, wagte einen kleinen Seitenblick zu dem Atorrianer. »Wollen Sie mich aufmuntern, oder etwa ablenken?«
»Keines von beiden. Ich will die Zeit überbrücken und Sie beschäftigen, damit Sie keinen dummen Fehler begehen.« Damit schenkte er ihr ein entschuldigendes Lächeln, das jedoch gleich wieder erstarb. »Die Jäger teilen sich auf und erwarten ihre Angreifer. Es kann jeden Moment losgehen.«
»Ich dachte, es geht bereits los.«
»Da sieht man, wie wenig Erfahrung Sie besitzen, Lieutenant. Die Party geht erst noch richtig los. Die Staffeln haben ihre endgültige Kampfposition noch nicht erreicht. Was aber nicht mehr lange dauern kann. Ich schätze in ein bis zwei Minuten.«
»Schaffen wir es bis dahin, hinter unsere Jäger zu kommen?«
»Nein«, antwortete De’Querres schohnungslos. »Wie viele Trainingseinheiten hatten sie im Simulator?», wollte er wissen.
Isuzu zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht – unzählige. Die meisten sind aber nicht sonderlich gut ausgefallen. Ich bin wissenschaftliche Administratorin, keine Kampfpilotin.«
»Sie müssen ja auch nicht kämpfen, sondern nur ausweichen.«
»Bitte übernehmen Sie das Steuer«, bat sie.
»Dazu bleibt keine Zeit mehr. Ziehen Sie nach backbord.«
»De’Querres!» schrie Isuzu und riss den Steuerhebel hart zur Seite, als sie gerade noch im letzten Moment den heranrasenden Blitz entdeckte. »Bitte übernehmen Sie!« Schweißtropfen rannen ihr über die Stirn. Sie war noch bleicher als sonst.
Der Attorianer griff tatsächlich in den Steuerknüppel, jedoch nur um im letzten Moment das Ruder herumzureißen, damit die nächste Salve an ihnen vorbeirasen konnte.
»Ganz ruhig, Lieutenant«, versuchte er sie zu besänftigen, jedoch ohne die Monitore aus den Augen zu lassen. »Die anderen sind genauso nervös wie Sie.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Das sind ausgebildete Kampfpiloten, die jeden Gegner ohne mit der Wimper zu zucken, pulverisieren würden.«
De’Querres verzog die Mundwinkel zu einem jähen Lächeln. »Da haben Sie im Unterricht aber gut aufgepasst.«
»Haben Sie all ihre Schlachten mit diesem Galgenhumor gewonnen?«
»Damit gewonnen nicht, aber meistens für mich entscheiden können.« Er griff abermals ins Steuer und brachte die Fähre somit zum rotieren. Eine weitere Blitzsalve schoss an ihnen vorbei. »Konzentrieren Sie sich auf das derzeitige Geschehen, nicht auf das, was passieren könnte.«
»Für eine Lehrstunde ist es jetzt wohl zu spät.«
»Es gibt keine günstigere Gelegenheit.« In diesem Moment wurde die Fähre von einem Streifschuss erschüttert. Der Boden unter ihren Füßen bebte und Entladungsblitze funkten und stoben aus einigen Instrumenten heraus. Bei ein paar davon zerbarst das Schutzglas.
»Ist das jetzt das Ende?«, entfleuchte es Isuzus zitternden Lippen. Ihre Hände verkrampften sich um das Steuer.
»Noch nicht, aber könnte bald soweit sein, wenn Sie sich nicht konzentrieren.« Seine Stimme klang barsch und streng, während er einige Instrumente kontrollierte, auf ein paar Knöpfe drückte und hektisch einige Schalter betätigte. »Kein allzu großer Schaden. Nur ein Kratzer«, gab er erleichtert von sich. »Glauben Sie an Schutzengel?«
Isuzu schnaufte angespannt. »In diesem Augenblick wäre es wohl angebracht.« Sie riss das Steuer herum und wich einer weiteren Salve aus. Geschickt riss sie das Steuer wenig später abermals herum, um der nächsten Feuersalve auszuweichen. »Wie weit sind unsere Leute noch entfernt?«
»Sie sind nahe genug, um uns Feuerschutz zu geben«, antwortete er. »Aber nicht nahe genug, um uns zu beschützen – falls Sie das wissen wollten.«
Die Keetanerin schien das Spiel nun gegriffen zu haben und wich geschickt zwei weiteren Feuerstößen aus. Ihre Hände waren jedoch verkrampft und feucht, ihr Blick angestrengt und Schweißperlen standen auf ihrer bleichen Stirn. Jedoch reichten ihre Kenntnisse nicht aus, um lange unbeschadet zu bleiben. Ein weiterer Treffer erschütterte die Fähre.
»Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich abtrete«, gab sie erschöpft von sich. »Würden Sie das Steuer übernehmen, bevor wir …« Sie verstummte verschämt.
»Der Hangar befindet sich beinahe vor uns. Wenn wir jetzt wechseln, verschwenden wir kostbare Zeit. Das schaffen Sie auch noch, Lieutenant.« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
»Wie können Sie in dieser brenzlichen Lage nur so ruhig bleiben?«, jammerte sie.
»Glauben Sie wirklich, ich bin ruhig?«
Isuzu drehte sich kurz zu dem Attorianer um. In diesem Moment preschte ein großer, rotleuchtender Blitz an ihnen vorbei und schlug geradewegs in den Hangar ein, in den sie gedacht hatten zu landen. Binnen wenigen Sekunden zerbarst der Hangareingang in tausend Stücke. Feuerfontänen fraßen sich weit ins All hinein und schienen gierig nach der kleinen Fähre zu langen. De’Querres fasste ins Steuer und riss es gewaltsam herum, um noch im letzten Moment den Feuerzungen entkommen zu können. Doch nur wenige Augenblicke lang waren sie von dem gleisenden Licht umhüllt, noch ehe das Vakuum das Feuer ersticken und die Fähre wieder befreien konnte. Dieser kurze Moment reichte aus, um die Fähre hart zu treffen. Im Inneren der Fähre spielte alles verrückt. Der vordere Teil der Fähre, der den größten Teil der Feuersbrunst abbekommen hatte, war schwarz gefärbt, so auch das Sichtfenster. Trümmer hatten die Schnauze getroffen und die Außenhaut empfindlich verletzt. Das Cockpit explodierte ins Innere. Beißender Rauch erfüllte den Innenraum, ehe die Absaugautomatik anspringen und die giftigen Dämpfe entfernen konnte. Isuzu rang um Atemluft. Ihr Gesicht brannte. Sie fühlte, wie ihr eigenes heißes Blut über ihre Wange lief. Ihre Hände spürte sie nicht mehr. Noch verbarg dicker Rauch die Sicht auf den Schaden und selbst auf ihren Copiloten. Sie hustete. Die giftigen Dämpfe raubten ihr die Atemluft und drohten sie besinnungslos werden zu lassen. Sie rief nach De’Querres, erhielt jedoch keine Antwort.
Nur allmählich lichteten sich die Schwaden im Fahrgastraum. Der Attorianer lag bewusstlos neben seinem Sitz auf dem Boden. Ein großes Stück der Innenraumverkleidung war abgeplatzt und hatte ihn offenbar getroffen. Aus seinem schwarzem Haar quoll ein quälend langsamer Strom dunklen Blutes hervor. Isuzu wischte über ihr Gesicht und blickte in die Runde. Fast alle Instrumente waren ausgefallen und zerborsten. Durch ein kleines Sichtloch im Fenster entdeckte sie einen Planeten. Die Wucht der Explosion und der Aufprall der Trümmer hatte die Fähre gedreht und sie geradewegs wieder in Richtung des Planeten gebracht. Sie griff nach den Steuerknüppeln, doch auf ihren Ruck bewegte sich nichts. Die Ruder waren zerstört und die Fähre flog unaufhaltsam auf Szixdans zu. Dann blickte sie zu De’Querres, der noch immer besinnungslos auf dem Boden lag und überprüfte, ob er noch am Leben war. Mit gemischten Gefühlen stellte sie Herzschlag fest und sah sich abermals um. Sie sandte einen stillen Fluch aus und rüttelte nochmals an der Steuerung, doch auch diesmal wollte die Fähre nicht gehorchen. Dann versuchte sie ihr Glück an der Funkanlage, doch auch hier erhielt sie keinerlei Antwort. Das Funkgerät funktionierte ebenso nicht mehr.
Schließlich griff sie in ihre Tasche und brachte ein kleines, kaum daumengroßes Gerät zum Vorschein. Sie betätigte einen Schalter und wenig später ertönte aus dem winzigen Gerät eine erstaunlich klare, tiefe sonore Stimme.
»Ist der Auftrag erledigt?«, wollte die Stimme wissen.
»Nicht ganz wie im vereinbarten Sinne«, gab sie zurück und warf einen weiteren Blick auf den Besinnungslosen. »Er ist bewusstlos, aber noch am Leben.«
»Dann bringen Sie ihn zum vereinbarten Treffpunkt.«
»Das wird derzeit nicht so einfach möglich sein. Die Fähre ist schwer beschädigt. Sie wurde beim Angriff auf das Hangar schwer getroffen. Ich kann nicht mehr steuern. Wir treiben auf Szixdans zu. Doch ohne Ruder und Antrieb werden wir in der Atmosphäre verglühen.«
»Ich werde Ihnen jemanden schicken, der sie auf die Oberfläche bringen kann. Halten Sie ihn in Schach, bis ich ihn persönlich in Empfang nehmen kann.«
»Wie Sie wünschen, Lord Norg’jet’na«, sagte sie und nickte, obwohl sie wusste, dass er das nicht sehen konnte. »Ich hoffe, Sie halten dann auch meine Belohnung bereit.«
»Ich pflege mich an Vereinbarungen zu halten, Lieutenant Isuzu.« Damit war das Gespräch beendet.
Isuzu blickte das kleine Gerät noch einmal an, dann versteckte sie es wieder tief in ihrer Tasche. De’Querres war noch immer ohnmächtig und sie tat einen Teufel, seine Wunde zu behandeln. Dass der Feldherr sie dazu gebracht hatte, mit De’Querres, einem Nicht-Keetaner, zu flirten, ärgerte sie abermals. Sie versuchte, auch diesmal wieder nur die hohe Belohnung zu sehen. Niemals, nicht einmal im Traum wäre ihr eingefallen, sich mit einem Nicht-Keetaner einzulassen, geschweige denn sich überhaupt mit ihm abzugeben. Ihr hoher Stolz war ihr bei diesem Einsatz arg im Weg gewesen, doch die Prämie, die sie für das Vergessen ihrer sonst strikten Prinzipien erhielt, tröstete sie darüber hinweg. Mit der Prämie würde sie sich auf ihrem Heimatplaneten, in ihrer Sippe endlich Achtung und Würde erkaufen können. Niemand würde mehr dann an ihr zweifeln. Kein einziger würde sie mehr mit Missachtung bedenken. Sie würde dann endlich jemand von Rang und Namen sein. Diarii Isuzu würde dann im gleichen Zug genannt werden, wie der Untergang der unerwünschten Planetenallianz.
Sie musste über den Atorrianer steigen, als sie nach hinten gehen und sich manuell über die Lebenserhaltungsreserven vergewissern wollte. Sie musste sich arg zurückhalten, ihm nicht einen Tritt zu verpassen. Wie sehr hatte es sie geschmerzt, als er annahm, sie würde mit ihm anbandeln. Wie sehr hatte sie sich im Zaum halten müssen, um ihm ihren Ekel nicht ins Gesicht zu schreien. Sie durfte ihre Mission und die Prämie nicht gefährden, hatte sie sich in diesen Momenten immer wieder im Geiste vorgesagt. Die Ehre, die Achtung, die Anerkennung, die ihr zuteil wurde, würde sie mit dem Vermögen und der Nachricht zurückkehren, die Allianz sei zerschlagen.
Ihnen blieb noch für mehrere Stunden atembare Luft, stellte sie erleichtert fest. Genug, für einen gemütlichen Flug auf die Oberfläche von Szixdans. Dass es alles anderes als gemütlich werden würde, wusste sie sehr wohl. Auch wenn die stark angeschlagene Fähre mit einem Traktorstrahl auf die Oberfläche gebracht wurde, würde es sehr holprig und unbequem werden. Die Atmosphäreschichten von Szixdans waren unberechenbar und tückisch. Mehr als einmal war sie dort gelandet und hatte ihre liebe Mühe und Not gehabt, mit heiler Haut davon zu kommen. Es war die Jahreszeit der Stürme, hatte sie von einem Einheimischen erfahren. Wenn der Planet in einem bestimmten Grad zur Sonne und zu den anderen Planeten stand, dann geriet die Atmosphäre in helle Aufregung. Hektisch suchte sie in den Aufbewahrungsschränken der Fähre nach etwas, das sie als Strick benutzen konnte, um De’Querres zu fesseln. Lebendig sollte sie ihn abliefern, damit Feldherr Norg’jet’na noch seine Laune an ihm auslassen konnte. An jenem Mann, der ihm bislang ziemlichen Ärger verursacht hatte und der nach des Feldherrn Aussage die Schlüsselfigur der Allianz sein würde. Ohne De’Querres und seinem größenwahnsinnigen Volk würde die Planetenallianz zusammenbrechen und sehr leicht zu zerschlagen sein. Isuzu interessierte sich nicht viel für die Pläne des Feldherrn. Dennoch gefiel ihr das Ergebnis. Sahen sich die Keetaner doch selbst gerne als Obrige und Alleinherrscher und würden dann leichteres Spiel haben, ihrerseits die Planeten zu unterjochen.
De’Querres stöhnte leise und Isuzu beeilte sich, die Schränke zu durchwühlen. Bislang fand sie nur lauter unnützes Zeug, nichts, was sich als Fesseln verwenden ließ. Sie hatte absolut keine Lust, ihr Theaterspielchen weiter zu spielen. Es war unter ihrer Würde. Wenn De’Querres besinnungslos war, würde es besser sein. Für einen Moment hielt sie inne und überlegte, ob sie ihm noch eines über den Schädel ziehen sollte, damit er weiterschlief, bis sie auf der Oberfläche ankamen. Doch dann wurde ihr die Entscheidung jäh abgenommen, als sie die Stimme des Attorianers erkannte.
»Lieutenant? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Isuzu knirschte lautlos mit den Zähnen, atmete tief durch und drehte sich dann langsam um. »Mit mir schon. Aber Sie nicht, Alkaios. Es hat Sie ganz schön erwischt. Ich suche gerade Verbandszeug. Aber etwas Derartiges scheint es hier nicht zu geben.« Ihre Stimme war ihr selbst zu liebenswürdig. Sie wusste aber, dass sie keine Chance besaß, sich hier und jetzt gegen den Atorrianer zu behaupten. So musste sie zwangsläufig ihre Schmierenkomödie weiterspielen. Sie hatte keine andere Wahl.
»Was ist passiert?«
»Der Hangar explodierte plötzlich. Die Wucht hat uns erfasst und stark beschädigt. Die Fähre lässt sich nicht mehr steuern. Und wir treiben auf Szixdans zu.«
»Ich nehme an, dass es keine Möglichkeit gibt, dieses Ding hier heil abzusetzen.«
Isuzu schüttelte den Kopf, dass ihr Haar wie flüssiges Silber floss. »Ich fürchte, nein.«
De’Querres setzte sich vorsichtig auf. Sein Kopf hämmerte heftig. Er verzog sein Gesicht. Ihm wurde schwindelig und er musste sich am Sitz festkrallen. Mit der anderen Hand fuhr er sich über die schmerzende Stelle an seinem Kopf und fühlte heißes Blut. Er presste seine Handfläche gegen die offene Wunde und verzog abermals sein Gesicht. Die Blutung war inzwischen am versiegen. Trotzdem musste sie bald versorgt werden.
Die Fähre wurde plötzlich heftig durchgerüttelt. Auf diese Bewegung nicht gefasst, prallte De’Querres mit seinem Kopf gegen den harten Sitz. Er stieß einen Fluch aus und krallte sich in das Polster, um sich auf die Beine zu ziehen.
»Was war das?«, fragte Isuzu besorgt.
»Ich vermute, wir sind gegen etwas geprallt«, knurrte der Atorrianer und presste die Handfläche auf seine Wunde. Sein Kopf drohte zu platzen. »Vermutlich Trümmer von der Schlacht. Wissen Sie zufällig, wie es ausging? Oder läuft es noch?«
Isuzu zuckte hilflos mit den Schultern. »Die Sichtfenster sind geschwärzt. Man kann nichts erkennen. Die Monitore sind ausgefallen.« Sie hielt sich an einer Stützstange fest, doch gleichzeitig hörte das Rütteln auf und es wurde verdächtig ruhig.
De’Querres stutzte. »Das waren keine Trümmer«, erkannte er folgerichtig und lauschte, als glaubte er, etwas zu hören. Doch der Raum außerhalb der Fähre war luftleer und trug keinerlei Geräusch zu ihnen. Auch wenn sie nur wenige Zentimeter entfernt waren. »Das war ein ziemlich stümperhafter Versuch, uns an einen Traktorstrahl zu heften«, wusste er. »Jemand schleppt uns ab.«
»Wer?«, wollte Isuzu wissen, ging zum Sichtfenster und spähte durch die wenigen Lücken der geschwärzten Scheibe.
»Bei unserem Glück tippe ich mal auf Norg’jet’na«, gab De’Querres stöhnend von sich und ließ sich schwerfällig in den Copilotensitz zurückfallen.
Die leichte Röte in Isuzus Gesicht erkannte er nicht, da er die Augen geschlossen und seinen Kopf mit beiden Händen hielt.
