1.
Honey glitt den langen, dunklen Korridor entlang. Dicht an die Wand gepresst würde man sie vielleicht nicht sofort entdecken, sollte sich noch jemand um diese Zeit hier in der Kirche herumtreiben. Es war stockfinster. Nacht. Ein beklemmendes Gefühl schnürte ihr das Herz zusammen, das so rasend pochte, dass das Blut wohl mit mindestens tausend Kilometer pro Stunde durch ihre Adern raste. Zumindest glaubte Honey das. Sie fühlte sich so gefangen in dieser Anspannung, dass sie gerne einfach schreiend aus dem Gebäude gerannt wäre, doch dieses Gebäude war momentan der einzige Ort an dem sie wirklich sicher war. Der einzige Ort an dem sie sich vor ihnen verstecken konnte. Sie waren ihr auf den Fersen und sie wusste weshalb. Sie waren nicht hinter ihr her um ihr Blumen zu schenken, das war klar. Vielmehr wollten sie ihr wehtun, davon war Honey überzeugt. Da!... ein Geräusch. Ihr stockte der Atem. Sie versuchte so leise wie nur möglich zu atmen, dass sie vor Anspannung kaum noch Luft bekam. Sarkastisch zog sie in Betracht, ob sie nun lieber ersticken oder von ihnen umgebracht werden sollte, doch keine von beiden Optionen sagte ihr sonderlich zu. Langsam und geräuschlos verschwand sie wieder hinter der Ecke um die sie gerade biegen wollte und spähte hervor. Da war es wieder! Es klang wie ein Scharren auf dem Fußboden. Ein leises Quietschen, ein Schlürfen… Da lief, oder besser gesagt schlich doch jemand herum! Plötzlich hörte Honey es ganz in ihrer Nähe. Es kam vom anderen Ende des Gangs, den sie gerade vorhatte zu durchschreiten. Als bekäme sie nicht ohnehin schon zu wenig Sauerstoff, schnürte ihr diese namenlose Angst Kehle und Herz zusammen, dass sie glaubte sie könnte es nun nicht mehr länger aushalten. Aber sie musste! Wenn sie sie fanden, war alles aus! Dies war ihre letzte Chance auf ein Entkommen! Langsam ließ sie sich an der Wand hinunter auf den Boden gleiten und kauerte sich so klein zusammen, wie es nur irgend ging. Sie zitterte am ganzen Leib und konnte dieses Beben auch nicht unter Kontrolle bringen.
„Alter! Glaub mir doch, ich hab sie gesehen. Irgendwo hier drin muss sie sein“, flüsterte eine erregte Stimme. Honey zuckte zusammen und ein leises Wimmern entrang sich ihrer Kehle. „Hast du das gehört?!“
„Nein! Und ich hab langsam auch keinen Bock mehr. Lass uns hier verschwinden bevor noch irgendein Priester kommt um seine Kerzchen anzuzünden und uns hier erwischt. Zwei Volltrottel in weißen Kitteln die eine Verrückte in einer Kirche suchen? Wieso um alles in der Welt sollte sie sich in einer Kirche verstecken, sie hat doch sonst mit Religion nicht viel am Hut.“
„Komm schon du Weichei, bekommst du jetzt auf einmal Schiss vor der Kirche oder was?! Hast wohl diese Woche noch keine Beichte abgelegt“, spottete der Eine.
„Nein man!“, fauchte ihn der Andere an. „Ich hab nur kein Bock auf den ganzen sinnlosen Stress! wenn wir sie finden, dann ganz sicher nicht in dieser verstaubten Kirche! Da finden wir sie nachts eher noch auf dem Friedhof“.
„Da kommt sie sowieso bald hin und dann kannst du sie ja dort so oft besuchen wie du willst, aber dazu müssen wir sie erst mal finden und ich sage dir, ich hab sie hier rein rennen sehen und gehört hab ich auch was!“.
„Ja, ja und wenn schon, dann ist sie schon längst wieder aus der Hintertür raus oder sowas, ich hau jetzt auf jeden Fall ab!“. Schritte waren zu hören.
Wütend zischte der Eine: „Schön, mach das und was willst du Dr.Weird dann sagen?“.
Die Stimme des Zweiten erhob sich merklich. „Du Schwein! Willst du mich jetzt auch noch erpressen?!“
„PSSST! Beruhig dich Alter! falls sie noch hier sein sollte, hast du sie jetzt sicher verscheucht man! WAS ZUM…!!!“. Wie von der Tarantel gestochen, sprang der Verfolger zur Seite und unterdrückte einen Aufschrei. „Da ist was an mir vorbeigelaufen! Direkt an meinen Füßen! Irgendein Viech, ich hasse diese Dinger! …Ach was soll´s hauen wir ab, mit dir bringt das sowieso nichts…“. Seine Stimme zitterte merkwürdig.
Sein Gegenüber, dessen Geduldsfaden für diese Nacht schon reichlich genug gespannt worden war, antwortete wutentbrannt: „Willst du jetzt mir das Ganze in die Schuhe schieben? Wer hat denn den Schlüssel stecken lassen als…“.
Die Stimmen entfernten sich immer weiter Richtung Ausgang und Honey wagte erstmals tief auszuatmen.
Leise und vorsichtig riskierte sie, sich wieder ein wenig zu bewegen, als ein stechender Schmerz ihren Körper durchfuhr. Sie hatte nicht gemerkt wie verkrampft sie dagesessen war, und nun meldeten ihre angespannten Muskeln den Protest. „Klack! Klack!“ Honey blickte auf zwei glänzende, schwarze Lackschuhe vor sich und erstarrte! Ihr erster Gedanke war „RENN!“, doch das hätte ihr wohl nicht mehr viel gebracht. Sie war am Ende ihrer Kraft. Plötzlich drehte sich alles um sie herum. Was war los? Ein Erdbeben? Honey hatte keine Kraft mehr nachzudenken, sie war nur so endlos müde und plötzlich wurde alles schwarz!
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2012
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