© Ashan Delon 2013
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Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Der Himmel hatte sich mit dicken, schwarzgrauen Wolken zugezogen, als hätte die Sonne an diesem Sommertag keine Lust aus ihren warmen, weichen Federn zu kriechen.
Kühler Wind strich um die Häuser und die Leute umschlangen ihre Körper mit den Armen, in der Hoffnung, etwas von der Wärme, die noch aus den letzten Tagen in ihnen wohnte, festzuhalten. Eigentlich sollte es brütend heiß sein und die Sonne von einem strahlend blauen Himmel herunterknallen, sodass man unter der Hitze stöhnen wollte. Doch seit zwei Tagen machte der Sommer eine Pause und ließ die Menschen unter kühlen Winden, Gewittern und Regenschauern frösteln.
Auch Simon weigerte sich, eine Jacke anzuziehen. Es war Anfang August und Hochsommer. Allein schon aus Protest gegen das kühle Wetter trug er kurzärmelige T-Shirts und weite, dünne Baumwollhosen. Kurze Hosen konnte er bei der Arbeit nicht tragen. Auch wenn er vor Hitze verging, so war er davon überzeugt, dass seine Kundschaft, wenn sie inmitten der Blütenpracht standen und eine Augenweide für die Liebste oder die Dekoration des Esszimmertisches aussuchten, nicht gerade über nackte Männerbeine entzückt sein würde.
Als Simon die Tür zu seinem Blumenladen erreichte, war er froh, gleich ins schützende Innere schlüpfen zu können. Gerade als er sich bemühte den Schlüssel ins Schloss zu stecken, wehte ein frischer Wind um die Häuser und er beeilte sich noch mehr. Seine Finger waren so klamm, dass er einen weiteren Anlauf brauchte, um den schmalen Schlüssel in das winzige Loch zu stecken. Mit einem Seufzen drehte er ihn endlich um und flüchtete regelrecht in den Ladenraum.
Der betörende, schier betäubende Geruch von Hunderten von verschiedenen Blumen nahm ihn augenblicklich ein. Er liebte diesen Duft, dessen berauschende Wirkung und blieb einen Moment stehen, schloss die Augen und sog diesen Wohlgeruch tief in seine Lungen.
Ja, das war sein Leben.
Seine Blumen, seine Pflanzen.
Als Florist aus Passion gehörte es dazu, dass er jedes Gewächs als gleichwertiges Lebewesen liebte. Deshalb sandte im er Geiste einen Willkommensgruß durch den Laden zu all den dort auf ihn warteten großen und kleinen Pflänzchen.
„Brrrr!“, machte es plötzlich hinter ihm, zeitgleich mit dem Schellen der Türglocke, sodass er leicht zusammenzuckte. „Saukalt heute. Ich dachte, wir haben Hochsommer.“ Britta, seine Angestellte, schlüpfte hinter ihm in den Laden und schüttelte sich.
Er drehte sich um und lächelte sie an. Immer wenn er sie sah, musste er unwillkürlich lachen. Britta war eine kleine verrückte Nudel, gerade erst zwanzig geworden, mit leuchtend violetten Haaren, kleinen, silbernen Ringen in Unterlippe und rechter Augenbraue sowie klobigen, schwarzen Stiefeln mit dicken Absätzen, die die zierliche Ein-Meter-fünfzig-Frau ein ganz klein wenig größer erscheinen lassen sollten. Sie war in ihrer kompletten Erscheinung das krasse Gegenteil von ihm. Mit seinen hochgeschossenen Eins Zweiundachzig konnte er sich auf ihrem Kopf abstützen. Auch wenn er schlank war und sein Gewicht mit Joggen und Radfahren weitestgehend im Gleichwicht hielt, so wirkte er gegen sie wie eine massige Schrankwand. Sie waren wie Schwester und Bruder. Trotzdem er der Meinung war, dass sie sich auch mal vorteilhafter als in ihre obligatorischen schwarzen Gothic-Klamotten hüllen konnte, mochte er die junge Frau. Selbst die Kundschaft schien nichts gegen ihre nicht ganz alltägliche Erscheinung zu haben und sie so zu akzeptieren, wie sie war. Sie hatte etwas an sich, das er schon fast mit mysteriös und schicksalhaft verglich. Seit sie bei ihm arbeitete, florierte sein Laden. Noch vor einem Jahr, bevor sie eines Tages einfach in seinem Laden gestanden und ihm lächelnd eröffnet hatte, dass sie gerne hier arbeiten würde, hatte er trotz der Nähe zum Bahnhof um seine Existenz gekämpft. Er wusste selbst nicht, woran das gelegen hatte. Ob die Tatsache, dass er homosexuell war, der Grund dafür sein konnte, dass kaum Kunden in seinen Laden fanden, oder dass er ohne Brittas ausgeflippte Gestaltungs- und Marketingideen nicht gewusst hatte, wie man seinen bunten Blumenladen optisch und werbewirksam besser in Szene setzen konnte. Er wusste es nicht zu sagen. Jedenfalls verdankte er Britta viel, und die quirlige junge Frau sprudelte förmlich über vor neuen Ideen. Erst kürzlich hatte sie für ihn eine Internetseite ins Netz gestellt, auf welcher man sich bequem online Blumensträuße bestellen und liefern lassen konnte.