»Was geschieht dann mit uns?«, wollte sie beinahe erschrocken wissen.
»Keine Ahnung.« De’Querres legte den Kopf auf die Nackenstützen zurück und versuchte sich zu entspannen. Sein Kopf brummte, als hätte er das gesamte Wyyk-Lager ausgetrunken. »Aufgrund unserer prekären Lage sollten wir froh sein, dass wir überhaupt gefunden und abgeschleppt werden. Wenn es tatsächlich nicht unsere Leute sein sollten, dann …« Er verstummte für einen Moment, »dann sollten wir uns baldmöglichst einen Plan zurecht legen.«
»Was schlagen Sie vor?« Sie setzte sich neben ihn und beobachtete ihn genau.
De’Querres brauchte eine Weile, ehe er antwortete. »Haben Sie keinen Notfallkoffer oder ähnliches gefunden?«
Isuzu schüttelte den Kopf. Sie bemerkte erst einen Atemzug später, dass er ihre stumme Antwort nicht hören konnte, da er immer noch die Augen geschlossen hielt. »Nichts«, entgegnete sie.
»Ist schon merkwürdig«, keuchte er, während er verzweifelt versuchte, die Kopfschmerzen zu bekämpfen. »Normalerweise gehört das zur Standardausrüstung.«
Sie sah sich um. »Ich konnte noch nicht alles durchsuchen.« Sie erhob sich wieder, wischte das teilweise bereits geronnene Blut aus ihrem Gesicht und begann abermals, die Schränke zu durchsuchen. Sie fand tatsächlich in einen der Schränke, die sie bereits nach einem Strick durchwühlt hatte, einen kleinen roten Koffer mit dem Notfallsymbol. Damit kehrte sie zurück, legte ihn sich auf die Knie und öffnete ihn.
»Medipacks und Schmerzmittel«, sagte sie und blickte hoch. De’Querres antwortete nicht. Sie stieß ihn vorsichtig an. Er reagierte nicht. Der Attorianer war ohnmächtig geworden. Mit einem leidigen Lächeln wühlte sie in dem Koffer und entdeckte erfreut einige Rollen Mullbinden. Ein hervorragendes Werkzeug, um den Gefangenen an seinen Sitz zu binden. Sofort machte sie sich ans Werk und schalt sich, nicht schon vorher daran gedacht zu haben, nach Verbandszeug gesucht zu haben.
Sybill Danning schloss eben den Bericht für den Einsatz einer Patrouille ab, als ihr Interkom klingelte. Sie seufzte, denn sie wollte sich eigentlich anschließend ihrem wohlverdienten Feierabend widmen. Gleichzeitig mit dem Klingeln kam ihr noch in den Sinn, bei Con Quiis nach dem Stand der Dinge nachzufragen. Sie hatte schon lange nichts mehr von ihm oder Alkaios De’Querres gehört. Mit einem weiteren Seufzer schaltete sie das Terminal ab, lehnte sich zurück, rieb sich ihre müden Augen und raffte sich mit einem tiefen Atemzug dazu, an das Interkom zu gehen. Vielleicht war dies der erste Offizier des atorrianischen Flaggschiffes. Vielleicht hatte er dieselben Gedanken in selben Moment gehabt, dachte sie schmunzelnd und betätigte den Rufknopf.
Am anderen Ende der Interkom-Leitung war jedoch nicht Con’Quiis, sondern die Sekretärin des Senators. »Commander Danning«, sagte sie in ihrem gewohnten barschen Tonfall. »Senator Sdinge wünschte Sie unverzüglich in seinem Büro zu sprechen.«
»Ihnen auch einen schönen Abend«, begegnete sie der forschen Stimme freundlich. »Verraten Sie mir auch den Grund?«
»Dazu bin ich nicht befugt. Es ist sehr dringlich. Und wenn ich Sie wäre, Commander Danning, würde ich Ihnen raten, Ihren Hintern so schnell es geht, hierher zu befördern.« Damit machte es Klick in der Leitung und Sybill war wieder allein.
Die Sekretärin des Senators besaß für gewöhnlich einen sehr überheblichen und barschen Tonfall. Doch diesmal war er besonders barsch und befehlend. Irgendetwas Schlimmes musste sich zugetragen haben. Und kaum war Sybill im Büro des Senators eingetroffen, kaum dass die Türe hinter ihr ins Schloss gefallen war, herrschte sie der Senator mit hochrotem Kopf an.
»Wie können Sie sich unterstellen, eigenmächtig das atorrianische Flaggschiff nach Szixdans zu schicken? Wissen Sie, was Sie damit angerichtet haben?« Schaumiger Speichel wurde ihr entgegen gespuckt, als der Senator, außer sich vor Wut und Zorn, weit über seinen Schreibtisch gebeugt die junge Kommandantin anschrie.
»Ich warte noch auf Rückmeldungen«, gab sie betont gelassen von sich. »Die Entsendung des Flaggschiffes erfolgte nicht eigenmächtig, sondern auf Geheiß des Alkaios.«
»Das bezweifle ich stark, Commander Danning. Alkaios De’Querres wäre nicht so töricht, sein größtes Schiff zu schicken, um Norg’jet’na herauszufordern.«
»Genau das war sein Vorhaben«, entgegnete sie.
»Schieben Sie ihre Unfähigkeit nicht Alkaio De’Querres in die Schuhe», spie ihr der Senator entgegen. Er erhob sich und ging um den Schreibtisch herum. »Sie haben eigenmächtig gehandelt, um sich wichtig zu machen, oder aus welchen Gründen auch immer. Sie sind unfähig eine Armee wie diese zu führen.« Er kam ihr sehr nahe. Sie spürte die Aufregung des Mannes förmlich an ihrem eigenen Leib. Nur wenige Zentimeter vor ihr war er stehen geblieben und blickte sie nun mit zorneserfüllten Augen an. »Norg’jet’na nahm die Herausforderung an. Das atorrianische Flaggschiff erhielt schwere Schäden. Die abkommandierten atorrianischen Kampfschiffe wurden beinahe aufgerieben. Alkaios De’Querres gilt als verschollen. Durch Ihre Profilierungssucht haben Sie uns des größten Heeresführers beraubt. War das das Ziel Ihres Vorhabens? Wollten Sie De’Querres aus dem Weg schaffen?«
Sybill sog die Luft durch die Zähne ein. De’Querres vermisst. Sein Flaggschiff stark beschädigt. »Ich habe bisher noch keine Meldungen bekommen«, versuchte sie sich zu rechtfertigen.
»Natürlich auch», keifte der Senator. »Weil Sie den Ausgang dieser Schlacht bereits im Vorfeld kannten und sich auch nicht mehr darum gekümmert haben. Sie lieferten Alkaios De’Querres dem Feldherrn Norg’jet’na aus. Das wird ziemliche Unstimmigkeiten mit den Atorrianern geben, wenn nicht gar ein Bruch des Bündnisses mit Atorr. Das ist Ihre Schuld, Commander Danning. Dafür sollte ich Sie vors Kriegsgericht bringen. Dafür sollte ich Sie eigenhändig vor die Wand stellen und erschießen. Ich hielt Sie stets für loyal und kompetent. Wie habe ich mich nur in Ihnen getäuscht. Ich schäme mich dafür, Alkaios De’Querres Rat befolgt zu haben. Er hat sich offenbar ebenso in ihnen getäuscht.« Der Senator schnaufte kurz durch. Dann fuhr er weniger aufbrausend los. »In einer einstimmigen Entscheidung des Senats, sind Sie mit sofortiger Wirkung suspendiert. Wir wollen Sie hier niemals wieder sehen. Sie sind schuld am Tod des Alkaios. Ich denke, die Atorrianer werden Sie dafür noch zur Rechenschaft ziehen. Leben Sie wohl, Commander Danning.« Er wirbelte auf dem Absatz herum und ließ sich demonstrativ in seinen Stuhl zurückfallen. »Wenn Sie nicht augenblicklich mein Büro und dieses Gebäude verlassen«, drohte er, als Sybill wie versteinert stehen blieb. »werde ich Ihre sofortige Exekution anordnen.« Mit einem mehr als vielsagenden Blick unterstrich er seine mehr als harte Drohung.
Sybill wirbelte herum und verließ dann eiligst das Büro. So schnell sie konnte, rannte sie aus dem Gebäude hinaus, über die Straßen, hastete um Ecken und Winkel, unter der Allee hindurch, bis sie sich vor ihrer Wohnungstüre befand. Hastig tippte sie den Code ein, rannte die Treppen hinauf und warf sich in ihrer Wohnung schließlich auf ihr Sofa. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe die Tränenflut über sie kam und das Polster erschütterte. Wie konnte sie nur so töricht sein. Wie konnte sie nur so einfältig sein und dem unsinnigen Befehl des Atorrianers gehorchen. Er hatte sie in Sicherheit wägen wollen, sie freundlich sinnen, um sie dann in einem gewaltigen Donnerschlag ein für alle Mal von ihrem Thron zu entfernen. Niemals wieder würde sie Fuß fassen können. Die Atorrianer werden ein Kopfgeld auf sie ansetzen. Sie würde Zeit ihres Lebens eine Gejagte sein – und der Atorrianer saß vermutlich irgendwo in einer gemütlichen Bar, an seiner Seite die Keetanerin und kringelte sich mit ihr vor Lachen über die Naivität einer Commander Sybill Danning.
Es dauerte lange, ehe die Tränenflut versiegte. Der nächste Morgen war angebrochen. Sie lag noch immer auf dem Sofa. Die Augen rot aufgequollen, ihre Uniform zerknautscht. Wütend über sich selbst, zerrte sie sich die Uniform von Leib, begab sich in die Dusche und kleidete sich in einfache Hosen und in eine ihre weiblichen Formen betonende Bluse. Ihr widerspenstiges Haar ließ sie offen, ihr Gesicht ungeschminkt. Sie musste niemandem mehr gefallen. Sie musste nichts mehr darstellen, als Sybill Danning selbst. Einen kurzen Entschluss folgend, packte sie einige Habseligkeiten in eine kleine Reisetasche und verließ ihr Appartement wieder. Von einem Miettaxi ließ sie sich zum öffentlichen Flughafen bringen und nur eine Stunde später saß sie in einem Transferzug in Richtung Berge, wo sich das Landhaus ihrer Familie befand. Schon lange hatte sie sich nicht mehr dort aufgehalten. Und nun gab es keinen günstigeren Augenblick. Man hatte sie suspendiert, hinausgeworfen, mit einem Tritt in den Hintern hinausbefördert. Obwohl sie es gerne abgestritten hätte, hatte Senator Sdinge Recht. Sie war unfähig den Posten der Oberkommandierenden zu führen. Als solches hätte sie De’Querres Ränkelspiel erkennen und dagegen angehen müssen.
Drei Stunden später stand sie vor der Türe zu ihrem Landhaus. Ihre Mutter hatte die letzten Jahre ihres Lebens dort verbracht, dachte sie wehmütig und kämpfte gegen die Sehnsucht an. Noch immer fehlte ihr die geliebte Mutter. Noch immer sehnte sie sich nach ihren Streicheleinheiten, ihren liebevollen Worten, ihrem angenehmen Gesang. Sie sah sich wieder, in den Armen der Frau liegen, sich von ihr und ihrer Stimme in den Schlaf wiegen, mit einem Lächeln auf den Lippen und in einen wunderschönen Traum gleiten. Sie trat ein und schnaufte tief durch. Genau vor ihr befand sich der Kamin und darüber hing das Gemälde, dass ihr Vater seiner Braut zum Brautgeschenk gemacht hatte. Es zeigte ihre Mutter, als Mädchen in ihrer vollsten Blüte, inmitten eines Blumenmeeres sitzend, fröhlich lachend und die Sonnenseite des Lebens genießen. Wie gern hatte sie dieses Porträt gehabt. Wie viele Stunden war sie davor gesessen und hatte es gedankenverloren betrachtet. Wie sehr hatte sie sich dagegen gesträubt, als es ihre Mutter absetzen und gegen ein Porträt ihrer inzwischen fast ebenso erwachsenen Tochter ersetzen wollte. Sie liebte dieses Bild. Und wieder ließ sie sich auf dem weichen Teppich vor dem Kamin nieder und betrachtete ihre Mutter, die der Künstler festgehalten hatte, kurz, nachdem ihr Vater ihr den Heiratsantrag gemacht hatte, so wie ihre Mutter es ihr einst erzählt hatte. Wie glücklich war sie nur in diesem Moment gewesen, dachte Sybill voller Sehnsucht. Warum konnte sie nicht auch so glücklich sein?, fügte sie wehmütig hinzu. Nie in ihrem Leben hatte sie solches Glück erlebt, wie ihre Mutter, stellte Sybill Danning zum wiederholten Male fest. Wie schmerzlich musste das Erlebnis mit den Atorrianern gewesen sein. So schmerzlich, dass es ihr Leben zerstört hatte.
Wie in ihren Kindertagen legte sie sich bäuchlings auf den weichen Teppich, das Kinn in die Handflächen gestützt und betrachtete das Bild. Was würde sie darum geben, in diesem Augenblick die Stimme ihrer Mutter zu hören, ihren melodischen Klang, wenn sie frohgelaunt vor sich hinsang. Was würde sie nur darum geben, wenn sie noch einmal den Duft ihrer Mutter einatmen könnte, die Wärme ihrer Hände spürte und den gleichmäßigen Rhythmus ihres Herzens hörte. So nötig brauchte sie ihren Trost. So nötig brauchte sie ihren guten Rat. So nötig hatte sie ihre aufmunternden Worte. Tränen schossen in ihre Augen.
»Ach, Mutter!«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Du fehlst mir.« Dann verschwamm das fröhliche Bild der jungen Natcha Danning in einem Tränenmeer.
Als Sybill wieder zu sich kam, war die Nacht über die Berghütte hereingebrochen. In ihrem Magen breitete sich bohrende Leere aus und daher erhob sie sich von dem weichen Teppich, wischte über ihre rotgequollenen Augen und bereitete sich in der einfachen Küche einen kleinen Imbiss. Obwohl sie selten hier draußen war, befanden sich in der Vorratskammer stets einige haltbare Lebensmittel. Früher war sie öfter spontan in die Berge gefahren. Seit sie für das Planetenbündnis tätig war, fand sie keine Zeit mehr dafür. Nun hatte sie alle Zeit der Welt. Sie krempelte ihre Ärmel hoch und begann, das Haus vom Staub und Unrat zu befreien. Es war lange nach Mitternacht, als sie im Zimmer ihrer Mutter angelangt war. Wehmütig und abermals mit Tränen in den Augen betrat sie das Zimmer und blickte sich um. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte es Sybill nicht gewagt, auch nur ein Teil anzurühren, geschweige denn zu verändern. Eine dicke Schicht Staub hatte sich auf den Oberflächen der kunstvoll verarbeiteten Anrichte, dem romantischen Himmelbett mit dem golddurchwirkten Vorhang und auf all den Bildern, die Sybill als Kleinkind zeigten abgesetzt, sodass sie kurzerhand auch hier für Ordnung sorgte. Sie rückte Schränke und Tische zur Seite, nahm den goldenen Vorhang ab, wusch ihn und hängte ihn sorgfältig wieder auf, lehrte sämtliche Regale aus, um die Sachen ordentlich abzustauben und sorgsam wieder einzuräumen und kroch auf allen Vieren durch das Zimmer, um die dicke Staubschicht vom edlen Holzboden zu entfernen. Als sie so vor dem Bett kniete, fiel ihr eine lockere, leicht aufstehende Holzbohle unter dem Bett auf. Ihr Tatendrang wurde sofort angefacht und sie versuchte, die Bohle vorsichtig herauszubekommen, um sie mit neuen Nägeln zu versehen, wieder einzusetzen. Dabei entdeckte sie einige Papiere in dem nun entstandenen Loch im Boden. Neugierig geworden, holte sie sie hervor und zeigte sich entzückt, als sie die Handschrift ihrer Mutter erkannte. Vermutlich Liebesbriefe an ihren Vater, dachte sie, setzte sich mit dem Stapel Papier an die Bettkante und begann zu lesen. Doch schnell war ihr klar geworden, dass es sich hier nicht um Liebesbriefe handelte, sondern um eine Art Tagebuch, oder Aufzeichnungen, festgehaltene Geschehnisse. Ihr Vater war nur kaum erwähnt.
Er war so galant, begann die erste Seite. Ich hatte es nie für möglich gehalten, dass es einen solchen Mann gäbe. So ganz anders als Keino. Bereits bei unserem ersten Zusammentreffen auf dem Botschafterempfang auf Atorr fiel er mir auf. Und ich war ihm aufgefallen. Ein so eleganter Mann, so hochaufragend, so stolz und so hübsch anzusehen. Er war umringt von Lakaien, doch er besaß nur Augen für mich. Er war ein hochrangiger Kaufmann, einer jener Mitglieder der Handelsgilde von Atorr, mit denen Keino versuchte, Geschäftsverbindungen zu verknüpfen. Keino, der Gute kannte mich stets wie eine Schwester. Er bemerkte sofort unsere Blicke und stellte ihn mir schließlich vor. Ranjo Qui’Dermanes war sein Name. Ich ließ diesen Namen mehrmals über meine Zunge gleiten. Es fühlte sich an wie warmer Honig.
Jetzt kenne ich zumindest den Namen dieses verächtlichen Atorrianers, der es gewagt hatte Hand an ihre Mutter zu legen, dachte Sybill voller Hass.
