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Illusion und Offenbarung




Seit mindestens einer halben Stunde schon, saß Peter im Wartezimmer des St.Claire-Krankenhauses und wartete darauf seinen Namen von der Schwester zu hören, die an der Rezeption gegenüber saß und gelangweilt ihren rosa Kaugummi kaute. Peter Rantke konnte man die Gabe der Geduld nicht wirklich zurechnen, schon als kleines Kind war er immer recht zappelig gewesen. Das lange Sitzen und ewige Warten lag ihm nicht. Nach weiteren zehn Minuten schnappte er sich eine Zeitschrift von dem kleinen Tisch und blätterte lustlos darin herum. Endlich kam die füllige Schwester aus ihrer mickrigen Rezeptionsbank mit dem Rollsitz heraus gerollt.
„Na das wurde aber auch Zeit!“, dachte Peter schon genervt.
„Wanda Renner“, krächzte sie lauthals durch den Raum.
„Was? Bin nicht langsam ich mal an der Reihe?“, fragte Peter leicht gereizt.
Die Rezeptionsschwester schaute ihn mit ihren trüben Kulleraugen an. Für einen kurzen Moment flackerte ein Erstaunen über diese Unhöflichkeit in ihrem Blick auf, doch dann sagte sie: „Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld, Dr.Meet wird sich gleich um Sie kümmern“, dabei sprach sie so monoton, dass Peter sich fragte, ob in ihrem Rücken nicht doch irgendwo eine Batterie eingebaut war.
Das einzige was diese Schwester konnte, war ohnehin nur Kaugummi zu kauen und auf den Computer starren. Ab und zu konnte sie sich sogar aufraffen mit ihrem Rollsitz aus der Rezeptionsbank zu fahren, um die Patienten aufzurufen. „Hightech vom feinsten“, murmelte Peter sarkastisch.
„Wie bitte?“, der Mann direkt neben ihm sah ihn fragend an.
„Nichts!“, blaffte Peter zurück.
Empört blickte der Mann Peter an. „Ein Benehmen ist das heutzutage…“ und wandte sich pikiert wieder seiner Zeitung zu.
Peter war kein Draufgänger oder Ähnliches. Er war auch nicht auf Streit aus, aber diese Wartezeit war ja wohl kaum auszuhalten. Er konnte sich kaum etwas Langweiligeres und Langwierigeres vorstellen, als in einem vollgepfropften Wartezimmer zu sitzen, in dem nervige, zappelnde und lärmende Kinder, popelnde und keuchende Alte und tratschende, schrill lachende Mütter saßen und ihm den Sauerstoff nahmen, der in diesem stickigen, warmen Raum sowieso schon sehr knapp bemessen war. Er begann mit den Fingern auf seiner Armlehne herumzutrommeln, was ihn noch ungeduldiger erscheinen ließ und faltete dann ruckartig mit einem zornigen und tiefen Einatmen seine Hände, als wolle er sich selbst davon abhalten in Dr.Meet´s Zimmer zu stürzen und ihm an die Gurgel zu springen.
Diesmal blickte die Rezeptionsschwester mit ihrer altmodischen Brille nur bequem über den Computer und ächzte: „Herr Brem, Sie sind als nächster dran“. Herr Brem, Peters Nebensitzer machte Anstalten sich zu erheben, doch Peter kam ihm zuvor und fuhr erzürnt aus seinem Sitz auf. „Ja ist denn das zu fassen!“, schrie er. „Gibt es denn hier nur einen einzigen Arzt für das ganze Krankenhaus? Geld sollte man verlangen für die wertvolle Zeit die man hier absitzen muss, eine Unverschämtheit ist das!“.
Verblüfft schaute die schwerfällige Krankenschwester auf. So viel Aktion hatte es in ihrem Job wohl schon lange nicht mehr gegeben. Mit einer leicht verärgerter Stimme wies sie Peter auf seinen Platz: „Setzen Sie sich bitte! sobald Sie an der Reihe sind, werde ich Sie rufen!“.
„An der Reihe sind, an der Reihe sind… Was ist denn das hier für eine Reihe wenn ich bitten darf? Nach dem Motto „wer zuerst kommt, geht zuletzt oder was?“, erwiderte Peter rabiat. „Setzen!“, rief die Schwester nun etwas lauter. Die unerwartete Bedrohlichkeit in ihrer Stimme ließ Peter kalt, doch trotzdem setzte er sich grimmig vor sich hin murmelnd hin. Er wollte keinesfalls riskieren, dass er diese Zeit auch noch umsonst absaß und am Ende sein Termin gestrichen wurde. Denn das traute er dieser rätselhaften Krankenschwester durchaus zu.
Nach einer Weile fing er an Däumchen zu drehen und schaute resigniert zu der Kinderschar hin die sich unschuldig in der Spielecke tummelte. Auf einmal blickte ein etwa Einjähriger Rotschopf ihn an und tapste wackelig mit einem Ball in der Hand auf ihn zu. Vor Peter angekommen machte er Halt und streckte sein kleines Pampers-Popöchen nach hinten um sich vornüber zu beugen und den Ball vor Peters Füßen abzulegen. Hochbeglückt über diese schwer errungene Leistung blickte er Peter freudestrahlend und erwartungsvoll ins Gesicht. Die übrigen Augenpaare im Raum waren alle auf Peter gerichtet. Was würde er jetzt tun? Gleichgültig kickte Peter den Ball mit dem Fuß wieder in die Spielecke zurück. Der Gesichtsausdruck des Kleinen wechselte schlagartig. Bestürzt eilte seine Mutter, die das Schauspiel mit angesehen hatte ihm zu und schimpfte Peter einen gefühlslosen, unausstehlichen Menschen, dem man kein Benehmen beigebracht hatte. Auch von den übrigen Patienten lies sich die allgemeine Empörung vernehmen.
„Was für ein ungehobelter Mensch!“.
„Kaum zu fassen, wie er mit dem Kind umspringt!“.
„Etwas derartig Abstoßendes habe ich meinen Lebtag noch nicht gesehen!“
Peter machte sich nicht viel aus den Bemerkungen der Anderen. Mit verschränkten Armen und versteinertem Gesicht blickte er verächtlich schnaufend ins Leere. Diese Leute hier wollten es einfach nicht verstehen. Zeit war Geld. Sollten sie doch meckern, wenn sie nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wussten, als in Wartezimmern zu vergammeln.
„Peter Rantke“. Die Schwester sprach hochmütig verachtend seinen Namen aus.
„Hätte nicht gedacht, dass ich das noch erlebe“, murmelte Peter im Vorbeigehen absichtlich etwas lauter, sodass die Schwester es auch gut verstehen konnte. Er drückte die weiße Tür auf, trat ein und schloss sie hinter sich.