Diese Internetseite hatte ihm schon eine satte Umsatzsteigerung eingebracht. Ein Grund mehr, der jungen Frau ein freundliches Guten-Morgen-Lächeln zu schenken.
Sie kam näher, stellte sich auf Zehenspitzen und streckte ihm ihr Kussmündchen entgegen. Simon beugte sich zu ihr runter und küsste ihre Wange – ihr allmorgendliches Begrüßungsritual ohne besonderen Hintergrund, denn Britta war so homosexuell wie er selbst, nur dass sie – im Gegensatz zu ihm – seit einem Jahr in einer festen Beziehung lebte.
„Wer braucht schon den Sommer, wenn er den Sonnenschein im Haus hat“, lachte er, während er auch die andere Wange mit einem gehauchten Kuss bedachte.
„Schleimer!“, kicherte sie und knuffte ihm leicht in den Bauch.
Dann nahm sie ihre dicke Tasche ab und kramte ein paar handschriftlich vollgekritzelte Zettel heraus, die sie ihm in die Hand drückte.
„Ich muss mir endlich mal einen neuen Drucker kaufen“, maulte sie mürrisch und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich hoffe, du kannst meine Sauklaue lesen.“
Simon überflog die Zettel. Da es nicht zum ersten Mal passierte, dass sie die Bestellungen handschriftlich notierte, kannte er ihre krakelige Schrift inzwischen und nickte. „Wird schon gehen“, gab er zurück, steckte die Zettel in seine Hosentasche und zupfte ihr frech an den lila Haaren, die sie heute Morgen offensichtlich sorgsam strähnchenweise mit Haarspray, Gel und allerlei Spangen und Haargummis zu einer wilden Frisur gedreht hatte, die an eine waghalsige Mischung zwischen Afro-Look und in-den-Hurrican-geraten erinnerte. Sie lachte und wich der Hand aus. Schließlich warf sie ihre Tasche über die Schulter und ging nach hinten, um sich die Schürze mit dem Emblem des Ladens umzubinden und mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Während sich Simon mit gewohnter Hingabe und Können den Internet-Bestellungen widmete, bediente Britta die Kunden. Am späten Nachmittag packte er die gebundenen Sträuße in glitzernde Klarsichtfolie und verstaute sie zusammen mit den bestellten und jeder Menge Glitter und Zierrat geschmückten Blumentöpfen in seinem Lieferwagen. So beladen fuhr er los.
Es war noch immer recht kühl. Der Himmel hatte sich noch mehr zugezogen und es würde wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, ehe ein Regenschauer über die Stadt hereinbrach. Simon parkte gegen sieben Uhr in der Bilfingerstraße in den Reihen der Anwohnerparkplätze, stieg aus und sah sich suchend um. Hausnummer Vier befand sich genau vor ihm. Er packte den in knisternde Cellophanfolie eingehüllten Strauß mit den zwanzig roten Baccara-Rosen, reichhaltig durchsetzt mit zartblütigem Schleierkraut, und marschierte los. Bevor er jedoch vor das Haus trat, warf er noch einen Blick auf den Notizzettel. Warum Britta wohl hinter der vier einen ihrer berühmten Kringelpunkte gemacht hatte, wollte ihm nicht einleuchten, doch die Adresse lautete eindeutig Bilfingerstraße 4. Nach einem Blick auf das Klingeltableau fand er auch den von Britta notierten Namen Weber.