Seine Stimme war wie der Glockenklang. So melodisch, so makellos, so betörend. Ich war ihm verfallen, vom ersten Augenblick an. Ranjo Qui’Dermanes. Ein Edelmann, ein vollkommener Mann. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als für immer ihm zu gehören. Wir verbrachten wundervolle Tage, in denen er mir sein Land und seinen Planeten zeigte. Er erklärte mir die Schönheiten und Besonderheiten von Atorr, wollte, dass ich alles kannte, dass ich alles sah. Mir wurde es beinahe schon zu viel und mir schwindelte an der Überfülle der Eindrücke, doch er hielt mich fest in seinen starken Armen und führte mich weiter zu noch schöneren Dingen. Er war ein Mann so voller Leidenschaft und Liebe. Ich liebte ihn. Mit ganzem Herzen. Keino machte sich lustig über mich, doch er wusste, dass ich mein Herz an Ranjo verloren hatte. Wir waren im Laufe unserer Missionen beinahe schon zu Geschwister geworden, so freute er sich schließlich mit mir, als ein Bote ein großartiges Geschenk ins Haus brachte. Es war ein Zeichen der Liebe, der Verbindung zweier einander liebenden Seelen. Ein Keetochei. Ich war überglücklich. Ich wusste, was dies zu bedeuten hatte. Er liebte auch mich und er hielt um meine Hand an. Ich umarmte Keino, tanzte mit ihm im Zimmer umher und wir beide feierten dies bereits mit einer ganzen Flasche köstlichen Wyyk-Wein. Am Abend sollten wir uns auf einem Empfang treffen. Ich machte mich so schön wie noch nie und trug ganz stolz das Keetochei auf meiner Brust. Ich wollte allen zeigen, wie glücklich ich war. Auf meinem Herzen sollte ich es tragen, hatte er mir in einer Botschaft mitgeteilt. Direkt auf meinem Herzen, auf dass es meine Liebe anfachte und entbrannte, sodass ich nicht anders konnte, als seinen Antrag anzunehmen. Ich trug es auf meinem Herzen, präsentierte es stolz aller Welt. Ich war verliebt.
Sybill war gerührt von den leidenschaftlichen Worten ihrer Mutter und unterdrückte eine Träne. Wollte sie doch nicht ebenfalls jene Liebe für den Mann empfinden, der ihre Mutter so schändlich behandelt hatte.
Auf dem Weg zum Empfang, kamen wir an ein Feld vorbei, auf welchem burgoise Arbeiter Getreide ernteten. Zwischen den dunkelroten Getreidehalmen standen hell leuchtende gelbe Blüten, die meine Aufmerksamkeit erregten. Sie passten hevorragend zu meiner Abendgarderobe und ich ließ anhalten. Beschwingt vor Liebe und der frohen Erwartung verließ ich den Wagen und ging auf das Feld hinaus. Der Fahrer des Wagens war von der Botschaft gestellt, kein Atorrianer, er rief mir nur hinterher, dass wir uns beeilen müssten, damit wir noch rechtzeitig zum Empfang kamen. Ich pflügte sorgfältig einige der leuchtenden Blüten und lächelte die Arbeiter an, die aufgrund meines Erscheinens in ihrer Arbeit innehielten und mich beobachteten. Ich fragte sie, ob ich einige der Blumen pflücken durfte. Sie antworteten mir in ihrer eigenartigen kehligen Sprache. Ich verstand ihre Sprache nicht und lächelte nur freundlich.
Sybills Hände wurden auf einmal kalt und feucht und drohten das Papier zu verknüllen. Sie glaubte zu ahnen, was nun kommen würde.
Die Arbeiter näherten sich mir. Ich glaubte zunächst, dass sie nur neugierig waren. Eine Fremde sahen sie offensichtlich nicht jeden Tag. Sie kamen näher, sprachen mich in ihrer kehligen Sprache an. Ich versuchte freundlich zu lächeln, doch allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich rief nach dem Fahrer. Sie hatten mich schon umringt, zupften und zerrten an mir herum, zerrissen mein kostbares Kleid. Ich sah noch, wie der Fahrer ausstieg und laut rufend auf mich zukam. Ein Schlag auf den Kopf beraubte mich meiner Sinne. Als ich wieder erwachte, fand ich mich in einer Höhle wieder. Mein ganzer Körper schmerzte. Die Burgoise saßen um mich herum, lachten und schienen etwas zu feiern. Ich versuchte mich zu bewegen, doch mein Leib bestand nur noch aus Schmerz. Ich sah an mich herunter. Mein Körper war übersät mit Kratzern und blauen Flecken. Mein Unterleib brannte wie Feuer. In meiner Ohnmacht mussten sie über mich hergefallen sein. Einer der groben Männer beugte sich über mich. Ich wich zurück, doch er hielt mich fest. Dann nahm er mich brutal. Ich schrie...
Sybill ließ die Aufzeichnungen sinken. Tränen standen in ihren Augen. Sie brachte es nicht fertig, die letzten Zeilen dieser Seite zu lesen. Zu grausam waren die Schilderungen, was die Burgoisis mit der Frau anstellten. Ihre Mutter trug das Keetochei an ihrer Brust – eine Einladung für jeden Burgoisis, sich die Frau zu nehmen, die sich so freizügig anbot. Sie blätterte einige Seiten weiter, bis zu einer Stelle, an der die erschreckenden Schilderungen endeten.
Ich schleppte mich – blutend und verwundet – ins nächste Dorf. Zu meinem Glück Angehörige einer zivilisierten Kaste. Sie pflegten mich gesund, doch die tiefe Wunde in mir, konnten sie nicht heilen. Ich verließ Atorr so schnell ich konnte. Ich wagte es auch nicht, Ranjo jemals wieder unter die Augen zu treten. Keino fand mich natürlich. Er kannte das Haus meiner Eltern und tröstete mich. Doch auch er vermochte nicht die Wunde zu heilen, die noch immer tief in mir wütete. Er versuchte, mir ein liebevoller und verständnisvoller Mann zu sein, doch niemals hätte ich gewagt, seine Güte auszunutzen und ihn zu ehelichen. Und niemals hätte ich es gewagt, das unschuldige Wesen in meinem Leib auch nur anzutasten. Es konnte nichts für die unbarmherzige Tat ihrer Volksgenossen. Das unschuldige Wesen in meinem Leib wuchs heran und wurde geboren. Ich versuchte, mein Leid in Liebe zu verwandeln, meinen Hass in Geborgenheit. Keino blieb noch eine Weile, doch als er bemerkte, dass er nicht mehr gebraucht wurde, ging er. Wir hatten uns zuvor immer heftiger gestritten. Zurück blieb ich mit dem heranwachsenden Kind, dass ich nach meiner Großmutter nannte – Sybill.
Sybill ließ die Papiere sinken. Tränen hatten ihr Gesicht überflutet und tropften auf die zart geschwungenen Worte ihrer Mutter. Ihre Mutter hatte sie angelogen. Sie hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt. Sie hatte sie im Unklaren über ihre wahre Herkunft gelassen. Jetzt verstand Sybill einiges. Warum sie so anders war, als andere Mädchen in ihrem Altern. Warum sie sich so anders benahm, warum sie so anders reagierte und woher diese unerklärlichen Hautausschläge kamen. Von Beegje, gegen den sie allergisch war. Sie war Halbatorrianerin und als solches hatte sie die allergische Neigung geerbt. Wütend zerknüllte sie die Papiere und warf sie in die Ecke. Eine weitere Tränenflut übermannte sie, doch diesmal wartete sie nicht das Ende ab. Sie schniefte den Rest ihrer Tränen hinunter, ging in den Raum, in welchem das Porträt ihrer Mutter hing und entdeckte zum ersten Mal in ihrem Leben ein winzig kleines Detail, das ihr nie aufgefallen war. Das Muster auf dem Kleid ihrer Mutter bestand nicht nur aus den kunstvollen Stickereien. Genau auf der Brust, dort wo sich das Herz befand, erkannte sie das verschlungene Symbol des Keetochei wieder. Der Künstler schien dieses Symbol mit dem Muster verschmolzen zu haben. Das Bild war nicht gemalt worden, nachdem sie den Heiratsantrag von Keino – den Sybill bis eben noch gedacht hatte, dass er ihr Vater sei – erhalten hatte, sondern den des Atorrianers. Deswegen war sie so glücklich. Deswegen strahlte sie vor Überschwang. Sybill rannte wieder in das Zimmer ihrer Mutter und holte das Papierknäuel zum Vorschein. Hastig blätterte sie zu den letzten Seiten.
Zu gerne hätte ich Ranjo noch einmal gesehen und ihn um Verzeihung gebeten. So sehr habe ich ihn enttäuscht. Zu sehr habe ich sein Herz gebrochen. Es war allein meine Schuld. Ich hätte das Zeichen der Liebe, das so etwas Intimes war, dass ich es hätte auf der bloßen Haut tragen sollen, nicht zur Schau stellen sollen. Unsere Liebe war etwas Intimes, etwas was nur uns gehörte. Ich habe es in die Welt hinausgetragen und es allen präsentiert und wurde von allen genommen. Wie sehr vermisse ich den Klang seiner Stimme. Wie sehr vermisse ich die Wärme seiner Haut. Wie sehr vermisse ich die Geborgenheit, die er ausstrahlte, wenn er mich mit Leidenschaft verschlang. Wie sehr vermisse ich seine Liebe. Ich habe stets versucht, Sybill diese Liebe zu geben, ohne sie im Unklaren zu lassen. Ich habe längst den Burgoisis verziehen. Sie haben mir ein Geschenk gemacht, das mehr wert war. Wenn ich das kleine Mädchen heute ansehe, sehe ich Ranjo in ihr. Sie ist so anders, als andere Mädchen in ihrem Alter. Sie ist das einzige, was mir von meiner Liebe geblieben war.
Sybill musste ihr Recht geben. Ihre Mutter hatte sie nicht im Unklaren gelassen, wobei sie mit der Wahrheit nicht ganz so ehrlich gewesen war. Sie hatte ihr vieles verschwiegen. So hatte dies dazu geführt, dass sie in den Jahren ihres Lebens einen abgrundtiefen Hass entwickelt hatte. Wenn ihre Mutter ihr nur früher davon erzählt hätte, dann wäre sie den Atorrianer längst nicht so feindselig gegenüber gewesen.
ATORRIANER!!! schrie es in Sybills Kopf. DE’QUERRES!!!
Ihretwegen war er in Gefahr geraten. Wenn sie nicht so unkooperativ gewesen wäre, dann wären sie längst ein eingespieltes Team und sie hätte ihn retten können. Hastig rannte sie zurück in den Raum, in welchem sich das Gemälde ihrer Mutter über dem Kamin befand. Dort stand in einer Ecke ein Schreibtisch mit einem Terminal. Wenn sie in dieser Hütte zu Besuch war, benutzte sie ihn für gewöhnlich nie, doch heute schaltete sie ihn an und ließ ihre Finger hektisch über die Tasten gleiten. Ihre Zugangscodes waren noch nicht gelöscht worden, stellte sie erfreut fest. Sie rief die Berichte der Schlacht auf und überflog die Zeilen. Von einer Fähre war da die Rede gewesen. Mit einer Fähre hatte der Alkaios zu seinem Flaggschiff gelangen wollen, war aber nicht angekommen. Der Hangar, in welcher er landen wollte, wurde kurz zuvor zerstört. Danach verschwand die Fähre. Nicht einmal Trümmer wurden wieder gefunden. Nicht einmal Trümmer wurden wieder gefunden, wiederholte Sybill mehrmals im Geiste. Das musste bedeuten, dass die Fähre noch intakt war und vermutlich noch irgendwo da draußen herumtrieb. Inmitten all der Trümmer, die die Schlacht hervorgebracht hatte, vermutete sie. Sie rechnete schnell die Vektoren aus, mit denen die Trümmer im All schwebten und wo sie sich befinden sollten. Es konnte auch gut möglich sein, dass einige der Trümmer auf den umliegenden Planeten niedergingen. Sie rief die letzten Daten ab, übertrug die Scans auf ihre eigenen Datenchips und ortete die letzt gültigen Befehle. Die atorrianische Delegation befand sich noch im Orbit vor Lynd und Szixdans und schien den Weltraum systematisch nach Überbleibseln abzusuchen. Offenbar glaubten auch sie daran, dass ihr Alkaios noch am Leben war. Sybill rief den Vorgang noch mal auf, wo das atorrianische Flaggschiff angegriffen wurde. Es verhielt sich ungewöhnlich starr, als wollte es noch auf jemanden warten. Es bot in seiner Position ein gutes Ziel. Nach eingehendem Studium der Daten, Berichte und Bilder kam Sybill zu dem Schluss, dass sie auf die Fähre mit dem Alkaios warteten, die jedoch nicht mehr landen konnte, da der Hangar zerstört worden war. Sybill berechnete die Zeit, in der die Fähre die Strecke vom Dock zum Schiff hätte überwinden müssen, rief dazu sämtliche Fabrikationsdaten ab und kam zu dem nächsten Schluss, dass die Fähre nicht mit voller Leistung flog. Jemand schien die Energiezufuhr blockiert zu haben, oder der Pilot ging nicht auf volle Leistung. Woraus sie rasch schlussfolgerte, dass der Alkaios einer Verschwörung zum Opfer fiel. Nun musste sie herausfinden, wer der Auftraggeber dieser Verschwörung war. Laut den letzten Berichten des Docks, wo De’Querres kurz zuvor ein Gasthaus besucht hatten, befanden sich nur die Keetanerin und der Attorianer an Bord. Nachdem die Fähre nicht mit voller Leistung geflogen war und der Atorrianer sich wohl kaum selbst ans Messer lieferte, musste die Keetanerin die Fähre geflogen haben. Sybill lehnte sich kurz zurück und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Es gab für sie keinen anderen Schluss, als diesen – Lieutenant Isuzu war eine Verräterin. Es war eine sehr wage Vermutung – nur ein Hirngespinst, zusammengereimt aus eifersüchtigen Gedanken. Aber dennoch fühlte sie, dass etwas Wahres daran sein musste. Dies war ein Gefühl, dass tief aus ihrem Bauch herauskam. Und auf ihrem Bauch konnte sie sich schon immer verlassen.
Schließlich berechnete sie noch die möglichen Absturzstellen auf Szixdans, jenem Planeten, der der Planetenallianz nicht sonderlich gewogen war und der bislang als Norg-jet’nas Anhänger galt. Sie lud sich alle Daten auf ihren Chip, zog sich rasch um und verließ eilends das Haus in Richtung des kleinen Privatraumhafens, wo schon seit langen Jahren eine kleiner privater Flieger wartete. Den Raumflitzer hatte sie bei einer Auktion entdeckt und sich selbst zum zwanzigsten Geburtstag geschenkt. Auf Anhieb hatte sie sich in diesen kleinen schnittigen Flitzer verliebt. Leider hatte sie in der Vergangenheit nicht viel Zeit dafür gehabt. Nun würde sie ihn brauchen. Ihre Finger flogen über die Instrumente und wenig später brauste sie über die Berge in Richtung Himmel davon.
Vor Tellur sprang sie aus dem Hyperraum und blickte geradewegs auf eine grünweiße Kugel. Der Planet war einer der beiden Hauptsitze der Telluren. Es gab noch einen anderen, einen etwas kleineren, namens Telluria, was nichts anderes bedeutete, als kleines Tellur. Von Beegje hatte sie erfahren, dass man früher die Leute unterschied, zwischen Telluren und Tellurianern. Sie stammten jedoch vom selben Stamm ab, von einem, der vorher auf Tellur ansässig war. So wurde bereits von einigen Jahrhunderten schon, entschieden, dass es nur noch einen Namen für diese Art gab. Milde lächelnd betrachtete sie den Planeten, von dem Captain Beegje stets schwärmerisch erzählte. Wie gern hätte sie ihn einmal besucht. Nun war es soweit. Sie bezweifelte allerdings, dass sie lange Besichtigungstouren unternehmen konnte. Es blieb ihr sogar nur noch wenig Zeit. Je schneller sie wieder von hier fort flog, desto eher war die Wahrscheinlichkeit De’Querres lebend zu finden. Sie ließ sich die Landkarten von Tellur zeigen und gab dem Navigationscomputer die Stammdaten von Captain Beegjes derzeitigem Aufenthalt. Aufgrund dessen war es keine Schwierigkeit mehr, den Captain im Kreise seiner Familie zu finden. Beegje spielte gerade mit seinen Kindern im Garten. Er staunte nicht schlecht, als er Commander Danning die Auffahrt zu dessen Haus heraufkommen sah.
»Alles hätte ich erwartet, nur Sie nicht, muss ich gestehen, Commander Danning.« Er ging ihr entgegen. Ohne seine Uniform, nur eine legere Kniehose, seinen weich behaarten Körper beinahe hüllenlos zeigend. Beegje hatte ihr einmal erzählt, dass Kleidung bei ihnen nicht wichtig war. Eher die Zeichnungen der Felle. Kleidung würden diese Zeichnungen verdecken, so trugen die Telluren stets äußerst knappe Kleidung.