„Aaaah Herr Rantke! Wie geht es Ihnen? Brauchen Sie mal wieder eine Krankenmeldung, zwinkerte der freundliche Arzt Peter durch seine dichten, grauen Augenbrauen zu.
„Ähm, ja.. heute, ich… also,… mir ging´s einfach nicht so gut heute“, druckste Peter herum.
„Ach so ist das. Nun gut. Dann erzählen Sie mir mal von ihren Sorgen“. Der Arzt setzte sich auf die Tischkante und überschlug seine Beine. Freundlich lächelnd und erwartungsvoll blickte er Peter an.
„Also ich, …ich hatte Magenkrämpfe oder sowas“, Peter wusste nicht wo er hinschauen sollte. Der Arzt sah ihn so eindringlich an, als könnte er direkt an seine Gedanken anzapfen. „ Also ich weiß nicht, vielleicht habe ich auch nur was Falsches gegessen…auf jeden Fall ging´s mir heute nicht gut“.
Der Arzt schaute ihn noch einen Moment nachdenklich an, dann stand er auf. „Ok. Dann stellen wir sie mal aus, die Krankenmeldung. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zückte einen Kugelschreiber aus seinem Arztkittel. „Für wie lange denn? Diesen Tag? Diesen Monat? Dieses Jahr?“,lächelte er.
„Äh ja, diesen Tag bitte“, antwortete Peter unbeachtet des Scherzes den der Arzt sich erlaubt hatte.
„Ok, gut bitteschön“. Damit reichte er Peter den Zettel, der diesen schnell an sich nahm und in die Hosentasche steckte.
„Ein bisschen weniger Aufregung und die Magenkrämpfe verschwinden wie von selbst“, zwinkerte er Peter zu, lotste ihn zur Tür hinaus und verabschiedete ihn mit einem festen Händedruck.

„Wieso Aufregung?“, fragte Peter sich im Hinausgehen. Gerade Heute war doch ein ganz chilliger Tag gewesen und er war doch eigentlich auch nicht der Typ der schnell hochging. Im Gegenteil. „Komisch…“, sagte er sich. Plötzlich kamen zwei kleine zierliche Mädchen lachend um die Ecke gerannt. Im Eifer des Gefechts hatten sie Peter nicht kommen sehen und stießen mit voller Wucht gegen ihn.
„KÖNNT IHR DENN NICHT AUFPASSEN?!?!“, schrie Peter sie erbarmungslos an. Wütend stapfte er davon. „Dumme Gören…“

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir!
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte ist für all diejenigen geschrieben, die sie lesen, den Protagonisten verachten und dann zu ihrem Arzttermin fahren, um sich eine Krankenmeldung für Magenbeschwerden zu holen ;)

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