M. Weber, konnte er auf dem Namensschild lesen. Er drückte seinen Zeigefinger drauf und wartete.
„Ja?“, kam nach einer Weile eine männliche Stimme.
„Simons Blütenzauber“, sprach er beinahe mechanisch in das unsichtbare Mikrofon neben der Sprechanlage. „Ich habe eine Lieferung für Sie.“
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe die Antwort kam. „Für mich?“
Simon kannte diese Reaktion und lächelte milde. Meist kam diese überraschte Rückfrage jedoch von Frauen, die von ihrem Liebsten mit einem schönen Blumengruß überrascht wurden. Männer belieferte er auf diese Weise eher selten. „So steht es auf der Bestellung.“
Wieder dauerte es eine Sekunde. „Okay.“ Der Türsummer ertönte und Simon konnte eintreten.
Er stieg die Treppe hoch bis in den ersten Stock, wo ihn bereits ein Mann an der Wohnungstür erwartete, der ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck musterte. Simon zwang sich, die letzten Stufen beschwingt zu erklimmen, denn der Anblick dieses Mannes hatte ihn einen Moment innehalten lassen. M. Weber war in seiner ganzen Erscheinung eine Augenweide, genau jener Typ Mann, nach dem Simon schon die ganze Zeit gesucht hatte. Sportliche Figur, in einer lässigen hellblauen Jeans. Dazu ein figurbetontes weißes Hemd, weit geöffnet und somit den Blick auf eine haarlose Brust freigebend. Ein goldenes Kettchen blitzte auf der nackten Haut. Der Mann strich seine streichholzkurzen, hellen Haare mit der flachen Hand zurück und verfolgte den Weg des Boten mit einem erwartungsvollen Blick aus strahlend blauen Augen.
Simon hielt sich vor Augen, dass M. Weber jedoch offensichtlich in einer Beziehung lebte, denn er hatte den Ring an dessen rechter Hand wohl entdeckt. Vermutlich waren ihm die Blumen von seiner Ehefrau zum Geburtstag oder Ähnlichem geschickt worden. Oder auch von seinem Freund, schob er mit einem Anflug von Sehnsucht gedanklich hinterher. Rasch wischte er jeden weiteren Gedanken beiseite.
„Hallo, guten Abend“, grüßte Simon freundlich und hielt ihm den üppigen Strauß entgegen. „Bitte schön.“
„Von wem ist er?“, wollte der Mann wissen, als er ihn entgegennahm.
Simon zuckte nur mit den Schultern. Er sah sich selten die Absender der Bestellungen an. Wichtig waren für ihn die Lieferadressen und welche Blumen sich der Besteller gewünscht hatte. Alles andere regelte Britta, ebenso die Abrechnung und die Überwachung der Zahlungseingänge.
„Da ist eine Karte“, antwortete Simon und deutete auf ein kleines Briefchen in den Rosen. Brittas Lebensgefährtin war eine Künstlerin und verwandelte die Grußkarten in kalligrafische und optische Kunstwerke, die von den Kunden gern genommen wurden.
„Oh, ja. Okay, danke.“ M. Weber schenkte ihm ein Lächeln, während er ihm dankbar zunickte.
Simon verabschiedete sich mit einer höflichen Floskel und sprang wieder die Treppen hinunter. Er leckte sich über die Lippen, als seine Gedanken zu diesem Mann zurückwanderten. Das war in der Tat kein Kerl, den er von der Bettkante geschubst hätte. Aber leider für ihn unerreichbar.
Ein großer Nachteil seines Jobs. Diejenigen, denen er Blumengrüße überreichte, waren meist vergeben, denn der Auftraggeber der Blumengrüße war meistens der Ehemann oder Freund.
Mit einem Seufzen setzte er sich wieder in den Lieferwagen und fuhr zurück zu seinem Laden.
* * *
Wer – um Himmels willen – schickte ihm einen Rosenstrauß?