Sybill nickte. »Wenn sSe mich nun übers Knie legen und ordentlich den Hintern stramm ziehen, würde ich mich sogar freiwillig niederbeugen.« Sie lächelte entschuldigend. »Ich bitte Sie vielmals um Vergebung … für …« Sie verstummte, als Beegje die Hand hob.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Dazu kenne ich Sie zu gut. Ich würde mich fragen, ob man Ihnen etwas in den Kaffee getan hat.«
»Das ist genau das, was ich meinte. Ich habe mich einfach dumm benommen. Zu hochnäsig, zu arrogant. Diese Art kostete vielleicht vielen guten Leuten das Leben. Oder setzte es zumindest aufs Spiel.«
Beegje betrachtete sie musternd. Auf seiner Stirn legten sich die feinen Härchen in Wülsten. »Meine Familie wird sich freuen, sie endlich kennen zu lernen, Commander Danning. Kommen Sie doch mit rein.«
»Das geht leider nicht, Beegje. Ich muss etwas mit Ihnen bereden. Das heißt... Ich benötige Ihre Hilfe.«
Die Wülste auf seiner Stirn wurden tiefer. Seine Augen verdunkelten sich einen Moment. Etwas, was sie an ihm noch nie festgestellt hatte. Vermutlich hatte sie ihm aber noch nie so genau in die Augen gesehen.
»Was ist geschehen? Haben Sie wieder etwas angestellt? Alkaios De’Querres wieder einen besetzten Planeten befreien lassen?«
Sie musste lächeln. »Haben Sie die Nachrichten gehört?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weigere mich, die Nachrichten zu hören. Es gibt so viel Böses auf der Welt.«
»Da haben Sie Recht. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?« Sie wurde allmählich ungeduldig, zwang sich jedoch zur Ruhe. Überstürzte Handlungen hatte sie in der Vergangenheit schon genügend ausgeführt.
»Natürlich. Kommen Sie rein.« Er bot ihr mit einer Handbewegung an, das Haus zu betreten. Ein einstöckiger Bau in zartem Rosa gehalten. Eine Farbe, die sich wunderbar an die rotsandene Umgebung anpasste. In einem Raum, dass offenbar ein Salon zu sein schien, schloss er schließlich die Türen hinter sich. »Um was geht es, Commander?«
»Um Alkaios De’Querres«, kam sie sogleich mit der Sprache heraus. »Er befindet sich in höchster Gefahr. Bei der Angelegenheit um Szixdans eskalierte die Situation.« Dann berichtete sie ihm beinahe ins Detail die Geschehnisse seit Captain Beegjes Abschied in den Urlaub. Als sie endlich geendet hatte, war sie erschöpft, aber erleichtert. »Wir müssen ihn finden. Er ist vermisst. Ich bin davon überzeugt, dass er noch am Leben ist.«
Beegje hatte die ganze Zeit stumm und aufmerksam zugehört. Einige Male war er nachdenklich im Zimmer auf und ab gegangen. Dann blieb er wieder stehen und lauschte den Ausführungen seiner Vorgesetzten. Als sie geendet hatte, stand er nahe bei ihr. »Und Sie glauben, diese Lieutenant Isuzu lockte ihn in die Falle?«
»Beweisen kann ich es nicht. Es ist nur eine Vermutung. Ich habe die Wartungsberichte der Fähren auf dem Dock durchgesehen. Es gab bei keiner irgendwelche Abweichungen. Natürlich können die Berichte auch gefälscht sein. Meine Intuition sagt mir aber, dass sie dahinter steckt.«
»Wenn wir diese Vermutung weiterspinnen wollen, dann müssen wir uns fragen, warum sie das tat? Aus welchem Grund bezirzte sie Alkaios De’Querres? Aus welchem Grund sollte sie die Ankunft der Fähre im atorrianischen Flaggschiff verzögern? Mitten in eine Schlacht zu geraten, wäre doch auch für sie lebensbedrohlich.«
»Nicht, wenn die Angreifer Bescheid wissen und absichtlich daneben schießen. Oder wenn sie so gut ist, dass sie mühelos ausweichen kann. Die Fähren sind nicht bewaffnet.«
»Die Theorie mit dem Danebenschießen gefällt mir besser«, gestand Beegje und legte eine Hand auf Sybills Schulter. Diese zuckte sofort zurück und wich unter seiner Hand davon.
»Verzeihen Sie, Captain Beegje. Aber ich muss Sie bitten, mich nie wieder zu berühren.«
Der Tellure blickte sie erschrocken an. »Warum?«, entfleuchte seinen Lippen.
»Ich bin Halbatorrianerin. Sie können sich doch noch daran erinnern, was De’Querres Ihnen bei Ihrer ersten Begegnung sagte. Er reagierte allergisch auf Ihre Berührungen. Ich wunderte mich schon seit langem, warum ich immer wieder unerklärliche Hautausschläge bekomme. Mir ist nie aufgefallen, dass Sie mich stets kurz zuvor berührten.«
»Halbatorrianerin?« Beegie blickte sie verwirrt an. Sein Mund blieb nach diesem Wort offen stehen.
Sybill nickte. »Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen gerne erzähle, wenn die Zeit dafür ist. Nur soviel, ich wusste es bislang auch nicht. Aber es ist so. Jetzt bin ich hier, um Sie zu bitten, mit mir De’Querres zu retten.«
Beegje schüttelte den Kopf. Er schien sich entschlossen zu haben, sich über ganz nichts mehr zu wundern. »Also spinnen wir unsere Theorie weiter.« Er wollte schon wieder die Hand nach Sybill ausstrecken, zuckte jedoch im letzten Moment wieder zurück. »Nehmen wir an, Lieutenant Isuzu verzögerte absichtlich den Flug, damit sie nicht mehr rechtzeitig ankommen konnten. Sie musste im ständigen Kontakt mit den Angreifern sein, damit sie sich abstimmen konnten.«
»So etwas kann man auch schon im Vorfeld abklären. Außerdem waren laut den Berichten, sämtliche Funkkanäle gestört. Sie konnte keinen direkten Kontakt mit ihren Komplizen haben.«
»Die anderen wussten aber, dass sie kam. Dann musste sie Komplizen im Dock haben, oder ein Signal ausgesendet haben, dass die Angreifer über ihren Start informierte.«
»Was wäre, wenn die Fähre markiert wäre, wenn es nur diese eine gegeben hätte, mit denen sie fliegen konnten?«
»Möglich«, nickte Beegje und setzte sich in einen der Sessel. Mit einer flinken Handbewegung bot er Commander Danning ebenfalls einen Platz an. »Sie lenkte ihn mit dem Essen ab, damit er vom allgemeinen Geschehen draußen nichts mitbekam. Damit er erst im letzten Moment informiert werden und eingreifen konnte. Damit sie die letzte Fähre nahmen und abflogen. Sie verzögerte den Flug und brachte es fertig, die Fähre geradewegs dort zu platzieren, wo der Hangar explodierte, was ihr die Möglichkeit verschaffte, sich mit den Trümmern davon zu machen.«
»Das würde De’Querres nicht zulassen. Er würde einen anderen Hangar benutzen wollen. Das atorrianische Flaggschiff besaß soviel ich weiß, vier Hangars.«
»Dann musste der Alkaios entweder bewegungslos oder gefesselt sein, oder ohnmächtig«, schlussfolgerte der Tellure.
»Damit stellt sich die Frage, wohin bringt sie ihn.«
»Es muss einen Treffpunkt geben.«
»Wenn sie sich mit den Trümmern durchs All treiben ließ, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie nach Szixdans gelangte.«
»Szixdans ist groß und zerklüfftet. Man kann sich dort sehr gut verstecken.«
»Das darf uns nicht aufhalten. Helfen Sie mir De’Querres zu finden?« Sie sah ihn flehend an.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Sie sind nicht Commander Danning. In Ihnen ist eine große Wandlung vorgegangen.«
»Da haben Sie Recht, mein guter Beegje. Mir geht es auch nicht um meinen guten Ruf, sondern einzig darum De’Querres zu retten. Sonst kann ich nie wieder ruhig schlafen. Ich habe in der Vergangenheit zu viele Fehler gemacht, auch aus Unwissenheit und vor allem aus Unbeherrschtheit. Das soll mir nie wieder passieren.« Sie schnaufte tief. »Ich habe aus meinen Fehlern gelernt und eben bin ich dabei, einen großen Fehler wieder gut zumachen. Bitte, helfen Sie mir dabei.«
»Natürlich helfe ich Ihnen dabei, Commander. Das steht außer Frage. Ich freue mich nur für sie. Vielleicht werden dann Alkaios De’Querres und Sie doch ein Team.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Ich bin suspendiert und ich gedenke, das Amt nicht wieder anzunehmen, was auch immer geschieht, oder was dieser Atorrianer mir auch immer anzudrohen gedenkt. Aber ohne eine kompetente Führung kann die Planetenallianz nicht lange bestehen. Der Senat wird das Heer nicht lange halten können, wenn Gegner wie Norg’jet’na ins Spiel kommen. Daher müssen wir den Alkaios unbedingt retten. Ohne ihn wird das Bündnis zerschlagen werden.«
»Was ist mit Ihnen, Commander?«, gab Beegje zu Bedenken. »Ihnen ist es schließlich zu verdanken, dass aus dem zusammengewürfelten Haufen überhaupt eine annehmbare Armee geworden ist.«
»Ich bin aber nicht kompetent genug, ein Heer zu führen. Das kann nur der Atorrianer. Ich brauche Ihre Hilfe, Beegje. Ich bin suspendiert. Ich habe keine Befehlsgewalt mehr.«
»Sie können auf mich zählen, Commander.« Er erhob sich. »Lassen Sie mich nur kurz von meiner Familie verabschieden. Dann können wir gehen.«
»Es tut mir leid, dass ich Ihre Familienidylle stören muss. Sie haben sich so darauf gefreut.«
Beegje lächelte, wobei sich die Härchen um seine Mundwinkel in alle Richtungen abstellten. Etwas, was sie stets hochamüsant fand. Auch diesmal konnte sie nichts anderes als zurücklächeln.
»Ich vergebe Ihnen, wenn Sie nach unserer Mission ein paar Tage unsere Gastfreundschaft annehmen. Meine Familie würde Sie sehr gerne kennen lernen.«
»Sie sind mir der beste Freund, Beegje. Ohne Sie wäre ich so manches Mal verzweifelt. Gerne nehme ich Ihre Einladung an. Ich denke, wenn wir da mit heiler Haut rauskommen, werde ich alle Zeit der Welt haben.«
Mit einem Nicken verließ er das Zimmer. Sybill lehnte sich entspannt zurück, wusste sie doch nun einen vertrauenswürdigen Verbündeten an ihrer Seite. Sie sah sich kurz um. An zwei Wänden standen Regale mit Büchern und Karten. Ein großes Bild, das offenbar die zahlreiche Familie des Telluren zeigte, hing an einer anderen Wand über einem halbhohen Schubladenschrank. Die dritte war vollkommen von einer großen Fensterfront eingenommen, die den Blick über seine saftige grüne Wiese offenbarte. Die vierte Wand zierte nur die Türe zum übrigen Wohnraum. Sybill hatte gerade genug Zeit bekommen, sich etwas umzusehen, da tauchte der Tellure wieder auf. Zustimmend nickte er ihr zu und verließ schließlich mit Sybill Danning das Haus. Sybill hatte ihren Flieger auf einem nahen privaten Landeplatz geparkt. Nur knapp eine halbe Stunde später flogen sie in Richtung Szixdans davon. Auf dem Weg dorthin berichtete sie ihrem Adjutanten die Geschichte mit ihrer Mutter. Es war ihr ein Bedürfnis gewesen, den Mann einzuweihen. Er hörte aufmerksam zu, nickte dann und wann verständnisvoll und versank dann für mehrere Minuten in Schweigen, als Sybill geendet hatte.
»Das müssen Sie unbedingt dem Alkaios berichten«, riet er, nach einer Weile, in der düsternes Schweigen zwischen ihnen geherrscht hatte. »Vielleicht kann er Ihnen helfen, die Schuldigen zu finden.«
»Ich bin nicht daran interessiert, diese Unholde zu finden, um endlich meinen wahren Vater kennen zu lernen«, gab sie unwirsch zurück. »Aber selbstverständlich werde ich es De’Querres erzählen. Das bin ich ihm schuldig, nach all dem …« Sie verstummte. »Wenn ich es nur geahnt hätte«, fuhr sie nach einer Weile fort.
»Ihre Mutter wird ihre Gründe haben, Ihnen nicht die ganze Wahrheit berichtet zu haben«, bemerkte der Tellure und wollte seine Hand auf die von Sybill Danning legen. Diese zog ihre sofort zurück, ehe sie sich berühren konnten. »Verzeihung. Daran muss ich mich erst gewöhnen.«
»Ich auch, Beegje. Dabei habe ich Ihre Berührung stets genossen.« Sie lächelte. Dann wurde sie schnell ernst. »Ist Ihnen etwas eingefallen, wie wir an den Schiffen vorbeikommen? Den letzten Erkenntnissen nach schwebt dort noch immer eine Delegation Atorrianer herum.«
»Vielleicht können sie uns helfen«, schlug er vor.
»Wir müssen nach Szixdans, einem Planeten, der der Planetenallianz nicht sonderlich zugeneigt ist. Wenn wir dort mit einer ganzen Armee auftauchen, werden sie auf uns aufmerksam werden.«
»Wir sollten dennoch mit ihnen Kontakt aufnehmen», riet Beegje. »Und wenn wir sie lediglich als Rückenstärkung benötigen.«
Sybill überlegte kurz. »Sie haben Recht.«
Der Navcomputer gab ein Warnsignal aus und riss Sybill und Captin Beegje aus ihren Gedanken. Die Stunden waren wie im Flug dahingerast. Tief in ihren eigenen Gedankenströmen versunken, bemerkten sie nicht, wie der Raumflitzer durch das All raste und am programmierten Punkt aus dem Hyperraum wechselte. Der automatische Scan zeigte die beiden Planeten Szixdans und Lynd an, sowie einige Schiffe, die zwischen ihnen schwebten. Sybill hielt im luftleeren Raum an und wählte eine Kommverbindung zu einem der atorrianischen Schiffe. Zu ihrer Überraschung meldete sich ConQuiis, der erste Offizier des schwer angeschlagenen atorrianischen Flaggschiffes.
»Commander Danning!«, zeigte sich dieser überrascht, aber zugleich auch erleichtert. Im Hintergrund war helle Aufregung zu sehen. Unentwegt rannten Leute durch Bild. »Wo befinden Sie sich derzeit?...«
»Ich bin im Anflug auf Szixdans«, unterbrach sie den Redefluss des Mannes, noch ehe er weitersprechen konnte. »Ich versuche, den Alkaios zu retten. Es wäre von Vorteil, wenn Sie noch in der Nähe bleiben könnten, bis wir uns wieder melden.«
»Sie können nicht nach Szixdans. Ich befürchte Feldherr Norg’jet’na ist dort.«
»Das befürchte ich ebenfalls. Ich muss trotzdem hin. Meinetwegen befindet sich der Alkaios in dieser Lage. Ich muss wenigstens versuchen, ihn wieder heraus zu holen.«
»Szixdans wird von Raumpatrouillen kontrolliert. Es wird schwer sein, auf die Oberfläche zu gelangen.« Er drehte sich kurz um. Seine Aufmerksamkeit schien einem Unruheherd abseits des Aufnahmebereiches zu gelten. Dann nickte er und wandte sich wieder zu Sybill Danning um. »Ich kann aber etwas arrangieren. Wenn Sie einige Minuten Geduld haben, werde ich ein paar Jäger ausschicken, unter denen Sie sich verstecken können. Wir werden es als Erkundungsflug tarnen. Es könnte aber zu Kampfhandlungen kommen, denn die Patrouillen sind äußerst nervös. Sobald Sie den Gürtel passiert haben, sind Sie aber auf sich selbst gestellt.«
Sie nickte zustimmend. »Ich danke Ihnen.«
»Commander Danning«, sagte Con’Quiis. In seiner Stimme klang plötzlich wesentlich mehr Gefühl mit. »Ich halte Sie nicht für eine Verräterin. Ich kann nicht glauben, dass Sie das Flaggschiff geschickt haben, um die atorrianische Flotte und den Alkaios von Feldherr Norg’jet’na vernichten zu lassen.«
»Sagt man das?«, fragte sie nicht überrascht.
»Das wurde uns vom Senat mitgeteilt. Aber ich bezweifle das. Wir wissen, Sie handelten auf Wunsch des Alkaios.«
»Das war ein vertrauliches Gespräch zwischen ihm und mir. Ich kann es nicht beweisen.«
»Der Alkaios kann es. Und ich ebenfalls. Bringen Sie ihn lebend zurück.«
Sie nickte abermals. »Das habe ich mir vorgenommen.«
Wieder blickte der erste Offizier zur Seite. »Die Jäger stehen bereit. Sie werden Szixdans umrunden und dabei zu Ihnen kommen. Wenn Sie nahe genug sind, können Sie sich einreihen. Anschließend werden Sie auf Tiefflug gehen, dabei wird es höchstwahrscheinlich zu Kampfhandlungen kommen.«
»Ich werde im richtigen Augenblick den Kopf einziehen. Gibt es einen Anhaltspunkt auf De’Querres Aufenthaltsort?«
»Ich kann Ihnen die Koordinaten von Norg’jet’nas letzten bekannten Aufenthaltspunkt durchgeben. Ich vermute, dort werden Sie auch den Alkaios finden.«
»Ich danke Ihnen, Con’Quiis.«
Er lächelte. »Ich danke Ihnen, Commander Danning.«
»Für was?«
»Dafür«, gab er knapp von sich. »Viel Glück!« Damit brach die Verbindung ab und der Bildschirm färbte sich schwarz.
Als Serge erwachte, fand er sich mit Mullbinden gefesselt auf dem Copilotensitz wieder. Er konnte sich kaum bewegen. In der Fähre war es ruhig. Kein Motorengeräusch, keine Flugturbulenzen. Sie standen bewegungslos und still auf dem Boden. Sein Sitz war nach hinten gerichtet, sodass er nicht nach vorn durch die Sichtfenster sehen konnte. Er blinzelte die letzte Benommenheit weg. Gleichzeitig fragte er sich, wie sie unbehelligt und ohne Antrieb durch die Atmosphäre dringen und auch noch landen konnten. Dann erinnerte er sich daran, dass sie kurz bevor er ohnmächtig geworden war, von irgendjemanden abgeschleppt wurden. Den Mullbindenfesseln nach zu schließen, mussten ihre Retter zu Norg’jet’na gehören.
Serge versuchte, sich aus den Fesseln zu winden, doch vergeblich. Sie saßen fest und unnachgiebig. Sein Kopf begann wieder zu dröhnen. Er hielt einen Moment inne. Stimmen näherten sich. Nur kurz überlegte er, ob er sich wieder bewusstlos stellen sollte und kam zu dem Schluss, dass es nichts bringen würde. Früher oder später musste er erwachen. Vom hinteren Teil der Fähre, dort wo sich die Eingangsluke befand, kamen die Stimmen immer näher. Eine glaubte er als die von Isuzu zu erkennen. Ihr heller, melodischer Singsang, gemischt mit militärischer Strenge war beinahe unverkennbar. Die andere, wesentlich tiefere erkannte er nicht. Ganz wage formte sich in seinem Inneren eine Vermutung, die er jedoch sofort wieder erstickte. Die tiefe, sonore Stimme kam näher. Serge De’Querres konnte jedoch kein Wort davon verstehen. Sie hatten sich in einer ihm unbekannten Sprache unterhalten. Schwere Schritte ließen den Boden unter seinen Füßen erbeben. Wenn Serge nicht ein so kampferprobter Mann gewesen wäre, hätte er allmählich Angst bekommen müssen. Er hingegen, checkte seine Lage ab und sann nach Möglichkeiten, dieser Situation zu entkommen.
Ein Mann bog um die Ecke. Er blieb im schmalen Korridor stehen. Seine Gestalt füllte beinahe den ganzen Raum aus. Groß und drohend hatte er sich aufgebaut und schien erst einmal die Wirkung seiner Erscheinung wirken lassen zu wollen. Dann näherte er sich ganz langsam. So als müsse er jeden seiner Schritte erst einmal bedenken, berechnen und bevor er ihn aufsetzte, noch einmal abschätzen. Dabei hielt er seinen Blick fest auf den Gefangenen gerichtet. Sobald er ins Licht kam, wusste De’Querres, wen er vor sich hatte. Er war dem legendären Feldherrn noch nie persönlich begegnet. Stets hatte er nur Holografien von ihm gesehen. Doch keine der Aufzeichnungen spiegelte die beeindruckende Gestalt des gefährlichen Mannes wieder. Gänzlich in Schwarz gekleidet, mit einem wallenden Umhang, der seine Gestalt nur noch unheimlicher machte. Das lange schwarze Haar offen über die Schultern fallend. Stets trug er eine schwarze Brille, die seinen Blick vor dem seines Gegenüber verbarg, sodass man ihn schlecht einschätzen konnte. An seinem Gürtel hing eine Laserpistole. Nur wenige Schritte vor ihm blieb er stehen und betrachtete den gefesselten Atorrianer.
»Alkaios Serge De’Querres», sagte er schließlich mit seiner tiefen, sonoren Stimme, die die Luft im Raum vibrieren ließ.
»Feldherr Norg’jet’na«, antwortete der Atorrianer gelassen. »Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich bin etwas enttäuscht«, entgegnete Norg’jet’na. »Ich hätte mir etwas mehr Schwierigkeiten bei Ihrer Gefangennahme gewünscht. Es war zu einfach.«
»Wir können das Ganze gerne wiederholen«, gab De’Querres flapsig zurück.
»Das wird nicht mehr möglich sein. Allerdings … Vielleicht keine schlechte Idee. Ihr Flaggschiff ist leider nicht ganz zerstört, lediglich stark angeschlagen. Vielleicht könnten wir das beim zweiten Durchgang erledigen.» Er grinste breit und entblößte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. Mit einer erhabenen Geste ließ er sich in den Pilotensitz fallen, streckte die Füße aus und lehnte sich gemütlich zurück. »Aber ich war auch nicht auf die Zerstörung des Schiffes aus.« Er gab dem Sitz, in welchem De’Querres saß, einen leichten Tritt, sodass er sich zu ihm drehte und ihn ansehen musste. »Jetzt wo ich sie endlich habe, weiß ich nicht, was ich mit ihnen machen soll. Ich hätte so viele Ideen und weiß nicht, wo ich beginnen soll.«
Erleichtert über die Nachricht, dass sein Schiff nicht gänzlich zerstört worden war, lockerte sich die Anspannung in Serge etwas. Er wusste, er konnte sich auf seinen ersten Mann verlassen. Er würde alles versuchen, ihn zu retten und erst aufhören, wenn er ihn gefunden hatte. Tot oder lebendig.
»Wie wär es mit einer Münze?«, erwiderte De’Querres leicht genervt. Er durfte sich von dem Mann nicht einschüchtern lassen, so aussichtslos seine derzeitige Situation auch sein möge.
»Es ist äußerst gefährlich, Sie am Leben zu lassen, Atorrianer», fuhr Norg’jet’na unbeeindruckt fort. »Aber solange die Ihren glauben, dass Sie noch am Leben sind, kann ich mehr erreichen. Sie bedeuten den Ihren viel, sodass sie alles tun würden, um sie lebendig wieder zu bekommen. Sind sie erst einmal tot, habe ich zwar erreicht, was ich wollte – die stärkste Waffe der Planetenallianz vernichtet – aber ich habe keine Trümpfe mehr in der Hand. Sie sehen, ich befinde mich in einer verzwickten Lage.«
»Ich bin nicht die Planetenallianz allein. Ich bin ersetzbar.«
Norg’jet’na beugte sich vor und blickte mit seiner schwarzen Brille geradewegs in die Augen des Atorrianers. »Gegen wen?«, wollte er wissen. Als dieser nicht sofort antwortete, lehnte er sich wieder zurück. »Sicherlich gibt es viele Anwärter, die nur darauf warten, den Thron zu übernehmen, aber niemand – NIEMAND«, betonte er ausdrücklich. »Niemand ist so wie Die, De’Querres. Sie sind ein Naturtalent. Ein Wunderkind, eine Koryphäe, ein Heiliger für die Atorrianer. Niemand ist so unverschämt und couragiert wie Sie. Niemand kann Ihnen in puncto Entschlossenheit und Ehrgeiz das Wasser reichen. Und genau das macht Sie so gefährlich für Ihre Gegner und so unersetzbar für Ihre Freunde.«
De’Querres lächelte milde. »Soll ich das als Kompliment auffassen?«
»Ehrlich gesagt, hätte ich Ihnen das mit Craba auch nicht zugetraut. Aber es passte zu Ihnen.« Er grinste den Atorrianer frech an. »Es war eine Herausforderung, der Sie nicht widerstehen konnten. Und dies ist ein weiterer Punkt, warum Sie für jemanden wie mich so gefährlich sind, Atorrianer.« Norg’jet’na streckte seine Füße aus und legte sie dann übereinander. Entspannt lehnte er sich weiter im Sessel zurück. Sein weiter Umhang floss über den Sessel wie schwarzes Blut. »Ich gebe es zwar ungern zu, aber auch ich machte den Fehler, Sie zu unterschätzen. Wenn ich dabei an Morenja denke. Da kostete mich mein Fehler zwei gute Schiffe. Und erst Batgoo Vier. Ich hätte aus der Erfahrung lernen müssen. Dann wäre mein sorgsam inszenierter Plan nicht ins Fiasko abgestürzt. Inzwischen kenne ich Sie gut genug, um mir irgendwelche Angebote ersparen zu können. Dennoch lasse ich mich dazu nieder, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten. Sie sind ein genialer Mann, De’Querres. Das ist leider nicht zu leugnen.« Er drehte sich zu De’Querres und betrachtete ihn erst einmal einen Augenblick lang durch seine dunkle Brille. »Sie sind entweder auf meiner Seite oder ein toter Mann.«
De’Querres verzog die Mundwinkel. »Ich denke, dass Sie die Antwort bereits im Vorfeld kennen.«
Norg’jet’na nickte gemächlich. »Einen Versuch ist es immerhin wert.« Er drehte sich wieder in Richtung des Ausgangs und atmete tief ein. »Nun stehe ich vor einer schwierigen Entscheidung. Wie bringe ich Sie am spektakulärsten um. Sie kennen sicherlich meinen Faible für imposante Auftritte. Ihr Abgang muss einfach bombastisch sein.«
De’Querres verzog nur die Mundwinkel zu einem leidigen Lächeln. Er hätte sich eher auf die Zunge gebissen, als dem Feldherrn Tipps zu geben.
In diesem Moment entstand am Ausgang erneut Aufruhr. Ein weiterer Mann erschien im Korridor und rief dem Feldherrn etwas zu, was De’Querres nicht verstehen konnte. Dieser erhob sich und seufzte enttäuscht.
»Wie es aussieht, haben Ihre Leute noch nicht aufgegeben, nach Ihnen zu suchen. Ich finde das einfach fantastisch. Diese Loyalität. Das würde ich mir bei meinen Leuten auch wünschen. Wie machen Sie das?«
»Das zu erklären, würde Ihren Intellekt übersteigen«, gab De’Querres sarkastisch von sich. Dafür handelte er sich eine saftige Ohrfeige ein. Er schmeckte Blut und spuckte es dem Feldherrn vor die Füße.
Norg’jet’na grinste breit. »Sie machen es mir leicht, Atorrianer. Nur weiter so und ich erwürge Sie mit meinen eigenen Händen.«
»Ist das Ihre Auffassung von bombastisch?«
Norg’jet’na ballte vor De’Querres Augen gemächlich die Faust und rammte sie ihm schließlich in den Magen. Dann vergriff er sich in dessen Haar und riss den Kopf hart in den Nacken. De’Querres keuchte und hustete, doch er ließ sich nicht davon beeindrucken.
»Ich muss mal kurz nach dem Rechten sehen. In der Zwischenzeit werde ich mir noch einige Variationen von Bombastisch einfallen lassen. Das wird Ihnen sicherlich gefallen.« Er versetzte dem Wehrlosen noch eine deftigen Schlag ins Gesicht, dann wirbelte er herum, wobei sich sein Umhang aufplusterte wie das Unheil persönlich, und schritt mit schnellen Schritten davon.
De’Querres keuchte und hustete und versuchte, seinen krampfenden Magen zu beruhigen. Sein Kopf hatte wieder heftig zu dröhnen begonnen. Er schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Er musste sich wieder unter Kontrolle bekommen. Ganz wollte er sich seinem drohenden Schicksal nicht ergeben. Als er sich nach einer Weile wieder beruhigt hatte, blickte er sich um. Es gab nichts in seiner Nähe, was er dazu benutzen konnte, sich aus seinen Fesseln zu befreien. Er war fest an das Gestänge des Sitzes geschnallt. Die Binden schnürten ihm beinahe das Blut in den Hand- und Fußgelenken ab. Er bewegte die Hände und drehte sie in den Fesseln. Dabei bemerkte er, wie eine der Binden nachgab. Nun kämpfte er verbissen mit den Fesseln, drehte, dehnte, spannte, lockerte und zerrte so heftig daran, dass es ihm gelang, eine Hand frei zu bekommen. Schnell befreite er sich von den Binden. Der Mull war so fest gewickelt worden, dass es in sein Fleisch eingeschnitten hatte. Er rieb die schmerzenden Stellen und streckte seine Beine. Sie waren müde und beinahe eingeschlafen. Bevor er sich leise zum Ausgang schlich, lauschte er angestrengt nach draußen. Es schien niemand am Ausgang Wache zu halten. Zumindest verhielt sich dieser Jemand äußerst geräuschlos. De’Querres ließ sich dennoch nicht verleiten leichtsinnig zu sein und spähte vorsichtig um die Ecke. Am Eingang stand tatsächlich jemand. Schweigend und wie zur Salzsäule erstarrt, ein Lasergewehr quer über der Brust, aber jederzeit zum Schuss bereit. Er stand zu weit entfernt, als dass ihn der Atorrianer rechtzeitig erreichen konnte. Unweit von ihm saß auf einem Felsbrocken Lieutenant Isuzu, vornüber gebeugt, den Kopf in die Hände gestützt, so als erwartete sie ergeben ihr Schicksal. De’Querres wartete geduldig, bis sie ihren Kopf hob und mit einem Seufzer um sich blickte. Dabei bemerkte sie den Schatten im Eingang der Fähre. Sie erkannte den Atorrianer, wie er ihr mit Zeichen etwas zu verstehen gab. Die Zeichen waren ihr nicht unbekannt. Sie richtete sich auf und wandte sich an die Wache am Eingang der Fähre.
»Kann ich etwas Wasser bekommen?«, fragte sie den Mann freundlich. Dieser blickte sie fragend an, doch bevor er antworten konnte, hatte sich ein Arm um seinen Hals gelegt und nur eine Sekunde später krachte es in seinem Genick. Der Mann sackte leblos zusammen. Isuzu sprang auf ihre Beine und wollte auf die Fähre zulaufen. Da ertönten harte Rufe und sie blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Zwei weitere Wachen waren auf den Zwischenfall aufmerksam geworden. De’Querres schnappte sich schnell die Laserwaffe und streckte einen der Männer nieder, noch ehe dieser die eigentliche Gefahr richtig erkennen konnte. Der andere ließ sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen, rollte flink hinter einen Felsen und schoss in den Innenraum der Fähre. Der Atorrianer erwiderte das Feuer, doch er besaß zu wenig Deckung, um einen richtigen Treffer planen zu können. Während zwei Schüssen sah er nach Isuzu, die aus Angst wie zur Statue erstarrt stehen geblieben war und die Arme eng an sich presste. Nur zwei Schritte von ihr lag eine Waffe, welche der Mann von sich geworfen hatte, den De’Querres zuvor tödlich getroffen hatte. De’Querres selbst hätte die Deckung nicht verlassen können, ohne vom Feuer der Wache eingedeckt und zwangsläufig getroffen zu werden.
»Diarii!» rief er, in der Hoffnung, damit die verängstigte Wissenschaftlerin aufrütteln zu können. Tatsächlich ließ sie ihre Arme sinken, folgte dem Blick des Atorrianers und hechtete auf die Waffe zu. Noch im Fallen, rollte sie ab, schnappte sich die Waffe und feuerte auf den Mann hinter dem Felsen. Dieser schien überhaupt nicht damit gerechnet zu haben. Ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht begleitete ihn in den Tod.
Vorsichtig kam De’Querres aus seiner Deckung. Eine Hand presste er auf eine Wunde an seiner Schulter. Zum Glück nur ein Streifschuss. Der Laser hatte das Fleisch verbrannt und die Blutung sofort zum erliegen gebracht. Dennoch schmerzte es sehr und er musste das Gesicht verziehen, als er sich ungeschickt und wankend an der Wand abstützte.
»Geht es Ihnen gut, Lieutenant Isuzu?«
»Hatten Sie mich vorher nicht Diarii genannt?«, gab sie zurück, klopfte sich den Staub aus der Uniform. Ein Lächeln machte aus ihrem bleichen Gesicht einen matt strahlenden Mond. Ihr weißes Haar wirkte stumpf und verstaubt. In Angesicht der Umgebung, in der sie sich befanden, nicht verwunderlich.
»Es hat seine Wirkung nicht verfehlt«, erwiderte er, presste kurz seine Handfläche gegen seinen schmerzenden Kopf und schulterte die Laserwaffe. »Norg’jet’na wird bald wieder zurückkommen. Wir sollten uns schnellstens verkrümeln.«
»Wohin?«, wollte sie berechtigt wissen.
»Irgendwo hin, nur weg von hier. Meine Leute suchen mich. Irgendwann werden sie uns finden. Kommen Sie, Lieutenant.«
Sie folgte ihm willig. »Sie sollten sich lieber beeilen. Ohne Wasser können wir hier nicht lange bestehen.«
»Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es notwendig ist. Jetzt müssen wir nur zusehen, dass wir hier verschwinden.« Er blickte sich kurz um. Außer der Fähre und den Leichen war nichts zu sehen. Auf der einen Seite nur Felsen, Sand und flimmernder Horizont. Auf der anderen Seite türmten sich hohe Berge, auf dessen Gipfeln Schnee lag. In den Bergen war es wahrscheinlicher Wasser zu finden. Daher marschierte er zielstrebig darauf zu.
»Der Feldherr ist ganz schön imposant«, keuchte Isuzu, als sie etwa eine Stunde lang gelaufen waren. »Ich habe gehört, was er Ihnen vorgeschlagen hat. Er wird Sie töten, wenn Sie nicht einwilligen.«
De’Querres blieb stehen und sah sie skeptisch an. »Was hat er Ihnen angeboten?«, fragte er argwöhnisch.
Isuzu zuckte mit den Schultern. »Nichts«, sagte sie schnell. »Ich meine nur, wenn man mir ein solches Angebot machen würde …» Sie verstummte und senkte dann den Blick. »Ich bin eben nicht so unerschrocken und stark wie Sie.«
»Was glauben Sie, wie viele Morddrohungen ich schon bekommen habe und wie oft ich dem Tod schon ins Auge blicken musste. Es beeindruckt mich nicht mehr. Solange sie reden, passiert noch nichts. Erst wenn sie handeln, sollte man sich Gedanken machen. Und jetzt kommen Sie weiter.«
»Ich kann nicht mehr. Meine Füße schmerzen.« Sie setzte sich nieder und rieb sich die schmerzenden Knöchel.