Maximilian Weber, von allen nur Max genannt, füllte eine Vase mit Wasser, steckte den Strauß in das Gefäß und setzte sich dann mit der Karte nachdenklich auf sein Sofa.
An meine Liebe, stand in hübsch geschwungenen Lettern auf dem goldenen Umschlag. Er öffnete ihn und nahm die kleine Karte heraus, um sie neugierig und mit wachsendem Interesse zu lesen.
„Zwanzig wunderbar duftende Blumengrüße für jeden Tag, an dem ich an dich denke. Für jede Stunde, die ich in Sehnsucht nach dir verbringe. Für jede Minute, die ich ohne dich verbringen muss, für jede Sekunde, in der sich mein Herz nach dir verzehrt.“ Unterzeichnet mit: „In Liebe S.“
Immer wieder las er die Karte, deren Buchstaben eindeutig nicht vom Absender, sondern von einem künstlerisch begabten Kalligrafie-Talent geschrieben worden waren. Fieberhaft überlegte er, von welchem S. diese Zeilen entworfen sein könnten und ging seine Erinnerungen durch. S. … ihm wollte kein Verflossener einfallen.
Doch … da war einer. Sebastian … mit dem er letztes Jahr ein paar Monate zusammen gewesen war. Konnten die Blumen von ihm sein? Der Trennungsgrund war Desinteresse und mangelnde Romantik gewesen. Max konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Sebastian so weit gewandelt hatte und ihm nach einem Jahr absoluter Funkstille einen Blumengruß schickte. Dennoch holte er sein Handy hervor.
Als er ihn noch in seinen Kontakten fand, dankte er seiner Faulheit, in der er gar nicht daran gedacht hatte, seine Adressenlisten hin und wieder zu bereinigen.
„Hi, hier Max!“, sagte er, nachdem sich Sebastian gemeldet hatte. „Kennst du mich noch?“
Zögerlich kam ein: „Ja!“
„Hab ich dir ein Blumengeschenk zu verdanken?“, fragte er geradeheraus. Er war nicht der Typ, der lange um den heißen Brei herumredete, und kam stets gleich zur Sache.
„Ähm … Wieso? Nein. Wieso sollte ich dir Blumen schenken?“
Ganz der alte Sebastian, dachte Max seufzend. „Vergiss es. Was machst du so?“, fragte er, um das Thema rasch auf etwas anderes zu lenken. Sebastian war, wie es den Anschein hatte, nicht der Kavalier, der ihm zwanzig teure Rosen geschickt hatte.
„Arbeiten“, antwortete der Andere knapp.
„Und sonst?“
„Ich … ähm … bin wieder in einer Beziehung, falls du das meinst“, kam es aus dem Telefon. „Tut mir leid.“
„Mir auch“, erwiderte Max. „Mach's gut.“
„Du auch.“
Max beendete das Gespräch und warf sein Handy neben sich auf das Sofa.
Von Sebastian waren sie demnach nicht. Aber wer könnte sonst infrage kommen?
Er las sich die Karte noch einmal durch, doch sie gab ihm keinerlei Hinweis darauf, von wem der Blumengruß stammen könnte. Kein Absender, kein weiterer Name, nur das knappe S. und auf der Rückseite ganz klein der Name des beauftragten Blumenladens.
Im Geiste ging er noch einmal sämtliche Bekanntschaften durch, die er in den letzten Jahren gehabt hatte.