»In ein oder zwei Stunden befinden wir uns in den Bergen. Dann können sie sich ausruhen. Doch hier sind wir zu leicht auszumachen. Nun beißen Sie die Zähne zusammen und laufen weiter.« Er schickte sich an, weiterzulaufen.
Nur mühsam erhob sich die Keetanerin und humpelte hinter De’Querres drein. »Es hat doch keinen Sinn. Norg’jet’nas Männer werden uns vor den ihren finden. Sie lassen niemanden auf den Planeten.«
De’Querres blickte sich kurz um, jedoch ohne anzuhalten. »Woher wissen Sie das?«
»Ich hörte, wie der Feldherr es seinen Leuten befahl.«
De’Querres schnaufte kurz. Irgendwie würde es ConQuiis gelingen, zu ihm durchzudringen. Dessen war er sich sicher. Er musste nur solange durchhalten und die Hoffnung nicht aufgeben.
»Es ist nicht mein Stil, kampflos aufzugeben«, gab er mürrisch zurück und stapfte weiter. Sein Kopf dröhnte immer mehr. Die heiße Sonne brannte ihm aufs Haupt und verschlimmerte die Kopfschmerzen nur noch. Sein Blick verschleierte dann und wann und er musste durch Blinzeln wieder klaren Blick verschaffen.
»Davon zu laufen ist auch nicht gerade Ihr Stil, De’Querres.«
Er blieb stehen, schnaufte tief durch und fixierte die Keetanerin mit eisernem Blick. »Jammern auch nicht, Isuzu«, bemerkte er mürrisch. »Und wenn Sie nicht bald Ihren Mund halten, werde ich ihn mit einer Handvoll Dreck stopfen. Haben Sie mich verstanden?«
Sie nickte erschrocken. »Verzeihen Sie. Ich habe nur Angst.«
»Wenn Sie nicht weitergehen, ist sie auch durchaus berechtigt.«
»Haben Sie niemals Angst?«, wollte sie wissen.
»Und ob. Aber ich lasse sie nicht meine Handlungen und Gedanken beherrschen.«
»Haben Sie sich jemals Ziele gesetzt und mussten hilflos mitansehen, wie sie in immer fernere Zukunft verschwanden?«
De’Querres blickte sie argwöhnisch an. »Soweit ließ ich es gar nicht erst kommen«, antwortete er aufrichtig. »Was ist los mit Ihnen? Sie können sich Ihre Ziele ganz abschminken, wenn Sie hier stehen bleiben.«
»Das ist es ja gerade«, sagte sie. Ein leidiges Lächeln erschien um ihre Mundwinkel. »Meine Ziele verschwinden, wenn ich mit Ihnen weiterlaufe.« Sie hob ihre Waffe und zielte auf De’Querres, worauf dieser die seine hob und auf die Keetanerin richtete.
»Hat man Ihnen eine Gehirnwäsche verpasst?«, fragte er.
»Soweit würde ich es gar nicht erst kommen lassen. Und Sie sollten auch nicht weitergehen, sondern umkehren. Das ist besser.«
»Besser für wen?«
»Besser für mich. Denn sonst müsste ich Sie niederschießen und ich habe keine Lust, Ihren Leichnam bis zur Fähre zurückzuschleppen. Abgesehen davon, dass Norg’jet’na ziemlich ungehalten wäre, wenn ich Sie tot zurückbrächte.«
De’Querres begriff endlich. Er nahm einen tiefen Atemzug der heißen, trockenen Luft, bevor er antwortete. Ihm wurde vor Schmerz und Ärger übel. »Verraten Sie mir den Zeitpunkt, wann Sie sich von ihm kaufen ließen?«
»Ich bin Söldnerin«, erklärte sie trocken. »Und jetzt tun Sie uns beiden den Gefallen und kehren um.«
»Ich denke nicht daran. Sie müssen mich schon erschießen.«
»Und mich um meinen Bonus bringen?« Sie schüttelte den Kopf, dass ihr weißes Haar wieder wie flüssiges Silber um ihre Schultern wehte. »Mir liegt sehr viel daran. Aber wenn Sie mir keine andere Wahl lassen, muss es wohl so sein. Ich muss Ihnen aber noch gestehen, dass ich nicht die bin, für die sie mich bislang gehalten haben.«
»Das dachte ich mir bereits«, nickte er. »Vorhin sprachen Sie von Angst. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich ebenfalls etwas von Angst verstehe. Ich habe aber nicht die geringste Angst, von Ihnen getötet zu werden. Was oder wer auch immer Sie sein mögen, ich halte Sie nicht für so fähig, mich selbst auf diese kurze Distanz zu treffen.«
De’Querres Worte zeigten augenblicklich Wirkung. Sie drückte den Abzug durch. Schneller, als er erwartet hatte. Der Atorrianer sprang geistesgegenwärtig zur Seite, bekam aber dennoch einen Streifschuss am Bein ab. Gleichzeitig schoss er auf die Keetanerin, die ebenfalls getroffen hintenüber zu Boden fiel. Schneller, als er für möglich gehalten hatte, war sie wieder halbwegs auf den Beinen und feuerte abermals auf ihn. Dabei traf sie jedoch nur die Laserwaffe. Bevor sie ein zweites Mal schießen konnte, schleuderte er die Waffe in ihre Richtung und traf sie am Kopf. Isuzu strauchelte benommen. Schnell griff er sich einen Stein und warf ihn ihr ebenfalls an den Kopf. Die Keetanerin ging besinnungslos zu Boden.
De’Querres keuchte und drückte die Handfläche auf die neue Wunde. Er ärgerte sich, auf die attraktive Frau hereingefallen zu sein. Er musste zugeben, dass sie gut war. Selten hatte er eine solche gute und überzeugende Schauspielerin getroffen. Er schnaufte einige Male tief durch und erhob sich wieder. Die Laserwaffe war unbrauchbar geworden. Aus der Ferne ertönte das Sirren von Triebwerken. Offenbar waren die Jäger zurückgekehrt. Er duckte sich auf den Boden. Er hatte sich weit genug von der Fähre entfernt, um nicht gleich entdeckt zu werden. Dennoch konnte er sich noch nicht in Sicherheit wähnen. Die schützenden Berge waren noch zu weit entfernt. Er sah an sich herunter. Seine dunkle Uniform war auf dem hellen Sand sicherlich gut zu erkennen. Daher entledigte er sich seiner Jacke und der Hose. Das weiße Hemd band er sich als Sonnenschutz und um sein dunkles Haar zu vergeben, um den Kopf. Wie lächerlich das aussah, darüber würde er nachdenken, wenn er die Zeit dafür besaß und eventuell auch darüber lachen. Dann lief er weiter in Richtung Gebirge.
Wie lange er gelaufen war, vermochte er nicht zu sagen. Er hatte inzwischen die Ausläufer des Gebirges erreicht und in den Spalten und Ritzen sogar trinkbares Wasser gefunden. Er gönnte sich nur kurze Pausen und auch nur dann, wenn er auf Wasser traf. Stetig kletterte er höher. Sein Kopf dröhnte bei jedem Herzschlag schmerzhaft. Er wusste, dass er sich hinlegen und etwas ausruhen musste, doch solange er keinen sicheren Unterstand fand und solange die Jäger suchend über dem ganzen Gelände hin und her flogen, konnte er nicht an eine längere Pause denken. Die Sonne stand weit hinter ihm, als er einen Bergkamm erklommen hatte. Er musste einige Augenblicke lang verschnaufen und ließ seinen Blick herumschweifen. Dabei glaubte er, im Augenwinkel etwas aufblitzen zu sehen. Noch ehe er richtig reagieren konnte, hatte ihn etwas getroffen und rückwärts geschleudert. Er purzelte einen Abhang hinunter und blieb für einen Moment benommen liegen. Tosender Schmerz durchraste ihn und holte ihn schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Er fasste sich an die schmerzende Stelle an seiner Hüfte und fühlte heißes Blut. Fluchend richtete er sich wieder auf und sah sich schnell um. Nur wenige Meter vor ihm klaffte eine große Spalte. Zwanzig oder dreißig Meter zu seiner Rechten spannte sich eine Hängebrücke über die Spalte. Aus der Spalte drang leises Gurgeln zu ihm. Zu seiner Linken führte der Bergkamm geradewegs auf die Spalte zu und versperrte den Weg.
»Wunderbar!«, schimpfte er keuchend und stolperte auf die Brücke zu. Ihm kamen augenblicklich die Worte der Keetanerin in den Sinn. Angst, schoss es in seinen Kopf. Jetzt machte sich tatsächlich Angst in ihm breit. Er hasste es, auf wackeligen Hängebrücken über Untiefen zu gehen. Dabei machte sich die Angst in ihm selbstständig und er war machtlos ihr gegenüber. Dennoch eilte er auf sie zu und setzte seinen Fuß auf die erste Planke. Abrupt blieb er stehen und musste erst einmal tief durchatmen und seinen gesamten Mut zusammen nehmen. Wenn ihn nun seine Feinde sehen könnten. Vor diesen Situationen hatte er immer kapituliert. Ein Zischen zerriss die Luft und nur knapp neben seinem Fuß explodierte der Boden. Sand und Steinsplitter bohrten sich schmerzhaft in das nackte Fleisch. Abermals fluchte De’Querres und setzte sich in Bewegung. Auf der Hängebrücke würde er ein lohnendes Ziel darstellen. Ihm blieb aber keine andere Wahl. Daher musste er sich beeilen. So schnell er konnte hastete er über die wackelige Brücke, stets darauf bedacht, nicht nach unten zu sehen. Aus dem Augenwinkel erkannte er dennoch tief unter sich einen reißenden Fluss und ein weiterer Schub gleisender Panik durchzuckte ihn. Er zwang sich zum weitergehen. Gewaltsam musste er seine Gedanken im Zaum halten. Nur mühsam wollte es ihm gelingen, seine Angst zu bezwingen. Er fühlte, wie seine Hände nass und kalt wurden. Immer wieder hatte er versucht, gegen diese Ängste anzugehen, doch sie waren stets stärker als er gewesen. Wie oft hatte er sich absichtlich in Boote gesetzt, oder war auf wackeligen Brücken gewandelt. Und wie oft war er nur noch mit knapper Not davon gekommen oder musste ihn retten. Szenen aus seiner Kindheit drangen sich in den Vordergrund. Schreckliche Szenen, die ihn oft beinahe das Leben gekostet hatten, weil er starr vor Panik gewesen war. Er zwang sich einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Gedanken beiseite zu schieben. Doch sie kamen immer wieder. Sie erfüllten ihn. Sie trieben ihm kalten Schweiß aus den Poren. Sie veranlassten ihn dazu, langsamer zu werden. Seine Gedanken explodierten durcheinander. Neben ihm schnalzte eine Trosse und schlug ihm schmerzhaft in die Hand. Er schrie auf und sank in die Knie. Mit Aufgebot all seiner Kräfte, stellte er sich wieder auf die Beine und ging weiter. Dabei wagte er nur einen flüchtigen Blick hinter sich über seine Schulter und entdeckte Isuzu am anderen Ende der Hängebrücke stehen.
»Bleib stehen, De’Querres!«, hörte er ihre Stimme. »Du hast keine Chance mehr.« Ihre letzten Worte gingen beinahe im Kreischen eines Triebwerkes unter, das über ihnen hinwegzischte. Isuzu blickte ihnen kurz hinterher, dann richtete sie ihre Waffe wieder auf den Atorrianer, der unbeirrt weiterging. »Du störrischer Burgoisis«, schimpfte sie, legte auf ihn an und drückte ab. Sie traf ihn in den Oberschenkel, worauf er stürzte. Vorsichtig betrat sie die Brücke.
De’Querres biss die Zähne zusammen und zog sich Planke für Planke weiter. Er musste von der Brücke runter. Das waren seine einzigen Gedanken. Er musste die Brücke verlassen. Drüben würde er wieder Herr seiner selbst sein. Drüben würde er sich ihrer eher erwehren können, auch wenn er verletzt war. Er musste die Brücke unbedingt verlassen.
»Bleib endlich stehen«, keifte Isuzu und wagte sich Planke für Planke weiter auf die Brücke hinaus. »Selten habe ich einen solch verbissenen Gegner gehabt.«
De’Querres hatte sich inzwischen wieder aufrichtet und hangelte sich weiter. Sie schoss ihm ins andere Bein. Er stürzte erneut. Diesmal blieb er bewegungslos liegen. Sein Atem ging heftig. Isuzu war nahe genug herangekommen und stieß ihn mit dem Fuß an. Er rührte sich nicht. Sie beugte sich nieder und wollte ihn umdrehen, doch er hatte sich mit den Händen an den Planken festgekrallt. Seine Haut glänzte schweißnass in der Sonne. Seine Muskeln waren stark angespannt und verkrampft.
»Wenn ich es nicht besser wüsste«, gab sie amüsiert von sich. »Dann würde ich sagen, der legendärste Feldherr aller Zeiten, die Vorzeigefigur aller Atorrianer hat Höhenangst.« Sie lachte und stieß ihn in abermals an. Er knurrte vor Schmerz. »Ich glaube, jetzt hat Norg’jet’na war er sich immer wünschte. Weißt du, sein größter Wunsch war, dich wie ein kleines Kind wimmern zu hören, ehe er dich tötet. Warten wir hier auf ihn. Das gibt bestimmt eine weitere Prämie.« Sie lachte höhnisch und hüpfte dann auf und ab. Die Brücke begann zu schwanken, worauf sich De’Querres noch mehr verkrampfte. »Das wird ein Spaß«, kicherte sie und brachte die Brücke noch mehr zum schwanken.
Obwohl jeder Muskel in ihm schmerzte und er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, verfestigte sich in ihm weiterhin jene einer Satz. Er musste von der Brücke runter. Mühsam löste er eine Hand und schob sie langsam ein paar Planken weiter, um sich weiter zu ziehen. Er kämpfte verbissen darum, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das heftige Schwanken der Brücke unterstützte ihn dabei überhaupt nicht – ganz im Gegenteil. Ihm wurde übel. Seine Finger krallten sich in das Holz und zogen seinen Leib nach. Dann zwang er die Finger der anderen Hand, sich zu lösen und sich weiterzuschieben.
»Es ist beeindruckend«, hörte er die Stimme der Keetanerin über seinem Rücken. »Du weißt genau, dass du keinen Ausweg mehr hast und dennoch kämpfst du weiter. Das nenne ich ein wahrer Soldat. Mein Ausbilder hätte seine Freude an dir gehabt.« Sie lachte und hüpfte weiterhin auf den Planken herum. Plötzlich gab es einen Knall und die Brücke sackte ein Stück seitlich ab. »Oh, oh«, machte sie. »Da war ich wohl etwas zu heftig.« In ihrer Stimme klang überhaupt keine Sorge mit. Stattdessen schien sie sich über die neue Lage zu amüsieren.
»Kannst du schwimmen, Atorrianer?«, rief sie. Dann gab es einen weiteren Knall und die Keetanerin schrie auf.
»Was …?«, hörte er sie kreischen. Dann vernahm er auch schon das Zischen ihrer Waffe. »Verdammt! Was macht denn die hier?« Er spürte, wie sie an ihm zerrte, doch er war zu verkrampft, um sich von den Planken zu lösen. Er fühlte den Aufprall eines Körpers neben sich, dann ging ein heftiger Ruck durch die Brücke und dann schwebte er …
»Commander Danning«, rief Beegje besorgt.
»Es ist nichts. Sehen Sie nach De’Querres!«
Captain Beegje robbte sich vorsichtig bis an den Rand der Spalte und spähte dann hinunter. Einige Meter unter ihm hing der Atorrianer an den Planken und bewegte sich nicht. »Er ist nicht abgestürzt!« rief er erleichtert über seine Schulter. Er wagte sich vorsichtig weiter vor. »Alkaios De’Querres. Klettern Sie nach oben.«
»Sie müssen ihn raufholen«, rief Sybill.
Beegje richtete sich auf und suchte den Blickkontakt mit seiner Vorgesetzten. »Das ist unmöglich. Ich darf ihn nicht berühren.«
»Ihnen bleibt keine andere Wahl, Beegje. De’Querres hat Höhenangst. Er wird sich nicht bewegen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich bin angeschossen.«
»Aber er reagiert doch allergisch auf mich«, wandt der Tellure ein. »Das wird ihn in seinem geschwächten Zustand umbringen.«
»Uns bleibt keine andere Wahl. Wenn ihn seine Kräfte verlassen, stürzt er ab. Wir müssen ihn dann eben so schnell wie möglich in ein Lazareth bringen. Nun holen Sie ihn schon rauf! Warten Sie!« rief sie schnell und entledigte sich ihrer Jacke. »Vielleicht hilft es etwas.«
Beegje schnaufte verzweifelt, nahm die Jacke, kletterte tatsächlich über den Rand des Spaltes und arbeitete sich vorsichtig tiefer. Bei dem Atorrianer angekommen, erkannte er erst jetzt, wie schwer dieser angeschlagen war.
»Alkaios! Können Sie mich hören? Sie müssen loslassen. Ich helfen Ihnen, nach oben zu kommen. Es sind nur wenige Meter.« Der Atorrianer bewegte sich nicht. Beegje kletterte über den Körper des Atorrianers, versuchte dabei, ihn so wenig wie möglich zu berühren, legte die Jacke über den nackten Rücken des Attorianers und drückte ihn mit seinem Körper an die Latten der Brücke. Nur mit Mühe brachte er den Atorrianer dazu, die Finger zu öffnen. Erst als er ihm gut zusprach, kam Regung in ihn. Er unterstützte ihn und gab ihm mit seinem Körper Schutz. Dabei war es unvermeidlich, dass er mit seinem Fellbedeckten Körper den beinahe nackten des Atorrianers berührte. Beegje bemühte sich um größtmöglichen Abstand, doch nicht immer gelang es ihm. Nach vielen langen Minuten erreichten sie endlich den Rand des Spaltes. Eine Hand streckte sich ihnen entgegen. Sybill half mit, De’Querres über den Rand zu ziehen. Ihre eigene Schussverletzung an ihrer Hüfte hinderte sie daran, mit all ihren Kräften zu ziehen. Doch gemeinsam gelang ihnen die Bergung des Alkaios. Sie schleppten ihn über einen Hügel zu Sybills Flitzer, wobei Beegje die meiste Arbeit zufiel. Sybill konnte nicht viel dazu beisteuern. Endlich im Flieger atmeten beide auf. Während Sybill sofort startete, versuchte Beegje Funkkontakt zu ConQuiis aufzunehmen, was ihm aber erst gelang, als sie die Atmosphäre hinter sich gelassen hatten. Auf geradestem Wege steuerte Sybill zum atorrianischen Kreuzer. Auf der halben Strecke trafen die atorrianischen Jäger auf sie und begleitete sie sicher zum Kreuzer. Noch während sie durch die Wolken rasten und die Atmosphäre hinter sich ließen, wurde De’Querres bewusstlos. Seine Körpertemperatur stieg und bald glühte er vor Fieber. Sybill holte aus den Maschinen raus, was nur ging, und betete, dass sie nicht zu spät eintreffen würden. Sein Zustand wurde immer bedenklicher. Die Hautpartien, die der Tellure zwangsläufig berühren musste, röteten sich erst, dann entstanden Pusteln, die sich beinahe zusehens in Blässchen verwandelten, als hätte er heftige Verbrennungen. Schließlich wurden die gesamten Hautpartien dunkelrot bis schwarz. Sybill dachte an ihre eigenen Hautausschläge, die nichts im Vergleich waren mit dem, was De’Querres nun durchmachen musste. Er war ein ganzer Atorrianer, sie nur ein Halbblut.
Endlich erreichten sie den Hangar des Kreuzers. Auf dem Standplatz erwarteten sie schon Sanitäter, die den Atorrianer sogleich in Empfang nahmen und in das Lazareth schafften. Der Tellure verließ das atorrianische Schiff mit Sybills kleinem Flitzer sogleich wieder. Seine Anwesenheit auf dem Schiff war für alle Mannschaftsmitglieder mehr als gefährlich. Noch ehe jemand etwas derartiges erwähnen konnte, war Captain Beegje verschwunden. Allein und erleichtert sank Sybill auf eine metallene Kiste nieder. In der Aufregung bei ihrer Ankunft hatte niemand den weiblichen Commander beachtet. Erst als sich die allgemeine Aufregung gelichtet hatte und der erste Offizier ConQuiis auftauchte, sie ansprach und Sybill dabei beinahe stürzte, als sie sich wieder erheben wollte, nahm dieser sie auf seine Arme und trug sie ebenfalls ins Lazareth. Sybill wehrte sich dagegen, doch der Atorrianer ihr in allem Ernst versicherte, dass es ihm eine Ehre sei, sie eigenhändig zum Lazareth zu tragen, gab sie nach und begab sich in die starken Arme des Atorrianers.
Sybill hatte einige Stunden geschlafen. Als sie erwachte, fand sie sich in einem unbekannten Raum wieder. Sie erhob sich und entdeckte unweit von ihr auf einem Stuhl sitzen – ConQuiis, der sich leise mit jemandem unterhielt. Er schien guter Laune zu sein und machte offenbar Witze mit der Frau, die offenbar zum Pflegepersonal des Lazareths gehörte.
»Guten Morgen«, grüßte Sybill und richtete sich auf.
Die Köpfe der Beiden flogen herum. Um ConQuiis Mundwinkel kräuselten sich ein erleichtertes Lächeln. Die Frau verabschiedete sich schnell.
»Wie geht es De’Querres?«, wollte die Kommandeurin sogleich wissen.
»Sein Zustand ist noch kritisch, aber stabil«, berichtete ConQuiis und erhob sich, um an ihr Bett zu treten. »Als er einigermaßen stabilisiert war, wurde er sofort ins Therapieinstitut nach Atorr geflogen. Wie fühlen Sie sich, Commander Danning?«
»Wesentlich besser.« Sie bewegte sich. Ihre Wunde war gut versorgt. Sie spürte kaum noch etwas. Daher setzte sie sich ganz auf und lächelte den Mann erfreut an. »Mich ärgert es nur, dass ich dieses Miststück von Isuzu nicht persönlich niederstrecken konnte. Sie stürzte in die Tiefe.«
»Auch so erhielt sie ihre gerechte Strafe«, wusste ConQuiis und kam näher. »Bevor Captain Beegjje abreiste, bat er mich, Ihnen noch etwas auszurichten. Da er es nicht verantworten konnte, länger als notwenig auf dem Schiff zu bleiben, reiste er sofort wieder ab. Er bat sie darum, ihn auf Tellur zu besuchen, sobald sie sich wieder erholt haben und er versicherte ihnen, alle Sicherheitsmaßnahmen für ihre Gesundheit zu ergreifen.« ConQuiis blickte sie fragend an. Es stand ihm nicht zu, nach dem Grund oder dem Sinn dieser Nachricht zu fragen, dennoch brannte ihm die Frage auf den Lippen. Mutig wagte er es trotzdem. »Geht es Ihnen gut?«, wollte er wissen.
»Absolut!« Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und musste sogleich gegen einen leichten Schwindelanfall ankämpfen. »Ich habe es ihm versprochen. Er muss nur darauf achten, dass mir niemand zu nahe kommt.«
»Sind Sie krank, Commander?«, fragte ConQuiis sogleich.
»Nein«, lachte sie. »Nur Halbatorrianerin.« Sie stellte sich auf ihre Beine. »Und nun wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir meine Sachen bringen würden. Ich muss ein Versprechen einhalten, welches ich schon lange hätte einhalten sollen.«
Sybill verbrachte zwei schöne Wochen auf Tellur, ehe sie wieder abreiste. Beegjes Familie hatte sie herzlich aufgenommen, aber stets darauf geachtet, einen Abstand zu wahren. Bei einigen spürte Sybill deutlich, dass sie die junge Frau gerne in ihre Arme geschlossen oder auch nur berührt hätten. Doch selbst wenn sie vollständig bekleidet war, langärmelige Jacken und Handschuhe trug, so achteten die Telluren stets auf den Sicherheitsabstand. Sie verließ den Planeten mit ein paar Tränen in den Augen und wunderschöne Erinnerungen. Während Beegje zurück nach Anaham flog um seine Arbeit wieder aufzunehmen, kehrte sie geradewegs in das Ferienhaus ihrer Mutter zurück. Als erste Handlung nahm sie das Bild ab und schickte es nach Atorr zu Ranjo Qui’Dermanes, der ersten Liebe ihrer Mutter. Sie machte dort weiter, wo sie vor ihrer überstürzten Abreise nach Szixdans aufgehört hatte und wütete wie ein verrückt gewordener Handfeger durch das Haus. Erst als kein einziges Staubkörnchen mehr zu finden war, lehnte sie sich zufrieden in den Lehnstuhl vor dem Kamin und gönnte sich die wohlverdiente Ruhe. Ruhe würde sie nun mehr als genug haben. Sie hatte nicht vor, wieder in den Dienst des Commanders des Planetenbündnisses zu treten. Was auch immer ihr angeboten wurde, sie würde sich diesmal nicht wieder überreden lassen.
Nun saß sie mit einem Glas Rotwein vor dem Kamin und dachte darüber nach, was ihr die Zukunft bringen würde und was sie noch interessieren könnte. Sie wähnte ihre derzeitige Situation als Chance etwas neues zu beginnen und sandte über ihre Stärken, Schwächen und ihre Interessen nach. Dabei schweiften ihre Gedanken immer wieder zu dem Atorrianer ab. Sie ertappte sich sogar dabei, wie sie sich Worte zurechtlegte, die sich nach seinem Befinden erkundigten. Es waren schon einige Wochen vergangen, seit sie ihn auf Szixdans gerettet und zum atorrianischen Kreuzer gebracht hatte. Seitdem hatte sie von ihm nichts mehr gesehen oder gehört. Sie hoffte, dass es ihm gut ging und ertappte sich dabei, wie ihr Herz schneller schlug bei dem Gedanken, er könnte es nicht überstanden haben, und wie es noch schneller schlug bei dem Gedanken, er könnte jeden Moment neben ihr auftauchen. Sie stellte sich sein unwiderstehliches Grinsen vor und stellte fest, dass sie es vermisste. Schnell spülte sie diese Gedanken mit einem tüchtigen Schluck Rotwein hinunter und verschluckte sich heftig, als es an der Tür klopfte.
Für einen Moment überlegte sie, ob sie öffnen sollte, doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihr Aufenthalt hier wohl kaum zu verleugnen war. Sämtliche Fenster standen offen.
»Commander Danning!«, vernahm sie eine männliche Stimme vor der Türe. Es war nicht die von Alkaios De’Querres. Zögerlich erhob sie sich und ging zur Türe. Sie musste tief durchatmen, bevor sie die Klinke herunterdrückte. Sie musste Kraft schöpfen für das nun kommende. Sie würde sich zu nichts überreden lassen. Sie wollte erst einmal ein paar Wochen Urlaub machen und die Ruhe genießen und vor allem erst einmal das Vergangene verdauen. Sie war noch nicht bereit, für ihre Fehler einzustehen. Sie besaß noch nicht die Kraft, einen kräftezehrenden Prozess vor dem Kriegsgericht durchzustehen.
Als sie die Türe öffnete, zeigte sie sich überrascht, dass kein Uniformierter vor ihr stand. Ein älterer Mann in einem kostbaren Anzug aus dunkel schimmernder Seide, mit reichhaltiger Stickerei an den Säumen. Anahamschen Ursprung war dieser Mann sicherlich nicht.
»Verzeihen Sie, Commander Danning, wenn ich Sie hier in Ihrem Privatdomizil überfalle«, begann der Mann und lächelte sie freundlich an. Er machte einen sympathischen Eindruck, obwohl seine Statur groß und beeindruckend war. Er mochte gut und gerne die fünfzig überschritten haben, wirkte dennoch jugendlich und agil. Ein kleines Oberlippenbärtchen wackelte lustig, wenn er seine Lippen beim Sprechen bewegte. »Mein Name ist Ranjo Qui’Dermanes.«
Sybill fiel das Rotweinglas aus der Hand. Ihr Kiefer fiel herunter und sie musste sich erst selbst kneifen, ehe sie wieder aus ihrer Lethargie fand. Ihr Herz schlug heftig. Ihre Hände wurden augenblicklich kalt.
»Wären Sie bereit, mir ein paar Minuten Ihrer Aufmerksamkeit zu schenken?«, fragte er höflich.
Sybill musste schlucken, ehe sie antworten konnte. »Natürlich! Treten Sie ein.«
Als er eintrat, hob er das Glas auf, das nicht zerbrochen, jedoch eine rote Pfütze hinterlassen hatte. Er blickte sich flüchtig um und räusperte sich schließlich.
»Stammt das Bild von Ihnen, Commander Danning?«
Sie nickte. »Ich finde, Sie hatten ein Recht darauf.« Sie bot ihm mit einer Geste einen Platz an. »Kann ich Ihnen ebenfalls ein Glas Rotwein anbieten?«
»Vielen Dank«, nickte er.
Sybill goss ihm Rotwein in ein Glas und hätte es beinahe verschüttet, wenn er nicht im letzten Moment das Glas festgehalten hätte. Ihre Hände zitterten nervös.
»Woher wussten Sie, dass ich es Ihnen schickte?«, erkundigte sie sich und setzte sich wieder in den Lehnstuhl.
Ranjo Qui’Dermanes räusperte sich, nippte kurz an dem Glas und behielt es in der Hand. »Vor einiger Zeit sprach mich Tait Tourre’Quant auf ein Gespräch an, dass ich mit Freunden bei einem Empfang hatte. Er erkundigte sich nach einem Keeto’chei, das ich vor vielen Jahren einer Nichtatorrianerin geschickt hatte. Ich dachte mir nichts dabei und vergaß die Angelegenheit schnell wieder. Doch als das Bild ankam – Natchas Bild – erinnerte ich mich an die beiläufige Frage wieder und erkundigte mich meinerseits bei ihm, warum er das wissen wollte. Er berichtete mir von Alkaios De’Querres und von ihnen. Der Alkaios nahm Kontakt mit einem Captain Beegje auf, der mir von Ihrer Stadtwohnung und dem Landhaus hier erzählte. In Ihrer Stadtwohnung waren Sie nicht anzutreffen, also bin ich hierher gekommen.«
Sybills Herz machte vor Freude einen Satz. Der Alkaios lebte.
»Captain Beegje erzählte mir auch in einem persönlichen Gespräch Ihre Geschichte und bittet Sie durch mich um Vergebung. Sie sind demnach Natchas Tochter.«
Sybill nickte.
»Wenn ich nur davon gewusst hätte«, sagte er und nippte an seinem Glas. »Das heißt ... Natcha ist plötzlich verschwunden.« Er schwieg einen Moment. »Als sie es mir erzählte, machte ich ihr einen Antrag. Sie nahm hocherfreut an. Ich ließ dieses Porträt als Verlobungsgeschenk anfertigen. Doch dann verschwand sie einfach. Ohne ein Wort. Ich hatte keine Ahnung, was geschah. Ich hätte ihr das Keeto’chei nicht schicken sollen. Es war meine Schuld.«
Sybill schluckte. »Was meinten Sie mit: Als Sie es Ihnen erzählte?«, erkundigte sie sich.
Der Atorrianer sah sie an. »Natcha erwartete ein Kind von mir.«
Sybill konnte nichts anderes. Sie musste ihn anstarren. Sie war nicht imstande auch nur einen Ton von sich zu geben. Urplötzlich sprang sie auf, rannte nach oben in das Zimmer ihrer Mutter und suchte die Aufzeichnungen, die sie sorgsam in ein Buch gebunden in einer Schublade aufbewahrte, und rannte wieder hinunter in das Kaminzimmer.
Der Atorrianer war ebenfalls aufgesprungen und stand nun hilflos im Zimmer. Als Sybill zurück kam, wollte er zu einer weiteren Erklärung ansetzen, doch sie gebot ihm zu Schweigen und blätterte hektisch in den Blättern mit der Handschrift ihrer Mutter. Schließlich fand sie die Passage, die sie in ihrer Wut, ihrer Trauer, ihrer Verzweiflung nicht richtig gelesen und realisiert hatte.
Wenn ich das kleine Mädchen heute ansehe, sehe ich Ranjo in ihr.Sie ist so anders, als andere Mädchen in ihrem Alter. Sie ist das einzige, was mir von meiner Liebe geblieben war.
Sie ließ die Aufzeichnungen sinken und suchte den Blickkontakt zu Qui’Dermanes.
»Demnach sind Sie mein Vater«, sagte sie. »Ich dachte die Burgoisis, die …« Sie verstummte.
Der Atorrianer kniete sich zu Füßen der jungen Frau. »Offenbar ist so einiges falsch gelaufen. Wenn Natcha nur mit mir gesprochen hätte, anstatt sich hier verkriechen. Es tut mir so leid.«
Sybill musste mit den Tränen kämpfen. Sie wusste nicht mehr, wie sie reagieren sollte.
»Wenn Sie... du möchtest, bleibt uns noch viel Zeit uns kennenzulernen«, sagte er mitfühlend und beinahe liebevoll.
»Mein Leben lang habe ich Atorrianer abgrundtief gehasst«, begann sie und schluckte ihre Tränen hinunter. Sie wollte sagen, was sie zu sagen hatte. Wenn erst einmal ihre Tränen ausgebrochen sind, dann war es dafür zu spät. »Dann musste ich mich damit abfinden, einen dieser widerlichen Burgoisis als Vater zu haben. Und nun das.«
»Das ist noch schlimmer, ich weiß«, erwiderte er und versuchte sich in einem Lächeln.
Sie musste lächeln. »Nein, das ist es nicht. Ich habe so vielen Leuten wehgetan. Vor allem Alkaios De’Querres. Er wird es mir nie verzeihen können.«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Der Alkaios ist verständiger als du denkst. Er hat es mir gegenüber nicht zu verstehen gegeben, aber ich bin der Überzeugung, dass er Bescheid weiß.«
»Wie meinen Sie das?« Sie räusperte sich. »Wie meinst du das?«
»Na, ja«, machte er zögerlich. »Er meinte, ich sollte vorsichtig sein. Sybill Danning wäre eine burgoise Wildkatze.«
Sybill konnte nicht anders. Sie musste kichern. »Wie geht es dem Alkaios?«, erkundigte sie sich.