Davon gab es einige, stellte er beschämt fest. Seine Beziehungen hatten nie lange gehalten. Meist gab es nach einigen Monaten oder schon Wochen bereits die ersten Differenzen und Streitereien. Nicht selten war seine Arbeit der Grund dafür. Aktfotograf eines Hochglanz-Erotikmagazins zu sein, war ein sehr begehrter und hochbezahlter Job, aber es machte in gewisser Weise auch einsam. Max hatte es sich nach einigen schmerzlichen Erfahrungen in seiner Anfangszeit zur Prämisse gemacht, Job und Privates strikt zu trennen. So ließ er sich niemals mit den Models ein, ob weiblich oder männlich, nahm keinen von ihnen mit in seine Wohnung oder gab seine Telefonnummer oder Privatadresse weiter. Unter den durchaus fotogenen Models hatte es schon viele gegeben, die ihn interessiert hätten, und die ihn nach seiner Nummer oder um ein Date gebeten hatten, doch Max wich nicht von seinem Grundsatz ab. Deswegen trug er während der Arbeit auch einen kleinen Reif am Ringfinger der rechten Hand, um potenzielle Verehrer gleich von vornherein darüber in Kenntnis zu setzen, dass er kein Interesse an den leckeren Sahneschnitten hatte. Es war eine fiese Masche, aber sie wirkte und bewahrte ihn vor weiteren Enttäuschungen. Sehr schnell hatte er erkennen müssen, dass die Verehrer ihn lediglich als Sprungbrett für ihre eigene Karriere benutzen wollten. Dafür war er sich zu schade. Vielmehr suchte er sein persönliches Glück draußen auf der Straße, in Cafés, in Klubs oder beim Einkaufen im Supermarkt. Nur leider hielten die Beziehungen nicht lange. Zunächst angetan von dem tollen Job, machte sich bald Eifersucht breit, denn er fotografierte nicht nur unbekleidete Frauen, sondern auch Männer in eindeutigen Posen.
Als er den Blumenboten gesehen hatte, war sofort sein geschultes Auge angesprungen und hatte den Mann fachmännisch gescannt. Obwohl sich dieser hinter dem großen Strauß versteckt hatte, konnte er sehen, was für ein ansehnlicher Kerl unter der unscheinbaren, legeren Leinenhose und dem weiten, dunkelgrünen American Shirt steckte. Mit der optimalen Beleuchtung, ein kleines bisschen Make-up, um dessen Vorzüge herauszuholen und der passenden Garderobe – oder auch gänzlich ohne –, würde aus dem Überbringer des Straußes sicherlich ein Aufreißer für die nächste Ausgabe werden. Ihm waren die hohen Wangenknochen und das schmale Kinn sofort aufgefallen. Dieser freundliche, leicht verträumte Blick aus den sanften, dunklen Augen konnte mit etwas Kajalbetonung zu einem Puls beschleunigenden, lasziven Blick werden, der Männer- wie Frauenherzen höher schlagen ließ. Dazu der Drei-Tage-Bart, die leicht wuscheligen, hellbraunen Locken, die aussahen, als sei er eben aus dem Bett gekrochen, und diese sinnlichen Lippen … darauf standen die Abonnenten des Magazins.
In Max' Kopf verwandelte sich der Blumenhüne zu einem hochglanzpolierten Herzensräuber, der die Auflage gewaltig vorantreiben könnte. Ihm fielen auch bereits die passenden Posen ein, um diesen Beau in den richtigen Blickwinkel zu rücken. Allein schon bei der Vorstellung lief ihm das Wasser im Mund zusammen und in seiner Leibesmitte begann es, angenehm zu prickeln.
Aber rasch schob er jeden weiteren Gedanken daran wieder zur Seite. Solche Kerle waren entweder vergeben, oder nicht an Männern interessiert. Und so nüchtern und sachlich, wie er ihn angesehen hatte, war sich Max sicher, dass eine Frau auf den hübschen Blumenüberbringer wartete.
Aber zurück zu dem Blumenstrauß.
Wer könnte ihm zwanzig langstielige Baccara-Rosen schicken?
Vielleicht war es doch eines der Models? Oder ein Kollege oder auch Kollegin?
Sollte er vielleicht bei dem Blumenladen anrufen und nachfragen, von wem die Rosen geschickt worden waren?
Er schüttelte den Kopf. Das wäre ein echtes Armutszeugnis, genauso wie die Tatsache, dass er nicht wusste, wer ihn mit solch einem schmachtenden Blumengruß bedacht hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als am nächsten Tag normal ins Studio zu gehen und darauf zu hoffen, dass irgendjemand ihn mit einem merkwürdigen, abwartenden Grinsen ansah oder auf eine Reaktion seinerseits hoffte.
Seufzend betrachtete er den üppigen Strauß und sog den betörenden Duft der vollen, roten Blüten in sich auf.
Texte: Ashan Delon (C) 2012
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Lektorat: Ingrid Kunantz, Randy D. Avies, Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 24.08.2012
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