»Wie wäre es, wenn du ihn das selbst fragst? In ein paar Tagen ist in Atorr das größte Fest – das Surprenam. Es wäre mir eine Ehre, dich dorthin einzuladen. Alkaios De’Querres wird sicherlich ebenfalls zugegen sein. Er wird es müssen, denn er soll eine Auszeichnung erhalten.« Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Schon zu lange bin ich allein auf diesem Fest erschienen. Jedes Jahr wünschte ich, Natcha stünde an meiner Seite. Nun habe ich ihre Tochter gefunden – meine Tochter – unsere Tochter«, berichtigte er sich. »Bitte erweise mir die Ehre, mich zu begleiten.«
»Ich habe keine Ahnung, was ich da machen soll.«
»Was man auf jedem anderen Fest auch macht: Sich amüsieren. Es wird dir gefallen.«
Sie musste nicht lange überlegen. Schließlich nickte sie. »Eines noch«, sagte sie, erhob sich und ging zum Kamin, wo das Keeto’chei ihrer Mutter lag. »Dies sollte ich wohl besser zurückgeben, damit es nicht noch mehr Unheil anrichtet.«
Er nahm es an sich und drückte es an sein Herz. Für einen Moment schloss er die Augen, dann blickte er das Schmuckstück wehmütig an. »Es sollte mir das Glück meines Lebens bringen.«
»Mir hat es auch nur Unheil und Schrecken gebracht. Wenn der Alkaios nicht gewesen wäre …«
»Er berichtete mir von diesem Zwischenfall«, beendete er den Satz, nachdem Sybill ihn abgebrochen hatte, und warf das Schmuckstück ins Kaminfeuer. »Nicht für jeden ist es das Symbol der Liebe. Ich hätte auf meinen Großvater hören und es sein lassen sollen. Die Mutter meines Urgroßvaters war ein Burgoisis. Sie hielt nichts Gutes von diesen Symbolen. In unserer Familie spielten sie auch nie eine große Rolle. Ich wollte aber der Liebe meines Lebens etwas ganz Besonderes schenken und schickte ihr das Keeto’chei. Ein fataler Fehler.« Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich wieder ihr zu. »Und doch brachte es meine Tochter zu mir zurück. Wenn du mir nicht das Bild geschickt hättest, auf welchem Natcha das Keeto’chei trug, wärst du für immer für mich verloren geblieben.« Er breitete seine Arme aus und Sybill ließ sich bereitwillig umarmen.
Sybill hatte absolut unterschätzt, wie wichtig das Surprenam für Atorr war. Als sie auf Atorr ankam, war alles geschmückt, wohin sie auch immer blickte. Alles und jedes prangte in den Farben Rot-Weiß-Dunkelblau, den Farben der Gerichtsbarkeit, der Sozialität und des Heeres. Überall wehte ihr diese Flagge entgegen. Bänder in diesen Drei-Farben schlängelten sich um Laternenmasten, Stromkabel, Fenster, Handläufen und allem, woran sie sich festhalten konnten. Blumen wurden entlang der Straßen geplanzt, die in regelmäßigen Abständen die drei wichtigsten Farben wiederholten. Ganz Atorr war in Rot, weiß und dunkelblau gehüllt. Auf dem Weg hatte ihr Ranjo Qui’Dermanes versucht zu erklären, was dieses Fest für sie bedeutete und dass es Kasten gab, die dieses Fest nicht feierten. Unter ihnen die Burgoisis und die Equodi. Für die Kapano, bedeutete das Surprenam das Gründungsfest. Alle Atorrianer waren auf den Straßen. Überall spielte Musik. Die Leute tanzten, feierten und sangen. Mitten auf den Straßen wurde Wein und Speisen ausgeschenkt. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Ein Vorankommen auf dem Boden war nicht mehr möglich. Daher hatte Ranjo einen Fluggleiter geordert, der sie zu seinem Haus brachte. Voller Bewunderung spazierte Sybill durch das Anwesen. Er erklärte ihr, dass er dieses Haus für Natcha hatte bauen lassen. Doch bevor sie beide als Brautpaar einziehen konnten, war sie verschwunden. Er hatte es als Andenken an seine Liebe behalten. Am Abend stand Sybill vor dem Spiegel und bewunderte sich. Ihr sonst widerspenstiges Haar war sorgsam hochgesteckt. In dieser dunkelroten, samtenen, mit Glitzersteinen bestickten Robe erkannte sie sich selbst kaum wieder. Sie ertappte sich dabei, was De’Querres sagen würde, wenn er sie so sähe. Dann wischte sie ihre Gedanken mit einer Handbewegung weg und drehte sich noch ein paar Mal vor dem Spiegel.
»Ich werde nicht viel von dir haben«, sagte eine Stimme hinter ihr. »So wie du aussiehst, wird dich mir bald ein anderer Mann abspenstig machen.«
»Du findest, ich sehe gut aus?« Sie drehte sich noch einige Male vor dem Spiegel und betrachtete sich argwöhnisch.
»Du siehst fantastisch aus«, versicherte ihr Ranjo, ihr Vater.
»Mein ganzes Leben lang gehörte ich zu den hässlichen Entlein«, entgegnete sie und betrachtete sich. An ihrer Statur hatte sich nichts ändert. Nur die Hülle war anders geworden. Und die machte es offenbar aus.
»Du hast dich stets mit den falschen Augen gesehen.«
»Nicht mit denen einer Atorrianerin«, wusste sie und lächelte. »Ich muss mich wohl erst noch daran gewöhnen.«
Ranjo lächelte und trat hinter sie. Dann legte er seine Hände von hinten um ihre Schultern und legte ihr ein Schmuckstück mit einem Daumennagel großen, roten Edelstein um den Hals. »Dies ist ein Familienerbstück. Kein Pajche«, fügte er schnell an. »Es stellt eine Slookje-Blüte dar, eines der zartesten Geschöpfe unseres Planeten. Sie ist so hauchzart, dass sie zerbricht, wenn man sie berührt. Der Stein ist ein Glutstropfen, von einem meiner Vorväter persönlich aus der Asche eines Damiags geholt. Deine Mutter sollte es bei unserer Hochzeit tragen. Nun gehört es dir.«
Sybill war gerührt. »Das kann ich nicht annehmen.« Sie befühlte die zarten Blütenblätter vorsichtig, aus Angst, sie könnten ebenfalls zerbrechen wie ihr Vorbild.
»Dir wird keine andere Wahl bleiben.« Er nahm sie in den Arm und drückte sie herzig an sich. »Wir müssen gehen. Der Empfang ist in einer Stunde und auf den Straßen ist die Hölle los.«
Sybill lächelte und hakte sich willig in seinen bereitgehaltenen Arm ein. Wenig später saßen sie im Gleiter und flogen über die Dächer der Stadt hinweg. Viele der Häuser besaßen kunstvoll gestaltete Dächer, die nun allesamt mit den Farben der drei wichtigsten Instanzen geschmückt waren. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihren Blick über das rot/weiß/blaue-Meer schweifen ließ und überlegte, in welchem der Häuser wohl De’Querres wohnte. Dann fragte sich, ob und wann sie den Atorrianer wohl sehen würde und ob sie ihn überhaupt würde sprechen können. Sicherlich war er viel zu beschäftigt, um sich um eine Frau zu kümmern, die ihm nur Ärger bereitet hatte. Dabei wollte sie sich nur erkundigen, wie es ihm ging. Seit sie ihn auf dem atorrianischen Kreuzer abgeliefert hatte, hatte sie nichts mehr von ihm gehört und sie musste zugeben, dass sie ihn vermisste. Sie vermisste sein freches Grinsen und sie vermisste seine melancholische Stimme. Sie vermisste seinen herben Duft und sie vermisste die Art, wie er sie ansah. Und vor allem vermisste sie das Lächeln, jenes Lächeln, mit dem er sie überredet hatte, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.
Ranjo tätschelte ihr beruhigend die Hand. Offenbar glaubte er, dass sie nervös sei. Sie lächelte. Tatsächlich war sie nervös. Noch nie war sie unter so vielen Atorrianern gewesen und noch nie hatte sie sich so nach einem Mann gesehnt, der sie sicherlich nicht haben wollte – eine burgoise Wildkatze.
Der Gleiter setzte zur Landung an und sie stiegen aus. Auf der Landeplattform befanden sich zahlreiche Leute, die in Grüppchen zusammenstanden und munter plauderten oder hektisch hin und her liefen. Die einen stiegen ein, die anderen stiegen aus. Die einen flogen fort, die anderen kamen an. Es herrschte ein hektisches Treiben. Ranjo begrüßte einige der Leute und stellte seine neue Tochter vor. Leider konnte Sybill kein Wort davon verstehen, da er in seiner Muttersprache sprach. Sybill nahm sich vor, diese Sprache so schnell wie möglich zu lernen. Sicherlich würde sie in Zunkunft öfter hierher kommen, um Land und Leute besser kennen und verstehen zu lernen und auch um besser ihren Vater kennen zu lernen.
»Komm, Sybill«, störte ihr Vater ihre Unterhaltung mit einem atorrianischen Offizier, der die Standardsprache beherrschte. »Es beginnt gleich. Wir sollten besser unsere Plätze einnehmen.« Sie hakte sich bei ihm ein, entschuldigte sich bei dem Offizier und folgte ihm.
Der Empfangssaal war ebenfalls in den festlichen Farben geschmückt. Rote, weiße und dunkelblaue Girlanden, Blumen, Dekorationen und Lichter prankten dem Gast auf beinahe jeden Zentimeter des Saales entgegen. Der Saal selber war so groß, dass das ebenfalls gigantisch große Schlachtschiff des Alkaios darin hätte Platz finden können. Eine Unzahl von großen runden Tischen, an denen mehrere Stühle standen, die ebenfalls in den kategorischen Farben gedeckt waren, luden zum Sitzen und miteinander plauschen ein und füllten damit den gesamten Saal aus. Zwischen den Tischen blieb noch mehr als ausreichend Platz, um bequem zwischen ihnen hindurchgehen zu können. Die Zahl der Gäste, die an den Tischen Platz nahmen, war nicht mehr zu schätzen. Es mussten annähernd die halbe Bevölkerung des Planeten eingetroffen sein. Qui’Dermanes führte seine Tochter zu einem Tisch weit vorn bei einem imposantem Podium, deren Aufgang einer Showtreppe glich. Ganz oben auf dem Podium, das gut und gerne zehn Meter über die Tischreihen ragte, checkten die Techniker noch die Sprechanlage und zupften die Dekorateure noch die letzten Girlanden und Blumengestecke zurecht. Sybill blickte sich mehrmals um, ob sie unter den anderen Gästen das Gesicht von De’Querres entdeckte. Der Saal füllte sich immer mehr mit Leuten und bald war jeder Stuhl besetzt.
An ihrem Tisch saßen noch zwei ältere Offiziere der atorrianischen Armee mit ihren Gattinnen, ein hoher Vertreter einer Handelsgilde – wie Ranjo ihr erklärte und zwei Damen, die einem Ausschuss der Kapano angehörten. Musik erklang und der Geräuschpegel senkte sich etwas. Die Leute nahmen ihre Plätze ein. Ein Mann trat auf dem Podium an ein Rednerpult und begann in atorrianisch eine Rede. Dann und wann lachten die Gäste, nickten ihm zustimmend zu oder klatschen begeistert. Ranjo übersetzte einige der Passagen, doch Sybill hörte nicht genau zu. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu De’Querres ab, der sich aufgrund der Auszeichnung, die er erhalten sollte, sicherlich in ihrer unmittelbaren Nähe befinden musste. Sie konnte ihn jedoch nicht entdecken. Sie wollte ihn unbedingt sprechen. Sie wollte ihm einiges erklären, damit er ihre Beweggründe besser verstand und sie wollte ihm ihren Abschied mitteilen.
Ranjo stieß sie an und deutete auf das Podium. Alkaio De’Querres erschien vom Hintergrund der Empore. Er trug seine dunkelblaue Paradeuniform mit den blank polierten Knöpfen, die er bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte. Er wollte sie damals offenbar beeindrucken, erkannte sie erst jetzt. Der dunkelrote Umhang wehte wie damals theatralisch um seine Stiefel, die ebenso glänzten und blitzten, wie damals, als er in Sybills Arbeitszimmer gekommen war. Doch diesmal musste er sich bei jedem Schritt auf einen Stock stützen. In seinem Gesicht stand noch deutlich das Leid der Krankheit und der Verletzungen geschrieben. Er sah müde und abgespannt aus. Dennoch ging er hoch aufgerichtet und stolz erhobenen Hauptes auf den Redner zu und blieb kurz vor ihm stehen. Der Redner richtete noch einige Worte an den Alkaios, dann stülpte er ihm ein Band mit einem Orden über und umarmte ihn beinahe freundschaftlich. Dann wandte sich der Redner wieder dem Publikum zu. De’Querres blieb neben ihm stehen. Sein Blick ging in die Ferne, ohne die Massen zu sehen, die unter seinen Füssen begeistert Beifall zur Ordensverleihung klatschten
Eine Holowand wurde heruntergefahren. Nach ein paar weiteren Worten erschien Captain Beegjes Konterfei auf der Holowand.
»Captain Beegje erhält ebenso eine Auszeichnung für seine Leistung bei der Rettung des Alkaios«, erklärte Ranjo.
Sybill gönnte es ihm. Sie fragte sich nur, warum man den Telluren nicht persönlich eingeladen hatte. Im selben Moment wusste sie es aber auch. Der Tellure konnte Atorr niemals persönlich besuchen, ohne eine Epidemie auszulösen.
»Dem Telluren konnte die Einreise nach Atorr nicht gewährt werden«, beantwortete Ranjo Sybills unausgesprochene Frage. »Deswegen die Holokonferenz.« Er deutete auf die Holowand. »Er ist ein wirklich bewundernswerter Mann.«
»Ich weiß«, nickte Sybill. Sie musste gegen die Tränen ankämpfen und wäre am liebsten aufgesprungen und davon gelaufen. Ihre Mitarbeit in der Rettung des Atorrianers wurde offenbar nicht einmal erwähnt. Im Grunde besaß sie keinerlei Rechte darauf. Immerhin war sie suspendiert worden und hatte sich den Anweisungen widersetzt. Sie konnte sich noch glücklich schätzen, wenn man sie nicht vor ein Militärgericht schleppte.
»Sybill!«, rief Ranja. »Du bist dran!«
Sie fuhr hoch und sah sich verwirrt um. Sie war in Gedanken gewesen und hatte nicht mehr darauf geachtet, was um sie herum geschah.
»Du bist dran!«, sagte Ranjo und deutete auf das Podium.
»Wie, ich bin dran?« Sie blickte ihn entgeistert an.
»Commander Sybill Danning!«, rief der Mann am Rednerpult. »Würden Sie bitte nach oben kommen?«
Sybills Blick ging erst zum Redner, dann zu ihrem Vater. »Du wusstest es«, sagte sie anklagend und fixierte Ranjo mit finsterem Blick.
»Commander Sybill Danning!«
Sie erhob sich, strich ihr Kleid glatt und schritt zur Treppe. Erst zögerte sie, die Treppe hochzugehen, doch dann kletterte sie Stufe für Stufe hinauf. Zurückziehen konnte sie sich nicht mehr. Über hunderttausende Augenpaare und vermutlich auch noch Millionen mehr über die Medien aller Planeten beobachteten sie.
»Commander Sybill Danning«, begann der Redner, als sie endlich vor ihm stand. »Ihnen wird von der Atorra Kapano die höchste Auszeichnung für Ihren beispiellosen und selbstlosen Einsatz bei der Rettung von Alkaios De’Querres verliehen.« Er striff ein rot/weiß/dunkelblau gestreiftes Band, an welchem ein Sternenförmiger Orden hing über ihren Kopf. »Wir schulden Ihnen mehr als tausend Dank dafür, dass Sie Anordnungen missachtet und sich entgegen Ihres Befehls und trotz Ihrer Suspendierung für die Rettung des Alkaios eingesetzt haben. Die Kapano wird für immer in Ihrer Schuld stehen.« Damit verbeugte er sich vor ihr. Mit ihm senkte auch De’Querres sein Haupt und auch sämtliche Saalgäste senkten tief ihre Häupter oder gingen vor ihr tief in die Knie. Sybill blickte sich peinlich berührt und sichtlich gerührt um.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie, als sich der Redner wieder aufrichtete. »Ich hatte lediglich einen Fehler wieder gut zumachen.«
Der Redner lachte kurz auf. »Dann hoffen wir, dass Sie noch viele Fehler machen, die Sie auf eben dieselbe Art und Weise wieder gut machen.«
»Dann muss Sie sich aber ein anderes Opfer aussuchen«, wandte De’Querres ein und handelte sich dafür schallendes Gelächter ein.
Sybill drehte sich um und traf geradewegs auf De’Querres Blick. »Ich muss Ihnen dringend etwas erzählen«, sagte sie leiser, sodass es außer Serge gerade noch der Redner verstehen konnte.
De’Querres nickte wissend. »Ich weiß Bescheid.«
»Aber nicht alles.«
»Das ist jetzt nicht mehr so wichtig.«
Sie näherte sich ihm mit einigen Schritten und stand nun so nahe vor ihm, dass nur ein einziger Schritt gereicht hätte, um in seine Arme zu fallen.
»Es ist wichtig«, versicherte sie ihm. »Ich …« Sie verstummte, als sie ihm direkt in die Augen sah. Es war nur noch eine einzige Bewegung mit seinem Arm, mit der er sie an sich zog und ihren Mund mit seinen Lippen verschloss. Erst zögerte Sybill, dann legte sie ihre Arme um seinen Körper und drückte sich an ihn.
Rauschender Beifall toste durch den Saal.
Sie trennte sich kurz von ihm und blickte ihm in die Augen. »Ranjo ist mein wirklicher Vater.«
Serge De’Querre schickte einen überraschten Blick ins Publikum, dort wo Ranjo Qui’Dermanes saß, dann küsste er sie noch einmal.
Ende
Texte: Ashan Delon
Lektorat: myself
Tag der Veröffentlichung: 24.09.2014
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